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Dieses Büchlein nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Fantasiewelt. Es erzählt von Engeln und Wichteln, von pfiffigen Tieren, hurtigen Sausewinden, von verzauberten Prinzessinnen und fliegenden Pferden. Kleine und große Wunder werden entdeckt. Man betritt ein Wolkenschloss, schaut einem Großvater und seinen Enkelkindern über die Schulter oder spielt eine der Geschichten mit Freunden nach. Für die größeren und ganz großen finden sich Erzählungen zum Nachdenken oder Träumen. So findet sich hier eine bunte Vielfalt von Märchen und Geschichten zum Vorlesen und Selbstlesen für und über Kinder, Eltern und Großeltern. Ab ca. 5 Jahren
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Seitenzahl: 189
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Ein Menschlein ist geboren!
In Liebe für unser Enkelkind!
Damit wir uns alle unser Staunen bewahren.
Von Sonne, Wind und Himmelswesen
1. Windeskind
2. Frühlingserwachen
3. Engelstränen
4. Wenn die Engel im Himmel singen
Von Katze, Hund und anderen Tieren
5. Emil und der Seestern
6. Flohgeflüster
7. Schauderdüsternis
8. Warten auf den Flieger
9. Wasser ist nass
10. Josie auf Reisen
11. Schnee? Was ist das denn?
12. Was zu viel ist, ist zu viel!
13. Seetüchtig
14. Ein Engel aus dem Hundehimmel
15. Hannes Festessen
Von Märchen, Zauber und klugen Leuten
16. Der verwunschene Falke
17. Drei im So-Mobil
18. Der goldene Zweig
19. Die Tränen der Götter
20. Siebenjahr und Gold-Johann
21. Wolkenschloss
22. Der Stall von Bethlehem
Von Wichteln, Liebe und kleinen Wundern
23. Überraschungsteig
24. Kekswichtel
25. Der Wanderwichtel
26. Der junge Holzwichtel
27. Glockenwunder
28. Lerato heißt Liebe
29. Die Eule auf dem Fahrrad
30. Himmelsgeschenk
Erst war es nur ein seichtes Lüftchen, das sich schüchtern durch die blühenden Büsche stahl. Behutsam streichelte es Blatt für Blatt, Knospe für Knospe und Blüte für Blüte des riesigen Oleanderstrauches.
Fast liebevoll strich es dann über die zarten Grashalme der Wiese, bog sie ein wenig herab, hielt inne, um kurz darauf etwas kecker über die Spitzen zu huschen, so dass sie flatterten. Verzückt fuhr der kleine Lufthauch in einen Laubhügel und brachte ihn raschelnd in Bewegung.
Mutig geworden startete er einen neuen Anlauf. Er blies stärker ins Blattwerk und wirbelte einige Blätter hoch.
Sein Stimmchen heulte fröhlich auf, obwohl es kaum zu hören war, denn es war ja erst vor kurzem geboren.
Das Windkind tanzte um die Stämme einer Fichtengruppe herum, deren unteren Äste verdorrt in die Luft staken, erfasste mit seinem Sog eine Mückenschar und spielte mit ihnen.
Nach einer Weile langweilten es die Mücken und es schoss durch die Zweige in die Höhe. Das Lüftchen musste sich anstrengen, um durch die Krone eines alten Ahornbaumes zu sausen. Das kostete Kraft! Immer höher flog es und zog einen Schwanz von Wirbeln hinter sich her, der Zweige schwanken ließ. Die zarten Blattstiele hatten ihre Mühe, sich festzuklammern und schimpften dem Windhauch hinterher. Beschämt hielt das Windkind inne. Die Blätter atmeten auf. Der kleine Wind tastete sich nun langsamer zum blau schimmernden Himmel hinauf. Als er endlich über die hohen Kronen einiger alten Eichen lugen konnte, verschlug es ihm fast dem Atem. Für einen Moment sackte er in sich zusammen, doch dann ließ er staunend den Blick schweifen. Über ihm ging es wahrlich turbulent zu.
