World of Warcraft, Band 1: Teufelskreis - Keith R. A. DeCandido - E-Book

World of Warcraft, Band 1: Teufelskreis E-Book

Keith R. A. DeCandido

4,5

Beschreibung

Die Brennende Legion wurde besiegt und die östlichen Regionen von Kalimdor werden nun von zwei Parteien beherrscht: Auf der einen Seite die Orks von Durotar, unter dem Kommando des charismatischen Kriegshäuptlings Thrall, auf der anderen Seite die Menschen von Theramore, angeführt von der mächtigsten Magierin dieser Zeit: Lady Jaina Proudmoore. Doch der Frieden zwischen Orks und Menschen ist brüchig. Wiederholte Angriffe auf Durotar legen den Verdacht nahe, dass die alte Feindschaft zwischen den beiden Völkern erneut entbrannt ist. Thrall und Jaina setzen alles daran, dass die Woge des Hasses nicht erneut über Kalimdor brandet und das Land in einen weiteren furchtbaren Krieg zieht. TEUFELSKREIS Ein völlig eigenständiger Roman um Magie, Krieg und Heldentum - basierend auf den preisgekrönten Videogame-Bestsellern von Blizzard Entertainment.

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Amerikanische Originalausgabe: „World of Warcraft: Cycle of Hatred“ by Keith R. A. DeCandido, originally published in the US in 2006 by Pocket Books, a division of Simon and Schuster, Inc.

German translation copyright © 2006, 2009 Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. All Rights Reserved.

Copyright © 2009 Blizzard Entertainment, Inc. All Rights Reserved. Warcraft, World of Warcraft, Blizzard Entertainment are trademarks or registered trademarks of Blizzard Entertainment in the U.S. and/or other countries. All other trademarks are the property of their respective owners.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

No similarity between any of the names, characters, persons and/ or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

Übersetzung: Mick Schnelle Lektorat: Manfred Weinland Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest Chefredaktion: Jo Löffler

Für GraceAnne Andreassi DeCandido, Helga Borck, Ursula K. LeGuin, Constance Hassett, Joanne Dobson und all die anderen Frauen, die mir so vieles beigebracht haben.

Danksagung

An erster Stelle muss ich mich beim Blizzard-Games-Guru Chris Metzen bedanken, dessen Beiträge zu Warcraft unentbehrlich waren. Unsere Telefongespräche und Emails waren wirklich sehr fruchtbar und voller kreativer Energie.

Außerdem danke ich Marco Palmieri, meinem Lektor bei Pocket Books, und seinem Chef Scott Shannon, die beide fanden, dieses Buch sei eine gute Idee, und Lucienne Diver, meiner wundervollen Agentin.

Dank auch an die anderen Warcraft-Autoren, Richard Knaak, Jeff Grubb und Christie Golden. Besonders Jeffs Der letzte Wächter und Christies Der Lord der Clans waren hilfreich für mich bei der Charakterisierung von Aegwynn und Thrall.

Weiterer Dank gilt der Malibu-Gang, den Elitist Bastards, Novelscribes, Inkwell und all den anderen Mailinglisten, die mich bei bester Gesundheit erhalten, indem sie mich schier wahnsinnig machen, CITH und CGAG, den Leuten bei Palombo, die mich unterstützt haben, Kyoshi Paul und dem Rest der netten Leute im Dojo.

Last but not least danke ich für die Nachsicht all derer, die mit mir zusammenleben, egal ob Mensch oder Katze, und für ihre fortwährende Unterstützung.

Anmerkung des Historikers

Diese Geschichte spielt ein Jahr vor World of Warcraft. Drei Jahre sind seit der Invasion der Brennenden Legion und deren Niederschlagung durch die vereinten Streitkräfte von Orcs, Menschen und Nachtelfen vergangen.

(Warcraft 3: Reign of Chaos und Warcraft 3-Addon: The Frozen Throne)

EINS

Erik hatte gerade Bier von dem Dämonenschädel gewischt, der hinter dem Tresen hing, als der Fremde eintrat. In den Demonsbane Inn verirrten sich normalerweise kaum Reisende. Nur äußerst selten war das Gesicht eines Gastes Erik unbekannt. Weniger selten war, dass ihm der Name nicht geläufig war. Er merkte sich Gesichter nur durch regelmäßige Begegnungen. Erik kümmerte es nicht, wer in seine Kneipe kam, so lange dieser jemand nur genügend Durst und Bares mitbrachte.

Der Fremde, der an einem der Tische saß, schien entweder auf etwas zu warten oder nach etwas zu suchen. Er beachtete weder die kleinen runden Holztische und Stühle noch die dunklen Holzwände, die ohnedies nur schwer zu erkennen waren. Das Demonsbane hatte keinerlei Fenster, lediglich ein paar Fackeln spendeten leidlich Helligkeit. Erik machte sich nie die Mühe, die Tische geordnet aufzustellen, weil die Leute sie ohnehin so platzierten, wie es ihnen am besten in den Kram passte. Nach einer Weile stand der Fremde auf und trat vor die Holztheke. „Gibt es hier keine Bedienung?“, wandte er sich an den Wirt.

