Wikingerblut – Die Rache des Kriegers - Jürgen Bärbig - E-Book
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Wikingerblut – Die Rache des Kriegers E-Book

Jürgen Bärbig

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Beschreibung

Zwei starke Brüder. Der unerbittliche Kampf um Macht und Treue. Ein blutiger Pfad der Rache.

Norwegen, 875 n. Chr.: König Harald hat die Stämme des Landes unter seiner Herrschaft vereint. Doch sein Erzfeind Varl schwört erbitterte Rache. Gnadenlos ziehen seine Krieger durchs Land und ermorden die Getreuen des Königs. Um Verbündete im Kampf gegen Varl zu finden, begeben sich die beiden Wikingerbrüder Kjelvar und Thorvik auf eine gefährliche Reise. Doch als Varl das Dorf der Brüder niedermetzeln lässt und Kjelvars schwangere Frau entführt, ahnen die Brüder, welchen Weg das Schicksal für sie gezeichnet hat: Sie müssen zu Varls schlimmstem Feind werden. Eine blutige Jagd beginnt!

Episch, bildgewaltig, voller Action und Spannung: "Wikingerblut - Die Rache des Kriegers" ist der perfekte Lesestoff für Fans der Serie "Vikings" und Leser von James L. Nelson, Bernard Cornwell oder Ulf Schiewe.

eBooks von beTHRILLED - spannungsgeladene Unterhaltung.



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Seitenzahl: 553

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumDie wichtigsten Figuren der HandlungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36EpilogLeseprobeBrief an Ingegerd, von Ealdred, ErzbischofPROLOGTEIL I – NorwegenKAPITEL EINS

Über dieses Buch

Norwegen, 875 n. Chr.: König Harald hat das Land unter seiner Herrschaft vereint. Doch die scheinbare Ruhe wird schon bald durch eine Reihe brutaler Überfälle auf die Küstenregionen gestört – denn Haralds Erzfeind Varl Bluttrinker hat erbitterte Rache am König geschworen.

Die einzige Rettung sind Kjelvar und Thorvik Nebelauge – zwei Wikingerbrüder, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Gemeinsam begeben sie sich auf eine gefahrvolle Reise, um Verbündete im Kampf gegen den Feind zu suchen. Doch die Suche wird zu einer blutigen Jagd, denn Varl überfällt ihr Heimatdorf und entführt Kjelvars schwangere Frau. Nun haben die Brüder nur noch ein Ziel: Sie müssen den grausamen Eindringling zur Strecke bringen.

Über den Autor

Jürgen Bärbig wurde 1971 geboren. Als Stipendiat der Bastei Lübbe Academy nahm er 2014 an einer einjährigen Masterclass teil. In der Halloween Anthology »Angel Island« erschien seine Kurzgeschichte »Die Mauern von Ronwick Abbey«.

Unter dem Pseudonym Dan Adams veröffentlichte er bereits bei be-ebooks die spannende Westernserie »Three Oaks« und den actiongeladenen SF-Thriller »Manhattan 2058«.

Zudem ist er als Hörbuchsprecher tätig und veranstaltet Hörspiel-Lesungen mit Musik und Soundbegleitung.

Den Roman »Wikingerblut – Die Rache des Kriegers«, veröffentlicht er zum ersten Mal unter seinem Klarnamen.

J Ü R G E N B Ä R B I G

WIKINGERBLUT

DIE RACHE DES KRIEGERS

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Ulrike Brandt-Schwarze

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Kiselev Andrey Valerevich | Ensuper | artyway | chairoij

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-7896-2

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des bei be-ebooks erschienenen Werkes »Der Zorn des letzten Wikingers« von Justin Hill.

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Die wichtigsten Figuren der Handlung

Harald Schönhaar (um 852–933), König in Norwegen

Varl »Bluttrinker«, sein Bruder

Tronlaer, Dorf in der Provinz Møre

Kjelvar Haldrimson

Sigrè, seine Frau

Bragg, sein Sohn

Thorvik Nebelauge, sein Bruder

Rudliff, seine Mutter

Glaif Anvrikson, Hövding des Dorfes

Tullan of Wessex, christl. Sklave, Barde

Drayk, Krieger

Tjormod Grimmhammer

Wolfshaar, Krieger

Nimward, junger Krieger

Arland Axtfänger

Hrove Olvardson, Berserker

Skalgrim, Steuermann der Sturmdrache

Jarl Ragnvalds Halle

Ragnvald, norweg. Jarl

Ivar, sein Sohn

Völva, Seherin

Torstein Raude, Gefolgsmann König Haralds

Ulvaig, Krieger

Svaig Ulvaigson, sein Sohn

Greda, junge Frau aus Hordaland

Sogn

Curlaug, Jarl

Frenja, seine Frau

Rigg, ihr Bruder

Yggshand, Odinpriester

Ayrk

Brude McDonagh, Earl

Caelec, sein Sohn

Chrulain

Thanuk ibn Abhar, Sklavenhändler

Ducleth, Hafenmeister

Pikten

Hrulein, Heiler

Kaereth, Anführer

Culdonnan

Duggan McManneth, Earl

Isbeth, seine Frau, Earl Brudes Tochter

Gleen, sein Sohn

Kloster Uth

Tunorius, Abt

Aeltan, zum Christentum übergetretener Pikte

Hieronymus (Gaelfreth), Augen und Ohren der Pikten im Kloster

Vlain, Scherge des Abtes

Inga, junge Frau aus dem Dorf des Hövdings Sulgred

Prolog

Er stand ohne eine Regung am Ruder, hielt das Langschiff auf Kurs und wandte seine blauen Augen nicht von dem kleinen Fischerdorf ab, das sich an der Küste abzeichnete. Er konnte die Boote sehen, die kieloben an Land lagen, die Netze, die zum Trocknen aufgehängt in der morgendlichen Brise schaukelten, die niedrigen Hütten. Es war ein erbärmlicher Ort, den er für seinen Angriff ausgewählt hatte. Aber er befand sich auf Jarl Ragnvalds Land, und Ragnvald war ein treuer Gefolgsmann von König Harald Schönhaar. Seine großen Hände fassten das Ruder noch fester, als er sich den Mann vorstellte, dem er Todfeindschaft geschworen hatte und den er bekämpfen würde, bis einer von ihnen tot war.

Er hatte hundertzwanzig Männer unter seinem Befehl, die sich auf den beiden Langschiffen zusammendrängten, mit denen er an diesem frühen Morgen auf die Küste von Møre zusteuerte. Ein geschnitzter Drachenkopf zierte den Bug seines Schiffes, ein skelettierter Widderschädel den des Zweiten. Die Segel leuchteten blutrot im Licht der Morgensonne. Seine Männer trugen Rüstungen aus Leder, Mäntel aus Wolle, Fellkappen oder schlichte Helme aus Eisen und Schilde aus Eichenholz, auf die sie Tiere und Fabelwesen gemalt hatten. Sie umklammerten Schwerter und Äxte, am Bug drängten sich die Bogenschützen, andere packten die langen Schäfte ihrer Speere. So unterschiedlich sie alle waren, eines war ihnen gemein: Sie waren Vertriebene, Geächtete, und sie hassten König Harald Schönhaar. Dieser Hass verband sie und machte sie zu Brüdern.

Seine Feinde nannten ihn Plünderer und Mörder. Die, die er am Leben gelassen hatte, hatten ihm den Namen Bluttrinker gegeben. Er lachte darüber, sollten sie ihn doch nennen, wie sie mochten. Alles, was er wollte, war Genugtuung.

Das Dorf lag verschlafen da. Es war noch früh, Nebelfetzen der Nacht krochen über das Wasser.

Er winkte einen seiner Krieger heran, während er sich den Brillenhelm auf den Kopf setzte. Das Metall roch nach Meer und fühlte sich feucht an.

»Holt die Segel ein«, zischte er. »Die Wellen werden uns an den Strand bringen. Gib den anderen Bescheid.«

Auf beiden Schiffen wurden die Segel eingeholt und an Deck verzurrt. Dann verharrten die Männer. Sie waren seine Kriegshunde, die nur darauf warteten, von der Leine gelassen zu werden, um sich auf den Feind zu stürzen.

»Hier, übernimm das Ruder«, sagte er zu einem Krieger, der neben ihm stand, während er selbst nach seinem Schild griff, das Schwert aus der Scheide zog und zum Bug ging.

Er würde als Erster an Land gehen, er würde den Ersten töten. Keiner würde ihm dieses Privileg streitig machen.

Inzwischen war auch einer der Dorfbewohner auf die Schiffe aufmerksam geworden. Seine aufgeregten Rufe hallten zwischen den Hütten, aber es war zu spät. Nur wenige Augenblicke später stießen die Drachenboote in den nassen Kies des Ufers. Mit einem Satz sprang er von Bord. Wasser spritzte unter seinen Stiefeln, als er landete und gleich auf einen alten Mann losstürmte, der gerade aus seiner Hütte getreten war.

»Aelgrid!«, brüllte er den Namen seiner Frau wie einen Schlachtruf, als er dem Alten das Schwert mit solcher Gewalt in den Leib rammte, dass die Klinge den Körper zur Gänze durchstieß. Mit einem Wutschrei riss er die vom Blut triefende Waffe zurück, stieß den Sterbenden mit dem Schild beiseite und stürzte in die Hütte. Die Frau des Fischers starrte ihn entsetzt an. Sie rührte sich nicht, und sie schrie auch nicht, als er sie mit dem Schwert erschlug.

