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Francesca Peluso

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Beschreibung

It's a match! Seelenverwandtschaft und die wahre Liebe? Alles Quatsch, wenn man Sienna fragt.  Sich erneut verlieben? Darauf kann Rafael für den Rest seines Lebens verzichten. Auf der Suche nach unverbindlichem Sex lernen sich Sienna und Rafael über eine Dating-App kennen und landen im Bett. Mit Rafael kann Sienna endlich herausfinden, was ihr wirklich gefällt, und er muss sich bei ihrer Vorgeschichte keine Sorgen machen, dass sie sich in ihn verlieben könnte. Beide sind sich einig: Das muss wiederholt werden! Natürlich nicht, ohne ein paar Regeln festzulegen: keine Dates, keine tiefen Gespräche und vor allem keine Gefühle. Klingt doch eigentlich ganz einfach …   Sex in the City: eine Fast-Paced Romance in New York. - Female Empowerment meets New Adult. - Keine Geduld für "Slow Burn"? Hier geht es erst zur Sache, die Gefühle kommen später. - Hochromantisch: Die wahre Liebe findet dich, ob du willst oder nicht. - Von online zu offline, von New York nach Italien.  - Lovestory der erfolgreichen Imprint-Autorin Francesca Peluso.

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Über dieses Buch

IT’S A MATCH!

 

Seelenverwandtschaft und die wahre Liebe? Alles Quatsch, wenn man Sienna fragt. Ihr Vater ist zum dritten Mal verheiratet und ihre Mutter hatte bereits so viele On-Off-Beziehungen, dass Sienna aufgehört hat zu zählen.

Sich erneut verlieben? Darauf kann Rafael für den Rest seines Lebens verzichten. Seit seine Freundin bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, weiß er: So einen Schmerz will er nie wieder empfinden.

Auf der Suche nach unverbindlichem Sex lernen sich Sienna und Rafael über eine Dating-App kennen und landen im Bett. Mit Rafael kann Sienna endlich herausfinden, was ihr wirklich gefällt und er muss sich bei ihrer Vorgeschichte keine Sorgen machen, dass sie sich in ihn verlieben könnte. Beide sind sich einig: Das muss wiederholt werden! Natürlich nicht, ohne ein paar Regeln festzulegen: keine Dates, keine tiefen Gespräche und vor allem keine Gefühle. Klingt doch eigentlich ganz einfach …

 

 

 

 

 

Für Kim

Starke und unabhängige Frauen wie dich sollte es öfter geben.

Danke für dein Vertrauen

Kapitel 1

Sienna

Sie würde Camille umbringen. Punkt. So einfach war das. Sie würde ihre beste Freundin qualvoll erwürgen. Selbst schuld. Auf Camilles Grabstein würde stehen: Tochter, Geliebte, beste Freundin und die schlechteste Kupplerin der Welt.

Natürlich würde sie sich bei der Auswahl des Grabes trotzdem Mühe geben, Camille sollte ja nicht in einer hässlichen Ruhestätte liegen. Das würde sie ihrer besten Freundin nicht antun.

Warum hatte sich Sienna überhaupt auf diesen Unsinn eingelassen? Sie wusste es doch besser. Kein einziges Mal hatte Camille auch nur im Ansatz ihren Geschmack getroffen. Was schon beinahe traurig war, wenn man bedachte, wie lange sie sich inzwischen kannten. Fast fünfzehn Jahre. Doch Camille betonte immer wieder, dass Siennas eigener Männergeschmack leider unterirdisch war und sie etwas viel Besseres verdient hatte. Diesem Besseren war Sienna bisher noch nicht begegnet.

Warum hatte Sienna also nicht Nein sagen können, als Camille mit dieser lächerlichen Idee angekommen war? Weil sie mal wieder diese Schnute gezogen hatte, und dazu dieser bescheuerte Hundeblick? Ja, so musste es gewesen sein. Wenn Camille damit anfing, gab es nichts, was sie ihr ausschlagen konnte. Leider.

»Hörst du mir zu, Sienna?«

Sie hob den Kopf und sah in die hellblauen Augen ihres Gegenübers. Die blonden Haare hingen ihm lose ins Gesicht.

Blond, der Kerl war einfach blond. Da hatte das Desaster bereits begonnen. Sienna stand so gar nicht auf Blondies. Und das letzte Mal, als sie mit einem blonden Mann zusammen gewesen war, war sie zu oft gefragt worden, ob das ihr Bruder sei. Nein, keine blonden Männer mehr.

Zögernd nickte sie und zwang sich zu einem Lächeln. In Wahrheit hörte sie ihm schon seit einigen Minuten nicht mehr wirklich zu. Ein schlechtes Gewissen machte sich bei ihr bemerkbar, doch sie konnte nichts gegen ihr Desinteresse tun. Als er angefangen hatte, über den derzeitigen Aktienkurs von Apple zu reden, hatte sie einfach abgeschaltet. Wer redete über Aktien beim ersten Date? Jeder Versuch von ihr, die Themen in eine etwas persönlichere Richtung zu lenken, war fehlgeschlagen. Alles, worüber ihr Blind Date reden konnte, waren seine Kurse in Wirtschaft, die Wall Street und das überteuerte Essen in der Mensa.

Von wegen, Miles war höflich, charmant und lustig. Na ja, zumindest das höflich hatte gestimmt, immerhin hatte er ihr die Tür zum Café aufgehalten, ihr den Stuhl zurückgeschoben und aus dem Mantel geholfen. Da hatte Sienna noch geglaubt, dass dieses Date gar nicht so schlecht werden würde. Doch dann war es schlagartig den Bach runtergegangen.

»Hast du vor, demnächst in irgendwelche Aktien zu investieren?«, fragte Miles und sah sie lächelnd an.

»Äh, nein, ich denke nicht.«

»Warum nicht? Momentan bietet sich das regelrecht an.« Er lachte verhalten, und Sienna kam sich vor, als würde er sie für dumm halten. Was sie in Bezug auf Aktien vermutlich auch war. Aber welche Zweiundzwanzigjährige hatte bitte schön Ahnung von solchen Themen? Ganz zu schweigen von dem nötigen Kleingeld, um in irgendetwas zu investieren. Ihre Investitionen beliefen sich auf die regelmäßigen Anrufe bei ihrem Dad, damit er ihre Miete bezahlte, den Vorrat an Ben & Jerry’s-Eis in ihrem Tiefkühlfach und ihre Filmsammlung von Alfred Hitchcock. Die waren das investierte Geld allemal wert gewesen.

»Ich kann dich beraten, wenn du möchtest.«

Nein, das wollte sie nicht.

War das hier ein Date oder ein Investment-Meeting? So langsam war sich Sienna da nicht mehr sicher. Fehlte nur noch, dass er ihr im Nachhinein eine Rechnung für seine erbrachte Finanzberatung schrieb. Sie räusperte sich und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Und was machst du sonst so? Abgesehen von deinem Studium. Wie verbringst du deine Freizeit?«

Er hätte in diesem Moment alles sagen können. Videospiele, Baseball, Schach, ihr wäre sogar Fliegenfischen recht gewesen. Irgendetwas, was nichts mit Zahlen oder Geld zu tun hatte, aber leider war ihr dieses Glück nicht vergönnt.

»Ich habe kaum Freizeit. Neben dem Studium und der Arbeit in der Bank bleibt kaum Zeit.« Er sagte es nicht einmal so, als täte ihm dieser Umstand leid. Sondern vielmehr so, als wäre der Gedanke an Freizeit lächerlich. »Umso schöner finde ich es, dass es mit unserm Treffen geklappt hat.«

Sienna lächelte. Er konnte nett sein, vielleicht ging er sogar als charmant durch, was er jedoch auf gar keinen Fall war, war humorvoll. Sie hatte noch kein einziges Mal an diesem Nachmittag mehr getan, als ihre Mundwinkel nach oben zu ziehen. Dabei hatte Miles Witze gemacht. Oder es zumindest versucht.

Dieses Date war eine Katastrophe. Immerhin war der Kaffee gut, auch wenn Miles selbst da versucht hatte, alles kaputt zu machen.

»Ich trinke keinen Kaffee, das stört den Schlaf und schadet dem Magen«, waren die ersten Worte gewesen, die er gesagt hatte, nachdem sie sich einen Cappuccino bestellt hatte.

Sie hatte bei dieser Aufzählung irrelevanter Informationen nur genickt.

