Wertetraining - John Erpenbeck - E-Book

Wertetraining E-Book

John Erpenbeck

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Beschreibung

Respekt, individuelle Freiheit, Verantwortung … Wer heute in einem Unternehmen oder in einer Bildungseinrichtung nicht nur über "unsere" Werte reden, sondern real vorhandene oder nicht vorhandene Werte entwickeln will, weiß oft nicht: wo anfangen, wo aufhören. Wie ermittle ich schon vorhandene Werte? Welche Werte werden für die Zukunft für wichtig gehalten? Welche Trainingsformen sind geeignet, um alle auf der Wertereise mitzunehmen? Das Buch gibt einen Überblick über die möglichen Wertebegriffe, zeigt wie sie definiert und umgesetzt werden und erläutert Methoden der gezielten Werteentwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften.

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[9]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumvorwort1 Grundlagen des Wertetrainings1.1 Werteentwicklung, Werteerziehung oder Wertetraining1.2 Beispiel Wertetraining im Fußball1.3 Wertetraining und Kompetenztraining1.4 Fundamentalunterschiede von Werte- und Kompetenztraining1.4.1 Individuenorientierung versus Gemeinschaftsorientierung1.4.2 Handlungsorientierung versus Haltungsorientierung1.4.3 Detailorientierung versus Clusterorientierung1.5 Ebenen des Wertetrainings1.5.1 Organisationsebene: Wertemodell – Erfassungsmodell – Trainingsmodell1.5.1.1 Organisationsspezifisches Wertemodell1.5.1.2 Organisationsspezifisches Erfassungssystem1.5.1.3 Organisationsspezifisches Trainingsmodell1.5.2 Teamebene: Werterahmen – Erfassungsmodell – Trainingsmodell1.5.3 Mitarbeiterebene: Wertebeschreibung – Werteerfassung – Wertetraining2 Methoden des gezielten Wertetrainings2.1 Werteerfassung – die Grundlage gezielten Wertetrainings2.1.1 Das Eigenschaftsparadigma2.1.2 Persönlichkeitstests, Kompetenzerfassung, Werterfassungsverfahren2.1.3 Werte und Persönlichkeit2.1.4 Verfahren der Werteerfassung2.1.5 Gütekriterien für Ratingverfahren2.2 Verfahren der Werteerfassung2.2.1 Ausgangspunkte2.2.2 Die vier Grundwerte2.2.3 16 Schlüsselwerte2.2.4 64 Wertebeispiele – die Wertewolken2.2.5 Bewährte klassische und weitere Verfahren der Werteerfassung2.2.5.1 Grundlegende Ratingprozesse2.2.5.2 Praktisch bewährte klassische Verfahren der Werteerfassung2.3 Wertetraining2.3.1 Wertetraining in der Praxis2.3.1.1 Erlebnislernen2.3.1.2 Subjektivierendes Handeln2.3.1.3 Expertiseaufbau2.3.1.4 Krisenmanagement2.3.1.5 Erweiterte oder neue Herausforderungen2.3.1.6 Agile Arbeitsprinzipien2.3.1.7 Scrum2.3.1.8 Design Thinking2.3.1.9 Kanban2.3.1.10 Pulse2.3.1.11 Peer Working and Learning2.3.1.12 Working Out Loud2.3.1.13 Kollegiale Beratung2.3.1.14 Communities of Practice2.3.2 Begleitendes Wertetraining durch Coaching und Mentoring2.3.2.1 Begleitcoaching2.3.2.2 Neurobiologisch intendiertes Coaching2.3.2.3 Systemisches Coaching2.3.2.4 Involvierendes Coaching2.3.2.5 Persönlichkeitscoaching2.3.2.6 Co-Coaching2.3.2.7 Kollegiales Coaching2.3.2.8 Mentoring2.3.2.9 Koping – Ermöglichung der selbstorganisierten Werteentwicklung2.3.3 Ergänzendes Wertetraining durch Übung2.3.3.1 Trainingsunternehmen und Übungsfirmen2.3.3.2 Bewerbungs-, Präsentations- und Konflikttraining2.3.3.3 Outdoor-Training, Hochseilgarten, Führen mit Pferden...2.3.3.4 Seitenwechsel2.3.3.5 Zürcher Ressourcen Modell (ZRM)2.3.3.6 Serious Games2.3.4 Unterstützendes Werteentwicklung durch Bildung und Weiterbildung2.3.4.1 Weiterbildungsmaßnahmen als Anstoß für Werteentwicklung2.3.4.2 Selbstorganisation2.3.4.3 Social Blended Learning2.3.4.4 Wertelisten2.3.4.5 Wertequadrat2.3.4.6 Prospect Theory2.3.4.7 Post-mortem-Diskussion2.3.4.8 Advocatus-Diaboli-Diskussion2.3.4.9 Nudging2.3.4.10 Debiasing2.3.4.11 Anti-Biasing2.3.4.12 Werteorientierte Vernetzung – Kongresse, Barcamps und Webcamps, World Café2.3.4.13 Kunst und Wertekommunikation3 Wertetraining für Schlüsselwerte von Individuen3.1 Kreativität3.2 Gesundheit3.3 Bildung3.4 Beziehungen3.5 Lebensstandard3.6 Sicherheit3.7 Belohnung3.8 Gemeinnutz3.9 Familie3.10 Ideale3.11 Verantwortung3.12 Respekt3.13 Individuelle Freiheit3.14 Einfluss3.15 Norm und Gesetz3.16 NetzwerkSynonyme und ihre SchlüsselwerteGlossarLiteraturStichwortverzeichnisAutoren
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John Erpenbeck/Werner Sauter

