Zappelphilipp, Trotzkopf & Co. - Brita Schirmer - E-Book

Zappelphilipp, Trotzkopf & Co. E-Book

Brita Schirmer

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Beschreibung

In jeder Gruppe gibt es Kinder, die die Fachkräfte durch ihr Verhalten, wie z.B. großen Bewegungsdrang, Aggression oder Abgrenzung von anderen Kindern, stärker herausfordern als andere. Wie kann man sie in den pädagogischen Alltag einbinden und förderliche Rahmenbedingungen für ihre Entwicklung schaffen, ohne dass diese Herausforderung eine Überforderung wird? Von der Darstellung der jeweiligen Verhaltensmuster bei Kindern mit auffällig aggressivem Verhalten, ADHS und Autismus-Spektrum-Störung ausgehend, stellt die Autorin sehr praxisbezogen die nötigen entwicklungsfördernden Rahmenbedingungen dar. Es werden konkrete und leicht umsetzbare Möglichkeiten des Umgangs mit herausforderndem Verhalten aufgezeigt. Dieses Wissen hilft letztlich nicht nur dem Kind. Aktives, konzeptgeleitetes Verhalten reduziert auch die Arbeitsbelastung der Fachkräfte, die sich als erfolgreich und wirkungsvoll in ihrer Arbeit erleben können. Jetzt in 3., überarbeiteter Auflage!

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Brita Schirmer

Zappelphilipp, Trotzkopf & Co.

Herausforderndem Verhaltenvon Kindern begegnen

3., überarbeitete Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

Mit 4 Abbildungen

© 2020, 2015, 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: © photophonie – Adobe Stock

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99962-3

Inhalt

Erziehen heißt Chancen geben

Trotzkopf: Kinder mit aggressivem Verhalten

1. Was kann ich beobachten?

2. Was muss ich wissen?

3. Was kann ich tun?

Den Aggressionen vorbeugen

Der Umgang mit Aggressionen

Zappelphilipp: Das Kind mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung AD(H)S

1. Was kann ich beobachten?

2. Was muss ich wissen?

3. Was kann ich tun?

Das Verhalten der Erzieherinnen

Das Verhalten der Kinder

Kinder wie vom anderen Stern: Mädchen und Jungen im Autismus-Spektrum

1. Was kann ich beobachten?

2. Was muss ich wissen?

3. Was kann ich tun?

Unterstützung im Alltag

Die Integration in die Kindergruppe unterstützen

Wie Integration gelingen kann

Übergänge in die Kita und Schule gestalten

Zusammenarbeit mit den Eltern

1. Was kann ich beobachten?

2. Was muss ich wissen?

3. Was kann ich tun?

Wie Elternarbeit funktionieren kann

Typische Probleme

Ein Elterngespräch führen

Literatur

Register

Erziehen heißt Chancen geben

Montagmorgen und Sie gehen sorgenvoll zu »Ihren« Kindern in der Kita. Einige machen Ihnen wirklich Sorgen. Vieles haben sie schon versucht. Von den üblichen, bewährten Hilfen, die man Kindern gibt, damit sie sich in die Gruppe und den Alltag einfügen können, scheinen sie nicht oder nur zu wenig zu profitieren. Ihr Verhalten wirkt unbeeinflussbar. Sie stören oder schlagen andere Kinder und beeinträchtigen das Gruppenklima. Einige schöne Aktivitäten haben ihretwegen schon ausfallen müssen. Und sie okkupieren fast Ihre gesamte Zeit. So kann es nicht weitergehen!

Aber darf man Kinder überhaupt erziehen? Ist das nicht Formen, sogar Brechen ihrer kleinen Persönlichkeit? Muss man sie nicht in ihrem So-Sein akzeptieren?

Nein. Erziehen heißt, einem Heranwachsenden die Regeln des Zusammenlebens einer Kultur zu vermitteln. Jede Gruppe, auch die menschliche, funktioniert nach bestimmten Regeln, die ihr Überleben sichern sollen. Unterschiedliche Gruppen haben unterschiedliche Regeln. Das nennt man Kultur. So ist z. B. die Art und Weise, wie sich Mitglieder einer Gruppe begrüßen, in unterschiedlichen Ländern verschieden. An einigen Orten küsst man sich nie, an anderen einmal, aber auch zwei- oder dreimal auf die Wange.

Regeln sind nicht nur gruppenabhängig, sie verändern sich auch. Noch vor 50 Jahren begrüßte in Berlin ein Mädchen einen Erwachsenen mit einem Knicks. Das tut heute kein Kind mehr.

Einem Kind die aktuell gültigen Regeln einer Gruppe zu vermitteln, heißt ihm die Möglichkeit zu geben, Teil dieser Gruppe sein zu dürfen. Es ermöglicht ihm die Teilhabe. Ein Wort, das momentan in aller Munde ist. Wer die Regeln seiner Gemeinschaft nicht beherrscht, stößt schnell auf Ablehnung und wird ausgeschlossen. Durch Erziehung gibt man einem Kind die Chance, das zu verhindern und dabei sein zu können.

Wenn man Erziehung so versteht, wird auch zugleich klar, wo die Grenzen des Vertretbaren sind. Nämlich da, wo sich ein Kind an Regeln halten soll, die es auf seinem Entwicklungsstand noch gar nicht einhalten kann, oder wo es sich gar nicht um kulturelle Regeln, sondern um unhinterfragte Vorgaben einer Person oder einer Einrichtung handelt. »Das machen wir hier immer so«, oder »Da müssen alle durch«, »Wir können hier nicht für jeden eine Extrawurst braten« sind keine akzeptablen Argumente für die Beeinflussung des kindlichen Verhaltens. Auf gar keinen Fall darf es in der Erziehung darum gehen, die eigene Macht zu demonstrieren.