Drei Kaffeebestellungen später hatte wohl auch Miles eingesehen, dass sie sich nicht sonderlich für Schlaf interessierte und ihr Magen durchaus in der Lage war, dieses böse, böse Getränk zu verdauen. Gott sei Dank, denn Kaffee gehörte zu ihren Grundnahrungsmitteln. Darauf würde sie niemals verzichten und schon gar nicht, weil irgendein Mann fand, dass es schlecht für sie war.

Als Miles sie mit hochgezogener Augenbraue ansah, merkte sie, dass sie ihm noch nicht geantwortet hatte. Er fand es schön, dass es mit ihrem Treffen geklappt hatte. Ja, was sollte sie darauf erwidern?

Sienna atmete tief durch. »Camille war der Meinung, wir würden uns gut verstehen.« Wie auch immer ihre beste Freundin auf diesen absurden Gedanken gekommen war.

»Sie meinte, Gegensätze ziehen sich an.« Miles schenkte ihr ein Lächeln, und sie nickte nur. Was für ein Unsinn. Sie beide waren grundverschieden, doch die Anziehung fehlte auf ganzer Linie. Wenn es nichts gab, was zwei Menschen miteinander verband, seien es dieselben Vorlieben, Hobbys oder Erwartungen, was sollte das Ganze dann überhaupt?

»Ich glaube, Camille ändert dahingehend sehr oft ihre Meinung.« Sienna konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie musste an ihr letztes Blind Date denken, das Camille arrangiert hatte, da war sie der festen Überzeugung gewesen, dass es zwischen dem von ihr Auserwählten und Sienna perfekt funktionieren würde, weil sie sich so ähnlich waren.

Wie passend, dass man das immer so drehen konnte, wie man es gerade brauchte.

»Tut sie das?«, wollte Miles lachend wissen. »Sie sagte auch, dass es eine Zeit lang dauert, bis du dich verliebst. Stimmt das?«

Sienna hob eine Augenbraue. Eine Zeit lang? Die Wahrheit war, dass sie sich nicht verliebte. Sie glaubte nicht einmal daran, dass es so etwas wie Liebe wirklich gab. Chemische Reaktionen des Körpers, die einem vorgaukelten, dass die andere Person einem wichtig war und man sich mit ihr fortpflanzen wollte, ja, das gab es. Lust und Leidenschaft, das gab es auch. Aber wahre Liebe, die ein Leben lang hielt? Pustekuchen.

Wie sollte man an wahre Liebe glauben, wenn man sie noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte?

Statt Miles zu antworten, stellte sie ihm eine Gegenfrage: »Sind deine Eltern noch zusammen?«

Wenn er erstaunt über die Frage war, ließ er es sich nicht anmerken. Er schüttelte den Kopf. »Sie haben sich vor einigen Jahren scheiden lassen.«

Aha!, hätte Sienna am liebsten gesagt, schwieg aber. Es war ein sensibles Thema; nur weil sie es zur Genüge kannte, bedeutete das nicht, dass Miles die Trennung seiner Eltern gut verarbeitet hatte. Trotzdem hatte sie mit dieser Antwort bereits gerechnet. Die meisten Ehen endeten in einer Scheidung, ihre Eltern waren das beste Beispiel dafür. Und inzwischen wahre Profis. Es würde sie nicht wundern, wenn sie die Nummern ihrer Scheidungsanwälte auf der Kurzwahltaste hatten.

»Aber das bedeutet nicht, dass es beim nächsten Mal nicht klappt. Nicht jede Beziehung ist für die Ewigkeit bestimmt.« Miles zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache.

Sienna verzog die Lippen zu einer harten Linie. Für sie war es eine große Sache. Warum sagen, dass man sich liebte, einander heiraten, wenn man es am Ende doch nicht so meinte und man sich trennte, nur um alles wieder von vorne zu beginnen, mit demselben Ausgang?

Sie verstand es nicht, das hatte sie nie. Sie besaß schlicht und ergreifend nicht denselben Optimismus wie Miles und vor allem auch ihre Mom. Die Hoffnung, dass eines Tages der oder die Richtige kommen würde. Sie konnte nicht mehr mitzählen, an wie vielen Abenden sie ihre Mom auf dem Sofa vorgefunden hatte, tonnenweise Eis in sich hineinschaufelnd und unter Tränen Pretty Woman schauend. Immer ein Zeichen dafür, dass ihre Mom sich mal wieder getrennt hatte oder verlassen worden war.

»Wenn sie nicht für die Ewigkeit gedacht sind, warum es dann überhaupt versuchen?«, murmelte Sienna abwesend und griff nach ihrer Tasse. Die Hitze des Kaffees rann ihr die Kehle hinab und vertrieb die kalte Leere, die sich plötzlich in ihr ausgebreitet hatte.

Miles schien sie nicht gehört zu haben. »Kennst du die Sage über Seelenverwandte aus der griechischen Mythologie?«

Es überraschte sie, dass er gerade mit diesem Thema kam. Sie hatte ihn nicht für jemanden gehalten, der sich mit Geschichte und Mythen auskannte.

»Menschen wurden der Sage nach mit vier Armen und vier Beinen sowie zwei Köpfen geboren. Zeus war neidisch auf diese Verbundenheit und riss sie entzwei. Seitdem ist jeder Mensch auf der Suche nach seiner anderen Hälfte«, fasste sie kurz die Überlieferung zusammen.

Miles nickte enthusiastisch. »Ganz genau! Die Vorstellung gefällt mir.«

»Entzweigerissen zu werden? Ich kann mir Schöneres vorstellen«, brummte Sienna.

Er lachte, als hätte sie einen Scherz gemacht. »Nein, seinen Seelenverwandten zu suchen, in dem Wissen, dass er irgendwo auf dich wartet.«

Er war ein gottverdammter Romantiker! Das durfte ja wohl nicht wahr sein!

Erwürgen war zu gnädig für Camille. Sie würde sie vorher noch qualvoll ausweiden. Ihre Finger schlossen sich fester um den schmalen Griff ihrer Tasse. Ihre Kiefer spannten sich an, und sie unterdrückte ein Lachen.

Noch nie im Leben hatte sie eine kitschigere und absurdere Geschichte gehört als diese griechische Sage. Gerade wenn man bedachte, was die Götter von Treue und Loyalität hielten. Da trieb es doch jeder mit jedem, und niemanden scherte sich um die Gefühle der anderen. Das war die Realität, nicht dieser Schwachsinn mit den Seelenverwandten.

»Ich bin nicht so die Romantikerin. Ich glaube auch nicht an Seelenverwandtschaft«, gab sie leise zu. Sie wollte ihm nicht die Illusion nehmen, dass er vielleicht eines Tages die Richtige finden würde. Jeder durfte an das glauben und das hoffen, was er wollte.

Die einzige Seelenverwandtschaft, an die Sienna glaubte, war die mit Camille. Auf ihre beste Freundin konnte sie sich immer verlassen. Vielleicht nicht unbedingt auf ihre Verkupplungskünste, aber ansonsten war Camille für sie da, wenn sie sie brauchte. Das war wahre Liebe.

»Woher weißt du dann, dass du einen Partner liebst, wenn du nicht an so was glaubst? Wie war das bei deinen bisherigen Beziehungen?« Neugier blitzte in Miles’ Augen auf.

Sienna ballte unter dem Tisch die Hände zu Fäusten. Ihre bisherigen Beziehungen? Wo sollte sie da anfangen?

Im Kindergarten hatte sie einem Jungen versprochen, ihn zu heiraten, wenn er sein Eis mit ihr teilte. Dieses Versprechen war bereits vergessen gewesen, da hatte sie noch die Süße des Eises auf der Zunge gespürt.

In der Grundschule hatte sie sich in einen ihrer Mitschüler verknallt, weil sie herausgefunden hatte, dass er Gitarre spielte, und sie das damals sehr cool fand. Doch leider hatte er es blöd gefunden, dass sie so überhaupt nicht musikalisch begabt gewesen war.

In der Highschool kamen Jungs und gingen wieder. Doch keiner von ihnen hatte echte Gefühle in ihr wecken können. Nicht solche wie in den Filmen, die ihre Mom so liebte, oder wie Camille sie allem Anschein nach für Isaac hatte. Zumindest momentan: Die Frage blieb, wie lange diese Gefühle Bestand haben würden. Sienna hatte Männer begehrt, ja, sogar einige Beziehungen geführt, falls man das so nennen konnte, aber wenn diese in die Brüche gegangen waren, hatte sie nicht eine einzige Träne vergossen. Sie hatte es teils schade gefunden, um die Freundschaft und schönen Stunden, die sie mit dem Mann verbracht hatte, aber hinterhergeweint hatte sie noch keinem. Keiner hatte ihr Herz berührt, also hatte es auch niemand brechen können.