Wertetraining

1. Auflage, Februar 2022

© 2022 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © MathieuRivrin, gettyimages

Produktmanagement: Frank Baumgärtner

Lektorat: Petra Bandl

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/ Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

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[5]Vorwort

Kann man Werte wirklich trainieren?

Ja. Das ist in einem Wort zusammengefasst der Inhalt dieses Buches.

So kurz das Wort, so lang der Weg zu dieser wohlbegründeten Überzeugung. Werte sind die Kerne von Kompetenzen. Seit mehr als drei Jahrzehnten haben wir uns mit Kompetenzen, mit ihrer Erfassung und Entwicklung beschäftigt. Der wesentlich von Volker Heyse ausgearbeitete Band »Kompetenztraining« fasste diese Beschäftigung auf eine praktikable, nutzbare Weise zusammen.

Dabei tat sich für uns ein fundamentaler Widerspruch auf.

Kompetenzen kann man trainieren, muss man trainieren. Fehlt es beispielsweise einem Datendigitalisierer an den Kompetenzen analytische Fähigkeiten, Folgebewusstsein oder systematisch-methodisches Vorgehen, muss man sie trainieren. Hat ein Unternehmen ein eigenes Kompetenzmodell – wie inzwischen viele deutschen Unternehmen – kann es überlegen, welche Kompetenzen in welcher Ausprägung strategiegemäß in den nächsten ein, zwei Jahren für seine wichtigsten Berufsgruppen benötigt werden. Genau darauf kann es dann seine Trainingsbemühungen richten. Man kann jedoch niemals von der Fülle vorhandener, großartiger Mitarbeiterkompetenzen auf die Kompetenz des Unternehmens schließen. Sie kann trotz bester Mitarbeiterkompetenzen höchst mittelmäßig sein, weil sie sich in eigenen Prozessen entwickelt.

Das Unternehmen muss deshalb die Kompetenzen seiner Mitarbeiter1 bündeln, ihnen eine Richtung geben. Es muss festlegen, was ihm wichtig und wertvoll ist. Es muss seine Ziele selbst organisieren. Dafür braucht es Ordner der Selbstorganisation seines Handelns. Solche Ordner sind Werte. Sie werden meist in Form von Leitlinien, Unternehmenswerten und Wertemodellen zusammengefasst. Wirksam werden sie aber nur, wenn sie zur persönlichen Leitlinie des einzelnen Mitarbeiters werden, wenn sie verinnerlicht, interiorisiert werden. Wenn beispielsweise Nachhaltigkeit ein erklärter Unternehmenswert ist, müssen ihn die Mitarbeiter für persönlich wichtig, erstrebenswert und lohnend halten. Von innen heraus, nicht weil es das Unternehmen so will.

