WIE ALLES BEGANN (Alice im Totenland 3) - Mainak Dhar - E-Book

WIE ALLES BEGANN (Alice im Totenland 3) E-Book

Mainak Dhar

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Beschreibung

Fünfzehn Jahre vor den Ereignissen in ALICE IM TOTENLAND ereignete sich der "Ausbruch", jenes Schrecknis, welche große Teile der Welt in ein radioaktiv verseuchtes Ödland verwandelte, heimgesucht von Horden erbarmungsloser Biter. WIE ALLES BEGANN erzählt nun die Vorgeschichte aus Sicht der wichtigsten Hauptcharaktere aus Mainak Dhars Endzeit-Epos. Erfahren Sie, wie Dr. Protima zur Königin der Biter wurde, leiden Sie mit einem jungen Mann, dessen selbstloses Opfer ihn zu dem Biter mit den Hasenohren werden lässt, verfolgen sie die Verwandlung eines jungen chinesischen Offiziers zum General der Roten Garde und erleben Sie die dramatische Flucht von Alices Eltern aus einer Stadt, die von Bitern überrannt wird.

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WIE ALLES BEGANN

Die Vorgeschichte zu Alice im Totenland

Mainak Dhar

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: OFF WITH THEIR HEADS Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-566-8

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

WIE ALLES BEGANN
Die Vorgeschichte zu Alice im Totenland
Impressum
Die zufällige Königin
Die Streifen des Generals
Der letzte Wunsch eines Hasen
Wir nennen sie Alice
Über den Autor

Die zufällige Königin

»Stan, was haben wir getan?«

Dr. Protima Dasgupta hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, als sie mit ihrem über tausend Meilen entfernten Kollegen in den Vereinigten Staaten sprach.

»Protima, ich bin gerade ein wenig beschäftigt. Ich melde mich später.«

Protima knallte den Hörer auf die Gabel. Selbst Stan, der die Entscheidung, den Einsatz der Probe Z in beschleunigten Feldversuchen, wie die Geheimagenten es euphemistisch nannten, offen kritisiert hatte, sprach nicht mehr mit ihr. Sie hatte der Regierung der Vereinigten Staaten mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens gedient, aber es schien, als hätte ihre Entscheidung, das Projekt zu verlassen und nach Indien zurückzukehren, alle Brücken zu ihren Freunden und Kollegen hinter ihr abgebrannt.

Unsicher lief sie zum Esstisch und goss sich ein weiteres Glas Wein ein. Es war dumm gewesen, Stan anzurufen. Sein Telefon wurde bestimmt abgehört, aber das kümmerte sie nun nicht mehr. Selbst wenn man die moralische Frage nach dem Einsatz von Probe Z außer Acht ließ, hatte sie argumentiert, war diese immer noch zu instabil, um sie zu testen. Aber natürlich war sie überstimmt worden, und eine Woche später hatten Global-Hawk-Stealth-Dronen Kanister mit dem biologischen Kampfstoff über einer Garnison der Roten Armee in der Mongolei abgeworfen.

Dr. Protimas Rang war nicht hoch genug, um in die Entscheidungsfindung mit einbezogen zu werden, aber doch hoch genug, um Zugang zu einigen der Dokumente zu erlangen, welche zwischen ihren Chefs und den Männern, die diese Mission befohlen hatten, hin und her geschickt worden waren.

Ein Warnschuss, um ihnen zu zeigen, dass wir ihnen noch immer überlegen sind.

Eine Erinnerung daran, wer die wirkliche Supermacht ist.

Das waren die Zeilen, an die sie sich noch erinnerte. Die Spannungen zwischen den USA und China hatten im letzten Jahr ihren Siedepunkt erreicht. Die amerikanische Wirtschaft war ins Wanken geraten, und China wurde von zunehmenden Protesten erschüttert, die nach Demokratie und Menschenrechten riefen. Die Vereinigten Staaten hatten das zweite Massaker auf dem Tian’anmen-Platz scharf verurteilt, nur um von China daraufhin beschuldigt zu werden, terroristische Aktivitäten in China zu unterstützen, um damit die heimische Bevölkerung von ihren wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Darüber hinaus hatte sich die US Navy vor Taiwan eine schmachvolle blutige Nase geholt, und das trug zu den verletzten Gemütern ebenso bei wie die beträchtliche Beleidigung, dass die US-amerikanische Wirtschaft nur deshalb noch nicht zum Erliegen gekommen sei, weil China seine Schulden noch nicht eingefordert hatte.

