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Ein Hund namens Watson wird zum Begleiter durch eine Geschichte der Sehnsucht. ***Erzählung Nr.8 aus dem Sammelband "In einer Bar unter dem Meer"*** Die Figuren in Christoph W. Bauers Erzählungen mögen auf den ersten Blick verschroben wirken. Dabei sind sie vertrauter, als einem lieb ist: Sie trauern verpassten Chancen nach, verrennen sich in Träume, sind unglücklich in ihren Berufen, sprechen von Treue und wandern von einem Bett ins andere, geben sich kühl und erfahren, im nächsten Moment innig und schmachtend. In den unterschiedlichsten Tonarten sprechen sie an, was wir alle kennen: Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe und Verlust. Temporeich und direkt sind Bauers Geschichten, manchmal kurz und energisch wie ein Punksong, manchmal eigenbrötlerisch und elegisch wie ein Blick aufs Meer. Dabei oft von einer bestechenden Komik und voll plötzlicher Wendungen, die unversehens den Blick öffnen auf eine Wirklichkeit, die uns alle betrifft. Alle Erzählungen aus "In einer Bar unter dem Meer": Zwei plus eins Die Meidlinger Bellevue Kalifornien Tannertschok Irgendwo in Deutschland Samsas Erben Der Fall Branzer Traunstein Das Gewicht Full Shot Fassbare Formen Eine Melange im Nirgendwo Schusstechnik Relaunch, Schauraum sieben Emira und das Meer Figuren Stecknadeln
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Seitenzahl: 20
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Christoph W. Bauer
Windburgen
Erzählung
„Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.“
Ingeborg Bachmann
Seinen ständigen Begleiter nicht zu ignorieren, kostete sie wenig Mühe. Kennengelernt hat sie die beiden an einem Sonntagmorgen, im September vergangenen Jahres. Sie kam aus der Nacht, betrat im Abspann der Ausgehlaune die kleine Bäckerei mit den Stehtischen. Mittels Alkohol und Musik aus einer nicht enden wollenden Lebensphase zu tanzen, war erneut Wunsch geblieben. Um sie herum war eine Mauer gewachsen, und wieder war da niemand gewesen, der sie hatte niederreißen und ihrem Zaudern ein Ende setzen können. Unter eine Beziehung, die keine mehr war, einen Schlussstrich zu ziehen, sie schaffte es nicht.
Zwei Croissants ließ sie sich einpacken, wollte zum Ausgang, als ein Mann sich stürmisch an ihr vorbeidrängte, um ihr die Tür zu öffnen. Irritiert von seiner Aufmerksamkeit, brachte sie kein Wort heraus, schaute unterdessen zu einem der Stehtische. Dort blickte just in dem Moment einer von seiner Zeitung auf und sah sie an, als hätte er auf sie gewartet. Sie vernahm ein Seufzen, und derjenige, der ihr die Tür geöffnet hatte, trat ins Freie. In sein abermaliges Seufzen hinein legte sie die Hand bereits auf den Stehtisch. Der Kerl sah sie immer noch an, dann kurz zu Boden, wieder auf: „Er beißt nicht“, sagte er. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. „Angst vor Hunden?“ Tatsächlich fürchtete sie sich vor Hunden von Kindheit an. „Spaniels sind gutmütig“, sagte er, „schau nur, wie er dich ansieht, er mag dich.“
Wallsdorfs Augen tränen, die Kälte fährt ihm scharf ins Gesicht. Da reißt er beide Hände aus der Manteltasche, macht abrupt kehrt und schlägt der Länge nach hin. Fluchend rappelt er sich hoch, reibt sich die Knie und besieht seine Handballen, gespickt mit Streukies sind sie. „Watson vergessen“, schnauzt er der jungen Frau ins fragende Gesicht, sie ist hinter ihm die Straße hinabgegangen. Im Schnappen nach Luft bleibt ihr der Mund offen. „Entschuldigung“, murmelt er, in seiner Manteltasche vibriert das Telefon. Er will danach greifen, seine Finger ertasten ein Feuerzeug, er gibt sich einen Ruck, eilt an ihr vorbei wieder in jene Richtung, aus der er soeben gekommen ist.