Die Nordlicht-Saga 2: Fate and Ice - Ivy Leagh - E-Book
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Die Nordlicht-Saga 2: Fate and Ice E-Book

Ivy Leagh

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Beschreibung

**Die packende Liebesgeschichte des SPIEGEL-Bestsellers »Fate and Fire« geht weiter**
Marc und Emma sind wie Feuer und Eis. Zwei Pole, die sich abstoßen und doch unwiderruflich zusammengehören. Und das obwohl in Emma eine ungeahnte und gefährliche Macht schlummert, die Marcs Welt retten oder … ein für alle Mal zerstören kann. 
Doch ein Schicksalsschlag verändert alles und Emma kann die Augen nicht mehr vor der Wahrheit verschließen. Sie muss sich entscheiden: zwischen dem, was sie liebt, und dem, was für sie bestimmt ist.

Der atemberaubende zweite Band der Romantasy-Serie von Bestsellerautorin Ivy Leagh entführt in eine magische Welt rund um geheimnisvolle nordische Mythologie, grenzenlose Bücherleidenschaft und eine ungewöhnliche Liebe, die in höchster Gefahr schwebt. Herzklopfen, Gänsehaut und Marmeladenglas-Momente inklusive!

Das sagt SPIEGEL-Bestsellerautorin Beril Kehribar über »Fate and Fire«:
»Ein atmosphärisches Setting, ein heißer Book-Boyfriend und eine kleine Prise Humor: Ivy Leagh hat hier ein absolutes Lese-Highlight mit Suchtpotenzial geschaffen!« 


//Dies ist der zweite Band der Reihe »Die Nordlicht-Saga«. Alle Romane der magisch-romantischen Liebesgeschichte im Loomlight-Verlag:
-- Band 1: Fate and Fire
-- Band 2: Fate and Ice//

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Seitenzahl: 613

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Das Buch

Die packende Liebesgeschichte des SPIEGEL-Bestsellers »Fate and Fire« geht weiter

Marc und Emma sind wie Feuer und Eis. Zwei Pole, die sich abstoßen und doch unwiderruflich zusammengehören. Und das obwohl in Emma eine ungeahnte und gefährliche Macht schlummert, die Marcs Welt retten oder ... ein für alle Mal zerstören kann. Doch ein Schicksalsschlag verändert alles und Emma kann die Augen nicht mehr vor der Wahrheit verschließen. Sie muss sich entscheiden: zwischen dem, was sie liebt, und dem, was für sie bestimmt ist.

Die Autorin

© privat

Ivy Leagh, geboren 1992, braucht bloß drei Dinge: Reisen, Koffein und das Schreiben. Nachdem sie eine Weile als freie Journalistin in Berlin und London kostenlos Konzerte besuchen und Stars interviewen durfte, verbringt sie mittlerweile ihre freie Zeit neben dem Literaturstudium lieber damit, an ihren Geschichten zu feilen. Ihrer Liebe zu Großstädten gibt sie inzwischen nur noch während ihrer Reisen nach; sie lebt wieder in ihrer Heimatstadt Würzburg.

Ivy Leagh auf Instagram: https://www.instagram.com/ivyleagh.books/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher und Autoren auf: www.thienemann-esslinger.de

Loomlight auf Instagram: https://www.instagram.com/thienemannesslinger_booklove

Viel Spaß beim Lesen!

Ivy Leagh

Die Nordlicht-SagaFate and Ice

Für meine Leser:innen.

Ihr habt meinem Debütroman eine Reise ermöglicht, wie ich sie mir in meinen wildesten Träumen nicht hätte ausmalen können.

Danke, aus tiefstem Herzen danke.

Die Möglichkeit, dass Träume wahr werden können, macht das Leben erst so richtig ... beschissen.

Marc

Kaum ist Tay aus dem Wagen ausgestiegen, marschiert er auf die Akademie zu. Doch nach kurzer Zeit bleibt er plötzlich stehen. Er dreht seinen Kopf und schaut über die Schulter zurück zu mir, seine Stirn in Falten gelegt.

»Was?«, flüstere ich. »Was hält ihn davon ab, reinzugehen?«

Tay kann mich trotz der Distanz mit Sicherheit hören, doch er antwortet nicht, und einen Moment später kenne ich den Grund dafür.

Aus dem Nichts flammen Lichter um ihn herum auf: Rot, Blau, Grün. Ich zähle in Gedanken bis drei, und Tay liegt am Boden. Sein Körper bäumt sich gegen die Schmerzen auf, die ihm das Licht anscheinend zufügt.

»Tay!«, schreie ich ...

... und reiße einen Moment später die Augen auf.

Leise fluchend presse ich beide Hände auf die gefrorene Erde. Das war ein verdammt realistischer Traum. Einer, der jederzeit wahr werden kann, wenn Emma entgegen meiner eindringlichen Warnungen entscheidet, die Myx-Akademie aufzusuchen.

Es ist verblüffend, dass in meinem Traum ausgerechnet Tay mein Verbündeter war. Er ist der Einzige, der kompromisslos dagegen ist, Emma um jeden Preis zu beschützen. Caul-der und Faey kann ich nicht einschätzen. Bei ihnen hängt es vermutlich davon ab, was nach dem Kampf mit Kara vor acht Wochen noch alles auf uns zukommen wird. Tay hingegen hat sich bereits entschieden. Zumindest bin ich immer davon ausgegangen.

Nun, es war nur ein Traum, mehr nicht. In der Realität werde ich hoffentlich nicht auf Tays Rückendeckung angewiesen sein.

Mein Handy vibriert, während ich über die wenigen Argumente grüble, die Emma davon überzeugen könnten, auch weiterhin einen großen Bogen um die Akademie zu machen. In jeder dieser Vorstellungen greife ich in ihren Willen ein. Das kommt nicht infrage. Ich kann Emma inständig darum bitten, sich von der Myx-Akademie fernzuhalten, sie aber nicht davon abhalten, die Wahrheit über sich herausfinden zu wollen. Letztlich ist das allein ihre Entscheidung, ob mir das gefällt oder nicht.

Tja, meine Existenz als Walküre ist in den letzten Monaten alles andere als eintönig gewesen.

Und der Anrufer sorgt dafür, dass es weiterhin aufregend bleibt. »Was willst du?«, knurre ich und gebe mir keine Mühe, freundlich zu klingen.

Das Gespräch dauert nur wenige Sekunden, ehe der Anrufer auflegt. Verdammt.

Das funktioniert so nicht. Es muss doch eine Möglichkeit geben, den anderen Walküren die Wahrheit zu sagen. Oder zumindest Emma. Ich will mich nicht von einer einzelnen Entscheidung leiten lassen, die ich im Affekt getroffen habe. Ich kann einen anderen Weg beschreiten. Es gibt eine Wahl, selbst für mich.

Es muss einfach so sein.

Was man eben träumt, wenn Abschlussball und der eigene Tod auf denselben Tag fallen könnten

Gerade noch habe ich in Marcs Armen über den langen Tag gemurrt, der mir morgen bevorsteht, und im nächsten Augenblick schaue ich auf ein fensterloses Backsteingebäude. Davor wächst eine ausgetrocknete Wiese. Ein dunkles Gewirr von Gestalten huscht entlang eines schmalen, unbefestigten Pfades auf eine der massiven Wände zu, bis sie ruckartig vor dem unscheinbaren Gebäude stehen bleiben. Als ertöne von irgendwoher ein Glockenschlag, den nur sie hören können, atmen die Unbekannten im selben Takt ein und aus. Ihre in aschfarbene Umhänge gehüllten Körper heben und senken sich, und aus dem Nichts ist die Menge von dicht waberndem Nebel umgeben.

Der hätte mich ängstigen müssen, so viel steht fest. Denn die Erinnerungen an Kara, jene Walküre, die mich vor acht Wochen angegriffen hatte und töten wollte, ist noch viel zu frisch.

Doch der Dunst umschwirrt einzig jene, die vor dem Gebäude noch immer wie erstarrt warten. Sie sind gebannt von etwas, das meinen menschlichen Augen aus der Entfernung verborgen bleibt.

Zischend schießt der Nebel jetzt urplötzlich in die Höhe, nur um kurz darauf im aufgeregten Geflüster der Anwesenden erneut durch die Reihen umhüllter Gestalten zu wabern. Wie ein pechschwarzer Heiligenschein sammelt er sich um die Menge herum, zieht düstere Kreise. Enger und enger.

Da bewegen sich die wispernden Gestalten abermals im Gleichschritt nach vorne. Wie Krieger marschieren sie nun ohne Zögern auf die unscheinbare Wand zu ... und im nächsten Moment verschwindet einer von ihnen unmittelbar vor meinen Augen.

Ich kann nicht anders, als meine geschützte Position aufzugeben und mich näher an die Unbekannten heranzuschleichen. Vorsichtig krieche ich in geduckter Haltung zwischen zwei hochgewachsenen Fichten hindurch, halte mich dabei am Rand der ausgetrockneten Wiese. Wieder hält eine der Gestalten entschlossen auf die Wand zu, gleitet dann aber zu meiner Überraschung nach unten. Es ist, als wäre zwischen der dicht gedrängten Menge und der Wand eine Art Gully im Boden eingelassen worden, dessen Deckel jemand zur Seite geschoben haben muss, damit die Unbekannten problemlos durch seine Öffnung hindurchkönnen.

