What I Wish For - Cassia Bieber - E-Book

What I Wish For E-Book

Cassia Bieber

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Beschreibung

**Wenn du einen Wunsch frei hättest ...**  Jedes Jahr während der Vorweihnachtszeit hilft Eira als Wunschvermittlerin in ihrem norwegischen Heimatdorf aus. Doch als der Besitzer des Stands verstirbt, hinterlässt er ihr einen unerwarteten letzten Auftrag: Sie soll zusammen mit seinem Enkel Liam das Geschäft weiterführen und den Leuten ihre Herzenswünsche erfüllen. Mit jedem Tag knistert es mehr zwischen ihnen, doch Eira weiß, dass ihre gemeinsame Zeit nur bis Weihnachten dauern kann und ihre Wege sich danach trennen müssen. Obwohl eine gemeinsame Zukunft aussichtslos scheint, ist es bald unmöglich, ihre Gefühle zu ignorieren ... Eine bezaubernde Winter Romance, die keine Wünsche offenlässt.  //»What I Wish For« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Cassia Bieber

What I Wish For

**Wenn du einen Wunsch frei hättest ...**

Jedes Jahr während der Vorweihnachtszeit hilft Eira als Wunschvermittlerin in ihrem norwegischen Heimatdorf aus. Doch als der Besitzer des Stands verstirbt, hinterlässt er ihr einen unerwarteten letzten Auftrag: Sie soll zusammen mit seinem Enkel Liam das Geschäft weiterführen und den Leuten ihre Herzenswünsche erfüllen. Mit jedem Tag knistert es mehr zwischen ihnen, doch Eira weiß, dass ihre gemeinsame Zeit nur bis Weihnachten dauern kann und ihre Wege sich danach trennen müssen. Obwohl eine gemeinsame Zukunft aussichtslos scheint, ist es bald unmöglich, ihre Gefühle zu ignorieren ...

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© privat

Cassia Bieber, 1984 in Rio de Janeiro geboren, verlor aber ihr Herz an Hamburg. Jahrelang verschlang sie Liebesromane, aber erst seit 2019 erschien ihr erstes Buch. Seitdem hat sie nicht mehr aufgehört, Geschichten zu erfinden und gewann sogar Schreibwettbewerbe.

Kapitel 1

Die Sonne legte goldene Strahlen auf die schneebedeckten Straßen von Rolig Elv, vertrieb aber nicht im Geringsten die Kälte unter meiner Wintermontur. Wärme drang jedoch durch meine Fäustlinge und ich umschloss die zwei Tontassen fester, atmete den Duft von Zimt, Mandel und Bitterorange ein und steuerte auf den Weihnachtsmarkt zu. Erst unter dem Bogen aus Tannenzweigen und glitzernden Kugeln blieb ich stehen. Wie durch Zauberei schaltete sich der Tunnel aus Lichterketten an, malte ein Lächeln auf meine Lippen und erhellte das dunkle Gefühl in meiner Brust. Seit gestern war ich wieder zu Hause. Seit gestern erinnerte mich alles in meinem Heimatdorf daran, dass Erik nicht mehr hier sein würde. Mich erwarteten keine Rentnerwitze oder Geschichten über seine geliebte Freydis. Es gab niemand mehr, der genau wie ich von der nordischen Mythologie besessen war und mir Ratschläge zu meinem missglückten Liebesleben gab. Jetzt war Erik bei seiner Frau, wachte vom Walhalla aus über mich und ich wollte nicht einmal in Träumen daran denken, sein Vermächtnis zu entwürdigen.

»Das kriege ich hin, Erik«, murmelte ich in meinen Wollschal.

Schlitten sausten an mir vorbei, wirbelten den Schnee so auf, dass weiße Flocken vor meiner Nase tanzten und ich einen Schritt nach hinten taumelte. Gløgg schwappte aus den Tassen, tropfte auf den Boden und verwandelte den Schnee in einen roten psychologisch-projektiven Test. Wie würde mein Professor mich bewerten, wenn ich ihm erzählte, dass ich einen Elch beim Teetrinken in dem Farbklecks erkannte?

Ich eilte zwischen lachenden Kindern und plaudernden Erwachsenen an der Woll-Bude vorbei. Erst vor Eriks Stand blieb ich erneut stehen. Oder war er jetzt mein Stand? Ein heimisches Gefühl nistete sich in meiner Brust ein und ich ließ die warme Luft aus den Lungen weichen, sodass eine weiße Wolke vor meinem Mund entstand. An dem Vordach aus Ebenholz hingen künstliche Tannenzweige wie Geburtstagsgirlanden, die mit roten und silbernen Kugeln geschmückt waren.

Obwohl das Verkaufsfenster noch geschlossen war, sah ich vor meinem inneren Auge, wie Erik letztes Jahr hinter dem Tresen gestanden und die Passanten angelächelt hatte.

»Sieht die Deko gut aus?« Angelys Stimme riss mich aus den Erinnerungen.

Ihre schwarzen Locken lugten unter ihrer Wollmütze hervor und auf ihre goldbraune Haut hatte sich ein Rosaton gelegt. Meine beste Freundin und Mitbewohnerin hatte sich seit dem ersten Semester unseres Psychologiestudiums in Hamburg vorgenommen, im Winter mit mir nach Norwegen zu kommen. Sie stammte aus Ecuador, lebte erst seit drei Jahren in Deutschland und war von der Schneemenge des Hamburger Winters ziemlich enttäuscht. Trotzdem hatte sie bisher jedes Jahr eine Ausrede parat gehabt, um nicht mitzukommen.