Eine Wertepredigt nützt nichts, ein Wertetraining ist erforderlich.

Voraussetzung dafür ist, zu begreifen, wie die gezielte Werteentwicklung von Persönlichkeiten vor sich geht. Das wiederum setzt voraus, zu begreifen, was Werte wirklich sind und welche [6]Rolle sie individuell wie weltgeschichtlich wirklich spielen. Wir haben es nicht mit Werten in einer Welt von Fakten, sondern mit Fakten in einer Welt von Werten zu tun. Wir leben in einer Wissensgesellschaft, vor allem aber in einer Wertegesellschaft. Der Streit um Werte wird unsere Zukunft bestimmen.

Wir haben ziemlich umfassend dargelegt, wie sich eine gezielte Werteentwicklung von Persönlichkeiten gestaltet. Wir wollen in diesem Praxisbuch darlegen, wie wir eine solche gezielte Werteentwicklung methodisch bewusst und praktisch wirksam gestalten können.

Wertetraining ist die methodisch bewusste und praktisch wirksame Gestaltung gezielter Werteentwicklung von Persönlichkeiten.

Ja, man kann Werte trainieren. Das eingängigste, schönste Beispiel ist für uns das Wertetraining im Jugendfußball; wir kommen später ausführlicher darauf zurück. »Wertebildung heißt nicht Vermittlung, denn Werte lassen sich nicht beibringen oder lehren …. Welche Werte ihren Spielern wichtig sind, können weder Sie noch jemand anderes bestimmen. Werte bilden sich aus eigenen Erfahrungen. Ich werde zum Beispiel erst pünktlich sein, wenn ich es selbst als wichtig erfahren habe und nicht, weil mir mein Trainer nun zum zehnten Mal gesagt hat, es sei wichtig.« (Märtin, Tegeler 2020) Das ist in Kürze das Geheimnis jedes guten Wertetrainings.

Dieses Buch soll dementsprechend eine Empfehlung sein, Wertetrainings zu gestalten. Es gibt viele Reflexionen, wie wichtig, unumgänglich, entscheidend manche Werte, vor allem im politischen Bereich, seien. »Unsere Werte«. Aber wie werden sie an die Mitarbeitenden gebracht? Wie verinnerlicht? Wann wird endlich mit Seminaren Schluss gemacht, die beispielsweise Nachhaltigkeit und Klimaschutz nur predigen und nicht auf dem höchsten Level der Werteverinnerlichung trainieren? Dieses Ziel haben wir im Blick.

Das versuchen wir, in drei Stufen zu realisieren.

Auch der praktischste Praktiker muss, meinen wir, mit einem Minimum an Grundlagen ausgestattet werden. Was ist Wertetraining? Wie unterscheidet es sich von einem Kompetenztraining? Wie erfassen oder messen wir Werte? Das sind solche Ausgangsfragen.Wir stellen kurz und bündig die unserer Ansicht nach wichtigen Methoden zusammen, die eine Werteentwicklung von Menschen bewirken können. Die Kernfrage ist dabei denkbar einfach: Wo wird der Mensch emotional so berührt, angerührt, bewegt, verunsichert, irritiert, betroffen, bestürzt, kurz emotional labilisiert, dass seine Bewertung des geistigen und physischen Handelns verinnerlicht, dass sie zum Wert wird.Wir fragen dann für wichtige Werte, wir nennen sie Grundwerte und Schlüsselwerte, jeweils, welche der dargestellten Methoden sich zur Entwicklung jedes dieser Werte besonders gut eignen. Dazu charakterisieren wir diese Werte und ordnen ihnen über Checkboxen einzelne Entwicklungsmethoden zu. Hier vermuten wir für den Praktiker, den Wertetrainer, den Hauptgewinn. Er kann sich seinen Methodenkoffer selbst zusammenstellen, er kann jedes Wertetraining individualisieren und intensivieren.

