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»Rome Hayes ist mein größter Feind und gleichzeitig mein größter Ansporn nicht aufzugeben.« Maeve hasst Rome abgrundtief, und das schon lange. Doch leider braucht sie den sehr erfolgreichen und verflucht attraktiven Profi-Eiskunstläufer. Eigentlich hat sie in ihrem Leben keinen Platz für Männer – erst recht nicht für Rome –, ist sie doch damit ausgelastet, für ihre Familie zu sorgen. Als aber das Jahrgangstreffen ihrer Highschool bevorsteht, schleicht er sich zurück in ihr Leben. Nur mit ihm zusammen hat sie die Chance, den Wettbewerb im Eiskunstlaufen an Heiligabend zu gewinnen. Angetrieben durch eine Wette wagt Maeve den Schritt aufs Eis und riskiert damit alles, auch ihr Herz … Eine verschneite Kleinstadt, eine verhängnisvolle Wette und eine funkensprühende Feindschaft, die auf dem Eis befeuert wird. Eine Enemies to Lovers Romance, die von der ersten bis zur letzten Seite überzeugt! //»When We Burn Like Ice« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Marie Westendorf
When We Burn Like Ice
»Rome Hayes ist mein größter Feind und gleichzeitig mein größter Ansporn nicht aufzugeben.«
Eigentlich hat Maeve in ihrem Leben keinen Platz für Männer, ist sie doch damit ausgelastet, für ihre Familie zu sorgen. Als aber das Jahrgangstreffen ihrer Highschool bevorsteht, taucht ausgerechnet Rome Hayes wieder auf. Der erfolgreiche und verflucht attraktive Profi-Eiskunstläufer könnte Maeves Gefühlen durchaus gefährlich werden – wäre da nicht die Tatsache, dass sie ihn schon seit Schulzeiten abgrundtief hasst. Nur leider ist er der Einzige, der mit ihr zusammen den Wettbewerb im Eiskunstlaufen an Heiligabend gewinnen würde. Angetrieben durch eine Wette wagt Maeve den Schritt aufs Eis und riskiert damit alles, auch ihr Herz …
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Vita
Danksagung
© privat
Marie Westendorf ist eine junge, deutsche Autorin, die, seit sie denken kann, romantische Geschichten schreibt. Wenn sie nicht gerade vor dem Laptop sitzt, verbringt sie ihre Zeit mit einem guten Buch, ihrer Familie oder ihren Freunden oder arbeitet als Ergotherapeutin. Mit dem Kopf voller Ideen vergeht allerdings kaum ein Tag, am dem sie nicht an ihre Protagonist*innen denkt.
Für Oma Monika.Wir denken an dich.Immer.
Erschöpft lasse ich die Langhantel wieder auf den Boden sinken. Meine Muskeln sehnen sich nach neuer Energie, die ich wohl erst in einigen Stunden erlangen werde, wenn ich müde ins Bett falle.
Ein Ächzen entfährt mir, ehe ich mein Handtuch schnappe und es mir über die Schulter werfe.
»Starke Leistung«, meine ich bewundernd und schenke Jim, dem Hünen, ein Grinsen. Er ist einer der vielen Stammgäste hier im Studio, was mich aber auch nicht verwundert, da es das einzige in Masons Valley ist.
Er lacht heiser, bevor er sich von der Hantelbank erhebt. »In ein paar Jahren schaffst du das auch«, meint er. »Hartes Training zahlt sich aus.«
Skeptisch werfe ich einen Blick auf seine muskulöse Statur, bevor ich meine Arme ausstrecke und zweifelnd den Kopf schüttele. »Ich denke nicht einmal im Traum daran, in ferner Zukunft so ausgeprägte Muskeln zu haben. Leider fehlt mir dazu das genetische Los«, halte ich dagegen.
Jim lacht, dann hebt er zum Abschied die Hand. »Wir sehen uns, Kleine. Pass auf dich auf, ja?«
Ich schenke ihm ein warmes Lächeln. »Mach’s gut!«
Er nickt, dann wendet er mir den Rücken zu und stolziert breitbeinig in Richtung der Umkleidekabinen.
Während ich meine Trinkflasche vom Boden aufhebe, wird die Musik auf der Gerätefläche laut gedreht. Marco, der Inhaber des Studios und ein ebenso großer Muskelprotz wie Jim, zwinkert mir zu, als ich ihn fragend ansehe. Das ist mein Zeichen, mich ebenfalls auf den Weg nach Hause zu machen.
Wenn Marco und seine Freunde sich in knappen Tops und Shorts auf der Fläche ausbreiten, könnte man meinen, dass das Testosteron förmlich von der Decke trieft. Da ich kein Verlangen danach habe, anderen in meiner freien Zeit beim Trainieren zuzusehen, mache ich mich auf den Weg, um Saige zu finden.
Ich marschiere rüber in den Teil des Studios, wo sämtliche Cardiogeräte aufgebaut sind.
Meine beste Freundin erkenne ich schon von Weitem. In einem hautengen Sportoutfit steht sie auf dem Laufband und joggt, was das Zeug hält, während ich es vorziehe, in weiten Shirts und einer langen Hose zu trainieren, damit die Stellen meines Körpers versteckt werden, die ich am liebsten loswerden möchte. Außerdem trage ich lieber Schwarz. Das Neonpink von Saiges Outfit leuchtet so stark, dass das grelle Licht an der Decke reflektiert. Neben ihr läuft Colton, unser bester Freund, der sich ihrem Tempo angepasst hat, sodass sie synchron nebeneinanderlaufen.
Die Chemie zwischen den beiden ist besonderer, als dass es einfach nur eine Freundschaft sein könnte. So synchron, wie sie laufen, verhalten sie sich auch außerhalb des Studios. Manchmal habe ich das Gefühl, vor Eifersucht vergehen zu müssen, und ich glaube, dass sie zu viel Zeit damit verschwenden, an ihrer Freundschaft festzuhalten. Beide streiten jeden Fakt ab, der beweist, dass sie mehr als platonische Gefühle füreinander empfinden. Nicht nur unabhängig voneinander, sondern auch wenn sie zusammen sind und wieder einen dieser eindeutigen Momente teilen, bei denen mein Herz vor Sehnsucht ganz schwer wird.
»Hey«, sage ich lächelnd und unterbreche ihr Gespräch.
Saige dreht ihren Kopf in meine Richtung. »Du bist schon fertig«, stellt sie fest. »Willst du heute nicht so lange?«
Ich zucke mit den Schultern und beanspruche das Gerät neben ihr mit meinem Handtuch, um nach einer kurzen Pause wenigstens noch ein bisschen zu laufen. »Marco und seine Freunde veranstalten mal wieder ein Kräftemessen«, teile ich ihr mit und lehne mich ihr gegenüber an die Fensterbank, bevor ich meine Trinkflasche öffne und direkt ansetze. Der Schweiß rinnt mir den Rücken herunter und ich sehne mich nach einer heißen Dusche, um die Spuren des Tages abzuwaschen. Draußen ist es bereits stockduster und für Mitte November sind die Temperaturen dieses Jahr außergewöhnlich schnell gefallen.
Sie brummt und nickt. Dabei wippen ihre schwarzen langen Haare, die sie zu einem hohen Zopf gebunden hat, hin und her.
Als sie nicht weiter auf mich eingeht, fällt mein Blick auf Colton und mein Herz zieht sich schreckhaft zusammen. »Was ist denn mit dir passiert?«, frage ich schockiert und trete näher, um ihn zu inspizieren. Davon lässt er sich aber nicht stören. Während ich ihn besorgt betrachte, läuft er entspannt weiter. In seinem Gesicht ist keine Regung zu sehen. Auch nicht, als ich noch näher komme. Das Areal rund um sein linkes Auge ist lila und so stark geschwollen, dass er mich aus einem verkleinerten Auge ansieht, während das andere im Vergleich dazu beinahe unnatürlich groß wirkt.
