Wreck the Halls - Tessa Bailey - E-Book

Wreck the Halls E-Book

Tessa Bailey

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  • Herausgeber: VAJOSH
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

Melody Gallard mag die Tochter einer Musik-Legende sein, aber ihr Leben ist alles andere als glamourös. Doch als eine Produzentin ihr eine Menge Geld bietet, um die Band ihrer Mutter für eine Live-Show wieder zusammenzubringen, fragt sich Mel, ob es an der Zeit ist, aus ihrer Komfortzone auszubrechen … und ihn wiederzusehen. Die einzige Person, die mit den Rock'n'Roll-Diven mithalten kann.  Beat Dawkins, der Sohn der Leadsängerin, ist das völlige Gegenteil von Melody. Trotzdem hätten sie beste Freunde sein können – wenn nicht die legendäre Fehde gewesen wäre, die die Band auseinandergebracht hat. Schon als Teenagerin spürte Mel eine Verbindung zu ihm, doch das ist nichts im Vergleich zu der wilden, intensiven Anziehung, die zwischen ihnen wächst.  Doch Heiligabend rückt näher – und ein jahrzehntealter Skandal droht, alles zu zerstören: die Reunion der Steel Birds, die Beziehungen zu ihren Müttern und ihre frisch entflammte Liebe. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 517

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tessa Bailey

Wreck the Halls

Übersetzt von Patricia Buchwald

Impressum

Tessa Bailey

Wreck the Halls

WRECK THE HALLS copyright © 2023 Tessa Bailey

All rights reserved

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Agence Hoffman GmbH, Hohenstaufenstraße 1, 80801 München, Germany

Copyright der deutschen Ausgabe © 2025 Wreck the Halls

by VAJOSH Verlag GmbH

Druck und Verarbeitung:

FINIDR, s.r.o.

Lípová 1965  

737 01 Český Těšín

Czech republic

Übersetzung: Patricia Buchwald

Korrektorat: Alexandra Gentara

Umschlaggestaltung: Diana Gus

Satz: VAJOSH Verlag GmbH, Oelsnitz

VAJOSH Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH

Inhalt

Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Danksagung

In der Sekunde, als Beat Dawkins das Fernsehstudio betrat, hörte es draußen auf zu regnen.

Sonnenstrahlen fielen durch die offene Tür und umhüllten ihn mit einem Heiligenschein des Ruhms, während die Passanten ihre Regenschirme einklappten und dankbar ihre Hüte zogen.

Auf der anderen Seite des Raums beobachtete Melody die Ankunft von Beat, wie ein Astronom vielleicht das Vorbeiziehen eines Jahrtausend-Asteroiden bestaunen würde. Ihre Hormone spielten verrückt und stellten die Belastbarkeit ihres puderfrisch duftenden Lady Speed Sticks auf die Probe.

Sie hatte erst zwei Tage zuvor eine Zahnspange bekommen. Jetzt fühlten sich die Metalldrähte in ihrem Mund wie Bahngleise an. Vor allem, als sie Beat dabei zusah, wie er anmutig in das Studio in der Innenstadt schritt, wo sie Interviews für die Dokumentation drehen würden.

Mit sechzehn Jahren befand sich Melody mitten in einer – gelinde gesagt – unangenehmen Phase. Schweiß war ein unkontrollierbares Wesen. Sie wusste nicht mehr, wie sie lächeln sollte, ohne wie ein versteinerter Wasserspeier auszusehen. Ihre schokoladenbraune Mähne war für diesen Nachmittag sorgfältig gestylt worden, aber ihr Haar ließ sich nicht davon täuschen, die feuchte Luft, die New York derzeit heimsuchte, zu vergessen. Jetzt kräuselte es sich und betonte damit noch mehr die Gummibänder, die ihre Schneidezähne verbanden.

Und dann war da noch Beat.

Einfach mühelos umwerfend.

Sein kastanienfarbenes Haar war noch feucht vom Regen, und seine hellblauen Augen funkelten fröhlich. Jemand reichte ihm ein Handtuch, sobald er die Schwelle überschritt, und er nahm es, ohne hinzuschauen, rieb damit über seine Strähnen und ließ sie wild vom Kopf abstehen, was alle im Raum amüsierte. Eine Frau mit einem Headset strich mit einer Fusselbürste über den Arm seines indigoblauen Anzugs und er schenkte ihr ein dankbares, gewinnendes Lächeln, das sie sichtlich erheiterte.

Wie konnten sie und dieser Junge nur gleich alt sein?

Und nicht nur das: Ihre Mütter hatten ihnen auch Namen gegeben, die sich perfekt ergänzten. Beat und Melody. Sie waren die Nachkommen von Amerikas legendärstem weiblichem Rockduo, den Steel Birds. Da sich die Band bereits aufgelöst hatte, als Beat und Melody geboren wurden, wurden ihre Namen eher vergeben, ohne dass die Mitglieder sich gegenseitig gefragt hatten. Nicht gerade der glücklichste aller Zufälle. Ganz zu schweigen davon, dass Kinder von Legenden mit bedeutenden Namen eigentlich interessant sein sollten. Bemerkenswert.

Offensichtlich war Beat der Einzige, der die Erwartungen erfüllte.

Es sei denn, man zählte die Tatsache dazu, dass sie sich für türkisfarbene Gummibänder entschieden hatte.

Das war ihr in der sterilen Praxis des Kieferorthopäden viel gewagter erschienen.

»Melody!«, rief jemand zu ihrer Rechten. Allein die Tatsache, dass ihr Name quer durch den belebten Raum gerufen wurde, ließ Melody in Feuer baden, aber okay. Jetzt schwitzte sie in den Kniekehlen – und o Gott, Beat sah sie an.

Die Zeit fror ein.

Sie hatten sich noch nie zuvor getroffen.

In jedem Artikel über ihre Mütter und die vielbeachtete Auflösung der Band 1993 wurden Beat und Melody in einem Atemzug genannt, aber sie begegneten sich zum ersten Mal in der Realität. Sie musste sich etwas Interessantes ausdenken, das sie sagen konnte.

Ich wollte eigentlich durchsichtige Gummibänder nehmen, aber Türkis fühlte sich mehr nach Punkrock an.

Klar. Vielleicht könnte sie diese Aussage mit ein paar Fingerpistolen abrunden und ihm so richtig klarmachen, dass er alle coolen Gene des Rockadels in sich trug. O Gott, ihre Füße schwitzten jetzt schon. Ihre Sandalen quietschten, wenn sie lief.

»Melody!«, rief die Stimme wieder.

Sie riss ihre Aufmerksamkeit von der göttlichen Erscheinung namens Beat Dawkins los, als die Produzentin sie in eine der abgesperrten Interview-Suiten winkte. Direkt hinter der Tür standen eine Kamera, ein riesiges Mikrofon und ein Regiestuhl. Das Interview über die Karriere ihrer Mutter hatte noch nicht einmal begonnen, und sie kannte bereits die Fragen, die sie beantworten würde. Vielleicht könnte sie einfach ganz schnell hineingehen, ihre üblichen Antworten herunter rattern und allen etwas Zeit ersparen?

Nein, ich kann nicht wie meine Mutter singen.

Wir reden nicht über die Auflösung der Band.

Ja, meine Mutter ist Nudistin und ja, ich habe sie schon erstaunlich oft nackt gesehen.

Natürlich wäre es für die Fans toll, wenn sich die Steel Birds wiedervereinen würden.

Nein, das wird niemals passieren. Nicht in einer Million, Billion Jahren. Sorry.

»Wir sind bereit für dich«, trällerte die Produzentin und klopfte auf ihr Handgelenk.

Melody nickte und errötete noch mehr bei der Andeutung, sie würde die Dinge verzögern. »Ich komme.«

Sie warf einen letzten Blick zu Beat und ging in die Richtung ihres Interviewraums. Das war’s, vermutete sie. Sie würde ihn wahrscheinlich nie wieder persönlich sehen –

»Warte!«

Ein Wort von Beat, und das brummende Studio verstummte, kam zum Stillstand.

Der Prinz hatte gesprochen.

Melody blieb mit einem Fuß in der Luft stehen und drehte langsam ihren Kopf. Bitte lass ihn mit mir reden, sonst wäre die Tatsache, dass sie auf sein Kommando hin stehen geblieben war, ein bemitleidenswerter Fehler gewesen. Aber auch: Bitte lass ihn mit jemand anderem reden. Die Bahngleise in ihrem Mund wogen ungefähr vierhundert Pfund pro Zentimeter, und das türkisfarbene Kleid, das sie – o Gott – passend zu ihren Gummibändern angezogen hatte, spannte um die Brüste herum. Andere Mädchen in ihrem Alter schafften es, normal auszusehen. Sogar gut.

Was hatte TMZ über sie gesagt?

Melody Gallard: immer ein Vorher-Bild, nie ein Nachher.

Aber Beat hatte mit ihr gesprochen.

Und nicht nur das, er joggte auch auf diese athletische, mühelose Art und Weise auf sie zu, wie ein Prominenter, der beim Baseballspiel den zeremoniellen ersten Wurf ausführt, während die Menge ihm zujubelt. Sein Haar hatte sich wie von selbst wieder zu einer perfekten Frisur gelegt, ohne eine Spur des Regens, und sein Mund zeigte ein amüsiertes Halblächeln.

