Winter - Edith Wharton - E-Book

Winter E-Book

Edith Wharton

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Beschreibung

Eine großartige, von einer Tragödie überschattete Liebesgeschichte voller Schlichtheit und Schönheit - ein amerikanischer Klassiker der Pulitzer-Preisträgerin und Autorin von "Zeit der Unschuld" Edith Wharton Auf einer abgelegenen Farm in Neuengland lebt Ethan Frome mit seiner sieben Jahre älteren, egoistischen und herrschsüchtigen Frau Zeena, die er nur geheiratet hat, um seiner Einsamkeit auf der Farm zu entrinnen. Als Zeenas hübsche junge Kusine Mattie auf die Farm kommt, um sich dort nützlich zu machen, bahnt sich eine schwere Krise an. Ethan und Mattie verlieben sich. Zeena ersinnt alle erdenklichen Intrigen, um Mattie loszuwerden. Ethan ist zu schwach, um sich gegen die Attacken sener Frau zur Wehr zu setzen, um zu verzweifelt, um einen Ausweg zu finden. Gemeinsam mit Mattie unternimmt er auf einer Schlittenfahrt einen Selbstmordversuch.  »So weit entrückt, so überwunden uns diese zugleich brüchige und zähe Welt zu sein scheint - in der Darstellung Edith Whartons ist sie auf beunruhigende Weise lebendig« (Kyra Stromberg/Süddeutsche Zeitung)

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz

 

ISBN 978-3-492-97970-2

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© William R. Tyler 1939

Die Originalausgabe erschien 1911 unter dem Titel »Ethan Frome« bei Charles Scribner’s Sons in New York.

© der deutschen Ausgabe Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG München 1986

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Vorspann

1 – Das Dorf lag unter …

2 – Als die Tänzer aus …

3 – Am unteren Ende des Holzplatzes …

4 – Sobald seine Frau weggefahren …

5 – Sie beendeten ihre Mahlzeit, …

6 – Am nächsten Morgen …

7 – Ethan trat auf den Gang …

8 – Als Ethan wegen der Krankheit …

9 – Am Kücheneingang wartete Daniel Byrne …

10 – Das nörgelnde Geleier verstummte, …

 

Ich habe die Geschichte nach und nach von verschiedenen Leuten gehört, und wie gewöhnlich in solchen Fällen war es jedesmal eine andere Geschichte.

Falls Sie einmal in Starkfield, Massachusetts, gewesen sind, kennen Sie das Postamt dort. Wenn Sie das Postamt kennen, müssen Sie auch Ethan Frome gesehen haben, wie er dort vorfuhr, die Zügel über seinen hohlrückigen Fuchs warf und sich über den Ziegelweg zu dem weißen Säulenvorbau schleppte: und Sie müssen gefragt haben, wer dieser Mann sei.

Dort sah ich ihn, vor etlichen Jahren nun, zum erstenmal, und sein Anblick verwirrte mich so, daß ich wie festgewurzelt stehen blieb. Selbst damals noch war er, obwohl nur mehr die Ruine eines Menschen, die beeindruckendste Erscheinung in Starkfield. Das Besondere an ihm war nicht so sehr sein außerordentlich hoher Wuchs, denn die »Einheimischen« waren im Vergleich zu den untersetzteren Fremden fast alle auffallend groß und hager: es war der Eindruck achtloser Kraft, den er vermittelte, trotz seines Hinkens, das jeden seiner Schritte hemmte, als ziehe er an einer Kette. Etwas Düsteres, Unnahbares lag in seinem Gesicht, und er war so steif und grau, daß ich ihn für einen alten Mann hielt und überrascht war, als ich hörte, er sei erst zweiundfünfzig. Diese Auskunft bekam ich von Harmon Gow, der in der Zeit vor dem Omnibus die Postkutsche zwischen Bettsbridge und Starkfield gefahren hatte und die Geschichte sämtlicher Familien an seiner Strecke kannte.

»So hat er immer schon ausgesehen, seit er damals seinen Unfall hatte, und im kommenden Februar ist das vierundzwanzig Jahre her«, sagte Harmon unter bedächtigen Pausen, in denen er seinen Erinnerungen nachhing.