»Scheiße, Colton. Was zur Hölle ist passiert?«
Er winkt ab. »Nicht der Rede wert. Lucas Turner hat Saige dumm angemacht und daraufhin das Feuer eröffnet«, brummt er und seine Antwort ist ein weiterer Grund, dass mein Herz sich vor Schreck zusammenzieht. Sein entnervter Ton trifft mich unerwartet, aber ich nehme es ihm nicht übel. Als ich Saige ansehe, um mich zu versichern, dass er okay ist, schüttelt sie kaum merklich mit dem Kopf.
Okay, verstehe … sensibles Thema.
»Was habt ihr heute noch vor?«, fragt Colton dann und wechselt galant das Thema.
»Arbeit«, sage ich und zucke mit den Schultern. Ich schätze es, dass er fragt, obwohl meine Antwort jeden Tag dieselbe ist.
Er nickt und schenkt mir ein mitleidiges Lächeln, das ich nicht benötige, bevor er sich an Saige wendet. Automatisch leuchten seine Augen gleich ein kleines bisschen stärker, als er sie in Augenschein nimmt. Noch eine Sache, die jeden Tag gleich ist.
»Ich wollte einen Film schauen«, sagt Saige und blickt ihren besten Freund an. »Möchtest du mir Gesellschaft leisten?«
Er lacht. »Klar, wieso nicht? Wenn du mir erlaubst, dass ich mich schnell abdusche, bevor wir verschwinden?«
Saige nickt und schon stoppt er mit einem Knopfdruck das Laufband und wird langsamer. Dann bleibt er stehen, greift nach seiner Flasche und sieht mich an. »Und du? Wie lange musst du heute?«
»So lange, bis der letzte Gast verschwunden ist. Ich mache heute zu. Jackson ist nicht in der Stadt und somit habe ich die Verantwortung«, erkläre ich stolz, denn jeder weiß, wie viel die beste Bar in Masons Valley ihrem Besitzer bedeutet. Es kommt nicht oft vor, dass er die Stadt verlässt. Meistens trifft man ihn dreihundertvierundsechzig Tage des Jahres im Shades.
»Welch eine Ehre«, bemerkt Colton und grinst.
»Was er wohl vorhat?«, fragt Saige daraufhin und blickt Colton an. Dieser zuckt aber nur mit den Schultern.
»Frag mich nicht. Jackson ist zwar so etwas wie mein Schwager, aber das bedeutet nicht, dass ich über alles im Bilde bin. Vielleicht kannst du Mom ausquetschen«, antwortet er lachend und hebt abwehrend die Hände.
Coltons Schwester Jenna und Jackson sind seit Ewigkeiten zusammen. Jeder in Masons Valley wartet nur noch darauf, dass die beiden endlich heiraten. Doch keiner der beiden hat sich anmerken lassen, wann es denn so weit sein könnte. Was ich beeindruckend finde bei all dem gesellschaftlichen Druck, der auf sie ausgeübt wird.
»Wie dem auch sei«, sage ich, um den Spekulationen ein Ende zu setzen. »Bin ich die Einzige, die sich nicht abgöttisch auf das Jahrgangstreffen freut? So lange ist unser Abschluss nun auch noch nicht her, dass ich bereits jetzt so große Sehnsucht nach den Menschen verspüre, die mich erstens nicht leiden können und die ich zweitens nicht leiden kann.«
Saige lacht. Lauthals und echt. »Du bist immer so optimistisch.«
»Nur deswegen sind wir befreundet. Ich brauche jemanden, der mich aus meinen schlechten Gedanken befreit«, sage ich und strecke ihr die Zunge raus.
Colton verdreht bloß die Augen, grinst aber. »Ich bin gespannt, wie es wird«, sagt er.
Gerade als ich etwas sagen will, betreten zwei weitere Personen die Fläche. Ich halte inne. Eine davon gehört ausgerechnet zu denen, die ich nicht sehen wollte.
»Jetzt könnte es spannend werden«, höre ich Colton sagen, doch meine Aufmerksamkeit liegt nicht länger bei ihm und Saige.
Ich schaue auf einen Hinterkopf, der mir so vertraut erscheint, dass es mich beinahe erschreckt. Braune Haare, die unfrisiert aussehen, obwohl ich mir sicher bin, dass sie heute Morgen zu großer Wahrscheinlichkeit so gestylt worden sind. Ein breiter Oberkörper und Muskeln an den Oberarmen, dessen Wölbungen und Einkerbungen sicherlich nicht vom Faulenzen kommen.
Rome Hayes war schon immer verflucht gut aussehend, doch in den letzten Jahren, in denen er nicht in der Stadt war, hat er sich deutlich verändert. Seine Figur ist noch definierter, als sie es zum Zeitpunkt unseres Abschlusses war.
Ihn würde ich überall erkennen. Selbst in einer großen Menschenmenge wäre für Rome und mich nicht genug Platz.
Dass er ausgerechnet jetzt wieder in der Stadt ist, wundert mich zwar nicht, aber muss er wirklich den einzigen Ort besuchen, der mir auch nur ansatzweise Entspannung und Auszeit bietet?
»Ist das Rome?«, flüstert Saige leise, obwohl er in weiter Entfernung zu uns steht. Gemeinsam mit Lucien, seinem besten Freund aus Highschoolzeiten steht er neben Marco und beobachtet, wie dieser gerade eine Langhantel in die Höhe stemmt.
»Ja«, brumme ich.
Colton lacht. »Natürlich ist das Rome. Siehst du nicht, wie der Qualm aus Maeves Ohren strömt? Sie wittert ihn doch schon aus meilenweiter Entfernung, selbst bei Starkwind.«
Ich schnaube. »Halt bloß die Klappe«, flüstere ich. »Das hat mir gerade noch gefehlt, dass die Sensation des Valleys mein Fitnessstudio besucht.«
Hasserfüllt starre ich zu ihm. Wenn ich könnte, würde ich ihm ein Messer in den Rücken werfen. Das dunkelblaue Shirt, das er trägt, spannt sich, dann dreht er sich um. Schnell wende ich den Blick ab und hoffe, dass er nicht gesehen hat, dass ich mich viel zu sehr auf ihn konzentriert habe. Oder wohl eher auf seine Muskeln.
Entschlossen betrete ich das Laufband und schüttele den Kopf. »Von dem Idioten lasse ich mir nicht den Spaß verderben«, verkünde ich und ernte von Saige und Colton bloß ein Lachen, welches ich geflissentlich ignoriere. Ich fasse an meinen Zopf, ziehe ihn stramm und schalte dann das Laufband ein.
Während ich an Tempo aufnehme und so schnell laufe, wie es mir möglich ist, versuche ich die Gedanken an meinen Highschoolfeind zu verdrängen.
»Oh«, sagt Saige. »Jetzt sehe ich es auch, Colt. Diese wilde Entschlossenheit bedeutet nichts Gutes.«
»Wieso?«, hake ich nach und versuche mich darauf zu konzentrieren, meine Atmung unter Kontrolle zu halten.
»Das weißt du ganz genau«, sagt sie lachend. »Übrigens, er kommt rüber. Dreh dich also ja nicht um, verstanden?«
»Nicht mal in tausend Jahren würde ich mich nach ihm umdrehen«, fauche ich.
»Und da ist er ja schon, der altbekannte, vor Verachtung triefende Ton, der einzig und allein für Rome reserviert ist«, meint Colton dann wieder und Saige stimmt ihm zwar nicht zu, doch ihr Lachen verrät einiges.
»Er ist sicherlich wegen des Treffens hier, oder?«, frage ich nach.
»Seine Saison ist zu Ende«, antwortet Colton. »Das hat er zumindest auf Instagram verkündet.«
»Hat er wenigstens verloren?«
Saige lacht heiser. »Rome und verlieren? Ernsthaft, Maeve?«
»Man darf doch wohl träumen«, brumme ich und beschleunige noch ein bisschen mehr. Meine Beine brennen, doch ich werde das Studio nicht verlassen, bevor ich nicht mindestens zehn Minuten gelaufen bin.
Ich höre seine dämliche Lache durch den großflächigen Raum hallen und werde automatisch ein bisschen schneller.
»Er sieht wirklich gut aus«, meint Saige und seufzt.
»Tut er nicht«, gebe ich zurück, nur um widersprechen zu können. Allerdings kann ich mir selbst kaum abkaufen, was ich da von mir gebe.