Große weiße Wolkenknäuel ballten sich dort. Fast jede Sekunde veränderten sie ihre Form, nahmen an Höhe zu und wieder ab, bekamen Gesichter, Nasen, Arme, um kurz darauf zu einem länglichen Schlauch zu werden. Dann zerrissen sie wiederum und trieben in Fetzen der Sonne zu.
Einen Wimpernschlag lang verdeckten sie den Feuerball, aber dann stahl sich Strahl für Strahl durch kleine Wolkenlöcher. Das Windkind war begeistert und begann vor lauter Aufregung zu tanzen und zu hüpfen. Es wollte mit den Sonnenstrahlen spielen, sie jagen und fangen oder um die Wette fliegen. Es streckte sich den wärmenden Strahlen entgegen und merkte, wie sein Hauch angewärmt viel schneller nach oben stieg.
Windkind lachte laut auf, als ein vorwitziger Sonnenstrahl ihn an der Nase kitzelte. Dicht bei den Wolken waren seine Brüder und Schwestern dabei gewaltige Wolkenberge zu bewegen. Windeskind versuchte zu helfen. Da schoben sich plötzlich wieder zwei Wolkenteile auseinander.
Mit blendender Kraft kam Mutter Sonne zu Vorschein und lachte über die Fröhlichkeit des Windkindes.
Durch ihre Hitze fühlte sich der kleine Wind fast genauso mächtig wie ein großer Wind. Und so blies er, so kräftig er konnte, um mit den Geschwistern mithalten zu können.
Doch Windeskind war noch zu jung. So viel Mühe wie es sich auch gab, bald fiel es zurück.
Die Wolken hatten sich inzwischen mit dem feuchten Dunst der Erde vollgesogen und wurden ständig schwerer und dunkler. Bald schafften es nur noch die stärksten Winde, sie weiterzutreiben.
Außerdem begann es im Innern der Masse zu blitzen, was Windkind nun doch erschreckte, denn es hatte ja bisher noch kein Gewitter erlebt. Mehrere ganz mutige Winde versuchten einen Tornadotanz, doch die Sonne brachte sie rechtzeitig auseinander, bevor sie Unheil anrichten konnten.
Der kleine Wind blieb schließlich völlig außer Atem zurück. Erschöpft sank er zu Boden auf ein blaues Meer von Wildveilchenblüten, die zwischen weichen Moosmatten wuchsen. Die Veilchengesichter sahen ihn staunend an.
Er streichelte noch einmal zart über die Blütenköpfe. Dann schlief das Windkind in seinem Moosbett ein.
Wir brauchen: Bäume, Schneeglöckchen, Tulpen, Krokusse, Forsythienbusch, mehrere Vögel, Häschen, Igel, Maikäfer, Bienen, Sonne, Westwind, Bach Die Rollen werden einzeln an die Kinder vergeben nach obiger Reihenfolge.
Dann wird erzählt und die Kinder spielen dies.
Jedes Jahr ab Februar/März wacht um uns herum die Natur auf. Die Sonne kommt warm hinter den letzten Winterwolken hervor und streckt ihre Strahlen wie Arme über das Land. Die Bäume recken sich und lassen die ersten hellgrünen Triebe wachsen. Ihre langen Äste hängen über einen lustig plätschernden Bach. (zwei Kinder halten ein blaues Tuch)
Kleine Schneeglöckchen mit weißen Hauben heben ihre Köpfe und schauen zur Sonne.
Krokusse öffnen alle ihre Blütenblätter. Der Forsythienbusch breitet seine Zweige aus und lässt seine gelben Blüten sprießen.
Vorsichtig lugen einige Tulpen aus ihrem Winterbeet und werden ganz rot bei den schönen Sonnenstrahlen. Plötzlich hört man überall Vogelgesang. Die Vögel zwitschern fröhlich, hüpfen zwischen die Bäume und picken auf den Boden umher.
Die Häschen kommen unter dem Forsythienbusch hervorgehoppelt und schnuppern die frische Frühlingsluft.
Um die Blumen schwirren ein paar Bienen. Sie summen laut. Die Maikäfer krabbeln unbeholfen im Gras herum und wissen noch gar nicht wohin.
