You Belong To Me - Sarah Glicker - E-Book

You Belong To Me E-Book

Sarah Glicker

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Beschreibung

Nach dem frühen Tod ihrer Mutter wuchs Sofia in Pflegefamilien und Kinderheimen auf. Ihren Vater kennt sie nicht und hat mit der Zeit auch die Hoffnung verloren, dass sie ihn jemals treffen wird. Stattdessen hat sie beschlossen, nach vorn zu blicken und sich ein Leben aufgebaut, auf das sie stolz ist. Doch innerhalb einer Woche wird ihre Welt auf den Kopf gestellt. Urplötzlich wird sie von einem Stalker bedroht und Aiden tritt in ihr Leben. Er ist für sie da, als sie Hilfe am nötigsten hat und kümmert sich um sie, während Sofia mit einer Vergangenheit konfrontiert wird, mit der sie nie gerechnet hätte. Doch welche Rolle spielt Aiden bei all diesen Vorkommnissen? Kann Sofia ihm vertrauen?

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Seitenzahl: 289

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Sarah Glicker

You Belong To Me

Aiden & Sofia

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1

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4

5

6

7

8

9

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18

Drei Monate später

Impressum neobooks

1

Sarah Glicker

You Belong To Me

Aiden & Sofia

Sarah Weber

Alter Postweg 31a

48477 Hörstel

Copyright by Sarah Weber

Alle Rechte vorbehalten!

Bilderrechte: www.pixabay.com

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen schriftlichen Genehmigung der Autorin!

„Sofia, kommst du?“

Hannahs Stimme ertönt vor mir. Meine beste Freundin dreht sich zu mir und hält mir ihre Hand hin, damit ich sie in dem Gedränge nicht verliere, welches hier herrscht. So schnell es geht überbrücke ich die Distanz zwischen uns, während ich den Menschen um mich herum ausweiche. Als ich endlich neben ihr stehe, ergreife ich ihre Hand und lasse mich von Hannah durch das Gedränge ziehen.

Heute ist Samstag und das bedeutet, dass wir auf einer Party in einer der Studentenverbindungen sind. Überall stehen Betrunkene und schreien sich gegenseitig an, um die Musik, eine Mischung zwischen Rap und Techno, zu übertönen. Die Anlage ist so laut gedreht, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr verstehen kann, was mich beinahe wahnsinnig werden lässt.

Immer wieder sehe ich, dass Jungs ihre Hände unter die kurzen Röcke oder in die knappen Oberteile der Mädchen stecken, die sichtlich Spaß daran haben, vor allen begrabscht zu werden. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich manche der Frauen, die sich auf jeder Party einem anderen an den Hals schmeißen. Von vielen habe ich schon gehört, dass das einer der Gründe ist, wieso sie auf dem College sind. Aber ich bin altmodisch, was das angeht. Das heißt nicht, dass ich noch eine Jungfrau bin, aber ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen, mit dem ich nicht zusammen war.

„Meine Güte, haben die alle nichts Besseres zu tun?“, stöhne ich und quetsche mich durch einen Haufen von Jungs hindurch, die wild darüber diskutieren, wer der beste Football-Spieler auf dem Campus ist.

„Du kennst das doch“, entgegnet Hannah und verdreht dabei die Augen. Kaum hat sie das ausgesprochen, wendet sie mir den Rücken zu und bahnt sich ihren Weg.

Da hat sie recht. Es vergeht kaum ein Samstag, an dem wir was anderes machen, als in dem Verbindungshaus zu sein und uns durch das Gedränge zu schieben.

Zusammen treten meine Freundin und ich durch die große Eingangstür hinaus ins Freie. Kaum habe ich mehr Platz, atme ich gierig die frische Luft ein. In dem Haus war es dermaßen stickig, dass der kühle Wind sich anfühlt, als wäre ich gerade neu geboren worden.

„Eigentlich wollte ich heute überhaupt nicht hier sein“, gestehe ich ihr, nachdem wir einige Schritte weitergegangen sind.

„Ich weiß. Aber das Beste gegen deine düsteren Gedanken ist nun einmal Ablenkung. Da kannst auch du nichts gegen tun.“

Heute war der erste Abend, an dem ich meinen Plan wirklich durchziehen wollte. Aber Hannah hat mich so lange bearbeitet, bis ich nachgegeben habe.

Zerknirscht schaue ich sie an, weiß aber nicht, was ich dazu sagen soll. Sie weiß nur zu gut, was für ein Tag heute ist und dass ich mich am liebsten unter der Decke verkriechen würde. Seit sie mir vor zwei Jahren als neue Mitbewohnerin für das Wohnheimzimmer zugeteilt wurde, ist sie zu meiner besten Freundin geworden.

Daher hatte es auch nicht lange gedauert, bis ich ihr dieses Thema anvertraut hatte.

„Ich versuche Jonas zu erreichen, aber er geht nicht an sein Handy“, fügt sie hinzu.