Was ein eindeutiger Vorteil war! Zu oft hatte sie die verheulten Augen ihrer Mutter gesehen. Nein, darauf konnte sie getrost verzichten.

Sienna sah zu Miles und schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte es versucht, hatte es wirklich versucht. Aber statt dieses Date zu genießen, war ihr nur mal wieder bewusst geworden, warum sie für eine Beziehung nicht geeignet war. Oder besser gesagt, keine haben wollte.

»Es tut mir leid«, sagte sie leise und schob ihren Stuhl zurück. »Ich glaube nicht, dass wir dasselbe wollen.« Sie griff nach ihrem Mantel, der über der Lehne gehangen hatte, und schlüpfte in die Ärmel.

Miles stand ebenfalls auf, ein erstaunter Ausdruck auf dem Gesicht. »Warte«, murmelte er und griff über dem Tisch nach ihrer Hand. »Bei Camille klang es so, als würdest du was Festes suchen. Wenn das nicht so ist, ist das auch in Ordnung. Ich wäre auch für andere Dinge zu haben.«

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sollte sie sich über seine Offenheit freuen oder sich beleidigt fühlen? So genau wusste sie das nicht. Sie schüttelte den Kopf. »Es muss einfach passen, und das fühle ich bei uns beiden nicht. Tut mir leid«, flüsterte sie und schaute dabei auf Miles’ Hand, die noch immer ihre eigene hielt.

Er nickte, doch um seinen Mund lag ein harter Zug. »Verstehe«, brachte er durch zusammengebissene Zähne hervor. »Dann wünsche ich dir viel Erfolg, das zu finden, was du suchst.«

»Ebenso.« Sienna lächelte ihn zögernd an, kramte etwas Geld aus ihrer Tasche und legte es auf den Tisch. Sie nickte Miles zum Abschied zu und verließ dann das Café.

Draußen schlug ihr die kühle Septemberluft New Yorks entgegen. Dieses Jahr war es erstaunlich kalt zu dieser Jahreszeit. Sie zog den Kragen ihres Mantels enger um sich und schlüpfte in ihre Lederhandschuhe.

Sie fischte ihr Handy aus ihrer Tasche und begann zu tippen.

Hast du nächsten Freitag Zeit?

Camille saß mit Sicherheit bereits auf heißen Kohlen, weil sie sofort benachrichtigt werden wollte, wie das Date mit Miles gelaufen war.

Die Antwort kam binnen Sekunden.

Lief das Date so gut, dass du nun ein Doppeldate möchtest? Oder ist am Freitag die vorzeitige Hochzeit? 👰♀️💍Ich wusste, dass es dieses Mal der Richtige ist! 🔥

Sie kam nicht umhin, ein freudloses Lachen auszustoßen. Hochzeit? War Camille jetzt gänzlich verrückt geworden? Anscheinend. Ihre Finger flogen förmlich über das Display.

Nein, am Freitag wird deine Beerdigung stattfinden, denn ich werde dich wohl oder übel erwürgen müssen! ⚰💀

Was? Warum? War das Date so schlimm? 😱

Sie dachte über das Date mit Miles nach. Als schlimm würde sie es nicht bezeichnen, viel eher als erfolglos. Er hatte sie einfach nicht umhauen können, da war kein Flattern im Magen gewesen, nichts.

Ja und nein. Wir haben keine Gemeinsamkeiten, seine einzigen Gesprächsthemen waren sein Studium und der Aktienmarkt. 🤦♀️

 

Oh, und er ist Romantiker. Das war mein Stichwort zu gehen.

Diese Information musste sie einfach noch erwähnen, damit Camille den Ernst der Lage verstand. Romantik ging in Siennas Leben einfach gar nicht. Wirklich gar nicht!

Ups, sorry. Das wusste ich nicht. Tut mir leid, dass das Date so mies gelaufen ist. Kann ich dich mit einem Kaffee milde stimmen? 😇

Ich könnte vermutlich nicht widerstehen, in deinen reinzuspucken. Das wäre nur fair. 😒

Es würde zwar einem Sakrileg gleichkommen, in einen gut duftenden und aromatischen Kaffee zu spucken, aber Camille hätte es verdient.

Gibt Schlimmeres als deine Spucke in meinem Kaffee.

 

Beim nächsten Mal werde ich mir mehr Mühe geben, versprochen. 🙏🏻

Sie las die zweite Nachricht einmal, zweimal, dreimal. Beim dritten Mal schüttelte sie vehement den Kopf. Nein, nein, einfach nein. Das war hiermit offiziell vorbei.

Es wird kein nächstes Mal geben. Ich bin fertig mit deinen Verkupplungsversuchen! 🙅♀️

Damit sie die nächste Nachricht von Camille nicht mehr mitbekam, wollte Sienna gerade das Handy wegstecken, als das Gesicht ihrer Mom ihr vom Display entgegenlächelte. Mit allen Sommersprossen, die es zu bieten hatte.

»Hey, Mom«, nahm Sienna den Anruf entgegen.

»Sienna, Schatz, wo bist du? Ich habe bei dir zu Hause angerufen, aber da ist niemand ans Telefon gegangen.« Es war keine Sorge, die in der Stimme ihrer Mutter mitschwang, sondern pure Neugier. Alice Fisher, wie Siennas Mom nach der Scheidung von ihrem Vater wieder hieß, war schlimmer als das FBI. Sie war neugierig, wusste immer über den neuesten Klatsch Bescheid und schreckte auch nicht davor zurück, ihre Tochter mit hineinzuziehen.

»Ich bin gerade unterwegs. Wieso, was ist los?« Sienna überquerte die Straße mit zügigen Schritten. In New York musste man wirklich aufpassen, dass man nicht aus Versehen von Uber-Fahrern oder Fahrrädern gerammt wurde. Telefonieren im Straßenverkehr konnte hier in der Tat ein Todesurteil sein.

»Ich wollte nur fragen, ob du morgen mit mir und Clive brunchen gehen möchtest?«

Clive. Das neueste Objekt der Begierde ihrer Mutter.

Den Namen hatte Sienna bereits häufiger gehört, doch getroffen hatte sie diesen mysteriösen Mann, über den ihre Mom natürlich nur Gutes zu sagen hatte, noch nicht.

»Ich muss arbeiten.« Eine willkommene Ausrede, zugegeben. Sie konnte beinahe vor sich sehen, wie ihre Mom den Mund verzog und ihre Unterlippe vorschob.

»Kannst du dort nicht später hingehen? Ich bin mir sicher, dass Teresa nichts dagegen hat. Wenn du möchtest, rufe ich deinen Vater an –«

»Auf gar keinen Fall«, fiel Sienna ihrer Mutter ins Wort. Sie presste die Kiefer so fest aufeinander, dass es wehtat. »Teresa ist in erster Linie meine Chefin, Mom.«

Ein Schnauben erklang am anderen Ende der Leitung. »Und deine neue Stiefmutter. Sie hat bestimmt Verständnis, wenn du später kommst.«

Unglaube breitete sich in Sienna aus, und sie atmete tief durch. »Ich aber nicht«, presste sie hervor und umklammerte mit Daumen und Zeigefinger ihre Nasenwurzel. »Ich werde ganz bestimmt nicht später zur Arbeit kommen, nur weil du mir deinen neuen Freund vorstellen willst. Da passt bestimmt auch ein anderer Tag.«

Hoffentlich in der fernen Zukunft. Ganz weit weg. Es war nicht so, dass sie ihrer Mutter das Kennenlernen mit ihrem neuen Freund verderben wollte oder so, vielmehr hatte Sienna einfach das Interesse verloren, die aktuellen Liebhaber ihrer Mutter kennenzulernen. Ihre Namen wechselten einfach zu oft.

Während sich Sienna gar nicht verliebte, tat es ihre Mutter umso öfter. Sehr zu Siennas Leidwesen.

»Ich hätte mich nur gefreut, ihn dir endlich vorstellen zu können. Ich bin mir sicher, dass Clive der Richtige ist.«

Nur mit großer Mühe unterdrückte Sienna ein Seufzen. Das war ihre Mom auch bei den letzten vier Beziehungen gewesen. Fest davon überzeugt, endlich den richtigen Partner gefunden zu haben. Doch jedes Mal war etwas schiefgegangen.

