Whisperworld 3: Geheimnis des Meeres - Barbara Rose - E-Book

Whisperworld 3: Geheimnis des Meeres E-Book

Barbara Rose

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Beschreibung

Lesespaß mit Sogwirkung – auf nach Whisperworld! In Whisperworld, einem Land fernab der Zivilisation, werden Kinder zu Tierflüsterern.  Sie wachsen über sich hinaus, retten bedrohte Arten und finden Freunde fürs Leben.    Eine aufregende Reise für Leser*innen ab 9 in eine unbekannte Welt - voll mit wilden Tieren, Fantasiewesen und spannenden Prüfungen! Eine neue Mission für die Tierflüsterer: Die Wesen im Nachtblauen Meer brauchen ihre Hilfe. Chuck, Coco, Paul, Enisa, Amy und Mohit lernen Segeln und Tauchen. In der neuen Umgebung beweisen sie Mut und Geschick: Sie schwimmen mit Haien, retten Schildkröten und unter Wasser treffen sie auf die fantastischen Meerwesen Askaaid, die die Freunde mitnehmen in ihr Reich. Und die Tierflüsterer sind nicht die einzigen Besucher unter Wasser. Wer bedroht die friedliche Welt?   Ein Buch voller Fantasie und Abenteuer, das Kindern auch das Thema Artenschutz näherbringt "Wir haben definitiv Feuer gefangen und wir brauchen mehr! Diese Bücher sind für alle geeignet, die zwischen Fantasie und Wirklichkeit wandern, Tiere lieben und dazu noch Abenteuer mit dem Tüpfelchen Nervenkitzel in kindgerechter Art mögen. Unbedingt lesen!" Leser*in von Whisperworld

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Barbara Rose

Whisperworld – Geheimnis des Meeres

Mit Bildern von Alina Brost

 

In Whisperworld, einem Land fernab der Zivilisation,

werden Kinder zu Tierflüsterern.

Sie wachsen über sich hinaus,

retten bedrohte Arten

und finden Freunde fürs Leben.

 

Eindringlinge im Nachtblauen Meer! Ein Hai überbringt Doktor Noa die beunruhigende Nachricht. Die Tierflüsterer Coco, Chuck, Amy, Mohit, Enisa und Paul werden gebraucht und müssen schnell lernen, in dieser völlig neuen Umgebung zurechtzukommen. Denn in dem Paradies warten nicht nur weiße Strände und aufregende Tierarten, sondern auch mysteriöse Unterwasserwesen auf sie.

Und es gibt ein Geheimnis, das unbedingt gewahrt werden muss ...

Buch lesen

Personenvorstellung

Glossar

Viten

Whisperworld – ein Land am Ende der Welt.

Geheim und verborgen.

Nur ein einziges Buch erzählt seine Geschichte.

In Whisperworld leben Tierarten, die längst als ausgestorben galten.

Dort finden bedrohte Tiere eine Heimat.

Dort werden sie beschützt.

Beschützt von den Tierflüsterern.

Jedes Mädchen und jeder Junge träumt vom Ruf nach Whisperworld.

Denn in Whisperworld werden Kinder zu Tierflüsterern.

Mädchen und Jungen, die alles geben, um unsere Welt zu retten.

Wer wird auserwählt?

Wer darf bleiben?

Hörst du das Flüstern aus Whisperworld?

Hell und glänzend strahlte der Vollmond am Himmel und eine kräftige Brise kräuselte die Oberfläche des Indigobachs.

Den ganzen Tag über hatte sich die Hitze im Deepwood festgebissen wie ein Tier in seiner Beute. Erst jetzt, in den späten Abendstunden, kühlte es im Dschungel ab.

„Genau die richtige Temperatur für ein erfrischendes Bad.“ Lady Poppy band sich die langen schwarzen Haare hoch und ließ sich ins Wasser gleiten. „Alle anderen schlafen längst, wir stören sicher keinen. Komm, Eleonor, du brauchst ein bisschen Entspannung. Und du hast deinen Badeanzug doch schon an. Worauf wartest du?“

Doktor Eleonor Noa blieb schweigend am Ufer stehen und betrachtete ein unglaubliches Schauspiel der Natur, das hier im Dschungel nur selten vorkam. In dieser Nacht wirkte das Wasser des Bachs, der südlich vom Hauptquartier der Tierflüsterer durch den Dschungel floss, nicht schlammfarben wie sonst, sondern schien in einem mystischen blaugrünen Licht zu glühen, als würde es von unten angestrahlt. Bei jeder Schwimmbewegung, die Lady Poppy machte, erstrahlte das Licht aufs Neue.