Als sie ihn erwähnt, stöhne ich laut auf und verdrehe die Augen. Jonas ist ihre Immer-mal-wieder-Beziehung. Die beiden können nicht miteinander, ohne geht es aber auch nicht. Schon so oft habe ich sie getröstet, weil er wieder eine seiner dämlichen Aktionen abgezogen hat und sie sich deswegen von ihm getrennt hat. Und genauso oft ist sie zu ihm zurückgekehrt.

Wenn ich ihr Tun hinterfrage, bekomme ich die Antwort, dass sie ihn liebt und er sich ändern kann. Obwohl ich ihn mag, glaube ich nicht, dass sein Verhalten jemals so sein wird, wie man es sich von einem festen Freund vorstellt. Vor Hannah hatte er keine Freundin. Aus diesem Grund ist er es nicht gewohnt, dass er auf eine zweite Person Rücksicht nehmen muss.

Hannah wirft mir einen bösen Blick zu, was mich dazu bewegt, entschuldigend die Hände zu heben. Wieder tippt sie wie wild auf ihrem Handy herum und beachtet mich nicht mehr.

Die wenigen Studenten, die sich ebenfalls hier draußen aufhalten, sitzen auf dem Rasen und nippen an den Wasserflaschen in ihren Händen. Für sie ist der Abend gelaufen. Ich habe auch ein wenig Alkohol intus, aber nicht genug, dass ich betrunken bin.

Denn heute ist der Todestag meiner Mutter und an dem möchte ich mich nicht besaufen.

Als sie ihren Blick von dem Handy in ihrer Hand löst, kann ich ihren genervten Gesichtsausdruck erkennen. Ich nehme an, dass die Nachricht ihres Freundes ihr nicht passt.

„Jonas möchte noch bleiben. Er ist mit den Jungs hinten im Garten. Wir sollen auch kommen“, erklärt sie und zeigt dabei in die entsprechende Richtung, in der wir ihn finden würden.

„Das ist kein Problem für mich. Ich kann auch alleine zurückgehen. Ich will nur noch in mein Bett und schlafen. Für heute reicht es mir“, entgegne ich mit fester Stimme.

„Bist du dir sicher?“, fragt sie, nachdem sie mich ein paar Sekunden skeptisch betrachtet hat.

Um meine Aussage zu unterstreichen, nicke ich einmal kurz.

„Ich wünsche dir noch viel Spaß“, rufe ich, während ich mich bereits umdrehe.

„Aber schreibe mir, sobald du im Wohnheim bist“, ruft sie mir noch hinterher, nachdem ich mit schnellen Schritten an den ersten Grüppchen vorbeigegangen bin.

Als ich den Bürgersteig erreiche, schlage ich den Weg n ach Hause ein. Mir ist bewusst, dass Hannah jetzt noch dasteht und mir nachschaut. In den letzten beiden Jahren hat sie mich nur ungern an diesem Tag alleine gelassen. Aber von Anfang an musste ich ohne Hilfe damit klarkommen, daher will ich nicht, dass sich jemand deswegen Sorgen macht. Mein Entschluss steht fest. Bevor ich mich ins Bett lege und den Tag endgültig hinter mich bringe, möchte ich noch ein paar Minuten meine Ruhe haben.

Gedankenverloren gehe ich die Straße entlang und begutachte die Häuser. In ihnen wohnen Familien und glückliche Paare. Kinder, die bei ihren Eltern aufwachsen können. Obwohl mein Herz bei diesem Gedanken schmerzt, gönne ich es ihnen. Es gibt nichts Schöneres, als bei seiner Familie zu sein. Leider wurde mir das Familienleben viel zu früh genommen.

Kurz bleibe ich vor einem Haus stehen, das dem ähnlich sieht, in dem ich mit meiner Mutter gelebt habe. Es ist von Blumen und Bäumen umgeben. Ein riesiger Garten führt von vorne nach hinten. In dem Vorgarten hängt eine Schaukel an einem Baum und ein weißer Zaun steckt die Grenze ab. Als ich hinter einem der Fenster Licht erkenne, stelle ich mir vor, wie eine Mutter gerade ihr Baby ins Bett legt.

Frustriert gehe ich weiter und stoße mit dem Fuß immer wieder einen Stein von mir weg. Meine Hände habe ich in den Hosentaschen vergraben und mein Blick ist auf den Boden gerichtet. Die Straßen werden nur spärlich von den Laternen beleuchtet, aber das Licht reicht aus, damit ich gegen kein Hindernis laufe.

Als das Wohnheim in Sichtweite kommt, höre ich plötzlich ein Geräusch hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um. Da der Mann, der plötzlich vor mir steht, mindestens drei Köpfe größer ist als ich, muss ich meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können. Und ich bin nicht klein. Mit meinen Eins siebzig überrage ich viele meiner Freundinnen und auch Hannah um ein ganzes Stück.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich darauf gewartet habe“, zischt er und kommt dabei auf mich zu. In dem trüben Licht erkenne ich das Messer mit der langen Klinge, welches er in der Hand hält. Der Anblick lässt mich zurückweichen.

So viele Fragen gehe mir durch den Kopf, aber ich schaffe es nicht, auch nur eine einzige von ihnen auszusprechen. Mein Blick ist auf das Stück Metall gerichtet, während jeder Zentimeter meines Körpers auf Flucht gepolt ist.