Die Grenze zwischen Erziehung und Machtmissbrauch ist hauchdünn. Als Kontrollfrage empfehle ich: »Warum möchte ich, dass das Kind dieses Verhalten lernt?« Wenn die Antwort darauf auf der Annahme gründet, dass diese Regelkompetenz dem Kind helfen und es vor einem Ausschluss aus der Gruppe schützen wird, sollten Sie es erzieherisch unterstützen.

Dabei geht es nicht darum, zu erreichen, dass sich alle Kinder grundsätzlich immer gruppenkonform verhalten MÜSSEN. Wenn sie aber die Regeln kennen und auch wissen, welche Folgen Übertritte haben, können sie entscheiden, ob sie es riskieren. Sie haben an Freiheit gewonnen. Das ist das Ziel.

Erziehung ist anstrengend und bei einigen Kindern brauchen Sie besondere Kenntnisse. Ich nenne das pädagogisches Handwerkszeug.

Zu den Kindern, die Ihnen wahrscheinlich die meisten Sorgen bereiten, gehören jene mit aggressivem Verhalten, jene mit AD(H)S und die im Autismus-Spektrum. Auf den ersten Blick mag es so erscheinen, als würde es sich um drei sehr unterschiedliche Kindergruppen handeln. Auf den zweiten Blick jedoch wird klar, dass es viele Überschneidungen gibt. Ein großer Teil der Kinder im Autismus-Spektrum hat zusätzlich AD(H)S und ein beträchtlicher Teil der Kinder mit AD(H)S verhält sich ungewöhnlich oft aggressiv. Das Verhalten der Kinder mit aggressivem Verhalten, mit AD(H)S und auch denen im Autismus-Spektrum führt zu mehreren sekundären Problemen.

Eines dieser sekundären Probleme wurde bereits angesprochen. Es besteht in der Gefahr sozialer Isolation. Oft werden diese Kinder nach einiger Zeit von den Gleichaltrigen abgelehnt, weil die sich vor ihnen fürchten oder im Spiel immer wieder von ihnen gestört fühlen. Ihre Teilhabe ist also bereits erschwert. Verschiedene Untersuchungen bestätigen, dass es vielen Kindern mit Entwicklungsstörungen schwerfällt, Kontakte zu anderen Kindern aufzubauen und Beziehungen zu gestalten (Sarimski, Schaumburg 2010, S. 124). Befragungen von Eltern und Erzieherinnen1 ergaben, dass schon sehr junge Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen seltener Freundschaften schließen als Kinder gleichen Alters ohne Behinderung (ebd., S. 125). Besondere Zurückweisung erfahren aber Kinder mit aggressivem, streitsüchtigem Verhalten (Albers, Jungmann, Lindmeier 2009, S. 210). Der Ausschluss aus der Interaktion ihrer Peer-Group – so bezeichnet man die Gruppe der Gleichaltrigen – birgt aber ein Risiko für die Entwicklung einer negativen Selbsteinschätzung und verhindert wiederum die Möglichkeiten, überhaupt Freunde zu finden.

Keine Freunde zu haben und nicht dazuzugehören, kann zu Stress führen und begünstigt das Gefühl der Einsamkeit. Einsame Kinder zeigen weniger Empathiefähigkeit. Das muss nicht unbedingt darauf zurückzuführen sein, dass bei ihnen die Empathiefähigkeit grundsätzlich schwach ausgebildet ist. Vielmehr kann es ihnen auch an Übung fehlen, sich in andere einzufühlen (Stachura 2009, S. 49 ff.). Damit kann ein verhängnisvoller Kreislauf entstehen: Zu wenig Freunde zu haben, führt zu einer geringeren Entwicklung der Empathiefähigkeit, wodurch es wiederum erschwert wird, Freunde zu finden. Es erhöht sich damit zugleich auch das Risiko, Opfer von Mobbing zu werden. Das ist ein Phänomen, das auch im Kindergarten beobachtet werden kann.

Eine andere sekundäre Schwierigkeit resultiert aus dem Risiko für die kognitive Entwicklung. Ihr Verhalten hindert diese Kinder oft daran, altersgerechte Erfahrungen zu machen, z. B. weil sie nicht die dafür erforderliche Mindestaufmerksamkeit herstellen können oder weil sie aus Gründen einer veränderten Wahrnehmungsverarbeitung die Aufgabenstellung nicht verstehen. Sie üben einige Dinge nicht ausreichend, z. B. ihre Feinmotorik.

Lernen braucht aber Übung. Beim Lernen verändert sich die Anzahl und die Stärke der Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn so weit, dass sich die Intensität der übertragenen Reize erhöht. Jedes Lernen erleichtert damit das Weiterlernen. Es ist so, als wenn man Spuren in den Schnee tritt: Je öfter man einen Weg gegangen ist, desto leichter wird das Fortkommen.

Jede gelungene soziale Interaktion, jeder Lernerfolg hinterlässt im Gehirn seine Spuren und wird von positiven Gefühlen begleitet. Kann ein Kind nur wenig üben, entfaltet es sein Potenzial nicht.