Beat kam direkt vor ihr zum Stehen, rieb sich den Nacken und blickte verlegen in die Runde, als wäre ihm erst jetzt bewusst geworden, was er getan hatte. Die Vorstellung, dass jemand mit so viel natürlicher Ausstrahlung tatsächlich schüchtern oder unsicher sein konnte, war geradezu unglaublich. Wer war dieses Wesen? Und wie konnten sie nur irgendeine Art von Verbindung teilen?

»Hey«, hauchte er und kam näher, als Melody erwartet hatte, was sie zu Mitverschwörern machte. Er war nicht übermäßig groß, vielleicht einen Meter achtzig, aber ihre Augen waren auf gleicher Höhe mit seinem Kinn. Seinem gut geformten, glatt rasierten Kinn. Wow, er roch so gut. Wie eine frisch gewaschene Decke, an der Rauch eines Kamins hängt.

Vielleicht sollte sie vom puderfrischen Speed Stick zu etwas Reiferem wechseln. Zum Beispiel Meeresbrandung. »Hey, Mel. Darf ich dich so nennen?«

Noch nie hatte jemand ihren Namen abgekürzt. Weder ihre Mutter noch ihre Klassenkameraden oder eines der Kindermädchen, die sie im Laufe der Zeit gehabt hatte. Ein Spitzname ist etwas, das man sich mit der Zeit aneignet, wenn man jemanden schon lange kennt, aber dass Beat sie Mel nannte, wirkte irgendwie völlig normal. Ihre Namen waren schließlich Gegenstücke. Sie waren als Paar benannt worden, ob das nun beabsichtigt war oder nicht.

»Klar«, flüsterte sie und versuchte, nicht auf seinen Hals zu starren. Oder ihn einzuatmen. »Du kannst mich Mel nennen.«

War das ihre erste Schwärmerei? Sollte es so schnell gehen? Normalerweise fand sie das andere Geschlecht irgendwie uninspirierend. Niemand brachte ihren Puls so zum Rasen wie dieser hier. Sag etwas anderes, bevor du ihn zu Tode langweilst.

»Du hast es geschafft, dass es aufhört zu regnen«, platzte sie heraus.

Seine Brauen schossen nach oben. »Was?«

Ich löse mich auf. Ich werde vom Boden aufgesogen. »Als du reinkamst, hat der Regen einfach … aufgehört.« Sie schnippte mit den Fingern. »Als hättest du ihn mit einem Schalter ausgeschaltet.«

Als Melody sicher war, dass er zusammenzucken und eine Ausrede finden würde, um wegzugehen, lächelte Beat stattdessen. Dieses schiefe Lächeln, bei dem sie sich überall seltsam fühlte. »Ich hätte daran denken sollen, ihn auszuschalten, bevor ich vor zwei Blocks in einen Regenschauer gelaufen bin.« Er lachte und atmete gleichzeitig aus und betrachtete ihr Gesicht. »Es ist … verrückt, oder? Sich endlich zu treffen?«

»Ja.« Das Wort platzte aus Melody heraus, und ganz unerwartet begann ihre Brust anzuschwellen. »Es ist definitiv verrückt.«

Er nickte langsam, ohne seinen Blick von ihrem Gesicht zu nehmen.

Sie hatte schon von Leuten wie ihm gehört.

Menschen, die einem das Gefühl geben konnten, dass man die Einzige im Raum war. Auf der Welt. Sie hatte an die Existenz solcher Einhörner geglaubt, aber sie hatte nicht einmal in ihren kühnsten Träumen erwartet, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit eines solchen bekommen würde. Es war wie ein Bad im hellsten Sonnenlicht.

»Wenn es mit unseren Müttern anders gelaufen wäre, wären wir wahrscheinlich zusammen aufgewachsen«, sagte er und seine blauen Augen funkelten. »Wir hätten vielleicht sogar beste Freunde sein können.«

»Oh«, sagte sie mit einem wissenden Blick. »Das glaube ich nicht.«

Er amüsierte sich nur noch mehr. »Nein?«

»Das sollte keine Beleidigung sein«, beeilte sich Melody zu sagen. »Ich bin nur … Ich neige dazu, mich zurückzuhalten, und du scheinst mehr …«

»Extrovertiert.« Er zuckte mit einer Schulter. »Ja, das bin ich.« Er winkte mit einer Hand, um auf den Raum zu zeigen, in dem sich die Crew befand, die immer noch von dem ersten – vielleicht einzigen – Treffen von Beat Dawkins und Melody Gallard fasziniert war. »Man könnte meinen, dass mir das Spaß macht. Reden, vor der Kamera stehen.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Aber es sind immer die gleichen Fragen. Kannst du auch singen? Hat deine Mutter jemals über die Trennung gesprochen?«

»Wird es jemals eine Reunion geben?«, schaltete sich Melody ein.

»Nein«, sagten sie gleichzeitig und lachten.

Beat wurde ernst. »Ich hoffe, das ist nicht unangebracht, aber mir ist aufgefallen, wie die Boulevardpresse mit dir umgeht. Online und offline. Es ist … anders, als sie mich behandeln.« Das Feuer kletterte in ihren Nacken und griff an ihre Ohren. Natürlich hatte er die haarsträubenden Kritiken über Melody gesehen. Sie waren normalerweise auch in den Artikeln enthalten, in denen ihm gehuldigt wurde. Der aktuellste hatte ihre gesamte Existenz auf den Punkt gebracht: Bei Trina Gallards Tochter fällt der Apfel nicht nur weit vom Stamm, sondern ist eher eine Zitrone. »Ich frage mich immer, ob es dich stört. Oder ob du in der Lage bist, den Scheiß zu ignorieren.«

»Oh, ich meine …« Sie lachte zu laut und wedelte mit einer schlaffen Faust. »Das ist schon in Ordnung. Die Leute erwarten von diesen Klatschseiten, dass sie bissig sind. Sie machen nur ihre Arbeit.«

Er sagte nichts. Er beobachtete sie nur mit einer kleinen Falte zwischen den Brauen.

»Ich lüge«, flüsterte sie. »Es stört mich.«

Sein perfekter Kopf neigte sich leicht zur Seite. »Okay.« Er nickte, als hätte er eine wichtige Entscheidung getroffen. »Okay.«

»Okay, was?«

»Nichts.« Er scannte kurz ihr Gesicht. »Du bist keine Zitrone. Nicht einmal annähernd.« Er blinzelte, aber nicht genug, um das Zwinkern zu verbergen. »Eher ein Pfirsich.«

Sie schluckte den verträumten Seufzer, der ihr zu entweichen versuchte. »Vielleicht, ja. Pfirsiche haben eine ziemlich dünne Haut.«

»Ja, aber sie haben auch einen harten Kern.«

Etwas in Melody wuchs immer weiter. Etwas, das sie noch nie zuvor gefühlt hatte. Eine Verbundenheit, ein Band, eine Verbindung. Sie konnte es nicht in Worte fassen. Sie wusste nur, dass es fast kosmisch oder vorherbestimmt schien. Und in diesem Moment war sie zum ersten Mal in ihrem Leben wütend auf ihre Mutter, weil sie dazu beigetragen hatte, dass die Band sich aufgelöst hatte. Hätte sie den Jungen schon früher kennenlernen können? Sich früher … verstanden fühlen können?

Jemand mit Headset kam auf Beat zu und tippte ihm auf die Schulter. »Wir würden gerne mit dem Interview beginnen, wenn du bereit bist?«

Unglaublicherweise sah er immer noch Melody an. »Ja, klar.«

Klang er enttäuscht?

»Ich gehe jetzt besser auch«, sagte Melody und hielt ihm die Hand hin.

Beat betrachtete ihre Hand mehrere Sekunden lang, warf ihr dann einen finsteren Blick zu – als wollte er sagen: Sei nicht albern – und zog sie in die Umarmung ihres Lebens. Die. Umarmung. Des. Lebens. In einer Millisekunde war ihr auf die angenehmste, schweißfreie Weise warm. Bis hinunter zu den Fußsohlen. Ein leichtes Schwindelgefühl machte sich in ihr breit. Sie hatte nicht nur die Ehre bekommen, den perfekten Hals dieses Jungen zu riechen, er ermutigte sie auch noch mit einer Handfläche an ihrem Hinterkopf. Er drückte sie näher an sich, strich ihr mit der Hand über die Haare. Nur einmal. Aber es war das schönste Zeichen der Zuneigung, das ihr je zuteilgeworden war, und es schrieb sich unauslöschlich in ihr Herz.

»Hey.« Er zog sich mit ernster Miene zurück und fasste Melody an die Schultern. »Hör mir zu, Mel. Du lebst hier in New York, ich lebe in L. A. Ich weiß nicht, wann ich dich wiedersehen werde, aber … Ich glaube, es ist einfach wichtig und ich muss es dir sagen …« Er runzelte die Stirn über seine eigene Nervosität, von der sie annahm, dass sie seltener war als eine Sonnenfinsternis. »Was zwischen unseren Müttern passiert ist, hat nichts mit uns zu tun. Okay? Nichts. Wenn du jemals etwas brauchst, oder wenn du dieselbe Frage schon vierzig Millionen Mal gestellt bekommen hast und es nicht mehr aushältst, denk einfach daran, dass ich es verstehe.« Er schüttelte den Kopf. »Wir haben eine große Gemeinsamkeit, du und ich. Wir haben ein …«

»Band?«, sagte sie atemlos.

»Ja.«

Sie hätte sich bei ihm ausheulen können.

