Willkommen in Destiny - 9-teilige Serie - Christyne Butler - E-Book

Willkommen in Destiny - 9-teilige Serie E-Book

Christyne Butler

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Beschreibung

Im kleinen zauberhaften Städtchen Destiny kann niemand dem Schicksal entkommen! Aber das meint es auch ganz gut mit unseren sympathischen Helden und Heldinnen. Alle sind sie einander freundschaftlich verbunden - und manche schon bald mehr als das!

VON NUN AN GEMEINSAM

Maggie hat wirklich genug Probleme: Ein streitsüchtiger Nachbar, die Hypothek ihrer Ranch, ein störrisches Pferd und ihre achtjährige Tochter machen ihr das Leben schwer. Eigentlich kann es nicht noch schlimmer werden. Doch dann taucht der attraktive Landon auf und wirbelt die Gefühle der alleinerziehenden Mutter heftig durcheinander. Dass sie sich in einen ehemaligen Häftling verliebt, hat ihr gerade noch gefehlt ...

ICH WILL DICH JETZT ? UND FÜR IMMER!

Was für eine Nacht! Verkatert kommt Racy im Hotel in Las Vegas zu sich. Erst hat sie die Barkeeper-Meisterschaft gewonnen, dann ihre heimliche Liebe Gage wiedergetroffen und … Moment mal! Was macht der Ring an ihrem Finger? Und was macht Gage, ultrasexy und nackt, in ihrem Bett?

MONDSCHEINKÜSSE

Einfach nur leben will Gina nach der großen Enttäuschung! Dazu gehören ihre verrückte pinkfarbene Haarsträhne - und irgendwie auch der schweigsame Justin Dillon und sein unvergesslicher Kuss neulich … Aber Gina weiß, dass Justin nicht weiter gehen will - zu viel gibt es, was sie beide trennt. Doch dann wird Justin über Nacht der Vater des kleinen mutterlosen Jacoby, und alles ist anders ...

LIEBE IST MEHR ALS EIN ORT

Bobby Winslow ist zurück! Die Rückkehr des berühmtesten Sohnes der Stadt verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Nur Leeann ist alles andere als begeistert. Damals wollten sie und Bobby heiraten. Doch dann verließ er sie, um als Rennfahrer durchzustarten. Was ihm gelang - bis er einen schweren Unfall hatte. Aber ihr erstes Wiedersehen macht Leeann klar: Bobbys Lebensmut ist ungebrochen, seine Augen blitzen, sein Haar sieht immer noch aus, als käme er gerade aus dem Bett. Leeann wird warm ums Herz …

DIE NACHT DER KLEINEN WUNDER

Es begann mit einer tröstenden Umarmung - und endete in einer leidenschaftlichen Nacht! Wie ein unwirklicher Traum kommt Fay die Begegnung mit Adam vor gut zwei Monaten vor, als sie zusammen um Fays Mann, Adams besten Freund, getrauert haben. Noch immer ist sie sprachlos, wenn sie an seine überwältigende Zärtlichkeit zurückdenkt. Aber Fay weiß, dass sie ihr Schweigen brechen muss. Denn die Nacht mit Adam ist nicht ohne Folgen geblieben ...

FLIRT MIT DEM SCHICKSAL

Wie kann er sich nicht an sie erinnern? Tanya ist fassungslos. Ausgerechnet sie ist die neue Therapeutin von Devlin Murphy, der sich nach einem schrecklichen Unfall nur langsam erholt. Vielleicht helfen ihm ihre sanften Berührungen, ins Leben und in die Liebe zurückzufinden?

HÖCHSTGEBOT: LIEBE

Hundedame Daisy duldet keine Frau in der Nähe ihres Herrchens - außer Priscilla Lennox. Dabei passt der lässige Dean gar nicht zu der Hollywood-Schönheit, die im verschlafenen Destiny eine Junggesellen-Versteigerung für den guten Zweck organisiert. Aber Daisy weiß es instinktiv besser …

LIEBESBRIEFE NACH LONDON

"Du bist mein Vater!" Schockiert hört Liam die Worte der 15-jährigen Casey. Doch ein Blick auf Caseys wunderschöne Mutter Missy verrät ihm, dass das Mädchen nicht lügt: Ihre Affäre damals hatte Folgen! Hat Missy seine Liebesbriefe nach London deshalb nie beantwortet?

WENN EIN BOSS SO ZÄRTLICH KÜSST

Katie genießt die Stunden der Leidenschaft - und ahnt nicht, dass ihr Traum am Morgen zerplatzen wird: Nolan will keine gemeinsame Zukunft. Sie muss ihn vergessen! Das würde ihr allerdings sehr viel leichter fallen, wenn ihr Liebhaber dieser Nacht nicht auch ihr Boss wäre …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1701

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Christyne Butler

Willkommen in Destiny - 9-teilige Serie

IMPRESSUM

Von nun an gemeinsam erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2009 by Christyne Butilier Originaltitel: „The Cowboy’s Second Chance“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCABand 1873 - 2013 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Anna-Pia Kerber

Umschlagsmotive: wisanuboonrawd / Getty Images, Alexey Stiop / Shutterstock, Goodshoot / Thinkstock

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733778927

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Du gemeiner, hinterhältiger Dieb!“ Mit forschen Schritten überquerte Maggie Stevens die zertrampelte Wiese des Rummelplatzes. Nur mühsam gelang es ihr, ihre Empörung im Zaum zu halten und nichts von dem Bier in den beiden Plastikbechern zu verschütten. „Du nimmst mir meinen Mann weg!“

Kyle Greeley warf ihr ein böses kleines Grinsen zu und fuhr ungerührt fort, Geldscheine von einem dicken Bündel abzuzählen. Als Maggie die Wiese überquert hatte und vor ihm stand, hatte er mindestens schon einhundert Dollar beiseitegelegt und reichte sie einem Cowboy, der neben ihm stand –ihrem Cowboy.

„Nicht nur einen Mann, Schätzchen“, sagte Kyle. „Mehrere.“

„Was meinst du damit, ‚mehrere‘?“ Sie sah den Cowboy scharf an. Es war Spence Wilson, einer ihrer Arbeiter, der in den vergangenen Monaten auf der Farm geholfen hatte.

Dann bemerkte sie Charlie Bain. Er trat lautlos aus dem Schatten am Rande des Festgeländes, den Blick starr auf seine Stiefel gerichtet.

Sie hätte es wissen müssen.

Bisher war es ein herrlicher Sommertag gewesen. Es war der vierte Juli – der amerikanische Nationalfeiertag –, den sie gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrer Großmutter in Destiny verbrachte, einem kleinen Ort in Wyoming. Und den ganzen Tag über hatte sich noch keiner ihrer Cowboys blicken lassen.

Bis jetzt.

„Nehmen Sie’s nicht persönlich, Miss Stevens“, sagte Spence. „Wir arbeiten ja gerne auf Crescent Moon, aber Mr Greeleys Angebot ist einfach zu verlockend, um Nein zu sagen.“

Maggie schäumte vor Wut. Auf das ‚verlockende Angebot‘ waren schon einmal ihre Arbeiter hereingefallen – zumindest die jungen und kräftigen. Sie hatten sich von den fetten Geldbündeln ködern lassen wie streunende Hunde von einem saftigen Stück Fleisch.

Genau wie du, Maggie. Es ist noch gar nicht so lange her.

Sicher, ein paar schicke Abendessen waren nicht dasselbe wie Bargeld. Trotzdem war auch sie auf Kyle hereingefallen. Auf seine schmeichelnden Worte und auf diese aalglatte Art, mit der er jeden um den Finger wickeln konnte. Bis sie herausgefunden hatte, was für ein Mistkerl er in Wirklichkeit war.

Selbstgefällig grinsend kam Kyle näher. „Tja, Maggie, du hast die Wahl. Es könnte doch so einfach sein: Verkauf mir dein Land, zieh in die Stadt und du wärst alle Probleme los. Du könntest mehr Zeit mit deiner Tochter verbringen. Und dir endlich mal einen Mann zulegen …“

Bebend vor Zorn starrte sie in die Plastikbecher. Am liebsten hätte sie damit sein spöttisches Grinsen ausgelöscht. Durch zusammengebissene Zähne zischte sie: „Ich hab’s dir schon einmal gesagt, mein Land ist nicht zu verkaufen.“

Aus den Augenwinkeln konnte sie die Schemen ihrer Cowboys sehen, die mit leisen Schritten in den Schatten der Hütten und verwaisten Tierpferche verschwanden. Ihre ehemaligen Cowboys.

Die Feiglinge.

Sie wandte sich an Kyle. „Und warum nur die beiden? Warum schnappst du dir nicht gleich auch noch Willie und Hank und zerstörst mich endgültig?“

„Diese alten Knacker? Die gehören doch schon seit Jahren notgeschlachtet.“ Er kam näher. Mit einer anzüglichen Geste fing er eine lose Strähne aus ihrem Pferdeschwanz und wickelte sie um seinen Finger. „Gib’s doch zu, Schätzchen, das ist alles ein bisschen zu viel für dich. So viel Land, die Weiden, die Pferde …“

Maggie reckte trotzig das Kinn und entwand sich seinem Griff. „Fahr zur Hölle, Kyle.“

Sie fuhr herum und ging auf die Lichter zu, die jenseits der Pappeln von einer erleuchteten Holzbühne in das Dunkel fielen. Er folgte ihr.