Sein Blutdurst war geweckt, und er stürmte weiter. Sie würden diesen Ort in Blut ertränken. Es war nicht der erste, und es würde nicht der letzte sein.

Kapitel 1

Das Dorf Tronlaer, in der Provinz Møre,

875 n. Chr.

Der Tag war grau gewesen, eingehüllt in tiefe Wolken, die die Spitzen der umgebenden Berge umhüllten und bis in die Täler hinunterreichten. Über das Meer trieb der Wind und peitschte es zu Wellen auf, die nun grollend über die vorgelagerten Klippen hinweg stoben und schäumend in den Fjord rollten. Es war eine gleichbleibende Musik gewesen, die den Übergang vom Tag in die Nacht begleitet hatte. Im Kies des Ufers lagen ein halbes Dutzend Boote, den Rumpf nach oben gerichtet und mit Seilen an eisernen Haken gesichert. Ein Drachenschiff mit dem geschnitzten Kopf eines Pferdes am Bugspriet lag am einzigen Pier. Es schaukelte auf den Wellen, knarrte leise und zerrte an den Tauen, als scharre es mit den Hufen und könne es kaum erwarten, endlich loszupreschen. Im Dorf rührte sich nichts, alles schlief. Die letzten Feuer waren erloschen, und nicht einmal der Geruch von Rauch zog mehr zwischen den Häusern und Hütten dahin, an deren Dächern salzige Tropfen hingen.

Kjelvar hob den Kopf und sah zur Tür. Seine Hand streichelte schläfrig und zufrieden den gewölbten Bauch seiner Frau Sigrè. Lange würde es wohl nicht mehr dauern.

»Kannst du nicht schlafen, Liebster?«, fragte sie.

Er stützte sich auf den Ellbogen, um sie anzuschauen. Im Halbdunkel war ihr Gesicht nur ein Schemen. Trotzdem glaubte er, sie lächeln zu sehen.

»Ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört.«

»Das ist nur der Wind.«

Das beruhigte ihn nicht, und er richtete sich auf, um noch angestrengter zu lauschen. Die Decke rutschte ihm auf die Hüften. Sofort spürte er ihre Hand auf seinem nackten Rücken, ihr Zeigefinger folgte dabei der blassen Linie einer schon lange verheilten Narbe. »Unser Kind hat mich gerade getreten«, sagte Sigrè. Ihre Worte lösten seine Anspannung. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. »Ich kann es kaum erwarten, ihn kennenzulernen.«

»Ihn?«, fragte sie und legte einen Arm um seinen Hals.

»Oh, ich bin mir sicher. So, wie er strampelt, kann es nur ein Junge werden.«

Sigrè zog den Arm zurück. »Und wenn es doch ein Mädchen wird … wirst du dann enttäuscht sein?«

»Nein«, beeilte er sich zu versichern, »ich würde meine Tochter genauso lieben wie Bragg und dich.«

Sie lächelte ihn an und versuchte, sich aufzurichten, was ihr nicht leichtfiel. Ihr Bauch war ihr im Weg. Als sie sich an seinen Rücken schmiegte, lehnte Kjelvar sich ihrer Wärme entgegen.

Über ihren Köpfen, auf einer kleinen Empore, die über eine Stiege zu erreichen war, regte sich etwas, und beide sahen nach oben. Bragg, ihr neunjähriger Sohn, schlief dort. Als jedoch keine weitere Bewegung folgte, brachte Sigrè ihren Mund dicht an sein Ohr. Ihre Stimme hatte etwas Schnurrendes, Verlockendes.

»Lieg mit mir«, flüsterte sie, fasste seinen Kopf mit beiden Händen und drehte ihn, sodass sie ihn auf den Mund küssen konnte.

Dann drückte sie ihn sanft, aber bestimmt zurück aufs Bett, hockte sich auf ihn und löste die Schnüre ihres Nachtgewands. Kjelvar sah nur ihren Schatten, so schloss er die Augen und widmete sich zärtlich ihrem vertrauten Körper. Dem gewölbten Leib, der sich mit jedem Atemzug sanft hob und senkte, ihren Hüften, ihren Brüsten, die sich fester anfühlten als sonst. Er strich ihr über die Schultern und die Arme, bis hinunter zu den Händen, die er umfasste. Mit einem Ruck versuchte er, Sigrè zu sich hinabzuziehen und sie zu küssen, aber sie rollte sich auf den Bauch und dann von Kjelvar hinunter. Wie ein Käfer blieb sie auf dem Rücken liegen. Beide mussten lachen und kicherten albern. Plötzlich verstummte Kjelvar und legte Sigrè die Hand auf den Mund.

Da war doch ein Geräusch gewesen, nun war er sich sicher. All seine Sinne waren angespannt, als er lautlos aufstand, seine Axt nahm, die neben dem Bett auf dem Boden lag, und nackt, wie er war, zu der Tür schlich, die in den angrenzenden Stall führte. Auch Sigrè war aufgestanden, er hörte das leise Rascheln der Decke und spürte ihre Bewegungen hinter sich.

Er gab der Tür zum Stall einen Stoß, machte einen Schritt nach vorn – und blinzelte verwirrt. Auf einem Schemel stand eine brennende Kerze, die ein wenig Licht spendete. Davor hockte ein Mann, der Kjelvar den Rücken zuwandte und den Schemel als Tisch benutzte. Neben der Kerze lagen ein Kanten Brot, ein Stück Trockenfisch und die ausgeschlürften Schalen von zwei Eiern. Das Haar des Mannes war kurz und schwarz, er trug ein Kettenhemd, und neben ihm an einem Balken lehnte ein armlanges Schwert in einer ledernen Scheide. Zu seinen Füßen lag ein geöffneter Sack, was sich darin befand, konnte Kjelvar nicht sehen.

Sein Pferd schnaubte, und als er seine Augen für einen kurzen Augenblick von dem Mann vor ihm löste, sah er ein zweites Pferd mit fuchsfarbenem Fell, das er nicht kannte. Es musste dem Fremden gehören. Der drehte sich nicht um, blieb einfach sitzen, während er mit einem Messer den Trockenfisch zerteilte und sich einen Streifen davon in den Mund steckte.

»Wer bist du? Was machst du in meinem Stall?« Kjelvar hielt die Axt kampfbereit erhoben, seine Muskeln waren angespannt. Sigrè tauchte hinter ihm auf, einen eisernen Schürhaken in der Hand.

Der Fremde gluckste leise, was sich wie ein spöttisches Lachen anhörte.

»Habe ich mich so verändert?«, antwortete er, nachdem er geräuschvoll geschluckt hatte. Seine Stimme war dunkel und schwer. Sie klang melancholisch, und doch konnte Kjelvar das Lächeln erahnen, das in ihr mitschwang. Dann blickte der Fremde über seine Schulter, und er ließ erleichtert die Axt sinken.

»Bei Odin und Thor! Thorvik?«, sagte er überrascht. Er hatte mit allem gerechnet, einem Dieb, Plünderern, wilden Tieren … seinen Bruder jedoch hätte er nicht erwartet. Für einen flüchtigen Moment dachte er an das letzte Mal, dass sie sich gesehen hatten. Das war vor fünf Jahren gewesen, als Thorvik verbannt und aus dem Dorf geprügelt worden war.

Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, denn sein Bruder stand auf, stach das Messer in den Schemel und bedachte Kjelvar und Sigrè mit einem spöttischen Blick aus seinem gesunden rechten Auge. Das Linke war so trüb wie ein nebliger Tag. »Ich scheine euch gestört zu haben.«

Kjelvar sah erst an sich herunter und schaute dann zu seiner Frau. »Ja, du kommst recht ungelegen«, entgegnete er grinsend und umarmte seinen Bruder. Er freute sich ehrlich, hatte aber auch ein ungutes Gefühl, das ihn dumpf im Magen drückte. »Ich freue mich trotzdem, dich zu sehen.«

»Und ich bin froh, euch beide gesund anzutreffen«, sagte Thorvik, der die Umarmung nur flüchtig und mit unbewegter Miene erwiderte.

Kjelvar mutmaßte, dass seinen Bruder die gleichen Gedanken beschäftigten wie ihn selbst. Nun, wenn es so war, würden sie auch die Zeit finden, über alles zu sprechen.

Das Feuer war schnell entzündet, und während Sigrè die Reste des Abendessens auftischte, füllte Kjelvar die Becher mit Gerstenbier. Sie stießen an. »Auf die Götter. Ich danke ihnen, dass sie dich am Leben gelassen haben.«

Sie tranken. Als sie die Becher absetzten, füllte Kjelvar gleich nach. Thorvik fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich kam spät, ich wollte nicht, dass man mich sieht, deswegen habe ich in eurem Stall Unterschlupf gesucht.«

»Du warst zu laut«, bemerkte Kjelvar mit einem Augenzwinkern.

Thorvik zuckte nur wortlos mit den Schultern und nahm einen Löffel Erbsenbrei. »Hm, das ist gut«, lobte er, ohne die beiden anzusehen.

Kjelvar beobachtete ihn. Schweigend, nachdenklich. Gelegentlich trank er von dem Bier, dessen Geschmack er kaum wahrnahm.

Das plötzliche Auftauchen seines Bruders wühlte viele Erinnerungen in ihm auf, von denen er geglaubt hatte, sie längst vergessen zu haben. Thorvik war schon immer streitlustig gewesen, ein Raufbold, jemand, der es sich mit allen verscherzt hatte, die es jemals gut mit ihm gemeint hatten. Schließlich konnte er die Frage nicht länger zurückhalten.