Erst als eine weitere Gestalt im Nichts verschwindet, mit seiner Umgebung zu verschwimmen scheint, begreife ich, dass es der dichte Nebel ist, der in Wellen aus der Öffnung nach oben strömt, mit dem sich die Wesen vereinen. Für einen winzigen Moment glaube ich, dass sie zusammen mit dem Nebel weggesaugt werden ...

Ein unwiderstehlicher Drang, auf sie zuzurennen, überkommt mich. Als wäre dort mitten unter ihnen etwas, das es vor dem Nebel zu schützen gilt. Oder jemand.

Auf ein weiteres stilles Kommando hin dreht sich die vorderste Reihe geschlossen nach hinten um. Ein Zischen durchzuckt die Atmosphäre. Für einen Augenblick wage ich es noch nicht einmal zu atmen. Doch nicht ich hatte ihre Aufmerksamkeit erregt - ich, so kommt es mir zumindest vor, bin für ihre Augen unsichtbar -, sondern einer von ihnen. Er zittert unter ihren fordernden Lauten. Als hätte er riesige Angst vor dem, was mit jeder Sekunde näher kommt, hält er seinen Kopf gesenkt.

Ich zwänge mich an weiteren Bäumen vorbei weiter nach vorne. Jetzt, da ich weiß, dass ich mich um einen von ihnen sorgen muss, kümmert es mich wenig, ob ich wirklich von den Wesen unbemerkt bleibe. Ich gebe meine Deckung auf und renne zu ihm.

Die Körper der Vorderen vibrieren und ihre Mäntel flirren im Dunst, der sie umkreist. Er wird dichter, immer undurchdringlicher. Er schnürt sie ein. Fauchend wenden sich die Gestalten von dem Unentschlossenen ab, um nun wieder einer nach der anderen durch die Öffnung zu verschwinden. Hastiger jetzt, als schlüge irgendjemand einen schnelleren Rhythmus an.

»Nein«, schreie ich, doch meine Stimme verliert sich in meiner Kehle. Wie so oft in meinen Träumen, sind meine Möglichkeiten begrenzt.

Taumelnd bleibe ich vor der Menge stehen und für den Bruchteil einer Sekunde blickt er auf. Ich sehe ihn und sehe, dass er mich nicht wahrnimmt.

Denn das Zittern seines Körpers verebbt in diesem Augenblick und er wird genauso regungslos wie seine Artgenossen. Marcs Blick huscht kurz zum Eingang der Öffnung, in die seine Begleiter gezogen werden, dann schließt er die Augen. Er seufzt leise, als er einen zögernden Schritt nach vorne macht.

Nun ist es Marc, der in vorderster Reihe auf sein Schicksal wartet.

Wieder schreie ich, keuche, renne auf ihn zu. Doch jetzt wollen noch nicht einmal meine Beine mehr gehorchen. Ich falle auf den Boden, krieche dort weiter und komme doch nicht schnell genug voran. Nichts, was ich versuche, wird genügen, um Marc zu beschützen. So heftig ich auch an den unsichtbaren Fäden reiße, die meine Stimme und Beine gleichermaßen zu kontrollieren scheinen, mein Wille bedeutet in dieser Sekunde nichts. Ganz und gar nichts.

Bin ich Marc nicht wichtig? Oder er mir nicht genug?

Ist das, was uns beide miteinander verbindet, eine Lüge?

Marc seufzt noch einmal und diesmal mündet der Laut in ein gurgelndes Schluchzen; dann ist er endgültig still und hebt einen Fuß. Für einen Sekundenbruchteil blitzen bunte Lichtfunken um Marcs Körper auf: rot, dann grün und lila. Einen Atemzug später erstickt sie der Nebel, der noch immer unnachgiebig aus der Öffnung dringt, und nimmt auch Marc vollständig ein. Um die Ränder seiner Statur wölbt er sich zuerst und wirbelt von dort zu allen Seiten, bis er Marcs Körper vollständig verschluckt. Wie ein Messer durch warme Butter, gleitet der Nebel durch ihn hindurch, als bestünde Marc tatsächlich aus nichts weiter als demselben dichten Rauch. Schließlich wird er eins mit dem Nebel, löst sich in ihm auf.

Zufrieden murmelnd kommen die wartenden Reihen wieder in Bewegung. Wie ferngesteuert hievt Marc den verunstalteten Körper erneut in meine Richtung, bevor auch er weggesaugt wird. Es verschlägt mir den Atem.

Dann bewegen sich die düsteren Gestalten hinter ihm erneut.

Herzlich willkommen zur ersten Unterrichtsstunde zum Thema: »Walküren und andere übernatürliche Wesen«

»He!« Jemand rüttelt sanft an meinem Arm. »Emma?«

Ich blinzle und bin irritiert, weil sich das Backsteingebäude vor mir in Luft aufgelöst hat. Die neue Umgebung ist unerwartet hell. Ich versuche mich zu orientieren. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass die düsteren Gestalten verschwunden sind - sie nie da waren und dass Marc nicht in Gefahr ist. Es war nur ein Traum.

»Hast du schlecht geschlafen?«

»Mmm.«

Ich drehe den Kopf zur Seite und sehe, dass mich Marc, das Kinn auf seinen Ellbogen gestützt, mustert. Es ist seltsam, wie er mich seit dem Kampf mit Kara hin und wieder betrachtet. Als wäre ich das übernatürlich starke Wesen mit schier unbegreiflichen Kräften, und nicht er.

Derzeit können wir uns beide nicht sicher sein, wieso ich vor zwei Monaten urplötzlich in der Lage war, wie einst Freya, die mächtigste aller Walküren, die Zeit anzuhalten. Natürlich sind wir sehr dankbar für diesen Anflug übernatürlicher Energie, der Marc, Tay und mein Leben rettete. Seither wurde der magische Schalter - bis auf eine Ausnahme - allerdings nicht mehr wieder betätigt. Darüber bin ich ganz froh. Denn angeblich nutzte Freya meine Fähigkeit vor ihrem Tod und dem Zusammenbruch Walhallas dazu, um eine Art Portal zu öffnen, das die Heimat der Walküren mit der Erde verband. Auf diese Weise rettete sie ihren Kindern das Leben. Man muss kein Experte in fantastischer Literatur sein, um nun eins und eins zusammenzuzählen. Wenn das Portal nach Walhalla schon einmal mithilfe von Freyas Eisgabe geöffnet wurde, so könnte ich nun wiederum in der Lage sein, diese Fähigkeit zu nutzen und jenes Portal erneut zu öffnen, welches die Walküren zurück in ihr Zuhause Walhalla bringt. Es gibt nichts auf der Welt, das sie mehr ersehnen, ich hingegen fürchte es. Es würde bedeuten, dass ich Marc und die anderen Walküren verliere.

Marc zieht mein Gesicht zu sich heran.

»Oder ist es die Aufregung vor deinem großen Tag heute?« »Ganz sicher nicht.«

Was ist ein dämlicher vorgezogener Abschluss schon im Vergleich zu der Erkenntnis, dass übernatürliche Wesen nicht nur in meinen geliebten Fantasyromanen existieren? Auch wenn Walküren irgendwie anders sind als Aliens, Vampire oder Werwölfe. Selbst Magier funktionieren in meiner persönlichen Paranormal-Romance nicht so, wie sie sollten ...

»Du machst dir wieder Sorgen wegen Jansen.«

Während Marc das sagt, streicheln seine Hände sanft meine Wangen. Gleichzeitig fasse ich fest in sein schwarzes Haar und lasse meine rechte Hand in seinen warmen Nacken gleiten. Ich will ihm gerade als Antwort einen Kuss auf die Schulter geben, als mir der Fantasyroman auffällt, der aufgeschlagen auf dem Boden liegt. Vielleicht kann ich es Marc auf diese Weise erklären.

»Müsste ich die Geschehnisse vor acht Wochen in einer Rezension bewerten, ich würde dem Ganzen maximal zwei Sterne geben«, sage ich. Marc will mich unterbrechen, doch ich fahre schnell fort und verschlinge meinen in eine dicke Decke eingemummelten Körper so gut es geht mit seinem. »Einen Punkt Abzug gibt’s für Jansens aberwitzigen Plot Twist zum Ende der Geschichte. Auch zwei Monate später geben uns seine irren Behauptungen noch Rätsel auf. »Ein weiterer Stern geht dafür weg, dass ihr Walküren zu weit von der ursprünglichen nordischen Mythologie entfernt seid. Wer kann denn erahnen, dass Magier und Walküren existieren, und sich obendrein noch wegen irgendwelcher schrägen Sci-Fi-Machtansprüche über ihre zerstörte Heimat nun auf der Erde bekämpfen wollen?«

»Entschuldige«, sagt Marc, fasst meine Schulter und zieht mich eng an sich. »Wofür entziehst du unserer Geschichte weitere Sterne?«

»Meine eigene Rolle ist nicht schlüssig ausgearbeitet. Bin ich nun eine der letzten beiden Myx auf der Erde und somit ausgerechnet dein erbitterter Todfeind, oder euer Rückfahrticket nach Walhalla ...? Womöglich wächst in mir ja auch etwas heran, das wir noch gar nicht in Betracht gezogen haben.«

»Emma ...«, flüstert Marc.

»Sag es nicht! Du hast dich im Griff. Selbst, als du dich in eine Walküre verwandelt hast, war dein einziges Ziel Karas Tod, nicht meiner ... schon vergessen?«

»Emma ...«

»Es reicht.« Ich drücke meine Lippen auf seine, vor allem, um meine eigenen Sorgen zu ersticken. Beinahe jeden Abend unterhalten wir uns über Jansens Theorien und meine Rolle dabei. Ich weiß, wie wenig Marc mein lockerer Umgang mit dem Thema gefällt. Doch ohne Sarkasmus und Ironie überlebe ich das Ganze nicht.

