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In der kleinen Westernstadt Kinsley stolpert Jack Farland unmittelbar in eine handfeste Schlägerei. Sein Mut beeindruckt den alten Mr. Lemon und dessen Tochter Lizzy, die eine Ranch in Oklahoma geerbt haben. Nun brauchen sie jemanden, der sie auf ihrer Reise dorthin begleitet - und Jack scheint genau der Richtige zu sein. Doch der Weg ist voller Gefahren, denn feindliche Indianerstämme und skrupellose Banditen lauern überall. Der Ohioman lässt sich hiervon aber nicht abschrecken und bietet all sein Geschick auf, um seine neuen Freunde zu beschützen ...
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Tod im heißen Wind
Vorschau
Impressum
Tod im heißen Wind
Von Jonny Kent
Der Tag, der Jack Farland aus seiner Route bringen sollte, war ein schöner, warmer Sommertag. Früh am Vormittag kam er von Nordosten her in die Stadt. Kinsley war eine mittelgroße, betriebsame Ansiedlung, die jedoch schon spürte, dass ihr das südwestlich gelegene Dodge City den Rang ablief.
Jack Farland saß auf seinem braunen Wallach und ließ den Blick über die Fassaden der Häuser schweifen. Er wollte zum Sheriff's Office, um sich nach der größten Ranch in der Umgebung der Stadt zu erkundigen.
Da hörte er plötzlich aus einem Hoftor das keuchende Atmen eines Mannes, der mit Schlägen traktiert wurde.
»Aufhören!«, krächzte der Mann.
»Dir verdammten Stranger werden wir den Schädel einschlagen, – stimmt's, Jeff?«, hörte er da eine knurrende, heisere Männerstimme.
Jack trieb seinen Wallach an das Tor, versetzte dem brüchigen Holz einen Stoß, und hinter dem aufspringenden Flügel sah er einen Mann am Boden liegen, auf den zwei andere einschlugen. Der am Boden Liegende war grauhaarig und sicher schon an die sechzig, wenn nicht noch darüber. Die beiden anderen aber waren Männer von höchstens vierzig Jahren, vierschrötig und bullig.
»Aufhören!« Die Stimme des Mannes vom Eriesee riss die beiden Schläger hoch. Sie sahen sich nach ihm um.
»Was sagst du dazu, Jeff? Wie findest du denn sowas? Los, hol den Kerl aus dem Sattel. Was fällt denn dem Burschen ein, unser Hoftor hier einzutreten?«
Ehe Jeff nach dem Bein des Reiters greifen konnte, war Farland auf der anderen Seite aus dem Sattel gerutscht und ging auf den Älteren der beiden zu, baute sich vor ihm auf und senkte seinen Blick in dessen zornfunkelnden Augen.
»Wissen Sie, Mister, ich bin ein komischer Bursche. Ich habe es nicht gern, wenn alte Leute geschlagen werden.«
»Ach, das haben Sie nicht gern? Vielleicht haben Sie es aber gern, wenn Sie selbst eins zwischen die Zähne kriegen, he!«
Der Wagenmacher Joe Collins holte mit der Rechten aus, vermochte den Schlag aber nicht zu landen, da der Hüne aus Ohio ihm unter der Schlaghand hinweg einen steifen linken Haken gegen den Brustkasten hämmerte, der den Wagenmacher so schwer durchschüttelte, dass er blass wurde und zurücktorkelte.
Dies schien seinem Gehilfen Jeff nicht zu gefallen. Er sprang in Farlands Rücken und wollte ihn niederreißen.
Aber der Ohioman hatte damit gerechnet, packte den Mann, der ihm in den Rücken gesprungen war, und schleuderte ihn in einem schweren Überwerfer von sich. Mit einem krachenden Laut schlug Jeff auf den steinigen Boden des Hofes auf.
Inzwischen hatte sich der grauhaarige Mann erhoben. Farland blickte in ein offenes, von Wind und Wetter tiefgebräuntes Gesicht, das von tiefen Kerben gezeichnet war.