Unter den Bäumen wandern kleine Igel hin und her auf der Suche nach etwas zu Essen.
Hui, kommt der Westwind und pustet das letzte Laub über die Wiese.
Er saust um die Häschen herum, die sich erschreckt ducken. Die Igel stellen ihre Stacheln auf, doch der Wind lacht nur. Er fährt dem Busch über die Zweige und pustet die Bienchen dem Bach zu.
„Schluss jetzt, Wind!“, ruft die Sonne. „Lass die Bienen zufrieden. Du hast jetzt Pause. Du hast den ganzen Winter geweht. Jetzt ist Frühling!“ Und sie schickt ihre ganze warme Macht zum Wind und vertreibt ihn.
Die Tiere und Pflanzen freuen sich, strecken sich in die Wärme, bis der Abend kommt. Die Sonne zieht sich zurück. Nun ist es für alle Zeit, sich zum Schlafen einzurollen oder die Blütenkelche zu schließen. Und so ruhen sie bis zum nächsten Frühlingstag.
Die Luft flimmert. Gleich darauf erhellt ein Blitz die Glasveranda, gefolgt von einem dröhnenden Donner. Emil zuckt zusammen. Schon wieder ein Gewitter. Schnell krabbelt er unter den Tisch, hangelt sich ein Kissen vom Stuhl und presst sein Gesicht dagegen.
‚Jetzt nur nicht anfangen zu heulen‘. Papa hat gesagt ‚Jungen weinen nicht und schon gar nicht, wenn sie schon vier Jahre alt sind‘. Verstohlen zwinkert Emil eine Träne aus dem Augenwinkel, zieht eine Hand aus dem Kissen und zählt vier Finger ab. Ja, er ist schon groß. Das sagt Mama immer wieder. Außerdem ist er keine Heulsuse.
Da blitzt es wieder, so grell und plötzlich, dass Emil ein bisschen zu zittern anfängt. Und sofort folgt auch das gruselige Donnerrollen. Viel lauter als eben. Mit einem Mal prasseln dicke Tropfen gegen die Fensterscheiben. Es wird nun richtig laut.
„Emil!“, ruft eine Stimme. Er lugt neben dem Tischbein unter der Tischdecke hervor.
„Emil!“ Mama tritt aus der Küchentür. Die Küche schließt direkt an die Veranda an. „Ach, da bist du ja. Was machst du denn da unter dem Tisch?“
Emil kommt gar nicht dazu, zu antworten, obwohl er ihr gerne von seiner Angst erzählt hätte.
Oder vielleicht doch nicht? Mama würde ihn sicher auslachen und ihn einen kleinen Dummkopf nennen. Mama fürchtet sich nicht vor Gewitter. Sie ist immer stark und mutig. Jetzt redet sie jedenfalls sofort weiter. Daran merkt Emil, dass sie in Eile ist.
„Also Emil, ich fahre Louis und Theo gleich zum Sport. Ana kommt und passt auf dich auf. Sie sollte schon da sein, aber vielleicht wurde sie durch das Unwetter aufgehalten. Sei artig!“
Ana ist das Kindermädchen der Familie. Emil mag sie sehr gerne. Vor Freude, dass sie kommt, vergisst er fast den Donner über dem Haus. Er kriecht unter dem Tisch heraus.
Mama wirft sich den Regenmantel über die Schulter, greift nach ihrer Tasche und dem Autoschlüssel und ruft in die Küche hinein:
„Louis, Theo, wo bleibt ihr denn? Wir müssen los!“
Louis und Theo sind Emils große Brüder. Louis ist sechs Jahre alt und Theo fast neun Jahre. Sie kommen mit ihren Sporttaschen angerannt.
Wieder kracht der Donner wie ein Paukenschlag vom Himmel. Auch Louis und Theo haben Angst vor Gewitter, das weiß Emil. Aber Mama schiebt sie zur Tür hinaus.
„Kommt, kommt, wir sind spät dran.“
Auf das dünne Verandadach klopft unaufhörlich der Regen. Die Veranda hat drei Seiten mit vielen kleinen Fensterscheiben. Es sieht aus, als würden die Blitze von allen Seiten kommen.