Marc erwidert meinen Kuss, doch ich merke, dass er in Gedanken woanders ist. Immer macht er sich Sorgen. Aber derzeit bin ich mir relativ sicher, dass Jansens Schilderungen nicht wahr sein können. Wenn Marc und mich tatsächlich etwas verbindet, bei dem ausgerechnet ich mächtiger sein soll als er, dann würde sich die Kraft in mir doch häufiger zeigen, oder nicht? Häufiger als das eine Mal am vergangenen Samstag ... Himmel, nicht daran denken!

»Noch mehr Sternabzug?«, fragt Marc in diesem Moment.

Ich denke kurz nach. »Definitiv. Meine Rolle ist nicht nur mies ausgearbeitet, hin und wieder verhalte ich mich auch völlig unschlüssig ... und ich hasse es, wenn ich die Handlungen der Protagonistin nicht nachvollziehen kann.«

»Wirklich? Dann sind wir zumindest in dieser Sache einig. Es ist irrsinnig, sich das Bett mit einer Walküre zu teilen.«

»Für einen Menschen vielleicht.« Ich strecke ihm die Zunge heraus. »Aber wenn ich wirklich eine Myx bin und meine Fähigkeiten trainieren würde, dann hätte ich sie vielleicht irgendwann so gut unter Kontrolle wie du deinen Drang zur Verwandlung. Dann müsstest du dir nicht mehr ständig Sorgen machen.«

»Was fang ich dann bloß mit meiner ganzen Zeit an?«

»Mir fällt da einiges ein ...«

Ich schmiege mich fest an ihn. Als ich umständlich ein Bein aus der Decke befreie, um es um Marcs Taille zu schlingen, spannt er sich an.

»Wenn du sagst, du möchtest die Fähigkeit trainieren«, murmelt er. »Willst du mir damit klarmachen, dass du zu dieser Akademie fahren wirst, von der Jansen erzählt hat?«

»Nein ...« Ich hasse es, wenn er die Stimmung runterzieht. »Ich werde fürs Erste nicht dorthin gehen, das habe ich dir versprochen. Aber selbst wenn ... mir passiert schon nichts.«

»Ich weiß nicht, Emma. Wenn es stimmt, was Jansen über das Magische Gesetz behauptet hat, wenn du wirklich Freyas Gabe in dir trägst und ich die meines Vaters Odin, so übersteigt deine Macht vermutlich schon jetzt meine um Längen. Ich muss dich fürchten, nicht andersherum. Odin opferte sich, damit Freya das Portal öffnen konnte, er starb, nicht sie. Das Eis siegt über das Feuer. Du könntest mir wehtun. Mich tö-«

»Sei schon still.« Sonst kriege ich die Erinnerung an Samstag ganz sicher nicht verdrängt.

Das Eis siegt über das Feuer. Todfeinde. Zur Liebe gezwungen und zu Größerem bestimmt - die Öffnung des Portals nach Walhalla -, nur durch irgendeine Form von übernatürlichem Gesetz, das Jansen als das Magische Gesetz bezeichnete. Nein, das kann ich einfach nicht glauben, doch wenn ich mir da sicher sein möchte, muss ich zu dieser Akademie fahren, von der Jansen im Herbst gesprochen hat.

Marc lacht leise, bevor er nach dem Fantasyroman greift und ihn geschlossen auf meinen Nachttisch legt.

»He! Da ist kein Lesezeichen drin.«

»Entschuldige.« Er legt zwei Finger auf meine Lippen, streicht vorsichtig darüber, bevor sein Mund meinen findet. Behutsam stößt er mit der Zungenspitze dagegen, ich seufze und er dringt in mich ein. Heiß strömt sein Atem über mein Gesicht. Wir küssen uns, bis ich mich kurz von ihm lösen muss, um keuchend nach Luft zu ringen. Nein, ganz sicher entspringt unsere Liebe keinem Zwang.

Marc schmunzelt. »Vielleicht bist du doch kein so gefährliches Monster.«

»Wir werden noch sehen.« Das sollte ein Scherz sein, aber Marc erschaudert kurz und ich möchte die gespielte Drohung am liebsten zurücknehmen. Doch dann lächelt er schon wieder.

»Du solltest nicht noch mehr Zeit vertrödeln. Deine Mutter schlägt sicher gleich hier auf, und deinen Vater kann ich unten auf und ab marschieren hören. Er wird bald die Treppe hochkommen, um dich zu wecken. Wir sehen uns an der ...« Mitten im Satz unterbricht ihn das Vibrieren meines Handys. »Siehst du.«

Ohne Marc loszulassen taste ich nach dem Smartphone, und als ich es neben dem Buch auf dem Nachttisch finde, linse ich so kurz wie möglich aufs Display.

TOM: Miss Salvatore? Sind Sie bereit für den großen Tag? TOM: Hätte ich Miss Wesley schreiben sollen? Bist du jetzt sauer?

Vielleicht ist es doch besser, wenn ich Marc bis zur Zeremonie in wenigen Stunden wegschicke. Allein die Vorstellung, was meine Mutter alles vor ihm über mich ausplaudern könnte, ist zu peinlich. Andererseits ...

»Ich dachte, es wäre Tradition, dass wir gemeinsam zum Abschlussball fahren?«

Marc zieht mich noch einmal fest an sich, dann gibt er mich frei. »Ich hatte gehofft, dass du das fragst.« Mit einer einzigen Bewegung kommt er auf die Füße. Er beugt sich zu mir herab und gibt mir einen Kuss auf den Scheitel. »Bis gleich.«

»Sei pünktlich!«

Marc lächelt und eine Sekunde später ist es vollkommen still in meinem Zimmer. Ich widme mich wieder meinem Handy.

Die erste Nachricht von meinem besten Freund kam vor einer Stunde, als ich noch geschlafen habe. Die zweite hat mein Handy eben zum Vibrieren gebracht. Anscheinend schreibt Tom gerade die nächste, denn kaum hab ich mich zurück aufs Kopfkissen fallen lassen, leuchtet der Bildschirm erneut auf. Ich achte nicht darauf. Bei dem ganzen übernatürlichen Drama kann ich mich auf den heutigen Tag nicht konzentrieren.

Meine symbolische Abschlusszeremonie.

Ständig rechne ich damit, dass bedrohliche Walküren vor meiner Haustür auftauchen, die mich, wie Kara und ihre Begleitung im Herbst, aufgespürt haben, und in meinem Tod die Möglichkeit sehen, nach Walhalla zurückzukehren. Bislang ist das nicht passiert, weil Marc und seine Familie über alle Maßen wachsam sind. Der Walküren-Masterplan sieht nämlich vor, keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen.

Dass die übrigen Walküren nichts von Jansens Aufklärungsstunde zum Thema »Walküren und andere übernatürliche Wesen« wissen, ordne ich allerdings als Risiko ein. Sie ahnen nicht, dass der innere Drang, der sie zur Verwandlung zwingt, womöglich einen anderen Auslöser kennt als ihr Heimweh nach Walhalla.

Jansen bezeichnete die Erschaffer der Walküren, Freya und Odin, als Geisterkrieger, da sie ursprünglich lediglich aus einer Art Nebel bestanden, als sie vor zig Jahrhunderten nach Walhalla kamen. Doch ihre neue Heimat war nicht leer. Der Ort gehörte zu jenem Zeitpunkt den Myx, die, wenn es stimmt, meine und auch Jansens magische Vorfahren sind. Freya und Odin töteten ihre Anführer und zwangen die übrigen Myx zur Flucht auf die Erde, um ihrerseits Walhalla zu besiedeln und Nachkommen zu schaffen, die Walküren. Doch sie waren nicht überlebensfähig, weshalb Freya und Odin sie auf die Erde schickten, damit sie dort abermals die Myx aufspüren und diesen das rauben, was ihnen ein Überleben in Walhalla sichert. Marc bezeichnet dieses Etwas als Seele, Jansen sprach von einer magischen Fähigkeit, wie er sie im Übermaß besitzt und ich wiederum in Form der Eismagie, die Freya bis vor ihrem Tod beherrschte. Letztendlich steigerte dieser Raub den Zorn der Myx ins Endlose. Allerdings kümmerte dies die Walküren wenig, denn sie kehrten nach Walhalla zurück und lebten dort so lange in Frieden weiter, bis ihre fremdangeeignete Heimat sie verstieß und nun die Walküren zur Flucht auf die Erde zwang. Dort warteten die Myx bereits auf sie ... na ja, zumindest die eine Familie, die dem Raub der Walküren entwischt ist. Deren einziger Nachkomme ist angeblich Jansen, der vor acht Wochen sehr überzeugt schien, dass es in Walhalla eine Art Ursprungsquelle gibt, aus der die magischen Fähigkeiten der Myx geformt wurden. Da die Walküren sich diese unerlaubterweise angeeignet haben und die Quelle in Walhalla damit geschwächt wurde, geriet der Ort aus dem Gleichgewicht und brach irgendwann zusammen. Wenn Jansen die Wahrheit sagt, dann wird der Verwandlungsdrang der Walküren auf der Erde eben durch jene Ursprungsquelle ausgelöst, die versucht, ihnen die Machtsplitter zu entreißen, um sie schließlich zusammenzufügen, damit das zerstörte Walhalla sich erholt und ... eine neue Myx-Generation hervorbringt? Dazu hat Jansen nichts gesagt, aber in den vergangenen Wochen entstand in den Köpfen der Walküren diese Theorie.