„Scharf beobachtet“, entgegnete Erik und betrachtete angelegentlich den Lappen, mit dem er sich um das Wahrzeichen seines Hauses gekümmert hatte. Er sah nicht ein, gutes Geld für einen Kellner auszugeben. Wenn die Leute etwas zu trinken haben wollten, fanden sie ganz von allein zur Theke. Und wenn sie dafür schon zu betrunken waren, kam ihm das auch entgegen. Das hielt sie davon ab, sich um den letzten Rest Verstand zu saufen, zu randalieren und am Ende noch die Einrichtung zu demolieren. Nein, auf Prügeleien konnte Erik getrost verzichten, er betrieb eine ruhige Taverne.

Der Fremde warf ein Silberstück auf den Tresen und fragte: „Was ist Euer teuerstes Getränk?“

„Eberschnaps aus dem Norden“, erwiderte Erik, ohne auch nur einen Moment nachdenken zu müssen. „Die Orcs stellen ihn her. Machen das fabelhaft, die grünen Jungs, wie mir aus dem berufenen Mund meiner Stammgäste immer wieder versichert wird …“

Der Fremde rümpfte abfällig die Nase. „Nein, nichts, was von Orcs kommt!“

Erik zuckte die Achseln. Die Leute hatten oft merkwürdige Ansichten, wenn es um Alkohol ging. Er kannte Gäste, die sich über die fragwürdigen Vorzüge von Bier oder Brandy heftiger stritten als über Politik oder Religion. Und wenn dieser Gentleman Orc-Getränke nicht ausstehen konnte, sollte das nicht Eriks Problem sein.

„Ich hätte auch ganz banalen frisch gebrannten Korn.“

„Her damit!“ Der Fremde hieb mit der Faust auf den hölzernen Tresen, und die Erschütterung wirbelte Nussschalen, Beerenkörner und Staub auf, die sich dort angehäuft hatten. Erik säuberte den Tresen höchstens einmal im Jahr. Außer ihm und dem Dämonenschädel konnte niemand hinter die Theke blicken, folglich gab es keinen Grund, dort zu putzen.

Einer der von Erik erwähnten Stammgäste, ein Soldat, der am liebsten Eberschnaps trank, wandte sich zu dem Fremden um. „Macht es Euch etwas aus, mir zu verraten, was Ihr gegen das Orc-Gesöff einzuwenden habt? Ich habe nie etwas Besseres die Kehle runterrinnen lassen!“

Der Fremde blickte fast mitleidig, während Erik eine Glasflasche aus dem Regal angelte und etwas von ihrem Inhalt in einen leidlich sauberen Becher füllte.

„Ich habe gar nichts gegen das Gesöff von Orcs, guter Mann – nur die Orcs selbst, die mag ich nicht.“ Der Fremde streckte seine Hand aus. „Ich heiße übrigens Margoz. Ich bin Fischer und alles andere als glücklich darüber, wie leer meine Netze in letzter Zeit bleiben.“

Der Soldat ignorierte die ihm dargebotene Hand und erwiderte, ohne sich selbst vorzustellen: „Das sagt für mich nur, dass Ihr kein wirklich guter Fischer seid.“

Margoz senkte die Hand wieder, als ihm klar wurde, dass der Soldat ihn nicht sonderlich mochte. Stattdessen nahm er seinen Becher auf und brummte: „Ich bin ein guter Fischer, Sir. Ich stamme ursprünglich aus Kul Tiras – doch die Umstände zwangen mich, von dort fortzugehen.“

Neben Margoz saß ein Händler, der an seinem Bier nippte. „Die Umstände, hm. Richtig, wurdest sicher eingezogen, um deinen hübschen Kopf gegen die Brennende Legion hinzuhalten, was?“

Margoz nickte düster und fuhr sich mit der Hand über den Nacken „Wie so viele andere auch, ja. Ich habe versucht, mir hier in Theramore ein neues Leben aufzubauen. Aber wie könnte ich das wohl bei all den verdammten Grünhäuten, die die guten Fischgründe ganz für sich allein beanspruchen?“

Erik ertappte sich dabei, wie er zustimmend nickte. Zumindest einem Teil von Margoz’ Argumentation konnte er nur beipflichten. Er selbst war erst nach Theramore gekommen, als die Brennende Legion bereits geschlagen war. Nicht, um zu kämpfen – die Kämpfe waren bereits vorbei gewesen –, sondern um sein Erbe anzutreten. Eriks Bruder Olaf war gegen die Legion marschiert und gefallen. Er hatte Erik genug Geld hinterlassen, um diese Taverne zu eröffnen – was eigentlich Olafs eigener Traum für die Zeit nach dem Militärdienst gewesen war. Außer einem hübschen Sümmchen hatte Olaf ihm auch noch die hässliche knöcherne Fratze eines Dämons vererbt, den der Bruder eigenhändig im Kampf besiegt hatte.

Erik hatte eigentlich keine besondere Lust gehabt, eine Taverne zu betreiben. Aber eigentlich hatte er auch nie zu etwas anderem besondere Lust gehabt. Deshalb eröffnete er das Demonsbane in Gedenken an seinen Bruder. Er setzte völlig zu Recht darauf, dass die Bürger von Theramore einen Ort mit einem Namen schätzen würden, der die Vertreibung der Dämonen symbolisierte. Letztlich hatte das ja zur Gründung ihres Stadtstaates geführt.