»Warum bist du zurückgekehrt?«

Thorvik schien es erwartet zu haben. Er ließ den Löffel in die Schüssel fallen. Seine Miene war unergründlich.

»Du weißt, dass Glaif dich auf der Stelle töten lassen kann«, setzte Kjelvar nach.

»Dieser Narr ist immer noch euer Hövding?«

»Hm, wie ich sehe, hast du dich nicht verändert.«

»Doch, das habe ich, sonst wäre ich nicht hier, und natürlich weiß ich, dass Glaif mich töten lassen kann. Aber ich bin das heimatlose Herumziehen leid und fand, dass es das Risiko wert ist.«

»Wieso jetzt? Bist du endlich klüger geworden?«

»Wer weiß das schon? Mir bietet sich eine Gelegenheit, die Fehler meiner Vergangenheit wiedergutzumachen, und ich will sie ergreifen.«

Kjelvar musterte seinen Bruder fragend und vergaß zu trinken, obwohl er den Becher schon an die Lippen hielt. »Von was für einer Gelegenheit sprichst du?«

»Ich bringe Nachrichten von König Harald.«

»Du?« Kjelvar knallte den Becher zurück auf die narbige Tischplatte. »Du kennst Harald Schönhaar?«

»Ich habe ihn getroffen. Zu sagen, ich würde ihn kennen, wäre gelogen. Nein, ich habe ihn aufgesucht, um ihn zu bitten, den Bann gegen mich aufzuheben. Er hat es nicht getan. Er sagte, vergeben könne mir nur mein Dorf.«

»Hm. Jetzt verstehe ich. Und die Nachricht?«

»Harald sammelt eine Flotte, um die Plünderer zu jagen, die unsere Küsten überfallen. Auch Glaif soll Schiffe und Männer schicken. Das ist die Botschaft, die ich überbringen soll.«

Kjelvar war erstarrt. Sein Blick fiel auf Sigrès gewölbten Bauch. »Jetzt? So kurz vor dem Winter?«

»So lautet der Befehl des Königs. Er hat Boten in alle Himmelsrichtungen entsandt.«

Plötzlich ertönte ein Aufschrei. »Onkel Thorvik!« Mit einem Satz war Bragg von seiner Schlafstatt heruntergesprungen und warf sich Thorvik in die Arme, dem gerade noch Zeit blieb, seinen Becher abzusetzen, aufzustehen und Bragg aufzufangen. Mit Schwung hob er ihn über den Kopf. »Bei Thors Hammer! Junge, du bist ja zu einem Riesen geworden.« Er schwenkte den Jungen herum, der vor Lachen kaum Luft bekam. »Sag mir: Wie alt bist du jetzt?«

»Neun!«

»Dann bist du ja schon zu einem richtigen Mann geworden.«

Der Junge antwortete nicht, aber an dem breiten Grinsen auf seinem runden Gesicht war deutlich zu sehen, wie stolz er war. Thorvik setzte sich wieder, Bragg auf dem Knie.

»Hast du gegen Seedrachen gekämpft oder gegen Riesen?«, fragte der Junge aufgeregt.

»Seedrachen bin ich nicht begegnet, aber ich habe einen Riesen getroffen.«

»Wo?«

»Sehr weit oben im Norden.« Thorvik zwinkerte seinem Bruder über Braggs Kopf hinweg zu. »Dort stehen die Wälder so dicht, dass kein Schnee den Boden berührt. Da bin ich ihm begegnet.«

»Und habt ihr miteinander gekämpft?«

»Nein, das war nicht nötig. Zuerst haben wir uns zwar belauert, aber keiner von uns hat eine Waffe gezogen. Es war bitterkalt, musst du wissen, und wir hatten keine Lust zu kämpfen. Schließlich, nachdem wir uns lange genug belauert hatten, lud er mich in seine Höhle ein.«

»Du hast verstanden, was der Riese gesagt hat? Sprechen sie wie wir?«

Thorvik schüttelte den Kopf. »Ihre Stimmen sind so tief wie das Grollen des Sturms, und du spürst es hier, im Magen.« Seine Hand schnellte vor und kitzelte Bragg am Bauch, bis dem Jungen vor Lachen die Tränen kamen. »Der Riese hat mir den Weg gezeigt. In seiner Höhle war es warm, und wir tranken Met aus Bechern, die so groß wie Eimer waren. Ha – bevor ich es vergesse! Ich hab dir was mitgebracht.«

»Was ist es?« Nun leuchteten die Augen des Jungen vor Aufregung.

»Im Stall steht ein Sack, hol ihn her. Dann gebe ich es dir.«

Sigrè brachte noch einen vollen Krug mit Bier, während ihr Sohn eilig in den Stall lief.

»Er hat mich nicht vergessen«, sagte Thorvik leise.

Sigrè setzte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Er liebt dich, und er liebt deine Geschichten. Wie könnte er dich da vergessen?«

»Unser Vater konnte es.«

Kjelvar schüttelte den Kopf. »Vater ist tot.«

Thorvik sah ihn überrascht an. »Das wusste ich nicht. Wie ist er gestorben?«

»Er hat sich beim Holzhacken die Axt ins Bein geschlagen, und die Wunde entzündete sich.«

Thorvik gab einen Laut des Bedauerns von sich. »Ein unwürdiger Tod für einen stolzen Mann.«

Sein Bruder widersprach ihm nicht. Er verriet Thorvik auch nicht, dass ihr Vater ihn mit seinem letzten Atemzug noch verflucht hatte. Die Wut und die Enttäuschung über seinen ältesten Sohn hatten zu tief gesessen, um ihm selbst auf dem Sterbebett zu vergeben.

»Und unsere Mutter? Ist sie auch tot?«

»Nein, aber sie ist alt, und sie wird blind.«

»Aber ihre scharfe Zunge hat sie noch?«

Die Bemerkung entlockte Kjelvar ein Grinsen. »Oh ja. Die werden wir noch aus ihrem Grab heraus hören können.«

»Glaubst du, sie würde mich sehen wollen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Bestimmt«, mischte sich Sigrè ein. »Ich rede mit ihr.«

Bragg kehrte aus dem Stall zurück. Der Sack war zu schwer für ihn, um ihn zu tragen, also schleifte er ihn über den Boden hinter sich her. Als er ihn neben Thorvik abstellte, keuchte er. Seine Wangen waren gerötet.

Thorvik griff in den Sack und suchte einen Moment lang nach etwas. Schließlich zog er einen langen, gebogenen Reißzahn heraus, der in Silber eingefasst war und an einem ledernen Band hing. Der Zahn war so lang wie Thorviks Zeigefinger.

»Dieser Zahn gehörte einem Bären, der Riese hat ihn erlegt, und er hat mir den Zahn geschenkt. Hier, er ist für dich – ich habe ihm von dir erzählt und ihm deinen Namen genannt. Solltest du dem Riesen einmal begegnen, dann zeig ihm den Zahn, und er weiß, wer du bist. Halte ihn also in Ehren.«

Der Junge nickte eifrig, während er mit großen Augen zuhörte und jedes Wort begierig in sich aufsaugte. »Ein Riese kennt meinen Namen«, flüsterte er ergriffen. »Danke, Onkel.« Bragg stürmte durch die Hütte. »Ein Riese kennt meinen Namen!«, rief er aufgeregt.

»Das ist ein sehr schönes Geschenk«, bemerkte Sigrè, aber Thorvik winkte ab.

»Ich habe es bei einem Händler gekauft«, brummte er und streckte Sigrè die leere Schüssel entgegen. »Würdest du mir noch etwas geben?«

Als sie zur Herdstelle ging, wandte sich Thorvik an Kjelvar. »Wirst du mir bei Glaif zur Seite stehen?«

Kjelvar zögerte mit der Antwort.

»Dass ich hier bin, stört dich wohl?«

»Du missachtest unsere Gesetze und bringst damit meine Familie in Gefahr.«

»Dann hilfst du mir also nicht?«

»Das habe ich nicht gesagt. Lass mich darüber nachdenken.«

Während Thorvik die zweite Schüssel mit Erbsenbrei verspeiste, sprachen sie nicht mehr. Kjelvar ging vieles durch den Kopf, und er hatte viele Fragen: Was hatte Thorvik in den letzten Jahren gemacht, wo war er gewesen? Doch er sprach sie nicht aus. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, die kein ungezwungenes Gespräch gestattete.

Die Flammen in der Feuerstelle erloschen langsam. Nur noch vereinzelt flogen knackende Funken zu der Öffnung im Dach hinauf.

Nachdem Thorvik aufgegessen hatte, legte Kjelvar ein paar Scheite nach und gab ihm eine Decke. Er wies auf eine Stelle neben dem Feuer. »Hier kannst du heute Nacht schlafen. Da ist es warm.«

Dann wandte er sich ab und ging mit Sigrè zu Bett.

Kapitel 2

Thorvik lag auf dem Rücken auf diesem Weg, der nicht breiter war als ein Trampelpfad.

