Where Autumn Leaves (Festival-Serie 4) - Ivy Leagh - E-Book

Where Autumn Leaves (Festival-Serie 4) E-Book

Ivy Leagh

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Beschreibung

Ich dachte, ich hätte dich vergessen. Doch mein Herz scheint das anders zu sehen.  Ich bin in einen Fußballspieler verliebt. Doch der will nichts von mir wissen. Nach einer schweren Verletzung arbeitet er in einer Privatklinik für Sportler an seinem Comeback. Ausgerechnet dort, wo ich plane, mit einem Freiwilligendienst meine Zukunft zu retten. Eine Zukunft, die seit einer halben Ewigkeit feststeht, wenn man meine Eltern fragt. Sie wissen jedoch nicht, dass eine falsche Entscheidung mich den Studienplatz und mein Image kosten wird. Wenn es mir gelingt, das Sponsoren-Herbstfestival der Klinik zu organisieren, könnte ich mich retten. Aber der Fußballspieler macht mir einen Strich durch die Rechnung, denn vor Jahren war ich in Jakob verliebt. Allerdings habe ich ihm nie etwas über meine Gefühle verraten. Jetzt soll ausgerechnet ich ihm helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Obwohl meine Knie weich werden, sobald er mich nur ansieht. Obwohl ich weiß, dass Jakob mir etwas verschweigt, denn er wendet sich immer wieder von mir ab. Wieso will er mir nicht vertrauen? Was ist mit ihm passiert? »Where Autumn Leaves« ist eine einfühlsame Opposites Attract Romance mit einer Prise Childhood Friends to Haters to Lovers.   //»Where Autumn Leaves« ist der vierte Band der gefühlvollen »Festival-Serie« bei Carlsen. Alle Bände der New Adult Romance:  -- Where Summer Stays  -- Where Winter Falls  -- Where Spring Hides  -- Where Autumn Leaves// 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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ImpressDie Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

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Ivy Leagh

Where Autumn Falls (Festival-Serie 4)

Ich dachte, ich hätte dich vergessen. Doch mein Herz scheint das anders zu sehen.

Ich bin in einen Fußballspieler verliebt. Doch der will nichts von mir wissen. Nach einer schweren Verletzung arbeitet er in einer Privatklinik für Sportler an seinem Comeback. Ausgerechnet dort, wo ich plane, mit einem Freiwilligendienst meine Zukunft zu retten. Eine Zukunft, die seit einer halben Ewigkeit feststeht, wenn man meine Eltern fragt. Sie wissen jedoch nicht, dass eine falsche Entscheidung mich den Studienplatz und mein Image kosten wird. Wenn es mir gelingt, das Sponsoren-Herbstfestival der Klinik zu organisieren, könnte ich mich retten. Aber der Fußballspieler macht mir einen Strich durch die Rechnung, denn vor Jahren war ich in Jakob verliebt. Allerdings habe ich ihm nie etwas über meine Gefühle verraten. Jetzt soll ausgerechnet ich ihm helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Obwohl meine Knie weich werden, sobald er mich nur ansieht. Obwohl ich weiß, dass Jakob mir etwas verschweigt, denn er wendet sich immer wieder von mir ab. Wieso will er mir nicht vertrauen? Was ist mit ihm passiert?

»Where Autumn Leaves« ist eine einfühlsame Opposites Attract-Romance mit einer Prise Childhood Friends to Haters to Lovers.

Wohin soll es gehen?

Vorbemerkung für die Leser*innen

Playlist

Widmung

Buch lesen

Danksagung

Content Note

Vita

© privat

Ivy Leagh wurde 1992 geboren und lebt gemeinsam mit zu vielen ungelesenen Büchern bei Würzburg. Die Autorin von mehreren SPIEGEL-Bestsellerromanen arbeitete eine Weile als freie Journalistin in Berlin und London und widmet sich mittlerweile ausschließlich dem Schreiben. Ihrer Liebe zu Großbritannien gibt sie während ihrer Aufenthalte im englischen Birmingham nach. Auf Instagram und TikTok nimmt sie ihre Leser:innen mit in ihren kreativen Alltag.

Für meinen Papa!

Ohne deine Leidenschaft für Fußball hätte ich dieses Buch niemals geschrieben – danke, dass du mich damals ins Stadion mitgenommen hast!

JAKOBS »YOU’LL NEVER WALK ALONE«-STADIONHYMNEN

Nur nach Hause – Frank Zander (Hertha BSC)

Bochum – Herbert Grönemeyer (VFL Bochum)

Eisern Union – Nina Hagen (1. FC Union)

Mer stonn zo dir, FC Kölle – Die Höhner (1. FC Köln)

Stern des Südens – Bayern-Fans United (FC Bayern München)

Im Herzen von Europa – Eintracht Frankfurt (Eintracht Frankfurt)

96, Alte Liebe – Gold Band (Hannover 96)

Lebenslang Grün-Weiß – Afterburner (SV Werder Bremen)

Major Tom (Völlig losgelöst) – Peter Schilling (EM 2024)

You’ll Never Walk Alone – Gerry & The Pacemakers (Liverpool FC)

Sweet Caroline – Neil Diamond (English Women Soccer Victory Anthem)

Lion Hearts – Gold Band (Aston Villa F.C.)

Einladung

AM SAMSTAG, DEN 30. OKTOBER, AB 18.00 UHR FINDET DIE ALLJÄHRLICHE GEMEINSAME SPENDENGALA DER BUNDESZAHNÄRZTE- UND ÄRZTEKAMMER BERLIN IN DER WESTHOFF-KLINIK STATT.

Die Organisation werden innehaben: Prof. Dr. med. Martin Berlenbach, dieses Jahr erstmals mit seinem Sohn Jonathan, und, wie es für unser Haus Tradition ist, unsere diesjährige FSJlerin Babette von Heuferscheidt, Tochter von Dr. med. Thomas von Heuferscheidt, Kandidat für die Vizepräsidentschaft der Bundeszahnärztekammer.

Lassen Sie sich von dem frischen Wind, den die jungen Leute mitbringen, überraschen.

Wir freuen uns über Ihre hochgeschätzte Teilnahme.

Westhoff-Klinik zu Kladow

Wannseeweg 235a, 14089 Kladow, Berlin

Dresscode: Cravate noire

Ihre Zu- oder Absage wird bis zum 1. Oktober erwartet.

Hochachtungsvoll

Kathrin von Westhoff

VORBEMERKUNG FÜR DIE LESER*INNEN

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und / oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Ivy Leagh und das Carlsen-Team

EINIGE WOCHEN ZUVOR …

Violet: Beth? Was war denn gestern bei euch in St. Andrews los? Warum hast du dich nicht mehr bei mir gemeldet?

Violet: Hallo? Ist etwas passiert? Jonathan kann ich auch nicht erreichen. Wann geht euer Flieger zurück nach Berlin? Ruf mich vorher bitte an.

Violet: Beth? Wo zur Hölle bist du?!

»NUR NACH HAUSE, NUR NACH HAUSE, NUR NACH HAUSE … WILL ICH GEH’N.«

Jakob

Ich starre in den Lichthof der Westhoff-Klinik. Ich sollte glücklich darüber sein, einen der begehrten Plätze ergattert zu haben, aber ich bin es nicht.