Als Protima im Fernsehen verfolgte, wie sich das Chaos ausbreitete, trug die Tatsache, dass die Garnison Forschungseinrichtungen für Chinas eigenes Programm zur biologischen Kriegsführung enthielt, nur wenig zu ihrem Trost bei. Und als sich die Berichte über ein seltsames Virus häuften, das sich quer durch die Mongolei ausbreitete, Menschen überaus aggressiv werden ließ und diese sofort jeden angriffen, wusste sie, dass ihre schlimmsten Befürchtungen Realität geworden waren.

Probe Z war ursprünglich ein potenzielles Wundermittel gewesen, welches Soldaten mit im Kampf schwer verletztem Nervensystem heilen sollte. Erste Tests waren überaus erfolgversprechend gewesen. Die Testpersonen erholten sich so gut, dass sie beinahe wieder ein normales Leben führen konnten, und Protima war hocherfreut darüber, Teil von etwas sein zu können, das helfen würde, das Leben Tausender Menschen zu retten. Dann aber fand vor drei Jahren jenes schicksalhafte Treffen statt, in dem man Protima und ihr Team damit beauftragte, Probe Z so zu modifizieren, dass sich damit feindliche Truppen kampfunfähig machen ließen, indem man ihr Nervensystem zerstörte und ihnen die Fähigkeit nahm, rationale Entscheidungen zu fällen. Ein anderes Team hatte unterdessen an einem weiteren Wirkstoff geforscht, der die Stärke und Ausdauer der Truppen dramatisch erhöhen und sie in Berserker verwandeln sollte, die keinen Schmerz empfanden. Protima hatte darauf hingewiesen, dass die Unterschiede zwischen beiden Wirkstoffen noch nicht völlig erforscht waren und das Virus deshalb höchst instabil sei. Doch ihre Einwände blieben ungehört und daraufhin beendete sie ihre Mitarbeit an dem Programm.

Die Schlagzeilen im Fernsehen verkündeten, dass das mysteriöse Virus allein in der letzten Woche zehntausend bestätigte Todesopfer gefordert hatte.

Protima schaltete den Fernseher aus und fiel in einen unruhigen Schlaf. In ihren Träumen sah sie Männer, deren Gesichter sich abschälten und die auf sie zurannten, um sie zu attackieren.

Tags darauf erwachte sie an einem wunderschönen Sommermorgen, dessen Sonnenstrahlen zu den Fenstern ihres Hotelzimmers hereinfielen. Sie zog die Vorhänge auf und sah, wie sich die Straßen bereits zusehends mit dem chaotischen Verkehr füllten, der für Neu-Delhi normal war. Sie hatte ein Bewerbungsgespräch um elf Uhr, also zog sie sich hastig an. Sie warf einen Blick in den Spiegel, und für einen Moment blickte sie aus diesem eine Fremde an. Ihr graues Haar sah aus wie immer, ebenso ihre hageren Gesichtszüge. Ihre Augen aber, in denen sonst stets ein Lächeln zu funkeln schien, waren nun von dunklen Ringen umgeben, und so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie doch das Lächeln nicht zurückbringen, welches früher in ihrem Gesicht zuhause gewesen war. Als sie ihren Ehemann vor einigen Jahren bei einem Unfall verlor, hatte Protima hart daran gearbeitet, nicht länger das nervöse Wrack zu sein, das sie geworden war, und hätte damit beinahe Erfolg gehabt – bis vor wenigen Tagen.