»Nicht übel«, erwiderte ich und reichte ihr eine Tasse.

Da sie vor ihrem Studium Weihnachten nur bei dreißig Grad gekannt hatte, war Angely immer Feuer und Flamme, wenn es darum ging, die Weihnachtsdekoration aufzustellen. Deshalb hatte sie die Lichterketten aufgehängt, während ich für ein bisschen Wärme sorgte.

»O ja!« Seufzend nahm sie die dampfende Tasse von den Lippen. »Was ist das?«

»Es heißt Gløgg.« Nach einem Schluck entfachte sich ein kleines geschmackliches Feuerwerk auf meiner Zunge. »Es ist so was wie Glühwein, aber ohne Alkohol.«

Angely hob die Brauen. »Kinderpunsch? Ich dachte, ihr Norweger seid lustiger drauf.«

»Wir wollen arbeiten und nicht feiern.« Ich zwinkerte ihr zu.

»Was müssen wir jetzt machen? Ihr habt hier nichts zum Verkaufen, oder?«

Kopfschüttelnd stellte ich meine Tasse auf dem Tresen ab, öffnete die Holztür des Standes und schloss das doppelflügelige Schaufenster auf. Der Geruch von Papier und Harz hing in der Luft und ich knipste den Lichtschalter ein.

Angelys Rehaugen wurden groß wie Untertassen und sie wich drei Schritte zurück, um einen Blick auf die leuchtenden Buchstaben an der Fassade zu werfen.

»Wunschstand.« Sie trank einen weiteren Schluck Gløgg. »Sieht toll aus, aber ich verstehe trotzdem nicht, was wir hier machen werden.«

Ich stapelte bunte Zettel, Kugelschreiber in verschiedenen Farben und Umschläge auf den Tresen. »Erik hat vor vier Jahren die Idee gehabt, einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt aufzubauen, bei dem die Einwohner der Stadt sich gegenseitig helfen können.«

»Aha«, sagte sie und kam wieder näher. »Und wie funktioniert das?«

»Alle haben die Möglichkeit, hier einen Weihnachtswunsch abzugeben oder einen zu erfüllen. Wir haben schon alles gehabt. Es gab einen Altersheimbewohner, der sich eine Schachpartie mit einem Gegner gewünscht hat, der nicht ständig zum Pinkeln aufstehen muss. Oder ein Kind, das neue Schlittschuhe wollte.«

Angelys Augenbrauen rückten aneinander, während sie die Fingerspitzen über die Zettel gleiten ließ. »Und was machen wir?«

»Wir versuchen, die Wünsche zu vermitteln, damit alle, die etwas brauchen, es auch bekommen.«

»Und das funktioniert?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe Erik drei Jahre lang geholfen und bisher ist kein Wunsch offengeblieben.«

»Wow. Ihr seid echt ein freundliches Völkchen.« Sie atmete so tief durch, dass es fast wie ein Seufzer klang. »Ich denke nicht, dass so was in einem Hamburger Dorf funktionieren würde. Natürlich habe ich so eine Wunschwand in der Hilfsorganisation gesehen, in der ich ein Praktikum gemacht habe. Aber es war eine Von-Fremden-zu-Fremden-Aktion. In kleinen Städten kann ich mir vorstellen, dass die Leute sich eher schämen würden zu sagen, wenn sie etwas brauchen. Hier kennt jeder jeden, oder?«

»Aus dem Grund war das erste Jahr, in dem Erik den Stand allein geführt hat, nicht gerade erfolgreich.« Ich rückte ein paar ausgedruckte Zettel in Dunkelgrün auf dem Tresen zurecht. »Dann habe ich die Idee gehabt, zusätzlich zu dem Stand eine Website einzurichten. Wenn du einen Wunsch hast und dich nicht traust, mit mir direkt zu reden, kannst du dir den grünen Zettel mit der Internetadresse und einem QR-Code mitnehmen und ihn darüber äußern. Zwar muss ich immer noch wissen, wer sich da etwas wünscht, um auch das gewünschte Gut oder den Service zu vermitteln, aber die Hürde ist kleiner, wenn man es online macht. Außerdem verspreche ich, alles vertraulich zu behandeln, und bisher hat sich keiner beschwert.«

»Was für Wünsche sind schon mal über die Website gekommen?«

Ich rief mir E-Mails in Erinnerung, die mich sowohl zu Tränen gerührt als auch mir den Schlaf geraubt hatten. »Es gab einen alleinerziehenden Familienvater, der sich eine frisch zubereitete Mahlzeit anstatt TK-Pizza für seine Familie gewünscht hat.«

»Oh.« Angelys Augenbrauen verschwanden unter ihrer Mütze. »Hast du jemanden gefunden, der für ihn gekocht hat?«

Ich hatte nicht einmal gesucht, sondern war selbst zu ihm gegangen. Es hatte Ribbe, Kartoffeln und ganz viel Eiscreme gegeben. Aber es war unser Geheimnis geblieben. »Ja. Ich habe jemanden gefunden.«

»Okay.« Sie holte tief Luft und trank ihren Gløgg aus. »Jetzt bin ich megamotiviert. Vorher brauche ich aber noch einen von diesem Wikinger-Zaubertrank.«

»Den habe ich aus der Hauptstraße. Aber jetzt hat auch der Gløgg-Stand schon auf. Du kannst dir da einen holen.« Lachend zeigte ich auf die Bude ein paar Meter von uns entfernt.