Verblühte Blumensträucher rahmen einen hübschen Garten ein. Nebel hängt über den Kieswegen, die sich unübersichtlich wie in einem Labyrinth durch die angelegte Grünfläche schlängeln. Von meinem Zimmer hat man einen direkten Blick auf das Herz des Rehabilitationszentrums für Sportler, das vermutlich vor allem im Frühjahr und Sommer mit voller Kraft schlägt, wenn die unzähligen Blumen blühen. Im Moment wirkt es trostlos auf mich, irgendwie grau und hoffnungslos.

Ein plötzlicher Windstoß bringt ein paar wenige bunte Herbstblätter auf dem gepflegten Rasen in Aufruhr. Er zerrt an den kahlen Ästen uralter Eichen und reißt an den Holzlamellen der Fensterläden.

Ich habe ein hochmodernes Krankenhaus mit kahlen Wänden und kühler Atmosphäre erwartet und stattdessen werde ich die nächsten Wochen in einem Jane-Austen-Roman verbringen. Stolz und Vorurteil ist eines der Lieblingsbücher meiner älteren Schwester Leni, und das, was ich bis jetzt von dieser Klinik für alternative Medizin gesehen habe, kenne auch ich nur aus Netflix-Serien, die im 19. Jahrhundert in Großbritannien spielen.

Ich öffne das bodentiefe Fenster, das Zugang zu einem kleinen Balkon mit zwei Stühlen und einem Tisch bietet. Kühle Oktoberluft strömt in das großzügig geschnittene Zimmer, das ich mit niemandem teilen muss.

Nach wenigen Sekunden riecht der Raum nach Laub und Morgenfrost. Die eisige Luft bringt mich zum Frösteln und ich ziehe den Gürtel meines cremefarbenen Bademantels fester. Ein scheißweicher Bademantel, den ich mir nach dem Duschen angezogen habe und in dem ich mich vollkommen fehl am Platz fühle.

Ausgerechnet die hellblauen Adiletten vor meinen Füßen sind mir als Erinnerung an früher geblieben. Sie nach dem Duschen sorgsam ineinanderzuschieben ist eine abergläubische Marotte – seit meiner Jugend handhabe ich es nach jedem Fußballspiel und -training so. Heute befördere ich sie einzeln mit dem gesunden Bein unter das riesige Boxspringbett, weil ich ihren Anblick gerade nicht ertrage.

In diesem Moment möchte ich einfach nur weglaufen – wenngleich ich gar nicht wüsste, wohin.

Obwohl mir die Ärzte bestätigt haben, dass der Kreuzbandriss längst verheilt ist und ich wieder voll und ganz einsatzbereit bin, schießt ein brennender Schmerz wie eine Stichflamme von meinem linken Knie nach oben in die Hüfte, als ich mich vorbeuge, um das Fenster wieder zu schließen.

Vor sechs Monaten ist mein linkes Kreuzband gerissen. Die Operation führte ein angesehener Chirurg durch und während der dreimonatigen Reha verlief der Genesungsprozess nach Plan. Doch kaum war ich wieder zurück im Mannschaftstraining, versagte mein Knie.

Das Team muss von mir so was von genervt sein. Ich bin es selbst, weil es meinem Körper nicht gelingen will, den Schmerz abzustellen. Bei jeder Bewegung warte ich nur darauf, dass es irgendwo wehtut. Und wenn meine Erwartung erfüllt wird, gebe ich sofort auf. Ich versuche noch nicht einmal mehr, den Schmerz abzumildern, spüre nur noch Panik davor, nie wieder Fußball spielen zu können.

In diesen Momenten frage ich mich, ob dieser schreckliche Chirurg recht hat. Bilde ich mir meine Probleme nur noch ein? Fehlt mir für ein Comeback schlichtweg die Motivation? Ist Schmerz zu einer Ausrede geworden? Wie sonst ist es zu erklären, dass ein ätzendes Ziehen und Stechen schon seit Wochen zusätzlich an meiner Hüfte auftritt?

Immerhin ließ meine Leistung bereits vor dem Unfall zu wünschen übrig. Für den Fußball gebe ich seit meiner Kindheit alles, was ich habe. Doch was ist, wenn alles in meinem Fall viel zu wenig ist?

Ich schiebe die düsteren Gedanken beiseite. In den vergangenen Tagen haben sie mich ununterbrochen gequält.

Fest steht: Eine alternative Schmerzbehandlung an der Westhoff-Klinik ist wohl meine letzte Chance. Und wenn mir diese hilft, ignoriere ich gern, wem ich die Exklusivbehandlung zu verdanken habe.

Ich will zurück auf den Platz – alles andere ist völlig unwichtig.

»Jakob?«, ertönt eine gedämpfte Männerstimme, die ich von gestern wiedererkenne, dann klopft es zweimal. Der Tonfall erinnert mich an meinen Trainer, wenn er mich von der Bank zum Aufwärmen zu sich zitiert, bevor es aufs Feld geht.

»Sind Sie wach?«

Eilig fahre ich mir durch das zu lang gewachsene Haar, ziehe den Bademantelgürtel noch fester und setze mich vorsichtig auf die Bettkante.

»Komm rein!« Ich duze den Pfleger absichtlich.

Die Tür wird geöffnet und ein Mann Anfang zwanzig steckt den Kopf ins Zimmer. Seine dunklen Haare hat er zu einem Dutt hochgebunden, das breite Grinsen kaschiert die Schatten unter seinen Augen. Er trägt einen blauen Kasack über dem Strickpullover – der von Ärzten ist gelb und ausgebildete Pflegekräfte und Physiotherapeuten besitzen einen in Grün – das habe ich vorab auf der Internetseite der Klinik nachgelesen. Sein Blick wandert durch den Raum, bevor er mich findet. »Schon frisch geduscht?«, will er wissen und trägt ein großes Tablett ins Zimmer, das er mit beneidenswerter Gelassenheit auf dem Tisch neben dem Fenster abstellt. »Ich nehme an, dass Sie nicht auf dem Balkon essen wollen?«

»Du …«, verbessere ich automatisch. »Könnten wir uns bitte duzen? Und Jakob, nicht Jake.« Wenn ich mich nicht irre, habe ich ihn schon gestern darum gebeten, als er mich in mein Zimmer gebracht hat, in dem ich seitdem ausharre wie eine Spinne, über die jemand ein Glas gestülpt hat.

Egal, wie häufig mir meine Schwester auf dem Weg hierher versichert hat, dass ich gut darin bin, neue Kontakte zu knüpfen – das hier ist anders. Eine völlig fremde Welt.