Er roch das Gras, das grün und saftig war und das im Wind rauschte. Mit seinem gesunden Auge starrte er in den blauen Himmel. Er sah jede Wolke, die vorbeizog, sah die Raben mit heiserem Krächzen darunter hinweg fliegen und sich irgendwo in seiner Nähe niederlassen. Als er sich bewegte und aufzustehen versuchte, kam dieser furchtbare Schmerz zurück, und er roch Blut, sein Blut, das sich unter ihm ausbreitete. Er fiel zurück und blieb liegen. Sein Geist formte ein Wort, das seine Lippen aber nur als Hauch verließ. »Inga.« Er versuchte es erneut, und es kostete ihn alle Kraft, seine Lungen mit Luft zu füllen. »Inga!«

Sein eigener Schrei ließ ihn erwachen. Schweißüberströmt schlug Thorvik die Augen auf. Die Bilder seines Traums verblassten, bis sie schließlich ganz verschwunden waren. Er lag neben der erloschenen Feuerstelle in Kjelvars Hütte. Durch die Schlitze in den hölzernen Läden vor den schmalen Fenstern fielen helle Streifen aus Licht. Er fuhr hoch, und erst da bemerkte er, dass sein Bruder neben ihm stand, ihm die Hand reichte und ihm half aufzustehen. Er sah Sigrè, die ihm ein freundliches Lächeln schenkte, das er nur mühsam erwidern konnte.

Thorvik rieb sich das Gesicht und vertrieb die Reste des Traums aus seinem Geist. »Hast du eine Entscheidung gefällt?«

Kjelvar legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja. Ich helfe dir, du bist schließlich mein Bruder. Wir sollten gleich zu Glaif gehen. Lass es uns hinter uns bringen.«

Thorvik nickte und griff nach seinem Schwert, das er für die Nacht abgelegt hatte. Er war dankbar, dass sein Bruder nicht fragte, wer Inga war. Er würde ihm von ihr erzählen … später … vielleicht.

»Lass es hier«, sagte Kjelvar. »Dein Kettenhemd auch. Wenn du willst, dass Glaif dir zuhört, ist es nicht gut, wenn du gerüstet bist wie zum Krieg.« Er selbst trug eine Axt und seinen Schild, auf dem das Bild eines Raben prangte, der seine Schwingen ausgebreitet hatte. »Versprich mir eins«, fuhr er ernst fort. »Vergiss deinen Stolz, wenn du mit Glaif redest. Ich weiß, dass dir das schwerfällt, aber wenn er dir vergeben soll, musst du es tun.«

Thorvik nickte zähneknirschend, dann verließen sie die Hütte.

Es war ein kalter, nasser Morgen, der den Atem sichtbar machte. Der Regen der Nacht hatte die Erde aufgeweicht, die in schweren Klumpen an ihren Stiefeln kleben blieb. An den umgebenden Bergen, die steil in den Fjord abfielen, hingen lange Wolkenbänder, die sich kaum bewegten. Der Geruch nach Meer lag in der feuchten Luft.

Nun war das Dorf erfüllt von Leben. Männer in Lederkleidung und eingehüllt in schwere Umhänge verluden Netze auf kleine Boote, mit denen sie hinaus auf den Fjord zum Fischen fahren würden.

Aus der Schmiede war das Fauchen des Blasebalgs zu hören, der die Glut in der Esse schürte. Der Rauch des Kohlefeuers vermischte sich mit den Nebelfetzen, die noch zwischen den Hütten hingen. Eine Frau saß vor ihrem Haus und rupfte eine Gans, die tot auf ihrem Schoß lag.

Zwischen den Erwachsenen liefen Kinder herum und spielten Fangen. Bragg war unter ihnen. Er lachte, als ihm ein gleichaltriges Mädchen nur knapp entwischte.

»Sie sind wie wir früher«, bemerkte Kjelvar mit einem Schmunzeln. »Wir waren auch immer hinter den Mädchen her. Weißt du noch?«

Thorvik nickte stumm. Er war angespannt und sah sich um.

Es dauerte nicht lange, bis die Dörfler auf die Brüder aufmerksam wurden. In manchen Gesichtern las Thorvik zunächst Erkennen, dann Ablehnung, Ratlosigkeit und offene Feindschaft.

»Da ist Thorvik!« Ein Mann im gleichen Alter wie Thorvik, aber mit schlohweißem, dichtem Haar und Bart, der von allen nur Wolfshaar genannt wurde, funkelte ihn wütend an. »Der Ausgestoßene!«

»Was macht der hier?«, keifte eine alte Frau mit tief zerfurchtem Gesicht, die kaum noch einen Zahn im Mund hatte. Sie zeigte mit dem Stock auf Thorvik.

Neugierig kamen weitere Dorfbewohner herbeigelaufen.

»Mein Bruder kommt von König Harald, um uns eine Nachricht zu bringen«, rief Kjelvar.

Schnell waren sie von Menschen umringt, die Thorvik beschimpften.

»Er hat hier nichts verloren!« Der Schmied wog einen Knüppel in der Hand. »Er lenkt Odins Zorn auf uns!«

»Wage es, damit zuzuschlagen«, knurrte Kjelvar und legte drohend die Hand auf den Kopf seiner Axt.

»Geh aus dem Weg, verflucht noch mal! Dein Bruder wurde verbannt!«

»Komm keinen Schritt näher!«

»Die Götter haben sich von ihm abgewandt!«

»Ja!« Mehrere Männer und Frauen schüttelten ihre Fäuste.

»Reicht dir ein Unglück nicht, dass er uns gebracht hat?!«

»Das ist vorbei und Jahre her!« Kjelvar gelang es nicht, die wütenden Stimmen zu übertönen.

Jemand spuckte Thorvik an, der herumwirbelte, die Fäuste ballte und sie gleich wieder sinken ließ. Er durfte nicht kämpfen. Schnaufend rang er den aufkommenden Zorn nieder.

In dem Moment, als sich der Kreis immer enger schloss, drängte sich ein Mann durch die Menge und stellte sich neben Kjelvar und Thorvik.

Dunkle Augenbrauen überschatteten die tief liegenden Augen, mit denen er die wütende Meute betrachtete. An seiner linken Hand fehlten zwei Finger. Auf dem Schädel war die deutliche Narbe eines Schwerthiebs zu sehen.

»Drayk«, sagte Thorvik, und trotz der Lage musste er lachen. »Alter Freund.«

»Verfluchter Narr«, erhielt er zur Antwort, »einfach herzukommen! Bist du von Sinnen?«

Plötzlich ergoss sich aus einem großen Eimer eiskaltes Wasser über einen Teil der Menge. Männer und Frauen sprangen erschrocken beiseite und machten damit Platz für Sigrè, die sich zu ihrem Mann und den anderen stellte. Ihr Blick war hart und kampfeslustig.

»Geht weg!«, fauchte sie, bereit, mit dem Eimer zuzuschlagen.

»Genug jetzt! Tretet beiseite!« Hövding Glaif war der Tumult nicht entgangen. Mit einem Gefolge von sechs Kriegern kam er aus seinem Langhaus marschiert.

Unter ihnen war ein junger Mann mit glatt geschabten Wangen und wachen blauen Augen. An einer geknüpften Lederschnur hing eine Laute über seiner Schulter. Um seinen Hals schloss sich der eiserne Reif eines Sklaven. Auf seiner Brust trug er einen Anhänger, ein geschnitztes Kreuz, das ihn als Christen kennzeichnete.

Die Dörfler machten Glaif Platz. Er war ein kleiner Mann, der im Herbst seines Lebens stand. Das schwarze Haar war schütter geworden und sein Leib füllig. Er hakte die Daumen in den mit Edelsteinen geschmückten Schwertgürtel, als er vor Thorvik und Kjelvar stehen blieb.

Sein Blick war verächtlich. »Natürlich. Nur einer schafft es, einen solchen Aufruhr zu verursachen. Als ich das Geschrei hörte, soll ich dir sagen, wessen Name mir gleich in den Sinn kam? Deiner, Thorvik Nebelauge. Und ich habe mich nicht geirrt. Sag, was du zu sagen hast, und dann geh, oder ich lasse dich im Meer ersäufen.«

Thorvik wechselte einen kurzen Blick mit seinem Bruder, der mit einem knappen Kopfnicken zu Boden wies.

Was er nun tun würde, widerstrebte Thorvik zutiefst, auch wenn er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Er ging vor Glaif auf die Knie. Das musste genügen, er würde nicht auch noch den Kopf vor ihm senken, das verbot ihm sein Stolz.

»Ich bin hier mit einer Botschaft von König Harald … und ich habe eine Bitte«, sagte er laut.

»Wie lautet die Botschaft?«

»Rüste Schiffe für den Kampf, bemanne sie mit Kriegern und sende sie zu Jarl Ragnvald. Sammelt euch dort und zieht aus, um gegen die Plünderer zu kämpfen, die unsere Küsten überfallen.«

»Dank dir habe ich nur noch ein Schiff, das ich bemannen kann. Aber sage mir«, entgegnete Glaif mit einem bitteren Unterton, »warum sollte ich den Worten eines Ausgestoßenen überhaupt Glauben schenken?«

»Weil es die gleichen Worte sind, die Harald benutzt hat.« Thorvik schnaubte. »Aber wenn du mir nicht glaubst, dann schicke einen Boten zum König nach Vestfold und opfere wertvolle Zeit. Tu, was du willst.«

»Ich denke darüber nach.« Glaif ging um Thorvik herum. Ihm schien zu gefallen, ihn vor sich auf den Knien zu sehen. »Und deine Bitte?«

»Ich möchte nur eins: Lass mich mit euch segeln, lass mich kämpfen und meine Schuld gegenüber dem Dorf wiedergutmachen. Gib mir eine Gelegenheit, meine Ehre zurückzugewinnen.«

Sofort riefen die Dörfler durcheinander. Thorvik verstand kaum ein Wort, aber der Widerspruch war nicht zu überhören.