„Vor nicht allzu langer Zeit hättest du mich nicht zur Hölle geschickt, Schätzchen.“

Kopfschüttelnd sah sie ihn an. Seine hellblauen Augen, die wie gemeißelt scharfen Wangenknochen und dazu diese unwiderstehlichen, süßen Lügen. Alles in ihr sträubte sich bei dem Gedanken daran, dass sie einmal darauf hereingefallen war. „Drei Monate“, sagte sie bitter, „drei Monate hast du den Verehrer gespielt, nur um an mein Land zu kommen.“

Er grinste boshaft. „Manchmal muss ein Mann eben Opfer bringen. Ich hab’ sowieso nie verstanden, was Alan an dir fand. Aber dann ist mir aufgegangen, dass er nur hinter deinem Besitz her war.“

Wütend fuhr sie ihn an: „Aber es ist noch immer meine Ranch, kapiert? Und du wirst deine verdammten Finger davon lassen!“

Inzwischen hatten sie die Bäume erreicht. Kyle beugte sich über sie und packte grob ihre Arme. Scharfer Whiskeyatem strich über ihr Gesicht. Verflucht, warum war ihr das nicht schon vorher aufgefallen? Kyle war schon in nüchternem Zustand nur schwer zu ertragen, aber nach ein paar Drinks konnte er ziemlich bösartig werden.

„Aber von dir soll ich nicht die Finger lassen, stimmt’s?“

Ein längst vergessenes Bild flackerte in Maggies Erinnerung auf wie ein ungebetener Gast. Eine Erinnerung, bei der sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. Die Plastikbecher bebten in ihren zittrigen Händen und Bier rann über ihre Finger. „Du Bastard!“, sagte sie mit erstickter Stimme. „Lass mich sofort los!“

„Nicht bevor ich mit dir fertig bin.“

Nackte Panik flammte in ihr auf, doch noch war ihr Zorn größer als die Angst. „Du wirst dieses Bier gleich im Gesicht haben, wenn ich mit dir fertig bin.“

„Wag es nicht …“

Mit einer schnellen zornigen Bewegung kippte sie das Bier in seine Richtung. Er wich zurück, stieß sie grob weg und fluchte laut. „Verdammt!“ Die Flüssigkeit spritzte in Kyles Gesicht, benetzte sein Hemd und Maggies leichtes Sommerkleid. Sie hielt den zweiten Becher bedrohlich in die Höhe. „Nein, Kyle. Du wagst es nicht.“ Sie wich einen Schritt zurück, und das Dunkel zwischen den Bäumen schien sie zu verschlucken. „Komm mir bloß nicht zu nahe!“

Aber Greeley packte erneut ihre Arme. Seine Fingernägel bohrten sich in ihre nackte Haut. „Das wird dir noch leidtun, Schätzchen.“

„Lass sie los.“

Maggie erstarrte. Die tiefe, gebieterische Stimme schien aus dem Nichts zu kommen, aus dem dunklen Nichts des Waldes hinter ihrem Rücken. Doch jetzt spürte sie deutlich die Präsenz eines Menschen. Eines großen Mannes direkt hinter ihr, einschüchternd und irgendwie – anziehend. Seine dunkle, heisere Stimme brachte etwas in ihr zum Klingen, vibrierte in ihrem Magen und weckte ein Gefühl von …

Wovon, Maggie? Sehnsucht? Verlangen?

Kyle schnaubte verärgert. In seinem Gesicht spiegelten sich Zorn und Erkennen, als er den Mann ansah. „Das hier geht dich nichts an, Cartwright.“

„Das mag ja sein, aber die Lady hat sich ja wohl klar genug ausgedrückt.“

„Dann will ich mich mal klar ausdrücken“, zischte Kyle und machte einen Schritt auf ihn zu. Er starrte über Maggies Kopf hinweg auf den Fremden, hielt aber gleichzeitig ihre Arme noch immer fest umklammert. „Wenn du deinen Job behalten willst, dann solltest du jetzt schleunigst abhauen und dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern.“

Auch der Fremde kam jetzt näher. „Lass … Sie … los.“ Mit jedem Wort wurde seine Stimme schneidender.

Kyle sah Maggie an. Sein Blick war kalt und unnachgiebig. „Wir sind noch nicht fertig.“ Er ließ sie los und wich zurück.

„Und du“, drohte er dem Fremden, „du brauchst heute Abend gar nicht beim Fest aufzutauchen, Cartwright. Eigentlich brauchst du dich in Destiny überhaupt nicht mehr blicken zu lassen. Ich würde dir raten, noch heute Abend deinen Krempel zu packen und zu verschwinden – und zwar für immer!“

Kyle Greeley machte wütend auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Dunkelheit.

Lieber Himmel, das ist wirklich … Maggie war sich nicht sicher, worüber sie eigentlich so erstaunt war. Kyle hatte sich wie üblich wie ein Idiot benommen. Sie atmete tief ein, um ihre Gedanken zu ordnen. Dann drehte sie sich um. Gerade wollte sie ihrem Retter danken, als sich ihr Fuß in einer hervorstehenden Wurzel verfing. Hilflos stolperte sie rückwärts.

Zwei starke Hände umfingen ihre Taille mit festem Griff und zogen Maggie an eine breite Brust. Ihre Beine streiften feste, athletische Oberschenkel. Der Mund des Fremden berührte kurz ihr Haar, heißer Atem strich über ihre Wange. Sie wand sich in seinem Griff, legte den Kopf zurück und sah ihm ins Gesicht.

Er trug einen schwarzen Stetson, und unter der Krempe des Hutes funkelten seine Augen in der Dunkelheit mit eindringlichem Blick. Die dunklen Schatten eines Dreitagebartes spielten um seinen Mund und um die harten Linien seines Kiefers.

Ihr Körper begann zu beben.

Er ließ die Hände sinken und wich einen Schritt zurück.

Maggie rang nach Worten. „Danke für … nun ja, danke.“

„Kein Problem.“ Er senkte den Kopf und verbarg sich unter der breiten Krempe des Cowboyhutes, sodass Maggie unmöglich mehr von seinem Gesicht erkennen konnte. „Alles in Ordnung?“

„Äh, ja“, murmelte sie nickend, „mir geht’s gut.“

„Sie sollten jetzt besser gehen, bevor er womöglich zurückkommt.“

Ihr Retter gab ihr keine Gelegenheit zum Antworten. Er trat an ihr vorbei und folgte Kyle ins Dunkel der Bäume.

Sie sah ihm nach. Sie versuchte, das kleine Flattern in ihrem Bauch zu ignorieren. Es fühlte sich an, als ob Schmetterlinge einen plötzlichen wilden Tanz darin aufführen würden. Das ist nur die Angst, redete sie sich ein. Nur Kyles dumme, betrunkene Einschüchterungsversuche. Die Schmetterlinge hatten nichts mit dem Fremden zu tun.

Seufzend sah sie auf die halb leeren Plastikbecher. Sie sollte sich jetzt besser beeilen, denn Racy und Leeann warteten auf sie. Vorsichtig stieg sie über die knorrigen Baumwurzeln und ging zum Tanzplatz, dem Lärm und den Lichtern entgegen.

Maggie begrüßte hie und da flüchtig ein paar Bekannte und Freunde in der Menge, bevor sie Racy inmitten der dicht gedrängten Tanzfläche entdeckte. Ihre beste Freundin tanzte mit Willie, einem Cowboy von Crescent Moon. Obwohl er bereits jenseits der Siebzig war – und somit vierzig Jahre älter als Racy –, gab Willie sein Bestes, um mit der drallen Rothaarigen mitzuhalten. Mit ihren schönen weiblichen Kurven und dem wilden Feuerhaar konnte Racy jeden aus dem Takt bringen.

Als das Lied endete, kam sie freudig auf Maggie zu.

„Ich sag’ dir, Willie hat noch einen höllischen Schritt drauf.“ Sie griff nach einem der Plastikbecher. „Wird auch Zeit, dass du kommst. Wo warst du denn? Und was ist mit meinem Bier passiert?“

Maggie schüttete den Rest ihres Getränks in Racys Becher. „Ich wurde abgelenkt.“

„Wovon?“

Maggie ging nicht darauf ein. Sie war wild entschlossen, sich heute von nichts und niemandem den Spaß verderben zu lassen – schon gar nicht von dem Vorfall mit Kyle Greeley. „Wo steckt denn Leeann? Ich dachte, sie wollte uns hier treffen.“

„Schon, aber vor ungefähr zehn Minuten hat sich ihr niedlicher kleiner Piepser zu Wort gemeldet.“

„Oh. Ich dachte, Gage hätte ihr heute Abend freigegeben.“

„Tja, ich schätze, als Hilfssheriff in einem Kaff wie diesem musst du immer in Bereitschaft sein. Trotzdem hätte Gage ihr ruhig mal einen freien Abend gönnen können.“ Missmutig zuckte sie die Achseln. „Wo sind eigentlich Anna und deine Großmutter?“

„Grandma ist vorhin schon zur Ranch zurückgegangen und Anna übernachtet heute bei einer Freundin.“

Racys Miene erhellte sich. „Aha, du bist heute also Single im wilden Flirtdschungel. Dann los, Süße, suchen wir dir jemanden zum Jagen!“

Aber in Maggies Kopf spukten bereits ganz andere Bilder herum. Aufblitzende Augen in der Dunkelheit, ein flüchtiger Blick auf sonnengebräunte Haut unter einem schwarzen Cowboyhut … Und trotz der tiefen Schatten zwischen den Bäumen hatte sie seine schönen breiten Schultern gesehen. Es waren nur flüchtige Augenblicke gewesen, doch jedes Detail stand klar vor ihrem inneren Auge, deutlich und jederzeit abrufbar. Aber nicht jetzt! ermahnte sie sich ärgerlich.

Denk nicht daran.

Sie versuchte, die Erinnerung abzuschütteln und wandte sich an ihre Freundin.

