Zeuss - Alfred Hellmann - E-Book

Zeuss E-Book

Alfred Hellmann

4,5

  • Herausgeber: Virulent
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Hendrik de Winter, Mitarbeiter eines privaten Informationsdienstes, wird – begleitet von Rosa, seiner rabiaten Leibwächterin – in ein holländisches Strandbad geschickt. Er wird einen Mann treffen, der sieben Jahre Haft abgesessen hat, weil er bei einer wilden Silvesterparty im Suff seine Frau erschlagen haben soll. Sein Name: Zeuss. Sein Problem: Er kann sich nicht an die Tat erinnern. De Winter soll herausfinden, woran niemand zweifelt: ob Zeuss zu Recht hinter Gittern saß – oder ob möglicherweise doch seine kriminellen Geschäftspartner dahinterstecken. Aber noch bevor die eigenwillige Ermittlung richtig in Gang kommt, wird auf Zeuss ein Anschlag verübt ...

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Seitenzahl: 241

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Ähnliche


AlfredHellmann

ZEUSS

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Dank

Nachbemerkung

Impressum

E-Books von Alfred Hellmann

Disziplin für Faule oder wie man es trotzdem schafft (Ratgeber)

1.Kapitel

Es war einer dieser Tage, an denen man mit dem falschen Fuß auf einen richtigen Nagel tritt; einer dieser gemeinen, bleichgesichtigen Tage, die einem schon beim ersten Schluck Kaffee mit bösem Wispern versprechen, dass die gute alte Sonne niemals wieder scheinen wird; einer dieser Tage, an denen man die Tapete mit den Fingernägeln von den Wänden kratzen könnte oder – am besten noch in Unterwäsche – auf die Straße rennen möchte, um sich jemanden zu suchen, dem man endlich »Du Arschloch!« ins Gesicht brüllen kann.

Es war einer dieser quälend schrägen Tage, die ganz ohne Farbe auskommen.

Hendrik de Winter saß im Bademantel an seinem Schreibtisch und bewegte sich nicht. Mit der tief in die Stirn gezogenen Frotteekapuze sah er aus wie ein depressiver Mönch.

Noch vor einer Minute hatte er auf die Tastatur eingehämmert wie ein vollgekokster Pianist – mit wildem Blick und wehenden Ärmeln –, aber dann war er hochgezuckt, hatte eine unkontrollierte seitliche Bewegung gemacht und war erstarrt.

Seine Hände schwebten über der Tastatur, sein Blick wanderte nach links und fixierte den inneren Saum der Bademantelkapuze. Er hob die rechte Hand, nestelte an dem dicken Stoff herum und zog schließlich, ganz langsam, ein außergewöhnlich langes blondes Haar aus dem Gewebe. Mit spitzen Fingern hielt er es von sich weg und betrachtete es mit einem Maß an Ekel, das einem Schweinebandwurm eher angemessen gewesen wäre.

Auf dem Schreibtisch klingelte das Telefon. Ohne das Haar aus den Augen zu lassen, nahm de Winter mit der linken Hand den Hörer auf.

»Was?«

»Guten Tag«, sagte eine etwas heisere Männerstimme, »die Firma Dr. Messing & Partner hier, mein Name ist Carl Messing – mit wem spreche ich bitte?«

»Du weißt genau, mit wem du sprichst, du Arschloch, was willst du?«

»Ich habe eine Überraschung für dich, de Winter.«

»Und zwar?«

»Du fährst morgen nach Holland.«

»Tue ich das?«

»Ja, das tust du.«

»Und warum tue ich das?«

»Du tust das, weil du ein ganz armer Willi bist, der sich freut wie ein Slumbewohner, wenn er sein lächerliches Einkommen, das er aus einer ebenso lächerlichen Tätigkeit bezieht, ein wenig aufbessern kann. Kurzum, du tust es aus dem besten Motiv der Welt: für Geld.«

Hendrik starrte weiter auf das Haar und fragte sich, wem es, juristisch betrachtet, jetzt gehörte. Damit kam er allerdings nicht weit, denn er war kein Jurist. Messing war Jurist, aber ihn wollte er nicht fragen.