Angely nickte. »Willst du auch noch einen? Ich brauche meinen aber mit Alkohol.«

»Bestellst du selbst?«

»Das hier mit Schuss, bitte«, sagte sie auf Norwegisch und entlockte mir ein weiteres Lächeln.

»Ist das der einzige Satz, den du in meiner Muttersprache kannst?«

»Ich habe noch einen in petto. Aber die Wörter sind nicht für weibliche Ohren gedacht.« Sie wackelte mit den Augenbrauen.

»Dann geh mal los. Vielleicht hast du Glück, der Verkäufer sieht süß aus und bekommt deine beiden Sätze zu hören. Ich brauche nichts, danke.«

Grinsend klatschte Angely mit ihren Handschuhen und hüpfte davon. Ich drehte mich noch immer lächelnd um und ging in die Hocke, um die zwei Klappstühle vom Holzboden aufzuheben, als mein Blick einen Umschlag fand. Mein Lächeln verblasste langsam, während ich die Wikingerhelme, die auf das Papier gemalt waren, musterte und den Namen in verschnörkelten Buchstaben las.

Eira.

Ich musste mich nicht lange fragen, wer meinen Namen darauf geschrieben hatte. Eriks Schrift würde ich zwischen tausend anderen sofort wiedererkennen. Aber ich fragte mich, wie ich den Umschlag übersehen konnte. Als wäre der Brief ein verletzter Vogel, hob ich ihn auf und wendete ihn ein paar Sekunden zwischen den Fingern, bis eine männliche Stimme meinen Namen rief und mich aus meiner Trance riss. Blinzelnd sah ich auf und mein Herz hörte für eine Sekunde auf zu schlagen. Vor mir stand Liam. Es waren bereits drei Jahre vergangen, seitdem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, und trotzdem verursachte mir sein Anblick noch immer eine wohlige Gänsehaut. Er sah erwachsener, männlicher aus. Trotz seines Mantels und des dicken Wollschals ließen seine breiten Schultern mich erahnen, dass er nicht mehr der schlaksige Teenager war, der in der Ecke des Klassenzimmers gesessen und auf seinem Block gekritzelt hatte. Nur seine Kopfhörer, jetzt aber eine modernere Version des klobigen Dings von damals, hingen noch immer um seinen Hals.

»Hey.« Das Wort klang so erbärmlich aus meinem Mund, weshalb ich mich räusperte und langsam aufrichtete. »Der Tod deines Großvaters tut mir sehr leid«, fügte ich rasch hinzu. Als würde der folgende Satz ansatzweise ausdrücken, was ich wegen Eriks Verlust empfand, oder etwas wiedergutmachen, weil Liam seinen Opa verloren hatte.

Seine Miene blieb unergründlich, während er seine nachtschwarzen Haare mit den Fingern von der Stirn kämmte. »Du öffnest den Stand.«

»Erik wollte es so. Bevor er …« Ich befeuchtete die Lippen, verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das andere. »Im Sommer hat er Siri und ihren Mann darum gebeten, die Bude vor meiner Ankunft aufzubauen. Dein Opa hat auch schon alles bezahlt und ich musste heute nur den ganzen Papierkram hierherbringen.«

In meine Brust sickerte immer noch Eiseskälte, wenn ich an Erik dachte. Er war schon seit einer Weile krank gewesen, sein Herz hatte ihm das ganze letzte Jahr lang Schwierigkeiten bereitet. Aber ich hatte nie geglaubt, er würde Weihnachten nicht hinter diesem Tresen stehen. Scheinbar hatte er anders darüber gedacht, denn er hatte sich um alles gekümmert, damit ich seinen geliebten Wunschstand wie gewöhnlich öffnete.

»Ich …« Liams Blick streifte über die Umschläge, glitt zurück zu mir, über meine Jacke, meinen Schal und mein Gesicht. Seine bernsteinfarbenen Augen luden mich dazu ein, mich in ihnen zu verlieren, und je länger er mich ansah, desto heißer wurde mir. Meine Wangen brannten und ich verfluchte mich dafür, hellhäutig zu sein. Wahrscheinlich bildeten sich unzählige Flecken, so rot wie meine Locken, auf meinem ganzen Gesicht.

»Hast du einen Weihnachtswunsch?« Die Worte verließen meinen Mund so leise, wie eine Schneeflocke auf den Boden segelte.

Liams Mundwinkel zuckte und er kam näher, schloss den Abstand zwischen uns und legte seine Hände auf den Tresen. »Nur einen. Aber leider kannst du mir dazu nicht verhelfen.«

Mein Blick streifte über die dunklen Bartstoppeln an seinen Wangen und blieb eine Sekunde länger als beabsichtigt an seinen Lippen hängen. »Vielleicht kann dir jemand anderes helfen.«

Liam öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, als Angely mich aus der Ferne rief.

»Ich habe es geschafft!«, brüllte sie lauthals und hob zwei dampfende Tassen in die Höhe.

Kopfschüttelnd schaute ich wieder Liam an, der seine Kopfhörer über die Ohrmuscheln schob und an Angely vorbeiging.

»Was hat sich der heiße Typ gewünscht?«, fragte sie ein wenig aus der Puste und stellte ihre Tassen auf dem Tresen ab.

