Wir zwei in neuen Welten - Kate Ling - E-Book

Wir zwei in neuen Welten E-Book

Kate Ling

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Beschreibung

Ich habe mich so sehr nach all den Dingen gesehnt, die das Leben lebenswert machen. Und ich hätte nie gedacht, dass ich diese Dinge tatsächlich bekomme. Aber jetzt gehören sie mir ... Und plötzlich habe ich etwas zu verlieren.

Seren und Dom konnten von der Ventura fliehen und gemeinsam mit Ezra und Mariana auf dem entfernten Planeten Huxley-3 landen. Zunächst erscheint die neue Welt wie ein Paradies. Das erste Mal in ihrem Leben befinden sich die vier außerhalb eines Raumschiffes, spüren den Wind in den Haaren und das kalte Meerwasser an den Füßen. Und niemand schreibt ihnen etwas vor! Doch schon bald wird diese neu gewonnene Freiheit zu einer unüberwindbaren Herausforderung. Sie sind völlig auf sich gestellt und allein auf einem Planeten, der mehr Gefahren birgt, als sie sich jemals hätten vorstellen können ...

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Seitenzahl: 404

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34

Über das Buch

Ich habe mich so sehr nach all den Dingen gesehnt, die das Leben lebenswert machen. Und ich hätte nie gedacht, dass ich diese Dinge tatsächlich bekomme. Aber jetzt gehören sie mir … Und plötzlich habe ich etwas zu verlieren. Seren und Dom konnten von der Ventura fliehen und gemeinsam mit Ezra und Mariana auf dem entfernten Planeten Huxley-3 landen. Zunächst erscheint die neue Welt wie ein Paradies. Das erste Mal in ihrem Leben befinden sich die vier außerhalb eines Raumschiffes, spüren den Wind in den Haaren und das kalte Meerwasser an den Füßen. Und niemand schreibt ihnen etwas vor! Doch schon bald wird diese neu gewonnene Freiheit zu einer unüberwindbaren Herausforderung. Sie sind völlig auf sich gestellt und allein auf einem Planeten, der mehr Gefahren birgt, als sie sich jemals hätten vorstellen können …

Über die Autorin

Kate Ling hat bereits Short Stories und Gedichte in verschiedenen Anthologien und Magazinen veröffentlicht, Die Anziehungskraft großer Gefühle, Band 1 der Ventura-Saga, ist ihr Romandebüt. Die Autorin schreibt bereits an der Fortsetzung.

KATE LING

Wir zweiin neuenWelten

DIE VENTURA-SAGAÜbersetzung aus dem Englischenvon Anja Hackländer

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Glow of Fallen Stars«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2017 by Kate Ling

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Tanja Østlyngen unter Verwendung von Motiven von © tomertu/shutterstock und © Ficus777/shutterstock

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7325-5622-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Kapitel 1

Das Wasser schwappt mir gegen die Hüfte, stemmt sich mir entgegen, zerrt mich hin und her. Es ist nicht blau und klar, wie ich es mir vorgestellt habe, sondern überzogen von einer blassen rosigen Staubschicht, bestehend aus feinen Schuppen, die sich bei meiner Berührung teilen und an meinen Fingern kleben bleiben, als ich die Hand hebe und sie staunend betrachte.

»Das ist die Asche von unserem Hitzeschild«, sagt Dom, der mich beobachtet. Sein Blick gleitet hinauf zu der tiefroten Sonne. »Na komm.«

Ezra ist uns ein paar Meter voraus, dem Ufer am nächsten, vornübergebeugt, um sich Wasser aus der Nase zu prusten. Er schüttelt den Kopf und brüllt etwas. Mariana geht vor uns, die Arme vor der Brust verschränkt, mit jedem Schritt langsamer. Mir geht es genauso. Ich habe das Gefühl zu schmelzen, vom Wasser verschlungen zu werden, aber Dom schleift mich beharrlich weiter.

Ezra dreht sich um, verzieht das Gesicht und sagt etwas, aber »… diese verdammte Schwerkraft …« ist alles, was ich verstehe, weil hinter uns ein lautes Zischen aus dem Shuttle dringt, das mit einer aufschießenden Dampfwolke vom Meer gekühlt wird.

Erst als das Wasser immer flacher wird, spüre ich seine ganze Macht, spüre die Schwerkraft, sodass ich gegen meinen Willen stehen bleibe.

»Wir haben es fast geschafft.« Dom drückt meine Hand. »Noch fünfzig Meter. Höchstens.«

Ich bringe nicht mehr zustande, als ihn mit offenem Mund anzustarren. Um seine Augen und seinen Mund herum haben sich dunkle Schatten gebildet, und während ich ihn ansehe, rinnt ihm ein Blutstropfen aus der Nase.

»Geht’s dir gut?«, frage ich mit gebrochener Stimme.

»Alles okay«, erwidert Dom. »An Land sehen wir weiter.«

Wir erreichen Mariana, die plötzlich ins Stolpern gerät und mit einem Mal im Wasser sitzt. Ich schiebe einen Arm unter ihre Achsel und ziehe sie hoch, um gemeinsam mit ihr weiterzugehen.

»Das ist echt …«, sagt sie an meinem Ohr, ohne den Satz zu beenden.

Vor uns liegt ein langer blasser Sandstrand, gesäumt von Bäumen und Sträuchern, die so dicht miteinander verwoben sind, dass sie einer undurchdringlichen Wand gleichen. Schwer zu sagen, ob der Sand tatsächlich rosa ist, die Blätter tatsächlich lila, blau und rot, wie sie in meinen Augen erscheinen, denn Huxley taucht alles in einen blutroten Dunst. Am Ende des Strands erblicke ich den flachen Zipfel einer Halbinsel, deren helle Felsen hinaus ins Meer ragen; in entgegengesetzter Richtung erhebt sich ein hoher schwarzer Berg, dessen scharfe Silhouette an die Klinge eines Messers erinnert, das jeden Moment umfallen könnte. Unzählige schwarze Felsen ragen steil in den Himmel, bis hinunter zum Ufer, ein ganzer Wald von Messerklingen, als wären sie aus dem Weltraum herabgeregnet, genau wie wir. Dieser Ort scheint so etwas regelrecht anzuziehen.

Die Explorer 37 heult auf wie ein sterbendes Seeungeheuer aus einem Katastrophenfilm, und ich werfe gerade noch rechtzeitig einen Blick über meine Schulter, um zu sehen, wie sich das Shuttle zur Seite neigt und hilflos seinen verletzten Flügel reckt, während eine orangefarbene Flüssigkeit wie ein Geysir in den Himmel schießt.

»Sie sinkt«, sage ich. »Sie darf nicht sinken.«

»Sie wird nicht sinken«, erwidert Dom, doch bevor ich genauer nachhaken kann, beugt er sich krampfartig vor und spuckt einen Schwall Blut ins Meer.

Ich drücke seine Hand und gehe mit letzter Kraft weiter, obwohl Marianas Gewicht so schwer auf mir lastet, dass ich mit jedem Schritt tiefer einsinke, während Dom neben mir ins Straucheln gerät und schmerzhaft mein Handgelenk verdreht. Nur indem ich mich auf Ezra konzentriere, der vor uns durch das flache Wasser stapft und kurz stehen bleibt, um sein Unterhemd auszuziehen, sodass er prompt von einer Welle umgerissen wird, schaffe ich es, mich irgendwie vorwärtszuschleppen.