Was will er von mir?, frage ich mich immer wieder, während ich panisch nach einer Möglichkeit suche, ihm zu entkommen.

Ich bin nur noch zwei Häuser von meinem Wohnheim entfernt, aber mein Gefühl sagt mir, dass ich nicht schnell genug rennen kann, um ihm zu entkommen. Seine Beine sind fast doppelt so lange wie meine. Sein breiter und muskulöser Oberkörper gibt mir zu verstehen, dass er regelmäßig das Fitnessstudio besucht. Ich brauche nicht groß über meine Chancen nachzudenken, um zu wissen, dass sie gegen null gehen.

Als mir das klar wird, steigt Verzweiflung in mir auf und mein Körper beginnt zu zittern. In den letzten Jahren habe ich genug von solchen Überfällen gehört, um zu wissen, dass sie selten gut ausgehen.

„Du hast Angst, das kann ich genau sehen.“ Seine Stimme geht mir durch Mark und Bein, allerdings nicht auf eine positive Art und Weise.

Hilfesuchend huschen meine Augen nach links und rechts, aber alles ist dunkel und still. Es ist fast so, als wäre ich mit ihm alleine auf der Welt.

In einem langsamen Tempo kommt er noch einen Schritt auf mich zu, während ich um dieselbe Distanz nach hinten zurückweiche. Als ich eine Mauer in meinem Rücken spüre, zucke ich erschrocken zusammen.

Auch er scheint das zu bemerken, denn er kommt immer näher und grinst mich dabei dreckig an. Als er den Lichtschein einer Laterne passiert, kann ich sein Gesicht erkennen. Seine Zähne sind strahlend weiß und unter seinem gestutzten Bart fällt mir das markante Kinn auf. Sein gefährlicher Blick lässt mich nicht los.

Bei jeder noch so kleinen Bewegung beobachtet er mich. Als mein Blick auf seine Stirn fällt, entdecke ich eine lange Narbe. Sie reicht von der linken Augenbraue so weit hoch, dass ein Teil von ihr von den Haaren verdeckt wird. Sie ist ungefähr zwei Zentimeter dick und wulstig. All das verstärkt sein gefährliches Auftreten.

Verzweifelt versuche ich, meine Angst zu verdrängen, aber gelingen will es mir nicht.

Wieso bin ich nicht auf dieser verdammten Party geblieben?, frage ich mich immer wieder.

„Du siehst ihnen so ähnlich.“ Nun steht er direkt vor mir.

Der Geruch eines viel zu starken Aftershaves dringt mir in die Nase und sorgt dafür, dass mein Magen sich beinahe umdreht. Seine dunklen Augen starren zu mir hinab.

„Du bist ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Nur langsam dringen seine Worte zu mir durch. Ich habe keine Ahnung, worüber er redet. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er seine freie Hand hebt, doch bevor er damit auch nur in die Nähe meines Gesichts kommen kann, drehe ich meinen Kopf ein Stück nach links.

„Du kannst dich nicht vor mir verstecken.“

Ein dreckiges Grinsen zieht sich über seine Lippen, während er sie sinken lässt.

„Was wollen Sie von mir?“, bringe ich endlich leise und stotternd hervor. Das raue Lachen, das in der nächsten Sekunde ertönt, sorgt dafür, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Körper bildet.

Er antwortet nicht, sondern hebt die Hand, in der er das Messer hält, und dreht es hin und her. Die Klinge befindet sich so dicht vor meinem Gesicht, dass ich die Kühle, die von ihr ausgeht, spüren kann.

In dem Moment, als er Luft holt, um etwas zu sagen, ertönen Stimmen hinter ihm. Erschrocken reißt er die Augen auf und dreht sich um. Ohne darüber nachzudenken, nutze ich die Gelegenheit und renne an ihm vorbei. Kurz bevor ich mein Wohnhaus erreiche, stolpere ich über eine Treppenstufe. Bevor ich auf dem Boden aufschlage, fange ich mich wieder und überbrücke die restlichen Meter. Mit zittrigen Fingern wühle ich in meiner Jackentasche.

Ich weiß genau, dass ich den Schlüssel zuvor eingesteckt habe. Erleichtert atme ich tief durch, als ich das kalte Metall an meiner Haut spüre, und schiebe ihn keuchend in das Schloss. Mein Körper zittert so sehr, dass ich mehrere Versuche brauche, bis die Tür endlich aufspringt. Sofort schlüpfe ich in den sicheren Flur. Wenige Sekunden später höre ich, wie sie sich schließt, und traue mich erst dann, mich umzudrehen. Durch das eingefasste Glas in der Tür erkenne ich nur die Laternen, die die Wege draußen beleuchten.

Ansonsten nichts.

Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bis mein Herzschlag sich beruhigt. Erst als ich mir sicher bin, dass ich den Weg zu meinem Zimmer schaffe, ohne zusammenzubrechen, setze ich mich in Bewegung. Langsam und mit unsicheren Schritten erklimme ich die Stufen, bis ich meine Etage und die Tür zu meinem Zimmer erreiche. Bevor ich meinen Bereich betrete, schaue ich noch einmal rechts und links den Gang hinunter, aber er liegt so still da, wie man ihn sonst nicht erlebt.