»Das haben Sie großartig gemacht, Mister. Ich danke Ihnen.« Er streckte Jack seine Rechte entgegen und drückte sie kräftig. »Ich bin Sam Lemon.«
»Jack Farland«, stellte sich der Mann vom Eriesee vor.
Lemon deutete mit dem Kopf auf die beiden Wagenmacher.
»Ich habe diese Kerle nur wegen einer Radreparatur angesprochen. Wir konnten uns über den Preis nicht einig werden, und plötzlich langt mir dieser Mensch da eine. Und dass es dabei nicht geblieben ist, haben Sie ja erlebt.«
»In unserer Stadt herrschen raue Sitten!«, knurrte der Wagenmacher, während er beide Hände auf die Stelle presste, an der ihn die kantige Faust des Cowboys getroffen hatte.
»Na also«, entgegnete Farland feixend, »dann ist ja alles in bester Ordnung.«
Zusammen mit dem Alten verließ er den Hof. Der schlenderte neben ihm her über die Straße und sagte: »Ich bin mit zwei Wagen auf der Durchfahrt. Ich muss hinunter nach Oklahoma, zum Canadian. Schon mal dagewesen?«
Jack schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Hier aus der Gegend?«
»Aus Ohio, vom Eriesee.«
»Am Eriesee bin ich gewesen, und zwar vor vier Monaten. Ich habe in Cleveland Bekannte aufgesucht.«
»Genau daher komme ich«, antwortete Jack lachend, »aus dem Vorort Lakewood.«
Da reichte ihm Lemon noch einmal die Hand.
»Dann soll mich's doppelt freuen. Kann ich Sie zu einem Drink einladen?«
»Da sag ich nicht nein, obgleich es noch früh am Morgen ist.«
Sie nahmen zusammen in Riggers Bar einen Drink und verabschiedeten sich dann.
Jack zog draußen die Zügelleinen seines Braunen wieder von der Halfterstange, blickte dem Alten nach, der die Straße hinunterging, und hielt dann selbst auf das offene Tor einer Schmiede zu, aus der ein eifriges Gehämmer auf die Straße drang. Der Blacksmith war ein kräftiger Mensch in den Fünfzigern, mit einem gekrausten Backenbart und einem kahlen Schädel. Seine grüne Schürze war voller Brandlöcher und mit rostroten Flecken übersät.
»Sagen Sie, Mister, ist es weit bis zur nächsten Ranch?«
Der Blacksmith, der mit dem Vorschlaghammer am Amboss stand und ein weißglühendes Eisen aus der Esse genommen hatte, wischte sich mit dem haarigen, muskulösen Oberarm über die schweißige Stirn und blickte zu dem Fremden hinüber.
»Kommt ganz darauf an, was Sie unter weit verstehen. Es sind zwölf Meilen.«
»Ist es eine große Ranch?«
»Auch das kommt ganz darauf an. Fünf Cowboys und eine Menge Rinder.«
Das war keine große Ranch. Nichts, was Jack Farland hätte anlocken können. Auf kleinen Ranches gab es nur selten Arbeit. Was er suchte, war eine große Ranch, auf der immer wieder Leute gebraucht wurden. Vor allem um diese Jahreszeit.
»Gibt es keine größere Ranch?«
»Doch, oben im Nordwesten, die Londan-Ranch. Dort sind neun Cowboys beschäftigt.«
»Und wie weit ist das?«
»Da haben Sie etwa dreimal so lange zu reiten.«
Farland unterhielt sich noch eine Weile mit dem Schmied, sah ihm zu, wie er aus dem Rohling ein Eisen schmiedete, um es geschickt auf den von einem Helfer bereitgehaltenen Pferdehuf zu setzen. Beizend stieg weißgelber Qualm auf.