Glaif lächelte zufrieden. »Du hörst sie. Sie wollen dich nicht. Dein Wesen ist das eines einsamen Wolfes. Du bist unberechenbar. Du nimmst dir, was du willst, und kriegst du es nicht, wirst du zur Bestie. Wer wüsste das besser als ich oder dein Vater oder Wolfshaar hier. War er es nicht, der das Schiff führen sollte, das du in Brand gesteckt hast, aus bloßem Neid?«

»Hövding. Mein Bruder ist hier, um uns im Kampf beizustehen«, ergriff Kjelvar das Wort. »Gib ihm die Gelegenheit zu beweisen, dass er sich geändert hat.«

Glaif lächelte gönnerhaft. »Woher willst du das wissen?«

»Er wäre nicht hergekommen, wenn es nicht so wäre.«

»Der große Thorvik Nebelauge, der Mann, der eine Entscheidung des Rates nicht annehmen konnte, der es sich mit seinem Herrn, seinem Dorf und sogar seinem eigenen Vater verscherzt hat, kniet nun hier und bittet um Gnade.« Glaif wandte sich mit einem Lachen an den jungen Mann mit der Laute. »Sag mir! Wie würde dein Christengott in so einem Fall entscheiden? Hm?«

Der Sklave hatte aufmerksam zugehört. »Wenn er seine Sünden ehrlich bereut, würde er ihm vergeben«, sagte er nach einem kurzen Moment des Nachdenkens.

Glaif schlug Thorvik auf den Rücken. »Hast du das gehört? Sein Christengott würde dir vergeben!«

»Und was wirst du tun?«, erwiderte Thorvik und knirschte mit den Zähnen. Er war dieses Geplänkel leid. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte Glaif an der Kehle gepackt und die Antwort aus ihm herausgewürgt.

Glaif indes schien die hasserfüllten Blicke nicht zu bemerken, die Thorvik ihm entgegenschleuderte, denn er hatte sich dem Sklaven zugewandt. Er packte ihn, stieß ihn neben Thorvik zu Boden und setzte ihm den schlammbedeckten Stiefel in den Nacken.

»Hört meine Entscheidung! Du darfst mit auf die Wellenpferd und an der Seite der anderen kämpfen, Thorvik.« Er sah über die Reihen der Dörfler hinweg, die seinem Blick murrend, feindselig, aber auch zustimmend begegneten. Er machte eine beschwichtigende Geste, die zeigte, dass er noch nicht zu Ende gesprochen hatte. »Aber! Ich werde dir eine Aufgabe geben. Erfüllst du sie, vergebe ich dir und vergesse deine Schuld. Erfüllst du sie nicht, wirst du sterben, wenn du es noch einmal wagen solltest, hierher zurückzukommen.«

Glaif gluckste hämisch. Er verstärkte den Druck auf den Rücken des Sklaven und presste ihn in den Dreck. »Dieser Mann langweilt mich mit seinen Liedern in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Daher wird er mit euch zu Jarl Ragnvald segeln und die Plünderer jagen. Und du, Thorvik, du, wirst darauf achtgeben, dass ihm kein Leid geschieht.«

»Was kümmert dich das Wohl eines Christen?«, rief Kjelvar wütend.

»Sein Wohl?« Glaif lachte herablassend. »Dieser Mann könnte mir nicht gleichgültiger sein, aber deinem Bruder wird er alles bedeuten, wenn er wirklich seine Ehre zurückerlangen will.«

Thorvik hätte über den durchtriebenen Einfall lachen können, wenn es nicht ihn selbst betroffen hätte. So stand er abrupt auf, und Glaif wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Ich tue es«, sagte Thorvik. »Ich passe auf deinen Christen auf. Für meine Ehre.« Er packte den Sklaven am Kragen seines Wamses und zog ihn auf die Beine. »Du erwartest, dass ich scheitern werde«, sagte er zu Glaif. Der schwieg, aber der Spott, der um seine Mundwinkel zuckte, war Antwort genug. »Ich werde ihn heil zurückbringen, das schwöre ich bei Thor.«

»Oh, wir werden sehen, wie sehr dir die Götter gewogen bleiben, wenn du die Amme für einen Christen bist.«

Die Männer und Frauen des Dorfes lachten, nur Wolfshaar verzog keine Miene. Thorvik sah, dass er mit der Entscheidung nicht einverstanden war.

»Wolfshaar!«, rief Glaif, »mach die Wellenpferd seeklar und suche vierzig Krieger, die dich begleiten werden. Du wirst morgen früh aufbrechen.« Damit wandte er sich um und schritt zurück zu seinem Langhaus. Die Menge blieb noch einen Augenblick, dann zerstreute sie sich.

»Es war gut, dass du dein Gemüt gezügelt hast, Thorvik«, sagte Kjelvar.

»Ein Wort mehr von ihm, und ich hätte ihm den Kiefer gebrochen.«

»Oh, ohne Zweifel, ich konnte es in deinem Gesicht sehen. Aber du hast ihn gehört. Lass dir nichts zu Schulden kommen. Denk an Sigrè und Bragg … und an Mutter.«

»Ich werde es nicht vergessen. Ich schwöre es dir.«

Kjelvar nickte ihm zu, dann legte er den Arm um Sigrès Schulter und führte sie zurück zu seiner Hütte.

Thorvik sah ihnen nach. Als er eine Bewegung hinter sich bemerkte, wandte er den Kopf. Drayk war neben ihn getreten und musterte ihn von Kopf bis Fuß.

»In den Jahren, seit du fort warst, bist du noch hässlicher geworden«, sagte Drayk.

»Und du, mein Freund, bist alt geworden«, erwiderte Thorvik.

Drayks Grinsen offenbarte, dass ihm ein Eckzahn fehlte. »Ich dachte schon, du wärst tot.«

»Wie du siehst, lebe ich noch. Odin wollte mich noch nicht an seiner Tafel sehen.«

»Das ist gut, denn ich habe ihm ein teures Schwein geopfert und ihn gebeten, sein gesundes Auge auf dich zu richten. Mir haben unsere gemeinsamen Reisen gefehlt, weißt du.«

»Mir auch. Es gab manchen Tag, an dem ich dich an meiner Seite gewünscht hätte.«

»Hör auf, mir Honig ums Maul zu schmieren«, brummte Drayk, der verlegen zum Himmel aufsah.

»Wie geht es Yrna?«, fragte Thorvik.

Drayk behielt den Blick in den Wolken. Seine Miene war wie versteinert. »Sie ist gestorben, letzten Winter.«

»Sie war eine starke Frau. Freya wird sie mit offenen Armen empfangen haben.«

»Ja, das denke ich auch.« Er räusperte sich. »Genug davon. Die Toten sind tot.« Er kniff die Lippen zusammen. »Du weißt, dass du hier nicht viele Freunde hast.«

»Ja, das habe ich gemerkt. Daher weiß ich die Verbliebenen umso mehr zu schätzen.«

»Wir müssen uns betrinken, um der alten Zeiten willen.«

Thorvik nickte lächelnd. »Und das werden wir. Sobald die Gelegenheit günstig ist, werden wir trinken, bis wir nicht mehr stehen können.« Er wandte sich dem Sklaven zu, der vergeblich versuchte, seine Kleidung vom Schmutz zu befreien. Der junge Mann war kleiner als er, schmächtig, mit großen, blauen Augen und weichem blondem Haar. Die Haut war blass, das Gesicht zeigte nicht einmal den Schatten eines Bartes.

»Du verstehst unsere Sprache?«, fragte Thorvik.

Der Sklave wiegte den Kopf. »Ich verstehe mal gut, mal schlecht, was ihr sagt.«

»Bist du eine Frau?« Thorvik zupfte an dem weichen, blonden Haar.

»Nein«, antwortete der junge Mann beleidigt.

»Hast du einen Namen?«

»Tullan, Tullan of Wessex.«

»Einer von der Insel«, sagte Drayk naserümpfend. »Das sind alles Weiber.«

Für diese Bemerkung erntete er einen bösen Blick. »Ich bin ein Barde, ein Musiker, und ich erzähle Geschichten«, erklärte Tullan.

»Seine Lieder sind grauenhaft. Man kann weder dazu saufen noch tanzen.«

»Wie lange bist du schon hier?«, fragte Thorvik.

»Ein Jahr und sechsundsiebzig Tage.«

»Und jetzt habe ich dich am Hals.« Thorvik ließ den Kopf sinken.

Als er wieder aufsah, entdeckte er eine gebückte Gestalt, die sich vor Kjelvars Hütte auf einen Stock stützte und ihr faltiges Gesicht in seine Richtung gewandt hatte. Beim Anblick seiner Mutter überlief ihn eine Gänsehaut. Ohne ein Wort ließ er Drayk und den Sklaven stehen und ging zu ihr hinüber.

Als er vor ihr stand, sah er, dass ihre Augen grau waren, ein Zeichen dafür, dass sie blind wurde, oder es vielleicht schon war.

»Mutter«, sagte er, ohne sie zu umarmen.

»Halt meinen Stock«, antwortete sie.

Er tat es, und sie betastete sein Gesicht. Ihre Finger glitten über seine Stirn, die krumme Nase, die er sich mehr als einmal gebrochen hatte, die Narbe auf seiner Wange, den kurzen Bart, der so borstig wie das Fell eines Wildschweins war. »Du bist jetzt ein Mann«, sagte sie, als sie die Hände zurücknahm. »Nur weiser bist du nicht geworden«, stellte sie fest, gab ihm einen Klaps auf die Wange, drehte sich um und humpelte auf den Eingang ihrer eigenen Hütte zu, die nahe bei Kjelvars stand. Thorvik folgte ihr.