Seufzend betrete ich den Raum.

Mit der einen Hand taste ich nach dem Lichtschalter, während ich mit der anderen den Knauf umgreife und die Tür hinter mir schließe. Kaum ist das Licht an, schließe ich ab und gehe zu den Fenstern, die sich über den Betten von mir und Hannah befinden. Schnell überprüfe ich, ob sie verschlossen sind.

Die Ereignisse der letzten Minuten waren eindeutig zu viel für mich. Die Müdigkeit übermannt mich, sodass ich meine Augen kaum noch offen halten kann. Schnell entledige ich mich meiner Klamotten und lasse sie unachtsam auf den Boden fallen. Dann streife ich mir die kurze Sporthose und ein weites Shirt über, bevor ich mich ins Bett lege. Das Licht lasse ich an und ziehe mir die Decke bis zum Kinn.

Da ich mich nun in meinen sicheren vier Wänden befinde, kann ich die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln, nicht mehr aufhalten. Sie laufen ungeniert über meine Wangen. Unentwegt spuken mir die Bilder von dem Mann im Kopf herum. Es ist egal, wie sehr ich es versuche, aber ich kann sie nicht verdrängen.

Es dauert ein wenig, bis sich mein Puls soweit beruhigt, dass ich schlafen kann. Ich lege mich auf die Seite und schließe meine Augen.

In diesem Moment habe ich nur noch den Wunsch zu schlafen.

2

Den ganzen Sonntag habe ich damit verbracht, ihn aus meinem Kopf zu bekommen. Was mir nicht leichtgefallen ist. Immer wieder habe ich an seine unheimliche Stimme und an die Worte denken müssen. Nach dem Aufstehen war mir der Gedanke gekommen, zur Polizei zu gehen. Aber da ich keinen Zeugen für die Drohungen habe, die er ausgesprochen hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie irgendetwas unternehmen können. Stattdessen habe ich versucht, mir einzureden, dass es ein Zufall war, dass er ausgerechnet mich erwischt hatte.

Da Hannah bis abends bei ihrem Freund war, fehlte mir die Ablenkung mit ihr, die ich so dringend gebraucht hätte. Einmal war ich kurz davor, sie anzurufen, habe es aber nicht getan. Stattdessen habe ich mein Handy unter dem Kopfkissen versteckt und mich auf den Stoff der kommenden Kurse konzentriert. Schließlich habe ich es geschafft den Tag herumzubekommen. Als Hannah nachts zurückkam, konnte ich besser schlafen, da die Angst, dass der Mann noch einmal auftaucht, mit ihr verschwand.

„Du hast am Samstag wirklich etwas verpasst. Schade, dass du schon so früh gegangen bist“, sagt Hannah, während sie neben mir zu meinem Auto geht.

Als ich heute Morgen wach geworden bin, hätte ich mich am liebsten unter meiner Decke verkrochen und wäre liegen geblieben. Aber es ist Montag und somit ist das Wochenende vorbei. Das College und die Bücher haben nach mir gerufen. Und das ist der einzige Grund, wieso ich aufgestanden bin.

Bei ihren Worten komme ich nicht drum herum, an meine unfreiwillige Begegnung zu denken. Vor meinem inneren Auge erscheint das Gesicht des Mannes und mir wird schlecht.

Dass sie mich jetzt daran erinnern muss, ist wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Gestern hatte sie kein einziges Wort über die Party verloren, weil sie damit beschäftigt war, ihre Unterlagen für die nächste Woche zu sortieren. Daher hatte ich gehofft, dass sie diesen Abend nicht mehr ansprechen würde.

Am liebsten würde ich sofort umdrehe, um wieder in das Wohnheim zu rennen, aber das würde bedeuten, dass der Mann gewinnt. Und das ist das Letzt, was ich will. Deswegen schiebe ich meine Furcht zur Seite und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere Unterhaltung.

„Ich glaube nicht“, wiegle ich ab und schüttle dabei energisch den Kopf. „Noch bevor ich richtig gelegen habe, bin ich schon eingeschlafen.“ Ich hoffe, dass sie die Wahrheit nicht erkennt.

Sie wirft einen nachdenklichen Blick in meine Richtung, bevor sie ihn wieder auf die Umgebung richtet. Um uns herum befinden sich andere Studenten, die zu ihren Autos gehen, um pünktlich bei ihren Vorlesungen zu sein.

„Du hast etwas an der Scheibe kleben!“, ruft sie nach wenigen Sekunden aufgeregt und zeigt dabei in die Richtung, in der mein Wagen steht. Verwirrt folge ich ihrem erhobenen Zeigefinger und erkenne, dass wirklich ein Blatt unter meinem Scheibenwischer gesteckt wurde.

Schnelle lege ich die restlichen Meter zurück und ziehe das zusammengefaltete Stück Papier vorsichtig hervor. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass es sich hierbei um einen Liebesbrief handelt, der an das falsche Auto gesteckt wurde. Doch nachdem ich einen prüfenden Blick darauf geworfen habe, entdecke ich meinen Namen in dicken Großbuchstaben auf der Vorderseite.

