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Jani Friese

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Beschreibung

Sizilianische Sonne auf der Haut, das azurblaue Meer und im Gepäck die Hoffnung auf das wahre Glück. Doch nur wer nach den Sternen greift und alles riskiert, kann es auch finden. Ein außergewöhnlicher Liebesroman, fesselnd und zutiefst bewegend. Von ihrem Verlobten sitzengelassen, beschließt Elena, die geplante Hochzeitsreise alleine anzutreten. Ihr Plan, sich eine männerfreie Auszeit zu nehmen, löst sich in Luft auf, als die Begegnung mit dem charismatischen Arzt Gabriel und seinem Straßenhund Pino ihr Herz unerwartet höherschlagen lässt. Während sie zusammen die zauberhaften kleinen Gassen und die atemberaubenden Vulkanlandschaften Siziliens erkunden, kommen sich die beiden näher, doch Gabriels geheimnisvolle Maori-Tattoos geben Elena Rätsel auf. Neugierig und fasziniert zugleich, beschließt sie kurzerhand ihn nach Pozzallo zu begleiten, wo er bei einer Hilfsorganisation arbeitet. Dort freundet sie sich mit der zurückhaltenden Imani an, die schnell Vertrauen zu ihr fasst. Als jedoch plötzlich ein schwerwiegender Vorwurf im Raum steht, finden sich Elena und Gabriel auf gegensätzlichen Seiten wieder, sodass Elena sich mit einer bitteren Frage auseinandersetzen muss: Ist Gabriel wirklich der Mann, für den sie ihn gehalten hat?

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Wohin mein Herz dich trägt

Jani Friese

Für euch.

Ich widme all denen dieses Buch, die auf dem Weg in eine bessere Zukunft ihr Leben ließen.

All denen, die es trotz der Gefahren gewagt haben, diese Reise anzutreten.

All denen, die ihre Familien unterwegs verloren und doch weiter gekämpft haben, und denen, die sich der Gewalt, Krieg, Missbrauch, Hunger, Durst und Angst aussetzen mussten, um irgendwann in Sicherheit ein neues Zuhause zu finden.

Prolog

Der trügerische, liebliche Schein des Lebens verführt manchmal dazu, die Augen vor der Realität zu verschließen und nicht auf unser Gefühl zu hören.

Stattdessen kehren wir der nackten Wahrheit den Rücken, und das nur, um unser Herz davor zu schützen, in tausend Stücke zu zerspringen und allein zu sein. Doch irgendwann kommt der Tag, den wir im tiefsten Innern vorausgesehen haben, und nichts auf der Welt verhindert den Moment der Erkenntnis, dass es vorbei ist.

Genau diese Erkenntnis riss mir zu Anfang den Boden unter den Füßen fort und katapultierte mich in die Reihe der Frauen, die verlassen worden sind.

Zugegeben, es lief bereits eine Weile nicht mehr allzu gut zwischen mir und Sascha. Aus irgendwelchen Gründen hatten wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt. Ich wollte spannende Dinge erleben, etwas unternehmen und reisen. Sascha hingegen genügte es, zuhause zu sein, sich bekochen zu lassen und hinterher den Fernseher einzuschalten. Meistens schlief er dann ein, und ich nahm mir ein Buch zum Lesen. Ich las alles, was mir in die Hände fiel, aber in letzter Zeit besonders gerne Romane, die in fremden Ländern spielten und in denen es um die wahre Liebe ging. Die Protagonisten kämpften um ihr Glück, selbst wenn ihre Wege steinig und schwer waren.

Vielleicht hatte auch Sascha darum gekämpft, indem er ein halbes Jahr zuvor in einem Restaurant die kleine blaue Schachtel mit dem Ring hervorgeholt und mich gefragt hatte, ob ich seine Frau werden wolle. Überrascht und glücklich zugleich beantwortete ich seine Frage damals mit Ja, denn nach sechs Jahren Beziehung hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben. Ich war einundzwanzig, als wir uns nach meinem Psychologiestudium in der psychiatrischen Klinik begegnet waren. Er wurde mir als Mentor zugeteilt, um mir alles zu zeigen. Von Anfang an war ich beeindruckt davon, wie respektvoll er als Psychiater mit den Patienten umging. Obwohl er zwölf Jahre älter war als ich, kam es, wie es kommen musste, ich verliebte mich Hals über Kopf in ihn und er sich in mich. Wenige Monate später war ich bei ihm eingezogen. Wir hatten aufgrund der gemeinsamen Arbeit viel Zeit miteinander verbracht, waren ständig aufeinandergehockt, bis ich irgendwann die Abteilung gewechselt und meinen Schwerpunkt auf die Jugendpsychiatrie gelegt hatte.

Von da an veränderte sich alles. Ich liebte die Arbeit mit den jungen Menschen, obwohl es mich immer wieder erschütterte, was einige von ihnen bereits im Kindesalter Furchtbares erlebt hatten. Kurz nach meinem Wechsel wurde die Abteilung umstrukturiert, was für mich bedeutete, dass ich fast täglich länger arbeiten musste. Als auch noch eine Kollegin erkrankte, ging es drunter und drüber. Mit dieser Situation kam Sascha überhaupt nicht zurecht. Immer wieder gab es endlose Diskussionen. Nach einer Weile bat er mich darum, meine Stunden zu reduzieren, und meinte, er würde genug für uns beide verdienen. Er sprach endlich von Heirat und Kindern, außerdem hatten wir uns entschieden, das Haus umzubauen. Sascha argumentierte, dass unbedingt jemand daheim sein müsste, wenn die Handwerker kämen. Euphorisch, wie ich war, und mit dem Gedanken daran, dass mein Traum, bald zu heiraten, wahr werden würde, ließ ich mich schließlich darauf ein.

Ganze zwei Mal in den sechs Jahren Beziehung hatte ich ihn überreden können, mit mir nach Sizilien zu meinen Verwandten zu fliegen. Meine Mutter Francesca war auf Vulcano aufgewachsen, einer kleinen Insel vor der Küste Siziliens. Dort war ihr mein Vater Hannes begegnet, der als Vulkanologe aus Deutschland Forschungen auf der Insel unternommen hatte. Sie hatten sich verliebt und bald darauf geheiratet. Mit meinen beiden jüngeren Schwestern Nina und Greta verstand ich mich gut, sodass wir im Heimatort meines Vaters, in der Eifel, eine unbeschwerte Kindheit genießen durften.

Während der zwei Urlaube mit Sascha auf Sizilien hatten wir in der Pension meines Cousins Luici übernachtet, die in Taormina, einem entzückenden Touristenort, direkt am Meer lag. Von den Ruinen des alten griechischen Amphitheaters aus hatte man einen atemberaubenden Ausblick zum Ätna, der noch heute zu den aktivsten Vulkanen Europas gehörte. Zu gerne wäre ich mit Sascha hinaufgefahren und hätte auf dem Weg dorthin einen Abstecher zu den Weingütern gemacht, doch ich konnte ihn nicht dazu überreden, solche Aktivitäten mit mir zu unternehmen. Er lag lieber faul am Pool oder Strand in der Sonne. Zu dem Besuch bei meiner Tante Roberta und ihrem Lebensgefährten Mario, die auf Vulcano lebten, hatte er sich gerade so überreden lassen. Sie betrieben dort ein kleines Restaurant mit drei Ferienbungalows.

Meinem Cousin Luici war es auf der Insel zu einsam gewesen, daher hatte er die Pension eines Bekannten in Taormina übernommen. Sascha gehörte nicht zu den Menschen, die gerne verreisten, und zu Anfang hatte es mich auch nicht gestört, dass wir unseren Urlaub bis auf die zwei Ausnahmen mit anderen Dingen ausfüllten, doch irgendwann begann ich es zu vermissen.