Jack, der zufällig durch das offene Tor in die Straße blickte, sah auf der gegenüberliegenden Seite in einem offenen Hof den alten Lemon mit seinem silbergrauen Anzug, den langen Rockschößen und dem halbhohen grauen Zylinderhut vor einem gebeugten, ellenlangen, kahlköpfigen Menschen stehen, der ihm mit wilden Gesten etwas zu erklären schien.
Zwei Mietstall-Peons waren herangekommen und brachten mehrere Pferde in den Hof.
Jack, der zwar keines der Worte verstehen konnte, die da drüben gewechselt wurden, verstand doch recht bald, dass der Stallowner seinem neuen Bekannten einen Rotfuchs anzudrehen versuchte, der für Lemon ganz und gar ungeeignet war. Ebenso wollte er ihm einen Braunen verkaufen, der auch nichts für den Weg war, den der Alte vorhatte.
Jack verabschiedete sich von dem Schmied, ließ sein Pferd noch an der Tränke stehen, überquerte die Straße und blieb am offenen Tor des Mietstalls stehen, lehnte sich gegen den steingefügten Pfeiler und hörte dem ebenso laut wie erregt geführten Gespräch der vier Männer zu.
»Aber der Rotfuchs ist das geeignete Tier für Sie, Mister. Und wenn Sie bedenken, dass ich ihn Ihnen für sechzig abtreten will, dann ist es ein halbes Geschenk. Ebenso ist es mit dem Braunen, der ein ausgezeichnetes Pferd ist. Das sind Tiere, die für Ihr Vorhaben in Frage kommen – und nur solche Tiere.«
Der Horseman war in Jack Farland erwacht. Nicht umsonst hatte er so lange auf Pferderanches gearbeitet. Als er jetzt sah, dass Lemon, der noch unschlüssig war, von den Mietstall-Leuten zum Kauf überredet wurde, machte er einen Schritt vorwärts und rief: »Hallo, Mietstallowner! Vorne in den Corrals sind die Fliegenden; sie haben ein Dutzend Pferde dabei. Ich glaube, es wird ordentlich gehandelt!«
Unter den »Fliegenden« verstand man im Westen fliegende Händler, die billige Dinge feilzubieten hatten. Auch Pferdehändler wurden so genannt. Aber sie waren wegen ihrer Geschäftsmethoden nicht sonderlich geschätzt; was nicht bedeuten sollte, dass sie etwa schlechtes Pferdematerial angeboten hätten. Nur wusste man manchmal nicht, aus welcher Quelle dieses Material stammte. Jedenfalls waren sie für die Mietstallowner der Westernstädte oft eine willkommene Beute, denn die kauften ihnen die Pferde um einen Spottpreis ab und machten dabei immer ein gutes Geschäft.
Jack hatte auch diesen kahlköpfigen Bohnenstangenmann und dessen beiden Helfer nicht unterschätzt, denn augenblicklich ließen sie alles liegen und stehen und rannten aus dem Hof die Straße hinunter.
Der Alte, der sich verblüfft umgewandt hatte, kam jetzt auf Jack zu.
»Schade, Sie haben mich gerade bei einem guten Geschäft unterbrochen.«
»So, glauben Sie?«
»Sind Sie anderer Ansicht? Gefällt Ihnen etwa der Rotfuchs nicht oder der Braune da? Es sind doch prächtige Tiere.«
»Natürlich. Der Rotfuchs ist ein guter Steiger. Wenn Sie einmal in die Berge wollen, dann lassen Sie ihn ein gutes Stück mit der Bahn den Bergen entgegenbringen und steigen dann in den Sattel.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass der Gaul für einen langen Treck hinunter bis nach Oklahoma ungeeignet ist. Das ist ein Pferd für die Berge. Und der Braune da ist noch viel zu jung. Ihm fehlt die Kraft für einen so strapaziösen Marsch.«
»Aber, was soll ich denn machen? Ich brauche noch zwei Pferde.«
Jack deutete mit dem Kopf zu dem Pferch, der zwischen dem Stallhaus und dem Wohntrakt zu sehen war.