[7]Wir bezeichnen den Lernbegleiter, Werteentwickler, Wertecoach oder Werteverantwortlichen weiter meist generalisierend als Wertetrainer. Den oder die Trainierten nennen wir dann dementsprechend Wertetrainee. Schließlich fügen wir jeweils zwei Trainingsbeispiele für jeden der 16 Schlüsselwerte an. Eines illustriert eher das praktisch-methodische Vorgehen, eines mehr die Suche nach der entscheidenden emotionalen Labilisierung, die das Training erst wirksam macht.

Unsere Beispiele sind oft auf den Bereich von Unternehmen und Organisationen bezogen. Dort haben wir unsere praktischen Erfahrungen gesammelt, dort haben sich unsere Ansätze praktisch bewährt. Doch glauben wir, dass der Grundansatz des Wertetrainings im Bereich der meisten Organisationen, auch auf pädagogischem und politischem Gebiet, nicht weniger wirksam ist. Er soll dem Praktiker Nutzen bringen und von Praktikern genutzt werden. Er soll helfen, eine Zukunft zu gestalten, die eine, nachhaltige, klimaneutralisierte, digitalisierte, gleichheitsbewusste und wirklich menschliche Wertezukunft ist.

Berlin, im August 2021

John Erpenbeck, Werner Sauter

1 Wir verwenden im gesamten folgenden Text wegen der besseren Verständlichkeit die männliche Sprachform. Er ist aber ebenso an alle Personen nicht männlichen oder diversen Geschlechts gerichtet

[35]2Methoden des gezielten Wertetrainings

Nun betreten wir den operativen Kernbereich unserer Ausführungen.

Wie kommen wir zu einem organisationsspezifischen Trainingsmodell?

Das operative Training beginnt nach der Konkretisierung des organisationalen und teambezogenen Werterahmens, der zeitlichen, räumlichen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie des Ermöglichungsraumes.

Die methodisch wichtigste Einsicht unseres vorherigen Grundlagen-Kapitels ist, dass Wertetraining gemeinschaftsorientiert ist, sodass die Werteerfassung und -entwicklung im Regelfall von den Werten auf Ebene der Organisation top down ausgeht. Definierte Soll-Werte bilden den Rahmen des Wertemanagements für die gesamte Organisation, in dem die teambezogenen und individuellen Prozesse der Werteentwicklung abgeleitet werden.

Alles was dort zum Herausarbeiten eines Wertemodells, eines Erfassungsmodells und eines Trainingsmodells erarbeitet wurde, gilt zunächst auf der Organisationsebene, kann dann aber auf die Team- und Mitarbeiterebene heruntergebrochen werden. Insbesondere das organisationsspezifische Wertemodell, das auf der Organisationsebene über Wertebeispiele erstellt wurde, bildet den Rahmen für alle weiteren Schritte auf der Team- und der Mitarbeiterebene. Nur so können die vorhandenen Ist-Werte, die Wunsch-Werte und damit die erforderlichen Soll-Werte ermittelt werden. Wir gehen summarisch auf die Organisationsebene, die Teamebene und die Mitarbeiterebene ein (vgl. Erpenbeck, Sauter, 2019).

Uns interessiert im Rahmen dieses Buches zum Wertetraining vor allem, inwieweit wir durch ein Training eine gezielte Veränderung von Werten der Mitarbeiter und Führungskräfte und dadurch eine höhere Performanz der Organisation erreichen können.

Das operative Training beginnt nach der Konkretisierung des organisationalen und teambezogenen Werterahmens, der zeitlichen, räumlichen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie des Ermöglichungsraumes.

[36]2.1Werteerfassung – die Grundlage gezielten Wertetrainings

Auch im Wertebereich gilt der berühmte Satz:

»Was Du nicht messen kannst, kannst Du nicht managen.« (Peter Drucker8)

In der Praxis verflüchtigt sich allerdings oft seine Strenge. Da wird unter Messen meist auch ein einfaches Erfassen gebilligt, und unter Managen auch ein bloßes Lenken oder ein gezieltes Entwickeln.