»Klar«, willigt der Pfleger ein. »Ich bin Linus.« Er tippt auf das Namensschild oberhalb seiner Brust neben dem Logo der Rehaklinik. »Zu deiner Info, normalerweise halten wir die Patienten dazu an, gemeinsam im Speisesaal zu essen«, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. »Aber ich dachte mir, dass du es an deinem ersten Tag an der Westhoff lieber langsam angehen willst.«

Ich stehe auf und presse die Lippen zusammen, doch der Schmerz brandet glücklicherweise weniger schlimm auf als vorhin. »Ähm … danke. Ist das Kaffee in der überaus hübschen Porzellankanne dort?«

Linus’ kehliges Lachen lockert meine Anspannung. »Tee«, korrigiert er mich. »An der Klinik herrscht ein striktes Kaffeeverbot.« Er zieht die Brauen aufmunternd nach oben. »Aber immerhin darfst du auch keine Schokolade essen, musst auf Fleisch und Milchprodukte verzichten und mit hauptsächlich basischen Nahrungsmitteln vorliebnehmen.« Er schenkt Tee in eine feine Porzellantasse und öffnet die Abdeckhaube des Tabletts. Obst, ein Glas Saft und etwas, das wie Porridge aussieht, aber, wenn ich Linus eben richtig verstanden habe, bestimmt weder Getreide noch Milch enthält, kommen zum Vorschein. »Wir haben heute basisches Nuss-Datteln-Porridge – ohne Haselnuss – mit Wasser und Erdmandelflocken als Haferersatz, dazu einen Karotten-Spinat-Saft und frische Beeren. Lecker! Die meisten haben anfangs Schwierigkeiten mit der Nahrungsumstellung, aber mit der Zeit gewöhnt man sich ja bekanntlich an alles.«

Das bezweifle ich. Aber ich denke dabei nicht an das ungewohnte Essen. Es ist eine ganz andere Art von Veränderung, an die mich Linus’ Worte schmerzhaft erinnern. Eigentlich müsste ich an diese langsam gewöhnt sein, immerhin habe ich es bereits vor einem halben Jahr herausgefunden. Doch an eine solche Wahrheit gewöhnt man sich nicht, ganz im Gegenteil. Das, was ich da erfahren habe, wird nicht einfach zu einer guten oder schlechten Erinnerung. Diese Veränderung ist ein grässlicher, immerwährender Zustand.

»Es wird mich schon nicht umbringen«, bemühe ich mich dennoch um Lockerheit.

»Na, schauen wir mal …«, lenkt Linus scherzhaft ein. Sein Lachen ist offen und ehrlich.

Ich beobachte ihn, unschlüssig, wie ich mich verhalten soll. Im Krankenhaus haben sie mir das Essen hingestellt und sind danach wieder gegangen. Hier werde ich regelrecht bedient. Damit fühle ich mich nicht wohl. Ich habe keinen Knigge-Kurs besucht und null Ahnung, was auch immer man an Orten wie der elitären Westhoff-Klinik von mir erwartet. Immerhin scheint Linus nett zu sein. Womöglich ist er mein erster und einziger Verbündeter hier.

Er wendet sich wieder mir zu. »Brauchst du noch irgendwas? Wenn du bei deinem ersten Termin bist, komme ich noch mal vorbei, bringe dir dein Dekokt und schüttle das Bett auf.«

Ach so, man verabreicht mir an dieser Klinik Teedrogen beziehungsweise eine legale Sonderform. Sogenannte Abkochungen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin – ein ganzheitlich gedachter Heilungsansatz aus verschiedenen Techniken, der seit über dreitausend Jahren eingesetzt wird. Die Rezeptur eines Dekokts setzt sich hauptsächlich aus Pflanzenteilen zusammen, das habe ich schon recherchiert. Sie werden je nach ihrer Wirkung miteinander kombiniert. Aufgrund ihrer Komplexität stellen hier vor Ort ausschließlich speziell ausgebildete Ärzte ein Dekokt her.

»Du hast Glück«, verkündet Linus da fröhlich, als er ein bedrucktes Blatt neben meinem Tablett ablegt. »Nur zwei Termine heute. Körpertherapie, jetzt gleich um zehn, und heute Nachmittag Kohlwickel.«

»Kohl… was?« Mir fällt nichts ein, wofür das gut sein sollte.

»Hilft bei Gelenkschmerzen mit Überwärmung«, erklärt Linus im Vorbeigehen. Er lehnt sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und mustert mich, dann fragt er: »Und du spielst also für unseren Hauptstadtverein, ja? Den guten, hoffe ich doch? Den blauen?«

Mein Herz zieht sich sofort schmerzhaft zusammen. In Berlin existieren zwei große Vereine, einer befindet sich im Westen und der andere im Osten der Hauptstadt. Schon als kleines Kind entscheidet sich, für welchen Fußballverein das Herz schlägt, und spricht man einen Berliner später auf diesen an, so wird er stets mit fester Überzeugung die Existenz des anderen Lokalvereins leugnen.

»Im Moment spiele ich … gar nicht.« Um zu verhindern, dass Linus meinen verkniffenen Gesichtsausdruck bemerkt, setze ich mich an den Tisch und greife nach einem Löffel, um damit so lange im Tee zu rühren, bis sich ein Strudel bildet, auf den ich mich konzentrieren kann. »Normalerweise schlägt mein Herz aber für Blau, ja.«

»Wären sonst ein paar unangenehme Wochen geworden.« Er lacht. »Und was das Nicht-Spielen anbetrifft, das ändern wir so schnell wie möglich«, verspricht er und weckt damit einen Hauch Hoffnung in mir, den ich sofort von mir weise. Mittlerweile habe ich den Glauben an ein Wunder verloren. »Melde dich jederzeit, falls du etwas brauchst.«

Nickend hebe ich den Kopf, wenngleich ich leere Versprechen nicht mehr hören kann. Mir war immer bewusst, dass Verletzungen zum Sport dazugehören, aber wie zermürbend diese für den Verstand sein können, habe ich all die Jahre offensichtlich sehr gut verdrängt.

Mein Blick wandert unwillkürlich zum Kleiderschrank. Darin befinden sich meine Fußballschuhe. Sie lagen schon dort, als ich gestern ins Zimmer gekommen bin – eine subtile Erinnerung an das, was ich riskiere, falls ich nicht nach seinen Regeln spiele. War zu erwarten. Aber dass ich mich ausgerechnet wegen ein Paar Fußballschuhen noch schrecklicher fühle als eh schon, hätte ich nicht gedacht. Ich senke den Blick wieder auf den Tee. »Geht klar. Wenn ich auf die Toilette muss, rufe ich also einfach dreimal laut deinen Namen.«

Da Linus mir nicht sofort antwortet, schaue ich zu ihm. Offenbar ist er meinem Blick gefolgt, denn seiner ruht weiterhin auf der offenen Schranktür. Jetzt wendet er sich ab. »Oder falls du ein paar Bälle kicken magst«, sagt er mit einem Lächeln.

»Mal sehen«, murmle ich, weitaus weniger euphorisch als er.

»Wir kriegen dich wieder hin … versprochen.« Linus legt seine Hand auf die Türklinke, drückt sie runter. »Das ist ab heute dein Mantra, einverstanden? Solltest du irgendwen brauchen, der es dir täglich mehrfach wiederholt, kannst du mir ebenfalls sehr gern Bescheid geben.« Er zwinkert mir zu. Eine Geste, die aus dem Hauch Hoffnung einen kleinen Funken werden lässt. Ich bin hergekommen, damit es besser wird. Vielleicht gebe ich dem Ganzen erst mal eine Chance.