Rome Hayes ist mit verdammt guten Genen gesegnet worden. Er ist verflucht attraktiv und sich dessen auch bewusst. Würde ich ihn nicht hassen, hätte ich Saige definitiv zugestimmt. Doch was nützt einem das gute Aussehen, wenn der Charakter nur halb so schön ist?
»Oh, doch. Du stimmst mir eigentlich zu, aber bilde dir ruhig weiter ein, dass du dich besser fühlst, wenn du seine Attraktivität verleugnest«, sagt Saige und steigt dann vom Laufband herunter. Sie atmet einmal tief und deutlich hörbar durch. »Ich bin fertig.«
Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie sie ihre Flasche aus der Halterung zieht und sich mit dem Handtuch erst einmal über das Gesicht wischt, ehe sie es sich um den Hals legt.
»Dann können wir los?«, hakt Colton nach und ich schwöre, dass ich in seiner Stimme einen kleinen Hauch der Ungeduld wahrnehme.
»Klar«, sagt sie an ihn gerichtet, dann blickt sie mich an. »Kommst du mit oder bleibst du noch? Ich würde dich ja auch gerne einladen, aber …«
»Ich bleibe noch, dusche mich und verschwinde dann zur Arbeit. Kein Problem, Saige«, versichere ich ihr und lächle. »Du weißt ja … schlafen kann ich, wenn ich tot bin.«
»Richtig, aber keinen Film gucken«, widerspricht sie mir. »Versprich, dass du auf dich aufpasst.«
»Ich verspreche es!«
Sie lächelt mich an, ehe sie mir einmal über den Arm streicht. »Gut. Dann wünsche ich dir einen schönen Abend und hoffe, du bekommst gutes Trinkgeld.«
Ein Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen. »Danke. Euch viel Spaß bei dem Film!«
Ich blicke den beiden einen Augenblick hinterher, dann mache ich mich daran, die letzten Minuten zu laufen.
Als ich die zehn Minuten vollgemacht habe, schalte ich das Laufband ab, warte, bis es zum Stehen kommt, und greife nach meiner Wasserflasche. Hastig trinke ich mehrere große Schlucke, dann schnappe ich mir das Handtuch und drehe mich um.
Dann passiert es.
Unsere Blicke treffen aufeinander und das Grinsen, das sich daraufhin auf seinen Lippen ausbreitet, entfacht die Abneigung gegen ihn ein weiteres Mal. »Mae«, murmelt er im Vorbeigehen und nickt mir zu.
Ebenso provokant, wie er zu mir herübersieht, erwidere ich seinen Blick, nur eben ohne das Grinsen. Ich hasse es, wenn er meinen Namen abkürzt. »Rome«, brumme ich und nicke ebenfalls, ehe er mir zuzwinkert und den Kopf wegdreht, um Lucien zu folgen.
Da er der Erste ist, der den Blickkontakt abbricht, schleicht sich doch noch ein kleines, siegessicheres Lächeln auf meine Lippen. Dann mache auch ich mich auf den Weg zu den Umkleiden.
Dass er hier ist, bedeutet nichts.
Ganz und gar nichts.
Im Grunde ist alles ganz einfach. Ignoriert er mich, werde auch ich ihn in Frieden lassen. Sollte er aber auch nur ein einziges Mal daran denken, eine blöde Bemerkung fallen zu lassen, eröffne ich höchstpersönlich das Feuer.
Krieg mit Rome Hayes hat mir schon immer am meisten Freude bereitet. Nur auf die Niederlagen kann ich verzichten. Ich werde ihm ein für alle Mal das selbstgefällige Grinsen austreiben und erst, wenn er sich endlich dazu bequemt, mir eine Entschuldigung auszusprechen, werde ich es gut sein lassen.
Möglicherweise.
Das Klappern von Besteck auf Geschirr tönt durch den Raum. Wenn meine anderen zwei Brüder Austin und Jake nicht mitessen, ist es ungewohnt still. Im Gegensatz zu ihnen sind Nick und Dad keine Männer großer Worte und ich bin nach der Hammerschicht in meinem zweiten Nebenjob im Supermarkt zu erledigt, als dass ich heute noch ein sinnvolles Wort zu einer Unterhaltung beitragen könnte. Christina, Nicks Verlobte, ist eigentlich ziemlich offen, doch sie hat es inzwischen gelassen, alle zur Konversation zu animieren und isst schweigend.
Ich kann die Augen kaum offenhalten und die Aussicht auf meinen Abend trägt nicht gerade dazu bei, dass dieser Zustand sich bessert. Tage wie diese sind die, die ich verfluche, und dennoch kenne ich es nicht anders. Während andere ihren wohlverdienten Feierabend genießen können, beginnt dieser Zeitpunkt für mich erst dann, wenn ich am frühen Morgen im Bett bin. Definitiv zu spät, ich weiß.
Doch von Faulenzen kommt auch kein Geld in die Kasse. Geld, das wir dringend benötigen.
»Wann musst du los?«, fragt Nick an mich gerichtet und blickt gleichzeitig auf die Uhr an seinem Handgelenk.
»Dreiviertelstunde«, erwidere ich, bevor ich mir die nächste Gabel in den Mund schiebe. Dann blicke ich ihn an und schlucke das Reisgericht eilig herunter, bevor ich ihm meine Bitte auftische. »Ich hatte gehofft, du könntest heute Abend den Abwasch machen? Ich bin spät dran und muss noch unter die Dusche.«
Er verzieht missmutig die Lippen und presst sie aufeinander. »Würde ich wirklich gern tun, aber ich muss gleich noch mal zur Firma«, erklärt er und lächelt mich entschuldigend an.
Dass ich ihm die Worte nicht abkaufe, lasse ich ihn deutlich spüren. Nick hat noch nie einen Finger im Haushalt krümmen müssen. Sogar jetzt, wo er längst ausgezogen ist, lässt Dad zu, dass er zu jeder Mahlzeit herkommt. Dass er nicht einmal dann in der Lage ist, sich um den Abwasch zu kümmern, macht mich sauer. So undankbar würde ich mich nicht verhalten, wenn ich in seiner Position wäre.
Aber was erwarte ich auch? Nebenan zu wohnen, muss Vorteile haben. Mehr Geld, mehr Zeit und weniger Alltagslasten, die er mit sich herumschleppen muss. Nicht einmal seine Verlobte findet es fraglich, dass er sich von seiner kleinen Schwester bekochen lässt. Schließlich isst sie auch jeden Tag bei uns.
»Verstehe«, gebe ich zurück und lasse ihn meinen Unmut darüber hören. Das Verhältnis zu ihm ist ohnehin nicht mehr das, was es mal war.
»Ich helfe dir gleich, Spätzchen«, sagt Dad, bevor er herzhaft gähnt und sich im Stuhl zurücklehnt.
Ich gehe nicht darauf ein, sondern schiebe die letzten Reiskörner auf den Löffel und versenke ihn in meinem Mund. Dann erhebe ich mich vom Tisch, um keine Zeit zu verlieren.
»Könntest du wenigstens warten, bis ich fertig bin?«, mault Nick direkt rum und ich schüttele ungläubig den Kopf.
»Kann ich nicht. Ich muss zur Arbeit, wie ich eben schon erwähnte, und bin ohnehin spät dran«, erkläre ich.
Er lacht heiser. »Als ob Jackson es dir krummnimmt, wenn du ein paar Minuten zu spät kommst. Setz dich hin und warte, bis ich fertig bin. Das nennt man im Übrigen Höflichkeit.«
»Nick«, brummt mein Vater und schaut ihn mahnend an.
»Ich weiß, dass er es mir nicht übel nehmen würde. Das heißt aber nicht, dass ich gerne zu spät komme, weil mein Bruder keine Zeit hat, drei Teller, Löffel und eine Pfanne abzuwaschen«, erwidere ich und lasse das Wasser ein.