»Sagen Sie ihm, dass Sie den Falben da haben möchten. Und bieten Sie fünfundvierzig. Und dann sprechen Sie ihn auf den Rappen da an, der seinen Kopf über das Gatter hängt. Das sind Pferde, die Sie brauchen können. Für den Rappen können Sie auch fünfundvierzig bieten. Jedoch keinen roten Cent mehr.«
»Aber jetzt laufen die doch zu den Fliegenden. Weiß der Teufel, wann sie zurückkommen.«
»Sie werden bald zurück sein.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil gar keine Händler da sind.«
Da trat ein pfiffiges Lächeln in die Mundwinkel des Alten.
»Sie haben sie weggelockt?«
»Ja.«
»Damned, Sie sind wirklich in Ordnung.«
»Ich werde mich jetzt lieber davonmachen«, meinte Jack und tippte grüßend an den Hutrand.
Lemon blickte hinter ihm her.
Als nach einigen Minuten der Mietstallowner keuchend vor seinen beiden Gehilfen in den Hof zurückkam, stieß er erleichtert hervor: »Gott sei Dank, da sind Sie ja noch. Der Kerl vorhin hat uns zum Narren gehalten. Er soll mir bloß nicht vor die Fäuste kommen.«
Jetzt kamen auch die beiden Peons heran. »Na, wie ist es nun, Mister, haben Sie es sich überlegt? Sagen wir sechzig für den Rotfuchs und fünfundfünfzig für den Braunen da.«
»Nein«, entgegnete Lemon, »ich möchte die beiden Pferde nicht.«
»Was denn, Sie wollen nicht kaufen? Wo wir uns eigens Ihretwegen so beeilt haben?«
»Kaufen will ich schon, aber nicht diese beiden.«
»Was wollen Sie denn?«
Langsam schlenderte Lemon auf den Pferch zu und deutete auf den Falben.
»Da, den könnten Sie mir verkaufen. Allerdings gebe ich nicht mehr als fünfundvierzig dafür.« Und ehe der Mietstallowner entrüstet aufbegehren konnte, setzte Lemon hinzu: »Und den Rappen da nehme ich dann noch mit. Aber auch höchstens für fünfundvierzig. Damit sind die beiden Tiere gut bezahlt.«
Der Mietstallowner spitzte die Lippen und stieß einen dünnen Pfiff aus.
»He, Sie entwickeln Talente, Mister. Glauben Sie, dass ich was zu verschenken habe?«
»Das habe ich nicht erwartet. Aber ich habe auch nichts zu verschenken, Mister. Also, wie ist es, neunzig für beide?«
»Hundertzehn.«
»Neunzig.«
»Hundert.«
»Neunzig, und das ist mein letztes Wort.«
»Ich sage hundert.«
»Leben Sie wohl, Mister.« Lemon tat, als wolle er gehen, und seine Schritte wurden kürzer und kürzer, weil er befürchtete, dass der Mann ihn wirklich gehen ließ.
Da aber rief ihm der Mietstallowner nach: »Warten Sie. Sie sind ein verdammter Dickschädel, aber meinetwegen, dann mache ich eben heute mal ein schlechtes Geschäft. Fred, hol die beiden Gäule ’raus, und tränke sie noch mal.«
Jack Farland, der inzwischen bei Sheriff Hutkins, einem trägen, dicklichen Mann mit einem gewaltigen blonden Schnurrbart, Erkundigungen eingezogen hatte, ahnte sicher nicht, dass er Mr. Lemon so bald wiedersehen würde. Als er nach einer halben Stunde das Sheriff's Office verließ, hörte er nebenan im Generalstore einen gewaltigen Lärm, und gleich darauf splitterten Scherben, und schwere Gegenstände polterten auf die Dielen.
Jack, der den Store erreichte, sah, wie ein großer, bulliger Mensch auf einen kleineren eindrang, um ihn mit einem schweren Stoffballen vor sich herzustoßen. Der Kleinere war Sam Lemon. Ein blondhaariges Mädchen hing hinten an dem bulligen Mann und versuchte, ihn aufzuhalten.