Mein Körper beginnt zu zittern, da sich ein ungutes Gefühl in mir breitmacht. Bevor ich ihn öffne, atme ich noch einmal tief durch und versuche so meine Nerven zu beruhigen. Aus dem Augenwinkel erkenne ich Hannahs fragenden Gesichtsausdruck, aber ich gehe nicht darauf ein. Mit flatternden Nerven falte ich es auseinander und lese die Nachricht.

Glaubst du wirklich, dass du mir entkommen kannst?

Ich weiß alles über dich, deine Vergangenheit und deine Zukunft.

Wenn es so weit ist, werde ich dich erwischen und ihr werdet dafür bezahlen!

Langsam lese ich die Worte, habe aber keine Ahnung, was sie bedeuten. Sie passen zu den Aussagen des Mannes, der mich am Samstag bedroht hat. Ich muss wissen, was er mir damit sagen will. Doch ich habe keine Ahnung, wie ich es herausfinden soll.

Mein Puls beschleunigt sich aufs Neue. Meine Augen füllen sich mit Tränen der Verzweiflung und Hilflosigkeit aber ich erlaube es mir nicht, sie fließen zu lassen. In der Hoffnung, dass Hannah nichts bemerkt hat, schlucke ich den dicken Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, hinunter und stecke den Brief in meine Hosentasche.

„Sofia? Alles in Ordnung?“, fragt meine Freundin mich im nächsten Augenblick. Dabei betrachtet sie mich prüfend. „Du siehst plötzlich blass aus.“ Bevor sie weiter nachhaken kann, nicke ich.

„Der ist nicht für mich. Irgendein Liebesbrief, der ans falsche Auto gesteckt wurde“, erkläre ich.

Für einen Augenblick sieht es so aus, als würde sie etwas sagen wollen. Sie zuckt aber nur mit den Schultern und steigt in den Wagen. In einem stillen Gebet danke ich Gott dafür. Sie ist zwar meine beste Freundin, aber über dieses Erlebnis möchte ich nicht einmal mit ihr sprechen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich es vergessen kann, aber nachdem ich den Brief gelesen habe, gibt es keinen Zweifel mehr daran, dass der Typ es auf mich abgesehen hat.

Niedergeschlagen folge ich ihr und setze mich hinter das Steuer meines kleinen Ford Fiesta.

Als ich vom Straßenrand anfahren will, entdecke ich vor dem Wohnheim einen Mann, der ungefähr in meinem Alter sein muss. Er ist groß und gut gebaut, sodass er die Blicke aller Frauen um sich herum auf sich zieht. Obwohl sich sein weißes Shirt nicht über seine Oberarme spannt, sind sie doch muskulös. Auf seinen Unterarmen erkenne ich Tattoos. Einige von Ihnen reichen bis unter sein Oberteil. Die zerrissene Jeans sitzt tief auf seinen Hüften und die blonden Haare sind so lang, dass sie ihm wirr ins Gesicht fallen. In dem Augenblick, in dem sein Blick meinen trifft, habe ich das Gefühl, als würde die Erde stillstehen. Für einen Moment gibt es nur ihn und mich, obwohl das Schwachsinn ist, da wir mehrere Meter voneinander getrennt sind. Trotzdem kommt es mir vor, als hätte mich der Blitz getroffen. Es fühlt sich an, als würde ich ihn kennen. Ich spüre eine seltsame Verbindung zwischen uns, die ich mir unmöglich einbilden kann. Etwas so Intensives habe ich noch nie gefühlt.

Vor meinen Augen spielt sich ein Traum ab. Es ist der gleiche, den ich hatte, kurz nachdem meine Mutter mit mir nach Dallas gekommen ist. Ich sehe wieder diesen blonden Jungen vor mir, der mit einem kleinen Mädchen spielt. Er lässt sie keine Sekunden aus den Augen, während sie auf einen Baum klettert. Immer wieder ruft er ihr Anweisungen zu, bis sie es sicher an ihr Ziel geschafft hat, das kleine Baumhaus, das sich hoch über ihren Köpfen befindet.

„Sofia.“

Hannah schnipst mit den Fingern vor meinem Gesicht herum und zieht so meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich werfe einen letzten unauffälligen Blick in die Richtung, in die gerade noch geschaut habe. Aber der Typ ist weg. Er ist einfach verschwunden. Kurz suche ich mit meinen Augen die Umgebung ab, kann ihn allerdings nicht mehr entdecken. Es ist fast so, als wäre er nie da gewesen.

„Bist du dir sicher, dass alles klar ist? Du scheinst mir heute ein wenig verwirrt und abgelenkt zu sein“, fragt sie mich und schaut mich dabei an.

„Mir geht es gut, wirklich. Ich habe heute nur viele Kurse und muss meine Seminararbeiten zu Ende machen“, entgegne ich.

„Wenn du nicht mit mir darüber reden willst, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist, ist das in Ordnung.“ Sie zieht eine Schnute, mit der sie mich normalerweise in die Knie zwingt. Aber nicht in dieser Angelegenheit. Ich kann es ihr einfach nicht erklären.