„Du gibst wohl nie auf, was? Ich hab dir doch gesagt, ich bin nicht interessiert. Und falls es dir entgangen sein sollte, hab ich zurzeit ganz andere Probleme. Gerade jetzt, da Greeley sich Spence und Charlie geschnappt hat. Oder besser eingekauft hat.“

„Diese verdammten Schleimer!“, schimpfte Racy. „Und du hast gedacht, die hätten mehr Durchhaltevermögen. Was wirst du jetzt tun?“

Was würde sie tun? Sie brauchte dringend Hilfe auf der Farm. In der ganzen Stadt hatte sie bereits eine Stellenanzeige verteilt, und mit etwas Glück meldeten sich vielleicht schon bald neue Cowboys auf Crescent Moon.

„Ich werde tun, was ich die ganze Zeit getan habe: weiterkämpfen.“

„Na gut, aber nicht heute Abend. Heute sollst du dich mal amüsieren. Was du brauchst, ist ein heißer Cowboy, der dir mit seinen geschickten Händen die Sorgen aus dem hübschen Köpfchen treibt.“

„Was ich brauche, ist mehr Zeit. Ich muss nach Hause, da wartet nämlich ein riesiger Stapel Papierkram auf mich und …“

„Ach, komm schon. Heute ist Nationalfeiertag!“ Racy trank das Bier in einem Zug aus und warf den leeren Becher schwungvoll in einen Abfalleimer. „Wir feiern Amerikas Unabhängigkeit! Ganz abgesehen von unserer eigenen. Außerdem schwirren hier eine Menge schmucker Cowboys herum.“

„Vergiss es, kein Interesse.“

„Okay, pass auf. Ich such mir jetzt den nächsten Tanzpartner und rate dir dringend, dasselbe zu tun. Und dann den nächsten und den übernächsten.“ Sie zwinkerte verschwörerisch. „Was mich angeht, ich werde nicht eher nach Hause gehen, bis ich nicht mindestens im zweistelligen Bereich getanzt habe.“

Maggie sah ihrer Freundin nach, die sich den nächstbesten Cowboy schnappte und geschickt durch die Menge auf die Tanzfläche dirigierte.

„Im zweistelligen Bereich“, brummte sie. Und was, wenn man auf dem Nullpunkt verharrte?

Der Nullpunkt.

Dort befand er sich schon lange. Gleich null war auch ungefähr seine Chance, hier einen neuen Job zu finden. Hier, in diesem winzigen Nest mit dem großartigen Namen Destiny – Schicksal. Wie unpassend. Und genau der Ort, an dem man nicht landen sollte, wenn man wie er war: Ein Cowboy, den das Glück schon lange verlassen hatte.

Landon bahnte sich einen Weg über den belebten Rummelplatz. Die Sonne war bereits untergegangen und immer mehr Menschen strömten zur Festwiese. Familien und Gruppen von Teenagern standen lachend beisammen und vergnügten sich in den Spielbuden und Fahrgeschäften. Die wirbelnden Wagen der Achterbahnen spritzten buntes Neonlicht in die Dämmerung und spiegelten sich in den leuchtenden Augen der Kinder.

Er musste einem kleinen Mädchen ausweichen, das aufgeregt durch die Menge sprang und ein riesiges Plüschtier im Arm trug. Ihre Wangen glühten vor Stolz, als hätte sie etwas besonders Wertvolles gewonnen. Bei ihrem Anblick zog sich seine Brust schmerzhaft zusammen. Er griff tief in seine Tasche und seine Finger schlossen sich fest um den vertrauten, ovalen Gegenstand, den er stets bei sich hatte. Seine Schritte wurden schwer. Die plötzliche Macht der Erinnerung zwang ihn innezuhalten. Seine Knie begannen zu zittern.

Doch schließlich hatte er sich wieder in der Gewalt. Schwer atmend öffnete er die Augen. Dort drüben stand der Sheriff und plauderte mit ein paar Männern. Landon tippte an seinen schwarzen Hut und zog ihn tiefer ins Gesicht. Wenn es etwas gab, was er in den letzten Monaten gelernt hatte, dann war es, dass man dem Gesetz so weit wie möglich aus dem Weg ging.

Schnell tauchte er in die duftende Gasse zwischen den Essständen. Hier roch es verlockend nach Hotdogs und süßer Zuckerwatte. Sein leerer Magen machte sich sofort schmerzhaft bemerkbar, doch Landon versuchte ihn zu ignorieren. Er hatte noch fünfzig Dollar in der Tasche. Das musste reichen, bis er einen neuen Job fand. Und indem er sich für die fremde Lady eingesetzt hatte, hatte er sich selbst mit Pauken und Trompeten um den nächsten Job gebracht.

Aber was für eine Lady!

Das honigblonde Haar und dieser reine, süße Duft. Trotz des formlosen Kleids, das sie getragen hatte, konnte man erahnen, dass sie schlank und wohlgeformt war, mit Kurven an genau den richtigen Stellen. Nun, nicht nur erahnen. Er hatte es gespürt, als ihr Körper sich an seinen geschmiegt hatte. Nicht, dass er es darauf angelegt hätte. Aber es war nun einmal passiert, und nun ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ihr weiches Haar an seinem Kinn, ihr Körper in seinen Armen.

Wie sie ihn angesehen hatte! Da war etwas in ihrem Blick gewesen, jenseits von Furcht und Ärger, etwas wie – Sehnsucht. Bei diesem Blick hatte in seinem Kopf eine Alarmglocke geschrillt: Sieh zu, dass du wegkommst. Jetzt.

Trotzdem war er noch so lange geblieben, bis er sie in Sicherheit wusste. Er war sogar diesem Idioten gefolgt, damit der nicht auf dumme Gedanken kam und umkehrte.

Verdammt, er brauchte dringend einen Job.

Greeleys Ranch war die größte in der Gegend. Wenn dieser Mann ihm empfahl, die Stadt zu verlassen, hatte er das ernst zu nehmen. In einer kleinen Gemeinde wie Destiny hatten Großgrundbesitzer stets viel Einfluss – und viel Macht.

Landon ließ die Festwiese hinter sich und überquerte die Parkfläche. Er ging auf den hintersten Parkplatz zu, wo er seinen alten, rostigen Truck mit dem klapprigen Pferdehänger zurückgelassen hatte. Hier war es zumindest ruhiger als vorn beim Rummelplatz. Die Dunkelheit und Stille waren der einzige Komfort, den er dem Hengst gerade bieten konnte. G.W., sein Pferd und zugleich bester Freund, der geduldig im Hänger wartete. Himmel, eigentlich war G.W. sein einziger Freund. Und der Grund, warum er heute früh überhaupt den Highway verlassen hatte.

„Na, mein Junge.“ Er sprach leise mit dem Hengst, als er die rostige Tür öffnete und behutsam in den Hänger trat. „Wie geht’s deinem Bein?“

Er kauerte neben dem Tier nieder und murmelte beruhigende Worte, während seine Hände prüfend über das Vorderbein des Hengstes fuhren. Als er die Stellen um die Reisebandagen befühlte, schnaubte der Hengst unwillig und verlagerte das Gewicht.

„Ich weiß, du hasst diese Dinger, aber sie helfen gegen die Schwellung.“

Diesmal aber leider überhaupt nicht.

Vor einer Woche hatte er zum ersten Mal bemerkt, dass der Hengst lahmte. An jenem Abend hatte er seinen letzten Job verloren, mit einer sehr unerfreulichen Szene, die man besser schnell vergaß. Seither hieß es improvisieren: Sieben Tage auf der Straße, ohne feste Unterkunft oder Box für den Hengst. Sieben Tage lang nur angetaute Eisbeutel für das verletzte Bein und der Trailer wie eine lahme Entschuldigung für einen richtigen Stall, den das Tier so dringend brauchte.

So konnte es nicht weitergehen.

Drei Jobs hatte er seit seiner Freilassung angenommen, und drei Mal hatte man ihm den Laufpass gegeben. Beim ersten Mal war er noch so dumm gewesen, von seiner Verurteilung zu erzählen.

Den Fehler hatte er nicht noch einmal gemacht. Danach hatte er immer versucht, nichts von sich preiszugeben. Er hielt sich bedeckt und blieb für sich, aber früher oder später war immer etwas durchgesickert.

Sein Magen knurrte laut. In einer Ecke des Trailers bewahrte er eine Truhe auf, doch als er hineingriff, musste er feststellen, dass sie leer war. Die Eisbeutel waren auch längst nicht mehr kalt.

Er lehnte den Kopf an die Seite des Hengstes und streichelte das glatte, weiche Fell. „Ich hol mir was zu futtern und frische Eisbeutel. Bin gleich zurück.“

Ein letztes Mal strich er über den Hals des Tieres, dann verließ er den Trailer und schloss ihn sorgfältig ab. Er überquerte die Straße und betrat einen kleinen Supermarkt. Unter dem grellen Licht der Leuchtstoffröhren saß eine Frau an der Kasse und warf ihm einen aufmerksamen Blick zu.

Oder war es ein argwöhnischer Blick?

Er nickte ihr höflich zu und eilte durch den Laden. Fünf Minuten später kam er zurück und war im Begriff zu zahlen, als sein Blick auf einen zerknitterten Zettel an einer Pinnwand fiel. Die Worte „Cowboys gesucht“ erregten seine Aufmerksamkeit. Er riss den Zettel von der Wand und stopfte ihn in seine Tasche.

Verdammt, er musste den Verstand verloren haben.

Er zahlte und verließ rasch den Laden. Mit einem Sandwich, einer Flasche Mineralwasser und einem frischen Eisbeutel kehrte er zu dem dunklen Parkplatz zurück. Das Brot schmeckte alt und schal, aber zumindest überdeckte es den bitteren Geschmack, den der argwöhnische Blick der Kassiererin hinterlassen hatte.

