Winterferien mit Penny - Lise Gast - E-Book

Winterferien mit Penny E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Auch in den Winterferien erleben die Freundinnen Ursula und Penny in spannende Abenteuer bei Tante Trullala. Ein Mädchenroman-Klassiker, der jungen Lesern beste Unterhaltung bietet und Fans von Lise Gast in Nostalgie schwelgen lässt. Weihnachtsferien bei Tante Trullala in Hohenstaufen! Etwas Herrlicheres kann Ursula sich gar nicht vorstellen. Hier trifft sie ihre beste Freundin Penny wieder. Beide unternehmen lustige Schlittenfahrten und toben mit den Hunden durch den Schnee. Das Weihnachtsfest und die Silvesternacht lassen sich hier, außerhalb der Großstadt, mit Punsch und lustigen Spielen viel schöner feiern. Nur über ihren Bruder Til und die Zwillinge Rolf und Roland muss sich Ursula von früh bis spät ärgern. Besonders Til ist manchmal recht ungezogen zu den Erwachsenen. Den Mädchen gegenüber spielt er sich großspurig und streitsüchtig auf. Doch eines Tages beweist Til, dass er nicht nur ein lästiger jüngerer Bruder, sondern ein kameradschaftlicher und hilfsbereiter Freund sein kann.

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Brüder zu haben, das ist so eine Sache. In meiner Klasse sind Mädchen, die haben überhaupt keine Geschwister, weder Schwestern noch Brüder, und die meinen, Brüder sind etwas Herrliches. Ältere vielleicht, die mögen ganz nett sein. Solche, die einem bei den Schularbeiten helfen oder das Fahrrad flicken oder sonst nützlich und hilfreich sind, wenn man nicht weiter weiß. Jüngere aber…

Til ist zehn, also ungefähr zwei Jahre jünger als ich. Und ich hatte gedacht, wir hätten uns im letzten Sommer sozusagen zusammengerauft, als wir zwei bei Tante Trullala in Hohenstaufen waren. Das stellte sich aber leider als Irrtum heraus. Er wird immer frecher und naseweiser, und da ist es kein Wunder, daß Ralf und Roland, jetzt fast acht, mit mir genauso umspringen wie er. Und unser Jüngstes ist nun auch wieder ein Junge geworden, ich nenne es deshalb immer noch „das Baby“, da merkt man es nicht gleich. Ich hätte so gern eine Schwester gehabt! Ein einziges Glück, daß es Penny gibt.

Penny heißt eigentlich Penelope und ist Tante Trullalas Pflegetochter; Pennys Mutter ist gestorben, und ihr Vater ist dauernd auf Reisen. Ich konnte Penny erst nicht ausstehen, aber jetzt habe ich sie schrecklich lieb, sie ist ein wundervoller Kamerad und sehr unternehmungslustig, immer fällt ihr etwas ein. Neulich in der Schule wurden wir gefragt, was für Eigenschaften wir bei einem Menschen gar nicht mögen. Unsere Lehrerin erwartete wohl, daß wir schrieben: Zanksucht, Faulheit, Liederlichkeit oder ähnliches. Sie war jedenfalls sehr erstaunt, als sie las, was ich, dreimal unterstrichen, hingeschrieben hatte, nämlich: Langweiligkeit.

„Erstens ist das eigentlich kein Wort“, sagte sie, etwas mühsam nach dem richtigen Ausdruck suchend, „oder doch eins, das du erfunden hast. Ich habe es jedenfalls noch nie irgendwo gelesen. Meinst du wirklich, das sollte man als erstes nennen? Ist Lügenhaftigkeit oder etwas ähnliches nicht viel häßlicher?“

„Häßlicher vielleicht, aber Langweiligkeit ist das Schlimmste“, beteuerte ich und setzte mich wieder. Wenn sie schon nach meiner Meinung fragt, muß ich auch antworten. Hätte ich „Faulheit bei den Schularbeiten“ hingeschrieben, so wäre ich lügenhaft gewesen, aber sie hätte mich gelobt…

Nun, dies alles hat mit Til nichts zu tun, von dem ich gerade erzählen wollte. Ich mußte mich am schönsten Tag des Jahres, am Heiligen Abend, schrecklich über ihn ärgern und für ihn schämen. Dabei sollte es ein wunder-, wunderschönes Weihnachten werden, unser erstes in Hohenstaufen. Eigentlich wollten wir wie immer daheim feiern, und am ersten Feiertag sollte ich dann zur Tante fahren. Penny aber bettelte und bettelte, bis Tante uns alle, die ganze Familie, schon für das Fest zu sich einlud. Am zweiundzwanzigsten bekamen wir Ferien, und sofort nach der Schule fuhren wir los, mit Mann und Maus und allen Weihnachtsgeschenken und Überraschungen für groß und klein.