»Jetzt muss ich aber nach dem nächsten Patienten schauen. Der mürrische Greis von nebenan wird wütend, wenn er vom Frühstück zurückkommt und das Bett ist unordentlich. Oh, eine Sache habe ich noch vergessen: Die Kohlwickel bekommst du von jemand anderem – ebenfalls eine FSJlerin. Sie ist noch nicht lange an der Klinik, aber schon voll drin im Thema. Du kannst ihr also nicht weismachen, dass du von der Süßigkeiten-Regel ausgenommen bist.« Er schmunzelt, als er meinen Blick bemerkt. »Tja … alles schon vorgekommen.«

Linus geht und lässt mich verwirrt zurück.

Ich seufze und trinke ein Schluck Tee, der mittlerweile fast kalt ist. Dann hole ich mein Handy aus der Bademanteltasche, um meine Schwester anzurufen. Meine Finger haben schon ihren Kontakt angetippt, als ich mich bremse und das Handy auf den Behandlungsplan lege.

Leni ist bestimmt gerade irgendwo als Tourguide für das familiäre Reiseunternehmen in Deutschland unterwegs.

Ich könnte stattdessen meine Mutter anrufen. Nur dass … Mein Verhältnis zu ihr ist seit ein paar Monaten verdammt schwierig. Nicht so verworren wie die Beziehung zu allen anderen Beteiligten der großen Lüge, aber ausreichend angespannt, um ihre besorgte Stimme gerade nicht hören zu wollen.

Also checke ich die Fußball-News. Hertha BSC hat im Freitagsspiel 2:4 gegen Dortmund verloren, was abzusehen war. Bayern Münchens Topstürmer hat sich im Abschlusstraining schwer verletzt. Er fällt für mehrere Monate aus. Im Sport kann eine Verletzung das Karriereende bedeuten. Das passiert sehr häufig. Die Geschichte derer, die sich verletzen und den Sport deshalb an den Nagel hängen müssen, erzählt bloß niemand. Und ich hoffe, dass meine Geschichte nicht schon bald zu ihnen gehören wird.

Im Fußball gibt es selten eine zweite Chance. Kriegt man eine, sollte man sie auch nutzen.

Als ich mein Handy zur Seite legen will, blinkt eine Nachricht meiner Schwester auf. Ich muss lächeln. Zu ihr existiert immer noch eine Verbindung, die mir zu allen anderen mittlerweile fehlt. Sie ist die einzige Person, die mich nicht seit meiner Geburt belogen hat.

Leni: Hast du die erste Nacht in der Hölle überstanden, Bruderherz?

Ich bezeichne die Klinik als Hölle. Damit will ich vermeiden, dass irgendwer auf die Idee kommen könnte, dass ich mich hier mit Vergnügen aushalten lasse.

Gleich darauf leuchtet das Display erneut auf.

Leni: Du fragst dich sicher, was deine Fußballschuhe im Schrank zu suchen haben. Wirf einen Blick rein, aber verrate niemandem etwas davon. Große-Schwester-Pflichtaufgabe! J Ich hab dich lieb. Pass auf dich auf!

Ich lege mein Handy zurück aufs Tablett und stürze mich auf den Kleiderschrank. Hektisch reiße ich die Türen auf und ziehe meine Fußballschuhe vom Regal, deren Inhalt ich auf dem Bett verteile. Ich entdecke Kinderriegel, ein Überraschungsei, vegane Fruchtgummis und eine kleine Packung Oreos.

Fuck, Leni, du bist die Beste!

Wie erleichtert ich bin, dass sie meine Schuhe in den Schrank gestellt hat … und nicht er.

Vielleicht werde ich in ein paar Tagen bereuen, dass ich schon am ersten Morgen nicht standhaft bleiben konnte und die Fruchtgummis sofort gierig an meine Brust gepresst habe. Immerhin sind sie vegan, womit ich das Süßigkeitenverbot bestimmt nur zur Hälfte breche – oder zumindest mit einem guten Gewissen.

Ich haste zum Tisch, hole mein Handy und verstecke mich im Badezimmer.

Ich sperre die Tür ab, dankbar für das Schloss, dann klappe ich den Klodeckel runter und hocke mich hin. Unwillkürlich streift meine Hand dabei mein linkes Knie, das ich locker anwinkle und anschließend vorstrecke, was mir beides problemlos gelingt. Ohne Schmerzen.

Die Privatklinik ist auf so etwas spezialisiert, höre ich den Chirurgen in meinen Gedanken erklären, das Problem befindet sich ausschließlich in deinem Kopf, nicht in den Beinen.

Zähneknirschend reiße ich die Packung auf und stopfe mir gleich drei Gummitiere in den Mund. Das Badezimmer strahlt einen ebenso befremdlichen Prunk aus wie der Bereich rund ums Bett. Der Boden und die Wände sind mit schwarzem Marmor gefliest. Mir gegenüber befindet sich eine frei stehende Badewanne mit goldenen Füßen, die ich nur allzu gern gegen eine schlichte Dusche eintauschen würde. Mir fällt wenig ein, was mir unangenehmer ist, als mir wie heute Morgen die Haare auszuspülen – in einer Wanne auf einem Duschhocker sitzend, mit einer viel zu kurzen Brause in der Hand. Zwei weitere Fruchtgummis wandern in meinen Mund. Das gleichmäßige Kauen beruhigt mich.

Ich hangle nach meinem Handy, das ich auf dem Rand der Badewanne abgelegt habe, öffne die Kamera, strecke meinen Arm vor und fotografiere mich zusammen mit der halb leeren Fruchtgummipackung.

Jakob: Lieblingsschwester … J

Bis vor einem halben Jahr hätte Lenis Antwort keine zehn Sekunden auf sich warten lassen: Das ist nichts Besonderes, da du nur eine hast.

»Oh … verflixt noch mal! Gott, das tut mir leid!« Der Ausruf folgt einem Scheppern, das sogar gedämpft durch die Wand noch ohrenbetäubend laut ist.

Vorsichtig stehe ich auf, lege die Verpackung auf dem Rand der Badewanne ab und lasse mein Handy in der Bademanteltasche verschwinden. Dann verlasse ich mein Bad, gehe an meinem Bett vorbei zur Zimmertür, die ich mit Schwung aufdrücke und sie dabei fast einer jungen Frau gegen den Hintern donnere, die davor auf dem Boden kniet. Neben ihr liegt umgedreht ein weißes Tablett, daneben rollt ein Glas gerade bis an zwei zerbrochene Porzellantassen und die umgebenden Teepfützen heran, die allmählich in die Parkettfugen sickern.

Langes dunkles Haar fließt wie ein dichter Vorhang über den Rücken der Frau, sogar dann noch, als sie sich nach vorn beugt, um die Flüssigkeit mit Servietten aufzusaugen. Wie Linus trägt sie einen blauen Kasack – sie ist wohl auch fürs FSJ hier. Bestimmt die Neue, was sie zu einer weiteren Verbündeten machen könnte.