Während des Studiums hatte ich immer die Semesterferien genutzt, um mit einer Freundin die Welt zu erkunden. Schottland, Spanien, die Toskana und Griechenland waren unsere Ziele gewesen. Sascha hasste es, allein zu sein, daher zog ich es gar nicht erst in Betracht, ohne ihn irgendwelche Touren zu unternehmen. Ich hatte mich ihm angepasst und meine eigenen Interessen aus den Augen verloren. Nach einer Weile kam ich mir jedoch vor wie ein Hausmütterchen. Er rührte keinen Finger, woran ich wahrscheinlich eine gewisse Mitschuld trug. Dadurch, dass ich jeden Tag früher daheim war als er, kümmerte ich mich um alles.

Nachdem der Umbau abgeschlossen war und er mir noch immer keinen Antrag gemacht hatte, zweifelte ich, ob das Leben mit ihm das war, was ich mir wirklich wünschte. Ich brachte es nicht übers Herz, und mir fehlte der Mut, ihn noch einmal auf unsere Heiratspläne anzusprechen, so war ich einfach nicht erzogen worden. Stattdessen redete ich mit ihm darüber, dass ich meine Arbeitsstundenzahl gerne wieder erhöhen würde. Daraufhin gab es einen heftigen Streit, doch letztendlich setzte ich mich durch. Als er mir schließlich kurz darauf den langersehnten Antrag machte, schien es fast so, als hätte ich endlich mein Glück gefunden.

Ein halbes Jahr später wollten wir heiraten, doch dann kam alles anders. Wir standen gerade davor, die Einladungskarten zu bestellen, als Sascha mir offenbarte, dass er mich nicht heiraten könne, weil er sich in eine andere Frau verliebt hätte. Als er mir auch noch verkündete, dass es sich um eine Kollegin aus der Klinik handelte, zog es mir den Boden unter den Füßen fort. Nachdem ich den ersten Schock überwunden und mich etwas beruhigt hatte, redeten wir die ganze Nacht. Mir wurde schließlich bewusst, dass er nur das ausgesprochen hatte, was mir in meinem tiefsten Innern bereits lange vor ihm klar geworden war. Der Wunsch, zu heiraten und eine Familie zu gründen, war jedoch so groß gewesen, dass ich mir die Wahrheit nicht hatte eingestehen wollen. Letzten Endes diente die Verlobung nur als Griff nach einem Strohhalm, um unserer Beziehung noch eine Chance zu geben. Zu heiraten, um eine Beziehung zu retten, war das Dümmste überhaupt. Zum Glück hatte wenigstens Sascha die Reißleine gezogen, auch wenn er erst durch seine Gefühle zu einer anderen Frau darauf gekommen war.

Ich schob meinen verletzten Stolz zur Seite, und somit schafften wir es, in Freundschaft auseinanderzugehen. Schneller als ich gedacht hatte, fand ich eine Wohnung in Daun, dem Ort, wo ich aufgewachsen war. Mein Elternhaus lag nur zwei Straßen entfernt, und der Zufall wollte es, dass meine jüngere Schwester Greta, die mit ihrem Freund einen Friseurladen führte, ein Stockwerk tiefer wohnte. Nina, meine andere kleine Schwester, wie ich sie immer gerne nannte, lebte in Frankfurt, um dort Meeresbiologie zu studieren. Sie kannte mich sehr gut, daher war es nicht verwunderlich, dass sie noch vor mir gespürt hatte, dass Sascha nicht der richtige Mann für mich war. Hier und dort hatten sie es bereits mal angedeutet, doch zum damaligen Zeitpunkt hatte ich ihre Worte nicht hören wollen.

Meine Schwestern trösteten mich nach der Trennung und gaben mir Halt, ebenso meine Eltern. Es war gut, eine Familie um sich zu haben, die in jeder Lebenslage zu einem stand und auf die man sich immer verlassen konnte. Dieses Glück hatten nicht viele, das wurde mir jeden Tag bei meiner Arbeit deutlich vor Augen geführt. Alle halfen bei meinem Umzug, ebenso ein paar Bekannte, während Sascha an dem Wochenende mit seiner neuen Flamme eine Schiffstour auf dem Rhein unternahm. Irgendwie ärgerte mich das, aber ich schob es beiseite. Jetzt begann ein neuer Lebensabschnitt. Noch drei Wochen bis zu meinem Urlaub, den ich ursprünglich mit meinen Flitterwochen hatte verbringen wollen. Nina und Greta redeten auf mich ein, ich solle trotzdem fahren, obwohl mir nicht danach war. Sicher würde ich jeden Tag daran denken, dass ich mit Sascha dort gewesen wäre, oder nicht? Ich entschied mich schließlich, nachdem ich mit meinen Schwestern mehrere Gläser Wein geleert hatte, für ›würde ich nicht‹.

Vielleicht half mir der Urlaub, mir Gedanken über die Zukunft zu machen, Pläne zu schmieden und neue Ziele zu setzen. Endlich wieder eigene Entscheidungen zu treffen, ohne es mit jemandem abzusprechen. Das hatte ich schon lange nicht mehr getan. Das erste Ziel in meinem Urlaub würde sein, hinauf zum Ätna zu fahren, meinem guten alten Freund aus Kindertagen. Ich liebte diesen Vulkan und seine Vegetation. Jedes Jahr waren wir mit unseren Eltern nach Sizilien geflogen. Diese wunderbaren Erinnerungen würde ich wohl nie vergessen. Meine Großeltern hatten früher das Restaurant auf Vulcano geführt, doch vor einigen Jahren waren beide im Abstand von kurzer Zeit gestorben. Anscheinend hatte mein Großvater nicht ohne meine Großmutter leben können, denn wenig später war er ihr durch einen Herzinfarkt in den Tod gefolgt. Ich war gerade zwanzig, als es passierte und mir schmerzlich bewusst wurde, dass ich die beiden nun niemals wiedersehen würde.

Kurz nach ihrem Tod hatten Tante Roberta und ihr Lebensgefährte Mario das Restaurant übernommen und bald darauf die kleinen Ferienbungalows gebaut. Ich freute mich darauf, sie wiederzusehen. Es war immer wie nach Hause zurückzukehren. Jedes Mal, wenn ich von der Fähre aus die Umrisse der Insel und die Rauchschwaden der Fumarolen, die sogenannten Dampfaustrittsstellen des Vulkans, sah, überschlug sich mein Herz fast vor Freude. Der Krater des Vulkans war nicht annähernd so groß wie der Ätna, aber unter ihm brodelte es gewaltig. Manchmal kam es zu kleinen Eruptionen, die durch Wasserdampf oder Gasexplosionen hervorgerufen wurden. Von meinem Vater hatte ich viel über Vulkane gelernt, und seine Faszination schien er auf mich übertragen zu haben.

Meine Mutter hatte Tante Roberta erzählt, dass die Hochzeit nicht stattfinden, ich aber trotz allem kommen würde. Sie wirkte nicht sonderlich verwundert und freute sich, dass ich entschieden hatte, die Reise alleine zu unternehmen.