Ja, der »Unfall« – erfuhr ich von demselben Gewährsmann – hatte Ethan Frome nicht nur mit der roten Schmarre quer über die Stirn gezeichnet, sondern ihm auch die rechte Seite so verkürzt und verkrümmt, daß es ihn sichtliche Anstrengung kostete, die paar Stufen von seinem Gefährt zum Postschalter hinaufzusteigen. Er pflegte jeden Tag um die Mittagsstunde von seiner Farm hereinzukutschieren, und da auch ich meine Post um diese Zeit abholte, begegnete ich ihm oft unter dem Vorbau oder stand neben ihm, während wir die Bewegungen der austeilenden Hand hinter dem Schalter verfolgten. Es konnte mir dabei nicht entgehen, daß er, obwohl er immer so pünktlich zur Stelle war, selten irgend etwas bekam außer dem Bettsbridge Eagle, den er ohne einen Blick darauf in seine ausgebeulte Tasche steckte. Von Zeit zu Zeit jedoch händigte ihm der Postmeister einen an Mrs. Zenobia – oder Mrs. Zeena – Frome adressierten Umschlag aus, der gewöhnlich unübersehbar in der oberen linken Ecke die Anschrift irgendeines Herstellers von pharmazeutischen Präparaten und den Namen seines Spezifikums trug. Auch diese Sendungen steckte mein Nachbar ein, ohne einen Blick darauf zu werfen, als wäre er schon zu sehr daran gewöhnt, um sich noch über ihre Häufigkeit und Vielfalt zu wundern; dann wandte er sich mit einem stummen Nicken zum Postmeister hin zum Gehen.

Jeder in Starkfield kannte ihn und grüßte ihn mit dem Ernst, den seine Miene einflößte; doch seine Schweigsamkeit wurde respektiert, und es geschah nur selten, daß ihn einer der älteren Männer des Ortes auf ein Wort zurückhielt. Wenn das geschah, hörte er ruhig zu, die blauen Augen auf das Gesicht des Sprechers gerichtet, und antwortete so leise, daß ich nie verstehen konnte, was er sagte. Dann stieg er steif auf seinen Wagen, nahm die Zügel in die Linke und fuhr langsam in der Richtung seiner Farm davon.

»Das war wohl ein ziemlich böser Unfall?« fragte ich Harmon, während ich Fromes davonhinkender Gestalt nachsah und überlegte, wie stattlich sein schmaler dunkler Kopf mit dem hellen Haarschopf auf den starken Schultern gesessen haben mußte, bevor sie so verbogen wurden.

»Furchtbar«, stimmte mir mein Informant zu, »mehr als genug, um die meisten Leute umzubringen. Aber die Fromes sind zäh. Ethan wird sicher noch hundert.«

»Mein Gott!« rief ich. In dem Augenblick hatte Ethan, der auf den Sitz seines Wagens geklettert war, sich umgedreht, um nachzusehen, ob eine hölzerne Kiste – auch sie trug eine Apothekeraufschrift – hinten auf dem Wagen sicher verstaut war, und ich erblickte sein Gesicht, wie es wohl aussah, wenn er sich allein glaubte. »Dieser Mann soll hundert werden? Er sieht ja jetzt schon aus, als wäre er tot und in der Hölle!«

Harmon zog einen Riegel Tabak aus der Tasche, schnitt sich eine Ecke ab und schob sie sich in die lederne Backentasche. »Er hat wohl zu viele Winter in Starkfield zugebracht. Die mit was im Kopf gehen fast alle weg von hier.«

»Warum er nicht?«

»Jemand mußte doch bleiben und für die Leute sorgen. Da gab’s doch keinen außer Ethan. Erst sein Vater – dann die Mutter – dann seine Frau.«

»Und dann der Unfall?«

Harmon kicherte höhnisch. »Genau. Danach mußte er bleiben.«

»Verstehe. Und seit damals müssen sie für ihn sorgen?«

Harmon ließ nachdenklich seinen Tabak in die andere Backe hinüberwandern. »Oh! Was das angeht, das Sorgen hat wohl immer Ethan erledigt.«

Harmon Gow erzählte die Geschichte zwar so weit, wie sein geistiger und moralischer Horizont es zuließen, aber es gab da merkliche Lücken zwischen den von ihm berichteten Tatsachen, und ich hatte das Gefühl, daß die tiefere Bedeutung der Geschichte in diesen Lükken verborgen liege. Doch ein Satz hatte sich mir im Gedächtnis festgesetzt und diente als Kern, um den herum sich meine weiteren Vermutungen bewegten: »Er hat wohl zu viele Winter in Starkfield zugebracht.«

Bevor meine eigene Zeit dort um war, hatte ich begreifen gelernt, was das bedeutete. Dabei war ich erst in den degenerierten Tagen der Omnibusse, des Fahrrads und des Landbriefträgers gekommen, als die Verbindungen zwischen den verstreuten Gebirgsdörfern einfach waren und es in den größeren Orten in den Tälern, wie Bettsbridge und Shadds’s Falls, Bibliotheken, Theater und Y.M.C.A.-Vereinslokale gab, wo die Jugend aus der Umgebung Unterhaltung finden konnte. Doch als der Winter sich lähmend über Starkfield legte und das Dorf unter einem Schneelaken begrub, das der blasse Himmel unaufhörlich erneuerte, begann ich zu verstehen, was das Leben dort – oder eher das Nicht-Leben – in Ethan Fromes Jugendjahren gewesen sein mochte.