„Wunderschön! Biolumineszente Algen“, flüsterte Doktor Noa beeindruckt. „Man nennt sie die Glühwürmchen der Meere, denn dort kommen sie häufig vor. In einem Bach wie unserem eher selten. Das sieht magisch aus.“

„Komm jetzt endlich rein, Eli!“ Lady Poppy hob ihren Arm und spritzte eine kräftige Ladung Wasser auf ihre Cousine.

Doktor Noa zögerte. Der Anblick war einfach überwältigend, sie musste ihn noch einen Moment genießen. Doch dann riss sie sich los, hob die Arme, spannte die Finger an und sprang kopfüber vom Steg ins kühle Nass.

Platsch!

Eintauchen.

Abtauchen.

Kein störendes Geräusch mehr, keinerlei Gedanken an die mögliche Gefahr, die seit Wochen über ihnen schwebte. In dem Moment, als sie vom Wasser umgeben war, fiel nach und nach die Anspannung von Eleonor Noa ab. Sie unterdrückte ihre permanente Sorge darüber, dass Fremde in Whisperworld eingedrungen waren, dass sich Feinde an diesem geschützten Ort aufhielten, die nicht davor zurückschreckten, Natur und Tieren zu schaden. Sie atmete tief ein und ließ sich nach unten gleiten.

Im Wasser gab es nur noch Schwerelosigkeit.

Völlige Ruhe.

Plötzlich stoppte Doktor Noa in ihren leichten Schwimmbewegungen. Etwas umfasste ihren Knöchel. Sie strampelte, aber es war zwecklos. Mit einem Ruck wurde sie an die Wasseroberfläche gezogen.

„Hab dich!“ Lady Poppy lachte. „Genug entspannt. Los, Wasserschlacht!“ Mit ausladenden Armbewegungen schob sie hohe Wellen auf Doktor Noa und hatte den Spaß ihres Lebens.

Glucksend wehrte Doktor Noa sich gegen die Angriffe, doch Lady Poppy war kräftiger und schaffte es immer wieder, Docs Kopf unter Wasser zu drücken.

In diesem Trubel bemerkte keine von ihnen den torpedoförmigen Körper, der durch den Indigobach auf die beiden Frauen zuschoss.

„Jetzt gehts dir an den Kragen, Eli.“ Lady Poppy rieb sich das Wasser aus dem Gesicht.

„Ha! Warts ab!“, röchelte Doktor Noa, die gerade einen Schwall brackigen Bachwassers abbekommen hatte. Sie hustete und musste die Augen schließen.

Die Rückenflosse pflügte immer schneller durch den Indigobach.

„Komm doch her, wenn du dich traust!“ Lady Poppy lachte.

„Vorsicht!“, kreischte Doktor Noa und aller Spaß war aus ihrer Stimme verschwunden.

Das Wasser des Indigobachs brodelte, schäumte und gurgelte, so rasant und zielgerichtet wälzte sich die Rückenflosse mit dem dazugehörigen Körper auf Lady Poppy zu.

Hektisch blickte Lady Poppy umher, um den Grund für Eleonors Ausruf und das unruhige Wasser zu entdecken. „Was ist das?!“

Gerade wollte Doktor Noa die Hand ausstrecken, um Lady Poppy zu sich zu ziehen, da schoss ein breiter Kopf aus dem Indigobach. Ein gewaltiger Hai öffnete sein Maul und gab den Blick auf sein Revolvergebiss frei, viele Reihen langer, spitzer Zähne. Nur ein winziges Zucken und sie würden sich in Lady Poppys Körper bohren. Ihr Todesurteil, denn es handelte sich um einen riesigen, fast sechs Meter großen Weißen Hai.

