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Die Sammlung »Wir sind kein Perpetuum mobile« umfasst fünfunddreißig Kürzestgeschichten, die ursprünglich im Rahmen kleiner Wettbewerbe auf der Schreibplattform Sweek veröffentlicht und teilweise unter die Finalistentexte gewählt wurden.
Thematisch befassen sie sich mit Liebe in all ihren Facetten, Reiseimpressionen, menschlichem Verlust, Alltags- und Traumszenarien, Leben und Tod, einem nächtlichen Roadtrip und weiteren teilweise skurrilen und seltsamen Szenarien.
»Wir sind kein Perpetuum mobile« ist eine vielfältige Lektüre für alle, die gerne lesen, aber kaum Zeit dafür finden - oder ganz einfach kurze Geschichten mögen. Perfekt geeignet auch als Vorlesegeschichten für jene, die angeblich noch gar nicht müde sind, dann aber doch sofort einschlafen.
Folgende Beiträge sind enthalten:
Der Tag, an dem die Fee ihren Monolog führte, war ein Meilenstein der Abwärtsspirale / All die schönen Frauen da draußen / Wir sind kein Perpetuum mobile / Sonne, Blut und Donuts – alles wie immer / Dieses kleine, geregelte Leben / Tür an Tür / Durch die Vordertür stürmen, durch die Hintertür türmen / Der richtige Anfang oder die Sache mit den Schreibratgebern / Sachen packen / Hanoi. Eine Skizze / Abtauchen / Das Ende aller Pläne / Roofing: On the top of the world / Jägerzaunmentalität – Tempus fugit, Junge! / Mein Disneyland brennt / Die Instrumente deines Orchesters / Der vollkommen normale Mann / Es war einmal … kein Märchen / Sein letzter Wille / Spätnachtnacktbaden / Käpt‘n Blaubär und Maya Papaya / So um die fünf vor zwölf / 2455. Keine Glückszahl / Tagewerk 2.0 / Bitte stirb nicht vor mir, Sophie ... / Philippe und Sophie / Philippe und Sophie. Injection-Remix / Wir sind Kunst / Hypozentrum sie, Epizentrum ich / Es soll dir gefallen ... / Keine Angst, Honey, die Monster sind aus Pappmaché und das Feuer ist noch fern / Das Flüstern der Chimären / Friede den Hütten ... / Unsere Welt[en] / Einlass (Dein japanisches Zimmer)
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Veröffentlichungsjahr: 2019
An jenem Tag hätte mir wahrscheinlich ein anständiger, warmherziger Dialog gutgetan. Stattdessen geriet ich in die folgende missliche Lage, über deren Ursprung ich mir noch heute manchmal den Kopf zerbreche, wenn ich mangels Alternativen zum unzähligsten Male ausprobiere, ob sich meine Finger hinter meinem Rücken berühren können.
Es war 5:20 Uhr, zu früh also. Mein Wecker klingelte mit dem mir vertraut-verhassten Klang eines Gerätes, das man schlechtgelaunt an einem miesen Tag erfunden haben musste. Ich trat müde in die Küche und hatte den Kühlschrank soeben geöffnet und den Milchkarton an die Lippen gesetzt, als eine Fee hinter mir zu einem Monolog ansetzte. Das war neu. Komplett neu. Ich schüttelte den Kopf, rieb mir die Augen. Dann gab ich mich stoisch und beschloss, einfach mal zuzuhören ...
Fragmente, an die ich mich erinnere: »Artgerechte Haltung, hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?« Die Fee flatterte derweil, akribisch um Eleganz bemüht, um meine Küchenlampe. »Was mich gleich zu meiner nächsten Frage bringt: Wie genau darf ich mir das vorstellen, Fett i.Tr.? Und wo ist der Unterschied zwischen heller und dunkler Sojasoße, abgesehen von der Farbe?« Ich hatte keine Stoppuhr zur Hand. Aber das Aufgehen, Untergehen und erneute Aufgehen der Sonne ließ mich erahnen, dass die Fee – sich – tatsächlich einiges zu erzählen hatte. Endlich sagte sie, gefolgt von einem erlösten Seufzen meinerseits: »Ach, übrigens, du hast einen Wunsch frei ...«
Ich wünschte mir, dass sie endlich ihre Fresse halten und verschwinden möge. Das war kein guter Tag. Seitdem ging es bergab.