»Wie sprichst du eigentlich mit mir? Ist es meine Schuld, dass ich Termine habe?«
Ich atme tief durch. »Weißt du was? Lass es gut sein«, sage ich so ruhig, wie es mir möglich ist. Dann lasse ich alles stehen und liegen. »Ich mache es später und werde jetzt duschen gehen.«
Nick räuspert sich. »Du willst das alles stehen und liegen lassen?«
»Ich kümmere mich darum«, versichert Dad mir, doch ich glaube es erst, wenn ich sehe, dass er es tatsächlich tut.
Ich lache heiser, dann sehe ich Nick an. »Was kümmert es dich, ob ich es liegen lasse? Du gehst doch ohnehin gleich«, kontere ich und schüttele den Kopf. Dann laufe ich am Tisch vorbei und verlasse Küche und Essbereich. »War nett, mit dir zu essen, Bruderherz«, rufe ich ihm noch über die Schulter zu und das Schnauben, das ich daraufhin vernehme, verschafft mir deutliche Befriedigung.
***
Wenig später trete ich wieder hinter den Tresen im Shades und nehme die paar Gäste, die sich bereits eingefunden haben, in Augenschein. Am Donnerstag steigt die Anzahl, bevor es am Wochenende brechend voll wird. Schließlich ist das Shades die einzige Kneipe, die Masons Valley zu bieten hat, sodass die Einwohner unserer kleinen Stadt immer besonders viel Geld dalassen. Den Rest der Woche über sind die Menschen hier, die es immer sind und schon zum Shades dazugehören, wie Jackson Brown es tut. Nur ihm ist es zu verdanken, dass hier überhaupt etwas los ist. Die Menschen vertrauen ihm und entlohnen ihn gerne für das Ambiente, das er jeden Abend aufs Neue bietet. Seine Großzügigkeit hat er sich dennoch verdienen müssen.
»Du siehst müde aus«, merkt er an und reicht mir ein Glas Cola, das ich sogleich an meine Lippen führe.
»Alles in Ordnung«, erwidere ich bloß, nachdem ich die eiskalte Flüssigkeit geschluckt habe.
»Im Kühlschrank habe ich Eis deponiert«, merkt er an und sofort schleicht sich ein fettes Grinsen auf meine Lippen.
»Hast du nicht«, entfährt es mir ungläubig. Sein Grinsen verrät mir, dass ich falschliege und er seine Worte ernst meint.
Ganz automatisch bringen mich meine Füße zum Kühlschrank, der im hinteren Raum steht. Ich reiße das Eisfach vorfreudig auf und lächle, als ich tatsächlich einen großen Becher Ben and Jerry’s entdecke.
Ohne zu zögern, greife ich nach der Packung, schnappe mir einen der Löffel, die eigentlich zum Zubereiten der Cocktails benutzt werden, und laufe wieder nach vorne.
Jackson lacht, als er meinen Blick sieht, dann macht er sich daran, ein neues Bier zu zapfen.
»Ich liebe dich«, sage ich und stöhne genüsslich, als der erste Löffel Eis in meinem Mund schmilzt. Ich lehne mich an die Theke und schließe einen winzigen Moment die Augen. »Du verwöhnst mich, Jackson.«
»Ich verschaffe dir einen Moment des Luxus. Nicht jeder Chef würde so liebevoll mit dir umgehen«, zieht er mich auf, bevor er Al das Bier vor die Nase setzt.
»Ich kann mich gerne noch einmal wiederholen«, sage ich lachend, als ich einen Blick auf die Uhr werfe.
Zweiundzwanzig Uhr siebenunddreißig.
Bis zum Feierabend ist es noch eine kleine Weile, doch das Eis gibt mir neue Energie.
»Ich bin ganz froh, dass du am Wochenende nicht arbeitest. Dann hast du zumindest mal eine kleine Pause«, sagt er, als er näher an mich herantritt, sodass nicht jeder unser Gespräch mitbekommt. »Jenna hat erzählt, dass du um sieben noch immer im Markt warst.«
»Das hat Jenna gut beobachtet«, erwidere ich und zucke mit den Schultern. »Die Überstunden werden ausbezahlt. Geld, das ich gebrauchen kann.«
»Das verstehe ich. Gutheißen kann ich es trotzdem nicht, dass du um neun wieder in der Bar stehst«, meint er nur. In seiner Stimme erkenne ich keinen Vorwurf, sondern Sorge. Jackson ist so etwas wie ein großer Bruder für mich. Ein großer Bruder, der sich wirklich um mein Wohlergehen sorgt, statt alles auf mich abzuwälzen. Seit ich denken kann, ist er mit Jenna zusammen, die wiederum für mich wie die große Schwester ist, die ich nie hatte. Dadurch, dass ich so viel Zeit mit Colton und Saige verbringe, wissen sie genauestens über mich und meine Situation Bescheid. Nicht, dass das auf die restlichen Einwohner der Kleinstadt nicht zutreffen würde. Hier kennt jeder jeden und Geheimnisse sind nie lange das, was sie sein sollen.
»Ich passe auf mich auf und wenn nicht, habe ich ja noch Menschen in meiner Umgebung, die sich um mich sorgen«, sage ich grinsend, bevor ein weiterer Löffel in meinem Mund verschwindet.
Jacksons dunkelbraune Augen blicken skeptisch auf mich nieder, dann stiehlt sich auch auf seine Lippen ein Grinsen und er schüttelt den Kopf. Noch immer mustert er mich, stößt sich dann aber von der Bar ab, richtet das Holzfällerhemd, das sich an seiner stählernen Brust verfangen hat, und schiebt sich die Ärmel hoch. Dabei entblößt er seine Tattoos, für die er sich in dieser Stadt schon einige Kommentare anhören durfte. Ich finde, anders als die meisten sehr konservativen Menschen in dieser Stadt, dass Jackson ohne Tattoos nicht er selbst wäre. Außerdem sind die Körpermalereien wunderschön und auch wenn er sagt, dass es nicht so ist, erzählt jedes davon seine eigene Geschichte.
»Na schön, dann nimm noch ein paar Löffel und geh zurück an die Arbeit. Ich bin kurz oben, wenn’s in Ordnung ist.«
»Na klar«, sage ich und verschließe die Packung, bevor ich sie wieder zurück in die Truhe bringe und den Löffel in den Geschirrspüler stecke.
Als ich zurück nach vorne komme, ist Jackson bereits die Treppen hinauf verschwunden, denn ich stehe allein hinter der Theke. Prüfend lasse ich einen Blick durch die Bar wandern und entdecke einige leere Gläser auf den Tischen. Schnell schnappe ich mir einen feuchten Lappen und ein Tablett und mache mich daran, die Tische abzuputzen und alles aufzuräumen.
Ich gelange gerade an einen der Tische in der Nähe des Eingangs, als die Tür sich öffnet.
Aus dem Augenwinkel erkenne ich genau, wer die Bar betritt.
Rome Hayes und Lucien Williams.
Wie auch schon im Fitnessstudio treten sie im Doppelpack auf, was mich extrem an alte Zeiten erinnert.
Ich richte mich auf und stelle das letzte Glas auf das Tablett, ehe ich ihm geradewegs in die Augen blicke. Rome trägt eine schwarze Jacke, einen dunkelblauen Hoodie mit weißem Aufdruck sowie blaue Jeans und weiße Sneaker einer bekannten Marke, die ihn auch schon gesponsert hat.
»Oh, wie praktisch, dass du gerade sauber gemacht hast. Ich würde behaupten, wir kommen zum richtigen Zeitpunkt, meinst du nicht auch, Lucien?«
»Aber hallo«, stimmt dieser grinsend zu, ehe er sich an mir vorbeischlängelt. »Hey, Maeve. Lange nicht gesehen, was?«
Ich bemühe mich um ein Lächeln, könnte Rome für seinen Spruch allerdings schon wieder den Hals umdrehen. Der erste Satz, den er an mich richtet, und es kommt nichts als gequirlte Scheiße über seine Lippen.