„Nur den Baum braucht ihr nicht mitzubringen“, sagte Tante am Telefon, „dafür sorgen wir, Penny und ich. Und ein bißchen sonst was wird auch noch da sein…“.

Was bei Tante Trullala „ein bißchen sonst was“ bedeutet, konnte ich mir vorstellen. „Aber gebt ja der Eisenbahn die Sporen, damit sie sich beeilt; ich werde bestimmt eine Stunde vorher schon auf dem Bahnsteig stehen und mir die Nasenspitze erfrieren vor lauter Sehnsucht und Vorfreude.“

Ja, das sah Tante Trullala ähnlich! Auf dem Bahnhof stehen, eine Stunde vor Ankunft des Zuges, der doch nie eher, meist sogar später kommt! Aus lauter Sehnsucht und Vorfreude! Tante Trullala gibt’s nur einmal auf der Welt!

Wir sind also eingetrudelt, ohne Verspätung, und ihr in die Arme gesunken, und Onkel Albrecht hatte aus seinem Kleinlieferwagen die hinteren Sitze herausgenommen und ein dickes Schaffell auf den Boden gelegt. Nun stellte er die Kofferraumklappe hoch und warf einen nach dem anderen von uns hinein; es gab ein Geschrei und Gequietsche und ein Durcheinander von zappelnden Beinen und verrutschten Pudelmützen, kaum fand man sich selbst wieder. Mutter mit dem Baby mußte auch hinten einsteigen, bekam aber einen kleinen ledernen Sitz, auf dem sie es bequemer hatte. Mit einem Kind auf dem Schoß soll man nicht vorn sitzen. Da thronte Tante Trullala, aber sie saß immer um sich selbst gedreht wie eine Schillerlocke und sprach unausgesetzt mit Mutter und uns, während der Onkel vom Bahnhofsplatz aus die ansteigende Straße hinauffuhr, die sehr bald in den Wald führt. Und dieser Wald war ein richtiger Weihnachtswald, dick beschneit wie in Bilderbüchern.

„Wenn es nur bis übermorgen nicht taut“, sagte Mutter, und Tante Trullala fügte hinzu:

„Nicht wahr! Damit der Weihnachtsmann nicht im Regenmantel mit Gummistiefeln kommen muß und das Christkind sich erkältet!“ Und dann schrie Mutter auf einmal: „Halt! Halt! Wir haben Vater verloren! Du mußt umdrehen, Albrecht!“

Der Onkel lachte laut.

„Er wollte laufen, hast du das nicht gehört? Er meinte, nach seiner vielen Schreibtischarbeit wäre ein zweistündiger Spaziergang das Allerschönste. Und so ist er gar nicht mit eingestiegen. Wenn ihr euch nicht so furchtbar wichtige Dinge erzählen müßtet, ob man die Gans mit Salbei oder mit Majoran brät, hättet ihr…“

„Wir haben gar nicht über Rezepte gesprochen“, ereiferte sich Tante Trullala, die sofort glaubte, er meinte es ernst. „Wir haben nur…“

„Gegackert“, unterbrach Onkel Albrecht, zog aber den Kopf zwischen die Schultern. Gegen Tante kommt er nicht auf, aber beim Autofahren erlaubt er sich manchmal, etwas zu sagen, was er sich sonst nicht traut. „Ich fahre in den Graben, ich fahre in den Graben!“ schreit er dann wie in höchster Angst, und sie streichelt und beruhigt ihn und gibt ihm in allem recht. Dann aber ist sie sofort wieder ohne Übergang mit Mutter im Gespräch. Ja, die beiden haben es gut! Schwestern zu haben, muß wirklich schön sein.