Sicher, er sah nicht gerade taufrisch aus. Sein Haar war zu lang, und seit einer Woche hatte er sich nicht rasiert. Womöglich sah er einfach ein bisschen zu wild aus. Vielleicht begegnete man hier Fremden auch grundsätzlich mit Skepsis. In einer kleinen Stadt wie dieser musste man oft mit dem engen Horizont der Bewohner rechnen. Schließlich hatte sich die Verkäuferin den anderen beiden Cowboys gegenüber nicht so abweisend verhalten. Im Gegenteil: Die Einheimischen wurden freundlich gegrüßt. Allerdings sahen sie mit ihren gebügelten Hemden und glänzenden Gürtelschnallen so frisch und adrett aus, als hätte man sie direkt aus einem Katalog für Cowboy-Mode bestellt.

Nun, was spielte das schon für eine Rolle.

Landon verschlang das Sandwich in zwei Bissen und versuchte, die düsteren Gedanken abzuschütteln. Seit seiner Freilassung war er bemüht, möglichst wenig zu grübeln. Davor war das eine seiner Hauptbeschäftigungen gewesen. Er hatte sich den Kopf zerbrochen über Dinge, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten. Die der Vergangenheit angehörten. Heute zog er es vor, hart zu arbeiten. So hart, dass ihm abends nichts mehr blieb außer der gütigen Leere eines erschöpften, traumlosen Schlafes.

Aber seit einer Woche war ihm nicht einmal mehr das gegönnt.

Landon ging um den Hänger herum und führte G.W. hinaus in die Nacht. Im gelben Licht einer Laterne nahm er die Reisebandagen ab und legte den Eisbeutel um das verletzte Bein. Nachdem er sich um den Hengst gekümmert hatte, öffnete er die Wasserflasche und trank mit tiefen Zügen. Dann zog er das zusammengefaltete Papier aus der Jeanstasche und starrte lange auf die schwarzen Lettern.

„Also dann, Crescent Moon“, sagte er in die Dunkelheit, „du bist meine letzte Chance.“

Plötzlich war da etwas hinter ihm. Aus dem Augenwinkel konnte er eine Bewegung ausmachen, und schon traf ihn etwas zwischen den Schulterblättern. Ein heftiger, greller Schmerz explodierte in seinem Rücken. Sekunden später krachte er mit dem Kopf voran gegen die Wand des Trailers.

2. KAPITEL

Maggie machte sich allein auf den Heimweg, nachdem sie Willie nirgendwo entdecken konnte. Der angekündigte Sturm war nicht ausgebrochen, sodass es noch immer bedrückend schwül war und die Luft unangenehm schwer und stickig. Eigentlich wartete noch eine Menge Papierkram auf ihrem Schreibtisch, doch viel lieber hätte sie jetzt ein ausgiebiges Bad in dem großen, kühlen Teich hinter ihrem Haus genommen.

Schon stahl sich das Bild eines bestimmten Cowboys in ihre Vorstellung. Ihr Held, der nun ihretwegen in Schwierigkeiten steckte. Doch dieses Mal ließ sie es geschehen, ließ die Bilder aufkommen wie süße Versprechen, die ohnehin niemals eingelöst würden. Sie gab sich für einen Moment der Illusion hin und lächelte im Schutz der Dunkelheit.

Na gut, gestand sie sich. Vielleicht hat Racy ja recht. Vielleicht ist es schon zu lange her, dass ich…

Ein schrilles Wiehern zerriss die Stille und ließ Maggies Gedanken jäh enden. Sie blieb stehen und lauschte in die Nacht. Ihr Herz raste.

Als das Pferd ein zweites Mal aufschrie, konnte Maggie deutlich die Todesangst aus dem schrecklichen Laut hören. Sie starrte an den langen Reihen der Wagen entlang ins Dunkel. Der Tumult schien vom entfernten Ende des Parkplatzes auszugehen.

Ohne nachzudenken rannte sie darauf zu.

Zuerst sah sie den Hengst. Es war ein schönes, starkes Tier mit honigfarbenem Fell, doch er schwitzte und seine Augen waren vor Panik weit aufgerissen. Er war an einem Pferdehänger festgebunden und versuchte verzweifelt, sich loszureißen. Sie streckte die Hand aus, um ihn zu beruhigen, hielt jedoch inne, als sie die drei Männer bemerkte. Nur wenige Meter von dem alten Pferdehänger entfernt rangen sie miteinander und schienen in einen erbitterten Kampf verwickelt.

Allerdings war es ein ungleicher Kampf. Maggie erkannte sofort, dass die beiden groben Kerle auf den dritten Mann einschlugen. Einer traktierte ihn mit Schlägen und Tritten, der andere hielt seine Arme fest. Trotzdem wehrte sich das Opfer mit aller Kraft und trat nach seinen Gegnern.

Einer der Angreifer wich dem Tritt aus und schlug zu. Seine Faust traf den Mann schwer ins Gesicht und ließ ihn zu Boden sinken.

Maggie schrie auf. „Hört auf! Lasst ihn in Ruhe!“

Schwer atmend fuhren die beiden Widerlinge herum und sahen sie an. Ihre Gesichter wurden von Cowboyhüten verdeckt. Endlich ließen sie den Mann los und verschwanden in der Dunkelheit. Der Mann am Boden krümmte sich vor Schmerz.

Maggie eilte zu ihm. Er lag mit dem Gesicht zur schmutzigen Erde gewandt und keuchte leise. „Geht es Ihnen gut?“

Bei dem Versuch, sich aufzustützen, stöhnte er auf. Er wollte sich aufrichten, doch ein Zittern lief durch seinen athletischen Körper. Unter dem Hemd zeichnete sich das Spiel seiner Muskeln ab. Maggie konnte den Blick nicht abwenden.

„Entschuldigung, das war eine dumme Frage. Natürlich geht es Ihnen nicht gut.“ Ihre Finger verharrten zwischen seinen Schulterblättern, nur wenige Zentimeter von seinem dunklen Haar entfernt.

„Nicht bewegen. Ich hole Hilfe.“

„Nein.“ Sein Ton war fest.

Maggie ließ sich auf die Knie sinken. Sie umschlang seinen Arm, um ihn zu stützen, doch ihre schmale Hand wirkte fast verloren auf dem muskulösen Bizeps. Sie konnte die Hitze spüren, die in kleinen Wellen von seinem Körper ausging. Trotz der schwülen Nachtluft war sie nicht unangenehm. Im Gegenteil.

„Sie sind verletzt. Bitte, lassen Sie mich Hilfe …“

„Nein.“ Diesmal duldete seine Stimme keinen Widerspruch. „Hilfe ist das Letzte, was ich brauche.“

Da erkannte sie ihn. Siedend heiß flammte die Erinnerung an seine Hände auf, an seine Arme um ihre Taille.

Der Cowboy drehte sich schwer atmend auf den Rücken. Kleine Staubwolken stoben um seinen Kopf, das dunkle Haar fiel in seine Stirn. Fluchend und keuchend wandte er das Gesicht ab und wischte sich über die Lippen. Eine dünne Blutspur rann aus seinem Mundwinkel.

Maggie nahm ein Tuch aus ihrer Tasche und fuhr damit vorsichtig über sein Gesicht. Ihre Finger berührten seine Wangen und den dunklen, kratzigen Dreitagebart. Es erinnerte sie an das Gefühl von dem trockenen, duftenden Heu zu Hause in Crescent Moon. „Wollten die beiden Ihnen etwas stehlen?“

„Nein, das war nicht der Grund. Ich habe heute eine gute Tat vollbracht und hab dafür lediglich Prügel eingesteckt.“ Er stützte sich auf den Ellenbogen und schüttelte wütend den Kopf. „Ist mal wieder typisch. Ich versuche, das Richtige zu tun, aber dann …“

Seine Stimme verstummte, als er sich aufrichtete und ihr zum ersten Mal ins Gesicht sah. Sein rechtes Auge war bereits zugeschwollen, das linke weitete sich vor Verblüffung.

Seine Finger schlossen sich mit einem harten Griff um ihr Handgelenk. „Sie?!“

Maggie schlug das Herz bis zum Hals.

Plötzlich schienen seine Finger ihre Haut zu versengen, und sie entwand sich seinem eisernen Griff. Stattdessen packte er ihr Taschentuch und presste es an seinen Mund, der einen verkniffenen Zug angenommen hatte. Sein Hemd war zerrissen und mit Schmutz und Blut beschmiert. Es gab den Blick auf seinen flachen Bauch frei, auf ebenmäßige Haut, an der nun ebenfalls rostrote Flecken klebten. Der schwarze Stetson lag etwas abseits auf dem Boden und wirkte ein wenig verloren.

„Oh mein Gott, das war doch nicht etwa …“ Mit einem Mal wurde ihr bewusst, worum es hier wirklich ging. Im Handgemenge hatte sie die beiden Schläger zuvor nicht erkannt, aber jetzt wusste sie, wer sich auf den fremden Cowboy gestürzt hatte: Greeleys Handlanger.

„Die beiden haben Sie meinetwegen angegriffen.“

Der Cowboy richtete sich schwankend auf und schüttelte energisch den Kopf, als wollte er Klarheit in seine Gedanken bringen. „Unsinn.“ Seine Stimme war heiser. „Wo ist mein Hut?“

Maggie erhob sich, griff nach dem Stetson und reichte ihn dem Mann. Er wankte noch immer, sodass sie schützend in seiner Nähe blieb. Ungerührt band der Cowboy den Hengst los und führte ihn in den Hänger. Mit einer geübten Bewegung setzte er den Hut auf und zog eine Grimasse.