»Das kann man laut sagen«, erwidere ich an Lucien gewandt. »Schön, dich zu sehen.«
Lucien ähnelt seinem besten Freund grundsätzlich sehr, doch er hat mich nie schlecht behandelt. Aber er hat die Auseinandersetzungen, die ich mit Rome hatte, immer sichtlich genossen. Da war er nicht der Einzige. Ich kenne viele unseres Jahrgangs, die mich und ihn immer als eine Art Comedy Show bezeichnet haben. Jede Pause, jedes Spiel der hiesigen Footballmannschaft, jeder Ausflug ist darin geendet, dass wir uns an die Gurgel gegangen sind.
Wie oft haben Lehrer versucht, unsere Feindseligkeiten durch Projekte zu mindern? Alle Versuche sind gescheitert, denn Rome Hayes ist nicht erst seit der Highschool ein Arschgesicht der feinsten Sorte. Er war es schon immer.
»Wie? Für ihn sparst du dir solche Nettigkeiten auf und ich kriege nicht einmal ein Hallo?«
Ich setze das liebreizendste Lächeln auf, das ich bieten kann, und schaue ihm direkt in die Augen. »Tut mir leid, Rome. Ich werde auch jetzt nicht damit anfangen, dir irgendwelche netten Floskeln zugutekommen zu lassen.«
Er lacht und legt seine Hand an die Brust. Direkt auf die Stelle, an der sein Herz ist, und tut so, als würden meine Worte ihm deutlich zusetzen. Für mich ist allerdings fragwürdig, ob er überhaupt ein Herz besitzt. Ich spreche immerhin von Rome Hayes.
»Oh, Shit. Das trifft mich. Es bricht mir das Herz, Mae«, sagt er und schnieft gespielt.
Ich verdrehe die Augen. »Was kann ich dir bringen?«, frage ich an Lucien gewandt, der schon wieder grinsend zwischen uns hin und her blickt.
»Wir nehmen ein Bier«, antwortet nicht Lucien, sondern Rome.
»Oh, natürlich. Mit Strohhalm, damit ihr euch das Bier teilen könnt? Kein Problem. Ich weiß ja, wie ihr es am liebsten mögt«, sage ich, bevor ich ihn stehen lasse und wieder in Richtung der Theke marschiere.
Genau in dem Moment kommt Jackson wieder und grinst mich an. »Ist das Rome Hayes, der dir gerade hinterherschaut?«
»Rome Hayes schaut mir nicht hinterher. Und wenn er es doch tun sollte, dann nur, um zu überlegen, welche Sprüche er mir mitgeben kann, wenn ich ihm sein verfluchtes Bier bringe«, teile ich ihm mit und mache mich daran, das Tablett abzuräumen und zwei frische Biere zu zapfen.
Kurz überlege ich, in Romes Glas zu spucken, doch dann wäre Jackson vermutlich nicht mehr so nett zu mir.
»Soll ich sie rüberbringen?«
»Damit er denkt, er hätte gewonnen? O nein, ganz sicher nicht«, sage ich und lache, bevor ich die beiden Gläser zurück aufs Tablett stelle.
»Verbrenn dich nicht am Feuer«, ruft Jackson mir hinterher, als ich den Thekenbereich verlasse.
»Oh, Jackson. Wenn, dann bin ich das Feuer«, lasse ich ihn wissen und mache mich mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen auf den Weg zu dem Tisch, an dem die beiden sitzen.
Als Rome mich entdeckt, schenkt er mir ein freches Grinsen, von dem ich weiß, dass es mich schlichtweg provozieren soll. »Wie? Kein Strohhalm?«
»Na, ich habe mich gerade dran erinnert, dass du zwar immer ein Kleinkind bleiben wirst, aber sicherlich inzwischen in der Lage sein solltest, dein Bier auch so zu trinken. Außerdem wollte ich es Lucien nicht antun, das Getränk mit dir teilen zu müssen. Nicht, dass das chronische Idiotendasein noch auf ihn abfärbt.«
Für eine Sekunde rutscht ihm das Lächeln von den Lippen, dann wird es durch ein Lachen ersetzt. Rome schüttelt den Kopf, während Lucien ebenfalls lacht.
»Sehen wir uns am Samstag auf der Party für Runde zwei?«, fragt er dann und blickt mich mit einem unwiderstehlichen Lächeln an.
Doch ich falle auf diese Masche nicht rein, weshalb ich mich umdrehe und ihm über die Schulter hinweg einen Blick schenke.
»Vorausgesetzt, du traust dich, Rome Hayes.«
Ein letztes Mal blicke ich mich im Spiegel an und lächle zufrieden. Meine blonden Haare fallen mir in Wellen über die Schultern, weil ich den ganzen Tag einen Dutt getragen habe. Ausnahmsweise, als wäre das Leben einmal auf meiner Seite, sehe ich nicht so aus, als wäre mein Föhn explodiert. Das Make-up habe ich schlicht gehalten. Auf Lippenstift wollte ich aber nicht verzichten, weshalb meine Lippen in einem satten Rotton strahlen. Nicht zu vergessen ist das Kleid, das deutlich macht, dass ich nicht einfach wahllos in den Kleiderschrank gegriffen habe.
Wenn ich heute Abend Menschen begegne, deren Blicke von früher ich heute noch in Erinnerung habe, möchte ich nicht nur ihnen gefallen, sondern auch mir selbst. Vermutlich sind einige von ihnen noch immer der Ansicht, das Körperfett etwas ist, das nicht an einer Frau sein sollte. Glücklicherweise habe ich in den letzten Jahren gelernt, jeden Zentimeter meines Körpers zu lieben und mich endlich wohlzufühlen in meiner Haut. Eine Lektion, die ich bitternötig hatte, denn was so häufig auf verletzende Bemerkungen folgte, war nicht nur Hunger, sondern auch viele Tränen und Schuldgefühle. Nichtsdestotrotz gibt es manchmal Tage, an denen ich nicht einmal in den Spiegel sehen kann.
»Oh, du siehst hübsch aus, Spätzchen. Wohin gehst du?«, ertönt die Stimme meines Vaters. »Zur Arbeit?«
»Heute findet doch das Jahrgangstreffen statt«, erinnere ich ihn. »Zwar auch im Shades, aber wenigstens muss ich nicht arbeiten.«
Er lächelt. »Das tut dir gut. Du gehst viel zu selten aus. Ich fürchte, deine letzte Party ist schon einige Jahre her.«
Ich schüttele den Kopf. »Das stimmt nicht. Es gab einen Haufen Partys, die ich besucht habe. Dafür hat Saige gesorgt.«
Er grinst schief. »Partys, bei denen du vor Mitternacht wieder zu Hause warst, zählen in dem Fall nicht.«
Ich betrachte ihn einen Augenblick. Seine schwarzen Haare sind allmählich mit grauen Strähnen durchzogen und die Augenringe, die sich seit Moms Tod in seinem Gesicht platziert haben, lassen ihn älter aussehen, als er ist. Doch ich kann es ihm nicht verübeln. Seit sie nicht mehr da ist, hat sich alles verändert und die Arbeit in der Tischlerei tut ihr Übriges dazu. Ich frage mich, wann er zuletzt geschlafen hat, denn während ich ihn noch immer betrachte, gähnt er herzhaft. »Meistens habe ich am Wochenende gearbeitet und wollte fit sein«, erkläre ich ausweichend, dann greife ich nach meiner Jacke und ziehe sie mir über das schwarze Kleid.
»Für deinen Fleiß habe ich dich schon immer bewundert«, meint er und kommt auf mich zu. Er gibt mir einen Kuss aufs Haar, wie er es früher immer getan hat. Dann schenkt er mir ein Lächeln und blickt mich durch den Spiegel an. »Genieß den Abend, ja?«
Ich nicke überrascht über diesen Ausdruck seiner väterlichen Liebe, bekomme es aber nicht hin, angemessen zu reagieren. Als in der Sekunde unsere Klingel ertönt und unablässig an der Tür geklopft wird, weiß ich, dass ich abgeholt werde. »Ich muss los, Dad. Warte nicht auf mich!«
Ohne auf eine Antwort zu warten, öffne ich die Tür und sehe Colton und Saige, die mir grinsend entgegenblicken. »Alles in Ordnung?«, frage ich unsicher, als sie mich von oben bis unten mustern. »Zu viel?«
»Du siehst heiß aus«, ertönt Coltons tiefe Stimme und ich könnte schwören, dass ich Dad schnauben höre, weshalb ich schnell hinaustrete und die Tür hinter mir ins Schloss ziehe. »Genau!«, stimmt Saige ihm zu und grinst. »Sie werden sich wünschen, niemals ein schlechtes Wort über dich gesagt zu haben.«
Ich lache heiser. »Danke«, sage ich. »Können wir los?«
»Natürlich. Es sei denn, Nick muss wieder den großen Bruder spielen, der er nicht ist«, sagt Saige, weshalb ich sofort alarmiert zum Nachbarhaus sehe. Tatsächlich steht er in der Tür und späht zu uns herüber. »Lasst uns gehen«, sage ich und hake mich bei Saige unter.