Na, ich hatte ja jetzt Penny. Sie stand vor dem Haus, als wir um die Ecke bogen, und hopste von einem Bein aufs andere, während sie mit beiden Armen winkte. Sie könnte wirklich Tante Trullalas richtige Tochter sein, was das Temperament angeht, sie ist genauso lebhaft. Sonst aber – o nein, da ist keine Ähnlichkeit. Dünn wie ein Hering, schwarzhaarig mit pechdunklen Augen. Seit ihr im Herbst die Haare abgeschnitten wurden, weil sie so lange im Krankenhaus lag, trägt sie sie kurz. Früher waren es lange, verfilzte Zotteln, die ihr in die Augen hingen und von keinem Kamm der Welt zu durchfurchen waren. Insofern war es ein Glück, daß sie ins Krankenhaus mußte.

Manches ist ein Glück, was vorher wie ein Unglück aussieht. Zum Beispiel, daß ihr Vater keinen Beruf hat, bei dem er immer da ist. Er ist Zauberkünstler und dauernd in aller Welt unterwegs. Erst war das scheußlich für Penny, und dann wurde alles gut. Jetzt gehört sie zu Tante Trullala.

Penny konnte es kaum abwarten, bis ich ausgestiegen war. Sie packte mich bei der Hand und riß mich mit sich fort. Ich mußte mit ihr durchs ganze Haus rennen, treppauf, treppab, in „unser“ Zimmer hinauf und hinunter in die Werkstatt, wo die Streifenhörnchen hausen und die Katzen Junge kriegen, und in den Stall. Dort stand im Sommer einmal das Lama Lydia, das wir zur Pflege hatten.

„Weiß du noch, wie die Lydia den Rupert vollgespuckt hat?“ fragte ich atemlos. Penny nickte stürmisch und riß die Tür zum Zwinger auf, und jetzt stand ich stumm und staunend. Ja, darauf war ich allerdings nicht vorbereitet gewesen!

„Das ist Boss“, stellte Penny vor, „Boss, mein Hund, verstehst du, meiner! Ich hab’ einen Hund bekommen!“

Ich war völlig verblüfft.

„Weißt du, Rex war ja schon alt, und diesen Herbst ist er gestorben. Wir hatten ihn sehr lieb, Onkel und Tante und ich, aber als er immer schwächer wurde, da hat Tante gesagt, ich sollte jetzt ein eigenes Tier bekommen. Und da haben sie mir Boss geschenkt.“

Ich war noch immer sprachlos. Erstens, weil Rex nicht mehr lebte – ich kannte ihn von vielen Ferien her und hatte ihn natürlich lieb gehabt. Er war ein gelber Schäferhund mit einem buschigen Schwanz. Boss gehörte einer anderen Rasse an, und ich habe später in Tierbüchern nachgelesen und diese Rasse nie gefunden, deshalb ist mir Boss aber nicht weniger lieb. Er ist groß und dick, und größer als Rex. Sein Fell ist ganz schwarz bis auf einen hellen Ring um die Schnauze, der ihm sehr gut steht. Es ist lang und liegt in Wellen, also nicht so stachelhaarig wie manche Dackel und auch nicht gelockt wie Pudel. Es glänzt, wenn man es bürstet, und Penny bürstet es mit Eifer, sagte sie und machte es auch gleich vor.

„Er ist ein Eskimohund, weiß du“, erklärte sie eifrig, „so ein Schlittenhund, wie man sie da oben hat. Und er kann bestimmt einen Schlitten ziehen, auf dem wir beide sitzen, wir probieren es nachher gleich. Ich hab’ ihn noch nicht lange, aber Tante Trullala meinte, ganz ohne Hund…“, sie sprudelte weiter, und in meinem Herzen fand ein Zweikampf statt. Penny ging es bis vor einem halben Jahr, als sie zu Tante kam, nicht sehr gut. Die Mutter war tot und ihr Vater benahm sich so seltsam. Manchmal kam sie ganz verheult und hatte rote Striemen an den Armen. Wenn ich sie fragte, woher das komme, antwortete sie nicht. Aber meistens fragte ich gar nicht, das war besser.