Emil verkriecht sich gerade wieder unter dem Tisch, da geht die Haustür erneut auf. Ana schlängelt sich hindurch. Aus ihren blonden Haaren tropft das Wasser auf den Holzfußboden.
„Puh, was für ein Wetter!“, ruft sie. Emil strahlt. Nun ist er nicht mehr allein.
Ana streift ihre nasse Jacke ab und hängt sie über einen Stuhl. Emil beobachtet sie aus seinem Versteck. Sie schiebt die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und lächelt. Dann geht sie in die Knie und lacht Emil an: „He, du Räuber! Da bist du ja!“
Etwas enttäuscht, dass sie ihn gleich gefunden hat, ist er schon. Aber mehr noch ist er erleichtert, dass sie da ist.
Sie sieht ihn prüfend an.
„Na, hast du immer noch Angst vor Gewitter?“
Emil beißt sich auf die Lippen. Sein roter Haarschopf nickt leicht. Ana nimmt seine Hand und zieht ihn unter dem Tisch heraus.
„Kommt, ich zeige dir etwas.“ Sie muss laut reden, denn inzwischen hat es zu hageln begonnen.
Etwas widerwillig lässt Emil sich auf einen Stuhl am Fenster heben. Nur weil er Vertrauen zu Ana hat, läuft er nicht weg. Sie steht direkt hinter ihm und hat ihm einen Arm um die Schultern gelegt. Er fühlt sich sicherer. Die Blitze scheinen schon etwas weiter weg zu sein. Auch der Donner ist nicht mehr so laut. Dafür fällt der Regen wie ein Wasserfall vom Himmel. Auf dem Weg vor dem Haus tanzen unzählige kleine Kugel. Lustig springen sie hin und her. Emil ist begeistert.
„Was sind das für Kugeln, Ana?“
„Das sind Hagelkörner“, erklärt sie ihm. „Kleine Eisbällchen, die schon oben in den Wolken gefrieren. Man sagt auch, dass es Engelstränen sein sollen. Sie rollen den Englein im Himmel aus den Augen, gefrieren in der kalten Luft dort oben und fallen so auf die Erde.“
„Sind Engel denn alles Mädchen?“, fragt Emil neugierig.
Ana sieht ihn erstaunt an. „Wie kommst du denn darauf?“
„Jungen weinen doch nicht.“
„Ach ...“, Ana schaut ihm in die Augen. „Weißt du, auch Jungen und Männer weinen. Sie trauen sich nur nicht, es zuzugeben, weil man ihnen immer gesagt hat, sie müssen stark sein. Aber ich finde es gut, wenn auch sie mal weinen. Das reinigt die Gedanken und hinterher fühlt man sich klarer und besser.“
Inzwischen ist der Hagelguss vorübergezogen. Kein Tröpfchen fällt mehr aus den Wolken. Ein wenig lugt sogar die Sonne schon wieder hervor. Aber draußen liegen viele weiße Perlen. Emil strahlt.
„Weißt du was“, sagt Ana in diesem Moment. „Ziehe deine Schuhe und Strümpfe aus. Wir gehen raus!“
„Oh ja!“, ruft Emil und klettert schnell vom Stuhl.
Auch Ana zieht die Socken aus und krempelt sich die Hosenbeine ihrer Jeans hoch.
Die Luft riecht ganz frisch und feucht. Rings um sie herum zwitschern die Vögel und von den Blättern tropfen dicke Wassertropfen.
Barfuß tapsen Emil und Ana über die Gehwegfliesen, auf denen eine Schicht Hagelkörner liegt. Sie sind eiskalt, aber fühlen sich lustig an. Emil und Ana lassen die Eiskörner zwischen den Zehen hindurchquellen.
Emil springt in eine große Pfütze. Ana kreischt auf, weil er sie nassspritzt. Aber sie lacht.
Gemeinsam hüpfen sie auf dem Weg entlang, vorbei an den triefenden Primeln und den Büschen der Tränenden Herzen in den Beet-Rabatten, deren Rispen tief herabhängen.