»Wir können für nächste Woche einen Termin finden, Mom. Da habe ich mehr Zeit. Aktuell bin ich auf der Arbeit und an der Uni ziemlich eingespannt.«

Stille am anderen Ende, als würde ihre Mom verständnisvoll nicken. »Ich schreibe dir wegen einem Termin, wir könnten abends irgendwo essen gehen. Hattest du nicht heute ein Date?«, kam es dann unvermittelt, und Sienna war sich ziemlich sicher, dass das der eigentliche Grund für ihren Anruf gewesen war.

»Hatte ich«, war ihre schlichte Antwort.

»Und? Wie ist es gelaufen?« Die freudige Erwartung war unüberhörbar, was Sienna nur abermals dazu brachte, ihre Nasenwurzel zu massieren.

»Nicht gut, Mom. Es lief nicht gut. Wir werden uns wohl nicht erneut treffen.« Lieber würde sie selbst Kurse in Wirtschaft belegen oder ihr geliebtes Ben & Jerry’s-Eis an Molly abtreten, bevor es zu einem zweiten Treffen mit Miles kam.

»Was hat dir dieses Mal nicht gepasst? War er für deinen Geschmack nicht groß genug? Trug er die falschen Klamotten? Irgendetwas hast du immer auszusetzen. Der Mann für dich muss wirklich noch gebacken werden.«

Und da war er wieder. Der Satz, den sich Sienna anhören musste, seit sie sich zum allerersten Mal von einem Jungen getrennt hatte. Ein Stich fuhr ihr direkt ins Herz, und sie versuchte, den stumpfen Schmerz mit einem aufgesetzten Lächeln zu vertreiben. Ihre Mom sagte das immer so beiläufig, als würde sie über das Wetter reden. Nicht ahnend, dass sie ihrer Tochter dabei das Gefühl gab, als würde bei ihr etwas nicht stimmen, dass es mit der Liebe bei ihr nicht klappte. Als wäre das ein Fehler, ein Defizit.

Ihre Antwort auf derartige Aussagen ihrer Mom? Sarkasmus!

»Du hast recht, Mom«, sagte sie leise. Der Kloß in ihrem Hals war nur schwer hinunterzuschlucken. »Vielleicht sollte ich backen lernen, dann besteht wenigstens eine geringe Chance, dass das noch was wird.«

Sie hörte ihre Mom seufzen. »Clive hat einen Neffen in deinem Alter, vielleicht –«

»Nein!«, unterbrach sie diesen absurden Vorschlag sofort. »Ich werde mich nicht von meiner eigenen Mutter verkuppeln lassen. Schon gar nicht mit dem Neffen ihres neuen St-« Beinahe hätte sie »Stecher« gesagt, biss sich aber rechtzeitig auf die Innenseite ihrer Wange, um das Wort zurückzuhalten. Sie räusperte sich.

»Ich bin aktuell nicht an einer Beziehung interessiert.« Sie wagte zu bezweifeln, dass sich das in naher – oder auch ferner – Zukunft ändern würde.

Sie würde sich nicht für irgendeinen Mann ändern, ihre Prinzipien über Bord werfen und faule Kompromisse eingehen. Das war nicht ihre Art. Da nahm sie es lieber in Kauf, als oberflächlich, wählerisch und anspruchsvoll angesehen zu werden, statt sich in eine Beziehung zu stürzen, die sowieso nicht halten würde.

»Sienna, ich –«, begann ihre Mom, doch ihre Stimme wurde von einem lauten Hupen übertönt.

Sienna näherte sich der U-Bahn und nahm das als willkommenen Anlass, das Gespräch mit ihrer Mutter zu beenden. »Ich muss jetzt zum Zug, Mom. Ich ruf dich an.«

Mit dem Wissen, dass sie ihre Mutter so schnell nicht anrufen würde, um damit weiteren Gesprächen über Männer, Dates und unnötigen Beziehungen aus dem Weg zu gehen, lief Sienna die Stufen zur U-Bahn hinunter, ihr Herz plötzlich leichter. Trotz des Gestanks der New Yorker Straßen konnte sie jetzt freier atmen.

Miles’ Worte gingen ihr noch immer durch den Kopf.

Was genau suchte sie eigentlich?

Das war eine sehr gute Frage, auf die sie selbst nur zu gerne eine Antwort gewusst hätte. Suchte nicht jeder im Leben nach irgendwas? Nach irgendeiner Art von Erfüllung? Wie diese Erfüllung in ihrem Fall aussehen würde, wusste sie jedoch leider nicht. Fest stand nur, dass sie keine Dates und keine Beziehungen mehr wollte. Keine Verkupplungsversuche mehr. Dieser Blödsinn war ab jetzt vorbei.

Kapitel 2

Rafael

»Und, wie schmeckt es?«

Rafael ließ den Geschmack des Pestos auf der Zunge zergehen, versuchte, alle Gewürze zu erkennen, die Enrico verwendet hatte, und verzog dann das Gesicht.

»Verdammt, so mies?«

Langsam nickte Rafael und griff nach dem Wasserglas neben sich. »Ich habe keine Ahnung, was Nonnas Geheimzutat ist, aber Chili war es definitiv nicht. Wie kommst du darauf, dass sie mit Chili kochen würde?«

Enrico zuckte mit den Schultern. »Wir wollten doch die Rezepte abwandeln. Warum es also nicht etwas schärfer machen? Chili klang in meiner Vorstellung ausgezeichnet.«

»Mein Gaumen widerspricht dir da gewaltig.« Abgesehen vom Chili schmeckte Rafael nämlich gar nichts. Keinen Parmesan, kaum Basilikum, keine Pinienkerne. Nur Chili. Es war für das Pesto einfach viel zu dominant.

Enrico seufzte und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Küchentresen ab, die weiße Schürze noch immer um die Hüften gebunden. »Können wir Nonna nicht einfach fragen?«

Rafael sah ihn stirnrunzelnd an. »Sie wird es uns nicht sagen.«

Diese Diskussion war aussichtslos. Er hatte es selbst versucht, viele Male. Doch Anna Maria Del Piero würde das Familienrezept nur über ihren Leichnam verraten, damit ihre Enkel eine Produktlinie für das Restaurant erstellen konnten. Ihre eigenen Worte.

So blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als selbst zu versuchen, die beliebten Familienrezepte nachzuahmen, oder eben eigene zu kreieren.

»Auch nicht, wenn wir flehen und betteln? Da wird sie doch sonst immer weich.« Enrico seufzte und griff nach seinem Weinglas. Ein starker Rotwein mit würzigem Aroma.

»Wann ist sie bitte das letzte Mal bei uns weich geworden? Ich erinnere mich da an Situationen, wo sie uns mit dem Kochlöffel in der Hand durch die Küche gejagt hat.« Und so lange war das leider noch nicht her.

»Ach, stimmt, ich erinnere mich. Aber bleiben wir fair, das war damals deine Schuld.«

Rafael riss die Augen auf. »Meine Schuld? Wer hat denn betrunken gemeint, er isst das vorbereitete Tiramisu aus dem Kühlschrank komplett auf und stellt einfach die leere Form zurück? Das war nicht ich.«

Enrico grinste ihn über den Rand des Weinglases hinweg schelmisch an. »Du warst dabei und hast mich nicht davon abgehalten. Also war es auch deine Schuld.«

Rafael schnaubte. Das hatte nur daran gelegen, dass er genauso betrunken gewesen war wie Enrico. Nur, dass er einfach im Sitzen, mit dem Kopf auf einem der Tische, eingeschlafen war und von den Vergehen seines Cousins gar nichts mitbekommen hatte. Da konnte man ihm wohl kaum eine Mitschuld zuschreiben. Er war ja mental nicht einmal anwesend gewesen.

»Doch, doch, das warst du. Wer hat mich denn zum Alkohol verleitet?«, fragte Enrico und legte sich in gespielter Unschuld eine Hand auf die Brust. »Ich wollte nur Zeit mit meinem geliebten Cousin verbringen und wurde zum Trinken verführt. Du hast meine Ahnungslosigkeit und meinen leeren Magen ausgenutzt. Ganz schamlos.«

Rafael verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. »Du hast recht, Enrico. Du bist ein wahrer Unschuldsengel.«

»So ist es.« Enrico spielte mit seinem Nasenring, während er auf seinem Handy herumtippte. Oder besser, herumwischte.