Aber jetzt hatte sie es doch wirklich gut, war einziges Kind bei Onkel und Tante und durfte jeden Tag in dem geliebten Haus in Hohenstaufen sein, was für unsereins nur Ferien bedeutet und Ausnahme und langersehntes Ziel…! Und nun hatte sie auch noch einen eigenen Hund, und was für einen schönen!

Neid ist etwas Häßliches. Und ich beneidete sie auch nicht direkt.

Ich fühlte richtig, wie die beiden Muschs in mir miteinander rangen, die häßliche, neidische, aber so hundeliebe Musch und die andere, die immerzu sagte: „Gönn’ es ihr doch, gönn’ es ihr! Sie ist ein armer Kerl! Oder war lange Zeit einer…“ Nicht nur rangen, sondern boxten, kämpften, einander unterzukriegen versuchten.

Gottlob, die zweite siegte. Die neidische Musch wurde kleiner und kleiner, und die Musch, die Penny den Hund zu gönnen versuchte, siegte über sie.

„Da hast du aber was Tolles bekommen“, ich schluckte tapfer: „Ich gönn’ es dir, und er ist wunderwunderschön, darf ich ihn streicheln?“

„Du ja“, nickte Penny sofort, es kam wie der Donner nach dem Blitz, wenn das Gewitter genau über einem steht. „Ich hab’ ihm von Anfang an erzählt, daß du meine allerbeste Freundin bist und beinahe meine Schwester, oder sogar mehr als eine Schwester, denn Schwestern bekommt man und muß sie nehmen, wie sie sind. Aber Beinahe-Schwestern kann man sich aussuchen, so wie Tante mich als Beinahe-Tochter ausgesucht hat“, sie überkugelte sich und redete und redete, während ich mich hingehockt hatte und Boss streichelte. Er hat große goldene Augen und sah mich an, lieb und ein bißchen verwundert und hintergründig. Wer weiß, was im Kopf eines Hundes vor sich geht, wer weiß – vielleicht liebte er mich schon, weil Penny von mir erzählt hatte?

Wenn ich mir das einen sehnsüchtigen Augenblick lang eingebildet hatte, so wurde ich im nächsten schon enttäuscht. Tante Trullala rief nach uns, und Penny flitzte mit der Geschwindigkeit, die nur sie hat, die Treppe hinauf. Ich konnte aus meiner Hockstellung nicht so schnell auf, aber Boss, der konnte! Im Augenblick war er unter meiner streichelnden Hand verschwunden und hinter ihr hergesaust. Ich hockte ziemlich blöde da und starrte beiden nach.

Zu Hause wird pausenlos nach mir gerufen. Da gewöhnt man sich an, nicht sofort loszurennen, sonst bliebe man womöglich nicht am Leben. Jetzt aber saß ich da und merkte daran, daß Boss eben doch Penny gehört, auch innerlich, mit der Seele.

Nun ja. Ich versuchte, mir die Stimmung nicht verderben zu lassen, ich hatte mich ja so auf alles hier gefreut. Und es wurde doch dadurch nicht anders, daß Penny so einen schönen Hund hatte. Ich richtete mich also aus meiner Hockstellung auf und folgte den beiden in etwas gemäßigtem Tempo, nicht so langsam wie zu Hause, aber auch nicht in Pennys Geschwindigkeit. Und dann ging alles unter in einem fröhlichen Tischdecken zum Nachmittagskaffee, wobei eine strahlende Tante Trullala den Stollen anschnitt.

„Endlich mal wieder ein vollbesetzter Tisch“, seufzte sie, tief zufrieden. „Seit die Jungen verheiratet sind, kommt das selten genug vor. Mal ist die eine Familie hier zu Besuch und mal die andere, alle zusammen fast nie mehr. Na, wenn Penny heiratet, dann!“

Wir sahen die spindeldürre kleine Penny an und mußten lachen. So bald würde das nicht sein!