»Das haben wir«, fuhr er fort, küsste sie fest auf die Stirn und zog Melody in die zweite Umarmung ihres Lebens. »Ich werde einen Weg finden, dir meine Nummer zu geben, Peach. Wenn du jemals etwas brauchst, ruf mich an, okay?«

»Okay«, flüsterte sie, während ihr Herz und ihre Hormone in Aufruhr gerieten. Er hatte ihr einen Kosenamen gegeben. Sie schlang ihre Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. Sie ließ sich ganze fünf Sekunden Zeit, bevor sie sich zwang, Beat wieder loszulassen und zurückzutreten. »Das Gleiche gilt für dich.« Sie hatte Mühe, ihre Atmung auf ein normales Tempo zu bringen. »Ruf mich an, wenn du mal jemanden brauchst, der dich versteht.« Der nächste Teil wollte nicht in ihr bleiben. »Wir können so tun, als wären wir schon immer beste Freunde gewesen.«

Zu ihrer Erleichterung war das schiefe Lächeln wieder da. »Das wäre gar nicht so schwer, Mel.«

Eine Glocke läutete irgendwo auf dem Set und brach den Bann. Alle um sie herum gerieten in Bewegung. Beat wurde in eine Richtung gebracht, Melody in die andere. Aber ihr Puls hörte auch Stunden nach ihrer Begegnung nicht auf zu pochen.

Wie versprochen, fand Beat einen Weg, ihr seine Nummer zu geben, über einen Assistenten am Ende ihrer Interviews. Doch sie fand nie den Mut, sie zu benutzen. Nicht einmal an den schwersten Tagen. Und er rief sie auch nie an.

Das war der Anfang und auch das Ende ihrer märchenhaften Verbindung mit Beat Dawkins.

Zumindest dachte sie das.

Gegenwart

Beat stand fröstelnd auf dem Bürgersteig vor der Party zu seinem dreißigsten Geburtstag.

Zumindest nahm er an, dass in dem Restaurant eine Party auf ihn wartete. Seine Freunde hatten sich schon seit Wochen geheimnisvoll verhalten. Wenn er nur seine Beine bewegen könnte, würde er hineingehen und überrascht tun. Er würde jeden von ihnen nacheinander umarmen, so wie sie es verdient hätten. Er würde verlangen, dass sie ihn über jeden Schritt der Planung aufklären und sie dafür loben, dass sie so schlau waren. Er würde der ultimative Freund sein.

Und der ultimative Betrüger.

Als das Handy in seiner Hand wieder zu vibrieren begann, knurrte es so heftig in seiner Magengegend, dass er sich darauf konzentrieren musste, durchzuatmen. Ein Pärchen ging auf dem Bürgersteig an ihm vorbei und warf ihm einen neugierigen Seitenblick zu. Er lächelte ihnen zu, um sie zu beruhigen, aber es wirkte schwach, und sie gingen nur noch schneller. Er schaute auf sein Handy und wusste bereits, dass ein unbekannter Anrufer auf dem Display erscheinen würde. Genau wie beim letzten Mal. Und das Mal davor.

Über eineinhalb Jahre waren vergangen, seit sein Erpresser ihn das letzte Mal kontaktiert hatte. Er hatte dem Mann die bisher größte Summe an Geld gegeben, damit er verschwand, und ging davon aus, dass die Belästigung vorbei war. Beat fing gerade an, sich wieder normal zu fühlen. Bis zu der Nachricht, die er heute Abend auf dem Weg zu seiner eigenen Geburtstagsparty erhalten hatte.

Ich bin in Redelaune, Beat. Als ob ich mir ein paar Dinge von der Seele reden müsste.

Es war das gleiche Muster wie beim letzten Mal. Der Erpresser kontaktierte ihn aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung, und wurde sofort hartnäckig. Seine Forderungen kamen wie aus heiterem Himmel, eine Symphonie, die mitten im Crescendo begann. Er ließ auch keinen Raum für Verhandlungen. Oder für Argumente. Es ging darum, diesem Mann zu geben, was er wollte, sonst würde er ein Geheimnis preisgeben, das die Welt seiner Familie in ihrem Fundament erschüttern könnte.

Keine große Sache.

Er atmete tief durch und ging ein kurzes Stück in die entgegengesetzte Richtung des Restaurants. Dann drückte er auf Anrufen und hob das Handy an sein Ohr.

Sein Erpresser antwortete beim ersten Klingeln.

»Nochmals hallo, Beat.«

Ein glühendes Eisen fiel in Beats Magen.

Klang die Stimme des Mannes angespannter als in den vergangenen Jahren?

Fast schon gereizter?

»Wir waren uns einig, dass es vorbei ist«, sagte Beat und umklammerte das Handy fester. »Ich sollte nie wieder etwas von dir hören.«

Ein rauer Seufzer erfüllte die Leitung. »Das ist das Ding mit der Wahrheit – sie verschwindet nie wirklich.«

Mit diesen unheilvollen Worten im Ohr legte sich eine seltsame, surreale Ruhe über Beat. Es war einer dieser Momente, in denen er sich umsah und sich fragte, was zum Teufel ihn an genau diesen Ort in genau dieser Zeit geführt hatte. Stand er überhaupt wirklich hier? Oder war er in einem endlosen Traum gefangen? Plötzlich wirkte die vertraute Straße von Greenwich Street, nur ein paar Blocks von seinem Büro entfernt, wie ein Filmset. Weihnachtslichter in Form von Glocken, Weihnachtsmännern und Stechpalmenblättern hingen an den Straßenlaternen, und eine frühe Kältewelle im Dezember verwandelte seinen Atem in frostige Nebelschwaden vor seinem Gesicht.

Er war in Tribeca, nahe genug am Financial District, um Kollegen zu sehen, die sich nach zu viel Alkohol heimlich Zigaretten auf dem Bürgersteig teilten und um acht Uhr abends noch ihre Bürokleidung trugen. Ein Taxi fuhr langsam vorbei, die Räder rollten über den nassen Schlamm des kurzen nachmittäglichen Schneefalls, und aus dem Fenster tönte Have a Holly Jolly Christmas.

»Beat.« Die Stimme in seinem Ohr holte ihn in die Realität zurück. »Ich werde doppelt so viel brauchen wie beim letzten Mal.«

Die Übelkeit stieg ihm bis in den Hals, sodass sich sein Kopf leicht anfühlte. »Das kann ich nicht tun. Ich persönlich habe nicht so viel Bargeld und werde das Geld der Stiftung nicht anrühren. Das muss ein Ende haben.«

»Wie ich schon sagte –«

»Die Wahrheit verschwindet nie. Ich habe dich verstanden.«

In der Leitung herrschte große Stille. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Art und Weise, wie du mit mir sprichst, zu schätzen weiß, Beat. Ich habe eine Geschichte zu erzählen. Wenn du mich nicht dafür bezahlst, dass ich sie für mich behalte, hole ich mir das, was ich brauche, bei 20/20 oder dem People Magazine. Die würden jedes schmutzige Wort lieben.«

Und seine Eltern würden ruiniert sein.

Die Wahrheit würde seinen Vater am Boden zerstören.

Der gute Ruf seiner Mutter würde in Scherben liegen.

Das öffentliche Ansehen von Octavia Dawkins würde in den Keller gehen, und dreißig Jahre wohltätige Arbeit wären plötzlich bedeutungslos. Es würde nur noch diese eine Geschichte geben.

Es würde nur noch die vernichtende Wahrheit geben.

»Tu das nicht.« Beat massierte das pochende Gefühl zwischen seinen Augen. »Meine Eltern haben das nicht verdient.«

»Ach, ja? Nun, ich habe es auch nicht verdient, aus der Band geworfen zu werden.« Der Mann schnaubte. »Rede nicht über Dinge, von denen du nichts weißt, Junge. Du warst nicht dabei. Wirst du mir helfen, oder soll ich anfangen, ein paar Anrufe zu tätigen? Diese Reality-Show-Produzentin hat sich schon zweimal bei mir gemeldet. Vielleicht wäre sie ein guter Anfang.«

Die Nachtluft wurde schärfer in seiner Lunge. »Welche Produzentin? Wie heißt sie?«

War es dieselbe Frau, die Beat in den letzten sechs Monaten regelmäßig per E-Mail und telefonisch kontaktiert hatte? Die ihm eine obszöne Summe angeboten hatte, um an einer Reality-Show über die Reunion der Steel Birds teilzunehmen? Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Anfragen zu beantworten, weil er im Laufe der Jahre so viele ähnliche Angebote bekommen hatte. Die öffentliche Nachfrage nach einer Reunion hatte seit den Neunzigern kein bisschen nachgelassen, und nun, da einer der Hits der Band Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung viral ging, war die Forderung plötzlich aktueller denn je.

»Danielle irgendwas«, sagte sein Erpresser. »Aber das spielt keine Rolle. Sie ist nur eine meiner Möglichkeiten.«

»Klar.«

Wie viel hatte sie Beat angeboten? Er erinnerte sich nicht an den genauen Betrag. Nur, dass es eine Menge Geld gewesen war. Möglicherweise siebenstellig.

»Wie können wir das ein für alle Mal beenden?«, fragte Beat, der sich wie eine kaputte Schallplatte fühlte und auch so klang. »Wie kann ich darauf vertrauen, dass es das letzte Mal ist?«

»Du musst mir glauben.«

Beat schüttelte bereits den Kopf. »Ich brauche etwas Schriftliches.«

»Daraus wird nichts. Entweder mein Wort oder gar nichts. Wie lange brauchst du, um das Geld zusammen zu bekommen?«

Verdammt noch mal. Das war echt. Es geschah wirklich. Schon wieder.