Warum beginnen wir, am Anfang eines Abschnitts, der sich mit den Methoden der Werteerfassung beschäftigt, mit einem zunächst abstrakt wirkenden, vielleicht sogar Angst einflößendem Vergleich von Persönlichkeitsmessung, Kompetenzerfassung und Werteerfassung? Warum ein solcher Ausflug?

Wer jemals im Leben als Berater, Pädagoge oder Wissenschaftler vor der Aufgabe stand, ein personenbezogenes Erfassungs- oder Messverfahren zu entwickeln, vorzuschlagen, einzusetzen oder sogar durchzusetzen, kennt diese Situation: Da sitzen Ihnen gegenüber Chefs, Kollegen entscheidender Abteilungen und Teams sowie Mitarbeiter aus der Personalabteilung, darunter ausgebildete Psychologen. Kaum ist die letzte Folie Ihrer Präsentation ausgeblendet, der letzte erklärende Satz verklungen, kommt so sicher wie das Amen in der Kirche die Frage: »Und wie beurteilen Sie die Objektivität des Verfahrens, wie ist seine Reliabilität und Validität?«

Leider sind in solchen Runden keine Gegenfragen üblich. Wenn Sie die Entscheider fragen könnten, was sie genau unter Reliabilität und Validität verstünden, würden Sie vielleicht nicht mehr als ein hilfloses Stammeln zur Antwort erhalten. Die psychologisch Ausgebildeten würden Ihnen hingegen eine Vorlesung in Testtheorie entgegenschmettern.

Auf Ihre Einwände, dass es sich bei der Werteerfassung um etwas viel Komplexeres, als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaften, handle, weshalb Vorstellungen von Reliabilität und Validität nicht einfach aus der Psychometrie übernommen werden dürften, dass in der Praxis Erfassungsvorgänge gewöhnlich in Form von Ratings, seltener als Rankings, und überhaupt nicht in Form von Messen und Testen stattfänden (vgl. Steyer, Eid, 2. Aufl. 2001), würden Sie nichts als ein mitleidiges Lächeln ernten. Auch ihre Argumente, dass die Sympathie für ein Unternehmen oder eine Organisation nicht quantitativ eingeschätzt werden könnte und dass fast alle in der harten Praxis eingesetzten persönlichkeitspsychologischen Verfahren, wie MBTI, Myers-Briggs-Typenindikator, BIG 5, DISG, INSIGHTS, BELBIN oder H.D.I., keiner tiefgründigen psycho[37]metrischen Kritik Stand hielten (vgl. Klimmer 2004, 2010), würden nicht akzeptiert werden. Ihr Vorschlag würde abgeschmettert.

Wenn Sie sich auf solche Diskussionen einlassen, haben Sie schon verloren.

2.1.1Das Eigenschaftsparadigma

Eine fundamentale Erkenntnis aus den Ergebnissen der Werteforschung, aber auch aus den Erfahrungen unserer Praxisprojekte ist:

Werte sind keine Eigenschaften einer Persönlichkeit.

Diese These gilt, obgleich sie in Persönlichkeitseigenschaften, Motivationen und Haltungen von Persönlichkeiten einfließen.

Wie ist man überhaupt auf die merkwürdige Idee gekommen, Menschen wie physikalische Objekte zu vermessen und ihre Eignungen für Berufe, Funktionen oder Aufgaben zu diagnostizieren? Heinz Schuler fasst treffend zusammen: »Psychologische Berufseignungsdiagnostik besteht in dem Bemühen, Zusammenhänge zwischen menschlichen Merkmalen und beruflichem Erfolg zu entdecken sowie Methoden zu entwickeln, um beides zu messen und zueinander in Beziehung zu setzen.« (Schuler 4. Aufl. 2014, S. III). Damit ist klar, dass eine relative Merkmalsstabilität als Grundlage aller weiteren Schritte zu fordern ist: »Valide und verantwortbare Eignungsdiagnostik als Grundlage der Personalauswahl und der Berufsberatung setzt voraus, dass die erfassten Merkmale relativ stabil sind oder dass ihre Entwicklung gut prognostizierbar ist.« (Schuler 2014, S. 8 ). Persönliche Werte können lebenslang stabil sein, sich aber auch, abhängig von der Lebenssituation, schlagartig ändern. Sie als Eigenschaften von Persönlichkeiten zu bezeichnen, sträubt sich schon der feinere Sprachsinn.