Die Wochen von meiner Trennung bis zur Abreise nach Sizilien waren hart gewesen. Immer wieder war ich Sascha mit seiner neuen Freundin in der Klinik begegnet. Ich hatte sie zuvor nicht kennengelernt, denn als sie ihre Stelle antrat, arbeitete ich bereits in der anderen Abteilung. Sie schien in Saschas Alter zu sein. Vielleicht erfüllte sie ja seine Vorstellungen von einer perfekten Beziehung. Es war nicht einfach für mich, mich umzustellen und allein zu sein. Auf der einen Seite trug ich meinen verletzten Stolz mit mir herum, auf der anderen wünschte ich Sascha, dass er glücklich werden würde. Meine Familie kümmerte sich rührend um mich. Greta kam oft kurz abends vorbei, um zu plaudern. Die Gespräche lenkten ab, ebenso wie die Zeit, die ich mit meinen Eltern verbrachte. Dass ich so oft bei ihnen mit italienischem Essen verwöhnt wurde, musste aufhören, spätestens, wenn ich wieder von meiner Reise zurückkehrte. Meine Mutter kochte fantastisch, aber viel zu gut für die kleinen Pölsterchen auf meinen Hüften.

In der Nacht vor meiner Abreise schlief ich sehr schlecht, noch schlechter als die Wochen davor. Seit der Trennung war ich irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten. Unruhig wälzte ich mich von rechts nach links und schaute stündlich auf die Uhr, bis mich schließlich der Durst in die Küche trieb. Es war noch dunkel draußen. Irgendetwas schien mir Kopfzerbrechen zu bereiten. Lag es vielleicht daran, dass ich das Gefühl hatte, mein Leben würde nach dieser Reise nicht mehr dasselbe sein? Es verursachte mir seltsamerweise Angst, auch wenn es nur unterbewusst zu spüren war. Was sollte schon passieren? Ich musste positiv denken. Viel zu lange hatte ich mich auf Sascha verlassen, mich an ihn gelehnt und sein Leben geführt.

»Selbst schuld«, murmelte ich, während ich den Kühlschrank öffnete, um etwas zu trinken. Das hörte sich nach Selbstmitleid an, wie armselig. Traurig schüttelte ich den Kopf und nahm einen großen Schluck aus der Wasserflasche. Dann brach ich mir ein Stück von der Schokolade ab, die ich in der hinteren Ecke entdeckte. Wahrhaftig ein guter Seelentröster, aber dennoch … »Das muss aufhören, Elena, sofort!«, sagte ich zu mir selbst und steckte noch ein weiteres Stück in meinen Mund. Ich ging zum Fenster und sah hinaus in die dunkle Nacht.

»Alles hat seinen Sinn im Leben, also richte gefälligst deine Krone, Elena, und weiter geht’s. Jaaaa, zugegeben, die beiden Sprüche sind ziemlich abgegriffen, aber trotzdem werde ich es irgendwie hinbekommen, und außerdem wird es Zeit, was zu erleben, e basta.«

Oh mein Gott, jetzt führte ich Selbstgespräche, so weit war es mit mir gekommen. Andere begaben sich für so etwas in die Hände eines Psychiaters. Vielleicht sollte ich mir darüber mal Gedanken machen, jetzt aber musste diese Entscheidung erst einmal warten, bis ich von Sizilien zurückgekehrt war.

1

Es war später Nachmittag, als ich auf dem Flughafen von Catania landete, der alten historischen Hafenstadt am Fuße des Ätna. Luici stand zwischen den anderen Leuten in der Ankunftshalle und erwartete mich bereits. Ich liebte meinen Cousin, aber vor allem den Humor, den er in sich trug. Er sah mit seinen dreißig Jahren unglaublich männlich aus, sprühte vor Charme und wurde von den Frauen begehrt, doch die Richtige hatte er noch immer nicht gefunden. Jetzt erging es mir wie ihm, wir suchten beide nach unserem perfekten Gegenstück, wobei ich mir vorgenommen hatte, vorerst den Männern fernzubleiben.

»Elena, endlich!« Er umarmte mich stürmisch, hob mich kurz hoch und wirbelte mich durch die Luft. Er lachte, und die strahlend weißen Zähne bildeten einen Kontrast zu seiner braungebrannten Haut.

»Wie schön, dass du hier bist, wenn auch allein. Scusi, dass ich dir das jetzt sage, aber das mit dir und Sascha tut mir ehrlich gar nicht leid, denn er hat eh nicht zu dir gepasst. Außerdem war er viel zu alt für dich. Du brauchst jemand anderen, einen heißblütigen, jüngeren Typen. Ich werde dir einen rassigen Italiener suchen. Ihr werdet heiraten, Bambini bekommen, und du bleibst hier, für immer.« Er strahlte.

»Ich freue mich auch sehr, dich zu sehen, Cousin, aber die Nummer mit dem rassigen Italiener kannst du vergessen. Ich habe für’s Erste die Nase voll von Männern und muss zunächst einmal wieder zu Verstand kommen.«

»Ja, das sag ich doch die ganze Zeit. Lass mich nur machen, alles wird gut. Die Männer werden verrückt nach dir sein. Ich habe viele seeeehr gut aussehende Freunde, die nur darauf warten, jemanden wie dich kennenzulernen. Sie werden dir aus der Hand fressen, vertrau mir.«

»Stopp, Luici, ich schlage vor, wir verschieben das Thema. Besser noch, wir vergessen es! Lass uns fahren, ich möchte endlich aus dem stickigen Gebäude raus und Meerluft atmen.«

»Na schön, ich gebe mich geschlagen, vorerst.« Er grinste breit und zwinkerte mir zu.

Es war Anfang September, aber die Temperaturen lagen um diese Jahreszeit noch immer bei knapp unter dreißig Grad. Das mediterrane Klima führte dazu, dass man bis in den Oktober hinein im Meer baden konnte. Die Sonne schien gnadenlos vom Himmel herab und brannte auf meiner Haut. Zum Glück hatte ich den dunklen Teint von meiner Mutter geerbt, sodass ich mich sicher schnell daran gewöhnen würde. Ich atmete tief ein und schloss einen kurzen Moment die Lider, während Luici meinen Koffer ins Auto hob. Endlich war ich zurück. Eine gewisse Sentimentalität überkam mich und ließ mich schlucken. Ich musste an all das denken, was hinter mir lag. Hier zu sein würde mir guttun. Schon jetzt, in diesem Augenblick fühlte ich mich auf sonderbare Weise befreit.

»Hey Cousinchen, träumst du von den wahnsinnig gut gebauten Männern, die ich dir vorstellen werde?« Er lachte laut auf und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Als Antwort knuffte ich ihn in die Seite. »Du bist unverbesserlich, lass das jetzt. Vielleicht solltest du deine Energie dazu nutzen, dir selbst eine Frau zu suchen.«

»Bella Mia, ich habe dutzende Frauen, eine schöner als die andere«, erwiderte er und verschränkte prahlerisch die Arme vor seiner Brust.

»Ach ja? Und wo sind die alle?«, forderte ich ihn heraus und schmunzelte.

»Na, hier, verstreut auf der Insel. Sie sind frei und ich ebenfalls.«

»Du weißt genau, was ich meine, Luici.«

»Ach, das hat noch Zeit, ich genieße meine Freiheiten, und das solltest du auch, bevor dir jemand erneut einen Ring an den Finger steckt.«

Er hatte recht, das Leben war zu kurz, um der Vergangenheit hinterherzutrauern.

Wir fuhren an der Küste entlang, etwa fünfzig Minuten bis Taormina. Der idyllische Ort lag an einem Berghang, direkt am Meer. Von der Stadt aus hatte man einen fantastischen Blick zum Ätna. Die beschaulichen Buchten mit ihren Stränden luden zum Baden ein. Über eine Sandbank konnte man zu der kleinen Insel Isola Bella gehen, die aufgrund ihrer seltenen Pflanzen und Tiere unter Naturschutz stand. Es gab so schöne Dinge zu sehen in Taormina, und schon jetzt freute ich mich darauf, mal wieder durch die engen, malerischen Gassen zu schlendern.