„Das sehe ich anders“, brummte der Soldat und spielte mit seinem Becher. „Ihr habt selbst im Krieg gekämpft, Fischer. Ihr wisst also, was die Orcs für uns getan haben.“

„Was sie für uns getan haben, bereitet mir auch keinerlei Bauchgrimmen, guter Mann“, sagte Margoz, „aber es stinkt mir ganz gewaltig, was sie uns derzeit zumuten.“

„Sie kriegen von allem nur das Beste“, bestätigte ein Schiffskapitän an einem der Tische hinter dem Soldaten. „Oben bei Ratschet bevorzugen die Gnome die Orcs immer bei Reparaturen oder der Vergabe von Landeplätzen. Letzten Monat musste ich einen halben Tag warten, bevor sie mich mit meinem Kahn andocken ließen. Aber so ein Orc-Boot kam zwei Stunden nach mir an und durfte sofort anlegen.“

Der Soldat drehte sich um, fixierte den Kapitän scharf und schnarrte: „Dann fahrt doch woanders hin als nach Ratschet.“

„Man hat nicht immer die Wahl“, sagte der Kapitän störrisch. Sein narbiges Gesicht war gerötet und aufgedunsen. In seinen Augen schien es zu flackern.

„S’ ist ja auch nicht so, dass sie Reparaturen überhaupt nötig hätten“, meinte der Mann neben dem Kapitän. Quer über seine Schläfe verlief eine Narbe, die den Anschein erweckte, als hätte vor langer Zeit jemand versucht, ihn seines Skalps zu berauben. Was der Unbekannte nicht geschafft hatte, war der seither verstrichenen Zeit mit sichtbar mehr Erfolg gelungen: Bis auf einen schütteren Haarkranz, der noch dazu höchst ungepflegt wirkte, verbarg nichts mehr die altersfleckige Haut, die sich über der Halbkugel seines Schädels spannte.

Erik überlegte, dass das trotz des fortgeschrittenen Alters wohl der Erste Maat des Kapitäns sein musste, weil beide die gleiche Kleidung trugen. „Sie haben Eichen oben in den Bergen über Orgrimmar, machen ihre Schiffe daraus. Und was haben wir? Schwache Fichten, das ist alles. Sie horten es, jawohl, behalten all das gute Holz. Unsere Boote lecken überall. Und das nur wegen dem Ausschuss, mit dem wir arbeiten müssen.“

Mehrere Stimmen murmelten Zustimmung.

„So, Ihr fandet es also alle besser, als die Orcs noch nicht da waren?“ Der Soldat ließ seine Faust auf die Theke krachen. „Und vergesst dabei: Ohne sie wären wir längst alle Dämonenfutter, das ist doch wohl klar!“

„Ich glaube nicht, dass das jemand bestreitet.“ Margoz nippte an seinem Becher. Der Blick war auf die Tischplatte gerichtet, schien aber sehr viel weiter zu gehen. „Trotzdem, die Verteilung der Ressourcen scheint ein wenig ungleich vonstatten gegangen zu sein.“

„Orcs waren mal Sklaven, müsst Ihr wissen.“ Das sagte jemand anderes, den Erik nicht sehen konnte und auch nicht an der Stimme erkannte. „Bei den Menschen und der Brennenden Legion gleichermaßen, wenn man es recht bedenkt. Kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie sich jetzt alles nehmen, was sie kriegen können.“

„Ich schon, jedenfalls wenn sie es uns wegnehmen.“, sagte der Kapitän zerknirscht.

Der Händler nickte. „Ihr wisst ja, die sind nicht von hier. Die kamen aus einer anderen Welt. Die Brennende Legion brachte sie hierher.“

Der Erste Maat schnappte: „Vielleicht sollten sie einfach dahin zurück, wo sie hergekommen sind.“

„Man fragt sich, was Lady Prachtmeer sich dabei gedacht haben mag“, sagte Margoz. Es klang wie beiläufig eingeworfen, aber die Wirkung, die seine Worte erzielten, machten unverzüglich klar, dass die Bemerkung ein Missgriff gewesen war.

Erik runzelte die Stirn. Plötzlich wurde es totenstill in der Taverne.

Viele Leute hatten sich bislang rege an der Diskussion beteiligt. Aber kaum, dass Margoz Jaina Prachtmeer erwähnte – schlimmer noch, sie in herabsetzender Weise erwähnte –, verstummten alle Gespräche.

In den drei Jahren, seit Erik die Taverne besaß, hatte er zwei Grundsituationen erlebt, in denen er davon ausgehen konnte, dass eine Prügelei unmittelbar bevorstand. Ein verlässlicher Hinweis war, wenn es zu laut war – der andere, wenn es zu leise wurde. Wie jetzt. Und immer wenn Letzteres eintrat, brachen die wirklich wüsten Schlägereien aus …

Ein anderer Soldat baute sich neben dem ersten auf. Er hatte breitere Schultern und redete meist nicht viel. Aber wenn er es tat, geschah es mit einer dröhnenden Stimme, die den Dämonenschädel hinter dem Tresen zum Wackeln brachte. „Niemand redet schlecht von Lady Prachtmeer, wenn er seine Zähne behalten will.“

Margoz schluckte hörbar, duckte sich leicht und versicherte schnell: „Ich würde es mir nie erlauben, von unserer Herrin jemals anders als mit höchster Ehrfurcht zu sprechen, guter Herr. Das schwöre ich.“ Er kippte mehr von seinem Hochprozentigen die Kehle hinunter, als auf einen Zug ratsam war, und schon quollen ihm die Augen aus den Höhlen. Er schüttelte mehrmals den Kopf.