Doch nun hatte sie eine weitere Chance, noch einmal von vorn anzufangen. Obwohl viele ihrer Arbeiten, wie etwa Probe Z, außerhalb einer kleinen Gruppe mit der höchsten Geheimhaltungsstufe unbekannt bleiben würden, waren ihre Forschungen auf dem Gebiet der Gentechnik weithin veröffentlicht worden, und ihre früheren Arbeitgeber hatten ihr begeisterte Zeugnisse unter der Bedingung ausgestellt, dass sie eine strikte Verschwiegenheitserklärung unterzeichnete. Daher hegte sie keinen Zweifel, den Job bei einem führenden Forschungsinstitut zu bekommen, welches mithilfe von Genmanipulationen versuchte, die Getreideernten zu verbessern, um die arme Landbevölkerung Indiens ernähren zu können. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen würden am Ende also doch noch einer guten Sache dienen.

Sie befand sich in einem Taxi auf dem Weg zu ihrem Bewerbungsgespräch, als ihr Telefon klingelte. Es war Stan.

»Ich hätte zusammen mit dir das Projekt verlassen sollen. Sie sind alle tot. Sie sind alle tot.«

Protima schoss kerzengerade auf. Stan lallte, so als hätte er getrunken. »Stan, beruhige dich. Was ist passiert? Bist du betrunken?«

»Lab 12 ist vor ein paar Stunden abgebrannt. Die meisten Menschen sind tot, und die wenigen, die es geschafft haben ...«

Protima spürte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Enge Freunde von ihr hatten im Lab 12 gearbeitet, das sich knapp außerhalb von Washington befand und wo man Probe Z in eine Waffe verwandelt hatte, die in China zum Einsatz kommen sollte.

»Ich weiß nicht, ob die Chinesen Vergeltung geübt haben für das, was wir ihnen angetan haben, oder ob unsere eigene Regierung ihre Spuren zu verwischen versucht ...«

»Stan, hör auf. Bitte, hör auf! Wir sprechen über eine ungesicherte Leitung.«

Was Stan als Nächstes sagte, erschreckte Protima mehr als alles andere in ihrem Leben. »Das spielt keine Rolle mehr. Nichts spielt mehr eine Rolle. Die Meldungen im Fernsehen über den Ausbruch in China beschreiben nicht einmal ansatzweise, wie schlimm es wirklich ist. Ich habe gesehen, was aus den Überlebenden von Lab 12 geworden ist. Es ist schlimmer, als wir je angenommen haben, Protima. Die Medien versuchen es auf Anordnung der Regierung zu verschweigen, aber wenn es sich erst einmal herumgesprochen hat, wird es zu spät sein. Du musst dich in Sicherheit bringen und die Wahrheit verbreiten. Ich habe dir ein Päckchen geschickt, mit Proben unseres Projekts und den Befehlen, es als Waffe zu benutzen. Außerdem Dokumente über Experimente an Gefangenen in Afghanistan. Geh damit zu Gladwell in der Botschaft in Neu-Delhi. Er ist ein alter Freund von mir und ein guter Mensch.«

»Du bist in Washington? Wieso bringst du es nicht dort zu jemanden?«

»Dafür ist es für mich jetzt zu spät. Sie haben mich dabei erwischt, wie ich die Daten ausdruckte, und ich konnte mich gerade so davonmachen. Gleich sind sie hier. Leb wohl, Protima.«

Dann endete das Gespräch. Protima versuchte ihn zurückzurufen, aber er ging nicht mehr ans Telefon.

Während sie darauf wartete, für ihr Bewerbungsgespräch aufgerufen zu werden, überlegte Protima, ob sie dazu überhaupt in der Verfassung sein würde. Nach allem, was sie von Stan gehört hatte, fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ihre Hände zitterten unkontrolliert und ihr Herz raste in der Brust. Als sie dann aber vor dem Bewerbungsgremium saß, gelang es ihr, ihre Nerven unter Kontrolle zu bringen, und das Bewerbungsgespräch verlief ohne Probleme. Die ganze Zeit über aber musste sie an Stans Anruf denken. Nach ihrer Rückkehr ins Hotelzimmer überprüfte sie die Nachrichtensendungen und die Meldungen im Internet, aber das Feuer, von dem Stan berichtet hatte, wurde nirgendwo erwähnt. Er hatte sich so angehört, als hätte er zu viel getrunken, und außerdem hatte ihn der Einsatz ihrer Forschung in der Operation in der Mongolei sicher schwer getroffen. Schließlich entschloss sie sich, etwas frische Luft zu schnappen, verließ das Hotel und suchte sich einen freien Tisch in einem Café, von dem aus man eine dicht befahrene Straße beobachten konnte.