Als uns eine weitere Welle erfasst, gelingt es Mariana und mir, uns dagegenzustemmen, doch ich spüre, wie Dom den Halt verliert und umgerissen wird. Hastig drehe ich mich um und packe mit beiden Händen zu, um ihn durch die Brandung zu schleifen, während sich die Welle wieder zurückzieht. Er rappelt sich auf, und wir nutzen den Moment, um loszurennen, bis wir nur noch knietief, dann knöcheltief im Wasser stehen. Keuchend lassen wir uns in den feuchten Sand fallen.

Der Himmel ist leuchtend pink, und es schneit. Wie kann das sein? Wie kann es schneien, wenn die Luft so drückend heiß ist, dass ich kaum Luft bekomme?

»Es schneit«, sage ich zu Dom, während ich zusehe, wie eine Flocke auf seiner Wange landet, dicht unter seinem geschlossenen Auge. »Es schneit«, sage ich erneut, diesmal zu Ezra, der etwas oberhalb am Strand liegt, seine Füße unweit von meinem Gesicht, sein Oberkörper auf die Ellbogen gestützt.

»Das sind nur unsere Überreste«, sagt Ezra. »Unser Weltraumschrott.«

Mariana liegt gut einen Meter von mir entfernt auf der Seite, umspielt von der Brandung, die ihr Haar ordnet und zerzaust. Ich sehe, wie sie sich mühsam aufrappelt, um eine dunkle Flüssigkeit auszuspucken.

»Komm«, sage ich, als sie sich einigermaßen erholt hat, und reiche ihr meine zitternde Hand.

Der Strand erstreckt sich in drei Ebenen über dem Meer, und ich bringe Mariana zu der mittleren, um weder dem Meer noch dem Waldrand zu nahe zu kommen. Dann kehre ich zurück zum Wasser, um Dom auf die Beine zu zerren und ihn zu stützen, bis er ein paar Meter weiter erschöpft in den Sand sinkt.

»Brauchst du Hilfe?«, frage ich Ezra, aber der schüttelt den Kopf und dreht sich kommentarlos auf die Seite, um uns den Rücken zu kehren.

Ich setze mich neben Dom und Mariana und betrachte Huxley, der in diesem Moment am Horizont versinkt, als würde er in einer blutroten Pfütze mit dem Meer verschmelzen.

»Sonnenuntergang.« Ich teste das ungewohnte Wort. »Abendrot.«

Mein Blick gleitet nach oben und schweift über den bunten Himmel, gezeichnet von leuchtendem Rot, Orange und Lila bis hin zu einem intensiven Blau, wo sich bereits die ersten Sterne abzeichnen.

»Es gab doch Monde? Waren da nicht zwei Monde?«

Niemand antwortet mir, und da ist kein Mond. Jedenfalls nicht im Moment.

Ich betrachte Dom, berühre den violetten Bluterguss unter seinen Augen, die sich im selben Moment öffnen und seltsam verdrehen, ehe er mich wirklich ansieht. Sein Blick wirkt ungewohnt trüb, nicht strahlend wie sonst, und diese Tatsache ist so schmerzlich, dass es mir die Kehle zuschnürt. Trotzdem versuche ich zu lächeln. Du wärst fast gestorben, denke ich, aber ich weigere mich, es laut auszusprechen. Dann fallen ihm erneut die Augen zu.

Ich habe diesen Sonnenuntergang schon mal beobachtet, durch das Panoramafenster der Ventura, die Handflächen an die kalte Scheibe gepresst, während Huxley hinter dem Planeten verschwand und sich für einen Moment orangerot verfärbte, sein Licht von der Atmosphäre gebrochen, von der Wasseroberfläche reflektiert.

Dabei habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, hier unten zu sitzen, hier an diesem Strand, die Zehen im Sand vergraben. Aber wenn ich auf meine Füße blicke und die Zehen bewege, kommt mir das alles unwirklich vor, denn es ist ganz anders als in meiner Vorstellung. Huxley ist in Wirklichkeit viel größer und unglaublich nah, sein roter Feuerball vom Horizont halbiert.

Urplötzlich gerät die Luft in Aufruhr. Sie zieht und zerrt an uns, rüttelt unbarmherzig an den Bäumen, verwirbelt die verbrannten Fetzen unserer Trümmer und peitscht mir den Sand ins Gesicht, sodass mir die Augen tränen und ich sie hastig schließe.

Mariana vergräbt ihr Gesicht an Doms Schulter und kreischt auf.

»Was ist das? Was ist das? Was ist plötzlich los?«, fragt sie panisch.

»Das ist nur der Wind«, sagt Dom, der ihr beruhigend übers Haar streicht. »Ich schätze, das ist normal.«

Ich lege mich neben ihn und senke meinen Kopf auf seine Brust.

»Es wird dunkel«, sage ich.

»Ja.« Er schluckt.

Von Huxley ist nur noch ein schmaler Streifen zu sehen, der immer mehr schmilzt und schwindet, bis nur noch sein farbenfroher Geist über den Himmel spukt.

»Und jetzt?«, frage ich Dom.

Er fährt sanft über mein Haar. »Wir sollten uns erst mal ausruhen und morgen früh überlegen, was zu tun ist.«

Obwohl mir vor Erschöpfung alles wehtut, kann ich nicht schlafen. Stattdessen liege ich wach und zittere, obwohl mir noch nie im Leben so warm war. Die Hitze ist so drückend schwül, dass meine Haut gar nicht trocknet, sondern eher noch feuchter wird. Zum Glück, denn unsere Uniformen, die wir beim Schwimmen abgestreift haben, liegen unten am Meeresgrund. Wir tragen nicht mehr als unsere Unterwäsche und eine feine Schicht Sand.

Das erste Geräusch, das aus dem Wald zu uns herüberdringt, lässt Dom vor Schreck hochfahren, sodass ich mir auf die Zunge beiße und Blut schmecke.

»Oh Gott, was ist das? Was ist das? Was ist das?«, kreischt Mariana.

»Halt mal den Mund, damit wir etwas hören«, sagt Ezra, der sich auf den Ellbogen stützt und angestrengt in den Wald späht.

»Was ist das was ist was ist das?« Mariana kann anscheinend nicht aufhören.

»Mann, halt endlich den Mund, okay?«

Wir liegen da und lauschen. Mieeep. Stille. Mieeep. Stille. Dann gesellt sich eine weitere Stimme hinzu. Ähnlich wie die erste, nur etwas tiefer. Im gegenseitigen Einklang.

»Insekten?«, vermutet Dom. »Kann doch sein, oder? Wie in diesen Dokumentarfilmen von der Erde. Insekten machen solche Geräusche.«

»Warum sollte das hier genauso sein?« Mariana hebt ihren Kopf. »Wir sind mehrere Millionen Kilometer von der Erde entfernt.«

Ezra lässt sich zurück in den Sand sinken. »Insekten klingt schon plausibel, aber soweit ich weiß, haben die Bio-Scans der Erkundungsflüge nur Spuren von mikrobiologischem Leben nachweisen können.«

»Tödliche Mikroben«, sage ich unwillkürlich. »Die Rede war von tödlichen Mikroben.«

Keiner sagt etwas, wir sitzen nur da und denken darüber nach.

»Na ja«, seufzt Ezra, »ziemlich laute Mikroben, würde ich sagen.« Damit verschränkt er die Arme vor seiner nackten Brust und dreht sich erneut auf die Seite.