»Der heutige Abend gehört mir.«
»Das will ich hören«, erwidert meine beste Freundin und lächelt stolz. Dann hakt sie sich bei Colton ein, der ganz automatisch seinen Platz an ihrer Seite einnimmt.
***
Das Shades macht heute Abend einen guten Umsatz, da bin ich mir sicher. Nicht nur die Tische sind voll besetzt, die Bar wird umzingelt und sogar auf der provisorisch eingerichteten Tanzfläche herrscht bereits dichtes Gedränge. Jackson und Jenna bedienen, was das Zeug hält, und beinahe empfinde ich ein wenig Mitleid mit ihnen. Als mein Chef mich entdeckt, lächelt er mir zu und winkt mich zu sich. »Was kann ich dir mixen?«
»Mojitos«, sage ich. »Zwei Stück. Und ein Bier für Colton, bitte.«
»Kommt sofort«, flötet er gut gelaunt und macht sich daran, unsere Getränke zuzubereiten. »Ich hoffe, du genießt den Abend heute.«
Ich grinse. »Wieso glaubst du, dass ich es nicht tue?«
»Weil ich den Blick kenne, den du mir eben zugeworfen hast. Du hast frei und wenn ich noch einmal entdecken sollte, dass du überlegst, zu helfen, bist du entlassen«, sagt er und schaut mich wissend an. Dieser Mann kennt mich zu gut, weshalb ich meine Augen verdrehe. »Ausnahmsweise habe ich heute gar keine Lust, für dich zu arbeiten.«
»Ich würde es auch nicht zulassen«, meint er grinsend und blickt mich an, als er unsere Getränke auf dem Tresen platziert. »Jetzt hau schon ab und lass dich nur hier blicken, wenn du Nachschub brauchst.«
Ich lache, als ich seinen drohenden Blick sehe. »Geht klar. Bis später, Jackson.« Ich schnappe mir unsere Getränke und laufe zu dem Tisch hinüber, wo Saige und Colton bereits auf uns warten.
»Das hat aber gedauert«, meckert Letzterer vorwurfsvoll, als ich mich wieder setze.
»Sorry. Jackson hat mir gedroht, dass ich heute nicht einmal ansatzweise an Arbeit denken soll«, erkläre ich lachend und Colton, der mir mit dem Ellenbogen spielerisch in die Seite stößt, schüttelt mit dem Kopf. Dann wandert mein Blick durch die Bar. »Scheint ein interessanter Abend zu werden«, mutmaße ich, als ich Brianna Williams entdecke, deren Finger gerade über Chad Michaels Brust wandern. Die beiden waren in der Highschool schon unzertrennlich, doch letztlich ist nie mehr aus ihnen geworden als ein Partypärchen. Immer dann, wenn sie niemand Besseren gefunden haben, klebten sie förmlich an den Lippen des jeweils anderen. Egal, wer gerade dabei zusah. Ob Chads Freundin von der gemeinsamen Vergangenheit weiß, wage ich zu bezweifeln. Während sie gerade mit einigen Mädels spricht, mit denen ich nie wirklich zu tun hatte, ahnt sie vermutlich nicht, was vor sich geht. Hoffentlich hat er mit den Jahren dazugelernt.
»Um wie viel wetten wir, dass die beiden heute mindestens für einen Quickie das Weite suchen?«
Ich nippe an meinem Mojito und zucke mit den Schultern. »Ich glaube an das Gute in Menschen. Auch wenn es Chad ist, von dem wir sprechen.«
Saige grinst mich schief an. »Du warst ja auch fürchterlich in ihn verknallt. Natürlich glaubst du daran, dass er sich geändert hat.«
Ich verziehe das Gesicht und schüttele den Kopf. »Erinnere mich nicht dran«, zische ich. »Das habe ich erfolgreich verdrängt.«
Zum Glück wird das Thema schnell abgehakt, als eine Gruppe mir bekannter Gesichter an unseren Tisch tritt. Sofort herrscht helle Aufregung. Schließlich sind mittlerweile drei Jahre vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Sienna, Jude und Priya strahlen uns an und nachdem wir einander überschwänglich mit vielen Umarmungen und Floskeln begrüßt haben, sitzen wir nun zusammen am Tisch. Die Luft wird mit jeder Sekunde stickiger und dicker. Ich spüre, wie mir zunehmend wärmer wird, und hoffe, dass das teure Setting Spray hält, was der Preis verspricht.
»Wie läuft das Studium?«, frage ich an Priya gewandt. Ihre Augen strahlen sofort und sie muss gar nichts sagen, damit ich weiß, dass sie noch immer ziemlich glücklich mit ihrer Wahl ist.
»Es läuft wirklich gut. Allerdings investiere ich auch sehr viel Zeit und vernachlässige gewisse Dinge dafür.«
»Sie meint Partys, Spaß und Sex«, grätscht Sienna dazwischen und verdreht die Augen. »Während ich mich kaum zurückhalten kann, lebt Priya in Abstinenz. Man muss sie schon zwingen, auszugehen und die Bücher für einen Abend zu vergessen.«
Priya schnaubt, kann sich ein Grinsen aber nicht verkneifen. »Das ist gar nicht wahr. Ich kann Spaß haben«, verteidigt sie sich. »Aber lass uns lieber über die Eskapaden von Sienna sprechen. Das ist viel interessanter als mein Jurastudium.«
Sienna lacht lauthals los. »Das wirst du mir büßen, Priya. Das sollte doch unser Geheimnis bleiben«, sagt sie. Sienna war schon immer ziemlich offen und ihr Selbstbewusstsein ist vermutlich sogar größer als der Mount Everest. Dass ich das genaue Gegenteil davon war, wusste jeder aus unserer Truppe. Nur, dass ich sie insgeheim dafür und für die Tatsache, dass sie mit allen aus unserem Jahrgang immer gut klarkam, bewundert habe, verriet ich niemandem.
»Ihr wohnt also noch immer zusammen?«, frage ich und nippe wieder an meinem Glas.
»Ja, und ich vermute, das wird auch noch eine Weile so bleiben«, antwortet Sienna und lächelt Priya an. Die beiden pflegen ein ähnliches Verhältnis wie Saige und ich. Wir vier haben uns gut verstanden, aber es gab immer diese eine Person, zu der unser Verhältnis viel enger war und noch ist. Der Kontakt zu den beiden Mädels ist eingeschlafen, weil beide in Seattle studieren und leben. Allerhöchstens treffen wir uns zu Feiertagen wie Thanksgiving und Weihnachten. Das war’s aber auch schon.
»Und wie läuft es mit deinem Fernstudium?«, hakt Jude nach. Sofort sind alle Augen auf mich gerichtet und die Aufmerksamkeit ist mir ein wenig unangenehm. Während sie alle an angesehenen Universitäten studieren oder schon eigenständig leben, kann ich nur wenig Erfolge vorweisen.
»Es läuft ganz gut. Ich arbeite viel, aber die Zeit für die Kurse nehme ich mir dennoch. In zwei Wochen schreibe ich meine Prüfungen in Seattle und dann hoffe ich auf eine besinnliche Weihnachtszeit.«
»Arbeitest du noch immer im Supermarkt?«
Ich nicke.