Zu dieser Zeit strömten noch viele Touristen in den Ort, die Haupteinnahmequelle für die Bewohner. Luicis Pension lag relativ weit oben, etwas abseits der Hauptstraßen, aber mit einem sensationellen Ausblick aufs Meer. Er hatte sie vor einigen Jahren von einem Bekannten übernommen, der durch einen Unfall nicht mehr der Belastung und dem Stress standhalten konnte. Da Luici in der Gastronomie aufgewachsen war, besaß er alle Voraussetzungen dafür. Durch die vielen Stammgäste, die jedes Jahr kamen, und die Lage lief es sehr gut für ihn.

Wir erreichten schließlich Taormina und fuhren über die kurvigen Straßen hinauf bis zur Pension. Das Haus war schon alt, aber der Vorbesitzer hatte vor einigen Jahren viel Geld in die Hand genommen, um es zu renovieren. Die Außenfassade mit den verschiedenen Natursteinen und die kleinen bepflanzten Blumenkästen an den schmiedeeisernen Balkonen verliehen dem Gebäude seinen besonderen Charme. Es lag am Hang, sodass man von der großen, mediterran gestalteten Terrasse aus einen tollen Ausblick genießen konnte. Zusätzlich gab es einen Pool für die Gäste. Vor dem Eingang standen zwei riesige, blühende Oleander, eingepflanzt in halbe Weinfässer. Die mahagonifarbene Tür mit ihren Messingbeschlägen und Butzenscheiben war offen.

»Ich habe dir dein Lieblingszimmer reserviert, Cousinchen, ganz oben mit Aussicht auf deinen Vulkan.«

»Wirklich? Ach, du bist ein Schatz, ich danke dir«, erwiderte ich strahlend, denn was gab es Besseres, als morgens die Gardinen zur Seite zu schieben und direkt auf den Ätna zu schauen.

»Na klar, ich weiß ja, wie sehr du ihn liebst, daher überleg dir das noch mal …« Er zwinkerte mir zu und nahm meinen Koffer.

»Was denn?«, fragte ich nach, obwohl ich sehr wohl wusste, was er meinte.

»Ja, ja, warte nur ab, du weißt ganz genau, was wir Sizilianer in puncto Amore draufhaben. Mach dich auf einiges gefasst.«

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und folgte ihm ins Haus. Zwei Jahre war es her, doch es kam mir vor, als wäre es gestern gewesen. Der Eingangsbereich hatte sich nicht verändert. Ein relativ großer Raum mit verputzten Steinwänden, an denen romantische Bilder der Umgebung hingen und rustikale Lampen, die den Raum zusätzlich in ein sanftes Licht hüllten. Der mit wuchtigen, bunten Steinplatten ausgelegte Fußboden war in meinen Augen das absolute Highlight des Eingangsbereiches. An der rechten Seite lud ein Sofa ein, es sich während der Wartezeit bequem zu machen. Davor standen ein Holztischchen mit Touristeninformationen, eine gefüllte Wasserkaraffe und Gläser.

Luici steuerte auf die junge hübsche Frau zu, die am Empfang saß, und signalisierte ihr, ihm meinen Zimmerschlüssel zu geben. In der Zeit warf ich einen kurzen Blick durch den gemauerten Bogen hindurch, der in den Frühstücksraum und auf die Terrasse führte. Nur wenige Gäste saßen dort und genossen die Sonne. Die Pension hatte acht Zimmer und wirkte eher wie ein kleines Hotel, aber mein Cousin bestand darauf, dass man ›Pensione Romina‹ sagte.

»So, das hätten wir.« Er hielt den Schlüssel wie eine Trophäe in die Luft. »Komm, ich trage dir den Koffer nach oben, das ist Männersache, aber was bitte hast du nur da reingetan, so schwer wie der ist? Sind da Backsteine drin?«

Ich schmunzelte. »Natürlich nicht, aber lebensnotwendige Sachen, die wir Frauen nun mal brauchen. Man sollte für alles gerüstet sein.«

Er hievte stöhnend den Koffer die Treppe hinauf, und ich folgte ihm.

»Sag mal, wer ist denn das nette Mädchen am Empfang? Sie ist hübsch, wäre das nichts?«, fragte ich ihn.

Er sah sich kurz um. »Angestellte sind tabu, Cousinchen, außerdem ist sie vergeben.«

»Ha! Dachte ich mir doch, dass du das schon abgecheckt hast, ich kenne dich.«

Er grinste, öffnete die Tür zu meinem Zimmer und stellte den Koffer vor den Kleiderschrank.

»So, jetzt pack erst einmal in Ruhe aus. Ich dachte mir, wir gehen nachher etwas essen, was hältst du davon? Es gibt eine Menge zu erzählen. Ich werde gleich meinen Single-Freunden Bescheid sagen, wo wir uns treffen können.«

»Untersteh dich, Luici!«, warnte ich ihn und warf ihm einen bösen Blick zu.

»Hey, war nur Spaß, ehrlich. Also, bis nachher.«

Mit diesen Worten verschwand er lachend und ließ mich allein.

Luici würde mir guttun und die Umgebung ebenfalls. Ich zog die Schuhe aus und lief barfuß über die angenehm kühlen Terrakottafliesen zur Balkontür. Vorsichtig schob ich die luftigen Gardinen zur Seite, öffnete die Tür und trat hinaus. Der Ausblick ließ mein Herz schneller klopfen. Da lag er majestätisch vor mir, der Ätna, den ich, wie viele andere Einheimische auch, liebevoll ›Mongibello‹ nannte, den Berg der Berge. Auf Sizilien hieß es, der Ätna sei weiblich, furchtbar und fruchtbar. Durch das mineralstoffreiche Lavagestein entstanden immer wieder neue unvergleichbare Vegetationen. Im April vor zwei Jahren hatte ich ihn zuletzt gesehen. Zu der Zeit hatte noch Schnee auf seiner Spitze gelegen, und oben waren Temperaturen bis weit unter null gemessen worden.

Mit einem Umfang von etwa zweihundertfünfzig Kilometern und seinen dreitausenddreihundertdreiundzwanzig Metern war er der höchste aktive Vulkan Europas. Dieses Mal würde mich nichts davon abhalten, zu ihm hinaufzufahren. Durch die wiederkehrenden Ausbrüche veränderte er sich ständig, und es gab immer Neues zu entdecken.

Unterhalb meines Balkons lag die Terrasse und darunter das Meer. Bereits jetzt konnte ich es kaum abwarten, mich in die Fluten zu stürzen. Von hier aus hatte man den perfekten Ausblick auf den Sonnenuntergang. Kurz dachte ich an Sascha, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder und widmete mich meinem Koffer. Das Zimmer war typisch südländisch eingerichtet. Die dunklen Holzmöbel und die weiß verputzten Wände passten einfach perfekt ins Bild, ebenso wie die kleinen Mosaikfliesen im Bad. Einen Moment lang legte ich mich aufs Bett, um auszuruhen. Ich rief meine Eltern an und schickte Nina und Greta eine Sprachnachricht.

Als es Zeit wurde, hinunterzugehen, warf ich noch einen kurzen Blick in den Spiegel, denn ich war mir nicht ganz sicher, ob Luici nicht doch seine Freunde … Aber nein, das würde er nicht wagen, oder?

Zum Glück hatte ich recht behalten, und mein Cousin und ich blieben an diesem Abend allein. Luici entführte mich in sein Lieblingslokal, das ich bereits von meinen vorherigen Aufenthalten her kannte. Mit den Besitzern war er schon seit Jahren befreundet. Luici hatte ihnen erzählt, dass ich ihn besuchen würde.

»Benvenuto, Elena, wie schön, dich mal wiederzusehen«, rief Maria und kam auf uns zu, als wir das Lokal betraten.