Es war jetzt sechs Uhr abends und die Sommerhitze Delhis begann sich etwas abzukühlen. Protima nippte an ihrem Kaffee und dachte über ihre Zukunft nach. Mit siebenundvierzig Jahren schien es etwas spät zu sein, noch einmal einen Neuanfang zu wagen, aber sie würde es trotzdem versuchen. Sie hatte Indien vor mehr als fünfundzwanzig Jahren verlassen, für ein Stipendium in den Vereinigten Staaten, und ihre Arbeit hatte ihr schließlich ein Praktikum im Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention eingebracht, wo sie Virenstämme studierte. Sie hatte herausragende Arbeit geleistet, und eines Tages bot man ihr eine Vollzeitstelle bei der Regierung an, wo sie an geheimen biologischen Forschungsprogrammen arbeiten würde. Das alles würde sie nun versuchen, hinter sich zu lassen. Sie würde sich eine Wohnung suchen, ein Auto kaufen und mit ihrem neuen Job beginnen.

Der Mann, der am Nebentisch einem Mädchen etwas zurief, riss Protima aus ihren Gedanken. »Oh mein Gott! Hast du das Video gesehen? Sie sagen, dass die Toten wiederauferstehen würden!«

Irgendein Klugscheißer an einem anderen Tisch murmelte, dass er sich montagmorgens immer wie ein Zombie fühlen würde, aber niemand lachte darüber.

***

Binnen weniger Minuten hatten sich Dutzende um den jungen Mann geschart, der auf seinem Telefon ein YouTube-Video abspielte. Mehrere andere riefen das Video auf ihren eigenen Geräten ab, und Protima konnte aus ihren entsetzten Gesichtern ablesen, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Sie wollte gerade einen von ihnen fragen, was denn los sei, als der Inhaber des Cafés über den Lärm hinweg rief: »Leute, es ist jetzt auf CNN. Seid mal etwas leiser. Mal sehen, was sie zu sagen haben.«

Protima lief zu dem Fernsehgerät, das über der Bar hing, und erkannte die vertrauten Umrisse des Weißen Hauses, vor dem eine junge Reporterin ihr Mikrofon zurechtrückte und in die Kamera blickte. Protima war in New York gewesen, als sich die Anschläge des elften Septembers ereignet hatten, und hatte miterlebt, wie aufgewühlt die Nachrichtensprecher damals gewesen waren. Diese Reporterin trug den gleichen Ausdruck im Gesicht. Protima brachte zwei junge Mädchen neben sich zum Schweigen, um zu hören, was gesagt wurde.

»Das Ministerium für Innere Sicherheit meldete, dass es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh sei, um bei dem Ausbruch von einem möglichen Terroranschlag zu sprechen, und wies jegliche Verbindung zu dem Feuer in einer Regierungseinrichtung letzte Nacht zurück, bei dem es sich nach Dokumenten von Wikileaks um eine mögliche Forschungsstation für biologische Waffen gehandelt habe.«

Die Berichterstattung wechselte zu verschwommenen Handy-Aufnahmen. In dem Moment, als Protima die Gruppe von Männern erblickte, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Sie schienen eher zu schlurfen, als zu laufen, mit seltsam abgewinkelten Köpfen und Händen, und hin und wieder riss einer von ihnen seinen Kopf ruckartig in eine Richtung. Protima hatte diese Symptome schon einmal gesehen – Nebenwirkungen der Probe Z.

Zwei Polizisten stellten sich den Männern in den Weg und feuerten. Protima hörte, wie um sie herum die Luft angehalten wurde, als zwei der Männer zusammenbrachen und ihre Körper zuckten, während Kugel um Kugel in sie einschlugen.