»Wenn es nur der Supermarkt wäre«, murmelt Saige. Sie sagt es ganz leise, dennoch kleben die Blicke der anderen augenblicklich auf ihr und warten offensichtlich darauf, dass sie noch mehr erzählt. »Dass sie Zeit zum Atmen findet, ist bemerkenswert. Während sie nämlich von morgens bis abends im Supermarkt steht, anschließend den Haushalt schmeißt und zum Sport geht, arbeitet sie in den Abendstunden hier im Shades, geht in den frühen Morgenstunden ins Bett und steht um fünf Uhr wieder auf, um ihr Lernpensum einzuhalten.«
Judes Augen weiten sich und am liebsten würde ich Saige den Hals umdrehen. Schon oft haben wir darüber gestritten, dass ich mein Potenzial in ihren Augen vergeude und nur für andere lebe. Doch ich habe meiner Mutter etwas versprochen und meinem Dad fühle ich mich ebenso verpflichtet. Auch wenn es immer schwieriger wird, alles unter einen Hut zu bekommen, werde ich nicht aufgeben, bis meine Studienkosten gedeckt und die letzten Raten fürs Haus überwiesen sind.
Familie ist für immer, egal, wie schwierig es sein mag.
»Wow«, sagt Priya ehrfürchtig. »Na, was sagst du, Sienna? Bin ich noch immer ein Workaholic?«
Die schüttelt den Kopf und sieht mich erstaunt an. »Den Titel trägt von nun an Maeve«, beschließt sie und führt das Glas an ihre Lippen, als bräuchte sie daraufhin erst mal einen Schluck Alkohol.
»Und du?«, frage ich Jude, der mir ein schüchternes Lächeln zuwirft. »Wie läuft es bei dir? Irgendwelche Neuigkeiten an der Front der Chirurgie?«
»Ich schätze, ich stelle mich ganz gut an«, meint er lächelnd, doch ich kann den Stolz in seinen Augen erkennen.
»Das klingt gut«, sage ich und lächle zurück. Damals hat er hart dafür gekämpft, das Stipendium an der Harvard Med School zu ergattern. Vor den Prüfungen, aber auch schon lange Zeit vorher haben wir ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Dass ausgerechnet jemand aus Masons Valley es nach Harvard geschafft hat, freut mich sehr. Dass es Jude ist, erwärmt mir das Herz besonders. Auch wenn ich dieses fiese Stechen in meiner Brust nicht ignorieren kann. Während sie alle Erfolge in ihren Leben feiern und Meilensteine erreichen, habe ich nichts dergleichen. Meine Kurse an einer kleinen Universität bilden mich zwar, doch eigentlich dienen sie nur dazu, meinen Lebenslauf ein wenig aufzupolieren. Betriebs- und Volkswirtschaft war eigentlich nie mein Fall, doch Nick hat mir eingeredet, dass es immer gut sei, etwas in der Hand zu haben, um langfristig voranzukommen.
»Rome ist hier«, tönt es plötzlich neben mir und sofort werde ich aus den Gedanken gerissen, die mir mehr und mehr die Stimmung verderben. Dass ich ihm irgendwann mal für sein Auftauchen dankbar sein würde, hätte ich nicht gedacht.
Tatsächlich hat er gerade das Shades betreten. Er trägt ein schwarzes Hemd, dessen Ärmel er bis zum Ellenbogen hochgekrempelt hat und das seine definierten Arme entblößt. Bevor er mich dabei erwischt, wie ich seinen Armen übermäßig viel Aufmerksamkeit schenke, schaue ich weg. Ich verabscheue ihn und muss schleunigst damit anfangen, auf Dinge wie seine trainierten Muskeln ebenso wenig zu geben wie auf ihn selbst. Wenn mich seine bloße Erscheinung nur nicht so provozieren würde …
»Er ist schon seit einigen Tagen wieder in der Stadt. Das erste Mal haben wir ihn im Fitnessstudio gesehen und dann ist er hier in der Bar gewesen, als Maeve Schicht hatte«, erklärt Saige und grinst vielsagend in meine Richtung. Sienna kichert direkt, während Priya ihr Lächeln hinter ihrem Glas versteckt und auffällig schnell einen Schluck trinkt. Judes Mundwinkel zucken verdächtig und ich ziehe warnend die Augenbrauen in die Höhe.
»Das muss ja bedeuten, dass explosive Stimmung geherrscht hat, was?«
»Es war eine ganz normale Begegnung. Im Fitnessstudio haben wir nicht einmal miteinander gesprochen«, erkläre ich sofort, weil sie vorher eh keine Ruhe geben würden. Ihre ungläubigen Gesichter zeigen mir allerdings deutlich, dass sie mir kein Wort glauben.
»Seine Saison war erfolgreich. Ich habe ein paar seiner Auftritte gesehen«, erklärt Priya und lächelt verschmitzt. »Ich muss ja schon gestehen, dass er ziemlich gut aussieht, wenn er übers Eis fegt.«
Mein Blick fällt auf Rome, der sich am anderen Ende des Raumes befindet und sich mit Lucien und einigen seiner alten Freunde unterhält. Sein Lächeln wirkt echt und er klebt an Luciens Lippen, der gerade irgendetwas äußerst Interessantes erzählen muss. Rome hat es von uns allen vermutlich am weitesten geschafft. Nicht jeder hat regelmäßig Auftritte im Fernsehen und obwohl es mir widerstrebt, muss sogar ich zugeben, dass er sich als professioneller Eiskunstläufer verdammt gut schlägt. Nike zählt zu seinen Sponsoren und abgesehen davon, dass er in dieser Saison wieder auf einem Siegertreppchen gelandet ist, spricht noch einiges mehr für sein Talent.
»Von seiner Freundin hat er sich kürzlich erst getrennt. Dabei sahen die beiden auf dem Eis so gut zusammen aus«, sagt Sienna und seufzt bedauernd. »Schade, dass er mir nie die Beachtung geschenkt hat, die ich mir von ihm erhofft habe.«
Ich verdrehe die Augen und nippe an meinem Getränk, bevor ich etwas von mir gebe, das ich morgen bereuen könnte.
»Glaubt ihr, er wird am hiesigen Wettbewerb teilnehmen?«, fragt Saige dann und wirft einen Blick in meine Richtung. Fragend erwidere ich diesen und erhalte direkt Antwort. »Ein Eiskunstlaufwettbewerb«, erklärt sie. »Der Gewinner erhält ein Preisgeld von fünfhundert Dollar. Er findet in Fealing statt.«
Sienna zuckt mit den Schultern, sodass ihre langen Ohrringe klimpern, bevor sie sich eine der blonden Haarsträhnen hinter die Ohren klemmt. »Ich bin sicher, dass er das Geld nicht braucht.«
»Und sicherlich ist es ihm nicht groß genug, um eine Teilnahme überhaupt in Erwägung zu ziehen«, merke ich an, woraufhin Sienna nur grinsend die Augen verdreht.
»Da muss ich ihr ausnahmsweise zustimmen. Wir alle wissen, dass sein Ziel die Weltmeisterschaft ist«, meint Jude und zuckt mit den Schultern. »Und ganz ehrlich? Ich fürchte, dass er auch dieses Ziel in seiner Zukunft erreicht. Der Kerl hat’s drauf.«
Ich seufze, denn sein Können ist auch der Grund, weshalb dieser Klinsch zwischen uns überhaupt entstanden ist. Vorher hatten wir nie ein Problem miteinander. Bis zu dem Tag, an dem er entschieden hat, mit mir konkurrieren zu müssen. Egal, um was es sich handelte, Rome wollte besser sein als ich. Und irgendwann, als er herausfand, dass ich meine Freizeit liebend gern auf der Eisbahn verbrachte, tauchte auch er jeden Tag dort auf.
Er hat mich um Längen geschlagen, fing irgendwann an, professionellen Unterricht zu bekommen, denn seine Eltern erkannten sein Talent sofort. Während die meisten von Kindheit an über das Eis liefen, schaffte er es mit dreizehn Jahren und wenig Erfahrung, erste Wettbewerbe zu gewinnen. Als ich meine Eltern um Unterricht bat, um mit ihm mithalten zu können, haben sie mir bloß den Kopf getätschelt und mir erklärt, dass sie für so etwas kein Geld ausgeben könnten.