Die letzten anderthalb Jahre waren nichts weiter als eine Gnadenfrist gewesen. Tief im Innern hatte er das gewusst, oder? »Ich brauche etwas Zeit. Wenigstens bis Februar.«

»Du hast Zeit bis Weihnachten.«

Eine scharfe Kante der Panik schnitt in seine Brust. »Das ist in weniger als einem Monat.«

Ein humorloses Lachen knisterte durch die Leitung. »Wenn du es geschafft hast, deine egoistische Kuh von einer Mutter in der Öffentlichkeit wie eine Heilige aussehen zu lassen, dann kannst du mir auch bis zum Fünfundzwanzigsten achthunderttausend besorgen.«

»Nein, das kann ich nicht«, sagte Beat durch zusammengebissene Zähne. »Es ist unmöglich –«

»Tu es, oder ich rede.«

Die Leitung wurde unterbrochen.

Beat starrte einige Sekunden lang auf das stumme Gerät und versuchte, sich zusammenzureißen. Nachrichten von seinen Freunden tauchten auf dem Display auf und fragten ihn, wo er blieb. Warum er zu spät zum Abendessen kam. Er hätte längst daran gewöhnt sein sollen, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Das tat er schon seit fünf Jahren, seit der Erpresser ihn zum ersten Mal kontaktiert hatte. Lächeln. Aufmerksam zuhören. Dankbar sein. Immer dankbar sein für das, was er hatte.

Wie lange konnte er das noch durchhalten?

Ein paar Minuten später betrat er einen stockfinsteren Partyraum.

Die Lichter gingen an, und ein Meer von lächelnden Gesichtern erschien und rief: »Überraschung!«

Und obwohl seine Haut unter dem Anzug eiskalt war, taumelte er mit einem benommenen Grinsen zurück und lachte, wie man es von ihm erwartete. Er nahm Umarmungen entgegen, Schulterklopfen, Händeschütteln und Wangenküsse.

Nichts ist falsch.

Ich habe alles unter Kontrolle.

Beat kämpfte sich durch die Flut von Stress und versuchte, das Gute um sich herum zu schätzen. Den Raum voller Menschen, die sich zu seinen Ehren versammelt hatten. Nach all der Mühe, die sie offensichtlich in diesen Abend gesteckt hatten, schuldete er es ihnen. Einer der Vorteile, im Dezember geboren zu sein, waren Geburtstagsfeiern mit Weihnachtsmottos – und seine Freunde hatten keine halben Sachen gemacht. Weiße Lichterketten schlängelten sich um frisches Tannengrün und hingen von den Balken des Bankettsaals im Restaurant herab. Weihnachtssterne sprossen aus leuchtenden Vasen. Der Duft von Zimt und Kiefer lag schwer in der Luft, und ein Kaminfeuer loderte in der Ecke des Raums. Seine Freunde, Kollegen und ein paar entfernte Cousins trugen Santamützen.

Was Mottos anging, war Weihnachten der klare Sieger, und er konnte sich nicht beschweren. Soweit er sich zurückerinnern konnte, war es sein Lieblingsfest gewesen. Die Zeit im Jahr, in der er einfach zur Ruhe kommen, den ganzen Tag im Pyjama verbringen und seinen Kopf freibekommen konnte. Seine Familie hatte Weihnachten immer auf die drei von ihnen beschränkt, ohne Außenstehende. Er musste keine Rolle spielen. Er konnte einfach sein.

Einer von Beats Studienkameraden von der NYU nahm ihn spielerisch in den Schwitzkasten und er ließ es über sich ergehen, weil er wusste, dass der Typ es gut meinte. Gott, das taten sie alle. Seine Freunde wussten nicht, unter welcher Belastung er stand. Wenn sie es wüssten, würden sie wahrscheinlich versuchen, zu helfen. Aber das konnte er nicht zulassen. Er konnte nicht zulassen, dass auch nur ein einziger Mensch den heiklen Grund erfuhr, warum er erpresst wurde.

Oder wer dahintersteckte.

Beat bemerkte, dass alle um ihn herum lachten, und er schloss sich dem an, tat so, als hätte er den Witz gehört, aber sein Gehirn arbeitete sich wie wild durch die Matheaufgaben. Er stellte Lösungen vor und verwarf sie wieder. Achthunderttausend Dollar. Das war doppelt so viel, wie er diesem Mann beim letzten Mal gezahlt hatte. Woher sollte er das Geld nehmen? Und was war mit dem nächsten Mal? Würde er sich an die Million heranwagen?

»Du hast doch nicht gedacht, dass wir deinen Dreißigsten ohne eine unanständige Feier verstreichen lassen, oder?«, fragte Vance und stieß ihm einen Ellbogen in die Rippen. »Du kennst uns doch besser.«

»Da hast du verdammt recht.« Ein Glas Champagner erschien in Beats Hand. »Wann kommt der Clown, um Luftballontiere zu machen?«

Die Gruppe brach in ein ungläubiges Brüllen aus. »Wie zum Teufel –«

»Du hast die Überraschung ruiniert!«

»Wie ihr gesagt habt«, Beat salutierte mit einem breiten Grinsen, bis sie alle ihre Empörung fallen ließen und zurück grinsten, »ich kenne euch.«

Aber sie kennen dich nicht. Oder doch?

Sein Lächeln schwankte leicht, aber er überdeckte es mit einem Schluck Champagner, stellte das leere Glas auf dem nächsten Tisch ab und bemerkte die Pfefferminzbonbons, die zwischen dem Konfetti verstreut lagen. Die Papierschnipsel waren kleine Bs. Fotos von ihm schmückten die Erfrischungstafeln in Plastikhaltern. Eines zeigte ihn beim Klippenspringen in Costa Rica. Ein anderes bei seinem Abschluss in Talar und Doktorhut an der Business School. Noch ein weiteres zeigte ihn auf einer Bühne, wie er seine Mutter – die weltberühmte Octavia Dawkins – bei einem Wohltätigkeitsdinner vorstellte, das er kürzlich für ihre Stiftung organisiert hatte. Auf jedem einzelnen Bild lächelte er.

Es war, als würde er einen Fremden ansehen. Er kannte den Kerl nicht einmal.

Als er in Mittelamerika von der Klippe sprang, war er gerade dabei, Geld zu beschaffen, um den Erpresser das erste Mal auszuzahlen. Damals, als er die Summe noch aufbringen konnte. Fünfzigtausend hier oder da. Sicher, es bedeutete eine kleine Umschichtung seines Vermögens, aber nichts, was er nicht hatte bewältigen können, um die Namen seiner Eltern davor zu schützen, durch den Dreck gezogen zu werden.

Allein könnte er so viel Geld nicht aufbringen. Die Stiftung hatte mehr als genug Geld in der Kasse, aber bevor er die Wohltätigkeitsstiftung bestehlen würde, die er mit seiner Mutter aufgebaut hatte, würde es einen kalten Tag in der Hölle geben. Das würde nicht passieren. Das Geld wurde für wohltätige Zwecke verwendet. Wohlverdiente Stipendien für Studenten der darstellenden Künste, die sich die Kosten für Ausbildung, Studium und Lebensunterhalt nicht leisten konnten. Das Geld würde er nicht für Erpressung verwenden.

Woher sollte er also das Geld nehmen?

Vielleicht würde ein kurzer Anruf bei seinem Buchhalter seine Nerven beruhigen. Er hatte letztes Jahr in ein paar Start-ups investiert. Vielleicht konnte er diese Investitionen jetzt zurückziehen? Es musste doch eine Lösung geben.

Es gibt keine, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf.

Noch kälter als zuvor zwang sich Beat zu einem gelassenen Ausdruck. »Entschuldigt mich für ein paar Minuten, ich muss nur schnell telefonieren.«

»Mit wem?«, fragte Vance. »Jeder, den du kennst, ist in diesem Raum.«

Das stimmte nicht.

Seine Eltern waren nicht hier.

Aber das waren nicht die Personen, an die er als Erstes dachte – und es war absurd, dass ihm nach all den Jahren ausgerechnet Melody Gallard in den Sinn kam. Vierzehn Jahre, seitdem er sie einmal getroffen hatte. Und doch erinnerte er sich noch an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Ihr Lächeln, die Art, wie sie flüsterte, als wäre sie es gar nicht gewohnt, überhaupt zu reden. Die Art und Weise, wie sie ihm nicht in die Augen sehen konnte und dann plötzlich nirgendwo anders mehr hinschauen konnte. Und er auch nicht.

Er hatte in seinem Leben schon Tausende von Menschen umarmt, aber sie war die Einzige, die er noch in seinen Armen spüren konnte. Sie waren dazu bestimmt, Freunde zu sein. Leider hatte er sie nie angerufen. Sie hatte auch nie seine Nummer gewählt. Jetzt war es zu spät. Doch als Vance sagte, dass jeder, den du kennst, in diesem Raum ist, dachte Beat an sie.

Es fühlte sich an, als würde er Melody kennen – und sie war nicht hier.

Sie würde ihn von allen am besten kennen, wenn er mit ihr in Kontakt geblieben wäre.