Ich höre so angestrengt hin, dass ich vor Erschöpfung einschlafe, ganz ohne es zu wollen. Als ich wach werde, sind anscheinend mehrere Stunden vergangen, denn ich starre in den Himmel und erblicke das tiefblaue Banner eines glühenden Universums, das mich überwältigt, mich verschlingt, mich zurückfordert. Ich schlucke meine Angst herunter und betrachte die grenzenlose Finsternis. Im nächsten Moment stelle ich fest, dass sie sich bewegt, dass sich einzelne Sterne losreißen und den Himmel mit blassen Streifen überziehen, die sich bis zum Horizont erstrecken, ein lautloses Strömen, bezaubernd und beängstigend zugleich. Mein Zittern kehrt zurück, und Dom wird davon wach und streichelt meinen Arm.

»Was ist los?«, murmelt er.

»Sternschnuppen?«, frage ich. Ein Ausdruck, den ich schon oft gehört, aber nie richtig verstanden habe.

Er öffnet die Augen und betrachtet das lautlose Schauspiel. »Wow!«, sagt er, und irgendwie beruhigt mich das.

»Passiert das hier jede Nacht?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich glaube, das waren wir selbst. Unser Staub schwebt immer noch in der Atmosphäre.« Er schiebt seine Finger in mein Haar. »Das ist unsere Art, dem Planeten Hallo zu sagen.« Ich spüre sein Lächeln und muss ebenfalls lächeln. Dann wende ich den Kopf in seine Richtung, und wir küssen uns. Seine Lippen sind warm und sanft und schmecken leicht metallisch. Ich wünsche mir, dass der Kuss niemals endet, doch als es so weit ist, bleiben wir Nase an Nase liegen und betrachten die feuchten Augen des anderen.

»Ich habe solche Angst«, sage ich.

»Ich weiß«, erwidert er.

»Du nicht?«, frage ich mit einem Beben in der Stimme.

»Es wird schon alles gut«, sagt er, doch im nächsten Moment blickt er so starr und eindringlich über meine Schulter, dass Panik in mir aufsteigt. »Sieh mal«, sagt er mit einem Nicken, und ich drehe den Kopf herum.

Eine riesige pinkfarbene Scheibe erhebt sich langsam aus dem Meer, eine größere Version der Sonne, doch ohne ihre Leuchtkraft und Intensität; Huxleys geisterhafter Doppelgänger, umfangen von einer tiefen Stille, die uns beide überwältigt.

»Einer der Monde«, hauche ich.

Wir sehen zu, wie er den Himmel mit seinem riesigen Gesicht erfüllt.

»Mondaufgang«, flüstert Dom.

Ich sehe ihn an. »Gibt es so was?«

»Wenn wir es so nennen, ja. Ist doch unser Planet.«

Ich denke darüber nach, während ich den Mond anblinzle. Nur wenige Minuten später gesellt sich der zweite Mond hinzu, späht schüchtern über den Rand der Welt, kleiner und näher, ein treuer Begleiter, Freund, Liebhaber, Kind, und beide mustern uns neugierig, als würden sie sich fragen, was wir als Nächstes tun werden.

Kapitel 2

Wir haben die Hoffnung auf Tageslicht schon fast aufgegeben, als sich der Morgen klammheimlich an den Himmel stiehlt, erst als blasser Schimmer, dem wir nicht über den Weg trauen, dann in den unverkennbaren Farben der Dämmerung. Als Huxley am Horizont erscheint, erwecken uns seine wärmenden Strahlen und sein Licht zu neuem Leben.

Die Explorer treibt draußen vor der Küste, silbrig glänzend und schwarz verkohlt, ein Relikt aus einer anderen Welt, einem anderen Leben. Sie hält sich kaum noch über Wasser und ist über Nacht abgetrieben. Wenn wir nicht schleunigst etwas unternehmen, haben wir die Arschkarte gezogen (um es mit Ezras Worten auszudrücken).

Das Meer wirkt heute Morgen extrem aufgewühlt. Alle paar Sekunden rollen meterhohe Wellen herein, riesige glitzernde Wasserbögen, die uns locker überragen. Sie stürzen schäumend in sich zusammen, um sich am Strand zu verlieren – faszinierend, hypnotisierend, fesselnd.

Ich starre wie gebannt hin. »So war das doch gestern nicht, oder?«, sage ich und sehe aus dem Augenwinkel, wie Dom den Kopf schüttelt.

»Da ist immerhin ein riesiger Gegenstand reingestürzt. Aus dem Weltraum, meine ich …« Er zuckt mit den Schultern, dann sieht er mich an. »Zum Glück können wir schwimmen.« Er legt einen Arm um meine Schultern. »Der Schwimmunterricht auf einem Raumschiff hat sich also doch gelohnt«, sagt er grinsend.

Wir schwimmen hintereinander in einer Linie, Dom uns allen voran, bis er irgendwann auf der Stelle paddelt, um auf uns zu warten. Als ich ihn einhole, wird mir bewusst, wie fertig ich bin, wie sehr mich jeder Muskel quält, und ich versuche, es ihm zu sagen, doch ich bekomme kein Wort heraus, denn jedes Mal, wenn ich den Mund öffne, schlucke ich Wasser. Dom lässt zu, dass ich mich an ihm festhalte, dass ich meine Finger in seine Schulter kralle, dann zieht er mich an sich. »Gerate jetzt nicht in Panik, Seren. Du verschwendest nur kostbare Energie. Wir brauchen dich.«

Natürlich gebe ich mir alle Mühe, aber es nützt nichts.

»Du musst ins Shuttle klettern, um von innen die Winde zu bedienen«, brüllt Dom zum fünfzigsten Mal, bevor ich ihm zu verstehen gebe, dass ich keine Ahnung habe, wie ich das anstellen soll. »Ich helfe dir hinein. Such einfach im Menü des Bordcomputers nach den planetaren Dienstprogrammen.« Er zieht mich bis zur Explorer, wo ich von den Wellen mehrfach gegen den verkohlten Rumpf geschmettert werde. Dann hebt er mich hoch, bis ich den Rand der Einstiegsluke zu fassen bekomme und mich daran hochziehe, was mir mit meinen zitternden Armen fast unmöglich erscheint. Irgendwie schaffe ich es letztendlich, meinen Oberkörper über die Kante zu hieven, und dann hänge ich kopfüber in der Luke und starre hinab in das Cockpit mit seinen Sitzen und dem übrigen Kram, der im Shuttle nach vorn gerutscht ist, weil der Bug der Explorer 37 steil nach unten weist.

»Wir müssen uns beeilen, Seren. Nimm die Abdeckung der Winde und spule sie ab. Die Elektronik hat möglicherweise den Geist aufgegeben, also müssen wir es notfalls manuell versuchen, okay?«

Es gelingt mir, die obere Hälfte meines Körpers durch die Luke zu schieben, doch dann übermannt mich die Schwerkraft, und ich rutschte vornüber ins Cockpit, sodass mein Gesicht gegen das Armaturenbrett knallt. Während ich versuche, das Systemdisplay hochzufahren, zieht sich Mariana an der Luke hoch und schwingt ein Bein über den Rand, um sich wie ein vernünftiger Mensch in die Luke zu setzen.

»Mein Gott, was hast du denn gemacht?«

Ich berühre meine Lippe und sehe Blut.

Sie klettert ins Cockpit, um mit mir zusammen die Winde zu aktivieren, aber es passiert leider nichts, daher starren wir hilflos durch die Windschutzscheibe, während Dom, wendig wie ein Fisch, nach unten taucht, um den manuellen Entriegelungshebel zu suchen. Doch er kehrt viermal erfolglos an die verwirbelte Oberfläche zurück. Ezra versucht als Nächster sein Glück, aber er muss sich mühsam am Shuttle nach unten hangeln, denn er kann längst nicht so gut tauchen wie Dom. Im bläulichen Licht des Meeres betrachten wir seine umhertreibenden Füße, als wir urplötzlich das Ächzen des Hebels hören und der Alarm für den manuellen Eingriff ertönt. Das Dienstprogramm verkündet, dass die Seilwinde abgespult wird. Also klettern wir auf die Rückenlehnen der Sitze, um uns aus der Luke zu lehnen.