Emil bohrt seine große Zehe in den schwarzen Matsch des Beetes. Braune Soße fließt über seinen Fuß. Er findet das richtig toll. Mit kleinen Schritten gehen er und Ana über den matschigen Rand am Weg, wo sich die Hagelkörner gesammelt haben.
Plötzlich bleibt Emil stehen.
„Ana! Warum weinen die Engel?“
Das Mädchen hockt sich zu ihm herunter. „Pass mal auf. Jeder Mensch hat einen Schutzengel. Und dieser Schutzengel sorgt dafür, dass sein Mensch nicht zu viel weinen muss. Er beschützt ihn und er weint manchmal für ihn. Die Engelstränen reinigen die Luft. Nach einem Regen können wir wieder frei atmen und fühlen uns besser. Riechst du es?“
Emil hält die Nase in die Luft und schnuppert. Er nickt heftig. Die Luft riecht richtig frisch.
„Und das Gewitter“, fährt Ana fort, „ist der Vorbote des Himmels. Es meldet uns, dass es gleich losgeht. ‚Hallo‘, rufen sie dann von oben, ‚passt auf, ihr da unten, gleich gibt es Regen. Geht in die Häuser oder holt eure Regenschirme‘.“
So hatte es Emil noch nie gesehen.
„Eigentlich hatte ich immer gedacht, da oben ist jemand böse mit mir, weil ich nicht artig war, wenn es donnert und blitzt.“
Ana drückt ihn an sich. „Nein, die Engel dort oben bestrafen uns nicht. Sie versuchen nur, uns zu beschützen. Huch!“
Bei diesen Worten kippt Ana nach hinten und landet auf dem nassen Weg.
Emil fängt an zu lachen und zu hüpfen: „Da hat aber jemand eben nicht richtig aufgepasst!“
Ana erhebt sich und klopft die Wassertropfen von ihrem Po. Sie hat hinten einen riesigen feuchten Fleck.
Aber sie lacht:
„Ja, ein wenig müssen wir auch auf uns selbst aufpassen. Na komm, ich muss mich trockenlegen.“
Nun kann Emil sich gar nicht mehr beruhigen. Kichernd hüpft er von einer Pfütze zur anderen bis zur Haustür.
Ana macht es nichts aus. Sie ist ja sowieso schon nass.
In der Glasveranda trocknen sie ihre Füße und Beine ab. Ana legt ihre Hose zum Trocknen über einen Stuhl und zieht Emil eine Jogginghose über. Dann bauen sie sich aus Kissen und Decken eine Höhle auf Emils Bett und Ana liest ihm eine Geschichte vor.
„Mama?“ Nina schleckt gerade mit dem Finger die Teigschüssel aus.
Mama hat für den ersten Advent einen Schokoladenkuchen gebacken. Jetzt ist er im Ofen und man kann schon sehen, wie die obere Schicht ganz langsam fester wird.
Ihre Mutter dreht sich zu ihr um.
„Was ist denn?“, fragt sie.
„Du Mama, hast du schon mal die Engel im Himmel singen hören?“ Mama zieht die Augenbrauen hoch.
„Wie kommst du denn jetzt darauf, Nina?“
„Im Kindergarten haben wir eine Geschichte vorgelesen bekommen und da haben die Engel im Himmel gesungen. Ich habe aber noch nie einen am Himmel gesehen.“
Mama lächelt und nimmt ihre kleine Tochter in den Arm.
„Hör mal, man sieht die Engel nicht unbedingt, aber man spürt sie. Wenn du jemanden ganz doll lieb hast und derjenige dich auch, dann freut sich dein Herz und du hast das Gefühl ganz laut zu jubeln oder zu singen. Das Singen der Engel findet dann tief in dir drinnen statt. Manchmal kribbelt es richtig.“
„Hm“, macht Nina und schlingt die Arme um den Hals ihrer Mama. So ganz hat sie es noch nicht verstanden. Aber sie kann die warme Haut ihrer Mama spüren und den liebevollen Blick und den sanften Druck ihrer Hände. Und plötzlich merkt sie, dass sie Mama sehr sehr lieb hat, so sehr, dass es im Bauch kribbelt,
... und sie drückt ihr einen dicken Kuss auf die Wange.