Ich war mit einem Auftrag im Zusammenhang mit dem großen Kraftwerk der Corbury Junction heraufgesandt worden, und ein langwieriger Streik der Zimmerleute hatte die Arbeiten so aufgehalten, daß ich schließlich den größten Teil des Winters in Starkfield, dem nächstgelegenen bewohnbaren Flecken, festsaß. Erst ärgerte ich mich, dann fand ich unter der hypnotisierenden Wirkung der Routine allmählich eine grimmige Befriedigung an diesem Leben. In der ersten Zeit meines Aufenthalts hatte ich mich über den Gegensatz zwischen dem belebenden Klima und der Leblosigkeit der Dorfgemeinschaft gewundert. Tag für Tag strahlte nach den Schneefällen im Dezember ein leuchtend blauer Himmel glitzernde Ströme von Licht und Luft auf die weiße Landschaft herunter, die sie verstärkt zurückwarf. Man hätte meinen sollen, eine solche Atmosphäre müsse die Gefühle und das Blut in Wallung bringen, doch sie schien keinen anderen Wandel hervorzurufen, als daß der träge Pulsschlag von Starkfield noch matter wurde. Als ich dann etwas länger dort war und die langen Wochen sonnenloser Kälte, die auf das kristallklare Wetter folgten, erlebt hatte, als die Februarstürme ihre weißen Zelte um das gottergebene Dorf aufschlugen und die wilde Kavallerie der Märzorkane hinterdreinstürmte, wurde mir allmählich klar, warum Starkfield aus dieser sechsmonatigen Belagerung hervorging wie eine ausgehungerte Festung, die bedingungslos kapituliert. Zwanzig Jahre früher waren wohl die Mittel zum Widerstand noch weit geringer gewesen, der Feind hatte damals alle Verbindungswege zwischen den belagerten Dörfern in seiner Gewalt, und angesichts dieser Tatsachen fühlte ich nun die finstere Überzeugungskraft von Harmons Satz: »Die mit was im Kopf gehen fast alle weg von hier.« Aber wenn dem so war, was für eine Verkettung von Hindernissen mußte das gewesen sein, die einen Mann wie Ethan Frome an der Flucht hindern konnte?

Während meines Aufenthalts in Starkfield wohnte ich bei einer Witwe mittleren Alters, von der am Ort nur als von Mrs. Ned Hale die Rede war. Mrs. Hales Vater war der Dorfanwalt der vorigen Generation gewesen, und »Anwalt Varnums Haus«, in dem meine Zimmerwirtin immer noch mit ihrer Mutter lebte, war das ansehnlichste Haus im Dorfe. Es stand an dem einen Ende der Hauptstraße, und von seiner klassizistischen Säulenveranda und den in kleine Scheiben unterteilten Fenstern konnte man auf einen mit Steinplatten gepflasterten und von Norwegerfichten gesäumten Weg bis hinunter zum schlanken weißen Turm der Kongregationalistenkirche sehen. Mit dem Reichtum der Varnums war es offensichtlich schon lange aus, doch die beiden Frauen taten, was sie konnten, um sich eine bescheidene Würde der Lebensführung zu bewahren, und besonders Mrs. Hale besaß eine gewisse bleiche Vornehmheit, die nicht schlecht zu ihrem verwitterten altmodischen Haus paßte.