Während der Fahrt zum Hauptgebäude des Colleges schweigen wir. Hannah tippt immerzu auf ihrem Handy herum, während ich öfter als nötig einen Blick in den Rückspiegel werfe. Am liebsten würde ich mir selber in den Hintern treten und mich zur Ordnung rufen. Wer auch immer hinter dieser Geschichte steckt, wird mir wohl kaum am helllichten Tag am College gefährlich werden.

Zehn Minuten später fahre ich langsam auf den Parkplatz und halte nach einer freien Lücke Ausschau.

„Warum wolltest du noch einmal mit dem Auto fahren, anstatt zu Fuß zu gehen?“, erkundigt sich Hannah gefrustet, während sie ihren Blick von rechts nach links wandern lässt.

„Ich habe keine Lust, die ganzen Bücher mit mir herumzuschleppen. So kann ich mir immer das aus dem Auto holen, was ich gerade brauche“, erwidere ich, obwohl ich es ihr schon vor einer Stunde erklärt habe. Deswegen habe ich keine Ahnung, wieso ich es noch einmal sagen muss. Allerdings muss ich zugeben, dass es nicht die ganze Wahrheit ist.

Ich habe heute zwar einige Dinge zu erledigen, was mit dem Auto bedeutend einfach ist, aber der Schreck vom Wochenende ist noch so allgegenwärtig, dass ich mich sicherer fühle, wenn ich meinen Wagen dabeihabe.

„Willst du mir wirklich nicht sagen, was mit dir los ist? So zickig kenne ich dich überhaupt nicht.“ Bei ihren Worten macht sich das schlechte Gewissen in mir breit. Bevor ich ihr doch noch die Wahrheit sage, beiße ich mir jedoch auf die Lippen.

„Es tut mir leid“, seufze ich. „Ich meine es nicht so.“

„Das weiß ich“, gibt sie zurück und lächelt mich aufmunternd an. „Da vorne ist einer frei!“, schreit sie in er nächsten Sekunde und zeigt dabei auf eine Lücke.

Schnell fahre ich darauf zu und parke das Auto. Es ist jedes Mal eine Tortur, hier einen Parkplatz zu finden. Meistens drehe ich mehrere Runden, um endlich einen zu bekommen. Deswegen ist es eine freudige Überraschung, dass es auf Anhieb geklappt hat.

„Sehen wir uns zum Mittag?“, fragt Hannah, als wir uns an den parkenden Autos vorbeiquetschen.

„Ich glaube nicht“, antworte ich entschuldigend. „Ich muss Unterlagen in der Bücherei zusammensuchen, die ich für eine Vorlesung heute Nachmittag brauche.“

Hannah und ich belegen nicht denselben Studiengang. Sie hat sich für Journalismus eingeschrieben und geht darin richtig auf. Ich wiederum studiere Biologie, aber weniger, weil ich mich dafür interessiere, sondern weil ich so das Andenken meiner Mutter in Ehren halten möchte. Sie war die einzige Bezugsperson in meinem Leben und dadurch, dass ich das mache, fühle ich mich ihr näher. Sie hat nach ihrem Abschluss an dem College in Los Angeles als Biologin gearbeitet. Das war, bevor sie mich bekommen hat und zusammen mit mir nach Dallas gezogen ist. Sie war keine Umweltaktivistin, hat aber immer wieder betont, wie wichtig es ist, auf unsere Umwelt zu achten.

„Du lernst zu viel“, stellt meine Freundin fest und knufft mich in die Seite.

„Wahrscheinlich, aber nur habe ich eine Chance, das Studium vorzeitig beenden zu können.“

„Es ist dir ernst damit, oder?“

„Sehr ernst“, murmle ich und unterstreiche meine Antwort mit einem Nicken.

„Ich weiß, dass du es wegen deiner Mutter machst und ich bin mir sicher, dass sie stolz auf dich wäre. Egal, ob du früher fertig bist oder nicht. Genauso wie es ihr sicherlich egal ist, was du studierst, solange du glücklich bist.“ Mit einem warmen Lächeln schaut sie mich an. „Ich drücke dir die Daumen, aber du hättest weniger Stress, wenn du mal einen Gang runterschalten würdest. Du kannst mir ja schreiben, falls du es dir anders überlegst.“

„Das werde ich machen“, antworte ich ihr.

Hannah schließt mich noch einmal in ihre Arme, bevor sie sich umdreht und mich zwischen all den anderen Studenten alleine lässt.

Jeden Tag bin ich ein Teil dieser Gruppe, so wie heute auch. Ich gehe von einer Vorlesung zur nächsten und mache zwischendurch Hausaufgaben oder recherchiere. Meistens esse ich unterwegs und finde kaum die Zeit, auf die Toilette zu gehen. Es gibt Tage, an denen schaue ich nicht einmal auf die Uhr und bemerke erst, wie spät es ist, wenn es dunkel wird. Aber der ganze Stress lohnt sich. Ich gehöre zu den fünf Besten meines Jahrgangs.