Eine dritte Konsequenz aus dem besonderen Verhalten einiger Kinder besteht in der dadurch ausgelösten besonderen Belastung der Erzieherinnen. Stress verursachen allen Menschen vor allem Situationen, in denen sie sich ausgeliefert fühlen und auf die sie – tatsächlich oder scheinbar – keinen Einfluss nehmen können. So ergeht es den Erzieherinnen oftmals, denn ihre erzieherischen Bemühungen erweisen sich bei diesen Kindern einfach als nicht ausreichend erfolgreich. Das führt zu einem Gefühl der Machtlosigkeit. Außerdem beanspruchen diese Kinder unverhältnismäßig viel Zeit und Kraft. Das erschöpft die Erzieherin und führt zugleich zu einem schlechten Gewissen gegenüber den anderen Kindern, denen Sie sich weniger intensiv zuwenden können.

Natürlich haben Sie versucht, das Verhalten der Kinder mit herausforderndem Verhalten zu beeinflussen. Doch es gelang einfach nicht erfolgreich genug! Trotzdem erscheinen einem meist die bisherigen Reaktionen auf das Verhalten als die einzig möglichen. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick beschreibt diesen Zustand in seinem Buch »Anleitung zum Unglücklichsein« im Kapitel »Der verlorene Schlüssel oder ›mehr desselben‹«: Man hält bedingungslos an Verhaltensweisen fest, die sich in der Vergangenheit als sinnvoll und erfolgreich erwiesen haben. Watzlawick geht davon aus, dass Menschen dazu neigen, solche Verhaltensmuster in der Folgezeit als die einzig möglichen zu betrachten, weil ihnen keine Handlungsalternativen zur Verfügung stehen (Watzlawick 2002, S. 27 f.). Neue Möglichkeiten müssen also gefunden werden. Ich möchte Sie dabei unterstützen.

Das vorliegende Buch soll Ihnen helfen, sowohl ihr Verständnis für ungewöhnliche Verhaltensweisen einiger Kinder als auch die eigene pädagogische Handlungskompetenz zu erhöhen. Man muss das Kind erst verstehen, bevor man es erziehen kann. Dieses Wissen hilft letztlich nicht nur dem Kind: Aktives, konzeptgeleitetes Verhalten reduziert auch die Arbeitsbelastung der Erzieherinnen, die sich als erfolgreich und wirkungsvoll in ihrer Arbeit erleben können.

Wenn ein Kind häufig negativ auffällt, wird es manchmal nur noch vor dem Hintergrund der bisherigen, zumeist schwierigen Erfahrungen mit ihm beobachtet. Man kann dadurch in einen Kreislauf aus negativer Verhaltenserwartung geraten, die sich durch das Verhalten des Kindes immer wieder bestätigt. Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Man erwartet herausforderndes Verhalten. Für das Kind entsteht keine Motivation, sich anzustrengen: »Die Erzieherin schimpft ja sowieso immer.« Es zeigt herausforderndes Verhalten.

Es ist wichtig, die anderen Kinder in ihren Kontakten mit den besonderen Kindern besser zu begleiten, ungewöhnliches Verhalten zu erklären, Fragen beantworten zu können und Grausamkeiten zu verhindern.

Seien Sie also dem herausfordernden Verhalten einen Schritt voraus. Dafür brauchen Sie einen Plan. Entscheiden Sie, was unter Ihren Bedingungen möglich ist. Oft ist es nicht das Optimale. Aber so gut wie möglich ist auch gut genug. Verzweifeln Sie nicht an Dingen, die Sie nicht ändern können, wie Raumgröße, Gruppengröße oder Personalschlüssel. Es geht nur, was geht!

Nicht zuletzt kann die Zusammenarbeit mit den Eltern dieser Kinder Sie herausfordern und kompliziert sein. Die Arbeit mit den Kindern wird zusätzlich erschwert, wenn Sie sich in der Zusammenarbeit mit den Eltern macht- und ratlos fühlen. Der Elternarbeit ist deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet.

Bitte erwarten Sie keine einfachen Rezepte in der Art: Wenn ein Kind X tut, machen Sie Y und alles wird gut. Verhaltensänderungen sind ganz sicher möglich. Menschliches Verhalten hängt aber von so vielen Bedingungen ab, dass es Rezepte nicht geben kann. Aber macht gerade das nicht Ihre Arbeit auch so interessant? Ich wünsche Ihnen Freude, Mut, Kraft und Ausdauer dabei!

__________

1Nur aus Gründen der besseren Lesbarkeit (und um Wortungetüme zu verhindern) wird jeweils nur ein Geschlecht benannt. Grundsätzlich sind damit alle Geschlechter gemeint.

Trotzkopf: Kinder mit aggressivem Verhalten

1. Was kann ich beobachten?

Das Kind wird schnell wütend

Einige Kinder werden bei den geringsten Anlässen sehr wütend. Sie attackieren dann unkontrolliert andere Kinder und Erwachsene oder zerstören Gegenstände. Manchmal werfen sie sich auf den Boden, schreien laut oder sie beschimpfen Kinder und Erzieherinnen.

In diesem Zustand kann man diese Kinder oft nicht ansprechen und auch nicht anfassen. Diese Situationen können ausgelöst werden, wenn die Erzieherin sie zu etwas auffordert (»Setz dich an den Tisch, wir wollen essen!«) oder ihnen etwas gefällt, was andere Kinder gerade benutzen, und sie es haben wollen, ihnen das jedoch versagt wird. Diese Zustände können auch entstehen, wenn eine angenehme Situation unterbrochen wird, weil die Eltern das Kind beispielsweise abholen wollen.