Mit weit aufgerissenen Augen und schwachen Schwimmbewegungen starrte Lady Poppy den Hai an.

„Stopp!“ Doktor Noa hob die Hand aus dem Wasser. Ihr Tonfall war hart und duldete keinerlei Widerspruch.

Der Hai schien das ohne Weiteres zu akzeptieren, denn er schloss das Maul und glitt auf Doktor Noa zu.

„Eleonor …“, sagte der Hai.

„Havur, du bist es!“ Die Anspannung wich aus Doktor Noas Gesicht.

Der Hai schlug mit der Schwanzflosse in Richtung Lady Poppy. „Ich dachte, sie wolle dir etwas tun.“

Doktor Noa lachte erleichtert auf. „Wir haben nur Quatsch gemacht, Havur. Das ist meine Cousine, Lady Poppy. Ihr kennt euch noch nicht, stimmts?“

„Uff“, machte Lady Poppy nur und kraulte erschöpft zum Steg, um sich dort auszuruhen. Dabei machte sie einen weiten Bogen um das bemerkenswert große Tier.

„Du bist bestimmt nicht zufällig hier, Havur?“ Doktor Noa paddelte auf der Stelle. „Was dagegen, wenn ich es Poppy nachmache und wir vom Steg aus mit dir sprechen?“

Havur fletschte die Zähne. „Ich warte.“

Doktor Noa kletterte aus dem Wasser und setzte sich neben Lady Poppy. Doktor Noa bemerkte, dass sich auf dem Körper ihrer Cousine Gänsehaut gebildet hatte, ihre Zähne klapperten trotz der milden Temperaturen. Sie legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Ein Mordsschreck. Aber es geht schon wieder.“ Lady Poppy lächelte.

Doktor Noa blickte zu Havur. „Warst du neulich schon mal hier? Warst du es, den Paul gesehen hat?“

„Nein, das war Akula, ein Schwarzspitzen-Riffhai. Du weißt, warum er gekommen ist.“

Doktor Noa lächelte. „Ich kann es mir denken.“

Havur stemmte sich kraftvoll aus dem Wasser, sodass Doktor Noa mit ihrer ausgestreckten Hand ein Metallteil aus Havurs Biss befreien konnte.

„Was ist das?“ Doktor Noa griff nach dem Gegenstand, drehte ihn zwischen den Fingern und entzifferte die aufgedruckten Buchstaben. „THYS.“ Sie starrte Lady Poppy an. „Verdammt! Dieses Stück Metall gehört zu dem Schild, das an unserer Meeresstation hing. Das muss mit Gewalt abgerissen worden sein. Wie bist du darangekommen, Havur?“

„Jemand hat sich an dem Objekt zu schaffen gemacht. Das Schild lag auf dem Meeresboden.“ Der Hai grunzte laut. „Tut mir leid, wenn ich euch die Stimmung verderben muss, aber es gibt Probleme im Nachtblauen Meer.“

Chucks Lunge brannte, seine Füße schmerzten, aber er durfte nicht aufhören zu rennen.

Ich muss sie abhängen, dachte er panisch. In seinem Kopf wummerte es, als würde jemand darin Schlagzeug spielen. Ich muss mich irgendwo verstecken, mich in Sicherheit bringen. Aber wo?

Aufgereiht wie Perlen an einer Kette standen die Reihenhäuser, an denen Chuck vorbeiraste. Es war die Wohngegend, in der er mit seiner Mutter lebte, hier kannte er sich aus. Und deshalb wusste Chuck auch, dass die Straße, durch die er preschte, immer das gleiche Bild und wenig Hoffnung bot: Gehweg, Zaun, Vorgarten, Haus. Eins heruntergekommener als das andere. Fensterscheiben, die gelb vom Zigarettenqualm waren, Putz, der von den Wänden blätterte, überquellende Mülltonnen vor den Haustüren. Nirgendwo ein Busch, hinter dem er sich verbergen konnte, kein geöffnetes Garagentor, kein Geschäft, das Zuflucht verhieß. Alles verrammelt und geschlossen und heruntergekommen. Armut, Resignation, Feindseligkeit. Hier würde ihm keiner helfen.