Als ich um sechs Uhr abends endlich wieder zu meinem Wagen gehe, bin ich ausgelaugt. Zwischen all den Kursen wollte sich mehr als einmal der Gedanke an diesen Mann in meinen Kopf schleichen. Doch bevor er sich dort einen Platz suchen konnte, habe ich ihn zur Seite geschoben.

Den ganzen Tag hatte ich das Gefühl, als würde man mich beobachten. In der Bücherei habe ich mich sogar zu den anderen gesetzt, obwohl ich mir normalerweise in einer ruhigeren Ecke einen Platz suche.

Seufzend schiebe ich mich hinter das Lenkrad, lasse meine Stirn darauf sinken und schließe für einige Sekunden die Augen. Ich genieße die Ruhe um mich herum. Wann ich mir das letzte Mal einen Tag Ruhe gegönnt habe weiß ich nicht. Die Uni und das Lernen standen für mich immer im Vordergrund und so wird es auch bleiben, bis ich meinen Abschluss habe. In den letzten Jahren hatte ich nichts anderes, sodass es für mich zur Gewohnheit geworden ist, über den Bücher zu sitzen und zu lernen.

Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet habe, stecke ich den Schlüssel in das Schloss und starte den Wagen, um nach Hause zu fahren.

Als ich vor dem Wohnheim in eine freie Parklücke biege, denke ich wieder an den Brief, der heute Morgen an meiner Windschutzscheibe geklebt hat. Nachdem Hannah verschwunden war, bin ich noch einmal zu meinem Wagen zurückgegangen und habe ihn in das Handschuhfach gelegt. Nun beuge ich mich vor und hole ihn aus seinem Versteck heraus. Ich drehe ihn in meiner Hand hin und her. Schließlich greife ich nach meiner Büchertasche und lasse ihn hineinfallen. Ein paar Sekunden – vielleicht sind es auch Minuten, ich weiß es nicht – beobachte ich den Eingang zu meinem Wohnhaus und den Bürgersteig davor. Aber ich kann niemanden entdecken, der dort nichts zu suchen hat. Trotzdem beruhigt es mich nicht.

„Na gut, Sofia. Steige aus, du kannst schließlich nicht im Auto schlafen“, flüstere ich vor mich hin und öffne die Tür.

Mit unsicheren Bewegungen verlasse ich das Auto und schließe es hinter mir ab.

So schnell ich kann überquere ich die Straße und gehe auf das Wohnheim zu. Gruppen von Studenten strömen hinaus, andere betreten es. Ich verhalte mich so normal wie möglich, als ich mich unter die Menge mische. Der Lärm der Masse empfängt mich. Alle unterhalten sich angeregt oder schmieden Pläne für den Abend.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend renne ich die Treppe nach oben und den Flur entlang.

Geschickt weiche ich den anderen aus, während ich den passenden Schlüssel an meinem Bund heraussuche. Als ich endlich das Zimmer betrete und meine Tasche mit den schweren Büchern auf das Bett werfe, macht sich Erleichterung in mir breit. Ich streife mir meine Schuhe von den Füßen und lasse sie neben meine Sachen sinken. Dann greife ich mir meinen Laptop vom Schreibtisch und fahre ihn hoch.

Von Sekunde zu Sekunde werde ich immer müder. Verzweifelt versuche ich dagegen anzukämpfen, aber es bringt nichts. Mein Kopf fällt an die Wand und meine Augen schließen sich.

Traurig betrachte ich die anderen Kinder, die von ihren Vätern und Großeltern abgeholt werden. Ich liebe meine Mutter, aber das ändert nichts daran, dass ich mir schon oft gewünscht habe, dass ich auch einen Dad habe, der mich von der Schule abholt.

Mit hängenden Schultern gehe ich auf meine Mutter zu, die in der Nähe des Parkplatzes steht. Der Wind weht ihr durch die blonden Haare, sodass sie aussieht wie ein Engel.

„Hi, mein Schatz. Wie war die Schule?“ Mit einem strahlendem Lächeln begrüßt sie mich und zieht mich für eine Umarmung an sich heran.

Anstatt zu antworten, zucke ich nur mit den Schultern. So verhalte ich mich immer, wenn sie mich danach fragt. Ein trauriger Ausdruck macht sich auf ihrem Gesicht breit. Sie nimmt meine Hand in ihre und geht mit mir zu unserem Geländewagen.

Mit sehnsüchtigem Blick drehe ich mich noch einmal um.

Mom scheint es nicht bemerkt zu haben, denn sie gibt keine Gefühlsregung preis und öffnet den Kofferraum, um die Schultasche hineinzustellen. Wortlos steige ich vorne in den Wagen und setze mich auf den Kindersitz. Sie steigt ebenfalls ein und startet den Motor. Ich beobachte sie dabei, wie sie sich in den Verkehr einfädelt und sie Straßen entlangfährt.

„Wer ist mein Vater?“, rutscht mir die Frage heraus, die mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht.

Als sie ihr Gesicht zu mir dreht, bereue ich es sofort. Die Augen meiner Mutter sind so groß, dass ich für eine Sekunde Angst davor habe, dass sie mit mir schimpfen wird. Ich habe keine Ahnung, was sie gerade denkt.