Fest stand: Dieses Haar war ein ehemaliger Bestandteil seiner ehemaligen Freundin. Fest stand außerdem: Der Bademantel musste in die Reinigung. Und natürlich – auch das stand leider außer Frage – hatte Messing recht: Seine aktuelle berufliche Tätigkeit war ein Witz.

Hendrik arbeitete als etwas, das mit außerordentlichem Wohlwollen, und weil die Berufsbezeichnung nicht geschützt war, als Journalist bezeichnet werden könnte. Er schrieb für die deutsche Printausgabe der international verbreiteten Zeitschrift Wahre Geheimnisse. Sie bot »Menschen wie du und ich« die Chance, ihre persönlichen Erlebnisse zu veröffentlichen. »Wahre Geschichten – vom Leben geschrieben«, lautete der Untertitel.

Vermutlich wusste Messing, dass Hendrik das komplette Rahmenprogramm schrieb – nicht nur »Mein Horoskop«, »Reise und Kultur«, »Spaß und Wellness« und »Mein Tier und ich«, sondern auch Seiten wie »Fashion und Lifestyle«, »Beauty Tipps und Trends« bis hin zu »Hallo, hier spricht der Pflanzendoktor«.

Was Messing hoffentlich nicht wusste, war, dass Hendrik auch sämtliche Wahren Geschichten verfasste. Tatsächlich schrieb Hendrik ganz allein, Monat für Monat, die komplette Zeitschrift.

Der Verlag lieferte die Rohvorlagen für die Rubriken, irgendein Kellersklave erledigte das Layout, und fertig war das Machwerk. Im Großen und Ganzen konnte Hendrik schreiben, was er wollte, und das tat er ohne Skrupel – immer entsprechend seiner jeweiligen Gefühlslage. Und dass die seit einiger Zeit miserabel war, bekam die leidgeprüfte Leserschaft zu spüren.

Vermutlich würde sich die Zeitschrift ohnehin nicht mehr lange halten, und Hendrik würde sich wieder einen anderen Job suchen müssen. Von den Aufträgen von Dr. Messing & Partner konnte er jedenfalls nicht leben. Aber ablehnen konnte er sie auch nicht.

»Worum geht’s?«, fragte er und starrte auf das Haar.

»Du wirst einen Mann treffen. Du wirst ihm zuhören. Du wirst ihm zustimmen. Du wirst ihn bestätigen, und, falls nötig, wirst du sein Händchen halten bis er fertig ist. Also genau dein Kompetenzprofil.«

»Vielleicht solltest du einfach einen ambulanten Pflegedienst beauftragen? Worum geht es?«

»Um einen Mord, beziehungsweise einen Totschlag. Aber vor allem geht es darum, dass dem Mann jemand zuhört, was freiwillig so schnell niemand tun wird, denn dieser Typ ist das, was man als Polyphrasiker bezeichnet.«

»Um dir den Gefallen zu tun: Was ist ein Polyphrasiker?«

»Ein Sprechzwängler, ein Verbal-Diarrhötiker; so jemanden fragst du nach der Uhrzeit, und er legt los wie ein gedopter MP3-Player und erzählt dir sein ganzes Leben.«

»Schön, also jemand, der viel und schnell redet. Und dieser Mord? Was ist damit? Wann ist der ist der passiert?«

Messing zögerte.