Chuck schwitzte. Ihm war schwindelig, er hatte höllische Kopfschmerzen und sein Magen rebellierte heftig.

Weiterlaufen, dachte er, du musst weiterlaufen.

„Gib auf, Weichei!“, brüllten die Jungen hinter ihm.

„Du kriegst ’n paar aufs Maul!“

Chuck warf einen Blick über die Schulter. Seine Mitschüler hatten aufgeholt, gleich würden sie ihn packen und zu Boden werfen. Chuck riss sich zusammen, beschleunigte noch einmal seine Schritte, obwohl er kurz vor dem Zusammenbruch war. Da hörte er plötzlich ein melodisches Pfeifen und …

Chuck?

Oh nein, waren sie schon neben ihm? Mit einem weiteren Schulterblick stellte Chuck fest, dass die vier Jungen noch immer zurücklagen, er hatte ein bisschen Entfernung gutgemacht. Aber was wollte dieser komische bunte Vogel, der auf einmal neben ihm flog?

„Verschwinde“, knurrte Chuck und wedelte mit der Hand.

„Vergiss es!“, brüllte einer seiner Verfolger, der Chucks Aussage auf sich bezogen hatte. „Gleich bist du dran!“

Beim letzten Mal hatten sie Chuck im Fahrradkeller der Schule die Nase gebrochen. Das Mal davor, im Stadtpark, hatte einer von Chucks Schneidezähnen eine Ecke verloren. Die anschließende Behandlung beim Zahnarzt war die Hölle gewesen. Das musste nicht schon wieder sein.

Aber wohin?

Chuck, folge mir!

Irritiert und heftig atmend sah er nach rechts und links, aber da war keiner. Nur dieser komische Vogel. Vielleicht ein Papagei? Die konnten tatsächlich sprechen und möglicherweise … Chuck überlegte nicht lange, sondern spurtete dem Vogel hinterher.

Er führte ihn um ein paar Ecken und über schmale Zäune hinweg … Chuck blickte über die Schulter. Und … er war allein. Der Triumph währte nur kurz, denn er konnte die anderen schon bald wieder hören. Sie waren nicht fern. Gerade wollte er über den kniehohen Zaun vor der alten, stillgelegten Gießerei springen, um sich auf dem großen Gelände in Sicherheit zu bringen, als er die quietschenden Reifen eines Autos hörte. Gefolgt vom Schreien einer Katze. Das Auto beschleunigte und verschwand.

Chuck ballte die Fäuste. Nein, nein, nein! Auf keinen Fall würde er sich jetzt um das blöde Vieh kümmern. Er musste schließlich seinen eigenen Hintern retten!

Chuck! Mach was!

Chuck presste verzweifelt die Hände an die Schläfen. Der Vogel. Das Auto. Die Katze. Die Jungs aus seiner Schule. Das war alles zu viel für ihn.

Miaaauuuuu!

Noch nie in seinem Leben hatte Chuck ein so verzweifeltes Klagen gehört. Das Wimmern und Schreien der Katze ging ihm durch Mark und Bein und erinnerte ihn an seine eigene Verzweiflung, als ihn die Kerle aus der Schule verprügelt, ausgelacht und gedemütigt hatten. Alle hatten zugesehen, keiner hatte ihm geholfen.

Miaaaauuuuu!

„Jaja, is ja gut. So ein Mist! Ich komm ja, du blödes Vieh.“

Mitten im Rennen hielt Chuck inne, drehte auf dem Absatz um und folgte den Klagelauten der Katze, bis er sie erreicht hatte. Dabei warf er nicht einen Blick zurück auf seine Verfolger, er wusste, dass sie ihn gleich eingeholt haben würden, aber er musste sich jetzt um das verletzte Tier kümmern. Ein Verlierer, genauso wie er einer war.

Wimmernd lag die graue Katze mit dem winzigen weißen Fleck auf der Stirn im matschigen Straßengraben, die Ohren angelegt, die Augen weit aufgerissen und mit nach hinten gelegten Schnurrhaaren. Chuck stöhnte. Diese Katze hätte er unter Tausenden erkannt. Es war Bella, das Haustier seiner Nachbarin, und Chuck hatte die eingebildete Schöne schon mehrfach mit dem Wasserschlauch von der Straße gefegt – einfach aus Spaß. Aber jetzt, so hilflos, verwundet und verdreckt, rührte sie sein Herz.