Auf die Idee, psychische Gegebenheiten wie gegenständliche Eigenschaften zu behandeln, kamen Psychologen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Was in der Physik erdenklich war, sollte auch in der Psychologie möglich sein. Dort wurden Eigenschaften von Objekten wie Maße, Farben, Temperaturen sowie beobachtbare Prozesse vermessen. Warum sollte man die fünf Sinne, warum die Eigenschaften von Persönlichkeiten nicht mit ähnlichen Methoden erforschen?

Die Physik entwickelte wunderbare statistische Methoden, um die wahren Werte physikalischer Gegebenheiten, beispielsweise von Temperaturen oder von ph-Werten zu ermitteln. Dass die Gegebenheiten real existieren, auch wenn man sie zuerst theoretisch erfassen muss, steht außer Zweifel. Aber wie ist das mit psychischen Gegebenheiten? Existiert eine psychische Eigenschaft wie Introversion real oder ist das nur ein theoretisches Konstrukt? Was ist der wahre Wert der Introversion? Hängt er nicht völlig vom theoretischen Konstrukt ab? Gibt es [38]Persönlichkeitseigenschaften überhaupt? Der erbitterte Streit zwischen erklärender, sich naturwissenschaftlich darstellender und verstehender Psychologie, die Bedeutungen und Wertungen mit einbezieht, hält bis heute unvermindert an (vgl. Schmidt 1995).

Persönlichkeitseigenschaften sind scheinbar vielfältig erfassbar und messbar. Der Hogrefe Verlag bietet etwa 40 seriöse und erprobte Persönlichkeitstests an, die vorgeben, Persönlichkeitseigenschaften zu messen.9 Doch eine ganz Reihe dieser Tests ist umstritten. Auf amüsante Weise hat Simon gezeigt, dass er, gemessen an den seinerzeit bekanntesten Persönlichkeitstests, in ebenso viele, einander teilweise entgegengesetzte, Persönlichkeiten zerfallen würde (vgl. Simon 2015).

»Wer bin ich und wenn ja, wie viele«, trifft da vollkommen zu (vgl. Precht 2012). Die Güte solcher Tests mit Objektivität als Unabhängigkeit vom Erfassenden, Reliabilität als Zuverlässigkeit und Validität als inhaltliche Gültigkeit, wird verständlicherweise von den Testentwicklern, den Testnutzern und den Testkritikern sehr unterschiedlich beurteilt. Nichtsdestoweniger lassen sie sich in Hinblick auf ihre Tauglichkeit im Personalbereich oder für Unternehmen insgesamt tiefgründig miteinander vergleichen (vgl. Schuler, 4. Aufl. 2014).

Es wurde schon früh darauf hingewiesen, dass Kompetenzen als Fähigkeiten, selbstorganisiert und kreativ zu handeln, nicht wie Persönlichkeitseigenschaften behandelt werden können und dass die genannten psychometrischen Gütekriterien nur mit äußerster Vorsicht und unter starken methodologischen Einschränkungen zu ermitteln sind (vgl. Schuler 2014, S. 52 – 58). Ob sie überhaupt auf Werte angewendet werden können, ist stark umstritten.