»Vielleicht muss er eine Frau anrufen«, sang jemand von der anderen Seite der Gruppe. »Wir wissen, dass Beat seine Beziehungen gerne privat hält.«

»Wenn ich eine Frau finde, die meine Freunde überleben kann, werde ich sie mitbringen.«

»Ach, komm schon.«

»Wir würden uns von unserer besten Seite zeigen.«

Beat hob skeptisch eine Braue. »Ihr habt keine beste Seite.« Jemand hob eine Handvoll B-Konfetti auf und warf es nach ihm. Er schnippte sich ein Stück von der Schulter, ohne einen Schlag zu verpassen, zufrieden, dass er ihr Interesse wieder einmal auf sein Liebesleben gelenkt hatte. Das behielt er aus gutem Grund für sich.

»Ein Anruf, und ich bin wieder da. Fangt nicht ohne mich mit den Ballontieren an. Ich werde mal sehen, ob der Künstler mir ein Gefühl von Privatsphäre verschaffen kann.« Er grinste sie alle an, um ihnen zu zeigen, dass er scherzte. »Es bedeutet mir sehr viel, dass ihr diese Party für mich organisiert habt. Vielen Dank dafür. Es ist … alles, was sich ein Mann wünschen kann.«

Dieser rührselige Moment brachte ihm einen Chor von Buhrufen und einige weitere Konfettiwürfe ein, bis er geduckt den Raum verlassen musste. Aber kaum war er draußen, verschwand sein Lächeln. Zurück auf dem Bürgersteig stand er eine ganze Minute lang da und schaute auf das Handy in seiner Hand. Er könnte seinen Buchhalter anrufen. Aber das wäre eine Verschwendung. Nach fünf Jahren, in denen der Erpresser wie ein Parasit an ihm klebte, hatte er ihn auswringen können. Es waren einfach keine achthunderttausend Dollar mehr übrig.

Diese Reality-Show-Produzentin hat sich zweimal bei mir gemeldet.

Vielleicht wäre sie ein guter Anfang.

Die Worte seines Erpressers kamen ihm wieder ins Gedächtnis. Danielle irgendwas. Sie hatte sich auch an Beat gewandt. Sie hatte ein bekanntes Netzwerk hinter sich, wenn Beat sich richtig erinnerte. Normalerweise kümmerte sich sein Assistent um Anfragen, die Steel Birds betrafen, aber diese spezielle Anfrage hatte er wegen der Größe des Angebots und des Einflusses der Produzentin an Beat weitergeleitet.

Anstatt seinen Buchhalter anzurufen, suchte er in seinem Posteingang nach dem Namen Danielle – und fand die E-Mail nach ein wenig Scrollen.

Lieber Mr. Dawkins,

erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich bin Ihre Eintrittskarte zum Status eines weltbekannten Namens.

Seit der Trennung der Steel Birds im Jahr 1993 sehnt sich die Öffentlichkeit nach einer Reunion der Frauen, die nicht nur einige der beliebtesten Balladen der Welt mitgeschrieben, sondern auch eine Bewegung inspiriert haben. Die kleine Mädchen ermutigt haben, ein Mikrofon in die Hand zu nehmen und ihre Unzufriedenheit laut heraus zu singen – egal, wen es störte. Ich war eines dieser kleinen Mädchen.

Ich weiß, dass Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, daher fasse ich mich kurz: Ich möchte der Öffentlichkeit die Reunion ermöglichen, von der wir seit ’93 träumen. Und wer könnte das besser in Gang setzen als die Kinder dieser legendären Frauen?

Es ist mein tiefster Wunsch, dass Sie, Mr. Dawkins, und Melody Gallard sich zusammentun, um Ihre Eltern wieder zusammenzubringen.

Das Applause Network ist bereit, Ihnen beiden jeweils eine Million Dollar anzubieten.

Mit freundlichen Grüßen,

Danielle Doolin

Beat ließ das Handy auf seinen Oberschenkel fallen. Hatte er wirklich nur eine E-Mail überflogen, die so leidenschaftlich war? Er hatte es beim ersten Mal nicht einmal bis zur Mitte geschafft. Das war offensichtlich, denn er hätte sich an den Teil über Melody erinnert. Jedes Mal, wenn jemand sie erwähnte, bekam er einen festen Schlag in den Magen.

Und gerade jetzt bekam er einen.

Beat hatte absolut kein Interesse daran, ein bekannter Name zu werden. Er mochte es, hinter den Kulissen bei der Stiftung seiner Mutter zu arbeiten. Ab und zu eine Rede oder ein Interview für die sozialen Medien zu halten, war notwendig. Seit »Rattle the Cage« viral gegangen war, kamen die Anfragen in Massen, aber es war ihm lieber, aus dem Rampenlicht zu bleiben.

Allerdings.

Eine Million Dollar würde sein Problem lösen.

Er musste es lösen. Schnell.

Und falls – und das war ein großes Falls – Beat zustimmte, an der Reality-Show teilzunehmen, müsste er zuerst mit Melody sprechen. Sie waren zwar in der gleichen seltsamen Welt der Promi-Kinder aufgewachsen, aber die Behandlung durch die Presse war bei ihnen völlig unterschiedlich. Er war als eine Art Goldjunge gefeiert worden, während jede einzelne körperliche Eigenschaft von Melody durch Paparazzi-Linsen zerlegt wurde – und das, als sie noch minderjährig war. Er hatte das mit Entsetzen aus der Ferne beobachtet.

So sehr, dass er bei ihrer ersten und einzigen Begegnung von einer so tiefen Beschützermentalität durchgeschüttelt wurde, dass er sie bis heute spürte.

Gab es eine Möglichkeit, sie nicht erneut ins Rampenlicht zu bringen, wenn er versuchte, die Steel Birds wieder zu vereinen? Oder würde sie nur wegen ihrer Verbindung zur Band in die Geschichte hineingezogen werden?

Gott, er wusste es nicht. Aber Beat würde auf keinen Fall zustimmen, wenn Melody nicht damit einverstanden war, dass er in dieses Wespennest stach. Er würde sich mit ihr treffen müssen. Persönlich. Ihr ins Gesicht sehen und sicher sein, dass sie keine Bedenken hatte.

Beats Puls beschleunigte sich.

Vierzehn Jahre waren vergangen und er hatte oft an sie gedacht … seltsam oft. Fragte sich, was sie tat, ob sie das neueste Fernsehspecial über ihre Mütter gesehen hatte und ob sie glücklich war. Die letzte Frage beschäftigte ihn am meisten. War Melody glücklich? War er es?

Wäre alles anders, wenn er sie einfach angerufen hätte?

Beat rief die Kontaktnummer seines Buchhalters auf, drückte aber nicht auf Anrufen. Stattdessen öffnete er die E-Mail von Danielle Doolin erneut und tippte auf die Handynummer in ihrer E-Mail-Signatur, ohne zu ahnen, was für einen Zauber er damit in Gang setzen würde.

Melody stand am oberen Ende des Boccia-Platzes, die rote Holzkugel in der Hand.

Dieser Wurf würde darüber entscheiden, ob ihr Team gewann oder verlor.

Wie? Wie war es möglich, dass die Last über Sieg oder Niederlage auf ihren vogelähnlichen Schultern landete? Wer hatte die Mannschaftsaufstellung für heute Abend überwacht? Sie war die schwächste Spielerin. Normalerweise vergruben sie sie irgendwo in der Mitte. Ihr Herzschlag dröhnte so laut, dass sie die »Elf«-Soundtrack-Musik, die durch die Lautsprecher der Bar dröhnte, kaum hörte. Zooey Deschanels normalerweise engelsgleiche Stimme traf ihre Ohren mehr wie das Kichern einer Hexe.

Ihr Team stand am Rand der Bahn, die Hände ineinander verschränkt, als wäre es der letzte Punkt in Wimbledon oder so und nicht in der Boccia-Liga. Hier ging es doch um nichts, oder? Ihre Chefin und beste Freundin, Savelina, hatte ihr versichert, dass es um nichts ging. Sonst wäre Melody nicht in das Team eingetreten und hätte dessen Erfolg damit aufs Spiel gesetzt. Stattdessen wäre sie zu Hause geblieben, hätte irgendeine Weihnachtsbäckerei-Meisterschaft im Food Network angesehen und in einem Erwachsenen-Jumpsuit auf der Couch gelegen, wo sie hingehörte.

»Du schaffst das, Mel!«, rief Savelina, gefolgt von mehreren Jubelrufen und Pfiffen von ihren Kollegen der Buchhandlung. Am Anfang der Saison kannte sie sie noch nicht so gut, da sie im Keller arbeitete und fast nie von ihrer Arbeit aufblickte. Aber dank dieser halbwegs quälenden Boccia-Liga hatte sie sie viel besser kennengelernt. Sie mochte sie.

Oh, bitte, Gott, gib mir genug Können, um sie nicht zu enttäuschen.

Ha. Wenn sie das nicht vermasselte, wäre es ein Wunder.

»Brauchst du eine Auszeit?«, fragte ihre Chefin.

»Wie kommst du nur darauf?«, rief Melody. »Weil ich vor Angst erstarrt bin?«

Das aufbrandende Gelächter stärkte ihr Selbstvertrauen ein wenig, aber nicht zu sehr. Und dann machte sie den Fehler, einen Blick über ihre Schulter zu werfen und festzustellen, dass die gesamte Bar in Park Slope den letzten Wurf mit angehaltenem Atem beobachtete. Es war so, als würde man auf den Boden schauen, während man auf einem Drahtseil lief. Nicht, dass sie so etwas jemals erlebt hätte. Das verrückteste Risiko, das sie in letzter Zeit eingegangen war, waren Creolen. Creolen!

Jetzt atmete sie so schwer, dass ihre Brille beschlug.

Guckten ihr alle auf den Hintern?