Einige der umliegenden Zimmertüren stehen offen, ein alter Mann lugt direkt gegenüber neugierig in den Flur und beäugt wie die übrigen Patienten das Chaos. Niemand greift der Frau unter die Arme, die nun dabei ist, das Porridge von der Wand neben sich zu kratzen. Dafür dreht sie sich ein wenig – einen weiteren Fluch auf den Lippen –, sodass ich ihr Profil betrachten kann.

Nein!

Mein Herz macht einen unerklärlichen Hüpfer und sackt dann rasend schnell ab. Ihre vollen Lippen, die dunklen Augen, ihre weichen Gesichtszüge. Jetzt ergibt auch das seidenglatte Haar einen Sinn.

Nein. Nein. Nein. Sie ist keine Verbündete, Junge. Definitiv. Nicht.

Ich spüre, wie mein Gesicht heiß anläuft, während ich behutsam zwei Schritte zurück in mein Zimmer setze, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, was sich ganz und gar falsch anfühlt. Ich sollte ihr helfen.

Aber das geht nicht. Ich kann nicht. Ich darf nicht.

Sie greift nach dem Glas, es entgleitet ihren zitternden Fingern. Ich zerre ein weiteres Mal an dem Gürtel meines Bademantels und hoffe gleichzeitig, dass irgendwer ihr endlich zu Hilfe eilt. Wo zur Hölle ist Linus?

»Junger Mann«, ruft stattdessen der alte Herr von gegenüber und senkt das Kinn nach unten. »Sie sind doch sicher ausreichend gelenkig, nun schauen Sie zu, dass Sie dem armen Mädchen helfen.«

»Ich … äh …«, stammle ich.

»Alles gut, ich krieg das hin.« Sie dreht sich zu mir und lächelt, runzelt aber sofort die Stirn, als sie mich erkennt. Ihre Lippen bewegen sich und ich meine, ein »Jake« davon ablesen zu können. Ich schaue weg, zerre erneut an dem verflixten Bademantelgürtel.

»Na, er wird Ihnen doch zur Hand gehen können«, kräht es von gegenüber.

Ich schüttle den Kopf, dabei trifft mein Blick ungewollt auf ihren und ihr Stirnrunzeln verstärkt sich. Sie erwartet eine freundliche Begrüßung, die ich ihr nicht geben kann, weil es sich für mich gerade so anfühlt, als hätte ich den Kopf beim Luftholen unter Wasser getaucht.

Unschlüssig fährt sie sich durchs Haar, das dadurch über ihre Schultern nach vorn fällt und ihr herzförmiges Gesicht umrahmt.

»Mein Knie … sorry. Ich … ich habe Schmerzen.«

Sie nickt, ihr Blick huscht auf die nackte Stelle an meinem linken Knie. Um die Narbe wachsen keine Haare mehr, was ein besonders auffälliger Kontrast ist, da meine Beine aktuell eher blass sind, die feinen Härchen darauf jedoch genauso dunkel wie die auf meinem Kopf.

Sie zögert einen Moment, dann gibt sie sich sichtbar einen Ruck und widmet sich wieder den wenigen Sachen, die noch vor ihr verstreut auf dem Boden liegen.

Was zur Hölle hat sie hier zu suchen?

»Das ist ja unerhört«, poltert der Alte los. »Also früher …«

Ich blende seine Stimme aus.

Früher waren wir unzertrennlich.

Früher hätte ich ihr sofort geholfen.

Doch im Frühjahr habe ich etwas erfahren. Etwas, das alles verändert hat.

»GREYS ANATOMY« HAT RECHT, DENN »BEING AWARE OF YOUR CRAP AND ACTUALLY OVERCOMING YOUR CRAP« SIND ZWEI VOLLKOMMEN UNTERSCHIEDLICHE DINGE.

Beth

Ich gebe die Teemischung fahrig in kaltes Wasser. Darin muss sie, glaube ich, eine halbe Stunde ziehen, ehe sie aufgekocht wird und als Dekokt endet. Es ist erst meine zweite Woche als FSJlerin in der Westhoff-Klinik.

Linus hat mir die einzelnen Schritte des aufwendigen Kochprozesses, der ins Aufgabengebiet der FSJler fällt, schon zweimal erklärt, aber ich kann mich nur noch an den unangenehmen Geruch erinnern, weil er mir gerade wieder in die Nase steigt. Ich muss schlucken.

»Keine Sorge, an den Gestank gewöhnst du dich schon noch.« Linus lächelt und verschließt den Topf mit einem Deckel. »Wenn du eine Abkochung zubereitest, dann muss da immer ein Deckel drauf, okay? Sonst verflüchtigen sich die ätherischen Öle, die den medizinischen Wert vieler Pflanzen und Wurzeln ausmachen. Hast du einen Blick auf die hintere Herdplatte? Das Dekokt müsste gleich kochen. Danach lässt du es so lange köcheln, wie es auf der Verpackung vermerkt ist.«

Ich nicke, aber ob mein Kopf es diesmal auch abgespeichert hat, kann ich nicht garantieren. Das Einzige, das mich seit heute Morgen beschäftigt, ist Jakob.

Ich kenne ihn seit meiner Kindheit. Seine Schwester Leni kümmert sich mittlerweile wieder um eines meiner zwei Pferde, nachdem sie ein paar Jahre keine Zeit für Akira hatte. Früher waren Jakob und ich beste Freunde, und obwohl wir uns mit der Zeit in zwei völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt und immer seltener gesehen haben, war es zwischen uns nie schräg. Seit unserer Begegnung vor wenigen Stunden habe ich nur leider das mulmige Gefühl, dass sich daran etwas geändert haben könnte. Jakob wirkte regelrecht schockiert.

»Beth! Der Absud …«

»Oh«, bringe ich hervor und greife hastig nach einem Handtuch, um damit die Flüssigkeit von der Herdplatte zu wischen, die hauptsächlich aus stinkendem Schaum besteht. »Es tut mir leid, ich war gerade nicht ganz bei mir.«

Linus seufzt leise, als ich ihm das vollgesogene Handtuch reiche, welches er mit einem gezielten Wurf ins Waschbecken befördert. »Das Tuch war eigentlich für die Kohlwickel deines Patienten vorgesehen. Deshalb lag es auch neben dem Waschbecken. Die Reinigungs-Handtücher befinden sich auf dem Stapel hier drüben. Wir verwenden sie mehrfach und sie sind kleiner als jene, die wir für die Anwendungen benötigen. So kannst du sie auseinanderhalten.«

Er schenkt mir ein Lächeln, das mich wohl beruhigen soll. Blinzelnd versuche ich, es zu erwidern. »Diesmal merke ich es mir hoffentlich.«

»Anfangs hatten wir alle unsere Probleme. Ich bin ehrlich gesagt total begeistert von dir! Eigentlich ist jeder zu Beginn des FSJ völlig blank, aber du hast Anfang der Woche nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als ich dich unten im Massageraum darum gebeten habe, mir die Moxa-Zigarre zu reichen. Ich bin heilfroh, dass du so kurzfristig für den anderen FSJler einspringen konntest. Der Typ hat mich schon während des Einführungsseminars Anfang September Nerven gekostet. Mit ihm wäre die Spendenball-Nummer definitiv an mir hängen geblieben, und glaub mir, ich kann diese Schnösel-Scheiße nicht ausstehen. Wäre also ein Desaster geworden.« Linus vollführt eine Art Drehung und spreizt dabei elegant seine Finger. »Ich möchte Kaviar, Herr Linus … Reichen Sie mir den Champagner!« Er lacht. »Danke jedenfalls, dass du mir den ganzen Mist ersparst. Kennst du dich bei den goldgepuderten Kaviarnasen aus?«

»Geht so«, schwindle ich.