So schreibt Volker Heyse zum Kompetenzmessverfahren KODE® (Heyse, Erpenbeck 2009 S. 5): »Das KODE®-System ist nicht als psychometrischer Test konzipiert. Es baut auf einem differenzierten selbstorganisationstheoretisch untermauerten Kompetenzmodell auf, das sich in der Praxis vielfach als tragend erwiesen hat. Es weist aber keine kontextfreien Persönlichkeitsaspekte nach, sondern schließt aus der Performanz der Handlungsergebnisse auf implizite Dispositionen (Verhaltensvoraussetzungen) oder Fähigkeiten, auf Kompetenzen, die zu jenen Handlungsergebnissen führten. Solche Dispositionen, die implizite Erfahrungen in bestimmten Kontextsituationen einschließen, sind messmethodisch schwer zugänglich. Es werden also keine wie immer konstruierten psychischen Eigenschaften gemessen, sondern Dispositionen, welche die Güte von kreativem Handeln charakterisieren. Insofern haben Aussagen zu Re-Test Reliabilität und Validität stets eine eingeschränkte Gültigkeit. Sie sind nur zutreffend, wenn das Verfahren, entgegen seinen Intentionen, d. h. der Anregung von Entwicklungs- oder Veränderungsprozessen, gerade nicht in Kompetenzentwicklungsprozessen benutzt wird. Viel wichtiger allerdings ist, ob KODE® wirklich sinnvoll als Instrument der Unterstützung und Entwicklung von Kompetenzen eingesetzt werden kann, dabei akzeptiert wird und sich bewährt. Diese Akzeptanz wird im Sinne einer sozialen Validität fast ausnahmslos bestätigt.«

[39]Auch das von uns entwickelte Werteerfassungsinstrument ValCom® ist nicht als psychometrischer Test konzipiert und darf nicht als solcher missverstanden werden. Rüdiger Hossiep, der Entwickler eines der wenigen, neben dem BIG 5 allgemein akzeptierten Persönlichkeitstests, des Bochumer Inventars zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP), hat vielleicht bisher am deutlichsten den Unterschied von Persönlichkeitstests und Kompetenzmessungen hervorgehoben, was sich 1:1 auf Werteerfassungsverfahren verallgemeinern lässt.

2.1.2Persönlichkeitstests, Kompetenzerfassung, Werterfassungsverfahren

Persönlichkeitstests gehen nach Hossiep generell vom Paradigma der Persönlichkeitseigenschaften aus (Hossiep, Mühlhaus, 2. Aufl. 2015 S. 26). Danach »sollen die individuellen Besonderheiten von Menschen durch ihre Eigenschaften beschrieben werden. Die Persönlichkeit wird als geordnete Gesamtheit all dieser Eigenschaften verstanden. Von einer stabilen Eigenschaft wird alltagspsychologisch dann gesprochen, wenn von einer bestimmten Person auf ähnliche Situationen häufig in bestimmter, vergleichbarer Weise reagiert wurde. Aus wissenschaftlicher Perspektive spricht man erst dann von einer stabilen Eigenschaft, wenn mehrere Reaktionsformen, zum Beispiel Gestik oder Mimik, über verschiedene Situationen hinweg vergleichbar gezeigt wurden. Eigenschaften werden als zumindest mittelfristig relativ stabil verstanden. Langfristige Veränderungen werden als durchaus möglich angesehen, unter anderem bedingt durch kritische Lebensereignisse, wie zum Beispiel Krankheit, Tod eines Angehörigen, Arbeitsplatzverlust und Ähnliches.«

Werteerfassungsverfahren können nicht vom Eigenschaftsparadigma ausgehen.

Dies hat folgende Gründe:

Werte werden als Resultat eines komplexen Zusammenwirkens von Wertungssubjekt (Persönlichkeit), Wertungsobjekt, Wertungsgrundlagen und Wertungsmaßstäben (Wertekleeblatt) angesehen, das nicht als mechanisches Zusammenspiel abgebildet werden kann.Werte sind aus dem Verhalten und Handeln der Persönlichkeit nicht mittelbar zu erschließen, weil der Zusammenhang zwischen beiden nichtdeterministisch selbstorganisativ ist und unüberschaubare Freiheitsgrade einschließt.Werte zu verstehen, bedarf beträchtlicher Empathie und der Kenntnis vorangegangener emotionaler Interiorisationsprozesse, deren Wirkung – wenn überhaupt – eher tiefenpsychologisch zu erschließen sind.Werte sind keine Eigenschaften von Persönlichkeiten, da sie aufgrund der zuvor genannten Einschränkungen kaum gestatten, Zusammenhänge zwischen Werten und beruflichem Erfolg zu entdecken sowie Methoden zu entwickeln, um beides zu erfassen und zueinander in Beziehung zu setzen.