Das klingt, zusammengefasst, noch verrückter als Jansens Behauptung, dass ausgerechnet ich nun diejenige sein soll, in der aus dem Nichts Freyas Eisgabe heranwächst. Weshalb gerade ich? Wieso werde ich damit automatisch zu einer Myx? Warum wächst dann Odins Feuergabe angeblich in Marc heran - einer Walküre? Und nicht auch in einem Menschen? Vielleicht fehlen mir wichtige Infos oder, und das ist weitaus realistischer, Jansen war vollkommen verrückt.

Blöd nur, dass er uns keine Möglichkeit gibt, das herauszufinden. Seit acht Wochen hat sich weder er noch ein Mitglied seiner LFoD in Lincoln blicken lassen. Die LFoD - Jansens magische Aufbewahrungsgefäße, igitt, und seine Zeugen. Angeblich spaltete Jansens Familie, um einem Raub durch die letzte Walküre ohne Fähigkeit, Pearl, zu entkommen, ihre Gabe seit Jahrzehnten auf zig unschuldige Menschen auf. Wenn man es so nimmt, wiederholte Jansens Familie durch diese Magiespaltung mithilfe ihrer Gabe das, was sie wohl von der Quelle aus Walhalla gelernt hatten. So sicherten sie ihr Überleben, und somit auch das der Myx.

Jedoch gibt es dabei ein Problem: Nicht jeder Mensch überlebt diesen Gabentransfer, und jene, die es tun, leiden, da bin ich mir sicher. Leah, die Schwester meines besten Freundes Tom, wurde von Jansen im vergangenen Herbst als eines dieser Speichergefäße ausgewählt. Sie wirkte alles andere als glücklich mit ihrer Rolle innerhalb Jansens LFoD-Armee. Doch auch sie ist seit dem Vorfall abermals spurlos verschwunden.

Der Handybildschirm wird erneut hell; und diesmal ignoriere ich die neue Nachricht nicht.

ASH: Blau oder Rot? Emma, sag schon! Blau ODER Rot?! FAEY: Tay zieht mich die ganze Zeit auf, dass ich den Theaterraum sprengen werde, wenn ich zu deinem vorgezogenen Abschluss komme. Wahrscheinlich hat er nicht unrecht. Ich pack so viele Menschen auf einmal einfach nicht. Tut mir leid. Wir sehen uns danach!

Schnell tippe ich eine Antwort an meine beste Freundin Ash; es ist vollkommen egal, welche Farbe sie auswählen wird, ihr stehen Kleider in jeder Größe und Farbe ausgezeichnet. Dann schreibe ich eine kurze Nachricht an Marcs Schwester Faey: Mach dir keine Sorgen und lass dich nicht vom Mistkerl ärgern.

Tay ist die nervigste Walküre unter der Sonne. Seit dem winzigen Moment Zweisamkeit vor acht Wochen, in dem ich dem Idioten die Existenz gerettet habe, hasst er mich nur noch mehr. Bitte, gern geschehen.

Allerdings ist Tay der Einzige in Marcs Familie, der nicht wie besessen davon ist, die Angelegenheit herunterzuspielen. Dass bisher keine Walküre mein Haus gestürmt hat und Jansen oder die LFoD sich nicht wieder in Lincoln haben blicken lassen, verstehen Marc, Faey und Caulder nämlich als gutes Omen. Wenn es nach ihnen geht, soll ich mich voll und ganz auf die Planung meines Büchercafés und damit mein menschliches Leben konzentrieren dürfen. Immerhin läuft ja alles seit zwei Monaten glatt. Marc liest eindeutig keine Fantasyromane, sonst wüsste er, dass das meistens nichts Gutes bedeutet.

Tay rührt ziemlich sicher auch keine Bücher an, trotzdem bereitet er sich auf einen Kampf vor. Dank seiner Gabe könnte er den übrigen Walküren befehlen, die Dinge genauso zu sehen wie er. Dass er das bisher nicht getan hat, ist fast schon ein Grund, ihm dankbar zu sein ... Haha.

Ich starre an die Wand, während ich darauf warte, dass sich meine zermürbenden Gedanken in Luft auflösen. Tun sie nicht. Stattdessen driften sie zu dem einzigen Gespräch, das Tay und ich in den vergangenen acht Wochen geführt haben ...

»Hast du dich mittlerweile entschieden, ob du Marc liebst?« Tays wissender Blick suchte herausfordernd meinen. Er hatte meine Worte im Auto nicht vergessen.

»Ja.«

»Ich will es für dich hoffen.« Er senkte den Kopf und sein länger gewordenes blondes Haar fiel ihm in die Stirn. »Du bist schuld, wenn er draufgeht, Hexe.«

Seit Tay das gesagt hatte, versuchte ich, es zu vergessen. Es hätte mich nicht weiter kümmern sollen, denn ... für Marc ist die Sache mit uns glasklar, und das ist doch das Einzige, was mich interessieren sollte.

Aber ich habe Marc noch immer nicht gesagt, dass ich ihn liebe. Weder als ich nicht wusste, ob wir uns je wiedersehen, noch an einem anderen Tag seitdem.

Ich beiße die Zähne zusammen und schlage die Decke zur Seite. So leicht lässt sich mein Gehirn also nicht überlisten, verdammt! Das kann -

»Klopf, klopf«, sagt Dad draußen vom Flur und ich höre sein verlegenes Grinsen. »Schläfst du noch? Hast du vergessen, welcher Tag heute ist?«

Natürlich nicht. Allein schon wegen der ganzen Plakate, der üppigen Deko, die das ganze Schulgebäude pflastert und im Theaterraum eine grelle, völlig überladene Krönung findet, vor allem aber wegen Ash, die mir seit Tagen mit der bevorstehenden Abschlusszeremonie in den Ohren liegt.

Die Tür wird einen Spaltbreit geöffnet und keine Sekunde später lugt Dad ins Zimmer. Ein geschäftsmäßiger Ausdruck liegt auf seinen angespannten Gesichtszügen. In den Augen spiegelt sich die selbe Aufregung, die in meinem Magen heftig rumort.

»Die Zeremonie beginnt doch erst in ein paar Stunden«, fange ich hoffnungsvoll an, doch ich kenne Dads Antwort bereits.

»Nichts da. Obwohl ich zugegeben nichts anderes zu tun habe, als euch später zur Schule zu chauffieren.« Also bleibt der Laden heute geschlossen, weshalb wir nun beide wohl nicht so genau wissen, was wir mit uns anfangen sollen. Normalerweise stehe ich an einem Samstagmorgen um diese Uhrzeit schon im Outdoor-Laden, verkaufe Zelte, Bärenabwehrspray und Rucksäcke.

Unschlüssig schauen wir umher, bis sich unsere Blicke treffen und Dad brummig sein vibrierendes Handy aus der Tasche zieht. »Und Anna beruhigen. Das muss ich auch tun. Silas hat sich die Haare gefärbt und jetzt ...« Er stockt und schweigt eine Weile. »Wie auch immer. Mach dich mal fertig.« Dad klingt heiser, dann schluckt er kurz. Seit er mit Silas’ Mum zusammen ist, hab ich das Gefühl, ist er noch aufmerksamer geworden, als er es eh schon gewesen ist. Einen schlechteren Zeitpunkt dafür könnte es nicht geben, denn noch nie hatte ich so viele Geheimnisse vor ihm wie im Moment. Früher oder später werde ich ihn einweihen, das habe ich mir fest vorgenommen. Aber es ist ehrlich gesagt nicht so leicht, das Ganze zu erklären:

Marc kommt gar nicht aus Wales, sondern aus Walhalla. Er ist eine Walküre und Walhalla so eine Art Unterwelt, welche Marcs Erschaffer, Freya und Odin, vor zig Jahrhunderten den Myx geklaut haben. Der Weg dorthin zurück, der über ein Portal führt, wurde allerdings vor einhundert Jahren verschlossen, was immerhin bedeutet, dass uns peinliche Schwiegerelternbesuche erspart bleiben.

Allerdings könnte sich dies bald ändern. Denn Marcs Schwester,

Faey, entdeckte jene Gabe in mir, die das Portal öffnen könnte. Aus diesem Grund hätte Marc mich letzten Sommer erst fast getötet, dann hat er sich aber doch in mich verliebt. Du kannst dir sicher denken, dass unsere Beziehung dadurch eh schon recht kompliziert war, aber der Ex-Bürgermeister von Lincoln, Jansen, hat alles erst so richtig anstrengend gemacht. Er behauptet, dass deine Tochter kein Mensch ist, sondern genau eine dieser Myx, denen Marcs Artgenossen einst das Zuhause stahlen. Um es kurz zu machen: Der Verbindung zwischen Marc und mir könnte ein uraltes magisches Gesetz zugrunde liegen, das wiederum eine Legende in Kraft setzen könnte, über die uns Jansen nichts verraten hat. Wir gehen aber einfach mal davon aus, dass sich dann ein Portal öffnet, das Marc zurück nach Walhalla bringt. So ganz sicher bin ich mir nicht, ob er sich gegen eine Rückkehr entscheiden kann, wenn das Portal erst einmal geöffnet wurde, weshalb ich ständig davon träume, Marc zu verlieren. Und was meine Liebe für ihn anbetrifft: nun, ich bin mir nicht sicher. Aber mach dir deshalb keine Sorgen; das wird schon.