Ich umarmte sie zur Begrüßung. »Ja, ich freue mich auch riesig, wieder hier zu sein. Wie geht es dir, und was machen deine Kinder?«

»Ach, der ganz normale Wahnsinn. Sie sind gewachsen, du wirst sie kaum wiedererkennen. Jetzt aber zu dir. Es tut mir so leid mit deiner Hochzeit. So ein Mistkerl, dich einfach sitzen zu lassen und sich ne andere zu suchen.«

Ich sah sie groß an und warf anschließend Luici einen bösen Blick zu. Der jedoch zuckte unschuldig mit den Schultern und begrüßte Ariano, Marias Mann. Beide waren etwa Mitte dreißig und ihre Jungs dreizehn und fünfzehn. Sie hatten früh geheiratet und das Restaurant von Marias Eltern übernommen.

Das Essen schmeckte köstlich, ebenso der Wein, dessen Trauben direkt von den Hängen des Ätna stammten. Die Weingüter in der Gegend waren berüchtigt für die außergewöhnlich gute Note ihres Weins. Ich liebte die gemütliche Atmosphäre in diesem Lokal. Es hatte nicht viele Plätze, aber allein das bemalte Deckengewölbe machte es zu etwas Besonderem. Luici und ich redeten bis spät in die Nacht. Nachdem die letzten Gäste gegangen waren, kamen auch noch Maria und Ariano dazu. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt so viel an einem Abend gelacht hatte. Der Wein leistete sicherlich seinen Beitrag, aber das spielte für mich keine Rolle. Ich wollte fröhlich und glücklich sein. ›La Dolce Vita‹, die italienische Lebenskunst, das war genau das, was mir im Blut lag und was ich so lange vermisst hatte.

2

 

 

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Luici mich strahlend begrüßte, während ich ein Gebäckstück und etwas Obst auf meinen Teller legte.

»Buongiorno, Cousinchen, gut geschlafen?«

»Buongiorno, Luici. Ja, außerordentlich gut im Gegensatz zu den letzten Wochen.«

»Fantastico, dann frühstücke erst einmal in Ruhe und genieß den Tag. Was hast du geplant für heute?«

»Ich werde gleich ein wenig in den Ort gehen, vielleicht etwas shoppen oder einfach nur die Leute beobachten, mal sehen.«

»Sehr gut und halt die Augen offen …« Er schmunzelte, und ich wusste, dass er seinen Satz mit ›nach feurigen Italienern‹ beenden wollte, aber er verkniff es sich.

Eilig verschwand er wieder Richtung Küche. Ich sah ihm lächelnd hinterher und betätigte den Kaffeeautomaten für einen Cappuccino. Die meisten Leute waren anscheinend schon aufgebrochen. Ein älteres Ehepaar und zwei junge Frauen saßen draußen unter der Markise. Ich beschloss ebenfalls, mich auf die Terrasse zu setzen, um den atemberaubenden Ausblick zu genießen. An der weiß verschnörkelten Eisenbrüstung hingen bepflanzte Blumenkästen. Kleine Insekten schwirrten umher und landeten immer mal wieder auf einer der Blüten. Überall verteilt, zwischen den Tischen und Stühlen standen in Kübeln aus Terrakotta blühende Oleander und Rosmarinbüsche sowie kleine Oliven-, Zitronen- und Orangenbäumchen. Weiße Sonnenschirme spendeten zusätzlichen Schatten. Ich setzte mich direkt an die Brüstung und sah hinunter aufs Meer. Es schimmerte leuchtend türkis, und die sanften Wellen schwappten fast lautlos an den Strand. Einige Touristen sonnten sich bereits auf ihren Liegestühlen. Vielleicht würde ich später auch nach unten gehen, um etwas zu baden. Vorerst jedoch wollte ich durch die kleinen, urigen Gassen von Taormina schlendern.

Nachdem ich durch die Porta Messina, ein antikes steinernes Tor, auf die Fußgängerzone Corso Umberto gegangen war, kam es mir so vor, als wäre ich vor Kurzem erst hier gewesen. Ich liebte die Atmosphäre und die Gerüche nach mediterranen Kräutern und Blumen, die an jeder Ecke wahrzunehmen waren. Es herrschte emsiges Treiben auf der Straße und in den Läden, aber nicht so sehr wie in den Sommermonaten, wo sich die Touristen durch die Gassen schoben. Jetzt wurde es allmählich ruhiger in Taormina. Es schien sich nichts verändert zu haben, außer vielleicht ein paar Geschäfte, deren Besitzer gewechselt hatten.

Bevor ich jedoch weiterging, wollte ich mal wieder nach so langer Zeit einen kurzen Blick auf den Palazzo Corvaja werfen, einen ehemaligen im arabischen Stil erbauten Adelspalast. Es handelte sich hierbei um das älteste Gebäude Taorminas, dessen Charme ich vom ersten Augenblick an verfallen gewesen war. Der Turm hatte damals zur Stadtbefestigung gehört. Später war das Gebäude erweitert worden. Besonders der steinerne Treppenaufgang im Innenhof mit dem kleinen Balkon und die bogenförmigen Fenster hatten es mir angetan. Heute beherbergte es ein Museum für Kunst und Volkstradition sowie die Touristeninformation.

Nach einer Weile lief ich weiter, zurück auf die Flaniermeile mit ihren unzähligen Geschäften und gemütlichen Bars. Ich hatte nicht vor, etwas zu kaufen, zumindest jetzt noch nicht, doch es gab so viele schöne Dinge, sodass ich nicht widerstehen konnte. Wenig später hatte ich eine Kette mit einem bezaubernden bunten Stein für Nina und ein Armband mit ebensolchen Steinen für Greta erstanden. Nur ein paar Schritte weiter stoppte ich an einem Gewürzladen, dessen Düfte mich magisch anzogen. Das würde meiner Mutter gefallen, also ging ich hinein und kaufte frische, typisch italienische Gewürze.

Ungefähr auf der Hälfte der Corso Umberto erstrahlte vor mir die Piazza IX Aprile, ein großer Platz mit schwarz-weißem Schachbrettmuster, das in der Sonne schimmerte. Die historischen Kirchen sowie der Glockenturm mit seiner Uhr stachen einem besonders ins Auge. Unter ihm befand sich ein Torbogen, dessen steinerne Innenwand mit herrlichen Mosaiken bestückt war und durch das man in den älteren Stadtteil Taorminas gelangte. Ich lief hinüber zur anderen Seite der Piazza, von wo aus man einen fantastischen Blick aufs Meer, den Ätna und das antike, griechische Theater hatte. In Gedanken versunken lehnte ich mich an das schmiedeeiserne Geländer und genoss die leichte Brise, die vom Wasser hinaufgetragen wurde. Es waren sicherlich fünfundzwanzig Grad in der Sonne, wenn nicht an die dreißig. Bei dieser Aussicht vergaß ich alles um mich herum. Ich fühlte mich befreit von den traurigen Gedanken, die mir noch in der Nacht vor meiner Abreise den Schlaf geraubt hatten.

Plötzlich spürte ich an meinen nackten Beinen etwas Kaltes und Feuchtes. Für einen Moment zuckte ich vor Schreck zusammen und sah hinunter. Vor mir saß ein mittelgroßer Hund, der freudig mit dem Schwanz wedelte. Seine bernsteinfarbenen Augen schauten mich freundlich an, und sein kurzes, cremefarbenes Fell glänzte in der Sonne. Er erinnerte mich irgendwie an einen Labrador. Als ich entdeckte, dass er auf der einen Seite nur ein halbes Ohr besaß, zog sich mein Herz zusammen. Es wirkte fast wie abgerissen und ausgefranst. Ich ging in die Hocke und kraulte ihn sanft.