»Was tust du da? Wir sind hier noch nicht fertig, und wir haben gesagt, keine Handys, bis nicht etwas Vernünftiges dabei herausgekommen ist.« Rafael deutete auf das Chaos, das sie in der Küche hinterlassen hatten.

»Aber das hier ist wichtig«, protestierte Enrico und klang dabei wie ein quengelndes Kleinkind.

Rafael verdrehte die Augen. »Was kann so wichtig sein?« Er ging zu seinem Cousin herüber und lugte über dessen Schulter. Ein Schnauben entfuhr ihm. »Das ist ja wohl nicht dein Ernst. Du tinderst? Und das bezeichnest du als wichtig?«

Enrico nickte heftig. »Ja, das ist sogar sehr wichtig. Ich habe Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen.«

Bei den Worten seines Cousins verzog Rafael gequält das Gesicht. »Ich will rein gar nichts über deine Bedürfnisse hören, es sei denn, sie haben mit Kochen zu tun. Und jetzt pack das weg, du kannst dir wann anders jemanden zum Vögeln suchen.«

Ein Brummen war die Antwort. »So wie du drauf bist, solltest auch du dringend mal wieder flachgelegt werden. Vielleicht würde dich das etwas entspannen.«

Rafael schwieg. Doch er schluckte schwer. Das war definitiv ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen. Und so wie Enrico ihn nun ansah, wusste auch er das.

»Tut mir leid, Raf. Das hätte ich nicht sagen sollen.«

»Schon okay.«

Aber es war nicht in Ordnung. Rafael spürte einen Druck auf seiner Brust, den er nicht loswurde. Er konnte ihn verdrängen, kurzzeitig vergessen, vollends abstreifen konnte er ihn nicht.

Enrico legte ihm eine Hand auf die Schulter, und Rafael musste den Drang unterdrücken, vor ihm zurückzuweichen. »Es ist lange her. Ich weiß, dass Zeit keine Wunden heilt, aber vielleicht würde es dir helfen, darüber hinwegzukommen, wenn du beginnst, dich wieder mit Frauen zu treffen.«

Ein hartes Lachen entfuhr Rafael. »Bei dir klingt das so einfach. Das ist es aber nicht.« Sein Cousin tat so, als müsse er über eine harte Trennung hinwegkommen. Als würde er sich anstellen und einer Beziehung hinterhertrauern, die in die Brüche gegangen war. Bei dem Gedanken zuckte Rafael zusammen.

Es fühlte sich noch immer so an, als wäre der Unfall erst gestern gewesen. Rafael konnte das Aufeinanderprallen von Metall hören, das Splittern von Glas. Haileys Schreie. Und dann nichts mehr. Absolute Stille, die erst unterbrochen wurde, als er im Krankenhaus wieder zu sich kam. Der Moment, in dem seine Welt aufgehört hatte, sich zu drehen.

»Wenn du noch nicht so weit bist, dann ist das in Ordnung. Ich hätte das eben nicht sagen sollen«, drang die leise Stimme von Rico an sein Ohr.

Rafael wurde bewusst, dass er ins Leere gestarrt hatte. Er hob den Blick, seine Hände hatten zu zittern begonnen. »Es muss dir nicht leidtun. Du hast ja recht. Es ist fast zwei Jahre her, vielleicht sollte ich langsam nach vorne schauen.«

Rico wurde unausstehlich, wenn er längere Zeit keinen Sex hatte. Bei ihm selbst war es inzwischen so lange her, dass er sich kaum daran erinnern konnte. Seine letzte Partnerin war nicht Hailey gewesen, sondern eine Fremde, die er betrunken abgeschleppt hatte. Rafael hatte vergessen, hatte loslassen wollen. Doch dieser Plan war gewaltig nach hinten losgegangen. Er hatte vor der Frau geweint. War einfach in Tränen ausgebrochen, weil er das Gefühl gehabt hatte, Hailey zu betrügen.

Aber Hailey war tot. So gern Rafael die Zeit zurückdrehen würde, er konnte es nicht. Der Unfall war geschehen, und die Welt drehte sich weiter. Ihm blieb nur die Entscheidung, ob er sich mit ihr drehte oder stehen blieb.

»Ich will keine neue Beziehung. Das kann ich einfach nicht.« Rafael hätte sich niemals ein Leben ohne Hailey vorstellen können. Wenn er sich seine Zukunft ausgemalt hatte, war sie stets ein Teil davon gewesen. Wieder neue Träume zu haben, war ihm schwergefallen. Doch Rico und ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Kochen und das Familienrestaurant hatten ihm dabei geholfen.

»Niemand hat etwas von einer Beziehung gesagt. Wenn es Sex ist, den du vielleicht brauchst, findet sich bei Tinder auf jeden Fall jemand, der das Gleiche sucht. Du bist der Einzige, der entscheiden kann, was du im Moment brauchst. Ich höre dir zu und bin für dich da, aber beim Sex kann ich dir nicht helfen.«

Rico versuchte, lustig zu sein, ihn zu necken. Rafael merkte, wie seine Mundwinkel unmerklich zuckten. »Dabei würde ich auch niemals deine Hilfe haben wollen.«

»Gott sei Dank, denn wie du weißt, bin ich als Wingman unbrauchbar.«

Rafael musste lachen und fuhr sich durch die dunklen Haare. »Ja, das ist mir bewusst. Was genau suchst du auf Tinder? Sag mir bitte nicht, dass du dich jede Nacht mit einer anderen triffst. Wenn Nonna davon Wind bekommt, bringt sie dich um.«

Enrico wandte den Blick ab und kratzte sich am Nacken. »So ist das nicht.«

Stirnrunzelnd betrachtete Rafael seinen Cousin. Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Wie heißt sie? Ich habe dich nicht mehr so verlegen gesehen seit deinem Date mit … wie hieß sie noch gleich? Luisa Martin?«

»Lucinda Marini.«

Stimmt, die berühmte Lucinda, wie Rafael sie immer genannt hatte. Es war Ricos erste Liebe gewesen, damals auf der Highschool, und die gute Lucinda hatte seinem Cousin das Herz gebrochen.

»Ist die Frau von Tinder deine neue Lucinda?«

Enrico verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich kenne sie erst seit wenigen Tagen. Wir haben uns bisher nur geschrieben.«

»Und warum triffst du dich nicht mal mit ihr?« Rafael war Online-Dating fremd, er kannte sich weder bei den aktuellen Apps aus, noch kannte er die Regeln oder Umgangsformen, die es einzuhalten galt. Gab es bei Tinder etwa eine Art 3-Tage-Regel, wie man es aus all den Filmen kannte? Durfte man sich erst live treffen, nachdem man sich drei Tage lang geschrieben hatte?

»Ich weiß noch nicht, ob ich das wirklich will«, gestand Enrico dann.

»Stimmt was nicht mit ihr?«

»Nein, sie ist toll. Aber ich weiß nicht, ob ich eine Beziehung will. Daten ist schrecklich anstrengend, und eine Beziehung setzt mich nur unnötig unter Druck. Was, wenn ich sie enttäusche oder wenn ich feststelle, dass ich sie doch nicht so sehr mag wie ursprünglich angenommen?«

Rafael sah seinen Cousin stirnrunzelnd an, dann lachte er. »Rico, du sollst dich mit ihr auf einen Kaffee oder so treffen und sie nicht gleich heiraten. Lern sie doch erst mal richtig kennen und finde heraus, ob du dir mehr vorstellen kannst. Lass dir alle Zeit der Welt, das Leben ist schließlich kein Wettrennen, sonst wäre das Ziel der Tod.«

Das hatte seine Nonna ihnen immer gesagt. Jeder lebte sein Leben in seinem eigenen Tempo. Man sollte sich dabei nicht mit anderen vergleichen. Manch einer brauchte für bestimmte Dinge im Leben einfach länger als andere, aber das war in Ordnung.

»Tust du mir einen Gefallen?«, fragte Enrico dann.

Vehement schüttelte Rafael den Kopf. »Keine Doppel-Dates. Das mache ich nie wieder mit dir.«

Sein Cousin grinste. »Darauf wollte ich auch nicht hinaus. Wenn ich mich auf ein Treffen einlasse, könntest du dir dann vorstellen, Tinder auszuprobieren? Dich einfach mal wieder mit einer Frau treffen, egal, wofür? Es muss nicht die nächste große Liebe sein, es kann etwas ganz Zwangloses werden, du musst sie danach nie wieder sehen, aber ich glaube, es würde dir guttun.«

Rafael presste die Kiefer zusammen. Er war sich nicht sicher, ob Rico damit recht behalten würde. War er wieder bereit, sich mit jemandem zu treffen? Nein. Die Antwort konnte er sofort geben. Er wollte keine neue Beziehung, er wollte keine Dates. Doch er konnte nicht abstreiten, dass ihm die Nähe zu einer Frau fehlte.