Nach der langen Fahrt schmeckte es herrlich, und dann rannten Penny und ich noch ein bißchen hinaus, ehe es ganz dunkel war, und versuchten zu rodeln. Es ging aber nicht, der Schnee mußte sich erst setzen, er lag dick und locker, und es begann schon wieder von neuem zu schneien. So tobten wir nur mit Boss durch den Schnee, rannten zum Freibad hinunter, wo wir im Sommer schwimmen gehen, guckten zu den Schafen hinein, die wir noch nicht begrüßt hatten – sie wohnen in einem Verschlag auf der Hangweide –, und trollten uns erst nach Hause, als wir kaum mehr die eigene Nasenspitze sehen konnten. Tante Trullala hatte im Wohnzimmer eben den großen Tisch abgewischt und das Pochbrett mitten darauf gestellt, sie schüttete das Spielgeld auf einen Haufen und lachte uns zu, als wir atemlos und mit nassen Gesichtern hereinplatzten.

„Bravo! Genau im richtigen Augenblick! Wir wollten gerade anfangen zu spielen. Jeder nimmt sich erst einmal zwanzig Pfennige.“

Und nun ging es los. Tante spielte mit, die Zwillinge, Til, Penny und ich, und Mutter saß mit dem Baby auf dem Schoß dabei und schwatzte zwischendurch mit Tante. Vater, mittlerweile auch eingetrudelt, hatte sich zu Onkel Albrecht in die Ofenecke verzogen; die beiden sprachen halblaut miteinander. Til versuchte zu mogeln, was man ja auch beim Pochspielen kann. Ich ärgerte mich. Ihn verpetzen wollte ich nicht, aber ich genierte mich für ihn als für meinen Bruder. Einmal trat ich ihn kräftig unter dem Tisch, als er behauptete, er pochte auf drei Siebenen, und ich hatte zwei in meinen Karten, also konnte er keine drei haben. Er tat aber, als merkte er nichts, kassierte das Geld aus dem Pocher ein und spielte fröhlich an. Ich sagte nichts. Beim nächsten Spiel aber schlug ich vor, daß jeder, der pocht, seine Karten vorzeigen müßte. „Zur Kontrolle“, begründete ich.

„Ach, hier hat noch nie jemand versucht, falsch zu spielen“, meinte Tante Trullala fröhlich, „wer hat den König? Na also, Ralf, gut gemacht. Ihr beiden spielt ja schon wie die Teufel.“

Die Zwillinge strahlten, und ich hoffte, Til würde sich Tantes harmloses Vertrauen zu Herzen nehmen. Ob er es tat? Auf jeden Fall ertappte ich ihn nicht wieder, vorläufig wenigstens. Das war mir schon sehr wichtig. So verging der erste Abend in Hohenstaufen, und auf morgen freuten wir uns schon wie verrückt. Penny und ich schliefen in einem Zimmer. Wir schwatzten noch ewig, und Boss lag zwischen unseren Betten und schnarchte wie ein Bär.

Am nächsten Morgen wurden wir geweckt von dem Alarmruf: „Alles raus zum Schneeschippen!“ Das fand ich gut. In der Stadt geht einen das Wetter überhaupt nichts an, hier aber lebt man sozusagen mit der Natur Hand in Hand. Und es hatte geschneit, Himmel, nicht geschneit, geschüttet! Penny und ich waren sofort ans Fenster gesprungen und hangelten uns dann – das Waschen ließen wir sein – in die Trainingsanzüge, um zuerst zur Stelle zu sein. Onkel Albrecht freilich, der uns geweckt hatte, schaufelte schon, er war nicht mehr zu überrunden. Von allen anderen aber war noch nichts zu sehen.

„Wunderschön, das lob’ ich mir!“ lachte Onkel, „ihr seid wirklich flink wie die Wiesel. Boss, wirst du wohl, andere Hunde haben auch ihre Daseinsberechtigung!“

Boss war nämlich hinter einem Nachbardackel hergeschossen, der sich schleunigst in Sicherheit brachte. Als wir fertig mit Schneeschaufeln waren, erschien Til.

„Ach, ihr habt schon? Ich wollte gerade helfen“, sagte er.

„Und warum kommst du da jetzt erst?“ konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.

„Ich mußte doch erst frühstücken“, antwortete Til hoheitsvoll und schulterte Onkels Schneeschaufel, um sie hineinzutragen, denn er hatte am Fenster Mutters Gesicht gesehen.