„Lass mich ma nachsehen, Bella …“

Chucks Stimme war sanft und beruhigend und das schien auch die Katze zu spüren. Geduldig wartete sie, während Chuck prüfte, ob ihr Fell Blutspuren oder äußere Verletzungen aufwies. Zu intensiv wollte er Bella nicht untersuchen, womöglich könnte er ihr noch mehr wehtun. Um Bella zu beruhigen, streichelte er ihr immer wieder über den Kopf. Das rechte Bein der Katze hatte etwas abbekommen. Ob es gebrochen oder verstaucht war, konnte Chuck nicht erkennen. Aber dass die Katze nicht mehr laufen konnte, war klar. Er musste sie wohl oder übel nach Hause zu ihrer Besitzerin tragen.

Chucks Atem ging schnell und flach, denn jeden Moment erwartete er, dass seine Verfolger ihn eingeholt haben würden. Mit einem tiefen Seufzer hob er die Katze hoch und drehte sich um, um sich den Tritten, Fausthieben und Aggressionen zu stellen.

Doch nichts passierte.

Aber das lag nicht an Chuck, nicht an der Katze oder einem unsichtbaren Zauber. Es lag an einem vor Kraft strotzenden weißen Bullterrier. Knurrend und zum Sprung bereit hatte er sich zwischen Chuck und den vier Jungs positioniert, die gerade um die Ecke bogen. Auch aus der Entfernung hörte Chuck sein bedrohliches Knurren.

Was passierte hier? Wieso wurde er von einem weißen Bullterrier beschützt?

Das fragten sich auch seine Verfolger. „Wo kommt denn der Köter jetzt her? Ist das dein verdammter Hund, Chuck?“, rief einer der Jungen. „Pfeif ihn sofort zurück!“

Doch darauf wollten die anderen nicht warten. „Ich hau ab!“, rief der Kleinste und schon bald nahmen alle die Beine in die Hand. Der Bullterrier flitzte hinterher.

Zu gern hätte Chuck beobachtet, wie ihnen der Hund kräftig in die Hintern biss oder mindestens nach ihren Hosenbeinen schnappte. Aber Bella miaute so kläglich, dass er die Katze schnell zu ihrer Besitzerin trug.

Chucks Nachbarin war entsetzt, als sie ihr geliebtes Haustier entgegennahm. „Mein Schätzchen, meine Bella, wir müssen sofort zum Tierarzt!“

Kurz, aber überschwänglich bedankte sie sich bei Chuck, flitzte mit der Katze in die Garage, startete das Auto und fuhr eilig los.

Chuck winkte ihr noch nach, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und schlenderte über den Rasen des Vorgartens zum Tor.

Chuck?

Chuck warf den Kopf zur Seite. War das schon wieder dieser komische Papageienvogel?

Tatsächlich, auf dem Geländer der Veranda saß der Vogel und blickte ihn an.

Chuck überlegte gerade, ob er hingehen und das Tier irgendwie ansprechen sollte, als aus einem Busch im Vorgarten der Bullterrier auf ihn zuschoss. Seine Bewegungen waren so kraftvoll, sein Körper so muskulös, dass Chuck Schnappatmung bekam. Hatte der Kerl es jetzt auf ihn abgesehen? Chucks Füße schienen plötzlich am Boden festzukleben. Er konnte sich keinen Zentimeter rühren. Der Hund dafür umso mehr!

Doch anstatt Chuck umzuwerfen, legte er eine Vollbremsung ein. Der Bullterrier blieb hechelnd vor Chuck stehen und ließ eine schmale Papierrolle aus seinem Maul mit den scharfen Zähnen gleiten.

„Debrisfüdi“, hörte Chuck eine Stimme.

„Debrisfüdi?“, wiederholte er. „Häh?“

Der Hund legte den Kopf schief, bellte noch einmal, dann verschwand er mit einem Satz über den Gartenzaun und raste die Straße hinunter. Auf und davon.