»Wieso schießen die? Was zur Hölle geht da vor?«

Protima ignorierte die Rufe und versuchte sich vorzustellen, was passiert sein mochte. Stan hatte demnach recht gehabt. Es hatte ein Feuer in dem Labor gegeben. Es bestand die Möglichkeit, dass die Fläschchen mit der Probe Z beschädigt worden waren und sich einige Leute infiziert hatten. Aber wieso, um alles in der Welt, schossen die Polizisten auf sie?

Dann geschah etwas noch viel Seltsameres.

Die beiden Männer, die von Dutzenden Kugeln durchbohrt worden waren, erhoben sich und stürmten auf die Polizisten zu, die in Panik davonrannten. Dann war die Aufnahme zu Ende. Die Nachrichtensprecherin war wieder zu sehen und las von einem Zettel in ihren Händen ab.

»Das Ministerium für Innere Sicherheit hat beschlossen, über einige der betroffenen Stadtteile Washingtons eine sofortige Ausgangssperre zu verhängen. Jeder, der ab morgen Mittag ohne entsprechende Genehmigung im Freien gesehen wird, wird als infiziert gelten. Das Ministerium bittet alle Bürger um ihre Mithilfe, während die Behörden den Ausbruch eindämmen.«

Die Nachrichtensprecherin legte den Zettel ab und blickte in die Kamera. Protima konnte sehen, dass dieser Teil nicht vorbereitet worden war. Die junge Frau bekreuzigte sich und sagte: »Möge Gott uns allen beistehen.«

Protima verbrachte die Nacht mit quälenden Gedanken über die Rolle, die sie und ihre Kollegen dabei gespielt hatten, jenen Ausbruch zu verursachen, der nun ganz Washington verwüstete. Sie versuchte sich einzureden, dass sie nur ihren Job getan hätte, aber sprach sie das davon frei, Beihilfe an einem Massenmord geleistet zu haben? Sie versuchte noch einmal Stan zu erreichen, doch dessen Telefon war ausgeschaltet worden.

Während sie in jener Nacht im Fernsehen und im Internet die Geschehnisse verfolgte, wurde ihr klar, dass der Ausbruch nicht eingedämmt wurde. Es häuften sich Berichte aus den gesamten Vereinigten Staaten und die geschilderten Symptome ähnelten sich auf erschreckende Weise. Einige Meldungen waren durchgesickert, nach denen die Infizierten zuerst scheinbar gestorben waren, dann aber wieder aufstanden und jeden in ihrer Reichweite attackierten, nach ihnen bissen, nach ihnen krallten und sie damit ebenfalls infizierten. Die Polizei hielt weiterhin an dem Standpunkt fest, dass die Berichte über Infizierte, denen Gewehrschüsse nichts anhaben konnten, unbegründet seien, aber im Internet tauchten immer mehr Videos auf, die etwas anderes zeigten.

Als Protima hinunter in die Lobby des Hotels lief, wimmelte es dort von Touristen und Geschäftsleuten. Als es nun auch Berichte über den Ausbruch in Kanada und Großbritannien gab, gerieten die Leute in Panik und versuchten den erstbesten Flug nach Hause zu ihren Familien zu bekommen.

Der Concierge begrüßte sie, als sie die Lobby passierte. »Dr. Dasgupta, ein Kurier hat das hier gestern Abend für Sie abgegeben.«

Das Paket war als Diplomatenpost gekennzeichnet. Sie lächelte, erinnerte sie das doch an Stans Scherze, dass er nie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten könne, egal, wie aufsässig er sich auch verhalten würde, weil sein Schwager beim Auslandsdienst arbeitete. Offenbar war es Stan also gelungen, noch einen letzten Gefallen zu erbitten, bevor er ... Protima verdrängte den Gedanken. Trotz allem, was sich bislang ereignet hatte, gab es keinen Beweis, dass Stan irgendetwas widerfahren war.

Sie öffnete das Paket und fand eine einfache Notiz in Stans Handschrift, die an sie adressiert war.

Liebe Protima, wenn du diesen Brief liest, wird es für mich bereits zu spät sein. Bete für mich, dass es im Himmel Bier gibt, oder in der Hölle, oder wo immer Menschen wie ich landen werden.