Die beiden schwimmen bereits zum Ufer, Dom vorneweg, Ezra hinterher, ein dickes Metallseil über den Schultern, sodass sie sich langsam vorankämpfen, bis sie die Stelle mit den sich aufbäumenden Wellen erreichen.

Sobald die erste Welle nach ihnen greift, verschwinden sie aus unserem Blickfeld. Wir sehen nur noch das Drahtseil, das sich in der brodelnden Gischt lockert und strafft. Das Ganze zieht sich so lange hin, dass Mariana mich davon abhalten muss, selbst ins Wasser zu springen.

»Sie haben es geschafft!«, sagt sie nach einer halben Ewigkeit und zeigt auf Dom, der sich im flachen Wasser aufrichtet, die Haare platt an den Kopf geklatscht, die Augen weit aufgerissen. Dann packt er Ezra am Handgelenk und fischt ihn aus dem Wasser, während er uns zur Entwarnung zuwinkt. Wir sehen zu, wie sie sich an Land abplagen, niedergedrückt von dem schweren Stahlseil. Sie schleppen es bis zum Waldrand und bleiben stehen, um minutenlang zu diskutieren, bevor sie sich dazu entschließen, das Seil an einem Baumstamm zu befestigen. Dann macht Ezra eine kreisrunde Bewegung mit dem Arm, und ich wende den Blick zu Mariana.

»Hast du eine Ahnung, wie man die Winde bedient?«, frage ich, während wir zurück zum Armaturenbrett klettern, aber sie schüttelt den Kopf.

Ich öffne diverse Menüs und wähle irgendwelche Optionen, bis wir das Geräusch der Winde hören, erst ächzend, dann quietschend, während sich das Shuttle im Wasser dreht und neu ausrichtet.

»Das war verdächtig einfach«, sage ich, doch es dauert nicht lange, bis wir auf Grund laufen.

Inzwischen sind wir nahe genug herangekommen, um Doms und Ezras Enttäuschung zu sehen, als sie hilflos mitansehen müssen, wie wir etwa dreißig Meter entfernt stecken bleiben, während die Mechanik der Winde frustriert aufheult. Der Motor gibt sich nicht gleich geschlagen, sondern arbeitet jaulend weiter, ein markerschütterndes Kreischen, das den ganzen Bug erfasst, während sich die Explorer nur noch zentimeterweise voranquält. Dann hören wir ein neues Geräusch – ein hohes Bersten, das keiner von uns richtig zuordnen kann, bis wir sehen, dass sich der Baum von der Last biegt und spaltet, seine blassen Innereien durchtrennt von dem scharfen Metallseil, das im nächsten Moment über den Strand peitscht und Ezra fast mitreißt.

Mari reagiert schneller als ich und stoppt den Motor, damit Dom und Ezra das Seil erneut ausrollen können, um sich nach einer stärkeren Verankerung umzusehen. Sie verschwinden im Dickicht der Bäume, bis Ezra irgendwann wieder auftaucht und dieselbe seltsame Armbewegung macht. Dom ist nirgends zu sehen.

»Er will, dass wir zu ihnen kommen«, sagt Mari, als ich die Winde wieder in Gang gebracht habe. »Um die Last zu verringern, schätze ich.«

Die Wellen haben wir zwischenzeitlich total vergessen. Noch während ich ins Wasser springe, brüllt Mariana mir etwas hinterher, und im selben Moment erblicke ich eine gigantische Welle, hoch wie eine Wand, schäumend, aufgebäumt, von Sonnenlicht funkelnd, die gnadenlos über mir zusammenschlägt.

In dem Moment denke ich: Ich habe es geschafft, ich bin der Ventura entkommen, nur um hier zu sterben, in der tosenden Brandung eines fremden Planeten, nur weil ich nicht mehr nach oben finde, weil ich jedes Mal von einer neuen Welle erfasst werde, erschlagen von einer Wand aus Wasser. Erst als mir Mariana zu Hilfe eilt, mein Handgelenk packt, mit mir untergeht, sich hoffnungslos überschlägt, um verzweifelt nach Luft zu schnappen und zu kreischen: »Steh auf, steh auf, steh auf«, gelingt es mir, die Füße in den Sand zu stemmen und mich aufzurichten, nur um erneut umgerissen zu werden, wieder und wieder und wieder, als würde ich verprügelt.

Mit einem Mal knie ich im Sand, heule, keuche, kotze lauwarmes Meerwasser über meine Hände, während Dom mich mit seiner Umarmung fast zerquetscht und immer wieder sagt: »Alles okay, alles okay, alles okay.«

Zwischen meinen Tränen hindurch sehe ich, wie die Explorer 37 auf den Strand gleitet.

Eine halbe Stunde später haben wir so ziemlich alles im Sand ausgebreitet, was wir in den Staufächern finden konnten.

»Ich glaube, das ist ein Zelt.« Dom zieht meterweise dünnen orangefarbenen Stoff aus einer Tasche und kratzt sich am Kopf.

»Ein Zelt?« Ezra verzieht das Gesicht.

»Hm.«

»Das ist unser einziger Unterschlupf?«

Dom mustert das bunte Chaos von Kisten und Taschen, das zwischen mir, ihm und Mariana eine Fläche von rund zehn mal zehn Metern übersät. »Sieht ganz danach aus.«

Ezra wedelt mit der Hand. »Auch egal. Lasst uns das Ding aufbauen. Wir bleiben eh nicht lang hier.«

Mariana sieht ihn entgeistert an. »Wir bleiben nicht lang hier?«

Er fängt an, eine Kiste auszuräumen: Rationspackungen von gefriergetrockneter Nahrung. »Sobald wir das Boot in Gang gebracht haben, müssen wir den Kontinent suchen.«

Mariana runzelt die Stirn. »Was? Warum denn?«

Ezra sortiert die Nahrungsrationen, ohne zu ihr aufzublicken. »Dafür gibt es viele Gründe. Zu viele, um sie hier und jetzt zu erörtern. Wir müssen das alles sortieren und aufbauen, bevor es dunkel wird.«

Mariana und ich entdecken vier Freizeituniformen und vier eingeschweißte Arbeitsuniformen mit passenden Kappen, alle in Größe M. Ezra und Mariana passen ganz gut hinein, aber mir sind sie zu groß und Dom zu klein. Letztendlich spielt es keine Rolle, denn nachdem ich eine der Arbeitsuniformen zwei Sekunden lang anhabe, wird mir bewusst, dass sie in der Hitze viel zu warm ist. Ist schon komisch, auf der Ventura war mir immer kalt, und ich habe mich gefragt, warum sie die Kleidung nicht etwas wärmer oder dicker gemacht haben. Aber der schwere Stoff, der mir an den Hüften klebt, heizt mich so auf, dass ich ihn sofort wieder herunterschäle.

Mariana sieht zu, wie ich die Uniform in den Sand strample, und betrachtet das eingeschweißte Bündel in ihrem Schoß. »Vielleicht sollten wir die abschneiden. Mit einer einzigen Freizeituniform kommen wir nicht weit.«

Ich werfe einen Blick auf die verstreuten Kleidungsstücke. »Was ist mit Unterwäsche?«

Sie schüttelt den Kopf.