Unschlüssig blieb Chuck einen Moment vor der Papierrolle stehen und betrachtete sie. Ein Stück Papier, sorgfältig mit einem Band umwickelt.

„Was solls?“ Chuck zuckte mit den Schultern. „Beißen kann so ’n Papier ja wohl nich.“ Er bückte sich, hob es auf, knibbelte das Band ab und entrollte das Papier.

Chuck kratzte sich am Kopf, las den Brief noch einmal und sah sich dann nach allen Seiten um. Das konnte nicht sein. Nicht er! Er war ein mieser Kerl, ein totaler Versager. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Erinnerungen an seine Mutter, die ihm ein Haustier verboten hatte. Dabei verstand er sich so gut mit dem kleinen Hund einer Nachbarin und führte ihn regelmäßig aus. In der Schule hatte er sich um die Stabheuschrecken und Kröten in den Terrarien gekümmert und nebenbei Geld gespart für eine eigene Rennmaus. Als er seiner Mutter davon erzählt hatte, war sie völlig ausgeflippt. Nie im Leben kommt so ein dreckiges Vieh in unsere Wohnung!

Danach war Chuckwie ausgewechselt gewesen. Immer, wenn er Tieren begegnete, war da nur noch Wut im Bauch. Er trat nach Hunden, zermatschte jede Fliege und ärgerte Katzen wie Bella mit dem Wasserschlauch.

Beim Gedanken daran wurden Chucks Hände mit einem Mal schweißnass, sein Herz stolperte. Er starrte auf den Brief. Wollte ihn jemand mit diesem Schreiben auf den Arm nehmen? Tränen stiegen ihm in die Augen. In der Nachbarschaft wussten doch alle, dass er Tiere gequält hatte. Wer erlaubte sich hier gerade einen Spaß mit ihm?

Chuck japste nach Luft und ließ sich erst auf die Knie fallen, dann sackte er zusammen. Er konnte nicht mehr, sollten sie doch mit ihm anstellen, was sie wollten.

Eine Weile verharrte er so, aber niemand näherte sich. Er wartete, lauschte. Da war wirklich niemand. Auch der Vogel und der Bullterrier waren verschwunden, Chuck war ganz allein. Ob der Brief doch kein Scherz war? Immerhin stand darauf sein Name: Chuck Morton. Und der Ort, für den er ausgewählt worden war: Whisperworld.

Trotz allem zauberte der Ort ein vorsichtiges Lächeln auf Chucks Gesicht. Jedes Kind wartete auf den Ruf nach Whisperworld. So viele wollten die Chance bekommen, bedrohte Arten und damit die Welt zu retten. Chuck biss sich verlegen auf die Unterlippe. Verdammt, verdammt, verdammt. Vielleicht war es kein Bluff. Er hatte den Brief bekommen.

Die Berufung nach Whisperworld …

Das Licht der Morgensonne schimmerte durch den Dschungel und erfüllte das Hauptquartier der Tierflüsterer mit einem warmen gelbgrünen Leuchten. Chuck lag am Rand des Indigobaches, der durch das weitläufige Gelände floss, und ließ die Füße ins Wasser hängen. Er kaute, um möglichst cool zu wirken, hingebungsvoll auf einem widerlich schmeckenden Grashalm. Eigentlich hätte er ihn lieber in tausend Stücke zerrupft. Denn tief im Inneren fühlte er sich kein bisschen lässig. Das war nichts als Show für die anderen, falls ihn jemand beobachtete. Und da konnte man sich im Deepwood nie sicher sein. Denn neben den menschlichen Bewohnern gab es hier jede Menge tierische, die ziemlich neugierig waren.

In Chucks Innerem brodelte es.

Wie konnte es sein, dass Doktor Noa und Lady Poppy hier in der vergangenen Nacht einem Hai begegnet waren? Heute Morgen hatten sie beim gemeinsamen Frühstück davon berichtet und für später eine Versammlung einberufen. Verflixt. Ein Hai! Wo er doch seit drei Wochen beinahe jeden Tag am Wasser verbracht und darauf gewartet hatte, dass er das Flüstern dieser besonderen Fische hören würde.