„Lady Prachtmeer war sehr gut zu uns“, sagte der Händler mit mühsam unterdrücktem Zorn. „Nachdem wir die Brennende Legion geschlagen hatten, machte sie uns zu einer Gemeinschaft. Eure Klagen, Margoz, sind berechtigt. Aber für keine davon ist die Lady verantwortlich. Ich habe in meinem Leben schon so einige Zauberer getroffen, und die meisten davon taugten nicht den Dreck unter meinen Fingernägeln. Aber die Lady gehört zu den Guten. Und Ihr werdet hier niemanden finden, der etwas Schlechtes auf sie kommen lässt …“

„Es war nie meine Absicht, jemanden herabzusetzen, guter Mann“, sagte Margoz, der nicht nur von dem etwas zu großen Schluck Brandy zittrig in den Gliedern geworden war. „Aber man muss sich schon fragen, warum keine Handelsverträge geschlossen worden sind, um an das vorzügliche Holz zu kommen, das diese feinen Herren hier erwähnt haben.“ Er schaute für einen Moment gedankenverloren. „Vielleicht hat sie es ja versucht, aber die Orcs haben es nicht zugelassen.“

Der Kapitän nahm etwas von seinem Bier, leckte sich den Schaum von der Oberlippe und sagte: „Vielleicht haben ihr die Orcs befohlen, Nordwacht zu verlassen.“

„Wir sollten Nordwacht verlassen“, erklärte der Händler leidenschaftlich. „Das Brachland ist neutrales Gebiet, das wurde von vornherein so festgelegt.“

Der Soldat versteifte sich. „Ihr müsst verrückt sein, wenn Ihr glaubt, wir würden ausgerechnet Nordwacht aufgeben.“

Margoz warf vorsichtig ein: „Das ist dort, wo die Orcs Admiral Prachtmeer bekämpft haben.“

„Ja, eine Schande. So gut wie Lady Prachtmeer als unser Oberhaupt ist, so ein Narr war ihr Vater.“ Der Händler schüttelte den Kopf. „Diese erbärmliche Geschichte sollte endlich aus unseren Köpfen verschwinden. Aber das geschieht nicht, bevor …“

Der Kapitän unterbrach ihn. „Wenn Ihr mich fragt, müssen wir über Nordwacht hinaus expandieren.“

Verärgert – Erik wusste nicht, ob wegen der Unterbrechung oder wegen des Arguments, es interessierte ihn auch nicht – fauchte der Händler: „Seid Ihr vollkommen übergeschnappt?“

„Ihr seid übergeschnappt. Die Orcs quetschen uns aus. Sie sind überall auf diesem gesegneten Kontinent, und wir haben nur Theramore. Es ist jetzt drei Jahre her, seit die Brennende Legion vertrieben wurde. Verdienen wir nicht etwas Besseres, als die unterste Klasse in unserem eigenen Land zu sein, begrenzt auf diese Kloake von einem Stadtstaat?“

„Theramore ist eine genauso gute Stadt wie jede andere auch in den Ländern der Menschen.“ Der Soldat sprach die Worte mit verteidigendem Stolz, nur um in resignierterem Tonfall fortzufahren: „Aber es ist wahr, die Orcs besitzen das größere Territorium. Deshalb ist Nordwacht so wichtig. Es erlaubt uns, die Verteidigung jenseits der Mauern von Theramore aufrecht zu erhalten.“

„Außerdem“, sagte der Erste Maat und lachte verhalten in seinen Bierkrug, „mögen uns die Orcs dort nicht sonderlich. Wenn Ihr mich fragt, ist das Grund genug, es zu behalten.“

„Niemand hat Euch gefragt“, versetzte der Händler abfällig.

Der andere Mann am Tresen – Erik hatte sich ans untere Ende der Theke bewegt und erkannte, dass es der Buchhalter war, der in den Docks arbeitete – mischte sich ein. „Vielleicht sollte das aber jemand tun. Die Orcs führen sich auf, als ob Ihnen Kalimdor gehörte und wir die Besucher wären. Aber dies ist auch unsere Heimat, und es wird Zeit, dass wir danach handeln. Orcs sind keine Menschen, stammen nicht mal von dieser Welt. Mit welchem Recht schreiben sie uns vor, wie wir leben sollen?“

„Sie haben das Recht, ihr Leben zu leben, oder nicht?“, fragte der Händler.

Der Soldat nickte. „Sie haben es sich verdient, als sie gegen die Brennende Legion gekämpft haben. Waren gegen sie …“ Er kippte den Rest seines Schnapses hinunter, dann schubste er den Becher zu Erik. „Gib mir Bier.“

Erik zögerte. Er hatte schon nach der Flasche mit Eberschnaps gegriffen. Dieser Soldat kam ins Demonsbane, seit Erik es eröffnet hatte, und er hatte selten etwas anderes bestellt.

Aber die dreijährige Stammkundschaft verschaffte ihm das Privileg, sich für einen Geschmackswechsel nicht rechtfertigen zu müssen. Außerdem, so lange er bezahlte, hätte er auch Seifenlauge trinken können, so weit es Erik betraf.