Als der Druck wuchs, die Probe Z als Waffe zu entwickeln, wurde ich neugierig, was dahintersteckte. Das Gute daran ist, dass ich diese Akten in meine Hände bekam, aber dafür ist es nun nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mich gefunden haben werden. Das ist der Grund, warum ich sie dir schicke, anstatt zu versuchen, sie irgendjemandem bei der Regierung anzuvertrauen. Ich habe keine Ahnung, ob wir die Dinge, die in Gang gesetzt wurden, noch aufhalten können – vielleicht ist es dafür zu spät. Doch zumindest werden die Leute eines Tages die Wahrheit darüber erfahren, wie wir die Welt ruiniert haben.

Verwende Sie, wie du es für richtig hältst. Du könntest natürlich versuchen, sie an die Presse zu geben, aber ich weiß nicht, wie frei unsere freie Presse noch ist. Die Leute, an die ich mich wendete, wollten damit nichts zu tun haben. Aber bring sie zu Gladwell in der amerikanischen Botschaft. Er ist ein guter Mann und besitzt hervorragende Kontakte. Zumindest könnte er uns dabei helfen, die Akten jemandem in der Regierung zuzuspielen, der nicht Teil dieser Verschwörung ist. Das alles ist Bestandteil eines größeren Plans, aber ich fürchte, dass die Männer dahinter nicht ermessen können, was sie damit entfesselt haben.

Pass auf dich auf, meine Freundin.

Protima legte den Brief beiseite, sah sich die Dokumente genauer an und fragte sich, ob das, was Stan ihr geschrieben hatte, der Wahrheit entsprach. Nachdem sie die erste Seite überflogen hatte, tastete sie nach dem Sofa hinter sich, um sich festzuhalten, und ließ sich dann darauf sinken. Sie las eine Stunde lang ohne Pause und jedes der Dokumente mehr als einmal, nur um sicherzugehen, dass sie nichts falsch verstanden hatte.

So gern sie den Dokumenten auch misstraut hätte, waren sie doch auf vernichtende Art und Weise eindeutig. Es gab Mitschriften von Gesprächen, E-Mails und Protokolle diverser Sitzungen.

Das, woran Protima, Stan und ihre Kollegen gearbeitet hatten, war ein kleiner Teil eines großen Plans, der so unglaublich wie furchterregend war. Man hatte Ampullen mit der Probe Z in abgelegene Armeebasen in Afghanistan verbracht, um dort Versuche an Menschen vorzunehmen. Die Männer, die den Test der Probe Z in China befahlen, kannten deren Auswirkungen sehr viel besser, als Protima geahnt hatte. Doch während sie die Wissenschaftler aus den Feldversuchen herausgehalten hatten, unterschätzten sie völlig, wie sich das Virus verhalten würde, wenn er erst einmal von einer Person zur nächsten übertragen wurde.

Protima schloss die Augen. Ihr Kopf hämmerte. Hatten diese Männer wirklich Millionen Menschen in den Tod geschickt, um an einem Plan zur schrittweisen Wiederbesiedlung der Welt festzuhalten, den sie als Antwort auf die schwindenden Ölvorräte und anderer Ressourcen sahen? Trachteten dieselben Männer wirklich danach, wachsenden Unfrieden über den Ruin zu säen, den die Finanzeliten über den Westen gebracht hatten, indem sie ein solches Klima der Angst schufen, in welchem die Menschen nur allzu bereitwillig jegliche Art von Tyrannei akzeptieren würden? War es möglich, dass es ihnen gelungen war, eine Art von Partnerschaft mit Teilen der chinesischen Regierung zu schmieden, die ihrerseits Probleme hatten, den Ruf ihres Volkes nach mehr Demokratie einzudämmen? Die Dokumente in Protimas Händen machten unzweifelhaft klar, dass genau dies geschehen war.

Zuletzt fanden sich in dem Paket noch zwei kleine Ampullen mit einer roten Flüssigkeit. Protima wusste, um was es sich dabei handelte. Das Gegenmittel, an dem sie gearbeitet hatten, als Schutz vor der Probe Z. Es war noch nicht getestet worden, aber indem Stan es ihr schickte, hatte er ihr zumindest eine Chance gegeben, zu überleben.