„Das ist fein, daß ihr alle so fleißig wart“, lobte sie uns denn auch prompt, als wir nacheinander, den Schnee an der Schwelle von den Schuhen stoßend, ins Haus traten. „Zu Hause sind Musch und Til nämlich gar nicht so schnell mit Helfen, Hohenstaufen wirkt sich günstig auf euch aus!“ sagte sie und zwinkerte uns zu. Ich ärgerte mich, verschluckte aber eine Antwort. Ralf und Roland, fand ich, hätten auch mitschippen können, sie sind acht, und mit acht mußte ich schon wer weiß wieviel helfen. Erst bei heißem Kakao und Butterbroten vergaß ich halb und halb meinen Ärger, als aber Til verlangte, er wollte Boss jetzt allein an der Leine ausführen, da schob sogar Mutter ein „Nein!“ dazwischen.

„Boss gehört Penny, und wenn jemand ihn ausführt, dann sie – und Musch“, fügte sie hinzu, als habe sie plötzlich gemerkt, was in meinem Herzen brannte. Ich war versöhnt – und mit Boss zusammen stürmten wir aus der Wohnstube, ohne erst den Tisch abdecken zu müssen. Mutter lachte hinter uns her. Draußen trafen wir auf Onkel, der uns fragte, ob wir mitwollten. Er ginge jetzt den Christbaum holen. Wir sprangen hoch vor Freude.

Das Christbaumholen ist hier nämlich auch anders als zu Hause. Dort kauft man den Baum, das ist zwar recht hübsch, zugegeben. Meistens stehen die Tannen und Fichten an irgendeinem malerischen Platz der Stadt, am Brunnen meinetwegen oder an der alten Stadtmauer, und man geht hin und guckt und dreht die Bäume und denkt sich aus, wie der, den man haben möchte, beschaffen sein muß. Wie hoch und wie buschig, und am liebsten eine Tanne, die nadelt nicht so schnell. Ich war schon manchmal dabei, wenn Mutter den Baum kaufen ging, und fand es immer spannend. Hier aber holte man den Baum im Wald! Im eigenen Wald sogar, wie Onkel Albrecht sagte. Das ist toll!

Wir kletterten also gleich hinterm Haus – es ist ja das letzte im Dorf – den Hang hinauf zu der Höhe, die „Spielburg“ heißt. Ein Kreuz steht ganz oben, und darunter ist ein freier Platz. Dort haben die Staufer früher ihre Turniere abgehalten, wird erzählt. Dann geht es wieder ein bißchen bergab, über eine Straße weg, die zu einem anderen Teil des Ortes läuft. Der Weg führt dann richtig bergauf, an der Flanke des Berges Hohenstaufen in die Höhe. Da steht Wald, Mischwald, aber vorwiegend Nadelholz, Fichten also, auch vereinzelt Tannen, und hier kamen wir in Onkels Waldstück. Er zeigte uns, wo es anfing, gleich darauf aber merkte ich, daß er gar nicht mehr so fröhlich war wie vorher. Erst meinte ich, es käme vielleicht vom Steigen, das ihn anstrengte, er ist ja nicht mehr gertenschlank, eher rundlich wie Tante Trullala, und er schnaufte ganz schön. Dann aber begriff ich, daß er vor Ärger schnaufte.

„Hier hat mir doch jemand – wahrhaftig! Hier – und hier auch – und da – einfach Bäume herausgeschlagen, und gerade die jungen, die weiterwachsen sollten.“ Er brummte und knurrte, wie man ihn sonst gar nicht kennt, richtig wütend. Penny und ich schlichen ganz still hinter ihm her. Da lag eine große Tanne gefällt schräg über unserem Weg, und die Spitze war abgesägt.

„Der schöne Baum! Haben sie ihn umgelegt, nur wegen der Spitze! Das ist doch häßlich“, sagte er kummervoll. „Seht euch das an! Und dann waren ihnen womöglich die Zweige nicht dicht genug, und da wurde die Spitze wieder weggeworfen und ein anderer Baum gefällt…“

Er strich über die Rinde des gefällten Baumes. Mir wurde richtig betrübt ums Herz. Wirklich, das war Waldfrevel!