Doch im nächsten Moment hat sie die Augen geschlossen. Als sie sie wieder öffnet, tut sie so, als hätte ich sie überhaupt nicht danach gefragt.

Erschrocken fahre ich hoch. Meine Atmung geht schwer und der Laptop rutscht von meinen Beinen. Bevor er jedoch auf den Boden fallen kann, greife ich nach ihm und legen ihn neben mir auf das Bett.

An das Gespräch, falls man es so nennen kann, habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht. Ungefähr zu dem gleichen Zeitpunkt habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass mein Vater sich für mich interessiert.

Es dauert ein paar Atemzüge, bis ich meine Gefühle so weit im Griff habe, dass ich einen klaren Gedanken fassen kann.

Kopfschüttelnd versuche ich, diese Erinnerung zu verbannen, und gebe das Passwort ein. Aber so sehr ich mich auch auf den Bildschirm vor mir konzentrieren will, ich schaffe es nicht.

Ich warte auf eine Nachricht von einem meiner Professoren, aber das, was ich jetzt zu sehen bekomme, sorgt dafür, dass jeder Gedanke ans Studium in den Hintergrund tritt. Der Betreff lautet:

Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst!

Mit zittrigen Fingern öffne ich sie. Es gibt keinen Text, nur einen Anhang, ein Bild. Kurz überlege ich, ob ich wirklich wissen will, was darauf zu sehen ist, aber meine Neugier ist größer als meine Sorge. Ich klicke auf Speichern und warte darauf, dass es heruntergeladen wird. Während mein Computer das Bild öffnet, versuche ich, den unregelmäßigen Rhythmus meines Herzens in den Griff zu bekommen.

Aber das ist vergebens, denn in der nächsten Sekunde ergreift die Panik wieder Besitz von mir.

Auf dem Bildschirm erscheine ich, wie ich mit geöffnetem Mund in meinem Bett liege und schlafe.

Mit großen Augen starre ich auf den PC und schlage mir die Hand vor das Gesicht.

Bitte, lass das nur einen Scherz sein, schießt es mir durch den Kopf. Obwohl der Absender nichts dazugeschrieben hat, ist mir klar, dass es sich hierbei um den Mann handelt, der mich bedroht hat.

Hektisch schaue ich mich um. Ich sehe sogar unter unseren Betten nach, doch hier ist niemand. Ich bin mir sicher, dass ich das Zimmer in den letzten Nächten immer abgeschlossen hatte. Meine Gedanken überschlagen sich, aber mir kommt nur eine Sache in den Kopf.

Ich ergreife die Flucht.

Im Gehen schnappe ich mir meine Tasche und meinen Schlüssel und verschwinde aus dem Zimmer.

Doch weit komme ich nicht. Kaum habe ich die ersten Schritte hinter mich gebracht, knalle ich gegen etwas Hartes. Ich komme ins Schwanken und meine Hände fahren nach vorne, um Halt zu suchen. Bevor ich auf den harten Fliesenboden falle, greifen zwei Hände nach mir und drücken mich gegen die Wand. Da ich noch immer das Gesicht des Mannes vor Augen habe, schlage ich aus Reflex wild um mich. Doch ich schaffe es nicht, mein Gegenüber zu treffen, denn er nimmt meine Hände in seine und drückt sie sanft nach unten.

Erst jetzt habe ich meinen Kopf und schaue in hellblaue Augen. Sie durchdringen mich. Ich habe das Gefühl, als könnten sie genau sehen, was gerade in mir sich geht.

„Alles klar bei dir?“, reißt mich eine Stimme aus meiner Erstattung.

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf das restliche Gesicht und der nächste Schock überkommt mich. Der Typ, den ich heute Morgen aus der Ferne angestarrt habe, steht nun so dicht vor mir, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht fühlen kann. Er lässt mich keine Sekunde aus den Augen, als würde er jede Reaktion in meinem Gesicht erkennen wollen.

„Sicher“, bringe ich stotternd hervor, als mir klar wird, dass ich ihm noch nicht geantwortet habe.

„Du solltest vorsichtiger sein.“ Seine Stimme ist so leise, dass ich nicht weiß, ob er überhaupt etwas gesagt hat.

Sein plötzliches Auftauchen verschlägt mir die Sprache, sodass ich nicht mehr als ein Nicken zustande bekomme.

Sein Geruch steigt mir in die Nase. Eine Mischung aus Aftershave, Testosteron und Duschgel. Er sorgt dafür, dass mein Körper sich das erste Mal seit Samstagabend entspannen will. Aber ich verbiete es mir selbst. Ich kenne ihn nicht und nach diesem Schock will ich nur von hier weg.

So unauffällig wie möglich rücke ich ein Stück zur Seite.

„Danke“, entgegne ich deutlich selbstbewusster.

„Ich hoffe, in dem Brief heute Morgen stand etwas Nettes.“ Sein freches Lächeln zieht sich über das ganze Gesicht und er lässt seine Augenbrauen kurz nach oben springen. Dabei sieht er so unwiderstehlich aus, dass ich nur mit Mühe ein Seufzen unterdrücken kann.

„Oh … ähm … ja“, stottere ich, da ich von seinem Themenwechsel überrascht bin.