»Vor sieben Jahren und neun Monaten.«

»Vergiss es.«

»Warte, lass mich doch erst mal …«

»Nein! Du weißt ganz genau, dass man solche alten Geschichte nicht aufklären kann.«

»Darum geht es ja auch gar nicht.«

»Darum geht es nicht? Was soll das heißen? Worum geht’s denn dann?«

»Na ja, diese Geschichte ist eigentlich längst abgeschlossen, verstehst du, auch juristisch.«

»Welche Geschichte, sag mir endlich, worum es geht, verdammt.«

»Es geht um den Tod seiner Frau«

»Aha. Die ist also vor fast acht Jahren getötet worden.«

»Genau.«

»Und jetzt …«

»… will der Mann wissen, was wirklich passiert ist.«

»Gut, dass kann ich verstehen. Es gab also einen Täter, aber der Auftraggeber ist sich nicht sicher, ob der es wirklich war? Und er will den wirklichen Mörder nicht entkommen lassen.«

»So in etwa könnte man das sagen, ja.«

»Und gibt es irgendwelche neue Fakten? Neue Beweise? Verdächtige?«

»Nein. Das heißt: doch – einen Verdächtigen gibt es schon, nur keinen wirklich neuen.«

»Wen hat er denn im Verdacht, der Mann?«

»Sich selbst.«

»Wie bitte?«

»Sich selbst.«

»Moment, nur damit ich das richtig verstehe: Dein Auftraggeber will, dass wir gegen ihn selbst ermitteln?«

»Ja.«

»Aha! Das dürfte die Sache wesentlich erleichtern. Spielt er mit dem Gedanken freiwillig zu gestehen, oder möchte er es aus sich rausprügeln lassen? Das lässt sich arrangieren.«

»Er weiß es nicht.«

»Er weiß was nicht?«

»Ob er seine Frau erschlagen hat.«

»Scheint aber ein ziemlich schlechtes Gedächtnis zu haben, der Mann.«

»Genau das ist das Problem. Der hat früher gesoffen wie ein Stier. Eines Tages erwacht er im Knast und ist ein Mörder. So kann’s gehen. Jetzt ist er wieder draußen und will herausfinden, ob er wirklich einer ist.«

»Und wozu? Ich meine, was ist sein Ziel? Eine Wiederaufnahme?«

»Ich glaube nicht.«

»Was dann?«

»Keine Ahnung.«

»Und das ist dir auch egal.«

»Ja, vollkommen egal.«

»Er hat nämlich Geld. Und auch du handelst aus dem besten Motiv der Welt.«

»So ist es. Und deswegen wirst du der netteste, aufmerksamste und interessierteste Zuhörer sein, den dieser Spinner jemals getroffen hat.«

»Und was bei der Geschichte herauskommt, ist wurscht.«

»Ja, aber von mir aus kannst du ihn auch überführen. Egal.«

Hendrik dachte nach. Seine »Wahren Geschichten« hatte er fertig, und mit den meisten Rubriken war er auch schon ganz zufrieden: Die Horoskope gaben keinem Sternzeichen die geringste Chance, den Monat zu überstehen, ohne von Lebensgefährten verlassen, finanziell ruiniert oder Hauptdarsteller eines tödlichen Unfalls zu werden.

Und die Inhalte von »Mein Tier und ich« und von »Hallo, hier spricht der Pflanzendoktor« hatte er größtenteils vertauscht. Bei konsequenter Befolgung seiner Ratschläge, würde so einiges von dem, was sonst miaute oder zwitscherte, plötzlich anfangen zu kreuchen und zu fleuchen oder sich gezwungen sehen, photosynthetisch aktiv zu werden; und so manche Zimmerpflanze würde sich auf einmal pudelwohl fühlen und mit etwas gutem Willen anfangen zu bellen.

Gegen einen kleinen Urlaub war nichts einzuwenden.

»Okay.«

»Gut, morgen früh um sieben Uhr in der Zentrale: Auto, Papiere, Geld, Karten, Dossier und so weiter. Um spätestens fünfzehn Uhr bist du in der Provinz Zeeland, die liegt im Südwesten der Niederlande. Du fährst nach Domburg … »

»Ach, du Scheiße.«

»Was ist los? Kennst du das Kaff?«

»Ja«, stöhnte Hendrik.