»Im Ernst?« Ich stemme die Hände in die Hüften und betrachte Dom und Ezra, die gerade aus mehreren Einzelteilen eine Zeltstange zusammenstecken. »Und ich sag’s ja nur ungern, aber ich bräuchte dringend mal eine Toilette.«

Sie lacht. »Dann solltest du vielleicht ein Plumpsklo graben.«

Ich wische mir mit dem Unterarm über die Stirn und betrachte den finsteren Waldrand mit seinen verschlungenen roten und blauen Blättern, die das undurchdringliche Dunkel fest zusammenhalten, während die von messerscharfen Dornen bedeckten rosaroten Baumstämme in den Himmel ragen, um sich in schwindelnder Höhe zu einem breiten, fleischigen Blätterdach aufzufächern.

»Ich helfe dir beim Graben, aber lass uns zuerst den Solar-Destillator in Gang bringen, okay?«, sagt Mariana.

»Den was?«

Sie deutet auf einen zierlichen Apparat in Form einer gläsernen Pyramide, eingefasst von gebürstetem Edelstahl, der neben ihr im Sand steht.

»Ich konnte ihn zwar aufbauen, aber ich habe keine Ahnung, wie das Ding funktioniert. Da steht, man kann damit Salzwasser in Trinkwasser umwandeln. Demnach werden wir ihn wohl brauchen.«

Ich hocke mich neben das Gerät, aber wenn Mariana nicht damit klarkommt, dann habe ich erst recht keine Chance; sie ist in technischen Dingen einfach viel besser als ich, das hat sie mir auf der Ventura tagtäglich bewiesen. Aber gut zwanzig Minuten später, als die Batterien aufgeladen sind, erwacht das Gerät auf magische Weise zum Leben. In der Zwischenzeit haben wir uns den Nahrungsmittelrationen zugewandt und sie nach Tagen sortiert, um in etwa einschätzen zu können, wie lange wir damit auskommen. Dabei ist uns aufgefallen, dass man für die Zubereitung heißes Wasser benötigt. Also müssen wir wohl einen Weg finden, um Trinkwasser zu erhitzen.

»Hey«, ruft Ezra, eine Hand schützend über die Augen gelegt und trotz der kurzen Shorts seiner Freizeituniform schweißgebadet. »Wenn wir das Ding vor Sonnenuntergang aufbauen wollen, brauchen wir mal eure Hilfe.«

Die beiden haben nicht viel zustande gebracht, außer ein paar Zeltstangen zusammenzustecken und den orangefarbenen Stoff im Sand auszubreiten.

»Wo wollen wir es denn aufbauen?«, frage ich skeptisch.

Ezra lupft die Augenbrauen. »Ähm, hier?«

»Hier?«

Er sieht sich um. »Hast du eine bessere Idee?«

Ich reagiere mit einem halbherzigen Schulterzucken. »Na ja, sollten wir uns nicht erst mal ein bisschen umsehen? Hier ist es nicht gerade geschützt, und wir …«

Er schüttelt den Kopf. »Henson, wir bleiben eh nicht lang hier. Wir können hier nicht bleiben.«

»Lomax …« setzt Dom an, doch stattdessen wendet er sich an mich. »Lass uns das Zelt erst mal hier aufbauen. Kannst du mir helfen?«

Ich gehe zu ihm rüber und bemerke die knallrote Haut an seinen Wangen und seiner Nase. Als ich sie mit den Fingerspitzen berühre, zuckt er zurück.

»Tut ziemlich weh«, sagt er.

»Was ist das?«

Er zuckt mit den Schultern.

Als wir mit dem Aufbauen fertig sind, ist das Zelt krumm und schief und soll garantiert anders aussehen. Auf der einen Seite hängt es total durch, halb in sich zusammengesunken, aber die Sonne versinkt bereits am Horizont, also breiten wir unsere Schlafsäcke im Sand aus und legen alles andere darauf, ohne groß darüber nachzudenken, dass das ab heute unser Zuhause ist, unser einziges Zuhause.

Ich gehe zum Wasser, um mir den Sand und die Asche aus den Haaren zu spülen, während ich die hereinbrechende Dunkelheit so gut es geht ignoriere. Hinter mir versuchen Dom und Mariana gerade mit einem Laserfeuerzeug ein paar trockene Blätter anzuzünden. Ezra schreitet derweil am Wald entlang und bleibt alle paar Meter stehen, um etwas zu seinen Füßen zu betrachten oder zwischen die Bäume zu spähen.

Plötzlich jauchzt Mariana und springt vergnügt auf, um einen Freudentanz zu veranstalten.

»Por fin!«, ruft sie zum Himmel.

Dom legt ein paar Zweige aufs Feuer, dann steht er ebenfalls auf und nimmt seine Cousine mit einem breiten Grinsen in den Arm. Im nächsten Moment reißen sie sich zusammen und sinken hastig in die Hocke, um den kleinen qualmenden Haufen zu schüren.

Letztendlich teilen wir uns zwei der Nahrungsrationen, denn keiner kann sich erinnern, wann wir das letzte Mal etwas gegessen haben. Dann bleiben wir schweigend sitzen und betrachten das herunterbrennende Feuer. Keiner von uns hat jemals ein echtes Feuer gesehen, jedenfalls nicht im wahren Leben. Es schimmert in zahlreichen Farben, die ich niemals erwartet hätte, wie kleine tanzende Geister, die plötzlich aufflammen und ebenso rasch wieder verschwinden.

Das letzte Sonnenlicht des zweiten Tages versickert am Horizont. Dom sitzt hinter mir, die Knie links und rechts angezogen, und gähnt in meine Schulter. Ezra wirft eine Handvoll Sand zum Meer.

»Morgen müssen wir das Boot aufpumpen«, sagt er.

»Wir haben echt andere Sorgen«, widerspricht ihm Mariana kopfschüttelnd. »Vor allem Nahrung.«

»Die finden wir eher auf dem Kontinent, so viel steht fest. Ich bin schließlich drübergeflogen.«

»Und wie weit soll das sein?«, fragt Dom.

Ezra gibt keine Antwort.

»Du weißt es nicht? Mann, das ist doch verrückt! Du hast selbst gesehen, was die Wellen mit uns gemacht haben.«

»Das kann ich alles am Computer herausfinden, bevor wir uns auf den Weg machen.« Ezra wirft noch mehr Sand in Richtung Meer.

»Wir haben die Insel doch noch gar nicht erforscht«, sage ich. Wie auf Kommando beginnt dieses unheimliche Fiepen im Wald, sodass wir alle wie gebannt lauschen, zuerst einer einsamen Stimme, dann einer weiteren, dann noch einer.

»Morgen machen wir uns auf Erkundungstour«, sagt Dom an meinem Ohr.

Mariana löst den Blick vom Feuer und sieht ihn eindringlich an.

»Was?«, fragt er. »Du musst nicht mitkommen, Mari – wir brauchen hier jemanden, der etwas für Ordnung sorgt. Seren kann bei dir bleiben.« Er küsst meinen Nacken.

Ich drehe mich um. »Auf gar keinen Fall. Ich komme mit.«

Dom lächelt entspannt. »Von mir aus.«

»Wasser«, sagt Ezra völlig zusammenhanglos.

»Ich glaube, im Destillator ist noch was«, sagt Mariana.