„Am Ende der Straße ist eine Arztpraxis, da müsste es einen Notdienst geben. Sie müssen sich wenigstens untersuchen lassen.“

„Ich muss überhaupt nichts …“ Er geriet wieder ins Schwanken. Dann griff er nach einer Flasche, nahm einen Schluck und verzog schmerzhaft das Gesicht. Hustend spuckte er blutiges Wasser auf den Asphalt. Schließlich ging er um sie herum zum Führerhaus des Wagens.

Sie folgte ihm. „Ich denke nicht, dass Sie fahren sollten. Sie könnten ohnmächtig werden und sich und ihr Pferd umbringen. Oder jemand anderen.“

Er griff nach der Tür. Fluchend musste er ein paar Mal daran ziehen und rütteln, bis sie schließlich nachgab und sich öffnen ließ. Sichtlich erschöpft zog er sich in den Wagen. „Hab mich schon oft genug geprügelt … bin gar nicht so schwer verletzt … werd sowieso nicht weit fahren … irgendwo schlafen“, murmelte er müde.

Maggie hielt die Tür fest, bevor er sie zuziehen konnte. Seine Hände fielen in seinen Schoß, dann sank er kraftlos in den Sitz zurück.

„Sind Sie … Hallo?“

Schweigen.

Maggie zögerte. Dann nahm sie ihm den Hut ab, um sein Gesicht besser betrachten zu können. Vorsichtig balancierte sie auf dem Trittbrett. Um nicht in seinem Schoß zu landen, stützte sie sich auf seinen Oberschenkel. Sie konnte die festen Muskeln unter dem weichen Jeansstoff spüren.

Er hielt noch immer ihr blassblaues Taschentuch umklammert. In seiner großen, sonnengebräunten Hand und der schwieligen Haut wirkte das Tuch mit dem zarten Spitzenbesatz seltsam fehl am Platz. Er atmete schwer. Seine Augen waren noch immer geschlossen.

„Ich gehe Hilfe holen.“ Sie lehnte sich zurück. „Bin gleich zurück.“

„Nicht.“

Sie erschrak, als er nach ihrer Hand griff. Seine starken Finger wanden sich um ihre und hielten sie fest. „Ich … schaff das schon. Bitte, gehen Sie nicht …“

Die tiefe Verzweiflung in seiner Stimme versetzte ihr einen Stich ins Herz. Warum wehrte er sich so heftig dagegen, Hilfe anzunehmen?

„Mädchen, was um Himmels willen treibst du denn da?“

Maggie fuhr zusammen und entwand ihre Hand dem Griff des Cowboys. Sie drehte sich auf dem Trittbrett herum und sah direkt in die wachen, blauen Augen eines alten Mannes. Weißes Haar umrahmte sein Gesicht unter einem abgewetzten Hut.

„Willie!“

Der Alte sah sie scharf an, dann versuchte er einen Blick auf den Mann hinter dem Steuer zu werfen. Eines scheinbar betrunkenen Mannes. „Ein Cowboy, hm? Und du weißt, was du da tust, Mädchen?“

Maggie stieg vom Führerhaus. „Es hat eine Prügelei gegeben. Ich hab versucht, ihn zu überreden, Hilfe zu holen, aber er weigert sich standhaft.“

„Aha. Er hat sich geweigert, bis er in Ohnmacht gefallen ist.“ Willie schob die Hände in seine Hosentaschen und beäugte den Fremden misstrauisch. „Bist du sicher, dass er sich nicht einfach die Lichter ausgeschossen hat?“

Maggie runzelte die Stirn. „Ganz sicher. Könntest du ihn dir mal ansehen?“

Der alte Mann warf ihr einen prüfenden Blick zu. Er war im Grunde mehr ein Familienmitglied als ein Angestellter und kannte Maggie sehr genau.

„Bitte …“ Sie sah ihn flehend an.

Er seufzte, nickte und sah durch das Wagenfenster ins Innere. Schließlich drehte er sich zu Maggie um und schob seinen Hut aus der Stirn.

„Also, tot ist er nicht.“

„Das weiß ich. Aber sollten wir ihn nicht lieber in die Klinik bringen?“

„Naja, er hat ’ne Menge blauer Flecken und sein rechtes Auge hat’s arg abbekommen. Morgen früh wird’s ihm ziemlich mies gehen, schätze ich.“ Willie trat beiseite. „Allerdings erklärt das noch nicht, warum er daliegt wie tot.“

„Erschöpfung?“ Maggie hob ratlos die Schultern. „Er hat nur gesagt, dass er Schlaf braucht. Er ist nicht von hier und weiß noch nicht, wo er heute Nacht schlafen soll.“

„Oh je, Mädchen, ich weiß doch, wo das hinführt.“

„Ach, Willie …“

„Komm’ mir nicht mit ‚Ach, Willie …‘!“ Er hob drohend den Zeigefinger, doch in seinen Augen blitzte es gutmütig. „Ich kenn’ dich schon dein ganzes Leben lang, und wenn es etwas gibt, dem du nicht widerstehen kannst, dann sind es die Pechvögel dieser Welt – egal, ob es Zwei- oder Vierbeiner sind.“

Missbilligend verschränkte Willie die Arme über der Brust. Das Alter hatte seine einst hohe Gestalt niedergedrückt, doch noch begegnete er Maggie auf Augenhöhe. Durchdringend sah er sie an. „Da steckt doch noch mehr dahinter.“

Maggie seufzte. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie ihm von Kyle Greeley berichtet hatte und davon, wie er Spence und Charlie abgeworben hatte. Sie erzählte ihm auch, wie Kyle sich benommen hatte – bis der Fremde eingeschritten war.

Willies Gesicht verdüsterte sich. „Also haben sie es ihm heimgezahlt?“

„Sieht so aus. Das Mindeste, was ich jetzt für ihn tun kann, ist, ihm einen Platz zum Schlafen und ein ordentliches Frühstück anzubieten.“

Willie gab ein kleines, ärgerliches Geräusch von sich. Trotzdem schien er sich entschlossen zu haben, sie zu unterstützen. „Okay. Dann wollen wir das schlafende Dornröschen mal nach Hause bringen.“

Maggie überprüfte den Trailer, während Willie den Cowboy vom Steuer wegrückte. Dann setzte Maggie sich in die Mitte der Sitzbank. Der Cowboy lehnte an der Beifahrertür, das Gesicht dem Fenster zugewandt. Als Willie sich neben ihr hinter das Lenkrad klemmte, wurde sie gegen den bewusstlosen Fremden gedrückt. Die Hitze seines Körpers sprang auf sie über und drang durch ihr Kleid, bis sie ihre Haut zu entflammen schien. Sie beobachtete, wie sich sein Brustkorb beruhigend regelmäßig hob und senkte.

„Margaret Anne, ich hoffe, du weißt, was du da tust“, murmelte sie in sich hinein und ließ den schwarzen Stetson in seinen Schoß fallen.

In dem Moment, in dem sie den Parkplatz verließen und auf die Straße fuhren, wurde der Himmel in Brand gesetzt: Feuerwerkskörper stoben Funken sprühend in die Nacht und durchbrachen das Dunkel mit roten, blauen und weißen Sternen.

Eine halbe Stunde später erreichten sie die Ranch.

Nur undeutlich nahm Landon das Rattern und Ruckeln des Wagens wahr. Er spürte die kühle Scheibe an seiner Wange. Aber das war nicht das Einzige, was er spürte. Jemand war neben ihm. Die Wärme eines fremden Körpers drang durch seine Kleidung, eines fremden weiblichen Körpers. Er konnte die weichen Kurven fühlen und für einen Moment zarte Haut, als sie seinen Oberarm streifte. Seit langer Zeit war ihm niemand mehr so nah gekommen. Seit sehr langer Zeit.

Demnach war das ein Traum. Es musste ein Traum sein.

Und anders als in den Albträumen, die er in der Vergangenheit durchlitten hatte, hatte er keine Angst vor der Berührung. Im Gegenteil, er wollte mehr davon. Ein unwiderstehliches Verlangen, näher an sie heranzurücken, ergriff von ihm Besitz. Verzweifelt wollte er ihren Duft atmen, wollte ihre Berührung spüren. Verzweifelt wollte er daran glauben, dass dieser Moment Wirklichkeit war. Nur ein Griff, und er hätte sie auf seinen geschundenen Körper ziehen können.

Aber dann entzog sich ihr warmer Körper plötzlich und stattdessen wurde er unsanft durchgerüttelt. Sein Kopf wurde gegen den Sitz geschleudert. Greller Schmerz explodierte hinter dem rechten Auge und breitete sich in scharfen, durchdringenden Kreisen in seinem ganzen Körper aus. Er wand sich auf seinem Sitz, doch seine Beine wollten ihm nicht gehorchen.

War da jemand? Wurde er aufgesetzt?

Er versuchte, sich zu bewegen, doch diesmal tobte der Schmerz in seiner Brust. Fast hätte er aufgestöhnt, doch da war kein Raum mehr für Luft in seinem Brustkorb. Konzentrier dich! ermahnte er sich.

Waren da Stimmen?

In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Da war der vertraute, stechende Geruch des Pferdeanhängers. Leises Hufscharren. Denk nach, verdammt noch mal! Was ist das Letzte, woran du dich erinnern kannst?

Dann plötzlich der süße Duft von frisch gewaschenem Bettzeug in seiner Nase. Aber nein, das ergab doch keinen Sinn. Er hatte seit über einer Woche in keinem vernünftigen Bett mehr geschlafen. Dennoch drang der Geruch in seine Nase, so sauber und rein, dass er das scharfe Aroma des Trailers vertrieb.

Er ballte die Fäuste und hielt kühles Leinen in den Händen. Dann beugte sich jemand über ihn, und derselbe Duft von frischer Wäsche hüllte ihn ein. Der Duft von reinen Laken, die an der Sonne getrocknet waren und an klare Luft und blühende Wiesen erinnerten. Jemand legte sanft die Hand auf seine Faust.