Scheinbar grundlose Angriffe

Andere Kinder scheinen ohne Grund und ohne eigene starke Emotionen andere Kinder anzugreifen und zu ärgern. Sie zerstören deren Bauwerke, schubsen sie auf dem Spielplatz oder erkämpfen sich beispielsweise rücksichtslos den Platz auf der Schaukel.

Belastungen der anderen Kinder und Erzieherinnen

Wer Aggressionen ausgesetzt ist, leidet unter Stress. Das gilt auch, wenn die Aggression von einem Kleinkind ausgeht. Viele Erzieherinnen sind auf den Umgang mit schwierigen Kindern und aggressivem Verhalten durch ihre Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet. Sie erleben sich als wenig kompetent in ihrer Arbeit, immer wieder entgleitet ihnen das Kind oder die Situation. Andere fühlen sich auf diese Herausforderung vorbereitet, leiden aber langfristig unter dem hohen Stress, dem sie ausgesetzt sind.

Kinder mit auffälligem Verhalten, die sich nur schwer in die Gruppe integrieren lassen und diese stören, erfordern mehr Aufmerksamkeit als die anderen Kinder. Sie ziehen damit Aufmerksamkeit und Energien von den Erzieherinnen ab, die der Leitung und Kontrolle der ganzen Gruppe dienen sollte.

Auch die Kinder werden durch das abweichende Verhalten einiger Gruppenmitglieder belastet. Einzelne Kinder fürchten sich vor Kindern, die aggressivsind. Sie suchen räumliche und folglich auch emotionale Distanz zu ihnen und akzeptieren sie nicht als Partner.

Folgen für die Kinder selbst

Kinder im Kindergarten sind in einer sozialen Gemeinschaft. Es ist notwendig, dass sie die Regeln erlernen und einhalten, die hier gelten oder gesetzt werden.

Mit Regeln sind nicht nur die von den Erwachsenen aufgestellten gemeint, sondern auch die, die die Kinder für ihr Verhalten untereinander etablieren. Kinder müssen die Regeln also erst einmal kennen und dann auch einhalten, um nicht aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden.

Häufiges Übertreten von Regeln hat für die aggressiven Kinder selbst oft negative Folgen: Selbstgefährdungen, Erschwerungen des Lernens und der Entwicklung sowie langfristig soziale Isolation können aus diesem Verhalten resultieren. Die aggressiven Kinder werden nicht als Spielpartner gewählt, andere Kinder wollen sie beispielsweise nicht an der Hand halten, wenn die Kindergruppe einen Spaziergang unternimmt und sie werden nicht zu Kindergeburtstagen eingeladen.

Meist werden sie nur von den Kindern akzeptiert, die ähnliche Verhaltensmuster zeigen. Zu denen fühlen sie sich hingezogen, denn deren Verhaltensmodelle bestätigen sie in dem, was sie selbst tun und die fürchten sich nicht vor ihren Aggressionen.

2. Was muss ich wissen?

»Nichts errät ein Mensch so schnell wie die innere Unsicherheit eines anderen und fällt darüber her wie eine Katze über einen krabbelnden Käfer« (Musil 1970, S. 1352).

Oft ist es nicht nur das aggressive Verhalten eines Kindes, das für Erzieherinnen allein mit größten Anstrengungen oder gar nicht auszuhalten ist. Besonders schwierig wird es, wenn sie die Ursache für die Aggressionen nicht erkennen und verstehen können. Das führt nicht selten zu einer großen Unsicherheit. Diese Unsicherheit der Erzieherin macht auch das Kind unsicher und zeigt sich oft in seinem Verhalten.

Die Einstellung der Bezugspersonen zu den Kindern ändert sich grundlegend, wenn sie eine Ursache für ungewöhnliches Verhalten kennen (Delacato 1985, S. 107). Je plausibler die Erklärungen für das Verhalten eines Menschen sind und je sinnhafter sie dem Außenstehenden erscheinen, umso weniger wird er sich von dem konkreten Verhalten gestört und verunsichert fühlen.

Es wird außerdem leichter, aggressives Verhalten zu ertragen, wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass das Verhalten in einem ursächlichen Zusammenhang zu verstehen ist. Man weiß dann, dass man es beeinflussen kann. Wenn man Wege findet, zu agieren, statt auf ein Verhalten immer nur zu reagieren, gibt dies Sicherheit im Umgang mit dem entsprechenden Kind. Die Sicherheit reduziert die Angst und den Stress. Das kann dem aggressiv handelnden Kind ebenfalls mehr Sicherheit und Orientierung geben. Manchmal hilft allein das schon. Dies kann man gelegentlich beobachten, wenn das Kind sich bei einer noch unsicheren Berufsanfängerin viel auffälliger verhält als bei einer erfahrenen Kollegin. Die erfahrene Kollegin ist haltgebend »wie ein Fels in der Brandung«. Das hilft dem Kind, sein Verhalten zu steuern.

Was sind Aggressionen?

Paul schlägt Celine und macht dabei ein wütendes Gesicht. Das kleine Mädchen hatte sein Lego-Haus umgeworfen. »Ich beobachte dieses aggressive Verhalten mit Sorgen«, sagt die Mutter. Der Vater winkt ab: »Er ist eben ein richtiger Junge!«

Wer von beiden hat recht? Ist Pauls Verhalten eine Aggression oder ein ganz normales Verhalten oder gar beides?