In der »guten Stube« mit ihren schwarzen Roßhaar- und Mahagonimöbeln hörte ich jeden Abend im schwachen Schein einer gurgelnden Carcellampe eine andere, zarter getönte Version der Starkfieldchronik. Nicht daß Mrs. Hale gegen die Menschen um sie herum gesellschaftliche Überlegenheit empfunden oder an den Tag gelegt hätte, sie war eben zufällig feinfühliger und hatte etwas mehr Bildung, was sie gerade so weit von ihren Nachbarn schied, daß sie sie unvoreingenommen beurteilen konnte. Sie ließ sich nicht ungern dazu bewegen, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen, und ich hegte große Hoffnungen, von ihr die fehlenden Fakten von Ethan Fromes Geschichte zu erfahren oder vielmehr: einen Schlüssel zu seinem Charakter geliefert zu bekommen, mit dessen Hilfe ich die mir bekannten Fakten einander zuordnen könnte. Ihr Kopf war ein Speicher harmloser Anekdoten, und jede Frage nach ihren Bekannten brachte eine Fülle von Einzelheiten zutage; doch beim Thema Ethan Frome stieß ich bei ihr auf unerwartete Zurückhaltung. Ihre Reserviertheit deutete nicht die leiseste Mißbilligung an; ich spürte nur in ihr eine unüberwindliche Abneigung, von ihm oder seinen Angelegenheiten zu sprechen. Ein leises »Ja, ich kannte sie beide … es war furchtbar …« schien das höchste Zugeständnis an meine Neugier zu sein, das sie in ihrer Bedrängnis machen konnte.

So auffallend war diese Veränderung in ihrem Verhalten, solche Tiefen traurigen Eingeweihtseins ließ sie ahnen, daß ich, trotz einiger Skrupel in Bezug auf mein Feingefühl, den Fall wieder meinem Dorforakel Harmon Gow vorlegte. Aber alles, was ich mir für meine Mühe einhandelte, war ein verständnisloses Brummen.

»Ruth Varnum war immer ängstlich wie eine Maus, und, naja, wenn man’s bedenkt … sie hat sie halt als erste gesehen, als sie aufgelesen wurden. Es ist ja direkt unter Anwalt Varnums Haus passiert, unten an der Biegung der Straße nach Corbury und etwa um die Zeit, als Ruth und Ned Hale sich verlobten. Die jungen Leute waren ja alle miteinander befreundet, und sie kann es wohl nicht ertragen, davon zu reden. Sie hat genug eigenen Kummer gehabt.«

Alle Einwohner von Starkfield hatten, wie die in ansehnlicheren Ortschaften auch, genug eigenen Kummer gehabt, um sie dem Leid ihrer Nachbarn gegenüber verhältnismäßig gleichgültig werden zu lassen; und obwohl alle zugestanden, daß Ethan Fromes Heimsuchungen das gewöhnliche Maß überstiegen hatten, gab mir niemand eine Erklärung für den Ausdruck in seinem Gesicht, den, wie ich weiterhin meinte, weder Armut noch körperliches Leiden allein dort hervorgerufen haben konnten. Trotzdem hätte ich mich mit der notdürftig aus diesen Andeutungen zusammengestückelten Geschichte begnügt, wäre da nicht Mrs. Hales provozierendes Schweigen gewesen und hätte mich nicht – etwas später – der Zufall mit dem Mann persönlich zusammengeführt.

Bei meiner Ankunft in Starkfield hatte ich mit Denis Eady, dem reichen irischen Kaufmann und Besitzer von etwas, das in Starkfield noch am ehesten einem Mietstall gleichkam, die Übereinkunft getroffen, daß er mich täglich nach Corbury Flats befördern lasse, wo ich meinen Zug zur Junction nehmen mußte. Doch noch bevor der Winter halb vorbei war, erkrankten Eadys Pferde an einer im Ort grassierenden Seuche. Die Krankheit breitete sich rasch auf alle anderen Ställe in Starkfield aus, und ein, zwei Tage lang war ich in der unangenehmen Lage, mir ein anderes Beförderungsmittel suchen zu müssen. Dann meinte Harmon Gow, Ethan Fromes Fuchs sei doch noch auf den Beinen und sein Besitzer sei sicher gern bereit, mich hinüberzufahren.

Ich starrte ihn auf diesen Vorschlag entgeistert an. »Ethan Frome? Aber ich habe noch nie mit ihm gesprochen. Warum um alles auf der Welt sollte er sich meinethalben solche Umstände machen?«

Harmons Antwort überraschte mich noch mehr: »Das weiß ich nicht so gut wie er, aber ich weiß, es wär’ ihm nicht leid, einen Dollar zu verdienen.«

Ich hatte bereits gehört, daß Frome arm sei und daß die Sägemühle und die dürren Äcker seines Hofes kaum genug abwarfen, um seinen Haushalt durch den Winter zu bringen; aber ich hatte mir nicht vorgestellt, daß er in solcher Not sei, wie ich nun aus Harmons Worten schließen mußte, und ich gab meiner Verwunderung Ausdruck.