»Lassen Sie meinen Vater in Ruhe, Sie Unmensch!«
Das Mädchen nahm eine hölzerne Kelle von einem Wandhaken und schlug sie dem dicken Mann auf den Kopf. Aber das schien dem wenig auszumachen. Er wischte sich nur einmal über den Schädel und schlug dann den Ballen mit dem karierten Stoff weiter auf den längst zu Boden gestürzten Samuel Lemon.
Da trat Jack ein und hielt den Sturmlauf des schwergewichtigen Händlers auf.
»Ich denke, es reicht, Mister.«
»Was geht das Sie an!«, knurrte der Trader. »Der Mann ist unverfroren. Ich habe für den Yard achtunddreißig Cents verlangt, und er will nur zwanzig geben. Glauben Sie, ich hätte das Zeug geschenkt bekommen?«
»Ganz sicher nicht. Aber wenn Sie es für zweiundzwanzig abgeben, haben Sie noch mindestens zwölf verdient.« Jack streckte Lemon die Hand hin und half ihm vom Boden auf.
Der offensichtlich ziemlich unglückliche kleine Mann zog sich seine seidene rote Halsschleife glatt, schlug sich den Staub aus seinem Jackett und schüttelte den Kopf.
Das Mädchen hatte den silbergrauen, halbhohen Zylinderhut aufgehoben und reichte ihn ihm.
»Komm, Vater, lass uns gehen. Wir brauchen den Stoff nicht. Ich habe dir gesagt, dass ich mir keine neuen Kleider nähen muss. Außerdem gefällt mir der Stoff gar nicht.«
»Gut, wie du willst. Doch ich sage dir, dass wir durch keine so große Stadt mehr kommen. Aber du hast ja schon immer deinen Dickschädel gehabt, Lizzy.«
»Sei vernünftig, Vater, und komm jetzt. Wir wollen schließlich heute noch weiter.«
»Heute noch? Ja, du hast recht. Wir müssen mindestens bis Dodge.«
»Tja«, wandte er sich an Jack, »wir müssen weiter. Sie haben's ja gehört. Das hier ist übrigens meine Tochter. Und das ist Mr. Farland. Er hat mir mit den beiden Pferden geholfen – und auch vorher schon beim Wagenmacher.«
Jack warf einen Blick auf das Mädchen und sah in das blaueste Augenpaar, dem er jemals begegnet war.
Lizzy Lemon hatte ein frisches, rundes Gesicht und langes, blondes Haar, das sich in Korkenzieherlocken über ihre Schultern bis auf ihren Busen herabringelte. Sie trug ein graues Reisekleid mit schwarzen Samtbesätzen und dazu eine weiße Bluse.
»Freut mich«, sagte Jack und reichte auch ihr die Hand.
Als die beiden gegangen waren, knurrte der Trader: »Dass Sie so einem Kerl auch noch helfen müssen! Der wollte den Kram ja halb geschenkt haben!«
»Ach, der Mann hat kein Geld. Dem geht's nicht besser als Ihnen.«
Jack hatte den Store verlassen, als er glaubte, nicht richtig zu sehen. Drüben auf der anderen Straßenseite standen zwei große, vierspriegelige Planwagen, und vorne vor dem ersten stand Mr. Lemon im Gespräch mit zwei Männern. Die beiden, die wie Wegelagerer aussahen, redeten wild gestikulierend auf den Alten ein. Jedes Wort konnte man über die Straße hören.
»Warum haben Sie nicht den Rotfuchs genommen, Lemon? Das war ein ausgezeichnetes Pferd«, meinte der eine von ihnen, ein untersetzter, vierschrötiger Kerl mit einem Quadratschädel, dunklen Augen und eingeschlagener Sattelnase.