Das mussten sie tun. Sie schaute allen auf den Hintern, auch wenn sie versuchte, es nicht zu tun. Was sollte an dieser Gruppe anders sein? Hielten sie ihren bodenlangen Faltenrock für eine seltsame Wahl zum Boccia spielen? Denn das war er auf jeden Fall.

»Mel!« Savelina wies mit ihrem Bierkrug auf die Boccia-Bahn. »Uns läuft die Zeit davon. Bring die Kugel so nah wie möglich an das Pallino heran. Das ist ein Kinderspiel.«

Für Savelina war das leicht zu sagen. Sie besaß einen Buchladen und kleidete sich wie eine bekiffte Bohème. Sie konnte Gladiatorensandalen anziehen und hatte eine Lieblingsmarke von Oolong-Tee. Natürlich dachte sie, Boccia wäre einfach.

Die Menge hinter Melody begann jubelnd, sie anzufeuern, was ehrlich gesagt wirklich nett war. Die Leute in Brooklyn hatten einen schlechten Ruf, aber eigentlich waren sie ziemlich freundlich, solange man ihnen Getränke anbot und regelmäßig ihre Hunde lobte.

»Okay! Okay, ich werde es tun.«

Melody holte tief Luft und ließ die rote Holzkugel über den harten Sand rollen. Sie kam an der am weitesten vom Pallino entfernten Stelle zum Stehen. Sie war nicht einmal ansatzweise in der Nähe.

Ihre Gegner jubelten und stießen mit den Krügen an, während die Bar der Heimmannschaft einen kollektiven Seufzer der Enttäuschung ausstieß. Wahrscheinlich dachten sie, dass sich die Geschichte vom Außenseiter zum Helden direkt vor ihren Augen abspielte, aber nein. Nicht mit Melody als Hauptdarstellerin.

Savelina kam mit einem mitfühlenden Gesichtsausdruck auf sie zu und drückte Mel mit einer eleganten Hand die Schulter. »Die nächste Runde gewinnen wir.«

»Wir haben in der ganzen Saison noch kein Spiel gewonnen.«

»Es geht nicht immer um den Sieg«, meinte ihre Chefin. »Es geht darum, es überhaupt zu versuchen.«

»Danke, Mom.«

Savelinas dichte braune Locken schüttelten sich vor Lachen. »In zwei Wochen haben wir das letzte Spiel der Saison, und ich habe ein gutes Gefühl dabei. Wir werden mit einem Sieg in die Weihnachtszeit gehen, und du wirst ein Teil davon sein.«

Mel verbarg ihre Skepsis nicht.

»Lass mich das klarstellen«, sagte Savelina. »Du musst ein Teil davon sein. Wir haben nur genug Spieler, wenn du auftauchst. Du haust doch nicht früher ab, um deine Familie zu besuchen, oder?«

Als Expertin für die Restaurierung seltener Bücher hatte Mel einen lockeren Arbeitsplan. Sie konnte bei Bedarf ein Projekt mit nach Hause nehmen, und ihre Anwesenheit im Laden hing größtenteils davon ab, ob es überhaupt ein Buch gab, das gerade liebevolle Zuwendung brauchte oder nicht. »Äh, nein.« Mel zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn sich in ihrem Herzen eine kleine Delle bildete. »Nein, ich habe keine Pläne. Meine Mutter ist … weißt du. Sie macht ihr Ding. Ich mache meins. Aber ich werde sie im Februar an meinem Geburtstag sehen«, beeilte sie sich hinzuzufügen.

»Stimmt. Sie kommt immer zu deinem Geburtstag nach New York.«

»Genau.«

Mel lächelte angespannt und nickte, wie sie es immer tat, wenn das Gespräch auf ihre Mutter kam. Selbst die wohlmeinendsten Menschen konnten nicht anders, als offen neugierig auf Trina Gallard zu sein. Immerhin war sie eine internationale Ikone. Savelina war rücksichtsvoller als die meisten, wenn es darum ging, Mel ihre Privatsphäre zu lassen, aber der Wissensdurst über den Rockstar drang unweigerlich durch. Mel verstand. Das tat sie.

Sie wusste einfach nicht genug über ihre Mutter, um jedem das zu geben, was er wollte.

Das war die traurige Wahrheit. Trina überschüttete ihre Tochter einmal im Jahr mit Liebe – und nur einmal im Jahr. Wie eine ausverkaufte One-Night-Show im Garden, nach der man mit einem Kater und viel zu teurem Merchandise zurückblieb, das man nie wieder trug.

Melody konnte sehen, dass Savelina den Kampf gegen das Bedürfnis verlor, tiefergehende Fragen über Trina zu stellen, wahrscheinlich, weil es das Ende des Abends war und sie sechs Biere getrunken hatte. Also schnappte sich Mel ihren kellygrünen Mantel, der auf dem nächstgelegenen Hocker hing, zog ihn sich über die Schultern und suchte nach einer Möglichkeit, sich zu entschuldigen. »Ich gehe mal zahlen.« Sie beugte sich vor und drückte Savelina einen kurzen Kuss auf die kunstvoll geschminkte braune Wange. »Sehen wir uns die Woche?«

»Ja!«, sagte Savelina zu schnell, um ihre offensichtliche Enttäuschung zu verbergen. »Wir sehen uns bald.«

Kurz kämpfte Mel gegen den Drang an, ihrer Freundin etwas zu geben, irgendetwas. Wenigstens Trinas Lieblingsmüsli – Lucky Charms –, aber die Information blieb ihr auf der Zunge liegen. Das tat sie immer. Es fühlte sich falsch an, mit irgendeiner Art von Autorität über ihre Mutter zu sprechen, obwohl sie die meisten Tage den Eindruck hatte, die Frau kaum zu kennen.

»Okay.« Mel nickte, drehte sich um und schlängelte sich durch einige feiernde Nachtschwärmer in Richtung Bar, wobei sie sich bei ein paar Gästen entschuldigte, die ihre unspektakuläre Außenseitergeschichte mitverfolgt hatten. Bevor sie die Bar erreichte, vergewisserte sie sich, dass Savelina sie nicht beobachtete, und steuerte dann auf den Ausgang zu – denn sie hatte nicht wirklich etwas zu bezahlen. Gäste, die sie als die Tochter von Trina Gallard erkannten, hatten ihr den ganzen Abend über Drinks zukommen lassen. Sie hatte so viele Shirley Temples getrunken, dass sie eine Woche lang Grenadine pinkeln musste.

Die kalte Winterluft kühlte ihre Wangen ab, als sie auf den Bürgersteig trat.

Die fröhliche Weihnachtsmusik und die lebhaften Gespräche verstummten hinter ihr, sobald die Tür zufiel. Warum fühlte es sich immer so gut an, von irgendwo wegzugehen?

Schuldgefühle bohrten sich in ihren Bauch. Wollte sie keine Freunde haben? Wer wollte das nicht?

Und warum fühlte sie sich allein, ob sie nun unter Menschen war oder nicht? Sie drehte sich um und schaute durch das Glas zurück, um die Barbesucher, die fröhlichen Feiernden und die stillen Menschen in den dunklen Ecken zu beobachten. Es gab so viele verschiedene Menschen, und sie alle schienen eines gemeinsam zu haben: Sie genossen die Gesellschaft. Keiner von ihnen schien den Atem anzuhalten, bis sie gehen konnten. Sie schienen nicht nur so zu tun, als ob sie sich wohlfühlten, obwohl sie in Wirklichkeit über jedes Wort nachdachten, das sie von sich gaben, und darüber, wie sie aussahen, ob die Leute sie mochten oder nicht. Und wenn sie sie mochten, dann eher, weil sie die Tochter einer Prominenten war und nicht wegen ihrer tatsächlichen Persönlichkeit. Weil Melody so war, wie sie war?

Melody wandte sich mit einem Kloß im Hals von der lebhaften Szene ab und begann, die Steigung der Union Street in Richtung ihrer Wohnung hinaufzugehen. Bevor sie jedoch zwei Schritte weit gekommen war, schob sich eine Frau einige Meter vor ihr ins Licht. Melody hielt in ihrer Bewegung inne. Die Fremde war so auffällig, ihr Lächeln so selbstbewusst, dass es unmöglich war, weiterzugehen, ohne sie zu bemerken. Sie hatte dunkelblondes Haar, das in perfekten Wellen auf die Schultern eines sehr teuer aussehenden Mantels fiel. Ein Mantel, der winzige Goldketten an seltsamen Stellen hatte, die keine Funktion hatten, sondern nur dem modischen Aussehen dienten. Kurz gesagt, sie war strahlend und gehörte nicht in eine gewöhnliche Bar in der Nachbarschaft.

»Miss Gallard?«

Die Frau kannte ihren Namen? Hatte sie ihr aufgelauert? Das kam nicht völlig überraschend, aber es war schon lange her, dass sie eine solche Dreistigkeit von einer Reporterin erlebt hatte.