Der jährliche Spendenball der Ärztekammern, für den meine Mutter großes Interesse hegt, findet Ende Oktober in der Privatklinik statt. Die Gala wird von den Berlenbachs organisiert – eine Arztfamilie aus Berlin, zu deren engstem Kreis ich bis vor Kurzem gehörte.

Wie es die Tradition verlangt, hilft ein hiesiger FSJler bei den Vorbereitungen – dafür habe ich mich freiwillig gemeldet.

Denn eigentlich sollte ich gerade an der hochgelobten Universität in St. Andrews Zahnmedizin studieren. Meine Eltern nehmen an, dass ich das FSJ freiwillig meinem Studium vorziehe. Was nicht stimmt. Es hätte ihnen auffallen müssen, dass die Entscheidung zur sozialen Arbeit doch recht unerwartet und spontan kam. Doch sie sind im Moment anderweitig beschäftigt.

Mein Vater ist ein bekannter Zahnmediziner. Dr. Smile, der Zahnarzt der Stars und Sternchen, betitelte ihn vor Kurzem eine bekannte Berliner Lokalzeitung. Er schert sich allerdings wenig um die zunehmende Bekanntheit und bietet weiterhin kostenlose Vorsorgeuntersuchungen für Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen an, wofür ich ihn sehr bewundere.

Das soziale Bewusstsein teilt er sich mit dem Präsidenten der Bundeszahnärztekammer. Dieser hat ihn aus diesem Grund für die Wahl zum Vizepräsidenten vorgeschlagen. Sie wird in einigen Wochen im Rahmen der Spendengala ein vorherrschendes Thema sein, weshalb meine Mutter kurz davor ist, ihren Verstand zu verlieren. Dass nun ausgerechnet ihre Tochter im Veranstaltungskomitee des großen Berlenbach-Showlaufens sitzt, gefällt ihr so unglaublich gut, dass sie meinen spontanen Kurswechsel bisher fast kommentarlos akzeptiert hat. Für meine Mutter ist das eine große Besonderheit. Normalerweise ist es eine Art Hobby von ihr, sich ununterbrochen in meine Lebensentscheidungen einzumischen. Ich befürchte den Grund für ihre Zurückhaltung zu kennen: Jonathan Berlenbach.

Sie kann einfach nicht akzeptieren, dass ich mich von diesem schrecklichen Kerl getrennt habe. Sie vergöttert die Berlenbachs, was sich schon immer meinem Verständnis entzogen hat – sie sind aufdringliche Menschen, herrisch und eine hervorragende Vorlage für Linus’ Parodie.

Jedenfalls ist Jonathan die einzige Schwachstelle in meinem sonst fehlerfreien Studienlüge-Ablenkungsmanöver. Leider habe ich sie erst zu spät identifiziert. Dass sein stinkreicher und wohltätiger Vater kräftig im Veranstaltungskomitee der Spendengala mitmischt, war mir klar, aber dass Jonathan in diesem Jahr die stellvertretende Veranstaltungsleitung innehaben wird und ich somit seinen Anweisungen Folge leisten muss … darauf hätte ich echt verzichten können. Denn bisher krümmt der Arsch keinen Finger. So war es schon immer. Hauptsache, im Rampenlicht stehen und andere, in diesem Fall mich, die Arbeit machen lassen.

Wenigstens habe ich ihn so ein wenig im Blick und kann eingreifen, falls er zu redefreudig werden sollte.

»Beth? Hallo? Kannst du mir bitte den Kohl aus dem Kühlschrank reichen?«

»Äh, ja. Klar.« Ich muss mich nur zur Seite beugen, um die Tür zu öffnen. Die Küche ist winzig und einer der wenigen Räume im Gebäude, die zweckgemäß eingerichtet sind. Eigentlich gibt es neben der Kochecke mit Kühlschrank und Zubereitungsfläche nur noch einen Schreibtisch, der in der gegenüberliegenden Ecke neben dem Apothekerschrank steht, zu dem FSJler keinen Zugriff haben.

Ich stelle mich auf Zehenspitzen, um den Teller zu erreichen, der im obersten Fach liegt. »Die Küche ist nicht gerade für kleine Menschen ausgerichtet«, stelle ich fest und hebe den Teller vorsichtig über meinen Kopf vom Kühlschrank auf die Arbeitsfläche.

Acht frisch gezupfte Kohlblätter liegen auf der runden Keramik. »Was machen wir jetzt damit?«

Ich muss meine Verwirrung nicht spielen, mir fällt wirklich kein einziger Grund ein, warum sich jemand freiwillig stinkendes Gemüse auf die Haut pressen lassen sollte.

»Diese Schönheiten«, beginnt Linus verschwörerisch und öffnet eine der Schubladen, um ein Nudelholz daraus hervorzuholen, »werden wir jetzt erst einmal hiermit platt quetschen, damit der Saft austritt.«

Mein Vater meint, dass man an meinen Augen sehen kann, wenn ich zu schockiert bin, um etwas zu sagen, und anscheinend stimmt das, denn Linus lacht, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkt. »Ich weiß … der arme Kohl. Die Blätter legst du dem Patienten später dachziegelartig auf die betroffene Körperstelle. Hat dir schon jemand erklärt, wie du sie im Anschluss mit einem Auflagen- und Mitteltuch befestigst?«

Glücklicherweise walzt Linus bereits die Kohlblätter, sonst hätte er die Fragezeichen auf meinem Gesicht sehen können, die sich verdoppelt haben.

»Logo«, lüge ich, weil ein Blick auf die Uhr mich annehmen lässt, dass Linus gerade absichtlich länger bleibt, um mir all das zu erklären. Es ist halb drei. Eigentlich endet seine Frühschicht um zwei. Meine Zwischenschicht geht zwei Stunden länger. Ich will nicht, dass Linus wegen mir Überstunden macht, die ein FSJler nicht bezahlt bekommt. Seit Tagen geht das nämlich schon so und allmählich ist es mir etwas unangenehm. Es ist nur Kohl, was soll da schon schiefgehen?

»Was mache ich noch mal, wenn die beiden Tücher befestigt sind?«, frage ich noch und hoffe, dass ich mich damit nicht verrate.

»Du schnappst dir eine elastische Binde und umwickelst den entsprechenden Körperteil so lange, bis alles gut fixiert ist.« Linus streckt sich, um an einen der oberen Schränke zu gelangen, aus dem er die passenden Tücher und Binden holt, die er auf einer weißen Schale ablegt, auf der sich der gewalzte Kohl befindet. »Du hast übrigens recht«, fügt er an und zwinkert mir zu. »Die Küche ist definitiv nicht auf deine Größe abgestimmt.«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er sich die Hände im Waschbecken wäscht, ehe er sie an seinem Kasack abtrocknet und ein Gähnen unterdrückt.