Mein Mund fühlte sich seltsamerweise trocken an und ich trank meinen Gløgg aus, der mittlerweile nur noch lauwarm war. »Nichts.«

»Und was wollte er?«

Mich durcheinanderbringen.

In mir den Wunsch wecken, jemand anderes zu sein.

»Ich weiß nicht.«

Sie lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen und starrte in die Richtung, in die Liam gegangen war. »Bekomme ich mehr Infos über das norwegische Sahneschnittchen? Dafür schenke ich dir meinen zweiten Gløgg.«

Ich schluckte schwer, hob die warme Tasse an meinen Mund und ließ den Dampf auf meinen Lippen tanzen. »Liam ist Eriks Enkel und wir sind zusammen auf die Schule gegangen.«

»Hat er eine Freundin?«

»Er war mal mit meiner ehemaligen besten Freundin zusammen und jetzt weiß ich kaum etwas über ihn.«

Angely drehte sich um und kräuselte die Augenbrauen. »Ehemalige beste Freundin?«

»Lange, unschöne Geschichte«, sagte ich und nahm den Umschlag mit meinem Namen wieder in die Hand.

»Ich möchte dich nicht bedrängen, aber du weißt, wie sehr ich Klatsch und Tratsch liebe. Das ist der Ausgleich dafür, dass es in Deutschland keine so dramatischen Seifenopern wie in Ecuador gibt.«

»Ein anderes Mal, versprochen.«

Bevor Angely weiterbohrte, kam eine junge Frau auf uns zu. An der Hand hielt sie ein rotbackiges Mädchen, das mit strahlendem Lächeln im Gesicht auf die Umschläge zeigte. Ich reichte der Frau Papier und Stift. Hauptsache, ich sprach weder über Liam noch über Saxa. Beide hatten genug mit meinem Herzen angerichtet. Ich war nach Hause gekommen, um Weihnachten mit meiner Familie zu verbringen, den Wunschstand zu führen und im neuen Jahr wieder zurückzufliegen. Das Letzte, was ich wollte, war alte Wunden aufzureißen.

Kapitel 2

»Du musst nicht mitmachen, wenn du nicht möchtest«, sagte ich zu Angely, die sich im Standspiegel in meinem Zimmer ansah, und klappte den Wälzer über keltische Mythen und Legenden auf meinem Schoß zu.

»Machst du Witze?!« Sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd. »Wie geil ist dieses Pyjama-Dings denn bitte? Tragen alle Familien in Norwegen so was?«

Kopfschüttelnd betrachtete ich im Spiegel die Röte, die sich über meine Wangen schlich. Diesmal lag es nicht daran, dass ich verlegen war oder mich schämte. Ich verkörperte einfach eine lebendige Ampel und wenn etwas meinem Körper nicht passte, ließ er mein Gesicht aufleuchten. Jetzt lag es an dem viel zu warmen blauen Flanellpyjama mit Rentiermustern, den jedes Familienmitglied zum ersten Advent anzog. »Nur meine Familie ist merkwürdig genug, um sich für jeden Sonntag im Dezember eine schräge Tradition auszudenken.«

»Gefällt es dir nicht?« Sie zog die Kapuze mit Rentiergeweih über den Kopf und drehte sich zu mir um.

Ich grinste. »Ich liebe es. Es ist so, als würden wir Weihnachten so hart entgegenfiebern, dass wir eigene Traditionen brauchen, um bis dahin nicht komplett durchzudrehen.«

»Bedeutet das hier ›nicht durchdrehen‹?« Sie zupfte an ihrem Einteiler.

Langsam stand ich vom Bett auf und zog meine Kapuze über meine roten Locken. »Oh, glaub mir. Das ist nichts im Vergleich zu Heiligabend.«

Angely grinste breiter und klatschte in die Hände. »Oh, ich freue mich jetzt schon.«

Gemeinsam eilten wir aus meinem Zimmer, ließen uns vom Waffelduft die Treppe hinunterführen und Wärme legte sich um mein Herz. Das altbekannte Stimmengewirr schwebte immer lauter zu uns, gelbes Licht badete das Esszimmer und zauberte ein Schmunzeln auf meine Lippen. Mein Magen knurrte, während mein Blick über den Esstisch streifte. Milchbrötchen mit Vanillefüllung, Zimtschnecken, Haferkekse und sogar Milchreis. Mama hatte für die ganze Familie und wahrscheinlich auch für die Nachbarschaft gekocht.

»Hey! Du musst Angely sein!«, sagte Anja auf Englisch, stürmte wie ein Tornado auf meine Freundin zu und zog sie in eine Umarmung.

»Das ist meine jüngste Schwester.«

»Jüngste und schönste.« Anja ließ Angely los, ihre hüftlangen kirschroten Locken wippten wie Sprungfedern. »Wenn du mich aber mit Merida vergleichst, mutiere ich zu der bösartigsten Schwester.«

Auch ich wurde oft in Hamburg mit der Animationsfigur verglichen, obwohl meine Augen braun und nicht wie Anjas stahlblau waren. Nach der fünften Studentenparty, in der ich Merida genannt und zum Gesprächsthema wurde, hatte ich meine Haare dann bis zu den Schultern abschneiden lassen. Es sollte keine große Sache sein, doch ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und je mehr die Leute sich über mein Aussehen unterhielten, desto röter wurde ich im Gesicht.