„Fakt ist nun mal“, sagte der Kapitän, „dies ist unsere Welt, durch unser Geburtsrecht. Die Orcs sind nur Gäste in unserer Heimat, und es wird höchste Zeit, dass sie sich auch so benehmen.“

Von da an kam die Unterhaltung wieder in Fahrt. Erik servierte ein paar weitere Drinks, warf ein paar Becher ins Spülbecken, die später gereinigt werden sollten, und erst als er dem Händler ein weiteres Bier gab, bemerkte er, dass Margoz, der die ganze Unterhaltung begonnen hatte, gegangen war.

Er hatte nicht mal Trinkgeld dagelassen. Erik schüttelte empört den Kopf. Den Namen des Fischers hatte er längst wieder vergessen. Aber er würde sich an sein Gesicht erinnern. Und vielleicht in den nächsten Drink spucken, sollte der Bastard noch einmal vorbeikommen. Nur einen Drink nehmen und Stunk machen … Erik hasste Unruhestifter in seiner Taverne. Hasste sie einfach.

Mehrere Leute begannen, sich über die Orcs zu beschweren. Einer, der kräftige Kerl neben dem Soldaten, knallte seinen Bierkrug so fest auf die Theke, dass etwas Flüssigkeit auf den Dämonenschädel spritzte. Seufzend nahm Erik ein Tuch und brachte die Sache wieder in Ordnung.

Früher wäre Margoz zu ängstlich gewesen, allein im Dunkeln durch die Straßen von Theramore zu gehen. Und das, obwohl es kein echtes Verbrechertum in einer so kleinen Gemeinde gab, jeder kannte jeden, und wenn nicht, kannte man jemanden, der den Fraglichen kannte. Deshalb war Kriminalität eher selten. Die wenigen Verbrechen wurden generell schnell und rigoros von Lady Prachtmeers Soldaten bestraft.

Trotzdem, Margoz war immer klein und schwach gewesen, und die Großen und Starken neigten dazu, die Kleinen und Schwachen zu quälen. Deshalb vermied es Margoz normalerweise, nachts allein herumzulaufen. Man wusste nie, welcher große und starke Kerl nur darauf lauerte zu zeigen, wie groß und stark er war, indem er einen Kleineren verprügelte. Oft schon war Margoz der Leidtragende gewesen. Er hatte schnell gelernt, dass es das Beste war zu tun, was man ihm sagte und diese Leute zufrieden zu stellen, wollte man Gewalt vermeiden.

Aber heute Margoz spürte diese Angst nicht mehr. Oder jede andere Form von Angst. Denn jetzt hatte er einen Beschützer.

Zugegeben, auch diesmal musste er nach der Pfeife eines anderen tanzen. Aber dieses Mal waren der Lohn dafür Macht und Reichtum. Früher war die Belohnung gewesen, nicht verprügelt zu werden. Vielleicht tauschte er nur eine Angst gegen eine andere ein. Aber Margoz fand, dass sich die neue deutlich mehr auszahlte.

Vom Hafen wehte eine salzige Brise heran. Margoz atmete tief ein, der Geruch erfrischte ihn. Er hatte zumindest teilweise die Wahrheit im Demonsbane gesagt; er war Fischer, auch wenn er niemals ein wirklich guter gewesen war. Aber anders als behauptet hatte er nicht gegen die Brennende Legion gekämpft. Er kam hier erst an, nachdem diese schon geschlagen war. In dieser Stadt erhoffte er sich mehr Möglichkeiten als in Kul Tiras.

Es war nicht sein Fehler, dass seine Netze minderwertig gewesen waren. Bessere konnte er sich nicht leisten. Aber das musste man mal den Aufsehern bei den Docks erzählen und zusehen, was einem das einbrachte.

Er hatte sich meist Prügel eingehandelt.

Deshalb war er nach Kalimdor gegangen und dem Strom von Menschen gefolgt, die darauf hofften, den Leuten von Lady Prachtmeer ihre Dienste anbieten zu können. Aber Margoz war nicht der einzige Fischer gewesen, der seine Dienste offeriert hatte, noch war er auch nur annähernd einer der fähigsten. Bevor er seinen Beschützer traf, war Margoz praktisch pleite gewesen. Sein Fang reichte nicht mal aus, um sich selbst zu ernähren, ganz zu schweigen davon, dass er etwas hätte verkaufen können. Und er überlegte ernsthaft, sich einfach den Anker seines Bootes zu schnappen und mit ihm über Bord zu springen. Um sich von allem Elend zu befreien.

Aber dann war der Beschützer aufgetaucht, und alles wurde besser.

Margoz bekam bald eine bescheidene Wohnung. Sein Beschützer hatte ihm verboten, in etwas Besseres umzuziehen. Obwohl er ihn darum gebeten hatte – der Beschützer nannte es Betteln und ungehörig – wegen der schlechten Durchlüftung, dem ärmlichen Mobiliar und den Ratten. Aber der Beschützer hatte ihm versichert, dass ein plötzlicher Wohlstand zu große Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hätte. Denn bislang war er unbeachtet geblieben.