Ich schätze mal, unsere liebevolle Vater-Tochter-Beziehung fände mit diesem Gespräch ein jähes Ende.

Unten klopft jemand entschlossen an die Haustür.

Ach, wie gut, dass du nicht weißt ... hatten wir schon mal. Ging nicht gut aus. Lassen wir besser.

Sofort verfallen meine Gedanken in panische Unruhe, obwohl ich mir relativ sicher bin, dass eine Walküre nicht erst anklopfen würde, bevor sie unser Haus stürmt.

»Ist bestimmt deine Mutter«, sagt Dad und wirft einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. »Typisch Katrin! Zwanzig Minuten zu spät.«

Jetzt hämmert jemand gegen die Tür. Eine aufgeregte Stimme brüllt meinen Namen. Erst leise, dann lauter. Durch das geschlossene Fenster, das zur Straße hinzeigt, kann ich sie mehr als deutlich hören. Ich seufze. »Ach Mum ...«

Dad zuckt mit den Schultern, dann schließt er meine Zimmertür und ich höre ihn die Treppe runterstapfen, anschließend die Haustür öffnen und Mum kurz darauf mit eifrigen Schritten und Geschnatter die Stufen hochkommen.

Sie ist gestern erst angereist - zu meiner Überraschung ohne ihren Freund Steve - und seitdem habe ich jede freie Minute mit ihr verbracht. Gewissermaßen bin ich froh, dass die bevorstehende Abschlussballfeier nur symbolisch stattfinden wird. Noch sind gar nicht alle Klausuren geschrieben und somit stehen auch die Abschlussnoten noch nicht fest. Da die Schule ab kommendem Monat jedoch saniert wird und deshalb für ein halbes Jahr keine Räumlichkeiten zur Verfügung stehen werden, haben sich der Abschlussjahrgang, die Eltern und die Schule darauf verständigt, einen vorgezogenen Abschluss zu feiern. Wir tragen die senfgelben, hässlichen Roben, unsere Eltern sind völlig überdreht und seit Tagen schwebt in der Schule ein Gefühl von Nostalgie durch die Gänge. Der Schuldirektor wird uns wohl sogar eine Art Urkunde überreichen ... wenn ich so darüber nachdenke, ist das mit Abstand das Dümmste, was ich je gehört habe. Und da ich über die Existenz von Walküren und magischen Bürgermeistern Bescheid weiß, will das schon was heißen.

»Schatz? Emma?«, ruft Mum in diesem Moment und es platzt aus ihr heraus, noch ehe sie ganz im Zimmer ist. Mir bleibt keine Zeit, auf die Beine zu kommen. »Liegst du etwa noch im Bett? Wir müssen in zwanzig Minuten beim Friseur sein! Das Kleid solltest du doch auch schon längst tragen.« Ihr hektischer Blick fängt das Buch auf meinem Nachttisch ein. »Himmel, hast du noch gelesen? Bin ich denn die Einzige, die sich heute freut?«

Mum gibt mir keine Zeit, wenigstens auf eine ihrer Fragen zu antworten, sondern zerrt mich vom Bett direkt in ihre Arme.

»Wie ist das alles so schnell gegangen?«, schluchzt sie. »Wann bist du so erwachsen geworden? Ach, was red ich denn da ...« Sie drückt mich ein Stück von sich, um mich besser betrachten zu können. Ihre Augen sprechen eine ganz andere Sprache als die von Dad: Aufregung, Rührung, Sorge, Freude - ein verflochtener Wirrwarr an Gefühlen.

Vom Flur her kommt ein schroffes Räuspern.

»Emma? Katrin?«, fragt Dad verunsichert. »Geht das so?« Mum wirbelt zur Tür herum, ihre hochgesteckten Locken wippen auf und ab. »Ist das der Anzug von der Beerdigung deines Vaters?« Das klingt anklagend, und vermutlich zieht mein Vater deshalb einen Flunsch.

»Er passt doch noch. Und es ist ja gar nicht ihr richtiger Abschluss ...«

»Einen zweiten wird es aber eben auch nicht geben.« Mums Brauen ziehen sich zusammen, dann wirbelt sie weiter. »Wo ist denn die Robe?«, fragt sie, mehr zu sich selbst. »Sind es immer noch die gelben? Die hübschen aus Polyester?« Aus dem Nichts kreischt Mum los, als mein Blick auf das hässliche Stoffstück über der Stuhllehne fällt, und zieht mich sofort wieder zurück in ihre Arme. »Ich bin so gespannt, wie du darin aussiehst. Los! Probier sie an! Nein ... warte, erst das Kleid. Davor musst du noch duschen ... Hat irgendwer die Zeit im Blick?«

Mein Vater jedenfalls nicht. Ihn scheint Mums Aufregung genauso zu überfordern wie mich. »Kann ich euch bei irgendetwas ... helfen?«

»Du ...«, antwortet Mum forsch, geht einen Schritt zu Seite und reicht Dad anschließend die Robe, »... kannst die hier schon einmal ins Badezimmer bringen und anschließend das Blumengesteck aus dem Laden abholen.«

»Blumen?« Dads irritierter Blick trifft meinen. Ich zucke mit den Schultern.

»Ich brauch keine Blumen, Mum«, füge ich schnell hinzu.

»Die sind eher was für, keine Ahnung ... Hochzeiten.«

Mum verzieht den Mund. »Hochzeit? Du sagst mir jetzt aber nicht, dass Marc und du ...«

»Nein«, korrigiere ich sie überrascht und kann ein hysterisches Kichern nicht zurückhalten. »Wie um alles in der Welt kommst du auf so was?«

»Du und Marc ...« Sie schmunzelt. »Ich hätte einfach nicht gedacht, dass meine Tochter mal etwas anderes mit demselben verträumten Blick betrachten wird wie diesen dämlichen Laden.«

»Der immer noch an erster Stelle steht!«

»Meine Güte ...«, sagt Mum mit einem Stöhnen, doch ihre Stimme klingt meilenweit entfernt. Dass meine Mutter allen Ernstes auch nur den Bruchteil einer Sekunde angenommen hat, der Laden könnte mir weniger wichtig sein ... das ist doch verrückt. Andererseits ...

Wie ein außer Kontrolle geratener Bienenschwarm kreisen Jansens Worte in meinem Verstand umher:

Du hast es dich gefragt, ich weiß. Deine Verbindung zu Marc, wie du so schnell etwas für jemanden empfinden kannst, wo du doch sonst ein so vernünftiges Mädchen bist; das ganze Jahr hast du so hart für deine Träume gearbeitet, so rational ... dann taucht dieser eine Junge auf, und alles soll für die Katz gewesen sein? Nur ein paar Tage und du stellst dein ganzes Leben nach ihm um. Liebe, ein widersinniges Ding, oder? Bloß leider nicht in eurem Fall.«

Laut Jansen sind es gar nicht meine Gefühle, die mich zu Marc hinziehen, sondern das Magische Gesetz - eine uralte Magieverbindung zwischen Eis und Feuer, die bereits Walhalla erschuf und zerstörte und einst Marcs Erschaffer, Freya und Odin, versöhnt haben soll.

»Was?« Mist, jetzt habe ich Mum nicht zugehört. Mit Nachdruck packt sie deshalb mit ihren Händen meine Handgelenke und schiebt mich an meinem verdutzten Vater vorbei aus dem Zimmer durch den schmalen Flur in Richtung Bad. Dad wirft mir hastig die Robe entgegen.

»Oliver? Rufst du bitte beim Blumenladen an und fragst, ob sie noch irgendetwas dahaben?«

»Wird gemacht.« Dad wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und geht schnell die Treppe runter. Es ist mehr als offensichtlich, wie erleichtert er ist, der Situation zu entkommen.

»Den Friseur schaffen wir nicht mehr. Ist aber nicht schlimm.«

Kaum hat Mum die Badezimmertür in ihre Angeln gedonnert, schnappt sie sich Kamm und Spangen, um meine Haare notdürftig hochzustecken. Ich ziehe die Luft ein und schwanke, als sie mich vor den Spiegel platziert und mehrere Varianten in Sekundenschnelle ausprobiert.

Ehe Dad das Telefonat mit dem Blumenladen beendet hat, überzeuge ich sie von einem einfachen Dutt, den ich nach dem Duschen auch problemlos selbst hinbekomme.

»Die Verkäuferin sagt, wir sollen so schnell wie möglich kommen«, ruft Dad von unten. »Ich kann das eben allein ...«

»Auf gar keinen Fall!« Mum reißt aufgebracht die Badezimmertür auf. »Dein Vater würde mit Friedhofsblumen zurückkommen. Behalte die Zeit im Blick, ja?«

»Alles klar, Ma’am.«

Mum lacht, gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, um kurz darauf mit hektischen Schritten die Treppenstufen nach unten zu rennen.

Erst als ein paar Momente später die Haustür ins Schloss fällt, hole ich tief Luft. Doch ganz gleich, wie oft und geräuschvoll ich ein- und ausatme, die beruhigende Wirkung setzt nicht ein. Selbst die heiße Dusche kann meine Sorgen nicht wegwaschen. Ganz egal, wie viel Zeit ich mir lasse und wie intensiv ich das Shampoo in meine Haare einarbeite, ich verliere allmählich die Fassung.

Womöglich packt mich ja doch in letzter Sekunde das Abschlussfieber. Mein Atem jedenfalls geht schneller, als ich aus der Dusche steige und mir ein weißes Handtuch aus dem Schränkchen unter dem Waschtisch schnappe, um es vor meiner Brust zusammenzuknoten. Mein ganzer Körper kribbelt, als ich mich auf den harten Rand der Badewanne setze.