»Keine Sorge«, erwiderte Angely. »Ich würde nicht einmal im Traum darüber nachdenken, dich mit jemandem zu vergleichen.«

»Du siehst übrigens toll in dem Einteiler aus«, fügte Anja hinzu.

»Lass sie atmen, Anja!«

Ich drehte mich zu Jonna um, die ihre Ellenbogen auf den Esstisch stellte und das Kinn auf die Handfläche stützte. Ihre hellblonden Locken lugten aus der Kapuze heraus und ihre smaragdgrünen Augen lagen in tiefen Augenringen.

»Oh, die miese Laune in Person hat gesprochen.« Anja rollte so hart mit den Augen, dass ich Angst bekam, sie würden stecken bleiben.

»Ich bin nicht schlecht gelaunt, sondern chronisch müde.«

Ich ging auf Jonna zu und presste ihr einen Kuss auf die Stirn. »Das passiert, wenn du wie ein Tier arbeitest und das Wort Spaß nur aus dem Wörterbuch kennst«, flüsterte ich in unserer Muttersprache.

Sie legte ihre Arme um meine Taille und vergrub das Gesicht an meinem Bauch. »So ist die Arbeitswelt, Eira. Wenn ich eine erfolgreiche Anwältin sein will, muss ich tausendmal härter arbeiten als alle Männer in der Kanzlei.«

Meine ältere Schwester war schon immer sehr ehrgeizig gewesen, doch als sie mitbekommen hatte, dass jeder weniger qualifizierte Junior-Angestellte mehr als sie verdiente, hatte sie rotgesehen. Ihr frauenfeindlicher Chef machte ihr das Leben seit ihrem ersten Tag schwer und ich an ihrer Stelle hätte London schon längst heulend verlassen. Aber Jonna war aus Stahl, während ich wahrscheinlich nur aus Zuckerwatte bestand.

»Die Waffeln sind fertig.« Mamas Stimme mischte sich mit dem leisen Klang von Jingle Bell Rock. Das Lied befreite sich aus der Stereoanlage im Wohnzimmer und wurde von dem rhythmischen Händeklatschen meines Vaters begleitet.

Als wären sie Mrs und Mr Santa Claus, tänzelten meine Eltern ins Esszimmer. Sie trugen die gleichen Weihnachtspyjamas wie wir, doch Papas sah vor allem um den Bauch herum so aus, als hätte Mama seinen Einteiler zwei Nummern kleiner gekauft. Dieses heimelige Gefühl, das sich um mich bei meiner Ankunft in Rolig Elv wie eine Wolldecke gelegt hatte, umarmte mich mit jeder Sekunde fester.

Da meine Eltern kein Wort Deutsch oder Englisch sprachen, klopfte Papa sanft auf Angelys Schulter und Mama begrüßte sie mit einer kurzen Umarmung.

Wir setzten uns an den Tisch und Anja quetschte Angely weiter über das Leben in Hamburg aus - etwas, was sie jedes Mal bei mir tat. Unsere Mutter versuchte, so subtil wie ein Elch in einem Porzellanladen, herauszufinden, ob Jonna einen Freund hatte. Meine große Schwester stopfte sich einen Bissen nach dem anderen in den Mund, um sich nicht auf das Thema einzulassen. Ich unterdrückte ein Kichern, denn ich konnte mir vorstellen, wie hart sie darum kämpfte, nicht mit den Augen zu rollen.

»Wie war der erste Tag am Wunschstand?« Die kratzige Stimme meines Vaters löste meine Aufmerksamkeit von dem Gespräch zwischen Mama und Jonna.

»Heute sind ein paar Kinder vorbeigekommen und es waren keine Herausforderungen dabei. Es hat Spaß gemacht …« Ich senkte meinen Blick auf meinen Waffelteller.

»Aber?«, hakte er nach.

»Erik ist nicht mehr da und ich habe Angst, die Leute trauen sich nicht, mir ihre Wünsche zu sagen.«

»Weil du eine Frau bist?«, mischte sich Jonna ein. Sie ließ ihre Kapuze nach hinten gleiten und ein Feuer entfachte sich in ihren grünen Augen.

Ich schüttelte den Kopf. »Weil er älter und eine Autorität in Rolig Elv war. Ich bin nur eine Studentin, die nicht mehr hier lebt.«

Jonna schnalzte mit der Zunge. »Ich weiß, dass du Erik wie deinen eigenen Opa geliebt hast, und er war mit Sicherheit ein toller Mensch. Aber eine Respektsperson war er nur, weil er aus einer Reihe von weißen cis-Heteromännern stammte, die diese Stadt regiert haben.«

»O ja!«, wechselte Anja ins Norwegisch und stützte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab. »Es hat ja lange gedauert, bis der Grinch anfängt, schlecht über Männer zu reden.«

»Ich rede nicht schlecht über Männer, Pippi Langstrumpf«, äffte sie sie nach. »Ich verabscheue eine Gesellschaft, die im einundzwanzigsten Jahrhundert auf Chancengleichheit spuckt.«

»So war Erik nicht«, sagte ich. »Er hat mir sehr wohl etwas zugetraut und war offen, sich meine Ideen anzuhören.«

»Und trotzdem hast du Angst, dass man dich nicht ernst nimmt.« Jonna straffte die Schultern und richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Wann haben wir in dieser Stadt eine weibliche Regierungsperson gehabt?«

»Prim ist die zweite Bürgermeisterin, du Möchtegern-Elle-Wood.«

Obwohl Anja unsere große Schwester wie die Protagonistin von Natürlich blond genannt hatte und rote Flecken sich an Jonnas Dekolleté bildeten, redete sie weiter. »Genau! Prim ist seit Jahren zweite Bürgermeisterin und keiner zieht in Erwägung, sie als erste Regierungschefin zu wählen. Stattdessen fragen die Leute sich, ob Liam sich für die Stelle seines Vaters interessieren wird. Der Sonderling hat nicht einmal Jura studiert.«

»Nenne ihn nicht so!« Meine Stimme klang lauter, als sie sollte, und sogar Mama hielt mit einem Teller voller Kekse in der Bewegung inne. Meine Wangen brannten und ich senkte den Blick auf ein Kuchenstück.