Bis heute Abend, als er den Befehl erhalten hatte, ins Demonsbane zu gehen und gegen die Orcs Stimmung zu machen. Früher hätte er es niemals gewagt, auch nur einen Fuß an solch einen Ort zu setzen. Der Typ Mensch, der ihn gern verprügelte, pflegte sich in solchen Tavernen in großer Zahl zu versammeln, weshalb Margoz es vorzog, diese Lokale zu meiden.

Oder besser: Er hatte es vorgezogen, sie zu meiden.

Er betrat seine Kammer. Ein Bett, dessen Matratze dünner war als eine Scheibe Brot; eine Decke aus Sackleinen, die so stark kratzte, dass man sie nur benutzte, wenn der Winter besonders hart war und es sich nicht vermeiden ließ; eine Lampe und sonst herzlich wenig mehr. Eine Ratte huschte durch den Raum und verschwand in einem der zahlreichen Risse in der Wand.

Er seufzte, weil er wusste, was als Nächstes getan werden musste. Abgesehen davon, dass er nicht in ein besseres Quartier umziehen durfte, hasste Margoz am Abkommen mit dem Beschützer am meisten den Geruch, den der verströmte. Es war irgendein Nebeneffekt der Magie, die er verwendete. Aber was auch der Grund sein mochte, es störte Margoz. Trotzdem war es die Sache wert, schon wegen der Macht. Und der Freiheit durch die Straßen zu gehen und im Demonsbane zu trinken, ohne Angst vor körperlicher Gewalt haben zu müssen.

Er schob seine Hand unter den Kragen und griff unter sein Hemd. Margoz zog eine Kette hervor, an der ein Silberanhänger hing, die Darstellung eines in Flammen stehenden Schwertes. Er umklammert ihn so fest, dass er spürte, wie sich die Kanten des Talismans in seine Handballen bohrten. Dabei sagte er die Worte, deren Sinn er nie verstanden hatte, die ihn aber jedes Mal, wenn er sie aussprach, mit einer unaussprechlichen Ehrfurcht erfüllten: „Galtak Ered’nash. Ered’nash ban galar. Ered’nash havik yrthog. Galtak Ered’nash.“

Der Gestank von Schwefel erfüllte den kleinen Raum. Das war der Teil des Paktes, an den sich Margoz nie gewöhnen würde.

Galtak Ered’nash. Hast Du getan, was ich Dir befohlen habe?

„Ja, Herr, das habe ich.“ Margoz war verlegen, als er erkannte, dass seine Stimme viel zu hoch klang, fast piepsig. Er räusperte sich und bemühte sich um eine tiefere Tonlage. „Ich habe getan, was Ihr verlangt habt. Sobald ich die Schwierigkeiten mit den Orcs erwähnte, hat mir fast jeder in der Taverne zugestimmt.“

Fast?

Margoz gefiel die Drohung nicht, die in der einsilbigen Erwiderung schwang.

„Ein Mann war nicht so leicht zu überzeugen, aber die anderen haben sich alle gegen ihn gestellt. Diente als Blitzableiter für ihre Wut. Wirklich.“

Vielleicht. Du hast gute Arbeit geleistet.

Margoz seufzte erleichtert. Sein Herz hörte auf wie rasend zu schlagen. „Danke, Herr, danke. Ich bin froh, Euch zu Diensten sein zu dürfen.“ Er zögerte. „Wenn Ihr erlaubt, Herr, wäre jetzt nicht ein guter Zeitpunkt, um über bessere Wohnverhältnisse nachzudenken? Ihr habt vielleicht die Ratte gesehen, die …“

Du hast uns gedient. Du wirst belohnt werden.

„So wie ihr befohlen habt, Herr, aber … nun, ich hatte zu hoffen gewagt, dass die Belohnung bald kommen würde.“ Er entschloss sich, seine Ängste, die ihn ein Leben lang verfolgt und gequält hatten, als Argument anzuführen. „Ich war heute Abend in großer Gefahr, wisst Ihr? Ganz allein bei den Docks rumzulaufen, kann …“

Dir wird nichts geschehen, so lange du mir dienst. Du musst niemals mehr Angst haben, Margoz.

„Na-natürlich nicht, ich weiß. Ich dachte nur …“

Du willst einfach nur das Leben leben, das dir nie gestattet war. Das ist ein verständlicher Wunsch. Sei geduldig, Margoz. Deine Belohnung kommt zu gegebener Zeit.

Der Schwefelgestank begann zu schwinden. Und von Margoz’ Brust löste sich ein unsichtbarer eiserner Ring, der ihm vorübergehend das Atmen erschwert hatte. „Danke, Herr. Galtak Ered’nash.“

Schwach erklang die Stimme des Beschützers: Galrak Ered’nash. Dann wurde es wieder still in Margoz’ Wohnung.

Ein Pochen ertönte an der Wand, gefolgt von der dumpfen Stimme seines Nachbarn: „Hört mit dem Krach auf. Wir wollen hier schlafen!“

Früher hätten solche Vorkommnisse Margoz vor Furcht zittern lassen. Doch heute ignorierte er sie einfach, legte sich auf sein Bett und hoffte nur, dass ihn der immer noch in der Luft hängenden Gestank nicht vom Schlafen abhalten würde.