„Findet hier unsere Versammlung statt?“

Enisas Stimme schreckte Chuck auf. Er rappelte sich hoch, stützte sich auf und musterte das Mädchen, das als Letzte zu den angehenden Tierflüsterern gestoßen war.

Chuck mochte Enisa, aber für ihn war sie im Dschungel irgendwie noch ein bisschen fehl am Platz. Vielleicht war sie auch überhaupt nicht als Tierflüsterin geeignet. Für seine Begriffe fehlte ihr der Biss, das Durchsetzungsvermögen.

„Nee, das Treffen is nich am Wasser, sondern am Versammlungsplatz“, gab Chuck zurück.

Enisa räusperte sich. „Und was machst du dann hier?“

Chuck zupfte einen neuen Grashalm aus dem spärlichen Stück Rasenfläche und steckte ihn zwischen die Zähne. „Warten.“

„Aha. Auf was denn?“

Boah, diese Enisa ließ einfach nicht locker. Das nervte. Chuck verdrehte die Augen. „Mann, Enisa, chill mal dein Leben. Die Versammlung is erst in fünf Minuten und ich habe keinen Bock auf Gesellschaft. Echt nich.“

„Pfff.“ Enisa machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.

Ein bisschen tat es Chuck leid, dass er sie so angepampt hatte, aber jetzt wollte er allein sein und auf seinen Hai warten. Chuck war sich todsicher, dass er als Tierflüsterer der Haie vorgesehen war, da konnte Paul reden, was er wollte.

Mit gerunzelter Stirn erinnerte sich Chuck an die Ereignisse vor drei Wochen. Da hatte er sich spät am Abend am Ufer des Indigobachs niedergelassen, um endlich mal seine Ruhe zu haben, aber prompt war ihm dieser Nervzwerg Paul gefolgt. Weil Chuck schon den dicken Stein am Ufer mit der besten Aussicht besetzt hatte, war Paul auf den Steg ausgewichen. Und genau dort war ihm der mächtige Hai mit der auffälligen Rückenflosse begegnet. Wahrscheinlich ein Schwarzspitzen-Riffhai. Alle waren mächtig erstaunt gewesen, dass sich ein Hai in den Indigobach verirrt hatte, denn eigentlich gab es eine Sperre zwischen dem Bach und dem Krokodilfluss.

Alle … außer Chuck. Er war von Anfang an kein bisschen erstaunt gewesen. Im Gegenteil! Er war sich hundertprozentig sicher, dass sich der Hai nicht verirrt hatte. Er hatte ihn gesucht. Er sollte der Tierflüsterer der Haie werden, ganz bestimmt!

Langsam erhob sich Chuck und schlenderte zu einem großen Platz aus festem Lehm, auf dem einige Sitzgelegenheiten aus abgesägten Bäumen standen. Der Ort war umsäumt von hohem Farn, zahlreiche Wege, bestreut mit weicher Baumrinde, führten von hier aus in alle Richtungen.

Es war noch ziemlich früh, aber im Dschungel tobte schon das Leben, der Versammlungsplatz wimmelte von großen und kleinen Tieren. In den Ästen über Chuck amüsierte sich ein Schwarm Tukane. Belustigt beobachtete er, wie sie mit ihren großen Schnäbeln lärmend ein paar Kämpfe austrugen oder sich gegenseitig geschickt Früchte oder Beeren zuwarfen. Die Vögel waren dabei richtige Akrobaten: Mit der Spitze des Schnabels pflückten sie die Beere ab, warfen sie in die Luft, legten dann den Kopf in den Nacken, fingen die Beere wieder auf und ließen sie sich durch den gebogenen Schnabel tief in den Rachen rollen. Chuck applaudierte, musste aber gleichzeitig darauf achten, wo er hintrat, denn am Boden kreuzten Tapire, Chamäleons, Faultiere und Dodos ohne jede Scheu seinen Weg.

Längst hatte er sich daran gewöhnt, dass es in Whisperworld jede Menge angeblich ausgestorbener Tiere wie die Dodos gab. Hierher hatten sie sich vor langer Zeit zurückgezogen, hier lebten sie verborgen und geschützt weiter.