»Du hast recht«, gab Jonna zu und lehnte sich wieder zurück. »Es ist nicht nett, ihn so zu nennen. Aber er wünscht sich eindeutig nicht, wie alle anderen Männer seiner Familie, Bürgermeister zu werden. Wahrscheinlich reden seine Eltern aus dem Grund nicht mit ihm.«

Erik hatte letztes Jahr erwähnt, dass es ihm wehtat zu sehen, wie sich seine Familie entfremdete. Ich hatte damals etwas für ihn tun wollen, doch wer war ich überhaupt, um mich einzumischen? Die Pettersens waren die angesehensten Personen in der Stadt und nur, weil ich mit Erik befreundet gewesen war, bedeutete es nicht, dass ich ein Recht darauf hatte, in Liams Leben dazwischenzufunken. Er war schon in der Schule so unerreichbar wie die Polarlichter und so verschlossen wie eine Auster. Meine Freundschaft mit seinem Opa hatte nichts daran geändert.

»Das weißt du nicht«, sagte Papa und kreuzte die Arme vor der Brust. »Es gibt verschiedene Versionen von derselben Geschichte. Aber keiner weiß, was zwischen den Pettersens genau vorgefallen ist.«

Jonna rollte stöhnend mit den Augen. »Der Son–« Sie räusperte sich. Sie schaute kurz zu mir und zurück zu Papa. »Man muss nicht wissen, was in der Familie passiert ist, um sicher zu sein, dass Liam nicht gerade der geborene Politiker ist. Mir geht es hier vor allem darum, dass keiner in der Stadt in Erwägung zieht, eine Frau zu wählen.«

»Vielleicht macht sich Prim gut als zweite Bürgermeisterin, aber als erste wäre sie nicht geeignet«, sagte Mama.

»Wahrscheinlich will sie die Rolle gar nicht«, pflichtete Papa ihr bei.

Jonna lachte sarkastisch. »Genau. Wie alle anderen Generationen vor ihr.«

»Können wir das langweilige Thema sein lassen?«, sagte Anja. »Wir haben Besuch!«

Ich schenkte Angely ein entschuldigendes Lächeln. Doch ihre Augen funkelten amüsiert, während sie sich Weihnachtskekse in den Mund schob, als würde sie Netflix beim Popkornessen schauen.

»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht mit dem seit Jahren totgeschwiegenen Thema meiner Stadt langweilen«, wechselte Jonna ins Englische und trank einen großen Schluck Kakao, wobei Schlagsahne an ihrer Nasenspitze kleben blieb.

»Ich verstehe kein Wort, aber es klingt megaspannend.«

»Es war auch nichts Wichtiges«, sagte Anja. »Jonna wollte nur wieder Streit.«

»Ich habe den Namen des heißen Kerles gehört, den wir heute am Stand gesehen haben. Liam, so heißt er, nicht wahr?« Angelys Blick huschte kurz zu meinen Eltern, als würde sie sicher sein wollen, dass sie wirklich kein Englisch verstanden.

»O ja. Liam ist echt sexy, oder?« Anja grinste Angely an.

Jonnas Blick fing meinen ein und ich versteckte mein Gesicht in der gigantischen Kakaotasse. Meine große Schwester war die Einzige, der ich von meiner Schwärmerei in der Schulzeit erzählt hatte. Sie wusste, wie viel Überwindungskraft es mich gekostet hatte, Erik anzusprechen, um ihm im Wunschstand zu helfen. Auch wenn ich dadurch Liam nicht nähergekommen war, war Erik sein Großvater und ich hatte viel zu viele Stunden meines Teenageralters damit verbracht, mir eine unmögliche Zukunft mit Liam vorzustellen. Jetzt gab es nichts mehr, was uns verband, und es sollte mich auch nicht stören, dass meine jüngere, attraktive und selbstbewusste Schwester sich für ihn interessierte. Aber irgendwie störte es mich doch.