Er schüttelt den Kopf. »Ich meine, wir müssen dringend Trinkwasser suchen. Wir können uns nicht auf den Destillator verlassen. Was, wenn das Ding kaputtgeht? Auf der Ventura müsstest du eigentlich gelernt haben, dass man sich auf die Technik nicht verlassen kann. Wir hatten ein ganzes Team, das nichts anderes gemacht hat, als ständig irgendwelchen Kram zu reparieren.«

»Stimmt, Lomax«, erwidert Mariana. »Das ist uns garantiert mehr bewusst als dir.«

Ezra verzieht das Gesicht, doch er spart sich einen Kommentar.

Ich blicke hinauf zu den Sternen, die nach und nach in Erscheinung treten. Von Sternschnuppen keine Spur.

Kapitel 3

Als ich mir am nächsten Morgen im flachen Wasser das Gesicht wasche, höre ich hinter mir Schritte im feuchten Sand. Es ist Ezra. »Ich will mich mal am Fuß des Bergs umsehen. Da gibt es vielleicht Wasser.«

Ich blicke den Strand hinunter, wo die Silhouette von schwarzem Gestein einen tiefen Schatten über die Insel wirft. »Ich dachte, du willst hierbleiben, um das Boot in Gang zu bringen?«, frage ich mit einem Seitenblick.

»Ich finde immer noch, dass wir hier wegmüssen. Solange der Destillator funktioniert und wir etwas zu essen haben, sollten wir verschwinden. Aber es ist nun mal ein Risiko, deshalb bin ich bereit, der Insel erst mal eine Chance zu geben.«

Ich blicke ihm hinterher, als er über den flirrenden Strand davonstapft.

Dom tritt an meine Seite. »Bist du so weit?«

Ich lege einen Arm um seine Hüfte und stoße gegen einen harten Gegenstand, den er in den Bund seiner Shorts gesteckt hat.

»Vorsicht.« Er tritt einen Schritt zurück und zieht ein langes, gebogenes Messer hervor. Wir starren wie gebannt auf die in der Sonne funkelnde Klinge.

Ich lache nervös. »Was ist das?«

»Ein Buschmesser.« Er wendet die Klinge bewundernd hin und her. »Ich war ziemlich beeindruckt, so was in unserer Ausrüstung zu finden. Das werden wir garantiert brauchen.«

»Und wozu?« Die Frage bleibt mir fast im Hals stecken.

Er deutet auf den Waldrand. »Um uns da durchzuschlagen.«

Mariana ist zurück in die Explorer geklettert, um alles zu plündern, was wir irgendwie gebrauchen könnten. Wir rufen ihr von unten zu, dass wir uns etwas umsehen. Dann gehen wir den Strand hinunter, um einen Zugang zum Wald zu finden. Dom nimmt meine Hand, und im ersten Moment ist es total komisch, fast als wären wir schüchtern.

»Wir haben es geschafft«, sagt er, atemlos von unserem Marsch durch den Sand.

Spontan schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Fast hätten wir das nicht (jedenfalls er nicht). Aber ich schlucke die Bemerkung herunter. Stattdessen stürze ich mich auf ein anderes beängstigendes Thema. »Und wie soll es jetzt weitergehen?«

Er lächelt. »Das werden wir schon herausfinden.«

»Herausfinden?«

Er bleibt stehen und nimmt mein Gesicht in beide Hände. »Ich liebe dich«, sagt er, was in dem Zusammenhang völlig irrelevant ist, aber es bringt mich zum Lächeln, und als er sich vorbeugt, küsse ich ihn und sage: »Ich liebe dich auch.«

Die Haut an seiner Nase ist mittlerweile dunkelrot und pellt sich bereits, seine Lippen sind spröde und aufgesprungen.

»Was ist mit deiner Haut?«, frage ich, während mein Daumen sanft über seine Wange fährt.

»Ich glaube, das kommt von der Sonne.« Er berührt seine Brust und seine Schultern, wo die Haut bereits Blasen schlägt, und mir fällt auf, dass der Rest seines Körpers ebenfalls dunkler ist, schattiert in verschiedenen Brauntönen, wie auf einer Zeichnung. Irgendwie sexy.

»Sonnenbrand.« Ich kenne das Wort aus irgendwelchen Büchern und Filmen. »Sonnenbräune.«

»Hast du übrigens auch.« Er berührt meine Wange, sodass ich vor Schmerz zusammenzucke, was ihn zum Lachen bringt. »Aber du bekommst nebenbei Sommersprossen, und die sind extrem niedlich.« Er küsst mich dicht unter dem Auge. »Du hast mir nie erzählt, dass du Sommersprossen hast.«

»Weil ich es nicht wusste.«

»Hast du eigentlich noch andere Geheimnisse, estrellita?«, murmelt er an meinen Lippen, dann küsst er mich. »Die solltest du tragen«, sagt er und zieht eine Venturakappe aus der Hosentasche, um sie mir aufzusetzen. »Um dich vor der Sonne zu schützen.« Er nimmt meine Hand und zwinkert. »Na komm.«

Gut eine halbe Stunde folgen wir der dichten Mauer des Waldes, bis wir die Landzunge erreichen, die vor uns hinaus ins Meer ragt. Wir klettern über die flachen feuchten Felsen, bis wir den Zipfel umrundet haben und eine weitere lang gestreckte Bucht erblicken, die von dem gleichen undurchdringlichen Dschungel gesäumt wird. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Meer so spiegelglatt ist wie der Pool auf der Ventura.

»Keine einzige Welle«, sage ich zu Dom.

»Ja, seltsam«, erwidert er.

»Vielleicht liegt es an der Windrichtung?«, überlege ich, doch dann sehe ich etwas weiter draußen, knapp unterhalb der Wasseroberfläche, ein paar große helle Brocken. »Oder die Bucht wird von Felsen geschützt. Jedenfalls gefällt es mir hier viel besser.«

Dom drückt meine Hand.

Auf halber Höhe der Bucht wird es sogar noch besser. Eine Schneise zieht sich durch den Wald, und bald entdecken wir den Grund dafür: ein Bachlauf, der sich seinen Weg durch das Dickicht bahnt. Dom geht in die Hocke und probiert einen Tropfen Wasser, während ich in die tunnelhafte Finsternis spähe.

»Süßwasser«, sagt Dom, während er sich mit feuchten Fingern durchs Gesicht fährt. »Bingo.«

Ich fülle meine Handflächen mit der kühlen Flüssigkeit und will gerade einen Schluck nehmen, als Dom mich zurückhält. »Besser nicht, estrellita.«

Ich runzle die Stirn.

»Lomax hat gesagt, wir sollen nur abgekochtes Wasser trinken.«

Als ich zu ihm sehe, entdecke ich hinter ihm im Wald, dicht über dem Bachlauf, etwas, das im Halbdunkel verführerisch glänzt. Ich klettere vorsichtig über die Steine und greife danach, doch es ist so fleischig, weich und warm, dass ich es vor Schreck fallen lasse.

»Was ist das?«, fragt Dom.

Ich hebe das rundliche Objekt auf und halte es ins Licht. Es ist etwas größer als meine Hand, lila glänzend mit einer roten Spitze.

»Eine Frucht.« Ich sehe ihn fragend an. »Oder?«

Dom zieht die Augenbrauen hoch. »Sieht ganz danach aus.« Er nimmt sie mir aus der Hand und gräbt seinen Daumen hinein, um ein rosiges Fruchtfleisch mit roten Kernen zu entblößen. Das Ganze erinnert mich in erschreckender Weise an ein lebendes Organ. Er hält sich die Frucht unter die Nase und schnuppert daran. »Riecht gut.« Er macht Anstalten hineinzubeißen.

»Dom, nicht!« Ich will ihm die Frucht aus der Hand schlagen.