Bereits mit der Verhaltenseinschätzung beginnen die Probleme. Nicht immer sind sich alle Menschen in der Bewertung des Verhaltens eines Kindes einig. Es ist nicht einfach, zu entscheiden, was Aggressionen sind und was nicht.

Das hat damit zu tun, dass es kein aggressives Verhalten an sich gibt, sondern es erst durch die Bewertung als solches verstanden wird. Vielfach, aber eben nicht immer, sind sich alle Beobachter einig.

Der Begriff der Aggression ist also ein Konstrukt, das auf der Interpretation von Verhalten beruht. Urteile über die Angemessenheit des Verhaltens, aber auch über die Absichten des Handelnden spielen dabei eine Rolle. So wird jemand, der auf einen Konflikt reagiert, als weniger aggressiv wahrgenommen als jemand, der einen Konflikt beginnt.

Auch in der Literatur findet man zur Klärung der Frage wenig Hilfe, denn teilweise wird die Aggression in der Literatur nicht deutlich von anderen auffälligen Verhaltensweisen abgegrenzt (Essau, Conradt 2004).

Der Begriff Aggression stammt vom lateinischen Verb aggredere (= hinzutreten, herantreten, hinzukommen) und bedeutet später kriegerischer Angriff. Das Adjektiv aggressiv wurde im 19. Jahrhundert gebildet und hat die Bedeutung von angriffslustig, herausfordernd (Drosdowski, Grebe, Köster et al. 1963, S. 14). Gegenwärtig fasst man unter der Bezeichnung Aggression unterschiedlichste Verhaltensweisen zusammen. Dabei gibt es zwei Standpunkte:

1.Der erste geht von dem lateinischen Verb aggredere aus und definiert die Aggression unter dem Aspekt der gerichteten Aktivität. Die ist nicht unbedingt negativ oder zerstörerisch. Hier wird Aggressivität als eine Aktivität verstanden, die auch alle positiven, das Leben gestaltenden Aktivitäten beinhaltet (Steiner 1985, S. 8 f.) Der Begriff der Aggression ist damit aber auch beliebig ausdehnbar. Für die Arbeit mit Kindern mit herausforderndem Verhalten ist er wenig hilfreich.

2.Vertreter des zweiten Standpunktes hingegen verbinden den Begriff der Aggression in einem viel engeren Sinne mit der Schädigung einer Person oder eines Gegenstandes. Auch bei den Vertretern dieses Standpunktes gibt es wieder zwei verschiedene Auffassungen.

•Nach der ersten fasst man solche Verhaltensweisen als aggressiv auf, die von einer Absicht zur Schädigung geleitet sind.

•Der zweiten Auffassung folgend nennt man das Verhalten eine Aggression, das faktisch einen Organismus schädigt, unabhängig, ob dies nun beabsichtigt war oder nicht (Werbik 1971, S. 233).

Doch wie will man die Absicht eines Kindes sicher feststellen? Außerdem: Indem man dem Kind eine Intention seines Verhaltens unterstellt, geht man zugleich davon aus, dass es Alternativen, Kontrollmöglichkeiten und ggf. die Möglichkeit der Unterlassung seines Handelns hat und deshalb auch zwangsläufig für sein Verhalten verantwortlich ist. Bei Kindern muss dies jedoch keinesfalls zutreffen.

In diesem Buch wird deshalb der zweiten Auffassung gefolgt und es werden im Weiteren unter dem Begriff der Aggression alle Handlungen zusammengefasst, die als Beleidigung, Bedrohung, Herabsetzung oder Demütigung eines oder mehrerer anderer Menschen bzw. die Beschädigung, Verletzung oder Zerstörung von Lebewesen oder Gegenständen interpretiert werden, unabhängig davon, ob dies vom Kind beabsichtigt war oder nicht.

Normale Aggressionen?

Aggressiv zu sein ist ein Gefühl, das den meisten Menschen bekannt sein dürfte. Wie man sich aber dann verhält, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Aggressionen sind nur eine Möglichkeit.

Ein Verhaltensforscher konnte nachweisen, dass Kinder, ohne zuvor entsprechend angewiesen worden zu sein, von selbst Aggressionen benutzen, um ihren sozialen Handlungsspielraum auszutesten (Eibl-Eibesfeldt 2000, S. 212). Man findet Aggressionen kulturübergreifend, alters- und geschlechtsunabhängig.

Die angeborene Verhaltensmöglichkeit wird durch Erfahrungen gefördert, umgeformt, reduziert, in legitime Kanäle und Aktivitäten geleitet oder unterdrückt (Eibl-Eibesfeldt 1999, S. 554).

Aus den Reaktionen der Umwelt auf das Verhalten lernen Kinder, was erlaubt ist und was nicht (Eibl-Eibesfeldt 1973, S. 94). Im Laufe der Persönlichkeitsreifung erlangt das Kind dann Kontrolle über seine aggressiven Impulse. Einigen gelingt das besser, anderen weniger gut. Wir haben es mit einem Zusammenwirken von genetischen Anlagen und Umweltbedingungen zu tun. Die normale von der besonderen Aggression zu unterscheiden, ist deshalb nicht ohne Weiteres möglich. Sie gehört zu den Handlungsmöglichkeiten jedes Kindes und wird dann sozial so geformt, dass sie das Zusammensein in der Gruppe nicht gefährdet.