Da waren sie wieder, die warmen, weichen Kurven. Aber nicht nah genug. Er streckte den Arm aus und berührte eine zarte Schulter. Mit einem Ruck zog er sie an sich heran. Ihr leiser, überraschter Aufschrei sandte kleine Wellen des Verlangens in seinen Bauch.

Er hielt sie fest, fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen und presste dann den Mund auf ihren. Heißer Atem strich über ihre Wange. Er berührte ihre weichen Lippen, dann öffnete er mit der Zunge ihren Mund.

Es war ihm egal, ob das ein Traum war. Wenn es ein Traum war, war es jedenfalls zu perfekt, um es zu beenden. Der erste Kuss seit vier langen Jahren. Wen kümmerte es da schon, ob er sich nur in seinem Kopf abspielte?

Nein, er konnte nicht aufhören.

Ein entfernter Geschmack nach Minze lag in ihrem Mund. Er befühlte mit der Zunge vorsichtig ihre Lippen, bevor er behutsam ihre Mundwinkel küsste. Sie fühlte sich an wie ein sanfter, warmer Sommerregen.

Er ließ die Hand ihren Rücken hinaufgleiten, bis seine Finger ihr seidiges Haar ertasteten. Er zog sie näher heran. Sie küsste ihn stürmisch, bis ihn ein stechender Schmerz durchfuhr und aufstöhnen ließ. Sie befreite sich aus seinem Griff, und Landon ließ sie gehen.

Landons Bewusstsein kehrte zurück. Mühevoll zwang er sich, die Augen zu öffnen. Mit dem linken Auge konnte er etwas erkennen, doch das rechte ließ sich kaum öffnen. Dennoch bemerkte er die schmalen Finger, die auf seiner Faust lagen. Er sah auf und erkannte den Umriss einer Frau in der Dunkelheit des Wagens. Für einen Augenblick fiel das Licht einer Lampe von draußen herein und schimmerte verführerisch auf ihren feuchten Lippen. Dann entfuhr ihr ein kleiner, überraschter Laut.

„Oh … Sie sind wach. Geht es Ihnen gut?“

Ihre Stimme bebte, dennoch erkannte Landon sie wieder. Weich, sexy und gleichzeitig lieblich. Das war dieselbe Stimme, die ihn schon beim ersten Zusammentreffen aus der Fassung gebracht hatte. Als sie sich bei ihm bedankt hatte, genauso atemlos und erstaunt, wie er sich gefühlt hatte. Die Lady auf der Festwiese. Die Lady, die ihn wenig später selbst gerettet hatte und sich weigerte, ihn alleine zu lassen.

War das noch immer ein Traum? Oder hatte er sie wirklich geküsst?

Landon überging ihre Frage und ignorierte den Schmerz, der durch seinen Körper tobte. „Was machen … Wo bin ich?“ Er richtete sich auf und fuhr mit den Fingern durch sein zerzaustes Haar.

Sie saßen in seinem Truck. Der Motor war noch nicht abgestellt und das leise, vertraute Geräusch der Maschine beruhigte Landon. Er spähte in die Dunkelheit. Dank dem sanften Leuchten eines Verandalichts konnte er die Umrisse eines Hauses erkennen.

„Das ist mein Zuhause.“

Er drehte sich auf dem Sitz, um ihr in die Augen zu sehen. Der Schmerz in seinem Kopf wurde langsam unerträglich. Stöhnend barg er das Gesicht in den Händen. „Was zur Hölle mache ich hier?“

„Sie brauchen einen Platz zum Schlafen.“

„Sind Sie verrückt, Lady? Sie kennen mich überhaupt nicht.“

Maggie rutschte hinter das Steuer und schaffte so etwas Abstand zwischen ihnen, sodass Landon im Dunkeln nicht mehr ihren Gesichtsausdruck erkennen konnte. „Hätte ich Sie etwa auf dem Parkplatz zurücklassen sollen? Und dem Sheriff überlassen? Ich kann Ihnen versichern, dass Sie hier ein bequemeres Bett finden als im Gefängnis.“

Das Bild eines kahlen Raumes mit vergitterten Fenstern erschien vor seinem inneren Auge. Nur eine Sekunde später wurde es von einem anderen Bild abgelöst, doch auch dieses hätte er im Moment am liebsten ausgelöscht.

Er und die fremde Frau, in inniger Umarmung vereint. Sie beugt sich über ihn, berührt sein Gesicht, und ihr blondes Haar fällt wie ein Vorhang um sie beide und schützt sie vor dem Rest der Welt …

Landon kniff die Augen zusammen und versuchte, die Vorstellung abzuschütteln. Ein weiterer scharfer Schmerz durchfuhr seinen Kopf und pochte lästig gegen die Schläfe – so lästig wie das Pochen in seiner Jeans.

„Ich weiß, ich hab das schon ein Dutzend Mal gefragt, aber geht es Ihnen …“

„Mir geht’s gut.“ Natürlich war das gelogen, aber er hätte ihr niemals verraten, welche Dämonen neben dem Schmerz durch seinen Kopf geisterten.

Der Truck fuhr an. Landon öffnete die Augen und beobachtete, wie Maggie das Fahrzeug rückwärts auf die Scheune zusteuerte. Verschwommen konnte er die Umrisse der riesigen Scheunentür ausmachen. Maggie brachte den Wagen langsam zum Stehen und sah aus dem Fenster in die Dunkelheit. „Willie öffnet das Scheunentor …“

„Wer ist Willie?“

„Er arbeitet hier für mich auf der …“

„Schön, ich helfe ihm.“

Landon öffnete die Beifahrertür und wäre fast aus dem Truck gefallen. Nur mühsam konnte er auf seinen Beinen stehen. Verärgert drückte er sich den Stetson wieder auf den Kopf und warf energisch die Tür zu. Diese Lady schien zwar ein rettender Engel zu sein, aber er wünschte, sie würde aufhören zu fragen, ob es ihm gut ging. Denn es ging ihm nicht gut. Nicht einmal annähernd. Vor allem nicht nach diesem Traum.

Wieso musste er sich gerade jetzt so etwas vorstellen?

Seit er aus der Haft entlassen worden war, hätte es eine Menge Gelegenheiten gegeben, bei einer Frau zu landen. In jeder Stadt, wo er seither gearbeitet hatte, gab es ausreichend Bars und Spelunken mit unzähligen Ladys – Ladys, denen es gleich war, woher man kam oder wohin man ging. Keine von ihnen hatte Landon je interessiert. Eigentlich hatte er schon lange vor seiner Verurteilung das Interesse am anderen Geschlecht verloren.

Es war fast erstaunlich, was Betrug in einem Mann anrichten konnte.

Er verdrängte den Gedanken in den entferntesten Winkel seiner Erinnerung und zog an dem Scheunentor. Es ließ sich mit Leichtigkeit öffnen, dank des alten Mannes, der auf der anderen Seite zum Vorschein kam. Hatte dieser alternde Cowboy gesehen, was sich im Truck abgespielt hatte? Und wenn ja, kümmerte es ihn?

Der Mann schenkte ihm ein knappes Nicken. „Schön, dass Sie wieder auf den Beinen sind.“

Landon erwiderte den Gruß. „Danke. Sie müssen Willie sein.“

In diesem Augenblick fuhr Maggie an und manövrierte den Wagen vorsichtig rückwärts durch das Scheunentor.

Verdammt, G.W.! Landon hatte fast vergessen, dass der Hengst noch immer im Hänger war.

Er wollte gerade an dem Wagen vorbei durch das Tor treten, als ihn erneut eine Welle von Schwindel erfasste. Schwer atmend lehnte er sich an das Tor. Er starrte auf den schwankenden Boden, presste die Hände gegen die Schläfen und bemerkte dabei das blaue Tuch, das er unbewusst in die Brusttasche gesteckt hatte. Er konnte den zarten Duft wahrnehmen, der davon ausging. Frisch und sauber, mit einem unbestimmten, würzigen Hauch von etwas, das ihm bekannt vorkam. Es war seltsam beruhigend. Es stimmte ihn … versöhnlich.

Er stopfte das Tuch in die Tasche seiner Jeans, wo sich auch das Medaillon befand, das ihm so viel bedeutete. Dann betrat er die Scheune, während sein rettender Engel von der anderen Seite hereinkam. Sie schaltete die Deckenlampe ein und ein sanfter Scheinwerfer tauchte den Raum in weiches, gelbes Licht. Die Pferde in ihren Boxen antworteten mit leisem Wiehern.

„Nur ruhig“, rief Maggie leise in den Raum, dann wandte sie sich an Landon. „Na dann, holen wir Ihren Hengst aus dem Hänger.“

Landon beobachtete sie. Es war ihm noch immer ein Rätsel, wie er hier gelandet war, auf dieser abgelegenen Ranch mit einer attraktiven Frau und einem antiquierten Cowboy an ihrer Seite. Aber der beißende Schmerz in seinem Kopf gab ihm keinen Raum zum Nachdenken. Er kniff die Augen zusammen und drückte mit Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenwurzel, um das unerträgliche Stechen zu vertreiben. „Tut mir leid, ich bin noch ein wenig wacklig …“

„Kein Wunder“, sagte Willie mit leisem Spott. „Sie sehen aus, als hätte Ihr Hengst Sie abgeworfen und dann als Fußabtreter benutzt.“

Landon sah schweigend zu, wie Maggie die Riegel entsicherte und die Rampe herunterließ. Sie setzte vorsichtig einen Fuß darauf, doch der alte Mann hielt sie zurück.