ZWEI

„Ich verstehe nicht, was für einen Sinn Nebel hat. Wem nützt er? Wem?“

Kapitän Bolik, Herr des Orc-Handelsschiffs Orgath’ar wusste, dass er seine Worte bereuen würde. Aber er fühlte sich verpflichtet, auf die Bemerkung seines Offiziersbürschchens einzugehen. „Muss er denn zu etwas nütze sein?“

Rabin schüttelte den Kopf und machte sich wieder daran, die Hauer seines Herrn zu reinigen. So etwas machte nicht jeder Orc, aber Bolik hielt es als Kapitän der Orgath’ar für seine Pflicht, sich in bestmöglicher Art und Weise zu präsentieren. Die Orcs waren ein stolzes Volk, das seiner Heimat entrissen und versklavt worden war, sowohl von Dämonen als auch Menschen. Versklavte Orcs waren immer schmutzig und ungekämmt. Doch um als freier Orc in Durotar zu leben, unter der gütigen Regentschaft des großen Kriegers Thrall, wollte Bolik so wenig wie möglich wie ein Sklave aus alten Tagen auszusehen. Das bedeutete, dass man sich pflegen musste, so fremdartig dieses Konzept den meisten Orcs auch erscheinen mochte. Und das Gleiche erwartete er von seiner Mannschaft.

Am eifrigsten von allen befolgte Rabin die Anordnungen seines Kapitäns. Er hielt dessen Augenbrauen gestutzt, seine Hauer und Zähne sauber sowie die Fingernägel poliert und scharf. Wobei er Verzierungen auf ein gerade noch erträgliches Maß beschränkte – in Boliks Fall waren dies ein Nasenring und eine Tätowierung.

Als Antwort auf die Frage seines Kapitäns sagte Rabin: „Nun, alles auf der Welt dient doch irgendeinem Zweck, oder etwa nicht, Sire? Das Wasser zum Beispiel gibt es, um uns Fische zum Essen zu schenken und die Möglichkeit, mit dem Boot zu reisen. Die Luft ist dafür da, dass wir atmen können. Der Boden gibt uns ebenfalls Nahrung, nicht zu vergessen, dass wir darauf unsere Häuser errichten können. Aus Bäumen bauen wir Boote. Selbst Regen und Schnee sind nützlich. Sie spenden uns Wasser, das wir zum Leben benötigen, und es ist von anderer Art als jenes, das uns die See anbietet … All das hat also eine weitreichende Bedeutung.“

Rabin widmete sich konzentriert Boliks Fingernägeln, an denen er feilte. Indes lehnte sich der Kapitän entspannt auf dem Schemel gegen die Bordwand.

„Und Nebel“, fuhr Rabin nach kurzem Schweigen fort, „sollte da gar keinen tieferen Sinn haben?“

„Alles, was er tut, ist, uns im Weg zu sein – einen Nutzen kann ich daran nicht erkennen!“ Bolik grinste, und seine frisch polierten Zähne glänzten im schwachen Schein der Laterne, die die Kajüte erhellte. Durch das Bullauge drang wegen des dichten Nebels, über den sich Rabin gerade ausließ, kein Licht. „Aber Schnee und Regen sind uns schließlich auch nicht selten im Weg.“

„Wohl wahr, Kapitän, wohl wahr.“ Rabin beendete die Schärfung des Daumennagels und wandte sich den anderen Fingern zu. „Aber wie ich bereits sagte: Schnee und Regen erfüllen einen höheren Zweck. Selbst wenn sie uns mitunter hinderlich sind, hat man doch wenigstens etwas davon, wenn man sich nur entsprechend darauf vorzubereiten weiß … Doch sagt mir, Sire, wie bereitet man sich auf Nebel vor? Er verstellt uns dem Anschein nach tatsächlich nur die Sicht, ohne dafür etwas Sinnvolles zurückzugeben.“

„Vielleicht.“ Bolik betrachtete seinen Burschen. „Oder vielleicht haben wir beide seinen geheimen Zweck nur noch nicht erkannt. Immerhin gab es einmal Zeiten, in denen wir nicht mal wussten, dass Schnee einfach nur gefrorener Regen ist. Die Orcs von damals sahen Schnee genauso als Problem an wie wir heute zum Beispiel den Nebel. Doch schließlich wurde, wie du bereits bemerkt hast, sein wahrer Nutzen erkannt, nämlich, uns mit Trinkwasser in den kälteren Jahreszeiten zu versorgen. Deshalb ist es nicht der Fehler des Nebels, sondern unserer, wenn wir die Wahrheit noch nicht begreifen. Und so soll es wohl auch sein. Die Welt sagt uns, was wir wissen müssen, sobald wir dafür bereit sind – keinen Moment vorher. Das ist der Lauf der Dinge.“

Rabin dachte über die Worte des Kapitäns nach, während er das Schärfen beendete und mit dem Polieren begann. „Ich vermute, das mag so sein, Sire. Aber das hilft uns heute nicht weiter, oder?“

„Nein, da hast du Recht. Wie geht die Mannschaft damit um?“

„So gut sie kann, denke ich“, erwiderte Rabin achselzuckend. „Der Ausguck sagt, er kann von da oben nicht die Hauer in seinem eigenen Gesicht sehen.“

Bolik runzelte die Stirn. Das Boot schaukelte die meiste Zeit relativ gleichmäßig, doch jetzt hüpfte es ein wenig stärker. Das bedeutete normalerweise, dass sie in das Kielwasser eines anderen Schiffes geraten waren.