Sein Blick war der eines Ratlosen, als er auf sein Glas starrte. »Einfach weg«, flüsterte er in seinen Whisky und sah dann mich an. »Gestern Abend haben wir noch Arm in Arm auf der Couch gesessen. Und jetzt ist sie einfach weg ...«
Ich schwieg einen Moment. »Sei ehrlich zu dir«, sagte ich endlich. »Wie oft hast du hier gesessen und mir erzählt, was alles nicht gut läuft zwischen euch. Im Ernst, ich meine, sie wollte einen 5-Sterne-All-inclusive-Urlaub in New York, du wolltest mit dem Rucksack durch Kambodscha, Sonnenaufgang in Angkor Wat. Ihr hattet nichts, das euch verband. Bei Stromausfall hättet ihr euch gemeinsam gelangweilt. Und dann der Sex. Da lief doch schon ewig nichts mehr zwischen euch. Deine Worte.« Ich machte eine kurze Pause. Nicht dramatisch, nur zum Atmen. »Die Tage, an denen ihr euch nicht gestritten habt, lassen sich an zwei Händen mitsamt Füßen abzählen. Und vergiss dabei nicht, dass ihr ein Zeh fehlt.«
Er seufzte. »Du verstehst gar nichts ...«
Ich verstand sehr wohl. Dass hier mein bester Freund saß, frisch verlassen, und dass es nichts gab, das ihm helfen konnte. Kein Gespräch, kein Rausch – nur die Zeit. Tage würden nicht ausreichend Kraft bündeln. Sie müssten sich erst verbünden, mit Wochen, Monaten, vielleicht Jahren, müssten ihn durch diesen Schmerz jagen.
»All die schönen Frauen da draußen ...«, setzte ich an.
Doch er unterbrach mich: »… sind mir egal. Denn sie sind nicht sie.«
Ich erhob mich und brutzelte ihm ein mitternächtliches Lazarett-Menü: Spiegelei. Proviant für den Weg in Richtung Heilung!
Vor einigen Jahren schon fiel dir einmal ein Sinnbild für euch beiden ein: Sie zu lieben, das sei wie barfuß durch eine Eiswüste zu laufen. Es glitzere in den anmutigen Farben der Eiskristalle, aber jeder Schritt würde schmerzen und nichts sei in greifbarer Nähe, das wärme. Doch hast du ihr dieses Sinnbild nie geschildert. Unweigerlich wäre die Frage aufgekommen, warum du dann mit ihr zusammen seist. Darauf hättest du keine Antwort gewusst, nur dieses Gefühl war da, dass du es sein wolltest. Sie war dekorativ, aber das war es nicht, es war schon Liebe.
Daran hieltst du fest, zapftest es an, dieses Wissen, wann immer du abends allein zuhause auf sie wartetest.
Sie wechselte so oft ihr Parfum, dass du irgendwann aufhörtest zu wissen, ob es noch ihres oder das eines anderen war. Als du dir wünschtest, sie zerschlüge die Möbel, statt nur kraftlos darauf zu kauern – auch da sagtest du nichts. Überhaupt sagtest du ihr nie sehr viel, weil jedes Gespräch, das du begannst, von ihr mit einem Streit beendet wurde. So nahmst du es hin, schrumpftest, während sie wuchs. Aber es war schon Liebe, murmelst du nun.
Wie oft wolltest du es ihr entgegen schreien, rotzig und trotzig, nach endlosen einsamen Tagen der Warterei: »Wach auf, verdammt! Wir sind kein Perpetuum mobile!« Aber dann bliebst du doch stumm, wann immer sie endlich in die Kissen fiel und nahezu sofort einschlief. Manchmal in deinem Arm.
Auch wir sind keine solche Maschine. Darum sage ich: »Zum Wohl, mein Freund!«
Blut. Sehr viel Blut.
McKay, Spurenanalytiker der Mordkommission, beugte sich über das Opfer. Weiblich, Anfang dreißig, weiß. Sie trug ein Blumenkleid.
Hat ihr den Tag auch nicht versüßt.
Dort, wo vorher ihr Kopf gewesen sein musste, lag ein großer Stein auf ihrem nach innen gedrückten Gesicht.
Was für eine Sauerei.
Nur äußerst selten empfand er Ekel gegenüber seinem »Klientel«. Heute war so ein besonderer Tag.
Er war zu seiner üblichen Zeit aufgestanden, ein Glas Wasser an der Spüle und einen Kaffee für den Weg, dann eine Stunde Stau. Die Donuts heute waren mies – der Mann hinter der Theke hatte ihm nicht nur die falschen, sondern dazu knochentrockene eingepackt. Verdrießliche Begrüßung seitens der Kollegen. Die morgendliche Sonne trieb ihm, während er dort kniete, den Schweiß aus den Poren. Er wischte ihn mit dem Ärmel seines Hemdes fort, bevor er auf den Boden fallen und sich dort unprofessionell mit dem Blut vermischen würde.
McKay versuchte, seinen Kopf freizubekommen und ließ das Szenario auf sich wirken.
So viel Blut.
Er hoffte, dass es zu ihm sprechen, ihm eine Antwort geben würde. Aber heute war nicht sein Tag. Sein Spürsinn, der ihm sonst eigen war, ließ ihn im Stich. Vor ihm lag kein Geheimnis, das sich ihm preisgab. Vor ihm lag lediglich ein weiteres Opfer, das diese Stadt gefordert hatte.