»Ja, er hat halt nicht gerade allzuviel Glück gehabt«, sagte Harmon. »Wenn einer zwanzig Jahr’ und mehr herumkriecht wie ein lahmer Hund und immer sieht, was alles nicht gemacht wird, frißt das an ihm, und er verliert seinen Mumm. Die Frome-Farm war immer blank wie ’ne Milchschüssel, wenn die Katze drüber war, und Sie wissen ja, was so eine alte Wassermühle heutzutage wert ist. Als Ethan noch von früh bis spät auf beiden rumrackern konnte, hat er wohl gerade soviel rausgeholt, daß er ein Auskommen hatte, aber seine Leute haben schon damals fast alles aufgebraucht, und ich weiß nicht, wie er heute zurechtkommt. Erst hat sein Vater beim Heuen draußen den Tritt abgekriegt und ist schwach im Kopf geworden und hat, bevor er gestorben ist, mit dem Geld um sich geworfen, als wären’s Bibelsprüche. Dann ist die Mutter wunderlich geworden und war jahrelang hilflos wie ein Baby; und seine Frau Zeena, die hat in der ganzen Gegend von jeher nicht ihresgleichen im Rumdoktern gehabt. Krankheit und Sorgen, davon hatte Ethan den Teller immer randvoll, vom allerersten Austeilen an.«

Als ich am nächsten Morgen hinausschaute, sah ich zwischen den Fichten vor Varnums Haus den hohlrückigen Fuchs und Ethan Frome, der das abgewetzte Bärenfell zurückschlug und mir neben sich im Schlitten Platz machte. Eine Woche brachte er mich nun jeden Morgen nach Corbury Flats und holte mich auf meinem Rückweg am Nachmittag dort wieder ab, um mich durch die eisige Nacht nach Starkfield zu fahren. Die Strecke betrug jeweils kaum drei Meilen, doch der alte Fuchs ging nur langsam, und selbst mit festem Schnee unter den Kufen waren wir fast eine Stunde unterwegs. Ethan Frome kutschierte schweigend, die Zügel lose in der Linken, und sein braunes, zerfurchtes Profil unter der helmartigen Schirmmütze hob sich von den Schneebänken ab wie das Bronzebild eines Helden. Nie wandte er mir das Gesicht zu oder antwortete anders als einsilbig auf die Fragen, die ich ihm stellte, oder die kleinen Scherze, die ich mir erlaubte. Es war, als sei er ein Teil der stummen, melancholischen Landschaft, eine Verkörperung ihres gefrorenen Leides, und alles, was warm und fühlend in ihm war, schien tief unter der Oberfläche begraben; aber sein Schweigen hatte nichts Unfreundliches. Ich hatte einfach das Gefühl, daß er in einer Tiefe geistiger Isolation lebe, zu der es keinen beiläufigen Zugang gab, und ich empfand, daß seine Einsamkeit nicht nur von seinem, persönlichen Geschick herrühren könne, so tragisch es wohl war, sondern, wie Harmon Gow angedeutet hatte, die tief aufgestaute Kälte vieler Starkfielder Winter in sich einschloß.

Nur ein- oder zweimal überbrückten wir für einen Augenblick die Distanz zwischen uns, und die Einblicke, die ich dabei kurz von ihm erhaschte, bestätigten mich in meinem Wunsch, mehr zu erfahren. Einmal kam ich zufällig auf einen Ingenieurauftrag zu sprechen, der mich im Vorjahr nach Florida geführt hatte, und auf den Gegensatz zwischen der Winterlandschaft um uns herum und der Gegend, in der ich vor einem Jahr gewesen war; da sagte Frome zu meiner Überraschung plötzlich: »Ja, ich war auch einmal dort unten, und noch lange danach konnte ich mir das Bild davon im Winter in Erinnerung rufen. Aber jetzt ist es vollkommen zugeschneit.«

Mehr sagte er nicht, und ich mußte den Rest aus dem Ton seiner Stimme und seinem brüsken Wiederverstummen erraten.

Einmal vermißte ich, als ich in Corbury Flats in meinen Zug stieg, ein Buch, ein populärwissenschaftliches Werk – über einige neue Entdeckungen der Biochemie, glaube ich –, das ich mitgenommen hatte, um es auf der Fahrt zu lesen. Ich dachte nicht mehr daran, bis ich es am Abend in Fromes Hand sah.

»Ich habe es gefunden, nachdem Sie schon fort waren«, sagte er.