Wie hatte Rico es so passend formuliert? Er hatte Bedürfnisse. An sich war es kein Problem für Rafael, selbst Hand anzulegen, aber es war nicht dasselbe, wie den warmen Körper einer Frau zu spüren.

»Ich glaube nicht, dass ich ein Fan von One-Night-Stands bin«, gab Rafael zu. Sex mit einer absolut Fremden hatte keinen Reiz für ihn. Das hatte ihm das letzte Treffen bewiesen. Er brauchte jemanden, den er kannte. Jemanden, dem er vertraute. Haileys Körper hatte er vermutlich besser gekannt als seinen eigenen. Er hatte jede Stelle gekannt, an der sie gerne berührt wurde, jede Stelle, die ihr ein Stöhnen entlockte.

Sex mit einer Fremden konnte ihm nicht das geben, was er wollte. Da fehlte die Verbundenheit, die Nähe, die Zuneigung. Lust konnte das nicht ersetzen.

»Dann such nach etwas anderem. Was willst du? Eine Freundin nur zum Ficken?«

Rafael verzog das Gesicht. Wie er dieses Wort hasste. Und nein, auch das wollte er nicht. Eine Freundschaft war seiner Meinung nach eine gute Grundlage für eine Beziehung. Und genau dort lag das Problem. Wenn bereits eine Freundschaft bestand und man dann miteinander schlief, waren Gefühle vorprogrammiert. Genauso hatte seine Beziehung mit Hailey begonnen. Zuerst waren sie nur Freunde gewesen, dann Freunde mit gewissen Vorzügen und schließlich ein Paar. Das konnte er nicht noch einmal tun.

»Alles an diesem Satz klingt einfach nur falsch.«

»Warum?«

Rafael seufzte schwer. »Bei dir klingt es so, als würde ich mir eine Prostituierte nach Hause bestellen. Porca puttana!«

Enrico starrte ihn ungläubig an. »Du klingst wie eine sich zierende Jungfrau, ich hoffe, das weißt du. In welchem Jahrhundert lebst du denn? Ich weiß, dass du und Hailey lange zusammen wart und du deswegen vielleicht nicht auf dem neuesten Stand bist, aber auch Frauen treffen sich gerne nur zum Ficken. Das ist vollkommen legitim.«

Rafael verdrehte die Augen und widmete sich wieder dem ruinierten Pesto, das sein Cousin kreiert hatte. Vielleicht konnte man es ja noch irgendwie retten und den Chiligeschmack etwas abmildern.

»Mir ist bewusst, dass Frauen denselben und genauso viel Sex haben dürfen wie Männer. Ich bin ja nicht bescheuert. Und genau da liegt ja mein Problem.«

Enrico setzte sich zu ihm und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann dir nicht folgen.«

»Keine Ahnung, was du so im Bett treibst, aber ich für meinen Teil lege sehr viel Wert darauf, dass die Frau auf ihre Kosten kommt.« Das hatte Hailey ihm so beigebracht, und Rafael war dankbar dafür gewesen. Zuerst kam sie, dann noch mal sie und dann er. Das war eine einfache Regel von ihm gewesen, an die er sich immer gehalten hatte. Frauen – oder besser Hailey – zum Höhepunkt zu bringen, hätte ein Hobby von ihm sein können. Zuzusehen, wie sie sich wand, wie sie den Rücken durchdrückte, leise stöhnte und das Gesicht in die Kissen drückte, war reine Ekstase für ihn gewesen.

Rafael spürte einen Schlag gegen die Schulter und starrte dann in Ricos genervtes Gesicht. »Bei dir klingt es so, als wüsste ich nicht, wie man eine Frau befriedigt. Ich bin Italiener, falls ich dich daran erinnern muss. Wir sind verdammt gute Liebhaber.«

Rafael versuchte verzweifelt, die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben, die die Worte seines Cousins heraufbeschworen. »So meinte ich das auch nicht. Aber wenn du nur ein einziges Mal mit einer Frau schläfst, einer Fremden wohlgemerkt, woher willst du wissen, was sie mag, oder woher soll sie wissen, was man selbst mag? So offen redet man einfach nicht mit einer wildfremden Person.«

Zumindest Rafael tat das nicht. Für Sex brauchte es Vertrauen. Vertrauen in die andere Person, dass sie die Bedürfnisse des anderen annahm und akzeptierte.

Enrico schnalzte mit der Zunge. »Wäre ich eine Frau und nicht mit dir verwandt, würde ich jetzt über dich herfallen.«

Rafael sah ihn fassungslos an und brach dann in Gelächter aus. Spielerisch warf er das Geschirrtuch nach seinem Cousin. »Halt die Klappe. Du bist viel zu hässlich für mich.«

»Danke für das Kompliment, gebe ich gerne zurück.« Enrico legte das Handtuch zusammen und sah Rafael dann skeptisch an. »Ich bin trotzdem dafür, dass du Tinder ausprobierst. Wenn es nichts für dich ist, löschst du die App halt wieder. Aber ich glaube, du könntest eine Menge Frauen dort draußen sehr glücklich machen.«

Rafael wollte keine Menge an Frauen glücklich machen. Er war nicht Amor oder Superman. Aber vielleicht hatte sein Cousin recht, und er sollte mal wieder mit einer Frau reden, mit der er nicht verwandt war. Oder eben auch nicht reden, sondern sich jemanden suchen, bei dem er einfach vergessen konnte.

Doch eine Frau zu finden, die sich auch nicht in ihn verliebte, hielt Rafael für eine Herausforderung. Liebe und Sex gingen häufig Hand in Hand. Wie sollte er es schaffen, mit einer Frau intim zu werden und guten Sex zu haben, ohne Gefahr zu laufen, dass sie sich in ihn verliebte? Dass er sich nicht verlieben würde, stand außer Frage. Das war nicht das, was er wollte. Also musste er nur noch jemanden finden, der dasselbe wollte wie er: keine Dates, keine Gefühle.

Kapitel 3

Sienna

Lautes Gehupe und Gebrüll drangen am nächsten Morgen an ihr Ohr und raubten ihr bereits zu dieser gottverdammten Uhrzeit den letzten Nerv. Wie man so früh schon derartig gestresst sein kann, dass man alle zwanzig Sekunden die Hupe betätigt, war Sienna ein Rätsel. Sie versuchte, den Worten ihres Podcasts zu folgen und die Geräuschkulisse zu ignorieren, aber so ganz funktionierte das leider nicht. Dafür war New York bereits zu dieser Tageszeit zu laut. Sie schob sich an einer Frau vorbei, die wild auf ihrem Handy herumtippte und mit ihrem Innehalten den Fußgängerstrom aufhielt.

Für andere mochte es anstrengend sein, sich durch das Getümmel zu drängen, umgeben von dem Dauerlärm, und sich in dieser gigantischen Stadt winzig klein zu fühlen. Aber das war genau das, was Sienna so liebte. Sie liebte die Hektik, sie liebte den Krach, ja, sogar den Gestank von verbrannten Bratwürsten und billigem Kaffee, den die Buden am Straßenrand verströmten. Das war New York.

Gerade jetzt im September, wo die Temperaturen abnahmen und der Herbst sich in all seiner Farbenpracht entfaltete, liebte Sienna diese Stadt. Der Central Park leuchtete in Rot, Orange und Gelb. Das Laub knisterte unter den Sohlen, und obwohl die Tage kürzer wurden, tauchte die Herbstsonne New York in ein warmes Lichtermeer.

Mit einem Kaffee in der Hand, dem Podcast auf den Ohren und einem dicken Schal um den Hals war das ein nahezu perfekter Tag. Selbst wenn die Arbeit rief.

Karin hatte bereits angedeutet, dass ein Meeting anstand, um die Oktoberausgabe der Passion zu besprechen.

Um halb zehn Uhr morgens war das Büro von Passion schon gut besucht. Sienna wurde von dem Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee und Croissants empfangen, der aus der Küche kam. Ihr erster Weg führte sie direkt dorthin.

Wie erwartet, stand in der Teeküche eine ganze Schüssel himmlisch duftender Croissants, von denen Sienna sich eins nahm und anschließend an der Kaffeemaschine den Knopf für einen Cappuccino drückte.