»Na, du Hübscher, was ist dir denn widerfahren? Wer hat dir das nur angetan?« Er wedelte noch immer und schob seinen Kopf gegen meine Hand, um mich aufzufordern, ihn weiter zu streicheln. Ich liebte Hunde, nur hatte ich weder die Zeit dazu gehabt, mich um ein Tier zu kümmern, noch mochte Sascha Hunde. Aber das sollte mich jetzt nicht mehr kümmern, schließlich war es vorbei.

»Wo sind denn deine Besitzer?«, fragte ich weiter, obwohl ich wusste, dass ich keine Antwort bekam. Er trug weder ein Halsband, noch entdeckte ich irgendjemanden, zu dem er gehören könnte. Auf Sizilien gab es jede Menge herrenloser Hunde, doch dieser wirkte im Gegensatz zu den anderen sehr gepflegt. Anscheinend hatte sich auch jemand professionell um das Ohr gekümmert. Was war ihm nur passiert? Vielleicht doch ein Unfall? Ich schaute mich ein weiteres Mal um, konnte aber keinen Besitzer ausfindig machen. Er hechelte ziemlich stark, was bei der Hitze nicht verwunderlich war. Offenbar hatte er Durst, und mir ging es ähnlich, daher entschloss ich mich, in das Café Wunderbar zu gehen, das älteste in Taormina. Hier hatten schon Ernest Hemingway und weitere berühmte Leute gesessen.

»Na, was ist, mein Hübscher, sollen wir beide mal dort drüben den Kellner fragen, ob er etwas zum Trinken für dich hat?«

Der Hund wedelte heftig und blickte tatsächlich in die Richtung des Cafés. Verdutzt zog ich die Stirn kraus.

»Du willst mir doch nicht gerade weismachen, dass du mich verstanden hast, oder?«

Er sah zuerst zu mir und dann erneut zu dem Café hinüber. Fast schon forderte er mich auf, ihm genau dorthin zu folgen, indem er ein paar Schritte voraus lief und dann zu mir zurückkam.

»Ist das dein Ernst jetzt?«, sprach ich ihn ein weiteres Mal an und beobachtete ihn kopfschüttelnd dabei, wie er sein Spiel wiederholte.

»Na schön, dann mal los, anscheinend weißt du ja, wo es hingeht.« Lächelnd begleitete ich ihn, während er zielstrebig zu den Tischen und Stühlen trottete, die etwas entfernt an dem Aussichtsgeländer aufgebaut waren. Zwei Kellner hasteten eilig hin und her, um die Gäste zu bedienen, die sich unter den Sonnenschirmen ein schattiges Plätzchen gesucht hatten.

Ich hielt Ausschau nach einem freien Tisch und hatte Glück. Direkt am Geländer, von wo aus ich den traumhaften Ausblick genießen konnte, war noch einer frei. Ich steuerte darauf zu, doch der Hund schien anderer Meinung zu sein und lief weiter, als ich davor stehen blieb. Schnell legte ich meine Tasche auf einen der freien Stühle und setzte mich. So, das wäre geschafft, nur wo war der Hund geblieben? Ich sah mich um und entdeckte ihn schließlich. Er stand ein paar Meter weiter vor einem Tisch, an dem ein sehr attraktiver Mann mit kurzem dunklen Haar und Sonnenbrille saß. Er trug ein weißes T-Shirt, cremefarbene Shorts und dazu Flipflops. Noch nie zuvor hatte ich einen Mann Flipflops tragen sehen, aber was mir direkt ins Auge stach, waren die geheimnisvollen Maori-Tattoos am rechten Arm und an einem Teil seines Halses. Wie konnte man sich nur so verunstalten? Ich fand Tattoos nicht gerade toll, sondern zählte eher zu den Frauen, die diesen Körperkult ablehnten und ihn klischeehaft als bedrohlich empfanden.

Ob ihm der Hund gehörte? Und wenn ja, könnte es dann auch sein, dass er ihm das Ohr … Nein, sicherlich nicht, sonst würde er doch nicht so freudig wedelnd vor ihm stehen. Anscheinend jedoch kannten sich die beiden. Der Mann streichelte ihm sanft übers Fell, während der Hund immer wieder seinen Kopf drehte und zu mir herübersah. Jetzt schien auch der Mann zu bemerken, dass ich ihn beobachtete. Es war durch die Sonnenbrille unmöglich, seine Augen zu erkennen, aber als er den Kopf hob, wusste ich, dass er zu mir herschaute. Ich begann mich unwohl zu fühlen, daher nahm ich die Getränkekarte und ignorierte ihn. Er würde sicher dafür sorgen, dass sein Hund etwas zu Trinken bekam.

Gerade als ich mich für einen Cappuccino und ein Wasser entschieden hatte, stand der Hund erneut neben mir und stupste meinen Ellenbogen an.

»Hey, da bist du ja wieder«, begrüßte ich ihn. »Ich denke, es ist besser, du gehst zu deinem gruseligen Herrchen zurück. Das ist doch dein Herrchen, stimmt's?«

Er wedelte heftig mit seinem Schwanz und schaute demonstrativ zu dem Mann mit den Tattoos.

»Nicht zu fassen, du bist wirklich ein cleveres Kerlchen. Allerdings solltest du besser mit ihm kommunizieren, damit er dir etwas zu trinken gibt, du hechelst ja immer noch so stark.« Ich warf dem Mann einen bösen Blick zu und streichelte meinen neu gewonnenen blonden Freund, der den Kopf auf meinen Schoß gelegt hatte.

»Buongiorno, Signorina«, sprach mich der Kellner plötzlich an. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt.

»Oh, buongiorno. Bitte einen Cappuccino und ein Wasser. Grazie.«

»Si, Signorina, kommt sofort«, antwortete er und wollte sich schon auf den Weg machen. Ich hielt ihn zurück.

»Bitte, sind Sie so freundlich und sagen dem Herrn dort drüben, dass sein Hund hier anscheinend Durst hat.«

Der Kellner stutzte. »Ähm, ist das nicht Ihr Hund?«

»Nein, ist es nicht, aber ich denke, er gehört dem Mann mit den Tattoos. Es ist doch sehr heiß, ich möchte nicht, dass das Tier verdurstet bei der Hitze. Das wäre wirklich außerordentlich freundlich von Ihnen.«

Ich warf ihm ein unwiderstehliches Lächeln zu und klimperte etwas mehr als gewöhnlich mit den Wimpern. Der Kellner strahlte, nickte mir zu und ging tatsächlich zu dem Mann. Mein Herz klopfte schneller, hoffentlich hatte ich meinen Bogen nicht überspannt. Was sollte ich tun, wenn er mit mir in die Konfrontation ging? Seine Tattoos schüchterten mich schon etwas ein. Hätte ich den Kellner doch nur einfach um eine Schale Wasser gebeten. Was war in mich gefahren?

In dem Moment, als ich beobachtete, wie der Kellner mit dem Mann redete und dann auf mich zeigte, bereute ich mein Handeln zutiefst. Der Hund leckte mir über die Hand und lief zurück zu seinem Herrchen, der mir anscheinend, soweit ich das wegen der Sonnenbrille beurteilen konnte, einen Blick zuwarf. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst, und ich bemerkte auf die Entfernung, wie sich seine Körpermuskulatur anspannte. Nervös wippte ich mit meinem Bein und tat so, als würde ich die Aussicht genießen.

Kurze Zeit später stand der Kellner wieder neben mir.