»Warum denn nicht? Nur einen kleinen Bissen – wie wollen wir es sonst herausfinden?«

Er saugt vorsichtig daran, beißt zaghaft hinein, kaut nachdenklich, dann sieht er mich an und grinst, einen Rest Fruchtfleisch zwischen den Zähnen.

»Schmeckt gut«, sagt er und beißt erneut hinein. »Herrlich süß.«

Ich nehme ihm die Frucht aus der Hand, und Dom sieht zu, wie ich hineinbeiße. Der Geschmack ist so überwältigend, dass er mein Gehirn zu überfordern scheint. »So müssen Früchte schmecken!« Ich blicke hinauf zu dem dichten Tunnelgewölbe und entdecke noch weitere Exemplare, strahlend lila, unendlich viele. »Lass uns ein paar von denen pflücken und mitnehmen.«

Dom ist groß genug, um sie vorsichtig von den Zweigen zu lösen und in einen Beutel zu legen, während ich dem Bachlauf ein paar Meter weiter folge, um tiefer in die Dunkelheit zu spähen und der Stille zu lauschen.

»Estrellita, komm her und sieh dir das an!«

Ich gehe zurück zu Dom, der am Strand steht und in den Himmel starrt, wo sich urplötzlich dunkle Wolken ballen, dicht und bedrohlich, an der Unterseite violett verfärbt.

Mir bleibt der Mund offen stehen. »Wo kommen die so plötzlich her?«

Er zuckt mit den Schultern.

»Heißt das, es wird regnen?«

Wieder dieses Schulterzucken, aber diesmal lächelt er mich an. »Irgendwie wünsche ich mir das sogar, du nicht?«

Ich liebe es, wenn Dom sich so zu mir vorbeugt, als wolle er mich küssen, und dann im letzten Moment innehält, die Lippen leicht geöffnet, nur Zentimeter von meinem Mund entfernt, bis ich ihm entgegenkomme. Und das tue ich natürlich. Schon immer, für immer.

Am Nachmittag kehren wir zum Camp zurück. Mariana gräbt gerade ein Loch unter dem umgestürzten Baum. Sie ist über und über mit Matsch beschmiert und wischt sich erst mal den Mund ab, als wir ihr eine Frucht reichen. Mit einem skeptischen Blick greift sie zu, um die Schale vorsichtig mit den Fingern abzuziehen und hineinzubeißen.

Wir setzen uns in den Sand und betrachten die finsteren Wolken, während jeder von uns eine Frucht verspeist, deren Saft zwischen unseren Knien zu Boden tropft. Dann machen Dom und Mariana Feuer. Ich blicke über den Strand, um nach Ezra Ausschau zu halten, als ich einen grellen Lichtreflex bemerke, der mich zu Tode erschreckt, dann folgt ein markerschütternder Knall, bei dem ich mich instinktiv zusammenkauere und schützend die Hände über den Kopf lege. Ich frage mich, ob in diesem Moment der Klingenberg eingestürzt ist. Ist er nicht. Blitz und Donner kannte ich bislang nur in der Theorie.

Ich sehe hinüber zu Dom, der in diesem Moment widerlich dunkle Klatschen in den Sand spuckt. »Okay, die Früchte waren wohl doch keine gute Idee«, sagt er lachend, bevor er zu dem halb fertigen Plumpsklo rennt.

Mich erwischt es als Nächste, erst in Form von schmerzhaften Krämpfen, gefolgt von eiskaltem Schweiß, dann muss ich mich ebenfalls übergeben.

Ezra kommt gerade zurück, als Mariana auf halbem Weg zur Latrine in ihre Hände spuckt. Dann bemerkt er Dom und mich, wie wir zitternd und stöhnend im Zelt liegen.

»Was zum Henker habt ihr gegessen? Und warum habt ihr nicht erst einen winzigen Bissen probiert?« Er wirft einen Haufen Feuerholz in den Sand.

»Hast du was gefunden?«, fragt Dom mit gequälter Stimme.

»Nichts, was wir nicht schon kannten. Dichtes Gestrüpp, unüberwindbare Felsen, moderige Erde.« Ich bemerke die Kratzer an seinen Armen, vermutlich von den Dornen der Bäume. »Andererseits gibt es da draußen echt geile Wellen, wenn man ein Surfboard hätte und lebensmüde wäre …«

In dem Moment hören wir ein prasselndes, brodelndes Geräusch, als würde etwas aus dem Boden dringen und verdampfen.

Es regnet.

Und das ist das erste Mal, dass wir so etwas miterleben, dass wir echten Regen zu sehen bekommen, also setzen wir uns auf, ziehen die Knie an die Brust und betrachten die feinen Dellen im Sand, das leise Rauschen der Bäume, die verwirbelten Pfützen. »Wow«, flüstere ich.

Dom lacht. »Echt cool, oder?«

Mari kommt im Laufschritt von der Latrine zurück, als das Trommeln auf dem Zeltdach immer lauter wird. Sie ist völlig durchnässt und wringt sich die Haare aus. Aber das Ganze ist viel zu aufregend, um einfach nur dazusitzen, und obwohl mir immer noch schlecht ist, sage ich: »Ich habe das Gefühl, ich müsste tanzen oder so.«

Ezra lacht, und Dom erwidert: »Aber du hasst tanzen!«

Ich blicke erneut in den Regen.

Dom steht auf und nimmt meine Hand, um rückwärts aus dem Zelt zu treten, sodass der Regen wie ein Vorhang auf ihn herabfällt und ihn völlig durchnässt. Er zuckt nicht mal mit der Wimper, lächelt nur und sieht nach unten, während das Wasser an seinen Haaren herabtropft und sie platt an seinen Kopf klatscht. Dann treffen mich die ersten Tropfen, trommeln wie winzige Fäuste auf mich ein, rinnen über meine Haut. Ich muss unwillkürlich kreischen, bis Dom mich an seine Brust zieht, und wo sich unsere Körper berühren, spüre ich die Feuchtigkeit noch mehr. Er verschränkt seine Finger mit meinen, führt meine Arme seitlich nach oben, um mit den Fingerspitzen die feinen Rinnsale nachzuzeichnen, ausgehend von meinen Handgelenken über meine Arminnenseiten bis hinunter zu meinen Rippen.

Wieder im Zelt angekommen, sehe ich zu, wie er sich das Wasser aus dem Gesicht wischt und seine Haare zurückstreicht. Ich bewundere die einzelnen Tropfen, die wie Glasperlen an seinem von Gänsehaut überzogenen Körper haften. Ich beuge mich vor, um sie von seinem Hals, seinen Schultern, seiner Brust zu streifen, und die ganze Zeit spüre ich seinen Blick, als wäre ich ein Kunstwerk. Er beugt sich vor, um mich zu küssen, aber Ezra unterbricht ihn. »Mann, Leute, nehmt euch ein Zimmer.«

Dom schenkt ihm einen bitterbösen Blick, aber seine Worte geben uns zu denken. Zumindest mir.

Mitten in der Nacht werden wir vom Donner geweckt. Das Gewitter hängt direkt über uns, nahe genug, um in der Brust nachzuhallen. Der Wind reißt brutal an unserem Zelt, sodass Dom sich irgendwann quer über mich legt, um die Seitenwand festzuhalten. Die Schlafsäcke sind total durchnässt, weil das Wasser unter den Wänden hindurchströmt.

Ezra steht auf.

»Wo willst du hin?«, brüllt Mari.

»Wir müssen das Zelt besser befestigen!«, brüllt er zurück. Im nächsten Moment ist er verschwunden, noch bevor wir ihm hinterherrufen können, dass er total verrückt ist.