Mama küsst Nina auf die Stirn und streicht ihr über das Haar. „Siehst du Nina, das Singen der Engel findet überall statt, nicht nur im Himmel, sondern immer dort, wo Menschen miteinander liebevoll umgehen. Dann, wenn man jemanden zeigt, dass man ihn mag.“
Nina grinst und hüpft auf und ab. „Bist du dann mein Engel, weil du mir abends etwas vorsingst, wenn ich ins Bett gehe? Dann sagst du ja auch, dass du mich lieb hast.“
Mama sperrt staunend die Augen auf. Dann lacht sie herzhaft: „Ja natürlich! Die Liebe ist das Wichtigste auf der Welt und du bist mein kleiner Engel, weil du mir ja auch oft etwas vorsingst und mir zeigst, dass du mich lieb hast.“
Das findet Nina nun aber so richtig gut.
Plötzlich fällt ihr etwas ein. Ihre Oma hat ihr neulich drei Wörter beigebracht. Sie nimmt sich ein großes Stück Papier und einen roten Buntstift und malt, so gut wie sie es kann, fünf Buchstaben darauf ...
Ein L, ein I, ein E, ein B und wieder ein E. Auf dem Papier steht jetzt ganz groß ‚LIEBE‘. Sie malt noch ein paar Herzen dazu.
Nina schaut sich nach Mama um. Die steht inzwischen wieder am Herd und rührt in einem Topf. Es riecht verführerisch nach Vanillepudding.
Nina schleicht sich wie eine Katze aus der Küche und ins Schlafzimmer ihrer Eltern.
Sie legt das Blatt mit dem Wort ‚LIEBE‘ auf Mamas Kopfkissen.
Schnell huscht sie in ihr Zimmer. Die Engel im Bauch kribbeln ganz doll.
‚Nun wird Mama ganz bestimmt die Engel im Himmel singen hören‘, denkt sie bei sich.
Und da hat sie Recht. Als ihre Mutter müde ins Bett geht, findet sie das Blatt Papier und liest ‚LIEBE‘.
Am nächsten Tag steckt sie es in einen Bilderrahmen, hängt es im Wohnzimmer an die Wand und drückt Nina fest an sich.
„Damit ich immer daran erinnert werde, welch einen kleinen Engel ich bei mir habe!“, sagt sie zu ihr.
Und Nina ist mächtig stolz auf sich.
Pusch! - knallten die Wellen gegen die großen Steine der Mole. Pusch!
Und schon hatte Emil viele kleine Spritzer im Gesicht, auf seiner Jacke und seiner Hose. Er kicherte über die unerwartete Dusche und presste seine Faust zusammen, damit die Leine darin nicht herausrutschte. Er war fest entschlossen, einen Krebs oder einen Seestern zu fangen.
In der anderen Hand hielt er einen Catcher, einen langen Stock mit einem Netz daran. Den hatte Ana, sein Kindermädchen, ihm noch kurz vor der Reise geschenkt und gesagt: „Fang mir was Schönes, Emil. Und dann bringst du es mir mit.“
Sie hatte gelacht und ihm zugezwinkert. „Vielleicht einen kleinen Seestern?“
Emil hatte gar nicht gewusst, dass es Sterne im Meer gab. Er kannte nur die am Himmel. Aber Ana meinte: „Überall hat der liebe Gott Sterne auf der Erde verteilt. Du musst nur ganz genau hinsehen.“
Das tat Emil nun. Aber so sehr er auch die Augen aufsperrte, er konnte keinen entdecken.
Vor ihm schlenderten Mama und Papa auf die große Fahnenstange zu, die den Abschluss der Mole bildete. Ihre Jacken blähten sich auf.
Emil grinste. Gleich würden sie wie sein Drachen vom Boden abheben und über den Rand der Steinmauer fliegen. Sie sahen in ihren bunten Regenjacken aus wie die dicken Kugelfische, die er gestern im Seeaquarium gesehen hatte, nur sehr viel größer.