»Scusi, Signorina, der Herr meinte, er würde nicht ihm gehören, sondern nur sich selbst, und wenn Sie der Meinung wären, er hätte Durst, dann sollten Sie sich doch um ihn kümmern und ihm was zu trinken geben.«

Die Hitze stieg mir ins Gesicht, und mein Puls schoss rasant in die Höhe.

»Ruhig bleiben«, sagte ich zu mir selbst und bat den Kellner, etwas Wasser für den Hund zu bringen. Es war doch ganz offensichtlich, dass er zu dem Mann gehörte, warum stritt er es ab?

Wenige Minuten später kam er zurück, stellte das kleine Tablett mit meinen Getränken auf den Tisch und die Wasserschüssel auf den Boden.

»Das Wasser bitte zu dem Herrn und seinem Hund, mit freundlichen Grüßen von mir, Grazie.«

Der Kellner zog eine Augenbraue hoch, nickte, nahm die Schüssel und tat, worum ich ihn gebeten hatte. Demonstrativ schlug ich die Beine übereinander und trank einen Schluck Cappuccino. Ich wagte nicht, hinzusehen, daher zog ich mein Handy aus der Tasche, um einen desinteressierten Eindruck zu erwecken. Innerlich jedoch lief ich auf Hochtouren. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte ich schließlich, dass der Mann aufstand und in meine Richtung blickte. Er würde doch nicht etwa … Das hatte ich nun von meinem italienischen Temperament. Jetzt kam er tatsächlich auf mich zu, bog dann jedoch glücklicherweise ab und lief durch die Tische hindurch auf die Piazza. Erleichtert atmete ich aus, ohne bemerkt zu haben, dass ich die Luft angehalten hatte. Im selben Moment stupste mich eine feuchte, kalte Nase an.

»Hey, mein Freund, da bist du ja wieder. Hat dir das Wasser gutgetan? Was ist denn nun mit dem Typen, ist er dein Herrchen oder nicht?«

Der Hund drehte sich freudig um die eigene Achse und bellte einmal laut auf. Ich lachte und kraulte kurz sein Fell.

Dann hörte ich eine Männerstimme rufen. »Pino!«

Der Hund drehte augenblicklich den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam, bellte noch einmal kurz und lief davon. Als ich ihm hinterherschaute, erkannte ich, wie er wedelnd neben dem Mann mit den Flipflops die Piazza überquerte.

»Von wegen: ›Das ist nicht mein Hund, er gehört nur sich selbst‹«, äffte ich den Kellner nach, der mir die Nachricht von diesem seltsam tätowierten Typen überbracht hatte. Puh, zum Glück war er nicht wie befürchtet an meinen Tisch gekommen, um mir eine Predigt über die Bedürfnisse seines Hundes oder was auch immer zu halten.

Selbst wenn ich aufgrund seiner Tattoos gehörigen Respekt vor ihm hatte, so konnte ich dennoch nicht abstreiten, dass er mir in gewisser Hinsicht gefiel. Er war groß und kräftig gebaut, mal ganz abgesehen von seinem Dreitagebart, der ihm in Verbindung mit den Tattoos etwas Verwegenes gab. Diese Kriegsbemalung jedoch hätte er besser weggelassen. Warum nur taten Menschen so was? Das hatte ich noch nie verstanden. Und wie kam er ausgerechnet auf diese Maori-Zeichen? Ich wusste, dass sie bestimmte Bedeutungen enthielten, doch welche, würde mir wohl für immer verborgen bleiben. Er wirkte irgendwie unnahbar und furchteinflößend, gleichzeitig seltsam anziehend. Zu gerne hätte ich mehr über ihn erfahren, und zu gerne seine Augen gesehen. Leider war es nun zu spät, mein italienisches Temperament hatte mir dazwischengefunkt. In der Sache, mich über mich selbst zu ärgern, war ich Profi. Wie sagte meine Schwester Greta immer: ›Du haust es raus, ohne nachzudenken.‹ Ja, das stimmte, ich ließ mich zu sehr von meinen Emotionen leiten, obwohl das in der Beziehung mit Sascha meistens nicht so gewesen war. Warum eigentlich nicht?

Anscheinend befand ich mich jetzt auf der Zielgeraden, um mich wiederzufinden. Na klasse, dann war dies wohl der Einstieg zu meinem neuen Ich gewesen!

 

Kurz bevor ich mich auf den Heimweg machte, stattete ich dem Dom von Taormina noch einen Besuch ab. Er stammte aus dem fünfzehnten Jahrhundert und ließ ganz klar an seiner Fassade Einflüsse von Barock und Renaissance erkennen. Der eigentliche Grund, hierherzukommen, war allerdings der Barockbrunnen davor, den ich so sehr liebte. Die dreistufige, runde Plattform bildete sein Fundament. In der Mitte, oberhalb der übereinanderliegenden Wasserbecken, thronte die Centauressa, eine seltsame Figur aus der griechischen Mythologie, deren unterer Körper einem Stier und der Oberkörper einer Frau glich. Mit ihrer Krone auf dem Haupt, sowie Zepter und Erdkugel in der Hand, symbolisierte sie das offizielle Wahrzeichen Taorminas. Vor der unteren Stufe hatte man, in einem Abstand von etwa vier Metern, jeweils eine schulterhohe Säule mit einem liegenden Pferd errichtet. Jedes von ihnen blickte in eine andere Richtung, und aus ihren Mäulern plätscherte Wasser in die davor angebrachten kleinen Steinbecken.

Gerade hatte ein Mann seinen Sohn auf eines der steinernen Pferde gesetzt. Der Junge lachte laut und tat so, als würde er reiten. Genau aus diesem Grund war ich hierhergekommen, um mich daran zu erinnern, wie mein Vater mich als Kind ebenfalls hinaufgehoben und meine Mutter mir dazu eine Geschichte erzählt hatte. Sie handelte davon, dass sich bei Vollmond, genau um Mitternacht, die Pferde in einen Pegasus verwandeln und in den Himmel erheben würden. Mit festen Flügelschlägen flogen sie hinauf zu ihrem Sternbild, um ihre Familien zu besuchen. Im Morgengrauen jedoch kehrten sie zurück, und ihr Fell war voller Sternenstaub. Kurz bevor sie sich wieder in Stein verwandelten, schüttelten sie sich, um ihn in alle Himmelsrichtungen zu verteilen. Jedes Mal hatte ich meine Mutter aufs Neue danach gefragt, warum sie das taten, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

»Der Sternenstaub soll den Menschen Hoffnung bringen, irgendwann ihr immerwährendes Glück zu finden. Wenn du ganz genau hinschaust, Elena«, hörte ich sie in meinen Erinnerungen flüstern, »kannst du vielleicht noch ein bisschen davon im Schein der Sonne auf ihren Körpern glitzern sehen.«

Sanft berührte ich eines der Pferde und dachte an die alten Zeiten zurück. Wir alle hatten die Urlaube bei meinen Großeltern geliebt. Meist waren wir die ganzen Sommerferien geblieben. Es gehörte einfach dazu, mindestens einmal nach Taormina zu fahren.

Immer wieder war ich fasziniert von dem Brunnen. Auch dieses Mal ließ ich es mir nicht nehmen, meine Hände zu einem Trichter zu formen und etwas Wasser aufzufangen, um es zu trinken. Ich glaubte fest daran, dass vielleicht noch ein wenig Sternenstaub darin war und ich somit irgendwann mein Glück finden würde.

Gut gelaunt schlenderte ich zurück Richtung Pension. Immer wieder dachte ich an den Mann mit den Tattoos. Obwohl ich weder in seine Augen geblickt noch seine Stimme gehört hatte, mal ganz abgesehen davon, dass ich ihn überhaupt nicht einschätzen konnte, ging er mir dennoch nicht aus dem Kopf. Ich fragte mich, ob er hier ebenfalls seinen Urlaub verbrachte und wo er wohl herkam?