Wann das aggressive Verhalten eines Kindes nicht mehr toleriert werden kann, hängt von den Normen der Umwelt ab. Diese ändern sich im Laufe der Zeit. Sicher wissen Sie aus Erzählungen, dass körperliche Züchtigung von Kindern im Laufe der letzten Jahrhunderte sehr unterschiedlich bewertet wurde – früher war es im deutschsprachigen Raum ein legitimes Mittel der Erziehung und heutzutage ist es glücklicherweise verboten.

Sie unterscheiden sich aber auch zu einem Zeitpunkt in unterschiedlichen Regionen der Welt. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt verweist darauf, dass es z. B. Kulturen gibt, in denen aggressive Verhaltensweisen durch Erziehung gefördert aber zugleich gegen Gruppenfremde ausgerichtet werden (Eibl-Eibesfeldt 2000, S. 21).

Wir gehen also bei der Bewertung von Verhalten immer von den aktuell in einer Region gültigen Normen aus. Es wäre aber durchaus denkbar, dass Familien aus anderen Herkunftsregionen andere Normen haben und an ihre Kinder weitergeben. Sie sind nicht »besser« oder »schlechter«. Sie sind anders.

Da die Kinder aber in Ihren Kindergarten oder in Ihre Schule gehen, ist es wichtig, dass sie die in den dortigen Kindergruppen geltenden Regeln lernen. Nur so können sie an der Kindergruppe teilhaben. »Lernen« bedeutet nicht, dass sie immer alle geltenden Regeln einhalten müssen. Sie sollten aber die geltende Regel und die Konsequenzen der Regelübertritte kennen. Nur dann sind sie wirklich frei, sich zu entscheiden, wie sie handeln wollen.

Sicher werden Kinder aus anderen Herkunftskulturen auch die Regeln in Ihrer Einrichtung beeinflussen. Zusammen zu sein fordert immer Anpassungsleistungen von allen.

Man geht davon aus, dass Kinder bestimmte Fähigkeiten besonders schnell lernen. Man spricht daher auch von privilegiertem Lernen (Stern 2005, S. 271). Voraussetzung für die Entfaltung der Möglichkeiten des privilegierten Lernens ist allerdings, dass die körperlichen und emotionalen Grundbedürfnisse eines Kindes befriedigt sind. Zu diesen durch Anlagen vorbereiteten Fähigkeiten gehören auch die Grundformen der sozialen Interaktion, wie Empathie und Aggression.

Welche Kinder sind aggressiv?

Betrachtet man nur das Verhalten und nicht die Schwere der Folgen, ist der Mensch in aller Regel in keiner anderen Phase derart körperlich aggressiv wie in seinem dritten Lebensjahr (Possemeyer 2004, S. 152). In diesem Alter sind viele Kinder bereits im Kindergarten.

Die Genderthematik ist im Moment aus gutem Grund aktuell. Wir wissen zugleich, dass es biologische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt, die sich in verschiedenen Bereichen auswirken. Ob es biologisch (z. B. hormonell) oder sozial (durch Erziehung) bedingt ist, ist nicht untersucht: Jungen sind aber vom Vorschulalter an und auch über weitere Entwicklungsphasen hinweg deutlich aggressiver als Mädchen (Eggert-Schmid Noerr 1992, S. 56 ff.). Dies gilt insbesondere für die Interaktion von Jungen untereinander.

In einer Erzieherinnen-Befragung in 46 Dortmunder Kindertagesstätten wurden die Verhaltensauffälligkeiten von 1075 Kindern eingeschätzt: 14,4 % der Jungen und 5,0 % der Mädchen zeigten aggressives Verhalten (Agi, Hennemann, Hillenbrandt 2010, S. 44).

Im Rahmen einer Langzeitstudie hinsichtlich der Entwicklungstendenzen von über 1000 Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren in Montréal wurden vier Entwicklungslinien identifiziert:

–17 % der Kinder waren niemals aggressiv,

–28 % zeigten Aggressionen zunächst auf einem hohen Niveau, im Laufe der Zeit wurden diese jedoch immer geringer,

–4 % waren grundsätzlich hoch aggressiv,

–der Rest, der die größte Gruppe ausmachte, hatte ein relativ geringes Aggressionsniveau, das sich ebenfalls noch weiter reduzierte (Kernberg, Hartmann 2009, S. 487 f.).

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine in Pittsburgh durchgeführte Studie (ebd., S. 488).

Warum verhält sich ein Kind so aggressiv, dass es nicht toleriert werden kann?

Die meisten Kinder lernen u. a.: Was darf ich in meinem Umfeld tun, wann darf ich es tun, wo darf ich es tun und was geht auf keinen Fall? Das Kind fügt sich in seine sozialen Gruppen – die Familie, die Kindergruppe – ein. Doch bereits geringfügige Änderungen von biologischen oder Umweltbedingungen können das Gleichgewicht verändern und zur Herausbildung unangemessener Verhaltensweisen führen. Manchmal weichen auch Familien- und Kindergarten- oder Schul-Normen massiv voneinander ab und das Kind muss erst die Normen der Kindereinrichtung lernen.

Bei einigen Kindern tritt aggressives Verhalten so massiv auf, dass es das soziale Miteinander hochgradig belastet oder sogar zerstört. So gehören aggressive Verhaltensstörungen zu den häufigsten Störungsbildern im Kindes- und Jugendalter (Cordes 2000, S. 2) und sind der häufigste Grund dafür, eine psychologische bzw. psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen (Petermann 1998, S. 1016).

Aber auch ein zu geringes Aggressionspotenzial kann das Kind in seiner sozialen Entwicklung behindern, weil es den anderen nicht ausreichend die Grenzen ihres Handelns aufzeigen kann. Diese Kinder können ihre Interessen nicht durchsetzen. Im schlimmsten Fall werden sie gemobbt.