Drinnen kniete Sigrè auf dem Boden und schürte für ihre Schwiegermutter das Feuer. Die Holzscheite knisterten. Als Thorvik eintrat, lächelte sie ihm zu.

»Lass uns allein, Kind«, sagte die alte Frau und setzte sich auf eine Holzbank neben der Feuerstelle. Als Sigrè hinausgegangen war, lächelte die alte Frau, tastete suchend nach Thorviks Hand und zog ihn neben sich.

»Ich habe zu den Göttern gebetet, dass du zu mir zurückkehrst, bevor ich zu ihnen gehe«, sagte sie. »Ich danke ihnen, dass sie meinen Wunsch erfüllt haben.«

Thorvik sah sie überrascht an. Er hatte Verwünschungen und Ablehnung erwartet. »Ich dachte, du wärst noch böse auf mich«, erwiderte er verwirrt.

»Das war ich … die ersten Jahre, in denen du fort warst, aber dann …« Sie brach ab und seufzte tief.

»Hat Vater am Ende auch so gedacht?«

»Nein, aber du weißt, wie er war. Das sollte dich nicht bekümmern. Er war wie du, ebenso stur und unnachgiebig. Wirst du bleiben dürfen?«

»Hast du Glaif nicht gehört?«

»Nicht alles.«

»Ich darf mitsegeln, aber ich muss auf einen Christen aufpassen«, sagte Thorvik.

»Seinen Sänger?«

»Ja, der. Bringe ich ihn heil zurück, ist meine Schuld vergeben, hat Glaif gesagt. Wenn nicht, brauche ich gar nicht erst wieder herzukommen. Dann wird er mich töten lassen. Ich glaube, er hat es sehr genossen.«

Seine Mutter überhörte den bitteren Ton. Sie sah zu ihm auf, auch wenn er ahnte, dass sie nur dem Klang seiner Stimme folgte.

»Ich mag den Christen, er hat eine schöne Stimme. Glaif hat ihn, seit Struve gestorben ist.«

»Er sieht aus wie eine Frau«, knurrte Thorvik.

Das Licht, das durch die Tür fiel, verdunkelte sich, als Kjelvar in die Hütte trat.

»Es war so still, da wollte ich sehen, ob du meinem Bruder nichts angetan hast«, sagte er, halb lachend und halb im Ernst zu seiner Mutter und ließ sich an ihrer anderen Seite auf der Bank nieder.

Ein seliger Ausdruck erschien auf dem Gesicht der alten Frau. »Meine Söhne. Es ist schön, euch beide wieder gemeinsam an meiner Seite zu wissen. Auf diesen Tag habe ich gehofft.« Sie wies auf eine Truhe, die in der Nähe ihres Bettes stand.

»Kjelvar, bring sie her zu mir. Ich habe etwas, das ich euch geben möchte.«

Die Truhe war aus schwerem Eichenholz, mit Bändern aus Metall und einem komplizierten Schloss, wie es keiner ihrer Schmiede herstellen konnte. In dem Schloss steckte ein langer Schlüssel. Auf dem Deckel prangte ein geschnitztes Kreuz, das durch einen Axthieb in der Mitte geteilt worden war.

»Sie ist schwer«, bemerkte Kjelvar, als er die Truhe auf dem Tisch abstellte, den Schlüssel drehte und den Deckel öffnete.

Ihre Mutter war inzwischen aufgestanden und tastete suchend nach dem Inhalt. Zuerst brachte sie einen Helm zum Vorschein. Er war glatt, der Länge nach genietet und endete in einem breiten Nasenschutz. Das Eisen hatte oberflächlich etwas Rost angesetzt. Das Innere war mit gepolstertem Leinen verkleidet, das vom Schweiß des vormaligen Trägers dunkel verfärbt war.

»Der Helm gehörte eurem Vater. Ich möchte, dass du ihn jetzt bekommst, Thorvik.«

Er nahm ihn und setzte ihn auf. »Er passt.«

»Damit dein sturer Kopf nicht verletzt wird«, sagte die alte Frau, lachte gackernd und klopfte mit ihrer knochigen Hand auf das Metall.

Als Nächstes nahm sie eine Axt aus der Truhe. Der Axtkopf war dunkel, ebenso wie der Schaft aus Holz und der mit Leder umwickelte Griff. Schaft und Axtblatt bedeckte ein feines Muster, das an die Federn von Raben erinnerte. »Dies ist Rabenschwinge. Olvrud der Schmied hat sie gemacht. Die Waffe ist alt, euer Vater bekam sie vor seinem ersten Kampf, da war er so alt wie Bragg. Nimm du sie jetzt und mach ihr Ehre, Kjelvar.« Sie seufzte, erleichtert, aber auch erschöpft. Mit ihrer knotigen Hand wies sie ihren Söhnen die Tür. »Lasst mich jetzt allein. Ich will meine Ruhe haben.« Die gewohnte Bärbeißigkeit war für einen winzigen Moment in ihre Stimme zurückgekehrt.

Den Rest des Tages verbrachte Thorvik in Kjelvars Haus und schnitzte für Bragg kleine Krieger und Pferde aus Holz oder tollte mit ihm herum. Um weiteren Ärger zu vermeiden, hielt es Kjelvar für ratsam, dass sein Bruder sich nicht im Dorf sehen ließ.

Am frühen Nachmittag klopfte es an der Tür. Kjelvar öffnete sie, und vor ihm stand Tullan. Er trug eine Decke unter dem Arm, seine Laute in der Hand und hatte sich einen Sack mit ein paar wenigen Habseligkeiten auf den Rücken gebunden.

»Was willst du?«, fragte Kjelvar.

»Glaif hat mich weggeschickt, er hat gesagt, ich hätte jetzt einen neuen … Herrn.«

»Sag ihm, er kann sich nützlich machen!«, rief Thorvik aus dem Hintergrund. »Er soll zu Mutter gehen und für sie spielen und singen. Sie mag seine Stimme.«

»Du hast ihn gehört«, sagte Kjelvar und wies auf die Hütte seiner Mutter. »Geh dahin.«

Damit schlug er Tullan die Tür vor der Nase zu und ging zurück an den Tisch, auf dem frisch gebackenes Brot stand. Er riss ein Stück ab und steckte es sich in den Mund.

»Wer ist Inga?«, fragte er unvermittelt, was dafür sorgte, dass Thorvik mit dem Messer abrutschte und dem Pferdchen, an dem er gerade schnitzte, ein Bein abtrennte. Nach einem langen Moment, in dem er Kjelvar finster anfunkelte, seufzte er und legte das Schnitzmesser beiseite.

»Ich habe eine Zeit lang im Osten gelebt, im Dorf von Hövding Sulgred. Es war Winter. Ich habe mich dort nützlich gemacht, und dafür bekam ich Essen und einen Platz zum Schlafen. Ich wollte nach dem Sommer weiterziehen, aber dann kam das Julfest, und Sulgred lud die Bewohner der umliegenden Weiler ein, mit ihm zu feiern. Dort habe ich Inga zum ersten Mal gesehen und mich gleich in sie verliebt.«

»Du?«, fragte Kjelvar ungläubig. »Du hattest doch eine Frau nie länger als eine Nacht.«

Thorvik machte ein mürrisches Gesicht. »Gerade deswegen war dieser Tag ja besonders.« Ruhiger fuhr er fort: »Ihr Blick, diese Augen, so blau und dunkel wie das tiefste Wasser. Sie war es auch, die mir riet, König Harald um Gnade zu bitten, um hier ein neues Leben zu beginnen, mit ihr als meiner Frau.«

»Was geschah dann?«

Thorvik sah auf seine Hände, die mit dem halb geschnitzten Holzpferdchen spielten. »Der Tag kam, dass Sulgred aufbrach, um seine Abgaben nach Vestfold zu König Harald zu bringen. Er reiste mit seinen beiden Söhnen. Zusammen waren wir über dreißig. Krieger, Sklaven, Frauen. Inga begleitete mich. Am fünften Tag kamen wir durch eine Schlucht und wurden angegriffen. Zuerst machten sie einige von uns mit Pfeilen nieder, bevor sie mit Äxten und Schwertern über uns herfielen. Wir haben tapfer gekämpft, aber es waren zu viele. Ich habe drei von ihnen getötet, bevor ich verwundet zusammengebrochen bin. Inga schrie, sie schrie meinen Namen, als sie sie wegschleppten. Viele andere auch. Ich weiß nicht, wohin.«

»Weißt du, wer die Angreifer waren?«

Thorvik schüttelte den Kopf.