Wozu taugen Werte dann überhaupt? Tiefer durchdacht dienen eigentlich nur Kompetenzen dazu, persönlichkeitsbezogene Daten und eine Einschätzung von erwartbaren Handlungser[40]folgen in Beziehung zu setzen. Nur Kompetenzen verstehen sich definitionsgemäß als Fähigkeiten, auf eine bestimmte Weise zu handeln. Je ausgeprägter diese Fähigkeiten, desto größer werden die Handlungserfolge sein.

Dass diese Fähigkeiten auch von Persönlichkeitseigenschaften abhängen – keine Frage. Wie diese Eigenschaften jedoch genau die Fähigkeiten beeinflussen, ist nicht so leicht zu sagen und noch viel schwerer wissenschaftlich zu erfassen. In ihr bekanntes Buch zur »Personalauswahl und -entwicklung mit Persönlichkeitstests« haben Jürgen Hossiep und Oliver Mühlhaus in einer neuen Auflage einen »Exkurs: Kompetenzmanagement und der Einsatz von persönlichkeitsorientierten Verfahren« eingefügt, der sich unter anderem auf das KODE®-Verfahren bezieht (Hossiep, Mühlhaus S. 23 f.). Dort wird resümierend festgestellt: Mithilfe sogenannter Handlungs- oder Verhaltensanker »kann der Vorgesetzte der Führungskraft eine Rückmeldung geben. Soweit der Vorgesetzte die in den Persönlichkeitsmerkmalen begründeten Ursachen allerdings nicht klar erkennen kann, fehlen ihm unter Umständen auch Anhaltspunkte für die individuelle Weiterentwicklung des Mitarbeiters. Denkbar sind völlig unterschiedliche persönlichkeitsbasierte Ursachen ... An dieser Stelle kann das persönlichkeitsorientierte Verfahren eine Klärungshilfe sein, die den Beteiligten vom Personalmanagement zur Verfügung gestellt wird.« Auf dieser Grundlage kann eine gezielte Weiterentwicklung diskutiert und geplant werden. »Hier ergänzt der Fragebogen das Kompetenzmodell im Bedarfsfall.«

Im gleichen Sinne kann ein werteorientiertes Verfahren Klärungshilfe und Entwicklungsanstoß sein. Kompetenzen, Handlungsfähigkeiten und -defizite können von den Werten eine Persönlichkeit her durchleuchtet und tiefer verstanden werden. Insofern haben werteorientierte Verfahren auf der Persönlichkeitsebene eine wichtige, vertiefende Funktion. Wir verstehen mit ihrer Hilfe die Kerne von Kompetenzen einfach besser. Aber das ist nicht alles.

Eine besondere Dimension, die hier nur kurz angerissen werden soll, ist die motivierende, treibende, manchmal aufpeitschende Form der Erfassung und vor allem der Entwicklung individueller Werte. Man konnte das in besonders heftiger Form in den berühmten, aber auch fraglichen, Tsjakkaa-Motivationsevents10 erleben (vgl. Ratelband 1998). Weder Verfahren der Persönlichkeits- noch der Kompetenzentwicklung haben derartige in großem Maßstab aktivierende Möglichkeiten.

Gelingt es, möglichst viele Menschen von diesen Werten zu überzeugen, ja sie für diese Gemeinschaftswerte zu begeistern, etwa für Elektroautos oder Umweltziele, hat das Training individueller Werte einen enormen ethisch-moralischen oder sozial-weltanschaulichen und letztlich auch ökonomischen Effekt. Vielleicht begrüßen gerade deshalb so viele Unternehmen und Organisationen das Wertemanagement so emphatisch?

[41]2.1.3Werte und Persönlichkeit