»Mr. Curley«, entgegnete Lemon in abweisendem Ton, »ich habe Ihnen gesagt, dass der Braune viel zu jung für den Treck ist, den wir vorhaben. Ich kann nur die Feststellung äußern, dass Sie nicht die geringste Ahnung von Pferden haben, sonst müssten Sie das auch wissen.«
»Was fällt Ihnen denn ein, Lemon?«, knurrte der andere Mann, stieß Curley in die Seite und meinte: »Haben wir es vielleicht nötig, uns von diesem Gnom das bieten zu lassen?«
»Gnom?«, empörte sich Lemon und wollte einen Schritt zurückweichen.
Da aber hatte Curley ihn gepackt und stieß ihn derb gegen die Deichsel.
Ganz sicherlich wäre der kleine Mann zu Fall gekommen, wenn das Mädchen ihn nicht gehalten hätte.
»Was fällt Ihnen ein, Mr. Curley? Glauben Sie vielleicht, wir haben Sie angeworben, damit Sie sich hier gegen meinen Vater auflehnen? Wenn er Pferde kauft, dann ist es seine Sache. Das geht Sie überhaupt nichts an. Sie sind als Driver angeworben worden und tun Ihre Arbeit!«
»Jawohl«, erklärte Lemon, »Sie haben nur Ihre Arbeit zu tun, und wenn Ihnen das nicht passt, dann können Sie gehen.«
»Und ob uns das nicht passt, Sie lächerlicher Zwerg. Wir pfeifen auf den Job bei Ihnen!«, bellte Horker, der andere Driver. »Sehen Sie doch zu, wie Sie Ihre Karren von der Stelle kriegen. Wir sind doch nicht wahnsinnig!«
Die beiden schoben davon auf die Schenke zu.
Farland sah, dass aus dem Tor des Mietstalls die beiden Peons hinter ihnen herkamen und ebenfalls in der Bar verschwanden.
Sam Lemon stand betroffen da und schaute hinter seinen davongelaufenen Fuhrknechten her. Plötzlich hatte er den Ohioman entdeckt und kam mit kleinen, raschen Schritten über die Straße auf ihn zu.
»Haben Sie das mitbekommen? Das sind meine Driver gewesen. Kerle, die ich hier angeworben hatte. Ich kann Ihnen sagen, es sind sicher gute Leute gewesen. Ich muss jetzt sehen, wo ich andere herkriege.«
»Ich glaube nicht, dass es sehr gute Leute gewesen sind, Mr. Lemon«, versetzte Farland.
»Weshalb nicht?«
»Weil sie mit den Männern aus dem Mietstall unter einer Decke stecken.«
»Das ist doch gar nicht möglich. Wieso denn? Wir sind doch erst vor einer knappen Stunde in die Stadt gekommen.«
»Ja, natürlich. Aber während Sie bei dem Wagenmacher waren und sich da herumschlugen, sind die beiden, die Sie gerade angeworben hatten, schon im Mietstall gewesen, denn sie wussten ja, dass Sie dahin wollten. Sie hatten mit den Peons ein Geschäft ausgemacht.«
Das Gesicht des Alten zog sich zusammen wie ein verschrumpelter Weihnachtsapfel.
»Sie glauben –«
»Ich bin sogar überzeugt davon.«
»Sie meinen also, dass Curley und Horker etwas daran verdient hätten, wenn ich den Rotfuchs und den Braunen genommen hätte?«
»Sicher. Der Mietstallowner wollte die beiden Gäule loswerden, und Ihre prächtigen Driver hatten ihm versprochen, dass sie Sie zu ihm schicken würden. Und das ist ja wohl auch geschehen.«
»Ja, sie empfahlen mir den Mietstall. Dabei habe ich gehört, dass es hier noch einen zweiten geben soll.«
»Na also, dann ist ja alles klar.«
»Klar ist gar nichts, Mr. Farland. Ich bin meine Driver los.«
»Das ist einerseits bedauerlich, andererseits aber können Sie sich gratulieren.«
»Gratulieren? Sie haben gut lachen. Sie brauchen ja auch nicht zum Canadian.«
»Nein, dahin brauche ich nicht.«
Lizzy Lemon, die unterdessen herangekommen war und den Rest des Gesprächs zwischen ihrem Vater und dem Fremden gehört hatte, fragte, während sie Jack mit etwas schräggelegtem Kopf forschend anblickte: »Und wohin müssen Sie?«
»Ich muss nirgendwo hin, Miss Lemon. Das heißt, ich will auf die nächste Ranch.«
»Er ist Cowboy«, erklärte der Alte, während er mit bekümmerter Miene eine halbgerauchte Virginia aus seiner Reverstasche zog, sie zwischen die Zähne steckte und ein Zündholz an der Schuhsohle anriss.