Was den plötzlichen Machtschub letzten Samstag anbetrifft, muss ich Marc schleunigst die Wahrheit sagen. Doch ich habe keinen blassen Schimmer, wie er auf die Neuigkeiten reagieren wird und wie um alles in der Welt ich ein solches Gespräch beginnen soll.

Erinnerst du dich daran, dass ich dir im Kampf mit Kara mit meiner Eismagie an die Gurgel wollte? Nun, am Wochenende, da hat es mich plötzlich wieder gepackt und ich hätte dich am liebsten k.o. geschlagen. Mein Hirn pulsiert.

Wieso habe ich nicht einfach gleich mit Marc gesprochen, als er mich sanft an meinen Handgelenken packte, um mich mit voller Leidenschaft zu küssen, während in mir ein eiskaltes Pulsieren aufgeflackert war. Ich habe keine Zweifel daran, dass es dieselbe Macht war, die mich Marc vor acht Wochen schon einmal beinahe angreifen ließ. Die Kälte erlosch sofort wieder, aber trotzdem löste ich mich von seinem Griff und flüchtete unter einem lächerlichen Vorwand runter zu Dad in die Küche. Seither gehe ich Marcs Nachfragen aus dem Weg.

Oh Mann. Ich habe riesige Angst, Marc aus Versehen zu verletzen. Ihm ernsthaft wehzutun. Am liebsten würde ich den Kopf zwischen die Knie stecken und schreien, bis mir irgendwer verrät, wer oder was ich eigentlich bin. In welche Welt ich gehöre. Was mir fehlt, damit ich mich weniger falsch und wieder mehr nach Emma anfühle. Nur wird mir auf all meine Fragen niemand eine Antwort geben können - zumindest keine Walküre. Auch Jansen ist verschwunden, und alle anderen, die uns hätten helfen können. Was die Leute an dieser Akademie anbetrifft, könnte ich vielleicht auf Erklärungen hoffen. Allerdings musste ich Marc versprechen, nicht auf eigene Faust dorthin zu fahren. Wieso ist eine übernatürliche Existenz nur so kompliziert?

Frustriert rapple ich mich auf, ziehe das cremefarbene Kleid an, das ich im Internet secondhand bestellt habe, binde die Haare zu einem Dutt und creme mir das Gesicht ein. Anschließend öffne ich die Badezimmertür, werfe mir beim Trepperunterlaufen die Robe über und marschiere ohne einen Blick nach rechts und links geradewegs in die Küche.

Dort wartet Marc auf mich. »Die Tür war offen«, erklärt er, als ich erschrocken zusammenzucke. Typisch Mum, meinen Vater mit dämlichen Blumen so wahnsinnig zu machen, dass beide in ihrer Eile vergessen, die Haustür abzuschließen.

»Aber keine Sorge«, sagt Marc mit einem Lächeln und lehnt den Oberkörper scheinbar entspannt an den Kühlschrank. »Keine gefährliche Walküre weit und breit.«

Ich grummle etwas Unverständliches und lasse mich von ihm an seine Brust ziehen. Augenblicklich liegen zwei Finger unter meinem Kinn und heben meinen Kopf leicht an. »Irgendwann platzt dein Kopf noch, Emma. Was eine Verschwendung wäre, denn du siehst wunderschön aus.«

Ich spüre, dass ich rot werde. »Nicht unwahrscheinlich«, gebe ich zu. »Sich gegen Naturgesetze zu wehren, ist auf die Dauer ziemlich zermürbend.«

Seufzend schiebt Marc mich von sich, nur um kurz darauf zwei runde Magnete vom Kühlschrank zu ziehen. Ich bin mir sicher, dass er gleich wieder die Situation entschärfen wird. Das ist neben seiner Fähigkeit zur Manipulation Marcs größtes Talent.

»Wie erkläre ich es dir am besten«, beginnt er. »Damit du endlich begreifst, dass deine Naturgesetze in meiner Welt nicht gelten?«

Er schiebt beide Magnete zueinander, wie erwartet stoßen sie sich ab.

»Siehst du«, maule ich. »Jedes Mal, wenn du sie zwingst, miteinander klarzukommen, springt einer von ihnen ab. Wie Feinde eben.«

»Und du ärgerst dich darüber?«

»Ja, weil es mit uns dasselbe ist.« Um ehrlich zu sein, bin eigentlich ich diejenige, die immer Zweifel plagen, ob unsere Liebe fake ist.

Doch wenn es kein Magisches Gesetz gibt, das Marc und mich in eine Verbindung zwingt, weshalb bin ich allein gegen seine gruseligen Damon-Manipulier-Tricks immun, während Marc der Einzige ist, der meiner Alien-Zeitanhalt-Scheiße widersteht? Das ist der Punkt von Jansens Ausführungen, der mich am meisten ärgert und wegen dem ich Lincolns Ex-Bürgermeister nicht einfach als Idiot abstempeln kann.

Zerknirscht entreiße ich Marc beide Magnete und schiebe sie mit roher Gewalt aneinander, bis die beiden widersinnigen Dinger stärker sind als ich. Dann gebe ich auf. »Siehst du.«

Marc nickt, sein Mund ist zu einem Strich verzogen.

»Jetzt bist du sauer.«

Er wartet kurz, dann atmet er hörbar aus. »Manchmal wünschte ich mir, ich könnte deinen Verstand in dieser einen Sache manipulieren. Damit du die Dinge ein einziges Mal so sehen kannst wie ich.« In seine Augen tritt ein seltsames Leuchten. »Vielleicht sollte ich es häufiger versuchen.« Er bleckt spielerisch die Zähne.

»Vielleicht friere ich dich zu selten ein.« Hoffentlich hört er das hysterische Kichern nicht, denn unser Gespräch erreicht gerade ziemlich schnell den haarigen Teil. Aufs Stichwort läuft mir ein eiskalter Schauder über den Rücken.

»Niemals würde ich etwas gegen deinen Willen tun.« Marc beugt sich zu mir herab und küsst mich. Was man anscheinend von mir und meinen Hexen-Kräften nicht behaupten kann. Wie sonst ist es zu erklären, dass meine Gabe Marc in Gefahr bringt?

Entgegen meiner Angst presse ich mich enger an Marc und küsse ihn. Es ist ein richtiger Kuss, innig. Der ganz langsam anfängt, und mich nach zwei Sekunden vergessen lässt, wo ich bin. Oder warum um alles in der Welt ich mir schon wieder selbst im Weg stehen muss.

Es ist die Wut auf mich selbst, die meine Gedanken weg von unserem Kuss lenkt. Sofort liegen Marcs Lippen deshalb härter auf meinen, drängender als zuvor. Mein Herz stolpert und am liebsten würde ich ihn mir schnappen und diesen Kuss nie wieder hergeben, dann plötzlich erstarrt er und löst sich abrupt von mir.

»Was ist los, Emma? Erzähl es mir!«

»Ich ...«, überrumpelt will ich meine Lippen wieder auf seine drücken, doch Marc ist schneller, nimmt mir die Magnete weg und wartet unsicher. Mein nervöses Lächeln macht ihn misstrauisch.

»Es hat etwas mit deiner überstürzten Flucht vergangenen Samstag zu tun, nicht wahr?«

Erneut schlucke ich. »Es ist, na ja ...« Ich lächle schwach. Marc dreht beide Magnete gleichzeitig so schnell zwischen seinen Fingern, dass mir nur vom Zusehen schwindelig wird.

»Du wirst durchdrehen, befürchte ich.«

»Quatsch.« Doch das Wirbeln verebbt. »Wovon redest du?« »Letzten Samstag ... sei bitte ehrlich. Als du meine Handgelenke gepackt und mich geküsst hast ...« Ich unterbreche mich, bevor die Worte zu unbedacht aus meinem Mund huschen können. Ich hätte das alles hier definitiv besser planen müssen. Marc sieht aus, als würde er gleich aus der Haut fahren, was bei Walküren nicht nur ein dämliches Sprichwort ist, sondern tödlich.

Aber jetzt bringt es ja auch nichts mehr.

Ich hole tief Luft. »Hast du da auch etwas bemerkt?« Ich gerate erneut ins Stocken. Mein Blick wandert von meinem linken Handgelenk rüber zum rechten, wo sich am Wochenende das erste Mal seit dem Kampf mit Kara wieder übermenschliche Kraft gesammelt hat. Ich ringe nach Luft.

Marc sieht irritiert aus. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst. Immer wenn dein Körper so eng an meinem ist, dann reagiere ich ...«

»Nein, das mein ich nicht.« Ich merke, dass es um meine Mundwinkel herum zuckt. Dieses Gefühl hat absolut nichts mit dem zu tun, was die Stimmung zwischen ihm und mir am Samstag abrupt runtergezogen hat. »Du hast mich berührt und mein Körper hat reagiert.« Jetzt ist es raus. Na ja, im Ansatz zumindest.

»Inwiefern?« Es ist mehr als offensichtlich, dass Marc nicht kapiert, was ich ihm zu sagen versuche. Ich gebe mir ja auch nicht besonders große Mühe.

Wieder brauche ich deshalb zu lange, um zu antworten. Es stört mich gewaltig, dass ich mittlerweile der abstoßende Magnet bin. Marc kann sein Wesen so drehen und wenden, dass er sich meinem perfekt angleicht. Er hat sich unter Kontrolle und ist keine Gefahr mehr. Ich hingegen bin zum Störsender geworden.