Bolik stand von seinem Schemel auf, obwohl Rabin noch nicht fertig war und sagte: „Wir beenden das später, Rabin.“

Rabin erhob sich von seinen Knien und nickte. „Aye, Kapitän.“

Bolik nahm den Stab seines Vaters und verließ die Kajüte durch den schmalen Gang dahinter. Die Orgath’ar, die Bolik nach Orgath – seinem stolzen Vater und dem ursprünglichen Besitzer des Stabes, der im Kampf gegen die Brennende Legion gefallen war –, benannt hatte, war von Goblins gebaut worden, weil er nur das Beste wollte.

Der Schiffsbauer, ein schlauer alter Goblin namens Leyds, hatte Bolik versichert, dass er die Gänge extra breit anlegen würde, um der Leibesfülle von Orcs gerecht zu werden. Unglücklicherweise waren die Auffassungen der Goblins von „extra breit“ ein klein wenig anders als die von Bolik. Deshalb musste sich der Kapitän doch ziemlich anstrengen, um es zu schaffen, seinen massigen Körper durch den Treppenaufgang zu zwängen, der zum Deck führte.

Als er die Treppe hinaufstieg, sah er seinen Ersten Maat Kag heruntersteigen, der sofort stehen blieb, als er den Kapitän gewahrte. „Ich wollte gerade zu Euch, Sire.“ Kag lächelte, und seine langen Hauer trafen fast seine Augen. „Ich hätte wissen müssen, dass Ihr die Veränderung spürt.“

Bolik lachte, aber als er wenig später in Begleitung des Maats auf das Deck trat, bereute er es, Kag nicht zu sich nach unten gerufen zu haben. Der Nebel war so dicht, dass er mit dem Schwert hätte geschnitten werden können.

Bolik kannte die Orgath’ar jedoch gut genug, um selbst vollkommen blind zur Reling zu finden – was momentan auch die einzige Möglichkeit der Fortbewegung in der dicken Nebelsuppe war. Kag folgte ihm und stand dem Kapitän praktisch Auge in Auge gegenüber, um ihn überhaupt sehen zu können.

Bolik begriff, dass er nicht in der Lage sein würde, irgendein anderes Fahrzeug jenseits der eigenen Schiffsbretter auszumachen. Es war sogar so schlimm, dass es keinen einzigen sichtbaren Beweis gab, überhaupt selbst auf dem Wasser zu schwimmen, weil auch das im Grau verschwand. Er drehte sich um. „Wie ist die Lage?“

Kag schüttelte seinen Kopf. „Schwer zu sagen. Der Ausguck kann wenig erkennen, behauptet aber steif und fest, Schiffsumrisse bemerkt zu haben. Dabei meint er einmal, eins von Theramores Kriegsschiffen erkannt zu haben, dann wieder, es sähe aus wie ein ganz normales Menschen- oder Orc-Boot.“

„Und was glaubst du?“

Ohne zu zögern sagte Kag: „Auf den Mann im Ausguck ist normalerweise Verlass, er würde nichts melden, wenn er nicht felsenfest davon überzeugt wäre. Wenn er also sagt, er habe Theramores Kriegsschiff gesehen und dann wieder etwas anderes, bedeutet das für mein Dafürhalten, dass er jedes Mal verschiedene Dinge gesehen hat. Mit anderen Worten, ich glaube, es sind zwei Schiffe. Außerdem ist das Kielwasser stark genug für zwei – oder für eins, das im Kreis fährt. In diesem Nebel ist aber die eine Erklärung so wahrscheinlich wie die andere.“

Bolik nickte. Vielleicht konnte ihr Ausguck, Vak, bei etwas aufklarender Sicht sogar sagen, ob das mutmaßliche Fischerboot von Goblins oder Menschen gebaut worden war – und ob der Marinetransporter aus der Zeit vor oder nach der Invasion der Brennenden Legion stammte.

„Drei Schiffe auf so engem Raum“, brummte er, „bedeuten Ärger. Wir sollten das Horn blasen. Holt …“

„Schiff voraus!“

Bolik konzentrierte seinen Blick auf den Mast und versuchte, Vak zu erkennen. Aber alles über seinem Kopf wurde vom Nebel verschluckt.

Vaks Stimme klang vom „Krähennest“ herunter – wie Menschen den Ausguck nannten. Die Erklärung dafür hatte Bolik nie verstanden. Er wusste, dass Krähen eine Vogelart waren, aber er war sich nicht sicher, was deren Nest mit einem Ausguck zu tun haben sollte. Wie dem auch sei, der Kapitän konnte Vak jedenfalls nicht erkennen.

Kag rief nach oben: „Was kannst du sehen?“

„Schiff nähert sich. Menschen! Haben keine Flagge gehisst, so weit ich das feststellen kann.“

„Was ist mit dem Kriegsschiff?“

„Kann ich im Moment nicht ausmachen. Aber vor einem Augenblick war es noch da. Laufen parallel zu uns.“

Bolik gefiel das nicht. Ein Menschenschiff ohne Flagge bedeutete normalerweise Piraten, was aber in dieser besonderen Situation nicht unbedingt sein musste. Flaggen waren in so starkem Nebel bedeutungslos. Und vielleicht waren die Menschen nicht in der Lage, das Orc-Schiff zu erkennen und sich veranlasst zu fühlen, eine eindeutige Identifizierung zu ermöglichen.