„Nicht. Manche Cowboys sind ein bisschen empfindlich mit ihren Pferden. Sie behandeln sie wie ihre Frauen – niemand außer ihnen darf sie anfassen.“ Er nahm Maggie am Arm und zog sie sanft ein paar Schritte zurück. „Da sollte man nicht dazwischenfunken.“ Dann deutete er auf die Boxen nahe dem Eingang. „Sehen Sie, die vorderen sind leer. Sie können sich eine aussuchen.“

Landon sah den alten Cowboy lange an, dann nickte er dankbar und betrat den Trailer. Erleichtert ließ er die Hand über G.W.s weiches Fell gleiten und vergrub sein Gesicht für einen Augenblick in der warmen Mähne. Schließlich packte er das Halfter und führte den Hengst behutsam aus dem Trailer in eine der leeren Boxen. Dann holte er seine Reisetaschen und die Kühltruhe und lud alles auf einer niedrigen Bank neben der Box ab. Ein neuer Schwindelanfall drohte ihn zu überwältigen, doch er kämpfte verbissen dagegen an und zwang sich zum Stehenbleiben.

„Sie tut so was öfter.“

Landon sah auf. Überrascht stellte er fest, dass er mit dem alten Cowboy allein im Stall war.

„Sie denkt immer, sie müsste den vermeintlich Verlorenen helfen“, fuhr Willie fort. „War schon immer so, selbst als Kind. Egal, ob sie einen streunenden Hund oder einen gebrochenen Cowboy findet: Sie bietet allen eine warme Mahlzeit und ein Plätzchen zum Schlafen an.“

Landon war sich nicht sicher, zu welcher der beiden Kategorien der alte Mann ihn wohl zählte. „Tatsächlich?“

„Ja. So ist sie eben. Erwartet keine Gegenleistung oder Anerkennung und bekommt auch meistens weder das eine noch das andere. Aber eines sag’ ich Ihnen: Ich bin schon seit Urzeiten auf der Ranch und es gehört zu meinem Job, auf den Boss aufzupassen. Ich lasse nicht zu, dass man der Lady wehtut.“

Moment mal.

Landon blinzelte. Hatte er Boss gesagt?

3. KAPITEL

„Sie haben schon ganz richtig gehört. Die Lady hat hier das Sagen.“ Er machte einen Schritt auf Landon zu. „Das mit dem Vorstellen ist wohl ein bisschen untergegangen. Ich bin Willie Perkins.“

Landon ergriff die ausgestreckte Hand des Mannes. Er wunderte sich kein bisschen über den festen Griff des alten Cowboys. „Landon Cartwright.“

„Na, wenigstens wissen Sie noch, wer Sie sind. Kommen Sie, ich zeig’ Ihnen, wo Sie schlafen können.“

„Nein, danke. Ich bleibe lieber hier.“

Verwundert hob Willie eine buschige, weiße Augenbraue. „Im Stall?“

Landon zog seine Hand zurück. „Warum nicht. Ich habe schon an viel schlimmeren Plätzen geschlafen.“

Willie nickte. Dann parkte er Landons Truck neben dem Haupthaus, brachte die Schlüssel zurück und ließ Landon mit seinen Gedanken allein.

Wer war diese Lady? Gehörte die gesamte Ranch ihr allein?

Willie hatte zumindest keinen Ehemann erwähnt, und mit Kyle Greeley schien sie nichts als Ärger zu haben. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, einen Ehering an ihrem Finger bemerkt zu haben. Aber das musste nichts heißen.

Aber da war diese Ranch.

In der Dunkelheit konnte er nur vage die Umrisse einiger Gebäude ausmachen, unter anderem ein einstöckiges Wohnhaus mit einer Veranda darum. Es war ungewöhnlich still. Nach den Geräuschen im Stall zu urteilen gab es zwar viele Pferde auf der Ranch, aber außer Willie hatte er keinen Cowboy gesehen. Außerdem stand auf dem Hof nur ein einziger Pick-up.

Sehr außergewöhnlich für einen Samstagabend, noch dazu einen Feiertag …

Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Landon schloss energisch das Scheunentor. Er ging zu G.W., untersuchte das verletzte Bein und wünschte, er hätte zumindest eine Salbe.

Erschöpft ließ Landon sich auf die niedrige Bank im Stall sinken, leerte den Inhalt seiner Taschen und packte alles in seinen Rucksack. Alles außer dem Medaillon. Er hielt es für einen Moment in der Hand. Das Silber war bereits angelaufen und die Oberfläche ein wenig zerkratzt. Er widerstand dem Impuls, es zu öffnen, doch es erforderte all seine Willenskraft.

Mit dem Finger fuhr er über die vertraute Oberfläche des Medaillons. Selbst mit verbundenen Augen hätte er die feine Einlegearbeit erkannt. Schließlich schob er es zurück in seine Jeanstasche. Nicht jetzt. Noch mehr Schmerz hätte er heute nicht ertragen. Er dachte an die Narben auf seinem Rücken.

So viele Wunden.

Eine Wunde bedeutete allerdings zwangsläufig auch irgendwann Heilung. Aber das hier nicht. Das hier würde er für den Rest seines Lebens mit sich herumtragen müssen. Seufzend zog er sich das Hemd über die Schulter. Ein leises Knarren ließ ihn herumfahren.

„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Die Frau trat ins Licht der Deckenlampe. Auf dem Arm trug sie Decken, Kissen und ein Glas Wasser. „Willie hat mich vom Bungalow aus angerufen und gesagt, dass Sie im Stall schlafen …“

Ihr Blick glitt über seine nackte Brust bis auf seine Hüften hinab und zurück zu seinem Gesicht. Landon wurde heiß. In ihren smaragdgrünen Augen blitzte etwas wie Bewunderung auf. Ein zarter Rotton legte sich auf ihre Wangen. Es war der gleiche Ton wie auf ihren vollen Lippen, und er brachte die Erinnerung an den Kuss in Landons Traum zurück.

Er zwang sich zur Ruhe, zog das Hemd wieder hoch und war froh, dass er zumindest noch seinen Hut trug. „Es ist schließlich Ihre Scheune.“

Stirnrunzelnd reichte sie ihm das Bettzeug. „Warum wollen Sie hier draußen schlafen?“

„Ich hab’s Ihrem Cowboy doch schon gesagt. Dieser Platz ist sauber und trocken. Er ist besser als meine letzten Schlafplätze.“ Landons Herz klopfte wild, als er ihr die Kissen abnahm. Der Duft von frischen Laken hüllte ihn wieder ein. „Außerdem sind die meisten Cowboys nicht besonders scharf darauf, ein Bungalow mit einem Fremden zu teilen. Und ganz davon abgesehen ist Ihr Mann mit Sicherheit nicht begeistert, wenn Sie wildfremde Kerle mit nach Hause nehmen.“

Er legte Decke und Kissen auf die Bank und richtete sich einen bequemen Schlafplatz ein. Als er sich umdrehte, hielt ihm die Frau ihre ausgestreckte Hand mit zwei Tabletten hin. Ihre Wangen glühten.

„Mit den Cowboys könnten Sie recht haben, aber bei dem Ehemann liegen Sie falsch. Ich habe keinen.“ Sie streckte ihm Glas und Tabletten entgegen. „Nehmen Sie die. Sie haben sicher höllische Kopfschmerzen.“

Kein Ehemann.

Die Nachricht sandte ein kleines Flattern in Landons Bauch. Angestrengt sah er auf die Pillen und versuchte die Kapriolen, die sein Herz plötzlich machte, zu ignorieren. Er zögerte. Es war schrecklich, wie argwöhnisch ihn die drei Jahre Gefängnis gemacht hatten. Seine Sicht auf die Menschen hatte sich verändert. Seit er aus der Haft entlassen worden war, hatte niemand so viel für ihn getan wie sie – obwohl er für sie ein vollkommen Fremder war.

„Haben Sie jetzt alles, was Sie brauchen? Wie sieht’s aus mit Salbe?“ Sie trat an ihm vorbei auf die Box zu, aus der man das leise, malmende Geräusch von G.W.s Kiefern hören konnte.

„Wie bitte?“

„Als Sie Ihren Hengst vorhin aus dem Anhänger geholt haben, ist mir aufgefallen, dass er auf einem Vorderbein lahmt.“

Sie streckte dem Hengst die flache Hand hin, sodass er sie beschnuppern konnte. Sie gab ihm Zeit, sie eingehend zu prüfen, erst dann legte sie ihre Hand auf seine Nase und rieb liebevoll sein Gesicht.

Der Anblick versetzte Landon einen Stich in die Brust. Aber dieses Mal war es kein reiner Schmerz. Das Stechen war durchsetzt mit etwas Neuem, etwas Sinnlichem, das sich dunkel und warm in seiner Brust einnistete.

Rasch trat er einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. Er musste dringend mehr Abstand zwischen sie bringen. Der mit Sägespänen bedeckte Betonboden war angenehm kühl und weich an seinen nackten Füßen und half Landon, einen klaren Kopf zu bewahren. „Der Hengst ist in Ordnung. Ich hab das schon unter Kontrolle.“

„Ich habe Ihnen trotzdem ein paar Salben mitgebracht. Hier, die sollten vorerst helfen. Und wenn Sie möchten, rufe ich gleich morgen früh Kali Watson an. Sie ist Tierärztin, und sie …“

„Nein.“

Sein Ton war heftiger, als er beabsichtigt hatte. Er wich zurück und zuckte entschuldigend die Achseln. Sehnsüchtig sah er die Medizin an, die sie in den Händen hielt. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er sich gewünscht, sein Pferd richtig versorgen zu können. Aber die Mittel, die sie ihm hinhielt, waren teuer – Landon wusste das. Zu teuer, als dass er sie sich hätte leisten können.