»Wie hast du überlebt?«

»Ich war bewusstlos, und sie hielten mich wohl für tot. Schließlich fand mich ein Bauer, der seine verirrten Ziegen suchte. Er war es, der mich gesund pflegte. Es dauerte Wochen. Nach meiner Genesung bin ich zu Harald gegangen und habe ihm von dem Überfall berichtet. Dort erfuhr ich auch, dass das nicht der einzige Angriff gewesen war. Mehrere Küstendörfer waren überfallen worden. Letztes Jahr hat es angefangen, und die Angriffe sind so zahlreich geworden, dass Harald es nicht ignorieren kann. Ein Mann, dem sie den Namen Bluttrinker gegeben haben, scheint sie anzuführen.«

Kjelvar runzelte die Stirn. »Wie viele Schiffe?«

»Das weiß niemand genau. Manche sprechen von zweien, dann wieder sind es vier und andere haben acht gezählt.«

Kjelvar stand auf und holte zwei Becher und einen Krug mit Bier, aus dem er Thorvik einschenkte. »Glaubst du, Inga lebt noch?«

Thorvik senkte den Kopf und ballte die Fäuste. »Natürlich glaube ich das. Ich weiß nicht, wo sie ist, aber ich werde sie finden.«

»Dann trinken wir darauf, dass du recht hast.« Kjelvar hob seinen Becher, und Thorvik stieß mit ihm an.

Kapitel 3

Eine frühe Herbstsonne stieg über den Hängen auf und begrüßte den neuen Tag. Ihre Strahlen brachen sich an den Wellen und ließen sie golden erglühen. Nur die Tannen warfen lange schwarze Schatten. Ein leichter Wind fing sich in den Ästen.

Doch dies waren nicht die einzigen Geräusche, die zu dieser frühen Stunde die Ruhe im Dorf störten.

Krieger, bewaffnet mit Äxten und Speeren, die Schilde auf dem Rücken, schleppten Körbe und Fässer zu dem Langschiff namens Wellenpferd. Deckplanken waren herausgenommen worden, um den Reiseproviant, aber auch Waffen und Rüstungen im Laderaum darunter verstauen zu können. Andere Krieger brachten die langen Riemen, die sie zu zweit auf den Schultern trugen, um sie dann in der Nähe des Mastes festzuzurren. Hühner gackerten in Käfigen aus Holz, die ebenfalls an Bord gebracht wurden.

Thorvik schulterte sein Kettenhemd, den Helm seines Vaters hielt er in der Hand, ebenso wie den Waffengurt mit dem Schwert. Auf dem Kopf trug er eine Fellkappe, die ihn gegen den schneidend kalten Wind schützen würde. Mit der freien Hand schnappte er sich einen der Beutel mit Proviant, die Sigrè für ihn und ihren Mann geschnürt hatte.

Mit einem flauen Gefühl im Magen und einem tiefen Atemzug trat er vor die Tür der Hütte, wo ihn Tullan bereits erwartete. Der junge Mann aus Wessex hatte einen dünnen Mantel um seinen Körper geschlungen, der nicht danach aussah, als könne er ihn warmhalten. Thorvik hatte ihn in der Nacht ganz vergessen.

»Kannst du ein Schwert führen oder eine Axt?«, fragte er. »Nur … falls es nötig sein sollte.«

Tullan sah ihn mit seinen großen, blauen Augen an. »Ich bin ein Barde«, erwiderte er empört und gleichzeitig zähneklappernd.

»Das heißt also nein.« Verzweifelt sah Thorvik zum Himmel hinauf. »Thor, warum prüfst du mich so?«

Sein Bruder kam aus der Hütte. Sigrè und Bragg folgten ihm. »Kommt, lass uns gehen«, drängte Kjelvar, »es wird Zeit.«

Glaif stand am Pier und überwachte das Beladen des Schiffes. Wolfshaar war bei ihm, und Glaif sagte etwas zu ihm, als er Thorvik kommen sah, doch er war zu weit weg, um es verstehen zu können. Nur die Ablehnung, die die beiden ihm entgegenbrachten, war für ihn beinahe körperlich spürbar. Aber er scherte sich nicht darum, als er über die Planke an Bord ging und den Barden vor sich herschob.

Plötzlich wurde Thorvik von einem Mann angerempelt, der größer, breiter und stärker war als er. An seiner ledernen Rüstung hingen die Haarsträhnen besiegter Feinde. Thorvik hob den Kopf, um dem Riesen in die schmalen Augen zu sehen. »Tjormod Grimmhammer. Bist du auch noch wütend auf mich?«

»Darauf kannst du deinen Arsch verwetten«, antwortete Tjormod grollend, »aber dein Bruder vertraut dir, und ich vertraue ihm. Ich rate dir also, enttäusche ihn nicht!« Damit wandte er sich ab und ging an seinen Platz weiter vorn am Schiff.

»Thorvik! Setz dich hierher!«, rief Drayk ihm zu und wies hinter sich.

»Gleich«, antwortete er und wies Tullan an, sich an der Bordwand niederzulassen. »Rühr dich nicht.« Dann legte er seine Rüstung und sein Schwert neben ihm ab. Sollte der Sänger ruhig auf dumme Gedanken kommen. Thorvik hatte den Mann erspäht, der ihn tags zuvor angespuckt hatte. Ein junger Bursche, gerade alt genug, dass ihm Flaum über der Oberlippe spross. Thorvik packte ihn am Arm und zog ihn zu sich heran.

»Du hast mich einmal angespuckt, Freund … solltest du es ein zweites Mal versuchen, wirst du es ohne Zähne tun.«

»Ich habe keine Angst vor dir, Ausgestoßener.« Der Junge grinste herablassend.

»Dann bist du so dumm, wie du jung bist«, erwiderte Thorvik kühl. »Merk dir also meine Worte, du hörst sie kein zweites Mal.« Er ließ ihn los und wollte gerade an seinen Platz zurückkehren, als er hörte, wie der Junge Spucke hochzog. Doch bevor er herumwirbeln und ihn niederschlagen konnte, war Drayk zur Stelle und versetzte dem Jungen einen Stoß, der ihn auf seine Seekiste zurücktaumeln ließ.

»Nimward, es reicht! Hat dir niemand beigebracht, einen Wolf nicht zu reizen?« Ohne auf Antwort zu warten, ließ er von ihm ab.

»Ich brauche keine Hilfe bei einem Kind«, raunzte Thorvik Drayk zu, als sie ihre Plätze an der Steuerbordwand einnahmen.

»Hm, dann bist du ebenso dumm wie dieser Junge. Auf so eine Gelegenheit warten Glaif und Wolfshaar doch nur.«

Thorvik hielt inne. Er hatte so viele Kämpfe überstanden, Eiswinter überlebt, war viele Wochen auf See gewesen und hatte den heftigsten Stürmen getrotzt. Aber ohne Ehre war das alles ohne Bedeutung. Dann konnte selbst ein Bengel wie Nimward ihn bespucken und verspotten. Und wenn er sich zur Wehr setzte, konnte jeder ihn töten.

»Du hast recht«, sagte er mit einem schwerfälligen Nicken und setzte sich an seinen Platz.

*

Kjelvar sah über die Schulter zum Langschiff. Der kurze Streit war nicht zu überhören gewesen. Er stand noch mit Sigrè am Ufer, hatte seine Hände auf ihre Hüften gelegt und ließ nun den Kopf sinken. Bragg sah zu ihm auf. Er hielt sein kleines Holzschwert in der einen Hand und klammerte sich mit der anderen an die Schürze seiner Mutter.

Der Junge lächelte, und Kjelvar lächelte zurück.

»Es wird alles gut werden«, sagte Sigrè hoffnungsvoll. Er sah sie an.

»Ich hoffe es«, antwortete er und küsste sie leidenschaftlich. Dann kniete er sich nieder, um Bragg zu umarmen. »Du wirst gut auf deine Mutter aufpassen. Schwörst du mir das?«

Bragg schob das Kinn vor und nickte entschlossen. Kjelvar zerzauste das goldblonde Haar seines Sohnes. »Du bist ein guter Junge«, sagte er heiser, griff nach seinem Mantel, dem Proviantbeutel und seinem Schild und stieg über die ausgelegte Planke aufs Schiff.

Endlich war alles verladen, und die Männer hatten ihre Plätze an den Riemen eingenommen. Die Flut war gekommen, es war Zeit, abzulegen.

Die Zurückbleibenden hatten sich am Ufer versammelt. Die Frauen mit ihren Kindern, die Alten und Glaif mit einigen wenigen Kriegern. Sie winkten und baten laut um den Segen der Götter. Sigrè stand vorn an der Wasserlinie, wo der Schaum der Wellen die Spitzen ihrer Schuhe berührte. Sie hatte ihren Mantel aus Schafwolle um sich und Bragg gelegt. Ihr schönes Gesicht war von Kummer gezeichnet, und obwohl sie versuchte, ihn vor Kjelvar zu verbergen, bemerkte er es. In ihren Augen lag ein tiefer Schmerz, den er sich nicht erklären konnte, schließlich fuhr er nicht zum ersten Mal fort. Aber dieses Mal traf ihn ihr Blick bis ins Herz. Dann war dieser Moment vorbei, Sigrè senkte den Kopf und legte ihre rechte Hand auf Braggs Schulter, der den Reißzahn an dem Lederband fest umschlossen hielt.

Wolfshaar sprang an Bord. »Macht die Leinen los und stoßt ab!«

»Mögen die Götter euch gewogen sein und möget ihr ruhmreich zurückkehren!«, rief Glaif, und die Dörfler stimmten in den Ruf mit ein.

Die Männer auf der Backbordseite brachten die Riemen aus und stießen das Schiff unter dem Jubel der Zurückbleibenden vom Pier ab. Dann tauchten die Krieger die Riemen ins Wasser und drehten die Wellenpferd dem offenen Meer zu.