Gerade als ich in die Gasse einbog, in der sich die Pension befand, stutzte ich und blieb stehen. Das gab es doch nicht, wie konnte das sein? Pino saß vor dem Eingang und schaute zu mir herüber. Man hätte meinen können, dass er auf mich wartete. War es Zufall, oder … Mein Herz klopfte schneller, denn das bedeutete, dass sein Herrchen ebenfalls in der Nähe sein musste. Langsam ging ich mit einem mulmigen Gefühl im Magen weiter. Auf einmal sprang Pino auf und lief freudig wedelnd auf mich zu. Lächelnd beugte ich mich zu ihm hinunter, um ihn zu streicheln.

»Was machst du denn hier?«, begrüßte ich ihn mit leiser Stimme und blickte mich nervös um. »Ist dein Herrchen etwa auch hier?«

Als ob er mich verstanden hätte, hob er den Kopf und schaute zur Tür der Pension. Oh, nein, bitte lass es nicht das sein, was ich gerade vermute, flehte ich innerlich.

Doch in dem Moment trat meine Befürchtung aus der Tür und sah in meine Richtung. Er stutzte, als er mich mit Pino entdeckte. Seiner Reaktion nach zu urteilen, erkannte auch er mich wieder. Ein Pfiff erschallte, der eindeutig dem Hund neben mir galt. Anstatt jedoch zu seinem Herrchen zu laufen, setzte er sich demonstrativ hin. Okay, offensichtlich hatte er seinen eigenen Kopf, passte ja auch, schließlich gehörte er nach Aussage dieses Mannes, der ein weiteres Mal pfiff, nur sich selbst. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, während ich mich aufrichtete.

»Pino, komm, hiiiiiierher!«, rief er erneut, doch Pino bewegte sich keinen Millimeter. Deutsch also, dachte ich und beobachtete amüsiert, wie er sich ärgerte. Diesmal hatte er die Sonnenbrille auf dem Kopf, sodass ich seine Augen sehen konnte. Dadurch wirkte er zumindest nicht mehr ganz so bedrohlich.

Ich schaute hinunter zu meinem kleinen Freund, der im Gegensatz zu seinem Herrchen völlig entspannt war.

»Hey, du wirst gerufen«, sagte ich zu ihm und grinste. »Ich denke, es ist besser, wenn du zu ihm gehst. So wie der aussieht, scheint er ziemlich sauer über das zu sein, was du hier gerade abziehst, also lauf, mach schon.« Ich zeigte in die Richtung des Mannes.

Pino schaute zu mir und wedelte, bewegte sich jedoch noch immer nicht.

»Was für ein Spiel spielst du hier, Pino?«, fragte ich belustigt, auch wenn ich wusste, dass er mir nicht antworten würde. »Vorhin in dem Café sah es doch so aus, als wärt ihr dicke Freunde.«

Der Mann rief erneut, aber Pino weigerte sich, dem nachzukommen. Ich wollte keinen Konflikt heraufbeschwören, daher nahm ich meinen Mut zusammen und bewegte mich mit klopfendem Herzen in die Richtung des Mannes. Pino sprang augenblicklich auf und lief freudig wedelnd neben mir her. Erst als ich ihn fast erreicht hatte, wagte ich, ihn direkt anzusehen. Der durchdringende Blick seiner wasserblauen Augen traf mich mit voller Wucht. Jetzt wirkte er statt furchteinflößend eher magisch anziehend, obwohl er alles andere als freundlich schaute. Meine Nervosität stieg schlagartig in die Höhe.

Bevor ich das Wort ergriff, kam er mir glücklicherweise zuvor. »Sie schon wieder! Ich hätte nicht erwartet … oder sagen wir besser, ich hatte gehofft, dass unser Aufeinandertreffen bei dem einen Mal bleiben würde. Bevor Sie wieder ausholen, um mir zu erklären, wie ich mit Pino umgehen soll … Kurzum, es geht Sie nichts an. Er gehört –«

»Nur sich selbst, ich weiß«, unterbrach ich ihn, »das hatten Sie mir bereits von dem Kellner ausrichten lassen.«

Er zog die Augenbrauen hoch und warf mir einen erstaunten Blick zu. »Ja, genau.«

»Aber trotzdem sind Sie sein Herrchen, oder?«, hakte ich nach.

»Wir sind Freunde, das trifft es besser«, erwiderte er und streichelte Pino, der jetzt um seine Beine herumschlich.

»Ich, ähm …«, stotterte ich, »wollte mich nicht einmischen, wirklich nicht, es tut mir leid. Also, das vorhin in dem Café, meine ich.«

Sein Blick wurde weicher. »Okay, Entschuldigung angenommen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«

Mit diesen Worten nahm er Pino an die Leine und ging in die Pension.

Verdammt, also doch. Er wohnte offenbar auch hier. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln, daher lehnte ich mich an die Hauswand und atmete tief ein und aus. Kurz schloss ich die Augen. Wenn er nur nicht so unverschämt attraktiv wäre, ganz zu schweigen von seiner dunklen, männlichen Stimme. Er war einige Zentimeter größer als ich, und seine Tattoos wirkten von Nahem noch markanter. Ich hatte es nicht gewagt, sie direkt zu betrachten, aber sie traten schon von sich aus in den Vordergrund. Um ihm ja nicht zu begegnen, wartete ich ein paar Minuten, bevor ich hineinging. In Gedanken versunken, kramte ich nach meinem Zimmerschlüssel, den ich immer mitnahm. Gerade wollte ich die Treppe hinaufsteigen, da rief mich Luici.

»Ciao, Elena, wie war es in der Stadt? Hattest du Spaß?« Er saß im Vorraum zur Terrasse, direkt an der Tür. »Komm her, wie wäre es mit einem Schluck Wein?« Er hielt mir sein halbgefülltes Glas entgegen.

Ich zögerte kurz, willigte dann jedoch ein. Etwas Alkohol würde mir nach der Begegnung eben sicher guttun.

Luici stand auf, um mich zu begrüßen, doch als ich den Raum betrat und bemerkte, wer an der Wand neben ihm saß, blieb ich wie angewurzelt stehen. Das durfte doch nicht wahr sein. Pino sprang auf und fiepste wedelnd. Er war am Stuhl seines Besitzers angebunden, der mich jetzt ebenso überrascht anblickte.

»Was ist denn, Cousinchen, seit wann hast du Angst vor Hunden«, fragte Luici.

»Hab ich ja gar nicht.« Ich versuchte mich innerlich zu beruhigen.

»Darf ich dir Dr. Gabriel Hoffmann vorstellen? Er macht hier zusammen mit seinem Hund ein paar Tage Ferien. Wir kennen uns schon vom letzten Jahr. Gabriel, das ist meine Cousine Elena. Sie lebt in Deutschland und ist hier auf Hochzeitsreise.«

Ich starrte Luici groß an und warf ihm einen bösen Blick zu.

»Ähm, scusi, das stimmt nicht ganz«, korrigierte er sich, was es nicht unbedingt besser machte. »Es sollte ihre Hochzeitsreise werden, aber sie ist sitzen gelassen worden, worüber ich sehr froh bin. Dieser Typ hat einfach nicht zu dir gepasst, Elena.«

Ich traute meinen Ohren nicht, wie konnte er nur?

»Herzlichen Dank auch, Luici, dass du mit deinen Gästen über mein Privatleben plauderst«, erwiderte ich entrüstet, während mir die Röte ins Gesicht stieg. Was in Gottes Namen war in ihn gefahren, ausgerechnet diesem Mann meine halbe Lebensgeschichte zu erzählen?