„Äh, nein, vielen Dank.“ Seine Stimme wurde sanfter. Noch einmal sah er bedauernd auf die Tuben mit Salbe in ihren Händen und schluckte hart. „Hören Sie, ich weiß das wirklich zu schätzen, aber ich kann das nicht annehmen. Ich bin auf der Durchreise. Ich habe kein … Ich kann Sie nicht bezahlen.“

Sie winkte ab. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen.“

Er konnte spüren, wie etwas in ihm rebellierte. Wenn er nicht achtgab, würde ihm sein eigener Stolz im Wege stehen. Alles, was er in seinem Leben verdient hatte, hatte er sich hart erarbeitet. Bevor er ins Gefängnis gekommen war, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, Almosen anzunehmen.

„Aber die Medikamente … Und das Heu: G.W. kann fressen, als ob es kein Morgen gäbe. Ihre Gastfreundschaft ist …“

„Lediglich ein kleines Dankeschön für den Beistand, den Sie mir heute geleistet haben.“ Sie drückte ihm die Tuben in die Hand und ging auf die Seitentür zu. „Aber wissen Sie was? Nach allem, was heute Abend passiert ist, kenne ich noch nicht einmal Ihren Namen.“

„Cartwright.“ Er antwortete ohne zu zögern. „Landon Cartwright.“

„Schön, Landon Cartwright. Mein Name ist Maggie Stevens. Willkommen auf Crescent Moon. Wenn Sie morgen früh noch hier sind, sind Sie hiermit herzlich zum Frühstück eingeladen.“

Sie griff nach der Klinke und ging rasch hinaus. Landon blieb wie angewurzelt stehen und sah ihr nach. Dann ließ er die Salben auf die Bank fallen und atmete tief ein.

Hatte er richtig gehört?

Er zog die Anzeige aus seiner Jeanstasche.

Richtig. Das hier war Crescent Moon.

Bam, bam, bam.

Maggie öffnete die Augen gerade weit genug, um den Wecker auf ihrem Nachttisch sehen zu können. Ein leises Stöhnen entfuhr ihr. Es war noch nicht einmal sechs Uhr früh, doch das Morgenlicht erhellte bereits ihr Schlafzimmer. Für gewöhnlich fiel sie nach einem arbeitsamen Tag völlig erschöpft ins Bett und schlief sofort ein, doch gestern Nacht hatte es Stunden gedauert, bis sich die Ereignisse in ihrem Kopf geordnet und der Schlaf sich endlich eingestellt hatte.

Nach einem so ungewöhnlichen Tag wurde sie natürlich mit einem Knall geweckt. Oder eher mit einer Explosion.

Sie stellte sich vor, wie dieser große, gut aussehende Fremde in diesem Augenblick draußen in ihrer Scheune schlief und spielte in Gedanken noch einmal den Moment durch, als er ihr den Kuss gegeben hatte. Diesen unwirklichen, unwiderstehlichen Kuss, bei dessen Vorstellung sie jetzt noch weiche Knie bekam.

Doch was sie fast ebenso aus der Fassung brachte wie der Kuss selbst war ihre Reaktion darauf. Hätte der Fremde nicht schließlich vor Schmerz aufgestöhnt, hätte sie sich überhaupt nicht mehr von ihm gelöst.

Ihre Freundin Racy versuchte schon seit einer Ewigkeit, ihr ein kleines Abenteuer einzureden. Und es ging schließlich nichts über ein kleines Abenteuer mit einem wildfremden Cowboy, den man erst in einen Kampf verwickelt, in einem Zustand des Deliriums geküsst und dann mit nach Hause genommen hatte. Das sollte doch ausreichen, um den harten Alltag auf der Ranch ein bisschen zu beleben. Ein fremder, aufregender Cowboy auf ihrer Ranch.

Ein Cowboy, dem sehr viel an seinem Pferd lag.

Sie hatte das sichere Gefühl, dass der Hengst der beste Freund des Fremden war – trotz des schlechten Zustands von Truck und Trailer. Vielleicht lag es an der Erleichterung in seinen Augen, als sie ihm die Medizin gegeben hatte. Erleichterung, die er allerdings sehr schnell hinter einer Maske aus Stolz verborgen hatte.

Bam bam bam.

Maggie seufzte und kroch aus dem Bett. Sie durchquerte das Zimmer und stellte sich an eines der Fenster, von dem aus man die Scheune sehen konnte. Sicher machte Hank den Krach dort draußen. Ganz gleich, wie oft sie ihm versichert hatte, dass er sonntags ein wenig später mit der Arbeit beginnen konnte, er war trotzdem immer schon im Morgengrauen auf den Beinen, seit sie immer weniger Helfer auf der Ranch und immer mehr Aufgaben zu bewältigen hatte. Maggie zog die Vorhänge beiseite und blinzelte in den Morgen. Der wolkenlose blaue Himmel versprach einen weiteren heißen Sommertag, nur eine leichte Brise wehte über den Hof. Alles sah friedlich und vertraut aus. Bis auf die große, schmale Gestalt, die gerade mit einem Hammer den Hauptzaun bearbeitete.

Das war nicht Hank.

Der Fremde war groß und sehnig, nicht so kompakt und untersetzt wie Hank. Er war mit einem schwarzen T-Shirt und ebenso dunklen Jeans bekleidet, und seine langen Beine zeichneten sich markant gegen das Morgenlicht ab. Das Haar trug er schulterlang und hatte es im Nacken zusammengebunden, auf dem Kopf einen schwarzen Stetson.

„Landon Cartwright“, flüsterte Maggie. Ihr Gesicht berührte die Fensterscheibe.

Er zog etwas aus seiner Tasche und kauerte dann neben dem Zaun nieder. Jeans und T-Shirt spannten sich über den muskulösen Körper. Maggie entfuhr ein kleines Seufzen. Jetzt griff er nach einer hölzernen Planke und fixierte sie mit dem Knie am Zaunpfosten. Jeder seiner Handgriffe war sicher und geübt. Er nahm den Hammer, holte aus – bam bam bam – und drei präzise Schläge brachten drei Nägel punktgenau ins Holz.

Okay, das war beeindruckend.

Er erhob sich und umrundete die Koppel, indem er bei jedem einzelnen Zaunelement kurz innehielt und seine Stabilität überprüfte. Diese wichtige Aufgabe, für die sie seit einem Monat keine Zeit gefunden hatte, wurde unter seinen fachkundigen Händen zu einem Kinderspiel.

Die Koppel wurde dringend gebraucht. Übermorgen sollte ein neues Pferd nach Crescent Moon kommen, das seinem Namen alle Ehre machte: Black Jack. Es war ein wilder, schwarzer Mustang, den sie für den berühmten Filmstar Tucker Hargrove zähmen und einreiten sollte. Maggie hatte den Auftrag bekommen, weil sie gute Arbeit an dem Pferd von der Tochter des Bürgermeisters geleistet hatte – und weil dessen Frau die Cousine des Filmstars war. Demnach musste alles perfekt für den wilden Black Jack vorbereitet sein.

In diesem Moment hielt Landon inne. Er drehte sich um und sah zu ihrem Fenster hinauf.

Maggie ließ den Vorhang zurückfallen und hastete zur Seite. Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich an die helle Blumentapete.

„Er ist einfach nur ein Mann, der eine ganz alltägliche Arbeit erledigt“, rügte sie sich. Doch die Schmetterlinge in ihrem Bauch waren anderer Meinung. „Reiß dich jetzt zusammen.“

Wenn es nur so einfach wäre. Selbst in ihre Träume hatte er sie verfolgt, seine dunklen Augen und seine Hände, die sie trotz der schwieligen Haut ganz zärtlich berührt hatten.

Und gerade in diesem Augenblick erledigte eben jener fremde Cowboy eine der vielen Aufgaben für sie, die auf der Ranch anfielen.

Ein Cowboy, der sie geküsst hatte und sich vermutlich nicht einmal mehr daran erinnern konnte.

Wahrscheinlich war das auch besser so.

Lady, es gibt viel wichtigere Dinge als einen Cowboy und sein lahmes Pferd, um die du dir jetzt Gedanken machen musst. Wie zum Beispiel die finanzielle Lage der Ranch.

Schieflage traf es zurzeit wohl besser.

Im Kopf ging sie die Zahlen durch, die ihr verbleibendes Budget bildeten. Über ihrem ohnehin schon bedrohlich geschrumpften Etat brauten sich unbezahlte Rechnungen zusammen wie schwarze Gewitterwolken. Die Watson Klinik musste noch bezahlt werden, und ihr Kreditlimit beim Futterhändler war nahezu erreicht. Ganz zu schweigen von der anstehenden Schlussrate des Darlehens, das sie damals aufnehmen musste, um ihren Ex-Mann auszubezahlen.

Schlussrate! Was für ein passender Begriff für einen Handel, bei dem sie fast alles verloren hatte. Was klang da naheliegender als Schluss zu machen und einfach alles hinzuwerfen …

Aufgeben? Nur über meine Leiche.

Aber nach all der Aufregung in der letzten Nacht hatte sie kaum darüber nachdenken können, was der zusätzliche Verlust ihrer beiden Cowboys für die Ranch bedeutete. Jetzt, im hellen Tageslicht, machte ihr der Rückschlag schon mehr zu schaffen. Die Idee, den Fremden anzustellen, war also gar nicht einmal so abwegig. Sie hatte die Hilfe bitter nötig, aber sollte sie wirklich den erstbesten dahergelaufenen Cowboy einstellen, der zufällig ihren Weg gekreuzt hatte?

Vor ihrem Fenster war es verdächtig still. Sie spähte vorsichtig über den Rand des Vorhangs und sah gerade noch, wie der Cowboy auf die Knie fiel und sich am Zaun festhielt.

Sie stürmte aus dem Schlafzimmer, riss die Hintertür auf und rannte hinaus.

„Was ist passiert?“