»Entschuldigung«, sagte Melody und drängte sich an ihr vorbei. »Ich beantworte keine Fragen über meine Mutter –«

»Ich bin Danielle Doolin. Vielleicht erinnern Sie sich an einige E-Mails, die ich Ihnen Anfang des Jahres geschickt habe? Ich bin Produzentin beim Applause Network.«

Melody ging weiter. »Ich bekomme eine Menge E-Mails.«

»Ja, da bin ich mir sicher«, sagte Danielle und ging neben ihr her. Sie hielt mit ihr Schritt, obwohl sie fünf Zentimeter hohe Absätze trug, ein starker Kontrast zu Melodys flachen Stiefeletten. »Die Öffentlichkeit hat ein großes Interesse an Ihnen und Ihrer Familie.«

»Ihnen ist klar, dass ich nie wirklich die Wahl hatte.«

»Das ist es. Bei meinem kurzen Telefonat mit Beat Dawkins hat er dasselbe gesagt.«

Melodys Füße hörten praktisch auf zu funktionieren. Ihr wich die Luft aus der Lunge und sie hatte keine andere Wahl, als mitten auf dem Bürgersteig abzubremsen und stehen zu bleiben. Beat Dawkins. Sie hatte diesen Namen im Schlaf gehört, was völlig lächerlich war. Die Tatsache, dass sie immer noch von diesem Mann fasziniert war, obwohl sie seit vierzehn Jahren nicht mehr im selben Raum gewesen waren, ließ sie erschaudern … aber das war das Einzige, was sie an Beat erschaudern ließ. Der Rest ihrer Reaktionen auf ihn ließ sich am besten als atemlos, traumhaft, skurril und … sexuell beschreiben.

In ihren ganzen dreißig Jahren hatte sie noch nie eine solche Anziehungskraft erlebt wie bei Dawkins im Alter von sechzehn Jahren, als sie nur fünf Minuten in seiner Gegenwart verbracht hatte. Seitdem konnten ihre Hormone nur noch als faul bezeichnet werden. Sie ließ sich lieber mit einem Mai Tai auf einer Luftmatratze im Pool treiben, als an einem Triathlon teilzunehmen. Sie hatte die Yoga-Hosen der Hormone. Sie waren in Ordnung, sie zählten definitiv zu den Hormonen, aber für einen Laufsteg-Auftritt reichten sie nicht. Ihr Mangel an romantischen Ambitionen war ein weiterer Grund, warum sie sich unmotiviert fühlte, auszugehen und menschliche Kontakte zu knüpfen. In einer großen, geselligen Runde zu sein, in der sich jemand für sie interessieren könnte.

Es brauchte schon etwas Besonderes, um sie dazu zu bringen, den Mai Tai abzustellen und die Luftmatratze zu verlassen – und bisher war niemand besonders … mitreißend. Aber eine vierzehn Jahre alte Erinnerung? Oh, Mom. Sie hatte die Macht, ihre Temperatur in die Höhe zu treiben. Zumindest war es einmal so. Die Erinnerung an ihr einziges Zusammentreffen mit Beat wurde immer unschärfer. Sie verblasste, sehr zu ihrem Leidwesen.

»Nun.« Danielle betrachtete Melody mit offenem Interesse. »Sein Name hat deine Aufmerksamkeit geweckt, nicht wahr?«

Melody versuchte, sich nicht zu verhaspeln, und scheiterte, weil ihre Zunge genauso nutzlos war wie ihre Füße. »Es tut mir leid, S-sie müssen mein Gedächtnis auffrischen. In den Mails, die Sie mir geschickt haben, ging es um …?«

»Die Reunion der Steel Birds.«

Ein Lachen purzelte aus Melody heraus und wirbelte die Luft mit weißem Staub auf. »Moment. Beat hat deswegen einen Anruf bekommen?« Verblüfft schüttelte sie den Kopf. »Soweit ich weiß, haben wir beide immer behauptet, dass eine Reunion unmöglich ist. Das ist so ähnlich wie eine Comeback-Tour von Elvis.«

Danielle hob eine Schulter und ließ sie wieder sinken. »Es sind schon seltsamere Dinge passiert. Sogar Pink Floyd legten ihre Differenzen für Live Eight im Jahr 2005 beiseite, und niemand glaubte, dass es machbar sei. Es ist viel Zeit vergangen, seit die Steel Birds sich aufgelöst haben. Die Herzen werden weicher. Das Alter sorgt für eine andere Perspektive. Vielleicht glaubt Beat, dass eine Reunion nicht so ein unmögliches Unterfangen wäre.«

Es war demütigend, wie sehr ihr Herz in der Brust pochte. »Hat … hat er das gesagt?«

Danielle blies Luft in eine Wange. »Er hat es nicht nicht gesagt. Aber die Tatsache, dass er mich wegen des Meetings kontaktiert hat, spricht doch für sich, oder?«

Seltsam, dass Melody sich ein bisschen verraten fühlte, weil er seine Meinung geändert hatte, ohne sie zu fragen. Warum sollte er das tun? Er war ihr nichts schuldig. Nicht einmal einen Anruf. Nichts. »Wow.« Melody räusperte sich. »Sie haben mich kalt erwischt.«

»Entschuldigung. Es ist sehr schwierig, mit Ihnen in Kontakt zu kommen. Ich musste ziemlich lange suchen, um herauszufinden, wo Sie arbeiten. Dann habe ich ein Bild von Ihrem Boccia-Team auf dem Instagram-Account der Buchhandlung gesehen. Zum Glück gibt es Standort-Tags.« Danielle deutete mit einer flinken, behandschuhten Hand auf die Gegend. »Ich versichere Ihnen, dass ich mich bei minus sechs Grad nicht nach Brooklyn gewagt hätte, wenn ich nicht ein potenziell brauchbares Projekt auf dem Tisch liegen hätte. Eines, das, wenn es richtig gemacht wird, ein kulturelles Phänomen sein könnte. Und es wird richtig gemacht werden, denn ich würde die Produktion persönlich überwachen.«

Wie war es, so zuversichtlich zu sein? »Ich habe Angst zu fragen, was dieses Projekt mit sich bringt.«

»Deshalb erzähle ich es Ihnen erst, wenn wir in meinem schönen, warmen Büro sitzen, mit Espresso und einer Auswahl an Beignets vor uns.«

Melodys Magen knurrte unwillkürlich. »Beignets, hm?«

»Die haben Beats Interesse auch geweckt.«

»Wirklich?« Melodys atemloser Tonfall drang an ihre Ohren und ihr wurde klar, was vor sich ging. Welche Taktik angewendet wurde. »Sie bringen ihn absichtlich immer wieder ins Spiel.«

Danielle studierte ihr Gesicht genau. »Er scheint mein größtes Verkaufsargument zu sein. Sogar mehr als das Geld, das der Sender zu zahlen bereit ist, schätze ich«, murmelte sie. »Wenn ich seinen Namen nicht erwähnt hätte, wären Sie nicht einmal stehen geblieben. Erstaunlich, da Sie beide gar keinen Kontakt zueinander hatten. Sagt er.«

»Nein, ich weiß«, platzte Melody heraus, während ihr die Hitze im Gesicht und am Hals klebte. »Wir kennen uns nicht einmal.«

Und das war die gottgegebene Wahrheit.

Vierzehn Jahre waren vergangen.

Wie auch immer. Beat war ein guter Mensch. Das hatte er ihr bewiesen – und er konnte sich nicht so drastisch verändert haben. Die Art von Charakter, die man brauchte, um das zu tun, was er getan hatte …

Ungefähr einen Monat, nachdem sie sich in dem feuchten Fernsehstudio kennengelernt hatten, war sie durch das Tor ihrer Privatschule in Manhattan gegangen und hatte erwartet, wie immer allein in die Klasse zu gehen. Aber an diesem Morgen war sie von aufgeregten Mädchen umgeben gewesen. Ob sie Beat Dawkins auf TMZ gesehen hätte?

Da sie die Sendung wie die Pest gemieden hatte, hatte sie den Kopf geschüttelt. Man hatte ihr schüchtern mitgeteilt, dass Beat sie bei einem Paparazziüberfall erwähnt hatte und sie sich die Aufnahmen vielleicht ansehen wollte. Die erste Stunde zu überstehen, ohne zu explodieren, war fast unmöglich gewesen, aber sie hatte es geschafft. Dann eilte sie zur Toilette und rief den Clip auf ihrem Handy auf. Da war Beat, mit einer Einkaufstüte in der Hand und einer tief in die Stirn gezogenen Dodgers-Cap, der von einem Kameramann verfolgt wurde.

Normalerweise war er der Typ, der ihre dummen Fragen mit einem goldenen Grinsen über sich ergehen ließ. Aber dieses Mal tat er das nicht. Er blieb abrupt auf dem Bürgersteig stehen, und sie konnte sich noch heute Wort für Wort daran erinnern, was aus seinem Mund kam.

Ich bin fertig mit Reden. Ihr werdet kein weiteres Wort aus mir herausbekommen. Nicht, bis ihr – und alle ähnlichen Medien – aufhört, Mädchen für Klicks auszubeuten. Vor allem meine Freundin Melody Gallard. Ihr lobt mich für nichts und verunglimpft sie, egal, wie sehr sie sich bemüht. Ihr könnt euch verpissen. Wie gesagt, ich bin fertig mit Reden.

An diesem Tag hatte Melody die Schultoilette erst zur dritten Stunde verlassen – so erstarrt vor Schock und Dankbarkeit war sie gewesen. Einfach nur, weil sie gesehen wurde. Weil jemand für sie eingetreten war. Dieser Clip war wochenlang in den sozialen Medien geteilt worden. Er hatte eine Diskussion darüber angestoßen, wie Teenagerinnen von Promi-Nachrichtenportalen dargestellt wurden.

Natürlich änderte sich ihre Behandlung nicht über Nacht. Aber sie verschob sich langsam. Wurde nach und nach etwas milder. Schlechte Schlagzeilen wurden hinterfragt. Bloßgestellt.

Und schockierenderweise wurde ihre Erfahrung mit der Presse besser.