Um sie herum begann es unruhig zu werden. Mehrere Frauen und Männer deuteten auf ein Fernsehgerät in der Ecke der Lobby. Der erste Ausbruchsfall in Indien wurde gemeldet. Da Millionen Menschen täglich mit Flugzeugen um die Welt flogen und viele in der unmittelbaren Nähe von Lab 12 keine Ahnung von den Risiken hatten, konnte niemand sagen, wie weit und wie schnell sich das Virus ausbreiten würde.

Doch nun, wo es bereits auf der ganzen Welt zu beobachteten Fällen gekommen war, wusste Protima, dass ihr nur noch sehr wenig Zeit blieb. Sie rief die amerikanische Botschaft an, um einen Termin bei Gladwell zu bekommen.

***

»Es heißt, die Krankheit verwandelt die Menschen in Dämonen, die nicht getötet werden können. Mein Cousin sah am Flughafen einen Mann, der ein Dutzend anderer Leute gebissen hatte, und die Polizei versuchte ihn zu erschießen, konnte ihn aber nicht zur Strecke bringen. Sie haben Glück, dass Ihr Ziel auf meinem Nachhauseweg liegt. Sie sind mein letzter Fahrgast. Wenn ich Sie abgesetzt habe, werde ich direkt nach Hause fahren und bei meiner Familie bleiben, bis die eine Lösung gefunden haben.«

Das Letzte, was Protima gebrauchen konnte, war ein geschwätziger Taxifahrer. Sie nickte nur, aber das schien den Mann noch zu ermutigen.

»Ich hab zwei Armeeoffiziere gefahren, und die erzählten mir, dass sie einberufen wurden. Aber sie sagten auch, dass sie widersprüchliche Befehle erhielten. Niemand in der Regierung hat eine Ahnung, was sie tun sollen.«

Protima beneidete niemanden, der in einer Situation wie dieser Entscheidungen treffen musste. Jeder Ausbruch einer hochansteckenden Krankheit, und ganz besonders einer wie dieser, mit derart unvorhersehbaren und erschreckenden Eigenschaften, musste am besten im Keim erstickt werden. Finde das Zentrum des Ausbruchs, stelle die Infizierten unter Quarantäne und verhindere, dass sich das Virus weiter ausbreitet, bis du weißt, womit genau du es zu tun hast. In diesem Fall war es dafür aber zu spät. Die Infektion hatte sich bereits auf der ganzen Welt ausgebreitet, und nach allem, was Protima darüber gelesen hatte, war zu vermuten, dass einige Elemente der Regierung sogar noch aktiv dabei geholfen hatten, die Verbreitung zu forcieren.

Sie blickte aus dem Fenster auf Delhis Straßen hinaus, die von Polizeikräften nur so wimmelten. Aber sie schüttelte den Kopf, als sie sah, dass sie für den Straßenkampf ausgerüstet waren, mit Schlagstöcken und Schilden. Wenn sich das Virus hier ausbreiten sollte, würden diese ihnen nur wenig nützen.

Als das Taxi in die Straße zur amerikanischen Botschaft einbog, rief ihr der Taxifahrer zu: »Keine Chance, dass die mich näher ranlassen. Sie müssen von hier aus laufen.«

Straßensperren mit indischen Polizisten versperrten die Zufahrtsstraße. Protima sah, dass die Marines, welche die Botschaft bewachten, nun mit automatischen Waffen am Eingangstor versammelt waren, und auch auf dem Dach herrschte Bewegung, höchstwahrscheinlich Scharfschützen. Sie gingen ganz offensichtlich kein Risiko ein.

Sie lief auf das Gebäude der Botschaft zu, aber einer der Polizisten hielt sie auf.

»Dieses Gelände ist für die Öffentlichkeit gesperrt.«

Protima erklärte, einen Termin in der Botschaft zu haben, aber das schien keinen Eindruck zu machen. Schließlich zog sie ihren amerikanischen Pass hervor. »Sehen Sie sich den bitte an. Ich bin in Indien geboren, habe aber einen amerikanischen Pass. Sie können mir nicht den Zutritt zu der Botschaft der Vereinigten Staaten verwehren.«