»Eine deiner unglücklichen Frauengeschichten? Und jetzt weiß ich auch wie du das hinkriegst. Du nimmst die Tanten mit an den Strand und langweilst sie so lange, bis sie dich abservieren. So kommst du in die richtige Stimmung für deine so genannte Arbeit. Und dann geht’s los: »Tränen im Sand«, »Ein Meer aus Schmerzen«, »Sie ging und kehrte nicht zurück«, »Ohne dich kann ich nicht atmen« und so weiter und so weiter. Kriegt man von diesem Scheiß nicht irgendwann Migräne?«

»Du verstehst gar nichts«, murmelte Hendrik und wunderte sich darüber, dass Messing die Titel seiner Wahren Geschichten vom letzten Monat kannte.

Seine Hand, in der er noch immer das sanft schwingende Haar hielt, wurde allmählich taub. Er ließ es in den Papierkorb segeln.

In Hendriks Leben gab es keine Frauengeschichten. Es gab nur eine einzige Geschichte, und die war nicht einfach unglücklich, sondern ein nicht enden wollendes, nervenzerfetzendes Desaster, ein dröhnender Alptraum aus Schmerz und Lächerlichkeit.

»Wieso mit dem Auto, gibt es da keinen Flughafen?«, fragte Hendrik, um abzulenken. Eigentlich mochte er lange Autofahrten.

»Doch, aber du müsstest da ja dort einen Wagen mieten, und das ist umständlicher und teuerer, als einen von uns zu nehmen. Also, du setzt dich auf der Seeseite vor das Hotel Badpaviljoen. Das …«

»… kenne ich.«

»Gut. Dann weißt du, dass es auf der Düne eine freistehende Glas-Terrasse gibt, die in kleine Gevierte unterteilt ist, die die Namen holländischer Städte oder Provinzen tragen. Du setzt dich in den Glaskasten mit dem Namen »Vlissingen«…«

»… und werfe mit Steinen.«

»… und wartest. Unser Klient heißt Zeuss.«

»Zeus? Im Ernst? Wie Gott? Herr über Donner und Blitz?«

»Ja, ja – so ähnlich. Schreibt sich aber mit zwei s. Und bitte sei wenigstens dieses eine Mal ein bisschen zurückhaltend, denn der Typ scheint tatsächlich jähzornig zu sein.«

»Kein Problem, ich nehme Rosa mit – als Blitzableiter, hihi.«

Messing schwieg einen Moment. Er räusperte sich und sagte leise: »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, de Winter.«

»Das ist sogar eine hervorragende Idee! Dann kann sie die Wahrheit aus ihm herausprügeln. Den Anfang mache ich: höre zu, halte Händchen und fordere ihn nachdrücklich, aber unfassbar sensibel dazu auf, die endlich Wahrheit preiszugeben. Idealerweise bricht er sofort zusammen und fängt er an zu reden. Bleibt er bockig, kommt Rosa und prügelt ihm die Scheiße aus dem Leib, bis er gesteht.«

»Im Ernst, de Winter, diese Frau ist gemeingefährlich. Diese Frau gehört in eine Anstalt und zwar mit lebenslänglicher Sicherheitsverwahrung.«

»Möchtest du ihr das vielleicht selbst sagen?«

»Oh, ist sie da? Nein, nein, lass nur, ich muss los, ich habe ein Besprechung, tschüss.« Messing legte auf.

Hendrik zog die Kapuze vom Kopf und blickte auf den Bildschirm:

Top:‍Der Schönheitstipp des Monats

Titel:‍Bio-Haarpflegemittel selbst gemacht

Text:‍Haarpflegemittel selbst herzustellen, ist gar nicht so schwierig wie Sie vielleicht denken. Alles, was Sie dafür brauchen, finden Sie in Ihrer Küche. Probieren Sie es aus!

Foto 1: Dunkles Haar bekommt einen zarten Glanz durch eine Spülung mit Salbei und Rosmarin und einem halben Pfund Gelierzucker. Bei Haarausfall fügen Sie fünf gemörserte Aspirin-Tabletten und drei Löffel Humussubstrat hinzu.