Dom steht ebenfalls auf, und ich folge ihm bis zum Zelteingang. Draußen tobt die Hölle. Der Regen peitscht horizontal über den Strand, die Wolken stehen in Flammen, und der Donner ist so laut, als wolle der ganze Planet auseinanderbrechen. Der Wind ist so stark, dass man nicht mal aufrecht stehen kann. Dom und Ezra kämpfen mühsam dagegen an, während sie an den Seilen zerren und mit jedem Schritt den Sand aufwirbeln. Irgendwann geben sie sich geschlagen und kommen wieder rein.

Ich habe das Gefühl, wir werden weggespült, weggeweht, vom Blitz verbrannt, vom Donner erschlagen. Nur Doms schützender Körper scheint mich noch am Leben zu halten. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und konzentriere mich auf meinen Atem. Mari drängt sich dicht an uns.

Als wir am nächsten Morgen aus dem Zelt kriechen, ist die Welt blass und still. Zwei Zeltstangen sind durchgebrochen, und es fällt uns nicht allzu schwer, Ezra davon zu überzeugen, in die Bucht mit dem Bachlauf umzuziehen.

»Der Sturm kam vom offenen Meer, genau wie die Wellen. Selbst wenn wir nicht lang hierbleiben, müssen wir uns einen geschützteren Ort suchen«, sage ich. »Außerdem gibt es da Wasser.«

Ezra schüttelt den Kopf. »Wir müssen hier weg, verdammt.«

»Willst du etwa auf dem Meer in so einen Sturm geraten? Und das, obwohl keiner von uns je in einem Boot gesessen hat?« Dom schüttelt den Kopf, während er anfängt, das Zelt abzubauen. »Wir ziehen einfach ein Stück weiter, wo wir sicherer sind, und dann erkunden wir die Insel.«

Ezra starrt minutenlang aufs Meer, bevor er sich aufrafft, uns zu helfen.

Es ist zwar ziemlich viel Arbeit, alles Nötige über die Felsen zu schleppen, aber als wir es geschafft haben, kommt die Sonne heraus und taucht die Bucht in ein dunstiges Licht mit leuchtenden Farben, sodass sie noch einladender wirkt als beim ersten Mal, trotz der herumliegenden Trümmer des Dschungels.

Das Zelt lässt sich wegen der kaputten Zeltstangen nicht mehr richtig aufbauen, aber wir binden es an einen Baum, und das Endergebnis ist ganz okay. Während ich beim Aufbauen helfe, trete ich im Sand gegen einen kleinen rundlichen Gegenstand. Ich nehme ihn in die Hand und zerteile ihn mit den Fingern in zwei Hälften. Im Innern entdecke ich, umgeben von einer feinen seidigen Haut, zwei grüne Halbkugeln in der Größe meiner Fingerkuppen, die bei meiner Berührung auseinanderfallen. Ich zeige meinen Fund Mari, die kritisch die Stirn runzelt.

»Nach dir«, sagt sie grinsend.

»Ich habe mich gefragt, ob wir die nicht besser rösten.«

Unter den Bäumen entdecke ich noch mehr davon, heruntergeschüttelt vom Sturm der letzten Nacht. Ich sammle sie in einem Falteimer, während Mari Feuer macht und ein paar Steine hineinlegt, damit wir die Pfanne daraufstellen können. Wir beobachten, wie sich die Seenüsse – die ich spontan so taufe – zunächst blass, dann braun verfärben, und diskutieren gerade, wann wir sie herausnehmen sollen, als Dom und Ezra mit weiteren Utensilien von der anderen Bucht zurückkehren und sich streiten.

»Das ist doch kein Argument und im Moment überhaupt nicht relevant«, sagt Dom, während er die Taschen in den Sand wirft.

»Also, aus meiner Sicht ist das schon relevant«, sagt Ezra mit einem Ausdruck, als hätte er die Diskussion gewonnen. Obwohl keiner von uns genauer nachhakt, fügt er selbstgefällig hinzu: »Ich erkläre Suarez gerade zum x-ten Mal, dass ich den Kontinent mit eigenen Augen gesehen habe und …«

»Seren hat da was gefunden«, fällt Mariana ihm ins Wort, um das Thema zu wechseln.

»Klasse, noch mehr Gift.«

»Ich glaube, sie sind gar.« Mariana stellt die Pfanne in den Sand und sieht uns an. »Wer ist dabei?«

»Ich«, sagt Dom und schnappt sich eine Nuss. »Die riechen echt gut.«

»Dann nehme ich auch eine.« Ich greife beherzt zu. »Wenn es einen umbringt, dann wenigstens uns beide.«

»Mir kommen gleich die Tränen.« Ezra tut so, als würde er sich die Augen reiben, bevor er ebenfalls zugreift.

Wir essen alle eine und mustern einander skeptisch, wie bei russischem Roulette. Ezra sinkt theatralisch zu Boden und fasst sich an die Kehle, als würde er ersticken, aber außer ihm selbst kann keiner darüber lachen.

Bei Sonnenuntergang gibt es keinerlei Hinweis auf Regen. Ich beobachte Ezra, der geistesabwesend im Feuer herumstochert, während Dom und Mariana im spiegelglatten Wasser stehen.

»Ist schon komisch, oder?«, sagt er, als könne ich seine Gedanken gelesen.

Stattdessen sehe ich ihn verständnislos an.

»Ich meine, wir haben unser ganzes Leben auf der Ventura verbracht, wo wir nicht die geringsten Wahlmöglichkeiten hatten. Und jetzt sind wir desertiert, nur um in einer Situation zu enden, die uns ebenfalls keine große Wahl lässt.« Er tritt weiterhin Sand ins Feuer, aber sein Blick begegnet meinem. »Schon ziemlich ironisch, findest du nicht?«

Ich blicke hinaus aufs Meer, wo Huxley in diesem Augenblick den Horizont berührt. »Wir sind doch gerade erst angekommen«, sage ich. »Wir leben uns schon noch ein.«

Er lupft skeptisch die Augenbrauen. »Optimismus? Von dir?« Er schüttelt den Kopf. »Dann sind wir echt erledigt.«

Kapitel 4

Am Morgen meines siebzehnten Geburtstags stehen Dom und ich in aller Frühe auf und ziehen uns leise an. Inzwischen sind wir seit drei Wochen hier, und das Camp versinkt langsam, aber sicher im Chaos, sodass wir nichts mehr wiederfinden, was die Sache nicht gerade erleichtert. Wir haben nie ausdrücklich besprochen, uns an meinem Geburtstag wegzuschleichen, aber ich glaube, wir haben es beide gewusst. Die halbe Bucht liegt bereits hinter uns, als wir uns das erste Mal ansehen und lächeln.

»Wo gehen wir eigentlich hin?«, frage ich.

»Wohin du willst«, erwidert er.

»Ist mir egal, Hauptsache, du bist bei mir«, erwidere ich, und als er mich küsst, spüre ich es in jeder Faser meines Körpers, wie eine sanfte Brise auf der Haut.

Die Landzunge am anderen Ende des Strands ist aus dem gleichen Gestein wie der Klingenberg, nur waagerecht anstatt senkrecht. Das Meer hat den Felsen zu flachen Stufen ausgewaschen, sodass wir mühelos hinaufklettern und in die nächste Bucht blicken. Sie ist deutlich kleiner – ein schmaler Halbmond aus blassem Sand und ruhiger See, umrahmt von der hohen Wand des Dschungels und den flachen Felsen an beiden Enden.

»Wer zuerst unten ist!«, rufe ich und renne los, bevor Dom eine Chance hat zu reagieren.