Wenn ich wenigstens wüsste, ob Jansen recht hat - oder ob irgendetwas ganz anderes hinter der Verbindung zwischen Marc und mir steckt.

»Emma, erzähl mir, was los ist!«

Was soll ich denn sagen? Wie soll ich es erklären? Da ist so viel in meinem Kopf. Ich habe Angst, dich nicht zu lieben. Ich habe Angst mich selbst bei der ganzen Sache zu verlieren. Ich will kein übernatürliches Wesen sein. Wieso kümmert es dich so wenig, ob Jansen recht hat und unsere Verbindung nicht wahrhaftig ist? Wie kannst du dir deiner Liebe so sicher sein? Bring es mir doch bei! Ich will dich lieben, nicht verletzen. Ich will es so sehr... aber was ist, wenn ich es nicht kann?

Die Haustür springt donnernd auf, bevor ich auch nur ein Wort herausbringen kann.

»Das hier ist nicht London, Katrin«, schimpft Dad im nächsten Moment genervt. »Die arme Verkäuferin ist fast durchgedreht. Primeln und Tulpen sind doch keine verdammten Friedhofsblumen!«

Einen Augenblick legt mir Marc seine warme Hand auf die Wange, dann heftet er einen Magnet an den Kühlschrank, den anderen dreht er demonstrativ einfach um. So lassen sich beide problemlos aneinanderschieben. Aber jetzt kommt es mir auch so vor, als würden wir bei einem festgelegten Spiel schummeln und uns den Regeln der Natur widersetzen. Schließlich legt Marc die Magnete auf die Anrichte. Einen mit der matten Seite nach oben, den anderen mit der glänzenden.

Dann lehnt er sich zu mir. »Siehst du«, flüstert er. »Es findet sich immer ein Weg. Auch wenn du ihn gerade nicht sehen kannst, gehe ich einfach schon einmal für uns voraus. So hast du es letzten Herbst auch getan. Komm nach, wenn du so weit bist.«

Dad und Mum finden jedenfalls ihren Weg gerade zu uns in die Küche. Mein Vater demonstrativ stapfend, um sicherzugehen, dass ich ihn auch höre, Mum zetert. Als beide erst mich und Marc und dann die angespannte Stimmung zwischen uns wahrnehmen, lässt Marc seine Hand von meiner Wange sinken, ohne dabei mit der anderen meine loszulassen.

»Alles okay?«, fragt Mum argwöhnisch. Dad bringt sich sofort aus der Schusslinie. Obwohl Gefühle ja neuerdings sein Ding sind, ist er scheinbar nicht bereit für den aktuell in der Küche stattfindenden Emotions-Superbowl.

Ich lächle unsicher. »Ich glaub, jetzt hat mich doch das Abschlussball-Fieber gepackt.« Übertrieben langsam stecke ich mir eine entwischte Strähne hinters Ohr.

»Wusste ich’s doch.« Mum kommt auf mich zu, Marc hebt meine Hand an und legt sie in die meiner Mutter. »Du siehst ja wirklich nervös aus, Schatz«, stellt sie fest.

»Mein Onkel besteht darauf, mich zu fahren«, antwortet Marc an meiner Stelle. Seine Augen sind zusammengekniffen, als er mich taxiert. »Wir sehen uns gleich in der Schule, in Ordnung?«

Es ist eine richtig dumme Idee gewesen, ihm zwischen Tür und Angel von letztem Samstag zu erzählen. Wahrscheinlich übertreibe ich einfach maßlos und das am Wochenende hatte keine Bedeutung. Aber seit Tay mich beschuldigt hat, eine Spionin der anderen Seite zu sein, möchte ich nichts länger verschweigen als nötig. Vor allem deshalb, weil ich Sorge habe, Tay könnte mit seinem Verdacht richtigliegen.

Ich wusste nur nicht, dass ehrlich zu sein so schwer ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir alle im Herbst nicht nur in eine Falle gelaufen sind, sondern ich der alles entscheidende Teil dieser bin.

Marc rückt ein paar Schritte von uns ab. »Katrin ...« Er reicht ihr eine Hand, doch als Mum nicht sofort danach greift, senkt er sie wieder. »Bitte entschuldigt mich ...« Ohne ein weiteres Wort geht er an Mum vorbei, ein bisschen zu schnell. Ziemlich wütende Schritte.

Zum Glück hat meine Mutter nur Augen für meine Haare. Tadelnd hebt sie die Augenbrauen.

»Habt ihr euch gestritten?«

Ich schlucke. »Los, Mum«, lenke ich schnell ab. Die Zeit ist nun doch schneller vergangen als gedacht. »Wir kommen sonst zu spät. Hast du die Blumen?«

»Nein! Du gehst nicht mit Friedhofsblumen auf einen Abschlussball.« Mum verdreht die Augen und während sie in ihrer Tasche nach etwas kramt, werfe ich einen kurzen Blick auf die Magnete, die noch immer auf der Anrichte ruhen: der linke mit der glänzenden Seite nach oben, der andere mit der matten. Beide kommen auf diese Weise gut miteinander aus. Obwohl das wirklich nach einer brauchbaren Lösung aussieht, hefte ich sie, nachdem Mum mir ein dunkelblaues, lose geketteltes Armband um mein Handgelenk gebunden hat, wieder zurück an den Kühlschrank. Ein gutes Stück voneinander entfernt. So wie es die Naturgesetze eben für sie vorgesehen haben.

»Auf einen Schlag erwachsen« ist auch nur so lange eine lustige Redewendung, bis jemand zwei Buchstaben vor eines der Worte setzt

»Alles klar bei dir?«, flüstert Ash, als sie mir die Tür von Dads Pick-up aufhält, um mir anschließend auf dem Parkplatz vor der Schule aus dem Wagen zu helfen. »Du wirkst irgendwie ... nervös.«

»Natürlich.« Ich lächle unsicher. »Schon vergessen, welcher Tag heute ist?«

Grinsend hakt meine beste Freundin sich bei mir unter. Gerade setzt sie zu einer Antwort an, da schiebt Dad sich energisch zwischen uns und legt mir einen Arm um die Schultern. Augenrollend gibt Ash mich frei und stapft kurz darauf in Richtung ihrer Eltern, die gemeinsam mit den anderen Erwachsenen und ein paar Absolventen vor der Cafeteria warten.

Mum kann ich aus der Entfernung nicht erkennen. Sie hat darauf bestanden, noch schnell im Supermarkt nach passenden Blumen zu schauen. Weil ich sonst zu spät gekommen wäre, hat Dad sie kurzerhand darum gebeten, das kurze Stück bis zum Schulgebäude zu Fuß zu gehen. Zu meiner Überraschung hatte Mum damit kein Problem, vielleicht, um einer weiteren Diskussion mit meinem Vater zu entgehen. Hoffentlich findet sie den Weg hierher. Im Grunde führt der vom Supermarkt nur fünf Minuten geradeaus, aber Mums Orientierungssinn ist katastrophal.

»Es sind ja noch ein paar Monate, bis es wirklich so weit ist, aber ...« Dad räuspert sich, dann wischt er sich unauffällig mit der freien Hand über die Augen. Sein Blick versucht alles einzufangen, nur nicht mein Gesicht. »Nach dem Abschlussball bin ich damals sofort nach Boston abgehauen. Hab keine Sekunde gezögert und meinen Alten alleingelassen. Sofort aufs College. Wenn du erstmal den Abschluss hast, hält dich ja nichts mehr hier in dieser öden Kleinstadt bei deinem langweiligen Vater ...« Jetzt schluckt er ein bisschen. »Ist natürlich nachvollziehbar. Du hast nicht das Gefühl, dass ich dich hier einsperre, oder? Deine Mutter hat vorhin beim Blumenladen so etwas behauptet ...«

»Dad«, stöhne ich leise. »Das hatten wir doch schon: Mich wirst du nicht so schnell los. Ich bleib in Lincoln und führe den Laden weiter.« Ich schlucke den Kloß nach unten. »Hier. Mit dir. Zum zweihundertsten Mal: Versprochen!«

Brummend wandert sein Blick wieder umher, sicher auf der Suche nach Marc, der nach Dads Meinung die größte Bedrohung darstellt, dass es mich entgegen meiner Beteuerungen doch in die große weite Welt verschlagen wird. Auf einen anderen Kontinent, um genau zu sein. Immerhin kommt Marc ja offiziell aus Wales in Großbritannien. Wenn Dad wüsste, dass Wales im Vergleich zu Walhalla echt ziemlich nah ist ...

»Erzählst du mir, was vorhin in der Küche los war?« Beunruhigt wendet er sich zu mir. »Du siehst immer noch ein bisschen blass um die Nase herum aus. Du weißt, dass du nichts tun musst, ja? Wenn Marc irgendetwas verlangt ...«

»Nichts war da, Dad. Marc würde mich nie zu irgendetwas überreden, das ich nicht will.« Ich atme tief durch und zwinge mich, die Fassung zu bewahren. »Er ist einfach genauso irritiert davon, dass unser Abschlussball kurz nach Weihnachten stattfindet. Das ist doch verrückt.« Mit Unwohlsein im Bauch schaue ich in den wolkenverhangenen Himmel. »Ich meine ... der Abschlussball ist eine ziemlich große Nummer, das stimmt schon, aber manche von uns wissen ja noch gar nicht, ob sie überhaupt bestehen werden.«

Meine Beine werden allerdings gerade aus einem ganz anderen Grund weich. Im Sommer noch habe ich auf meinen Abschluss hingefiebert. Wenn mir erst mal die Schule nicht mehr im Weg steht, könnte ich den ganzen Tag in Dads Laden verbringen.