***

Ein dumpfes Klopfen schlich sich in meinen Kopf und riss mich aus meinem tiefen Schlaf. Meine Zunge klebte pelzig am Gaumen und ich zwang meine schweren Lider dazu, sich zu öffnen. Dunkelheit stand wie eine schwarze Wand vor meinen Augen, weshalb ich nach dem Lichtschalter tastete und die Lampe auf dem Beistelltisch anknipste. Weiches Licht ergoss sich in den Raum und mein Blick glitt über Angely, die mit dem Gesicht im Kopfkissen vergraben weiterschlief. Ich fragte mich, wie jemand überhaupt so schlafen konnte, ohne dabei zu ersticken, als das Klopfen lauter ertönte. Schneeflocken, so groß wie Weihnachtskugeln, schlugen gegen die Glasscheibe und färbten den Nachthimmel weiß. Langsam schwang ich meine Beine über die Bettkante, ging bis zum Fenster und betrachtete die Gewalt der Natur, die Rolig Elv in ein Weihnachtswunderland verwandelte. Nach ein paar Minuten krallte sich Kälte in meine nackten Beine, weshalb ich mich umdrehte, um ins Bett zurückzugehen. Dabei blieb mein Blick auf meinem Rucksack hängen. Der Brief, den Erik mir geschrieben hatte, hing aus der seitlichen Tasche. Ich zog den Umschlag heraus, krabbelte unter die Bettdecke und öffnete ihn. Eriks Schrift sorgte dafür, dass sich mein Herz sowohl schwerer anfühlte als auch schneller schlug.

Meine liebe Eira,

wenn du diesen Brief liest, haben mich die Walküren bereits nach Walhalla geführt. Du bist bestimmt traurig, denn auch wenn ich nur ein alter Mann bin, bilde ich mir ein, du würdest mich vermissen. Gerade habe ich ein Foto von dir auf Instagram (interessantes Ding) gesehen und der Sommer in Hamburg scheint dieses Jahr sehr warm zu sein. Ich wollte dich anrufen, dir etwas sehr Wichtiges erzählen und deine Antwort zu meiner Bitte hören. Aber ich habe auch Angst davor, du würdest dazu Nein sagen und dass ich deinen Sommer mit meinem Hirngespinst verderben würde.

Ich bin alt, müde und neige dazu, ein wenig dramatisch zu klingen. Aber ich werde ganz bald sterben. Das spüre ich. Mein Leben ist jedoch wunderschön gewesen und ich habe viel mehr erleben dürfen, als ich mir als junger Bursche jemals hätte erträumen können. Dafür bin ich sehr dankbar. Dennoch mache ich mir Sorgen um die Zukunft. Nicht um meine, sondern um die meines Enkels. Wenn ich nicht mehr hier bin, hat mein Liam niemanden mehr. Ein bisschen hast du mitbekommen, dass er sich nicht mit seinen Eltern versteht, und das Herz meines Sohnes lässt sich nicht einmal durch die Bitte seines sterbenden Vaters erweichen. Darum wende ich mich an dich, liebe Eira. Ich kenne keinen Menschen auf dieser Erde, der so mitfühlend ist wie du. Aus dem Grund bin ich egoistisch und schreibe dir hier meinen letzten Wunsch. Lass Liam nicht allein. Er ist stolz und fast so stur wie sein Vater. Dennoch hat mein Enkel ein Herz aus Gold. Genau wie du. Ich kann meine Ruhe nicht finden, solange ich denke, dass er sich an Weihnachten einsam fühlen wird. Für viele Menschen haben diese Festtage keine große Bedeutung, doch für Liam bedeuten sie die Welt. Etwas, was er niemals zugeben würde. Genauso wenig, wie er eingestehen wird, dass er nicht allein sein will. Du bist geduldig, gut und kannst Herzen viel besser als ausgesprochene Worte verstehen. Ich bin mir sicher, dass du auch zu meinem Enkel durchdringen und mir diesen einen Wunsch erfüllen kannst.

Keine Sorge. Wenn du es doch nicht tun willst, werde ich nicht als Geist der vergangenen Weihnachten zurückkehren. Ich werde immer noch über dich wachen. Über euch beide.

Alles Liebe und wünsch dir was.

Dein Erik

Kapitel 3

Mein wilder Herzschlag pochte in meiner Kehle und ich zählte meine Atemzüge in der Hoffnung, mein Puls würde sich beruhigen. Vergebens. Je länger ich die Tür des Gebäudes, in dem Liam wohnte, anstarrte, desto hektischer atmete ich. Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken, ließ die morgigen Sonnenstrahlen mein Gesicht liebkosen und ein bisschen von der Kälte vertreiben, in die mich die Schneeberge um mich herum einhüllten.

Das machst du für Erik.

Es hat nichts mit deinen Gefühlen für Liam zu tun.

Doch egal, wie oft ich diese Sätze vor mir selbst wiederholte, eine leise Stimme in meinem Kopf würde mich immer an die Hitze erinnern, die Liams Gegenwart in mir auslöste. Die verbotene Hitze, die er schon während der Schulzeit in meinem Bauch entfacht hatte. Ein Gefühl, das nicht einmal verschwunden war, als er und meine damalige beste Freundin Saxa ein Paar wurden.

Kinderstimmen rissen mich aus meinen Gedanken und ich schaute zu einem Mädchen, das flauschige rosa Ohrenwärmer trug und lachend vor einem rothaarigen Jungen weglief. Sie bewarfen sich mit Schneebällen und quietschten wie aufgeregte Meerschweinchen. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich füllte meine Lunge mit der eisigen Luft, bevor ich klingelte. Eine Minute verging, ohne dass eine männliche Stimme durch die Sprechanlage erklang. Seit drei Jahren teilte Liam die Wohnung mit Jayden, einem gut aussehenden und sehr charismatischen DJ, mit dem wir ebenfalls dieselbe Schule besucht hatten. Beide waren nie richtige Freunde gewesen. Eigentlich erinnerte ich mich nicht daran, dass Liam, abgesehen von Saxa, je mit irgendjemandem etwas unternommen hatte. Trotzdem hatte er, kurz bevor ich nach Hamburg gezogen war, eine WG mit Jayden gegründet.