Melody war so vertieft in die Erinnerung, dass sie einen Moment brauchte, um das Lächeln zu bemerken, das sich auf Danielles glänzenden Lippen abzeichnete. »Er kommt am Montagmorgen zu einer Besprechung in mein Büro. Ich bin extra hierhergekommen, um Sie auch einzuladen.« Sie hielt inne und schien sich ihre nächsten Worte genau zu überlegen. »Beat wird der Reunion nicht zustimmen, wenn Sie nicht damit einverstanden sind, dass es weitergeht. Er hat Ihre Zustimmung zur Bedingung gemacht.«

Melody hasste es, wie ihre Seele bei Danielles Worten ihren Körper verließ. Es war in vielerlei Hinsicht erbärmlich.

Beat Dawkins war Ewigkeiten und Galaxien entfernt von ihrer Liga. Er war nicht nur umwerfend gut aussehend, sondern er hatte auch eine Ausstrahlung. Er beherrschte Säle voller Menschen, um Reden für die Stiftung seiner Mutter zu halten. Sie hatte die Bilder gesehen, gelegentlich auch die Instagram-Reels. Sein Feed war randvoll mit Abenteuern ohne Ende. Genauso glamouröse Freunde schienen ihn zu umgeben. Er wurde geliebt und begehrt und … perfekt.

Beat Dawkins war absolut perfekt. Und er hatte sie in Betracht gezogen. Er hatte an sie gedacht.

Die Idee einer Reunion der Steel Birds würde niemals funktionieren – die Gefühle des Verrats zwischen ihren Müttern waren tiefer als der Atlantische Ozean –, aber die Tatsache, dass Beat ihren Namen laut zu dieser Frau gesagt hatte, sorgte im Grunde für weitere vierzehn Jahre der Verliebtheit. Trauriges, trauriges Mädchen.

»Sie haben Geld erwähnt«, sagte Melody beiläufig, vor allem, damit es nicht so aussah, als ob ihr ganzes Interesse nur Beat gälte. »Wie viel? Nur so aus Neugierde.«

»Das erzähle ich Ihnen bei dem Meeting.« Sie lächelte verschmitzt. »Es ist eine Menge, Melody. Vielleicht sogar für die Verhältnisse der Tochter eines berühmten Rockstars.«

Eine Menge Geld. Sogar für sie.

Trotz ihrer Angst konnte Melody nicht umhin, sich zu fragen, ob es genug Geld war, um sie finanziell unabhängig zu machen. Sie war in den Komfort hineingeboren worden. Ein schönes Stadthaus, wunderbare Kindermädchen, alle materiellen Dinge, die sie sich wünschte, und das waren hauptsächlich Bücher und Aknemedikamente. Die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Mutter blieb jedoch unerreichbar. Das war immer so gewesen – und es fühlte sich an, als würde es auch für immer so bleiben.

Melodys Brownstone-Wohnung war vollständig bezahlt. Sie bekam ein jährliches Taschengeld. Doch in letzter Zeit fühlte es sich nicht richtig an, die Großzügigkeit ihrer Mutter anzunehmen. Oder gut. Nicht, wenn ihnen die gesunde Mutter-Tochter-Beziehung fehlte, die sie stattdessen gerne angenommen hätte.

Könnte das ihre Chance sein, auf eigenen Beinen zu stehen?

Nein. Eine Reunion zu ermöglichen? Es musste doch einen einfacheren Weg geben.

»Nehmen Sie wenigstens an dem Meeting teil«, sagte Danielle und lächelte wie eine Katze, die eine Maus gefangen hatte.

Die Frau hatte sie, und sie wusste es.

Wieder mit Beat Dawkins in einem Raum zu sein …

Sie war nicht stark genug, um sich diese Chance entgehen zu lassen.

Melody trat von einem Bein aufs andere und versuchte, nicht zu eifrig zu klingen. »Um wie viel Uhr?«

Als Melody Gallard das Büro betrat, wurde Beat daran erinnert, warum er sie nie angerufen hatte. Das Gefühl, das ihn überkam, war so heftig, dass er bei ihrem Anblick, ohne nachzudenken, aufsprang und hastig sein Jackett aufknöpfte. Wow. Er hatte sich immer gefragt, ob sein Gedächtnis ihm einen Streich spielte, aber nein. Der gleiche Drang, sie zu beschützen, den er mit sechzehn verspürt hatte, war auch mit dreißig noch lebendig und stark in ihm.

Beat schluckte schwer und schüttelte sich innerlich. Er nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um sie anzusehen, dieses Mädchen, das unter denselben Bedingungen aufgewachsen war wie er. Sie wurde gejagt, ausgefragt und lebte mit unverschämten Erwartungen auf ihren Schultern. Im Gegensatz zu Beat war sie verhöhnt worden, weil sie nicht so war, wie die Presse es für perfekt hielt. Während der Pubertät. Er konnte sich noch daran erinnern, wie ein Foto von Melody, auf dem sie mit einem Akneausbruch zu kämpfen hatte, sechstausend Mal auf Twitter geteilt wurde. Unglaublich unfair.

Wenn die Presse nur von seinen nächtlichen Aktivitäten wüsste. Er sollte seinem Glücksstern danken, dass der Erpresser es auch nicht wusste, sonst würde er ihm nie entkommen.

Es war schon komisch, wie leicht das Gewicht, das durch die Bedrohung für seine Familie auf seinen Schultern lastete, in diesem Moment schien. Genauso wie vierzehn Jahre zuvor machte es Klick, sobald Beat und Melody dieselbe Luft atmeten. Es war fast beängstigend, dieses unsichtbare Netz, das sich um sie legte und sie in ihre eigene Welt zog, die niemand sonst verstand.

Die Frau war verdammt schön. Das war sie vor vierzehn Jahren gewesen und war es immer noch, wenn auch auf eine weichere, geschliffenere Art. Aber sie verbarg diese Schönheit gut. Unter einem Tweedrock, einem dicken Pullover und einer dickrandigen Brille. Wenn er sie ausziehen und ihr langes, goldbraunes Haar aus dem Dutt zupfen würde, wäre sie so heiß, dass die Männer sie schon aus hundert Metern Entfernung wahrnehmen würden.

Er war dankbar für die locker sitzende Kleidung. Warum eigentlich?

Es war ja nicht so, dass Beat sie ihr abnehmen könnte oder würde. Nein, er hatte bestimmte … Vorlieben, die dafür sorgten, dass er sein Sexleben privat hielt. Er bediente sie mit willigen Partys hinter verschlossenen Türen, dann kehrte er verdammt noch mal in die Realität zurück. Diese beiden Aspekte seines Lebens hatten sich nie überschnitten. Aus Respekt vor der Berühmtheit seiner Mutter war er dazu erzogen worden, sehr zurückhaltend zu sein, und die Erfahrungen, die er in seinem Leben gemacht hatte, hatten ihm immer wieder vor Augen geführt, wie wichtig es war, sich selbst zu vertrauen – und nur sich selbst.

Letztendlich war Melodys Kleidung und wie sie an ihrem Körper aussah ganz und gar nicht seine Angelegenheit. Er hatte sie heute hierher gebracht, um sie offiziell zu fragen, ob er eine riesige Büchse der Pandora öffnen durfte. Er kannte zwar noch nicht alle Details des Projekts, aber die Möglichkeit, dass sich eine Reality-Show negativ auf Melody auswirken könnte, beunruhigte Beat so sehr, dass er letzte Nacht nicht geschlafen hatte. Gegen drei Uhr morgens hatte er aufgegeben und war ins Fitnessstudio gegangen.

Selbst jetzt hatte er den Drang, sie zurück zum Aufzug zu tragen, sich zu entschuldigen und sie wieder zurückzuschicken. Zurück nach Brooklyn, wo sie ein normales Leben führte, so weit weg vom Rampenlicht, wie es bei ihren Nachnamen möglich war.

Stattdessen könnte Beat sie indirekt in etwas hineinziehen, das sie auf jeden Fall vermeiden wollte. Achtung! Denn egal, aus wie vielen Blickwinkeln er die Situation auch betrachtete, er konnte sich nicht vorstellen, wie Applause und Danielle die Reunion bewerkstelligen konnten, ohne dass Melodys Name irgendwann auftauchte.

Es war einfach nicht möglich.

»Mel«, sagte er schroff und lächelte schwer.

»Hey«, antwortete sie, ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.

Und er hatte auch nicht vor, sie zu umarmen, aber sobald sie dieses heisere Wort ausgesprochen hatte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten, das Büro zu durchqueren und seine Arme um sie zu legen. Seine Augenlider fielen unwillkürlich zu, denn sie schmiegte sich genauso an ihn, wie er es in Erinnerung hatte. Als wäre sie von Anfang an für ihn bestimmt gewesen. Eine Freundschaft, die unter keinem guten Stern stand.

Melody ließ ihre riesige Handtasche auf den Boden fallen und umarmte ihn – und das gab ihm das Gefühl, wichtiger zu sein als jeder Pressetermin oder jede Geburtstagsfeier zu seinen Ehren. Es war augenblicklich. Ehrlich. Wie hatte er sie nur so vermissen können, wo ihre Bekanntschaft doch so kurz gewesen war? Es ergab keinen Sinn, aber so war es. Seine Reaktion auf sie mit sechzehn hatte auch nicht viel Sinn ergeben. Es war einfach so.

»Danke fürs Kommen«, sagte er in ihr Haar. Sie roch nach Lebkuchen und Wind.