»Machst du mir auch einen, wenn du schon dabei bist?«, fragte eine vertraute Stimme.

Sienna drehte sich zu Teresa Stafford herum, der Chefredakteurin und Inhaberin von Passion. Und zufälligerweise auch ihre derzeitige Stiefmutter.

»Morgen, Teresa.«

»Guten Morgen, Sienna.«

Sie beugte sich vor und hauchte ihrer Chefin einen Kuss auf die Wange. Es war noch immer seltsam, dass Teresa inzwischen mit ihrem Vater verheiratet war. Sienna kannte Teresa als höchst kompetente und akkurate Chefin, umso krasser war der Gegensatz gewesen, sie das erste Mal ungeschminkt und in Yogapants auf dem Sofa von ihrem Dad sitzen zu sehen – mit einer großen Schüssel Popcorn auf dem Schoß und einem Vogelnest auf dem Kopf.

Der erste Cappuccino war fertig, und Sienna reichte die Tasse ihrer Stiefmutter.

»Vielen Dank. Ich soll dir liebe Grüße von deinem Vater bestellen«, sagte Teresa mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihre wilden braunen Locken kringelten sich um ihr Gesicht und reichten ihr inzwischen bis auf die Schultern.

Sienna lächelte. »Danke. Wie lange ist er noch in Italien?«

»Er kommt am Dienstag von seiner Geschäftsreise zurück.«

Sienna nickte und betätigte dann erneut die Kaffeemaschine, um sich selbst ein Heißgetränk zuzubereiten. Es war seltsam gewesen, ihre Chefin plötzlich zu duzen, obwohl Sienna sich schnell an ihre Gegenwart bei ihrem Dad zu Hause gewöhnt hatte. Sie hatte die ältere Frau bereits sehr gemocht, bevor sie mit ihrem Dad zusammengekommen war.

»Dann gibt’s bestimmt bald ein Familienessen. Wir sehen uns spätestens da, ich muss jetzt los. Karin erwartet mich.«

Sie lächelte Teresa ein letztes Mal zu, bevor sie die Küche mitsamt ihrer Tasse verließ und sich in Richtung ihres Arbeitsplatzes begab.

»Da bist du ja endlich!«, wurde sie von Karin begrüßt.

Ihre Vorgesetzte stand vor einer großen Magnetwand, an der verschiedene Notizzettel, Bilder und Ausdrucke hingen. Alles Unterlagen für Karins aktuellen Artikel. Für eine Frau in den Dreißigern hatte Karin mehr Erfahrungen in Bereichen wie Sex, Beziehungen und Selbstfindung, als man auf Anhieb vermuten mochte. Sollte Sienna jemals ein Problem haben, bei der ihr weder Camille noch Molly weiterhelfen konnten, dann würde sie Karin fragen.

Sienna kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Tut mir leid, ich wurde von Teresa kurz aufgehalten.«

»Schon in Ordnung.« Mit einer ungeduldigen Handbewegung gab sie Sienna zu verstehen, sich zu setzen.

Karin betrachtete zwei verschiedene Layoutentwürfe kritisch, bevor sie sie an Sienna weiterreichte. Auf den ersten Blick sahen sie exakt gleich aus, doch Sienna wusste inzwischen, worauf sie achten musste.

»Ist der Artikel denn schon fertig?«, fragte sie neugierig, während sie sich die beiden Ausdrucke ansah.

Karin legte den Kopf schief, sodass ihr die dunkelbraunen Haare ins Gesicht fielen. Sie war klein und zierlich, schaffte es aber trotzdem, sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sobald sie einen Raum betrat. Sienna beschrieb es immer als Machtaura.

»Mehr oder weniger«, beantwortete Karin ihre Frage.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«

Karin deutete auf die beiden Blätter. »Du würdest mir sehr helfen, wenn du dich für ein Layout entscheiden würdest und die Daten dann an die Herstellung weitergibst. Und es warten noch zwei Artikel zum Korrekturlesen auf dich.«

Sienna nickte. Es waren keine schwierigen Aufträge, mehr oder weniger ihr täglich Brot. Korrekturen, Recherche, Bildmaterialsuche, all das gehörte zu ihren Aufgaben. Doch Sienna beschwerte sich nicht. Ihr Team war toll, und Teil von Passion zu sein bedeutete ihr sehr viel.

Während sie die beiden Layouts musterte, wanderte ihr Blick immer wieder zu den Notizen an der Wand. Karin schrieb über »30 Dates an 30 Tagen«. Was für eine Horrorvorstellung! Aber für Karin war es ein Versuch, herauszufinden, wie das Daten im Jahr 2023 funktionierte.

»Hat dir eigentlich irgendeiner der Männer gefallen?«, platzte es dann aus ihr heraus.

Karin drehte sich zu ihr um. Man könnte meinen, sie befänden sich beim Casting von The Bachelor, denn zu jedem ihrer Dates hing ein ausgedrucktes Foto an der Wand. Alles unterschiedliche Typen. Statur, Haar-, Augen- und Hautfarbe, Alter, Frisur und Stil: Es gab – zumindest auf den ersten Blick – wirklich keine einzige Gemeinsamkeit zwischen den dreißig Männern. Bis auf die Tatsache, dass Karin sich mit jedem Einzelnen von ihnen getroffen hatte.

»Es waren einige dabei, mit denen ich mir durchaus ein zweites Date hätte vorstellen können.«

»Aber?«, fragte Sienna.

Karin lächelte sie an, zuckte mit den Schultern. »Das war nicht Teil des Plans. Ich habe das Datingverhalten erforscht und war nicht auf der Suche nach dem Mann fürs Leben.«

Dreißig Dates in dreißig Tagen klang mehr nach Sport als nach Vergnügen. Und wenn man nicht auf der Suche war, warum tat man sich das dann überhaupt an? Karin offensichtlich aus wissenschaftlicher Neugier oder zu Forschungszwecken. Je nachdem, wie man das bezeichnen wollte.

»Was ist los?«, fragte Karin. Sie musterte Sienna mit ihren warmen braunen Augen.

Sienna zuckte mit den Schultern. »Nichts.«

Ein Schnauben erklang, gefolgt von etwas Unverständlichem auf Chinesisch. »Unsinn, ich sehe dir an, dass dir etwas auf der Zunge liegt. Raus damit.«

Sienna seufzte und dachte an ihr letztes Date. »Wie hast du dreißig Dates ausgehalten? Ich hatte gestern eines, und das hat mir bereits nach zwanzig Minuten gereicht.«

Ein verständnisvoller Ausdruck trat auf Karins Gesicht, und sie lehnte sich gegen ihren Schreibtisch. »Das kann ich verstehen. Die meisten Dates sind nicht sonderlich spannend.«

»Und trotzdem hast du alle dreißig Dates durchgezogen?«

Karin schmunzelte. »Natürlich. Du weißt genau, dass ich niemals kneife. Es war eine Herausforderung, und die habe ich gemeistert.«

Herausforderung war das richtige Wort. »Was ist dein Fazit nach diesen vielen Dates?«

Ihre Vorgesetzte tippte sich gegen das Kinn und betrachtete ihre vielen Notizen an der Wand. »Vergleicht man das Datingverhalten meiner Generation mit der deinen, fällt einem sofort auf, dass ihr eine Bequemlichkeit genießt, die es früher nicht gegeben hat. Das nächste Date ist nur einen Swipe entfernt, das macht das Daten nicht nur bequem, sondern ihr glaubt auch, dass jederzeit noch jemand Besseres daherkommen könnte, deswegen wollt ihr euch nicht festlegen. Doch diese Bequemlichkeit hat die meisten faul werden lassen. Ein Großteil kneift, sobald die ersten Probleme auftreten. Beziehungen sollen so unkompliziert wie möglich sein, kämpfen wollen die wenigsten dafür.«

Sienna hob eine Augenbraue. »Herzlich willkommen in meiner Welt. Du hast unsere Probleme perfekt zusammengefasst.«

Karin nickte nur. »Das ist mir wirklich negativ aufgefallen. Jeder will die perfekte Beziehung, aber etwas dafür zu tun kommt nicht infrage. Da versucht man es lieber mit der oder dem Nächsten.«

Sienna konnte nicht einmal widersprechen. Im Gegenteil: Sie sah es ganz genauso. Dabei wollte sie nicht einmal eine Beziehung.