»Tut mir leid, dass du wegen mir Überstunden machen musst«, erwidere ich schnell, woraufhin Linus den Kopf schüttelt.

»Erstens schulde ich dir eine Million Gefallen, da du mir den Spendenball-Wahnsinn ersparst, und zweitens kommt mich heute mein Freund abholen, und den kann ich noch nirgendwo entdecken.« Er stellt sich neben mich und verpasst mir einen leichten Stoß mit der Schulter. »Wie auch immer, dein Kohl-Termin wartet auf dich. Stehst du auf gut aussehende Fußballspieler?«

Ich verschlucke mich beinahe an meiner eigenen Spucke. Ein Fußballspieler? Muss ich ernsthaft Jakob stinkende Kohlwickel verpassen oder ist mir das Schicksal heute ausnahmsweise gnädig? Leider hat es nämlich seit ein paar Wochen nur selten Erbarmen mit mir.

»Ich bin hergekommen, um etwas zu lernen«, erkläre ich in professionell sachlichem Ton, ehe ich das Grinsen auf Linus’ Gesicht sehe und nicht verhindern kann, dass ich prompt erröte. Er hat wohl keine Antwort erwartet.

»Du würdest aber auch nicht Nein sagen?«

Ein verräterisches Kichern entkommt mir, bevor ich darüber nachdenken kann, warum, um alles in der Welt, ich Linus’ Nachfrage eben ernst genommen habe. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es gegen die Regeln wäre, etwas mit einem Patienten anzufangen. Verrat mir lieber, ob ich irgendetwas bei ihm beachten muss.«

»Ich verstehe«, meint Linus und grinst noch breiter. »Er ist okay, wirklich. Definitiv kein Grapscher – sonst würde ich dich nicht zu ihm schicken. Er ist erst gestern angekommen und wirkt überfordert – auf eine Golden Retriever-Art. Ich bin mir sicher, dass ihm deine vertrauenerweckende Ausstrahlung guttun wird. Hier!«

Er reicht mir die Schale, auf der sich die Kohlblätter, Binden und Tücher befinden.

»Danke. Du warst also schon bei …?«

»Jakob«, bestätigt Linus meine Befürchtung. »Er ist wirklich nett. Er steht nur offensichtlich ziemlich unter Druck. Ich glaube, du musst ein Auge darauf haben, ob er irgendwo Süßigkeiten versteckt. Passiert ständig.«

»Verständlich«, gebe ich zu. »Wenn mir jemand Schokolade entzieht, würde er es nach einem Tag bereuen.«

»Wozu der ganze Aufwand einer ganzheitlich basischen Ernährung und gefühlt Millionen Therapiestunden, nur um sich abends eine Tafel Schokolade in den Mund zu stopfen, deren hoher Zucker- und Fettgehalt alles zunichtemacht?« Linus deutet mit dem Kinn kopfschüttelnd hoch zur Uhr, und ich merke, wie mein Herz augenblicklich schneller schlägt.

Jedes Pulsieren nährt meine Angst davor, einen längst verdrängten Schmerz zu reaktivieren, wenn ich Zeit mit Jakob verbringe und mich daran erinnere, wie sehr ich ihn früher mochte. Und wie schlimm es für mich war, dass er meine Gefühle für ihn nie erwidert hat.

Ich atme einmal tief durch. Wenn ich mich jetzt nicht auf den Weg in den zweiten Stock mache, komme ich wirklich zu spät. Entweder ich kneife und reiche die Kohlschale zurück an Linus oder ich kriege es hin. Ohne Erinnerungen an meine Jugend, ohne uralte, verblasste Emotionen. Ich behandle Jakob mit Kohl. Daran ist nichts, aber auch ganz und gar nichts sexy.

Als ich das begreife, fühle ich mich leichter. Jakob hat keine Ahnung, wie sehr ich für ihn schwärmte. Er ist nur ein alter Bekannter, dem ich gleich stinkendes Gemüse auf den Körper legen werde. Mehr nicht.

Ich gebe mir einen Ruck, verabschiede mich von Linus und gehe aus der Küche am Aufenthaltsraum für Pflegekräfte vorbei bis zur Treppe, die hoch in die oberen Stockwerke führt.

Kaum bin ich im zweiten angekommen, vibriert mein Handy in der Hosentasche. Das Foto meines Vaters nimmt den gesamten Bildschirm ein. Dass er genau jetzt anruft, ist so typisch. Manchmal glaube ich, er kann meine Gedanken lesen, weil er sich beinahe jedes Mal meldet, wenn ich zu intensiv über etwas nachgrüble.

»Hi, Paps. Ich bin gerade unterwegs zu einem Patienten.«

»Lässt man meine Tochter also bereits auf unschuldige Menschen los?« Er lacht leise. »Nur ein Spaß, Schatz. Ich finde das, was du da tust, richtig gut. Du weißt, wie sehr ich dein soziales Engagement begrüße. Es ist ein Traum, dass du beim Spendenball mitwirken wirst, der mir so viel bedeutet. Nun … ein wenig Kopfschmerzen bereitet es mir allerdings schon, dass du nur dafür deine Bewerbung an einer sehr, sehr guten Universität zurückgezogen hast.«

Was nur die halbe Wahrheit ist. Es wäre für mich niemals infrage gekommen, meine Bewerbung an der St. Andrews University zurückzuziehen, wäre dies nicht unumgänglich gewesen. »Ich unterstütze dich sehr gern. So ein Studium kann doch warten! Außerdem meintest du ja, dass sich der Vorsitzende der Zahnärztekammer sozial engagiert. Er wird es sicher begrüßen, wenn dein Töchterchen eine ebenso soziale Ader besitzt, nicht wahr?«, lenke ich von meinem schlechten Gewissen ab.

»Da bin ich mir sehr sicher, Schatz«, erwidert er und das warme Lächeln, das fast immer seine Gesichtszüge dominiert, schwingt in seiner Stimme mit. »Wie kommt ihr denn bisher zurecht?«

»Ganz gut«, lüge ich. »Im Moment kümmere ich mich um die musikalische Begleitung des Abends. Das ist richtig spannend!«

»Wie schön. Dass Jonathan und du die Wohltätigkeitsveranstaltung trotz ›der Sache‹ gemeinsam angehen wollt, beeindruckt mich übrigens sehr.«

Meine Mutter nennt es »die Sache«. Dass Papa ihre Wortwahl gerade übernimmt, stört mich. Es klingt, als wäre die Trennung nur ein peinlicher Fauxpas meinerseits, den es zügig wieder geradezubiegen gilt.