So kam es, dass Rome immer besser und die Eishalle sein Territorium wurde. Zu Beginn der Highschool verlor ich dann endgültig den Spaß daran, weil er mir konstant unter die Nase reiben musste, dass er besser war. Und dann starb Mom und meine Kindheit endete so abrupt, wie sie aus dem Leben gerissen wurde. Von diesem Zeitpunkt an war zwischen mir und Rome diese Anspannung, wann immer wir aufeinandergetroffen sind. Er gewann die Landesmeisterschaften, überzeugte seine ersten Sponsoren und pünktlich zum Abschluss wurde er vom erfolgreichsten Läufer des Landes trainiert. Und dann verließ er die Stadt, um Sportwissenschaften zu studieren und seine Karriere voranzubringen. Mein Hass war im Grunde purer Neid. Ich war – und bin es vermutlich noch immer – eifersüchtig darauf, dass er Chancen erhalten hatte, die ich mir selbst gewünscht hatte. Rome Hayes ist in allem unschlagbar und ich werde für immer das Mädchen aus der Kleinstadt bleiben, das für ihre Familie ihre gesamte Jugend hintenangestellt hat.
Einmal in meinem Leben möchte ich zurück zu dieser Unbeschwertheit finden, um mich daran zu erinnern, wie es war, ohne den ständigen Druck auf der Brust zu leben. Ich tauche aus dem Meer an Gedanken wieder auf und stelle fest, dass sich die anderen nicht mehr über Rome Hayes unterhalten. Während Jude irgendetwas von einer Hausparty erzählt, hängen die anderen gebannt an seinen Lippen. Doch ich merke, wie ich einige Minuten für mich brauche, um einen klaren Kopf zu bekommen. »Entschuldigt mich einen Moment, ja?«
»Alles in Ordnung?«, fragt Saige und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Schnell nicke ich. »Ich muss Jackson unbedingt noch etwas fragen. Ich bin gleich wieder da«, erkläre ich und lächle, bevor sie Gelegenheit hat, nachzuhaken. Schnell schlängele ich mich von der Bank herunter und verschwinde in der Menge. Erst als ich die Tür zu den Toiletten aufstoße und mich kurz darauf an die kalten Fliesen lehne, atme ich tief ein und aus.
Rome Hayes ist mein größter Feind und gleichzeitig mein größter Ansporn, nicht aufzugeben.
Die Kälte der Wand in meinem Rücken bringt mich dazu, aufzuatmen. Zwar zitternd und überfordert, doch es hilft, den Druck loszuwerden, der sich auf dem Weg hierhin auf meine Brust gelegt hat.
Atmen, Maeve. Einfach nur atmen.
Ich lege den Kopf in den Nacken und zwinge mich, in das grelle Licht in der Toilette zu blicken, die ich nach Feierabend normalerweise von ihren Gebrauchsspuren befreie. Doch heute ist alles anders. Heute bin ich eine handelnde Figur auf dem Schachbrett, nicht bloß eine Marionette, die im Sinne anderer handelt. Ich schlage mir den Weg frei. Durch die Zweifel und die Panik, die meine Beine hinaufkriecht und meine nackte Haut berührt, um mich immer mehr einzunehmen. »Verflucht«, stoße ich zischend aus und kralle mich am Waschbecken fest. Die letzten drei Jahre habe ich mir keine Gedanken darum gemacht, dass ich in meinem Leben genau genommen nichts erreicht habe. Dafür hatte ich keine Zeit, weil ich Tag und Nacht gearbeitet und versucht habe, meinen Vater zu unterstützen. Das tue ich auch weiterhin, aber zu welchem Preis? Kann ich wirklich damit leben, dass jeder aus meinem Bekanntenkreis es zu etwas gebracht hat? Allen voran Rome Hayes, der mir das Einzige genommen hat, das mir je etwas bedeutete, um es für sich zu beanspruchen? Mich zu provozieren? Das Zittern übernimmt immer mehr Kontrolle über meinen Körper, weshalb ich mich noch fester an den Rand des Waschtisches klammere. Der dunkle Marmor hat sicherlich ein Vermögen gekostet, doch Jackson hat jedes Risiko auf sich genommen, um das Shades zu dem zu machen, was es heute ist. Auch er hat es geschafft, sich einen Traum zu erfüllen.
Bei allen scheint es so leicht zu sein, so unkompliziert. Als gäbe es nichts, was das Leben verkomplizieren könnte. Wieso scheitere ausgerechnet ich daran und kratze nicht einmal den nötigen Mut zusammen, lebensverändernde Entscheidungen zu treffen? Warum verfolgte ich nicht meine Träume? War es Angst, die mich davon abhielt, oder der fehlende Glaube an mich selbst? Fest steht, ich habe mein Feuer verloren. Vor langer Zeit sorgte Rome Hayes dafür, dass es unter einer dicken Schicht aus Eis erlosch. Und ich habe nichts dagegen unternommen, sondern einfach zugeschaut.
Ausgerechnet in der Sekunde, als die Tränen über mich hereinbrechen, öffnet sich die Tür. Niemand Geringeres als Brianna Williams erscheint im Türrahmen und schaut mich an. Überraschung steht ihr ins Gesicht geschrieben und ich weiß nicht, ob ich lieber sterben oder ihren Blick erwidern möchte.
»Maeve Hawkins«, sagt sie und der Anflug eines Lächelns erscheint auf ihren Lippen. Ein Anblick, der mir total fremd ist, denn ich fürchte, dass ich die wenigen Male, die sie mich tatsächlich angesehen hat, an einer Hand abzählen kann. Doch dann erkenne ich, dass ihre Mundwinkel zucken, während sie mich betrachtet. So wie immer, bevor sie einen fiesen Kommentar über mein Aussehen abgegeben hat, das nicht in das Idealbild eines Körpers passt.
»Hi, Brianna«, antworte ich mit möglichst fester Stimme. Grölen aus der Bar dringt zu uns in den Raum, weshalb sie einen kurzen Moment hinter sich blickt und dann komplett eintritt. Ihre langen schwarzen Haare glänzen im Licht. Alles an Brianna ist perfekt: die Haare, das Make-up, das Outfit. Sie ist zu Schulzeiten schon wunderschön gewesen. Immer dann, wenn sie mir gesagt hat, dass ich zu dick und nicht hübsch genug wäre, habe ich gedacht, dass sie recht hat. Wenn jemand wie sie sagte, dass ich nicht hübsch wäre, dann musste es stimmen. Heute stehe ich ihr wieder gegenüber, dieses Mal jedoch mit einer anderen Haltung.
»Wie geht es dir?«, fragt sie. »Ich habe gesehen, dass du hierhergelaufen bist. Ist etwas vorgefallen?«
Ich beiße mir auf die Lippen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich ausgerechnet ihr von meinen Ängsten erzählen will. Dass ich, wenn man es genau nimmt, mit meinem Leben unzufrieden bin. Wieso sollte es sie überhaupt interessieren? Sie hat sich nie mit mir abgegeben. Immer nur dann, wenn es etwas gab, das sie an mir schlechtmachen konnte. »Du hast dich verändert, Maeve. Ich erkenne so etwas wie Selbstbewusstsein in deinen Augen.«
»Meinst du?«
Sie lacht heiser. »Und wie. Das bedeutet aber nicht, dass es dich hübscher gemacht hat.«
Da sind sie, die Worte, auf die ich gewartet habe. »Ach, ist das so?«
Sie nickt lachend. »Ich war ehrlich gespannt, ob du es für nötig hältst, heute aufzutauchen. Bei deiner kläglichen Entwicklung. Meine Mom hat behauptet, du würdest noch immer im Supermarkt arbeiten. Stimmt das?«
Sie versucht mich aus der Reserve zu locken. Selbst dann, wenn sie merkt, dass es mir nicht gut geht. Sie nutzt die Situation aus und will mich kleinkriegen. »Wenn deine Mom das sagt, muss es wohl stimmen, nicht?«
Ihre Mundwinkel zucken und sie fährt sich durch die Haare. Sie streicht eine imaginäre Strähne zurück und blickt mich dann amüsiert an. »Oder du traust dich nicht, das zuzugeben.«