»Die Dates zu bekommen war einfach. Da gibt es inzwischen so viele Möglichkeiten. Man wird mit Angeboten und Anfragen regelrecht überschüttet, ohne etwas dafür tun zu müssen.«

Auch wenn Sienna keine Erfahrung mit dieser Form des Datings hatte, nickte sie. Sie brauchte keine App oder Sonstiges. Mit Camille und ihren ständigen Verkupplungsversuchen hatte sie bereits alle Hände voll zu tun.

»Hört sich grausam an, wirklich.«

»Grausam würde ich es nicht nennen. Aber es glich einer Reizüberflutung. Und ich habe ja nur nach Dates gesucht! Hätte ich als Thema des Artikels One-Night-Stands statt Dates gewählt, wäre ich bereits nach fünf Minuten verplant gewesen.«

Sienna verschluckte sich an ihrem Kaffee und begann zu husten, Tränen schossen ihr in die Augen. Sie klopfte sich auf die Brust. »Bitte was?«, krächzte sie.

»Männer mit echtem Interesse auf Tinder zu finden ist deutlich schwerer, als jemanden aufzutreiben, der nur auf Sex aus ist.«

Sienna starrte Karin mit großen Augen an, die gar nichts von ihrem Beinahe-Erstickungstod mitbekommen zu haben schien. »Hmmmm«, machte Sienna nur.

»Du stehst nicht auf One-Night-Stands, kann das sein?«, fragte Karin sie. Für sie war es ganz normal, offen über alles zu reden. Egal, ob es um Sex ging, Geschlechtskrankheiten oder Beziehungsprobleme.

Sienna dachte über die Frage nach und schüttelte schließlich den Kopf. »Ich hatte schon welche, aber …«

»Was hat dir nicht gefallen?« Wie eine große Schwester oder eine Therapeutin setzte sich Karin vor ihr auf den Tisch und sah sie eindringlich an.

»Ich konnte mich nicht fallen lassen«, sagte Sienna. »Jedes Mal hatte ich das Gefühl, mir und dem Kerl etwas beweisen zu müssen.«

»Und was genau?«

Sienna seufzte und umklammerte ihre Kaffeetasse fester. »Dass mir das gefällt, was er tut, obwohl das nicht immer der Fall war. Dass ich genau das bin, was er in dem Moment will, obwohl ich vielleicht etwas ganz anderes gebraucht hätte. Ich kann es nicht genau benennen«, sagte sie leise.

Karin schüttelte den Kopf. »Ich verstehe, was du meinst. Das ist leider oft das Problem bei einem einmaligen Treffen, wenn du mich fragst. Es fehlt das gegenseitige Vertrauen.«

Sienna verzog das Gesicht und stellte die Tasse ab. »Ich will aber keine Dates und erst recht keine Beziehung.«

Karin lachte leise. »Und keine One-Night-Stands. Möchtest du ins Kloster gehen und hast mir nichts davon erzählt?«

»Das wäre vielleicht das Beste. Dann würden mich meine Mutter und beste Freundin vielleicht endlich mit dem ganzen Blödsinn in Frieden lassen.«

Die Kloster-Idee klang in Siennas Ohren immer besser. Dates waren eine Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, doch früher oder später führten diese nun mal zu einer Beziehung. Die meisten dateten ohnehin nur, weil sie auf der Suche nach etwas Festem waren, nur war das bei Sienna anders. Dates waren ihr zu anstrengend und eigentlich auch sinnlos, da sie eh keine Beziehung suchte. Und One-Night-Stands gaben ihr einfach nichts. Irgendwie kein Wunder, dass ihre Mom sie wählerisch und anspruchsvoll fand.

»Fehlt dir der Sex?«, fragte Karin geradeheraus.

Sienna stutzte kurz. Inzwischen sollte sie sich an die Direktheit ihrer Vorgesetzten gewöhnt haben. Hatte sie aber ganz offensichtlich nicht. Karin besaß ein Talent dafür, Sienna dazu zu bewegen, Dinge anzusprechen, die ihr schon lange auf der Seele lagen.

»Schon irgendwie.« Sie hatte kein Problem damit, längere Zeit keinen Sex zu haben. Oder es sich selbst zu machen. Trotzdem war das nicht dasselbe. Für manche Dinge brauchte man einfach einen Partner.

Karin sah sie abwartend an. Taxierend. Wie ein Raubtier auf der Lauer. Sienna schluckte schwer.

»Wusste ich’s doch! Du willst Sex, Sienna. Dafür ist Tinder wie geschaffen. Du wirst schnell fündig werden, versprochen.«

Sienna stutzte. »Wovon redest du?«

»Die App. Tinder.«

Sie verdrehte die Augen. »Ich weiß, was Tinder ist. Aber warum sollte ich das nutzen?«

Karin betrachtete sie, als wäre sie begriffsstutzig. Womit sie nicht ganz falschlag. »Ich rede davon, dass du dir Tinder installieren sollst, um jemanden zu finden, mit dem du Sex haben kannst. Auf längere Zeit. Keine Dates, aber auch keine Beziehung oder einmalige Treffen.«

Das klang genau nach dem, was Sienna wollte. Obwohl sie geglaubt hatte, dass es das gar nicht gab.

Karin erhob sich und lief zu ihrer Magnetwand. »Du bist jung, hübsch und selbstbewusst. Probier dich aus, hab den Sex, den du willst.«

Das klang wiederum leichter gesagt als getan. Sienna würde sich nicht als prüde beschreiben. Aber es war schwer herauszufinden, was einem im Bett am besten gefiel, wenn man nicht in einer Beziehung war. »Und wenn ich nicht weiß, welche Art Sex ich will?«

Sie hatte so viele Filme geschaut oder Bücher gelesen, in denen Sachen beschrieben wurden, die sie nur zu gerne einmal ausprobieren wollte. Nichts Extremes, ganz normale Dinge, wie beispielsweise Telefonsex. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt und hatte noch nie in ihrem Leben Sex über das Telefon gehabt. Das traute sie sich ja kaum laut auszusprechen.

Karin drehte sich wieder zu ihr um. »Dann würde ich dir empfehlen, dir jemanden zu suchen, der ebenfalls neue Dinge ausprobieren will. Keine einmaligen Sachen.«

»Ich will aber niemanden daten«, brummte Sienna. Davon hatte sie inzwischen wirklich genug.

»Dann sieh es nicht als Date, sondern als Bewerbungsgespräch.«

»Wie bitte?«

Ein schelmisches Grinsen erschien auf Karins Gesicht. Es war der Ausdruck, den sie immer hatte, wenn ihr neue Ideen für Artikel kamen. »Such nach einem Partner, mit dem du zwanglosen Sex haben kannst. Der dich anmacht, dich fordert und der gemeinsam mit dir experimentieren will. Dafür braucht es keine Romantik und schon gar keine Liebe.«

Einen Moment lang sagte Sienna gar nichts. Ihr Blick zuckte zu ihrem iPhone, das auf dem Tisch lag. Sollte sie Tinder ausprobieren? Im Grunde hatte sie ja nichts zu verlieren. Wenn sie niemanden fand, mit dem sie schlafen wollte, dann war es eben ein gescheitertes Experiment. Who cares?

»Danke, Karin. Du hast mich überzeugt.«

Ein Blitzen trat in Karins Augen. »Immer gern. Falls du Hilfe brauchst, melde dich. Vielleicht nutzt du die Chance und schreibst eines Tages über dieses Experiment.«

»Sicherlich nicht.«

»Warum nicht?«

Es gab viele Gründe, warum sie nicht über ihr Sexleben schreiben sollte. Wirklich sehr viele. Doch einer stach heraus: »Ich bin mir sehr sicher, dass Teresa nichts über mein Sexleben in ihrer eigenen Zeitschrift lesen möchte.«

Karin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du wärst überrascht, was Teresa angeht. Sie gibt mir den besten Input für meine Storys.«

Okay … das waren definitiv zu viele Details. »Karin! Vergessen wir bitte nicht, dass sie mit meinem Vater verheiratet ist.« Eben hatte sie noch das Bild von Teresa im Schlafanzug vor Augen gehabt, nun waren da plötzlich ganz andere Bilder.

»Dann ist dein Vater ein sehr glücklicher Mann.«

»Hör jetzt auf! Eklig, ich will nichts darüber hören.«

Ein tadelndes Kopfschütteln war die Antwort. »Komm runter, Sienna. Auch mit fünfzig kann man noch Sex haben.«

Sienna schloss die Augen. Mit den Fingern massierte sie ihre Nasenwurzel. »Und es sei ihnen gegönnt, nur möchte ich nichts darüber wissen.«