Foto 2: Blondes Haar wird glänzend und geschmeidig durch einen Sud von Salbei, Kamille und den Blüten der Schafgarbe.

Hendrik kniff die Augen zusammen und schrieb es um:

Blondes Haar wird glänzend und geschmeidig durch einen Sud von Salbei, Kamille und den Blüten der Schafgarbe, fünf Teelöffeln Akazienblütenhonig, drei Esslöffeln Sonnenblumenöl und einem viertel Pfund Erdnussbutter .(crunchy). Massieren Sie diese Mischung kräftig ein und lassen Sie sie zwei Stunden einwirken. Das Ergebnis wird Sie überraschen!

Er nickte düster und schickte das Ganze an den Verlag.

2.Kapitel

Dr. Messing & Partner residierte in einem halb verwaisten Gewerbegebiet am Rande Tempelhofs. Das helle, dreistöckige Bürogebäude war dezent, aber umfassend gesichert mit Infrarot-Kameras, Körperschallmeldern und sonstigen mehr oder weniger augenfälligen Maßnahmen.

Auf ihrer Website bezeichnete sich die Firma als Presse- und Informationsdienst, was nicht ganz gelogen war, denn sie beschäftigte sich tatsächlich mit der Beschaffung von Informationen und mit dem Handel von Nachrichten.

Nur ging es hier keineswegs um die Befriedigung eines herausragenden öffentlichen Interesses oder gar um die Meinungs- oder Pressefreiheit, sondern ausschließlich darum, Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu nehmen.

Dementsprechend kamen die Kunden überwiegend aus der Wirtschaft, den Medien und – wenn auch eher verschämt und in Gestalt von Stellvertretern – der Politik.

Gelegentlich bot Messing von sich aus etwas an: ein so genanntes SCARE-Paket.

Dabei konnte es sich um die Analyse einer Steuerhinterziehung oder eines Subventionsbetrugs handeln, um Beweise für Korruption oder organisierte Unterschlagung, den Mitschnitt eines Telefongesprächs zweier Politiker, die eine Ausschreibung umgehen wollten, oder einfach um ein paar Fotos vom Urlaub eines brünstigen Managers im thailändischen Pattaya.

Und es gab immer eine interessierte Seite, die diese SCARE-Pakete kaufte – sei es, um damit zu einem geeigneten Zeitpunkt bei einer Entscheidung behilflich zu sein – sei es, um genau diese Art von Hilfestellung zu unterbinden.

Hendrik schätzte, dass etwa vierzig Leute für Messing arbeiteten. Messing dagegen behauptete, über hundert Angestellte unter sich zu haben, darunter Juristen, Steuerberater, Bilanzprüfer, ehemalige Polizisten und einige IT-Spezialisten, die sich lieber mit fremden Daten beschäftigten, als mit den eigenen.

Besonders stolz war Messing darauf, dass er – mit Geld und Gebrüll – sogar die Nerds dazu zu gebracht hatte, seine Kleidervorschriften zu befolgen. Nur das Tragen der äußerst schicken Ermenegildo-Krawatten verweigerten sie noch.

Während Messing seinen großen, massigen Körper in wohlwollend maßgeschneiderten Anzügen präsentierte, die gelegentlich etwas farbenfroh ausfielen, wollte er an seinen Leuten weiße Hemden mit Kentkragen sehen sowie schmal geschnittene Anzüge oder Kostüme in Hellgrau.

Hendrik vermutete, dass Messing ein Bild vor Augen schwebte, das, ins nächste Jahrtausend gespiegelt, etwa dem des FBI der 1960er Jahre entsprach: coole, perfekt gekleidete Profis, die in einer Welt agierten, die Normalsterbliche nie verstehen würden – was in Hendriks Fall schon mal ganz gut funktionierte.

Wenigstens unterlag er diesen Zwängen nicht. Hendrik kam nur selten in die Firma, musste dann allerdings mit einem Besucher-Ausweis herumlaufen, mit dem er nicht mal ungefragt aufs Klo kam.