Plötzlich ruckte etwas an seinem Band. Emil fuhr herum. Er hatte es ganz vergessen und auch das Stück Brötchen, das daran gebunden war.
„Papa, Mama, ich hab was gefangen!“, schrie er aufgeregt und zog die Leine aus dem Wasser. „Einen Krebs!“
Tatsächlich zappelte ein Taschenkrebs mit einer Schere an dem Köder. Sobald er in der Luft hing ließ er allerdings los und plumpste rücklings auf die Steinplatte.
Papa kam zu Emil, ging in die Hocke und drehte den Krebs vorsichtig herum. „Donnerwetter, da hast du ja ein tolles Exemplar erwischt“, lobte er seinen Sohn. Emil strahlte.
Auch Mama begutachtete den Fang. Sie hielt aber Abstand zu dem Krabbeltier, denn der Krebs begann schon damit, das Weite zu suchen und lief ausgerechnet zu den Füßen von Mama. Diese kreischte auf, sprang ein bisschen in die Luft und hüpfte zwei Meter weiter in sichere Entfernung.
Emil lachte laut los, weil es so komisch aussah und stülpte das Netz über das flüchtende Wesen.
Mama rief ihm zu, er solle das arme Tier doch wieder ins Wasser werfen. Das fand Emil allerdings nicht so toll.
„Nein, ich will ihn behalten! Ich will ihn in einer Tüte mit nach Hause nehmen und mit ihm spielen!“ Eigensinnig stampfte er mit dem Fuß auf. Das half manchmal, um seinen Willen durchzusetzen.
„Emil!“, mahnte der Vater den Vierjährigen streng. „Du bist alt genug, um zu verstehen, dass man Tiere damit quält, wenn man sie einsperrt. Diese Seetiere müssen dort bleiben, wo ihr natürlicher Lebensraum ist.“
„Was ist ein natürlicher Lebensraum, Papa?“
Mama warf Papa einen Blick in der Art zu – Tja, mein Lieber, jetzt geht´s los - das haste dir selbst eingebrocktüberleg dir gut, was du antwortest.
„Na ja, das erkläre ich dir später“, wich er aus. „Allerdings, da hab ich eine Idee, wir gehen ins Naturschutzhaus. Jetzt befreien wir erst einmal den Krebs.“
„Du Feigling!“, flüsterte Mama. Emil hatte es ganz genau gehört. Er sah von einem zum anderen. Wieso Feigling? Aber dann war der Krebs doch wieder wichtiger.
Er tauchte das Netz des Catchers mit Papas Hilfe vorsichtig ins Wasser. Die Wellen schlugen gegen den Stiel, der Krebs schlüpfte hinaus. Etwas Seetang blieb hängen ... und ein kleiner heller Stern. Emil riss die Augen auf.
Papa sagte erstaunt: „Ach, sieh mal einer an, ein Seestern. Und so ein schöner.“
Emil hüpfte von einem Bein auf das andere.
„Ein Seestern! Ein Seestern!“ Er freute sich riesig. Papa und Mama besahen sich den Fund.
„Oh, er ist nicht mehr lebendig“, meinte Mama.
„Wahrscheinlich ist er bei Ebbe getrocknet und wurde jetzt mit der Flut hochgeschwemmt. Du darfst ihn behalten.“
Emil war begeistert. Er hatte einen Seestern für Ana gefischt.
Als er zwei Tage später seinem Kindermädchen den Stern schenkte und die Geschichte vom Fang erzählte, drückte sie Emil herzlich an sich.
„Danke! Siehst du, wer genau hinguckt findet die Sterne. Und besonders dann, wenn man eine gute Tat vollbracht hat wie du, als du dem Krebs die Freiheit geschenkt hast.“
Dann legte sie den Stern in eine durchsichtige Schachtel.
Und immer, wenn Emil sie zu Haus besuchte, durfte er den Seestern herausnehmen und mit ihm spielen.
Ihr glaubt es nicht, aber diese Flohbiester sind wirklich eine Pest.