Der Klang des Summers ließ mich zusammenzucken und ich stemmte mich gegen die Haustür, um sie zu öffnen. Mein Atem ging gepresst und meine Handflächen schwitzten, während ich die Stufen bis zum zweiten Obergeschoss hinaufstieg und vor Liams Wohnungstür stehen blieb. Ich ballte meine Hand zu einer Faust, um an der Tür zu klopfen, als diese aufgerissen wurde. Mein Herz setzte einen Schlag aus und meine Lippen trennten sich, ohne dass ich einen Laut von mir gab. Liam trug ein schwarzes T-Shirt, das sich eng an seinen durchtrainierten Oberkörper schmiegte und die Tattoos auf seinen Unterarmen entblößte. Mein Blick wanderte weiter abwärts zu seiner gestreiften Pyjamahose und ich vergrub meine Nase in meinem giftgrünen Wollschal. Meine Wangen mussten leuchten wie Vulkanlava, so heiß brannten sie.

»Habe ich dich geweckt?«, fragte ich und meine Stimme klang gedämpft.

Ich hatte mir vorgenommen, mit ihm zu sprechen, bevor Angely aufwachte und mich zum Wunschstand begleiten wollte. Aber ich hätte mir denken können, dass ich Liam um sieben Uhr morgens aus dem Bett klingeln würde. Keine gute Voraussetzung, wenn ich mir etwas von ihm wünschte.

Er schüttelte den Kopf. »Ich muss heute einen Auftrag abgeben und bin seit gestern wach.«

»Ein Auftrag?« Ich hob den Blick und schaute in seine unergründlichen Augen.

»Ein Buchcover. Ich muss heute ein Buchcover zu einem Verlag schicken.«

Erinnerungen daran, wie Liam in der Schule auf einem Block gezeichnet hatte, huschten mir durch den Kopf. Damals hatte ich mir gewünscht, ich dürfte mir seine Kunst ansehen, war aber nie mutig genug gewesen, um ihn anzusprechen. Stattdessen hatte ich ihn aus dem Augenwinkel beobachtet und gehofft, wir würden im Kunstunterricht ein Projekt zusammen machen. Es kam jedoch nie dazu, denn Saxa hatte sich an ihn geklammert, als wäre er ihr letzter Proteinriegel und sie am Verhungern.

Mit den Fingerspitzen zog ich meinen Schal herunter. »Ich wollte nicht stören, nur kurz etwas Wichtiges mit dir besprechen.«

Liam hob die Augenbrauen. »Etwas Wichtiges?«

»Ich weiß.« Ich ließ meinen Schal los, sodass er meine Lippen wieder bedeckte. »Ich bin bestimmt nicht die Person, mit der du um die Zeit reden willst.«

Er zögerte, schob seine Hände tief in die Hosentaschen und trat einen Schritt zur Seite. »Willst du reinkommen oder wird das ein Flurgespräch?«

Sein barscher Ton jagte einen kalten Schauer meine Wirbelsäule hinauf, doch in seinen Augen, in diesen bernsteinfarbenen Augen, entdeckte ich etwas, was mich anzog, als wäre ich ein Magnet und er aus Metall. Ich holte hörbar Luft und ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor ich ausatmete und an ihm vorbeiging. Sein Duft nach Sandelholz und Schnee strich mir um die Nase und ich versuchte auszublenden, wie nah ich ihm für einen kurzen Moment gewesen war.

Er ist Saxas Ex-Freund.

Im Wohnzimmer liebkoste Wärme meine Wangen und mein Blick streifte durch den Raum, während ich meinen Mantel aufknöpfte und den Schal abwickelte. Zwischen dem Sofa und dem Couchtisch schien der Christbaum den Krieg mit dem Weihnachtsmann verloren zu haben. Auf dem Boden, an den Wänden und auf den Bücherregalen hingen, mal gut, mal schlecht, selbst gebastelte Dekorationen. Es sah chaotisch aus: Nikoläuse in Badehosen, Elche mit blauen Mützen und Harry-Potter-Figuren mit Ketten aus lila Lametta lagen überall verstreut.

»Es sieht schön aus hier«, log ich und drehte mich zu ihm um, sodass sein Blick meinen einfing.

Liam hatte die Haustür geschlossen, lehnte lässig mit der Schulter am Bücherregal und seine Hände steckten noch immer in den Hosentaschen. »Danke.«

»Ist Jayden da?«

Er schüttelte den Kopf, wobei ihm dunkle Strähnen über die Augen fielen. »Er ist nach Schweden zu seiner Familie gefahren. Wahrscheinlich kommt er erst im neuen Jahr wieder.«

Nicht einmal sein Mitbewohner würde Weihnachten bei ihm bleiben. Liam hatte seinen Großvater verloren, redete nicht mit seinen Eltern und soviel ich wusste, hatte er auch keine Freunde. Mein Herz zog sich zusammen und vielleicht sollte ich direkt auf den Punkt kommen und ihm sagen, warum ich hier war. Doch die Worte ballten sich in meinem Bauch und weigerten sich, über die Zunge zu rollen. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie du lebst, aber überhaupt nicht mit Weihnachtsdekoration gerechnet.« Vorsichtig setzte ich mich auf die Sofakante.

»Was hast du erwartet? Särge oder schwarze Wände?«