Haben Sie Kinder mit zu starkem oder zu geringem Aggressionspotenzial in der Gruppe, lohnt es sich, das Bedingungsgefüge aus biologischen Bedingungen und Umweltbedingungen genauer zu betrachten. Eventuell ergeben sich daraus Möglichkeiten, den Kindergartenalltag für diese Kinder entwicklungsförderlicher zu gestalten.

Zu den biologischen Bedingungen zählen Hormone: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Aggressionen und der Konzentration von Stresshormonen im Körper. Interessant ist eine Untersuchung von 800 Kindergartenkindern in Nürnberg: Man maß den Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und dem Spiegel des Stresshormons Cortisol. Dabei konnten zwei Gruppen von Kindern identifiziert werden, die durch ihr aggressives Verhalten auffielen.

Die erste Gruppe umfasste die reaktiv-aggressiven Kinder, die 5 % der untersuchten Gruppe ausmachten. Die zweite bildeten die instrumentell-aggressiven. Sie umfassten 3–4 % (vgl. Possemeyer 2004, S. 155).

Die reaktiv-aggressiven Kinder sind zugleich ängstlich und impulsiv. Sie fühlen sich schnell von anderen angegriffen und reagieren darauf mit Aggressionen. Sie meinen, sich verteidigen zu müssen. Man nennt ihr Verhalten deshalb auch heiße Aggression. Von allen untersuchten Kindern hatten sie die höchsten Cortisolwerte. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sie schon bei geringen Anlässen mit Stress reagieren (vgl. ebd.).

Instrumentell-aggressive Kinder hingegen sind furcht- und mitleidslos. Sie handeln aggressiv, um andere zu dominieren und ihre Ziele zu erreichen. Man bezeichnet dies als kalte Aggression. Ihre Cortisolwerte sind am niedrigsten von allen untersuchten Kindern. Dies könnte sie veranlassen, verstärkt nach Stress auslösenden Situationen zu suchen, um sich dadurch aufzuputschen und ein mittleres Niveau an Cortisolausschüttung zu erreichen (vgl. ebd.).

Kinder haben also genetisch bedingte Anlagen für ihren Hormonhaushalt, die sie dazu veranlassen, unter bestimmten Bedingungen mit Aggressionen zu reagieren. Die einen sind schnell gestresst und verspüren Angst, die anderen suchen geradezu Stress auslösende Situationen.

Was bedeutet das für den Alltag? Aufgrund ihrer biologischen Ausgangsbedingungen benötigen diese Kinder ganz unterschiedliche Reaktionen, um sich angemessen verhalten zu können. Die erste Gruppe von Kindern benötigt also eine ruhige und angstfreie Umgebung, die zweite mehr Aufregung und Aktion, damit sie nicht mit Aggressionen reagieren müssen (Amrhein 2009, S. 76 f.). Daher müssen die Aktivitäten der Gruppe, die räumlichen Rahmenbedingungen und vieles andere mehr schon im Vorhinein so durchdacht sein, dass die Bedürfnisse der beiden genannten Gruppen angemessen in die Gestaltung des Gruppenlebens einfließen.

Zu den Umweltbedingungen gehört die Ernährung: Die britische Organisation Natural Justice untersucht wenig beachtete Ursachen für Kriminalität und weist auf die Bedeutung der Ernährung für das Verhalten hin.

Im Rahmen einer Studie wurde einer Gruppe von Jugendlichen in einer Strafanstalt täglich ein Cocktail aus Vitaminen, Spurenelementen und Fettsäuren, einer Kontrollgruppe hingegen ein Scheinmedikament gegeben. Die Versuchsgruppe war nach neun Monaten deutlich weniger wegen Tätlichkeiten aufgefallen und beging ein Drittel weniger schwere Verstöße gegen die Haftordnung (Thorbrietz 2003, S. 128). Eine weitere Untersuchung konnte bestätigen, dass auch in einer Schule eine Ernährungsumstellung zu erstaunlichen Veränderungen im Verhalten der Heranwachsenden führte (Spurlock 2006, S. 250 ff.). Warum sollte das im Kindergarten anders sein?

Die Kinder ernähren sich nicht gesund und ausgewogen:

Abb. 1: Checkliste Ernährung

Die Ernährung der Kinder in der Kita ist wahrscheinlich nicht nur von großer Bedeutung für ihr physisches, sondern auch für ihr psychisches Gedeihen. Was die Kinder essen, sollte gründlich überlegt sein. Mit präventiven Maßnahmen kann der Entwicklung eines unangemessenen Niveaus der Aggression vorgebeugt werden kann. Es können somit schon auf der Ebene der Gestaltung des Speiseplans, d. h. also, auch durch die Auswahl des Essensanbieters oder der Organisation der Küche sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden.

Wenn Sie konzeptionelle Überlegungen in Ihrer Einrichtung anstellen, wie Sie mithilfe gesunder und ausgewogener Ernährung günstige Bedingungen für die physische und zugleich für die soziale Entwicklung der Mädchen und Jungen schaffen können, bringt dies sicher auch eine hohe Motivation für Eltern, ihr Kind bei Ihnen betreuen zu lassen.

Der Einfluss der Bezugspersonen: Wir haben schon gesehen, dass Aggressionen grundsätzlich durch Erziehung beeinflussbar sind. Unterschiedliche Kulturen haben auch verschiedene Konzepte von legitimer Aggression hervorgebracht (Schubert 2003, S. 133 ff.).