Bereits nach wenigen Schlägen aller Ruderer hatten sie Fahrt aufgenommen. Die steilen Felsen links und rechts des Fjords zogen an ihnen vorbei. Das Dorf und seine Bewohner wurden kleiner, ihre Rufe leiser. Dünne Tannen, die ihren Platz an den steilsten Klippen gefunden hatten, ragten wie stumme Wächter in die Höhe. Ein paar Wasservögel zogen knapp über den Wellen am Schiff vorbei. Die Planken knackten, der scharf geschnittene Bug zerteilte das Meer. Die Ruder tauchten im immer gleichen Rhythmus in die Fluten, so erreichten sie das Ende des Fjords.

Wolfshaar ging zwischen den Reihen der Krieger hindurch zum Bug, wo er mit einer Hand nach dem Vordersteven mit dem geschnitzten Pferdekopf griff. Ein beständiger Wind kam auf. Der Seegang wurde rauer, was das Rudern erschwerte.

»Zieht die Riemen ein!«, rief Wolfshaar. »Setzt das Segel!«

Die Männer taten wie befohlen, sie arbeiteten zusammen wie ein Mann, jeder Handgriff saß. Die Riemen wurden neben dem Mast der Wellenpferd verstaut. Einige Männer verschlossen die Riemenlöcher mit Deckeln aus Holz, um zu verhindern, dass Wasser eindringen konnte, während andere das Segel setzten, das sich rot und leuchtend über dem Meer erhob und das Schiff beschleunigte. Der Bug tauchte tief in eine Welle ein und zerteilte sie, sodass die Gischt über das Deck spritzte. Schon liefen dünne Rinnsale über die Planken.

Wolfshaar legte die Hände an den Mund. »Nach Süden!«, rief er seinem Steuermann zu.

Sie gewannen das offene Meer und blieben doch in Sichtweite der Küste, die gerade noch als bläulicher Streifen zu erkennen war. Der Himmel war grau, und das Wasser schien so schwarz wie Kohle zu sein.

Das Segel schlug im Wind, wann immer die Wellenpferd ins Wasser eintauchte. Ein Schwarm Möwen hatte sich ganz in ihrer Nähe auf dem Meer niedergelassen, aus dem Felsspitzen wie Nadeln hervorragten.

Die Stunden vergingen, und sie machten gute Fahrt. Das Segel war stets gebläht, und der Steuermann hielt das Schiff hart am Wind.

Vier Tage gingen dahin. Vier Tage, in denen sie mit wechselnden Winden nach Süden kreuzten und von der Sonne kaum mehr sahen als eine blasse Scheibe, die nicht stark genug war, um die Wolkendecke zu durchbrechen. Die Nächte verbrachten sie an Land. Bei Dunkelheit drohte die Gefahr, auf ein Riff aufzulaufen oder zu weit vom Kurs abzukommen. Deshalb zogen sie das Schiff bei Einbruch der Dämmerung ans Ufer und rasteten, um gleich im Morgengrauen wieder in See zu stechen.

Es war gegen Mittag des fünften Tages, als Kjelvar den feinen Geruch von verbranntem Holz in der Luft wahrnahm. Er wehte mit dem Wind, und so konnte er nicht feststellen, woher er kam. Aber seine Wachsamkeit war geweckt, und er suchte mit seinen Augen die steile Landzunge ab, die sie gerade umrundeten. Eine Krähe stieg krächzend auf, ihr folgte eine zweite, dann eine dritte. Gleich darauf stießen die Vögel wieder zur Erde hinab und verschwanden aus seinem Blick.

Dann hatten sie die Landzunge passiert, und die Krähen kamen wieder in Sicht. Kjelvar erstarrte. Es war ein ganzer Schwarm. Sie schwebten über den niedergebrannten Ruinen eines Dorfes. Außer ihrem Krächzen war nur das heisere Kläffen von Hunden zu hören.

Am Ufer standen Gerüste aus Holz, an denen menschliche Leiber hingen. Ein paar Krähen hatten sich auf ihnen niedergelassen und stießen ihre Schnäbel in das Fleisch.

Inzwischen hatten auch alle anderen an Bord das grausame Schauspiel bemerkt. Die Männer säumten die Reling. Wütendes Gemurmel kam auf und mündete in lautstarken Flüchen und Verwünschungen.

»Bewaffnet euch!«, rief Wolfshaar, der am Bug stand und den Blicken der Mannschaft folgte. »Wir legen an!«

Krähen und Hunde waren die einzigen Kreaturen, die an diesem Ort des Todes noch lebten. Als die Wellenpferd anlegte, glich das dumpfe Poltern ihrer Bordwand gegen den Pier einem Donnertosen, das die Ruhe der Toten störte.

Thorvik und Kjelvar waren unter den Ersten, die von Bord gingen, Drayk an ihrer Seite. Alle hatten ihre Waffen gezogen und die Schilde genommen. Tullan blieb, wo er war. Das hier war nichts für ihn.

Am Strand lagen zertrümmerte Möbel, zerbrochenes Geschirr und zerstörte Arbeitsgeräte. Dazu die Überreste zweier kleiner Fischerboote, denen man mit Äxten den Boden ausgeschlagen hatte. Im Wasser schwappten zerrissene Netze und das Kleid einer Frau, das sich zwischen den Steinen verfangen hatte. Aus einigen der verkohlten Hütten stiegen dünne Rauchfäden auf.

Kjelvar fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, während er sich angespannt umsah. Den Schild hielt er abwehrbereit vor der Brust. Die Stille missfiel ihm, jederzeit erwartete er einen Angriff aus dem Hinterhalt.

Sie erreichten die Gerüste, die sie vom Wasser aus gesehen hatten. Neun nackte Leichen hingen an Händen und Füßen gefesselt daran. Ihre Körper waren durch zahlreiche Schnitte verstümmelt worden. Ihre Köpfe waren an das Holz gebunden worden, sodass sie ihnen nicht auf die Brust sinken konnten. Überall klebte geronnenes Blut.

»Sie haben ihnen die Augen ausgestochen«, sagte Thorvik leise.

Kjelvar runzelte die Stirn. »Es sind nur Männer.«

»Die Frauen und Kinder werden sie mitgenommen haben.«

Ein struppiger Hund traute sich näher. Mit eingekniffener Rute lief er um die Krieger herum.

»Verschwinde!« Drayk warf einen Stein nach dem Tier. Er traf, und der Hund machte sich jaulend davon.

Plötzlich ein Stöhnen, das den Männern mit einem Schrecken in die Glieder fuhr.

»Bei den Göttern!«, fluchte Thorvik lauthals.

Das Stöhnen kam von einem der Gehängten. Sein Brustkorb hob sich in einem gequälten, elendig langsamen Atemzug.

»Bei Freya, Frigg und Odin. Der da lebt noch!«, rief Drayk.

»Fangt ihn auf, ich schneide ihn ab«, sagte Thorvik, nahm seinen Dolch, und machte sich gleich an den Stricken zu schaffen.

Der Mann keuchte, als sich die Fesseln eine nach der anderen lösten, und er langsam von dem Gerüst herabgehoben wurde.

»Er steht schon vor den Toren Walhalls«, sagte Drayk, als sie ihn vorsichtig niederlegten.

»Gib ihm Wasser.« Kjelvar starrte in die leeren Augenhöhlen des Gefolterten. »Wer bist du?«, fragte er.

»Hovgard. Ich heiße … Hovgard.« Die Worte des Sterbenden waren nicht mehr als ein Hauch, unterbrochen von Schmerzlauten.

Thorvik kniete sich hinzu. »Wer war das? Wer hat euch das angetan?«

Die Mundwinkel zuckten. Blutiger Speichel sickerte heraus. »Zwei Schiffe. Drache und … Widder. Ein Mann, groß … tötete jeden, der vor … sein Schwert kam. Ich … versuch …« Ein qualvoller Atemzug schnürte ihm das Wort ab.

»Hatte er einen Namen?« Thorvik lehnte sich nahe an den Mund des Sterbenden.

»Nannten ihn … Bluttrinker.« Er fletschte die Zähne. »Ich verfluche ihn!«, stieß er mit einem letzten Aufbäumen hervor. Seine Hand tastete suchend umher, bis Thorvik sie ergriff und festhielt.

»Schwert«, keuchte der Mann, »ich will nicht … ohne Schwert in Odins Halle … ich …«

Thorvik zog sein eigenes Schwert, legte es ihm in die Hand und schloss seine Finger um den Griff. Mit einem Lächeln tat der Gefolterte einen letzten Atemzug, der mit einem Seufzen aus seinem Mund entwich. Thorvik wartete, bis der Kopf des Toten zur Seite gekippt war. Erst dann nahm er sein Schwert wieder an sich und stand auf.

»Das war ein tapferer Mann«, sagte er, wandte sich ab und begann damit, auch die anderen Leichen von den Gerüsten abzuschneiden.

Nach und nach kamen die anderen Männer der Besatzung hinzu. Es wurden nicht viele Worte gemacht. Sie trugen Holz zusammen, Überreste der Zerstörung, die noch nicht verbrannt waren, und schichteten es zu einem großen Scheiterhaufen auf, auf den sie die Toten betteten. Im ganzen Dorf hatten sie über dreißig Leichen gefunden. Die meisten waren Männer, die im Kampf gefallen waren, aber die Angreifer hatten auch einige Frauen und deren Kinder getötet.

Wolfshaar entzündete den Scheiterhaufen. Sogar Tullan hatte sich überwunden und war hinzugekommen. Wortlos und bleich sah er zu, wie die Flammen hoch in den Himmel schlugen. Der Rauch war schwarz und dicht und roch nach geteertem Holz, verbrennendem Fett und verbranntem Haar.