Doch heute, ein halbes Jahr später, hab ich das Gefühl, mit meiner Schulzeit bald viel mehr hinter mir zu lassen als nervige Lehrer und das Bangen vor miesen Noten. In gewisser Weise ist der Anfang-Ende-Gedanke eines Abschlussballs, zumindest was meine ungewisse Lage im Moment anbetrifft, ziemlich zutreffend.

Denn in meiner Zukunft liegt weitaus mehr Unsicherheit, als es üblich für mein Alter wäre. Immer-dasselbe-Tun funktioniert, seit Marc ein Teil meines Lebens ist, nicht mehr. Vielleicht gilt der Neuanfang-Unsinn für mich also doch auch heute schon ein wenig mehr als für die anderen.

Zu lange hänge ich meinen Gedanken nach. Einen Augenblick ist Dad deshalb verwirrt, dann lacht er verunsichert, und eine Sekunde später erreichen wir zum Glück die Mensa.

»Dein alter Herr macht sich nur Sorgen, Ems. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich dich erst gestern wieder aus London zurückbekommen, jetzt stehst du hier als großes Mädchen, als junge Frau.« Er zieht mich unbeholfen in eine Umarmung. »Nun, ich schau mal, ob deine Mutter vor dem Gebäude wartet. Tom reserviert uns Plätze im Theaterraum.« Kurz drückt Dad meine Schulter. »Bis gleich und fall nicht hin.« Dann verschwindet er, wie auch die übrigen Begleiter meiner Mitschüler, ums Eck zum Haupteingang, und ich betrete das Gebäude.

In der Mensa herrscht undurchsichtiges Chaos. Alle Versuche, uns in alphabetischer Reihenfolge aufzustellen, scheitern. Hilflos blicke ich auf und entdecke Ash weiter vorne in der unordentlichen Schlange, ihre Finger krallen sich in ihre gelbe Robe. Zum ersten Mal seit wir uns kennen wirkt Ash, als erleide sie jeden Moment einen Schock. Als sie mich erkennt, winkt sie mir lächelnd zu. Silas wird gerade von Zeno, unserem Englisch- und Theaterlehrer, hinter Ash eingereiht, Will trödelt noch bei Liu rum.

Nur Marc kann ich nirgendwo entdecken. Lässt er die Abschlussfeier sausen? Vielleicht hat er mehr von meinem Gestammel in der Küche kapiert als angenommen. Prüfend wandert mein Blick auf meine Handgelenke, ein Automatismus. Nichts. Keine eiskalten Schauder. Nur das Armband, das mir meine Mutter vorhin umgebunden hat. Ich bin froh, dass es keine Blumen geworden sind. Niemand meiner Mitschüler hat welche.

Zenos verzweifeltes Rufen reißt mich aus meiner Grübelei. »Miss Smith?!«, brüllt unser Englischlehrer harsch. Und als er mich entdeckt: »Los, los!«

Ich werfe einen letzten flüchtigen Blick durch den Raum, dann stolpere ich zu Zeno nach vorne, um mich schließlich hinter Will und Liu einzureihen. Deren Nachnamen folgen definitiv nicht aufeinander. Noch ehe einer von beiden losquasseln kann, gibt Zeno das Signal zum Start und dann geht alles ganz schnell. Ich versuche gleichzeitig einen Schritt vor den anderen zu setzen, um mit dem viel zu hektischen Tempo meiner Mitschüler mitzuhalten und dabei nicht auf die überlange Robe zu treten. Ich merke, wie angespannt ich werde, je dichter wir uns im schmalen Gang des Theaterraums aneinanderdrängen, je mehr neugierige Blicke mich treffen.

Marc bleibt verschwunden.

Der Schuldirektor erzählt etwas auf der Bühne, doch in meinen Ohren wird der unterschwellige Rhythmus seiner Stimme unverständlich. Es ist, als fließen Worte, Sätze und Ton ineinander. Dann beginnt er plötzlich damit, uns nach vorne auf die Bühne zu rufen, ein Name nach dem anderen. Er macht keine Pause und die Tatsache, dass wir nicht nach Alphabet aufgestellt sind, führt dazu, dass es rechts und links von mir Gedrängel gibt. Die Sekretärin kommt komplett durcheinander und reicht dem Rektor mehrfach falsche Urkunden, der wiederum ins Stottern gerät und sich nervös durch die strähnigen Haare fährt.

Man sollte meinen, dass ein vorgezogener Abschlussball mit symbolischen Urkunden lächerlich wäre, aber die Tränen jener Eltern, deren Kinder freudestrahlend von der Bühne steigen, sind echt. Die überschwänglichen Gefühle im winzigen Theaterraum sind es ebenso.

In dem Moment eilt Kate, die Tochter des hiesigen Zeitungschefs, an mir vorbei nach vorne, ihr Blick wandert suchend in der Menge umher, bis sie ihren Vater gefunden hat. Der hat seine Augen allerdings starr auf etwas in seinen Händen gerichtet. Sein Smartphone vielleicht? Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, denn als hätte es einen Zeitsprung gegeben, verlässt Kate auch schon die Bühne. Sie sieht etwas verwirrt aus, aber nicht bestürzt über das unhöfliche Verhalten ihres Vaters, der sich gerade zu der jungen Frau neben sich gebeugt hat, um ihr etwas zuzuflüstern. Ihre Augen weiten sich.

Hinter mir drängelt jemand, dann höre ich den Schuldirektor meinen Namen aufrufen. Automatisch setzen sich meine Beine in Bewegung, den Kopf halte ich dabei gesenkt, um nicht über meine eigenen Füße oder die dämliche Robe zu stolpern, bis jemand weiter vorne in wildes Gejohle ausbricht. Als ich aufschaue, sehe ich Tom, der breit lächelnd einen Arm um Dads Schulter gelegt hat und mit der freien Hand Mum abklatscht. Auch sie jubelt mir enthusiastisch zu. Gerade noch so kann ich hinter ihr einen mir unbekannten Rotschopf ausmachen, dann ertönt mein Name erneut. Ich stolpere die letzten Meter bis zur Bühne und dann die drei schmalen Treppenstufen hoch.

»Miss Smith, viel Erfolg bei den anstehenden Prüfungen«, sagt der Schuldirektor und rückt Brille und Krawatte zurecht, um mir anschließend ein Blatt Papier in die Hand zu drücken, auf dem dasselbe steht, was er eben laut gesagt hat.

»D-Danke.«

Ein einziges, gestottertes Wort und ich bin wieder runter von der Bühne.

Ash und Silas ziehen mich zu meinen Mitschülern. Zwischen den Reihen gibt es aufgeregtes Gedränge. Beide haben ganz rote Augen und obwohl mir Silas lächelnd ein Taschentuch hinhält, dauert es einen langen Moment, bis ich begreife, dass auch mir Tränen über die erhitzten Wangen kullern. Der Schuldirektor ruft weitere Namen auf, noch ungeduldiger als zuvor.

Wieso macht mich das Theater plötzlich so sentimental? Zur Sicherheit umgreife ich mit einer Hand meinen Hut - bestimmt wird der Schuldirektor gleich das Zeichen zum Werfen geben -, mit der anderen tupfe ich mir das Gesicht ab.

»Ich fasse es nicht«, plappert Silas über das immer lauter werdende Stimmengewirr um uns herum hinweg. »Wenn bei Emma mal Tränen fließen, muss es wohl unser Abschluss sein.«

»Vorgezogener Abschluss«, murmle ich benommen, als Silas mich in eine Umarmung zieht und kurz darauf auch Ash ihre Arme um uns beide schlingt. »Wir haben noch ein paar gemeinsame Monate.«

»Danach geht endlich das Leben los!«, antwortet Ash. »Scheiße, Leute. Wir gehen bald fast alle studieren, oder? Dann sehen wir uns nicht mehr jeden Tag. Wie soll ich das aushalten?!«

Ich erwidere ihre Umarmung und Silas antwortet. »Wir gründen tausend WhatsApp-Gruppen, skypen mindestens einmal wöchentlich und besuchen uns zweimal im Monat! Wenn Emma den Laden übernommen hat, wird der unser Stammtisch, oder?« Bis ich begreife, dass das eine Frage gewesen ist, redet Silas schon weiter. »Ich kann nicht glauben, dass die Schule uns die Abschlusszeremonie wirklich ermöglicht hat.« Erst jetzt fällt mir auf, dass er anstelle des Absolventenhutes eine schwarze Kappe trägt; vermutlich wegen des Haarfärbe-Unfalls, von dem Dad vorhin erzählt hat. »Es kommt mir so vor, als wär es wirklich schon vorbei.«

»Können wir nicht nochmal zurück auf Anfang?«, schnieft Ash, dann lässt sie ihre Arme sinken. Silas hält mich etwas länger fest. Über seine Schulter hinweg sehe ich, wie Marc plötzlich vor der Bühne auftaucht, elegant die Treppe nach oben schreitet, um dort seine Urkunde entgegenzunehmen. Er sieht angespannt aus ... oder hoch konzentriert. Kein einziges Mal schaut er zu mir, keine Sekunde lasse ich ihn aus den Augen. Seine Haare sind ungewohnt zerzaust und die Gesichtszüge ein wenig verzerrt. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht, und es nervt mich gewaltig, dass ich anscheinend nicht zum Kreis der Eingeweihten gehöre. Nie und nimmer verhält sich Marc wegen mir so.