»Ich bin stolz auf dich, mein Schatz«, bremst Papa meine Gedanken und mildert damit die Wut, die jedes Mal in mir hochkocht, wenn ich Jonathans Gesicht innerlich vor Augen habe. »Ich möchte nur nicht, dass du die ganze Planung am Ende allein übernimmst und Jonathan die Lorbeeren kassiert, nur weil du in der Organisationshierarchie unter ihm stehst. Ich kenne dich doch. Wenn du dich erst einmal einer Sache angenommen hast, ist dein Ehrgeiz nicht mehr zu bremsen.«

»Ich kriege das schon alles hin.« Ich löse mich von der Wand, an die ich mich während des Telefonats gelehnt hatte. In großzügigem Abstand zu Jakobs Zimmer bleibe ich stehen und werfe einen Blick auf die Uhr. Wegen Dad bin ich jetzt zehn Minuten zu spät. »Aber ich muss jetzt wirklich los.«

»Kein Problem. Was erwartet deinen ersten Patienten? Moxa, Schröpfen oder bringst du ihm etwas Yoga bei?«

»Kohlwickel«, erkläre ich und gehe langsam den Gang entlang. »Mal sehen, ob Jakob mich nicht sofort wieder rausschickt, wenn er die Teile nur riecht.«

»J-Jakob?« Mein Vater wirkt kurz durcheinander, was ich von ihm so gar nicht kenne.

»Ja. Wusstest du, dass er Patient in der Klinik ist?«

»Nein.« Sein Nein lässt keine Rückfragen zu. Und das irritiert mich. Mein Vater arbeitet ehrenamtlich in der Jugendbetreuung des Vereins, in dem Jakob bis vor Kurzem noch als Top-Talent galt. Sollte er nicht über einen Klinikaufenthalt Bescheid wissen?

»Es gab nach Jakobs Verletzung einige Meinungsverschiedenheiten zwischen Bernd und mir«, erklärt mein Vater wie aufs Stichwort, der Klang seiner Stimme noch immer gestelzt. »Daher besteht kaum mehr Kontakt zu seiner Familie.«

Sofort habe ich ein Bild von Jakobs Vater vor Augen – braunes Haar wie er, Brille und immer ein warmherziges Lächeln auf den Lippen. Bernd ist seit der Studienzeit eng mit meinem Dad befreundet, zumindest war er das, wenn ich Papas Worten Glauben schenken darf.

Mit Jakobs älterer Schwester Leni hatte ich nie viel zu tun, außerhalb der üblichen Gespräche auf dem Reiterhof.

Ich weiß noch, dass ich meinen Vater Anfang des Jahres zufällig nachts in seinem Büro beobachtet habe. Er saß vornübergebeugt an seinem Schreibtisch, sein Gesicht auf den Armen gebettet. Neben ihm stand eine angebrochene Flasche Whisky und ein leeres Glas. Dad trinkt eigentlich keinen Alkohol. In seiner Hand hielt er irgendetwas fest, das ich nicht erkennen konnte. Am nächsten Tag erinnerte jedenfalls nichts mehr an ihm an meine seltsame Beobachtung, und weil ich ihn danach nie mehr wieder so niedergeschlagen erlebt habe, habe ich auch nicht weiter nachgefragt.

Ob der Kontaktabbruch der Grund für Papas schlechten Tag war?

»Ich habe seit Jakobs Kreuzband-OP nicht mehr mit ihm gesprochen«, holt mein Vater gerade weiter aus. »Aber, nun … Womöglich bist du ein wenig befangen, was ihn betrifft?«

»Papa! Das ist doch Jahre her!« Dass er sich überhaupt daran erinnert. Ich habe meine Schwärmereien für Jakob allerhöchstens mal am Rande erwähnt.

Mein Vater seufzt leise. »Du hast recht. Bitte entschuldige. Ich hab’s schon verstanden! Ich mische mich nicht weiter in deine Angelegenheiten ein. Du bist erwachsen. Das vergesse ich nur hin und wieder …«

Eigenartigerweise verunsichert mich sein Vertrauen mehr als die Skepsis zuvor. Ich hätte meine Eltern niemals wegen St. Andrews belügen dürfen. Jetzt ist mir sogar das Vertrauen meines Vaters unangenehm, weil es mir so vorkommt, als verdiente ich es nicht mehr. Warum zur Hölle habe ich die Kontrolle verloren? Und wieso habe ich ernsthaft darauf vertraut, dass Jonathan auf mich aufpassen würde?

»Wir hören uns, Paps. Ja?«

»Viel Erfolg beim Kampf mit dem Kohl.«

Er legt auf und ich starre für einen Moment reglos auf Jakobs geschlossene Zimmertür. Das dunkle Holz glänzt im künstlichen Licht der Deckenbeleuchtung. Ich frage mich, ob es erst jüngst poliert wurde.

Die Klinik macht mich seltsam ehrfürchtig. Ich muss daran denken, wie ich mir bei den Schilderungen meines Vaters immer vorgestellt habe, dass sie wie das Krankenhaus in Grey’s Anatomy oder New Amsterdam aussieht. Die Westhoff hingegen ähnelt jenem Ort, wo ich eigentlich in diesem Augenblick sein sollte: der St. Andrews University. Nur dass ich mich dort erst einmal nicht mehr blicken lassen kann.

Ein paar Sekunden erlaube ich mir die Wut, die erneut in mir aufwallt, dann erst räuspere ich mich leise und schlage zur Sicherheit schon einmal in Gedanken einen freundlichen Ton an, damit ich gleich nicht unangebracht bitter klinge. Ich lehne mich vor, um an Jakobs Tür zu klopfen, und … bremse mich.

»GILMORE GIRLS« HAT RECHT, DENN NUR WEIL »I’M ATTRACTED TO PIE«, MUSS ICH DEN KUCHEN JA NICHT SOFORT UM EIN DATE BITTEN.

Beth

Stehe ich vor dem richtigen Zimmer?

Ich werfe einen Blick auf das Messingschild links neben dem Türrahmen und vergewissere mich dreimal, ob es Jakobs Name ist, der auf einen weißen Papierstreifen geschrieben und unter das kleine durchsichtige Stück Plastik geschoben wurde. Ich hoffe, ich habe mich eben verhört, weil es nicht sein kann, dass Jakob so einen skurrilen Musikgeschmack hat. Abermals beuge ich mich nach vorn, nur dass ich diesmal mein Ohr an das Holz lege, um zu lauschen.

Im ersten Moment bin ich zu perplex, als die gedämpften Klänge von Wannabe zu mir durchdringen, dann erst gelingt es mir gerade noch, ein Lachen mit der freien Hand zu unterdrücken. Wer hört denn heute noch die Spice Girls?

Kichernd klopfe ich an die Tür, woraufhin die Musik dahinter sofort verstummt.

»Die Kohlwickel«, kündige ich mich an, doch erst nach einer kurzen Pause, in der ich vergebens auf eine Antwort warte, lege ich die freie Hand auf die Klinke und drücke sie hinunter. »Darf ich reinkommen?«, vergewissere ich mich. Eine weitere Pause. Dann ein dumpfes Poltern.

»Ja … Babette. Es wäre mir eine Ehre, wenn ausgerechnet du mir Kohl aufs Knie klatschen würdest.«

Ich muss grinsen, obwohl ich es eigentlich nicht ausstehen kann, wenn mich jemand mit vollem Namen anspricht. Das tut normalerweise nur meine Mutter. Es ist fast unmöglich, meine Gesichtsmuskeln wieder unter Kontrolle zu kriegen, als ich das Zimmer schließlich betrete, weshalb ich zur Ablenkung den Raum überblicke.