Zum Teil werden Aggressionen in Ritualen kanalisiert. Diese Rituale sorgen dafür, dass auf der einen Seite das vorhandene Aggressionspotenzial ausgelebt werden kann, auf der anderen Seite aber niemand ernsthaft zu Schaden kommt.

Ein bekanntes Beispiel sind alle Kampfsportarten. Wenn es also ritualisierte Formen des Auslebens von Aggressionen gibt, dann wäre zu fragen, ob nicht auch im Kindergarten oder der Schule derartige Formen gefunden werden sollten. Dabei handelt es sich nicht um Tobereien und ähnliche Beschäftigungen zum Abbau motorischer Anspannungen und überschüssiger Energien. Es sollten vielmehr Wege gefunden werden, in denen Aggressionen sozial verträglich ausgelebt, kanalisiert, kontrolliert, reduziert und schließlich von den Kindern auch reflektiert werden können. Wenn schließlich ein Kind mit hohem Aggressionspotenzial den anderen darüber berichten kann, wann und aus welchem Grund es wütend wird, dient dies der individuellen Entwicklung ebenso wie der der ganzen Gruppe. Darüber hinaus können Kinder, die zu ihrem eigenen Nachteil ein zu niedriges Aggressionspotenzial aufweisen, in Form des ritualisierten Erlebens und inszenierten Ausdrückens von Aggressionen einen Nachteilsausgleich erwerben.

Lernen am Erfolg: Es besteht auch die letztlich fatale Möglichkeit, dass Eltern das aggressive Verhalten ihres Kindes gleichsam trainieren, indem sie es durch Zuwendung noch verstärken. Dies kann beispielweise geschehen, indem sie dem Kind Aufmerksamkeit zuwenden, wenn es sich aggressiv verhält. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass sie es von unangenehmen Anforderungen entlasten oder sie dieses unerwünschte Verhalten dulden (Cordes 2000, S. 86 oder Brezovsky 1985, S. 28 f.). Das Kind lernt auf diese Weise, dass es die Aufmerksamkeit der Eltern oder der Bezugspersonen erlangen kann, wenn es sich unangemessen verhält. Genauso kann es lernen, sich gegenüber Anforderungen zu verweigern, wenn es mit seinem Verhalten erfolgreich ist.

Die Tatsache des Lehrens von unangemessenem Verhalten darf nicht zu Verurteilungen der Eltern führen. Mütter und Väter wollen in der Regel das Beste für ihre Kinder. Sie erkennen nicht, dass sie durch unangemessene Nachsichtigkeit und Inkonsequenz bzw. durch Aufmerksamkeit und Zuwendung in der falschen Situation genau das unerwünschte Verhalten sogar noch belohnen und stabilisieren.

Diese Einsichten sind wichtige Anregungen für das Verhalten der Erzieherinnen. Derartige Fußfallen des pädagogischen Alltags liegen ja nicht nur im Elternhaus aus. Wichtig ist deshalb, die schwierigen Situationen gründlich zu analysieren, um derartige Fehler zu vermeiden. Sie münden nämlich in einer Aggressionsspirale.

Lernen am Modell: Von einem Vorbild zu lernen, spielt beim Erwerb aller Verhaltensmuster, und somit auch von Aggressionen, eine große Rolle. Diese Form des Lernens heißt Modell- oder Imitationslernen.

Es gibt die Möglichkeit, dass Kinder aggressives Verhalten durch Beobachtung und Imitation anderer Personen erlernen (Bullerjahn 1996, S. 40). Im Rahmen einer Untersuchung wurden Kindern aggressive und friedliche Modelle vorgeführt und anschließend ihr Spielverhalten beobachtet. Die Kinder ahmten gleichermaßen das aggressive wie das friedliche Verhalten nach (Eibl-Eibesfeldt 1999, S. 549).

Anders sieht es allerdings aus, wenn man die Kinder nach der Beobachtung von aggressivem Verhalten einer Frustration aussetzt, indem man ihr Spiel für kurze Zeit unterbricht. Haben sie dann Gelegenheit, z. B. zum Spiel mit einer Puppe, verhalten sich die Kinder, die das aggressive Verhalten modellhaft bei einem Erwachsenen beobachtet hatten, dem Spielzeug gegenüber aggressiv. Haben die Kinder ein nicht-aggressives Modell oder gar keines gehabt, ist ihr Verhalten auch nach der Frustration nicht aggressiv (Essau, Conradt 2004, S. 105).

Wenn die Kinder erst einmal gelernt haben, in bestimmten Situationen aggressiv zu reagieren, übertragen sie diese Reaktion bald auch auf andere Situationen, die den ursprünglichen ähnlich sind (ebd., S. 104). Durch das Erlernen aggressiver Verhaltensmodelle wird die Entwicklung moralischer Normen beeinflusst und es werden den Kindern unangemessene Problemlösungsstrategien vermittelt. Aggressive Kinder verfügen erwiesenermaßen über weniger positive, flexible, ausdifferenzierte oder effiziente Problemlösungsstrategien (Petermann, Natzke, Petermann, Brokhaus 2005, S. 211).

Moral: Einige Kinder beginnen im Alter von fünf bis sechs Jahren, eigene moralische Motivationen aufzubauen. Bei anderen erfolgt dies erst später und für einige wird das Nachdenken über die Begründung des eigenen Verhaltens niemals besonders wichtig.