»Ach, es ist schon ein Jammer, Mr. Farland.«
»Kommen Sie aus Salina?«
»Nein, wir sind aus dem Osten. Genauer gesagt, aus Boston.«
»Aus Boston?«
Die beiden nickten.
»Und Sie wollen zum Canadian hinunter?«
Wieder nickten die beiden.
»Aber Sie sind doch nicht mit den Wagen von Boston gekommen?«
»Das nicht, wir sind ein Stück mit der Bahn gefahren. Und dann am Rande dieses elenden, unzivilisierten Landes riet man uns, zwei Planwagen zu kaufen.«
»Zwei Wagen gleich? Was haben Sie da alles drauf?«
»Ach, was schon«, meinte der Alte, während er die Schultern hochzog, »unseren Hausstand natürlich.«
Jack hatte jetzt doch Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Da zogen die beiden Menschen quer durch diesen Kontinent mit ihrem gesamten Hausstand, von Boston zum Canadian hinunter. Dinge geschahen in diesem Lande!
»Sicher werden Sie einen schwerwiegenden Grund für diese Reise haben, Mr. Lemon?«, forschte Jack nach und zog die Brauen etwas zusammen.
»Ja, natürlich, natürlich«, bestätigte der Alte nickend, während er heftig an seiner Zigarre saugte.
»Aber weshalb haben Sie denn gleich zwei Wagen genommen?«
»Auf einen gingen unsere Sachen nicht drauf. Sie hätten sehen sollen, wie schön wir alles auf dem Güterwagen verstaut hatten. Aber dann musste ja alles wieder runter von der Bahn.«
»Weshalb eigentlich?«
»Weil die Linie zu Ende war. Und der kürzeste Weg, der genommen werden musste, kann eben nur mit Pferd und Wagen bewältigt werden. Da haben wir uns die Wagen gekauft und Pferde – das heißt, schon zweimal neue Pferde.«
»Wahrscheinlich jedes Mal die falschen?«
»Ja, erst waren es Schimmel –«
»Prächtige Schimmel«, fügte Lizzy mit einem himmlischen Lächeln hinzu.
»Es stellte sich heraus, dass sie wahrscheinlich aus einem Zirkus kamen, denn sie tänzelten in den merkwürdigsten Schrittarten, spielten mit den Ohren und wollten alles tun, nur keinen Wagen ziehen. Wir mussten sie verkaufen. Dann kamen wir an zwei Graue, die so halsstarrig wie Esel waren und sich die Absicht nicht austreiben ließen, ständig in die falsche Richtung zu laufen.«
»Und danach waren es zwei Braune, die einigermaßen gut waren, aber zu langsam, viel zu langsam. Ach, ich habe bisher die Pferde so oft gewechselt wie meine Hemden.«
»Ich glaube, jetzt haben Sie ganz gute Tiere, Mr. Lemon.«
»Ja, ich will es hoffen.« Er warf einen betrübten Blick auf die beiden Pferde, die neben der leeren Deichsel des ersten Wagens standen, schüttelte den Kopf und ließ die Zigarre in den Straßenstaub fallen. Mit bekümmerter Miene meinte er: »Es ist ein Glück, dass man Pferde immer wieder in Zahlung geben kann. Mit den Drivern ist das anders.«
»Mach dir keine Sorgen, Dad, ich werde den ersten Wagen mit dem Rappen fahren, und du kommst mit dem Falben hinter mir her.«