Er war der Mann für die abseitigen Fälle und wurde bei Aufträgen eingeschaltet, die eher zufällig hereinkamen und außerhalb des eigentlichen Betätigungsfelds von Dr. Messing & Partner lagen.

Das geschah allerdings nicht allzu häufig, denn der Ruf des Unternehmens war miserabel – und Messing sorgte dafür, dass das so blieb.

Seine Macht ergab sich nicht nur aus den Informationen, mit denen er handelte, sondern oft schon aus der bloßen Tatsache, dass jemand mit ihm zusammengearbeitet hatte. Und das taten viele, aber die Wenigsten konnten es sich leisten, das zuzugeben.

Warum Messing ihn immer wieder engagierte, verstand Hendrik nicht so ganz, denn er erledigte seine Jobs nicht besser oder schlechter, als es irgendein anderer getan hätte.

Doch Messing hatte einen Narren an ihm gefressen. Er unterstellte ihm außerordentliche Fähigkeiten, insbesondere im Bereich der Wahrnehmung und Interpretation menschlichen Verhaltens.

Irgendwelche Partner kannte Hendrik nicht, und er bezweifelte, dass sie existierten. Messing war kein Mann, den man für Konzepte wie Team-Building, kooperative Interaktion oder kollektive Verantwortung begeistern konnte. Er liebte es, die Fäden in der Hand zu halten und, je nach Laune, mal an diesem, mal an jenem zu ziehen.

Messing hatte schon ein paar Mal vor Gericht gestanden, meist wegen Anklagen, in denen die Worte Anstiftung,Beihilfe,Nötigung und Erpressung vorkamen, aber auch wegen Delikten, die sich mit der Endung -spionage kombinieren ließen. Zu einer Verurteilung hatte es jedoch, meist mangels aussagewilliger Zeugen, nie gereicht. Denn Messing wusste von vielen Leuten Dinge, die ihnen unangenehm waren.

Und Hendrik wusste etwas, das Messing unangenehm war. Nur hatte er es nie darauf anlegt, ihn mit diesem delikaten Thema unter Druck zu setzen. Da Messing jedoch von seinem eigenen Charakter und Verhalten ausging, fühlte er sich wohl trotzdem erpresst. Und Hendrik, das musste er sich eingestehen, unternahm nichts, ihm dieses Gefühl zu nehmen.

Allerdings war diese etwas unsaubere Situation nicht der Hauptgrund dafür, dass Messing Hendrik beschäftigte; der wichtigste Grund war Messings durch nichts zu erschütternde Überzeugung, Hendrik besäße besondere psychologische Fähigkeiten, wenn es darum ging, Leute zum Reden zu bringen.

Dass es sonst niemanden gab, der diese Einschätzung teilte, störte Messing nicht im Geringsten.

Als sie am nächsten Morgen um kurz nach zehn mit einem Taxi an der Pforte von Messings hoch umzäuntem Firmengelände eintrafen, wurden sie bereits erwartet. In dem nur schulterbreit geöffneten automatischen Stahltor stand ein großer schwarzgelockter Jüngling, dessen hellgrauer Anzug sich um seine athletische Figur schlang wie aufgemalt. Unter dem Arm trug er eine schmale Akte.

Hendrik ließ den Blick über das Gelände schweifen. Normalerweise hätte Messing die Gelegenheiten für einen kurzen, jovialen Plausch genutzt, aber diesmal blieb er in seinem Glasbunker, mutmaßlich, um Rosa nicht begegnen zu müssen.

Hendrik winkte in eine Kamera über dem mit grünlich schimmernden Panzerglas gesicherten Wachhaus.

Während Rosa den Taxifahrer bezahlte, streckte der Schönling seine Rechte aus und lächelte frisch gebleacht. An seiner leicht nach vorn gekrümmten Körperhaltung konnte Hendrik sehen, dass der Mann sehr viel mehr Muskelpartien anspannte, als man zum einfachen Rumstehen normalerweise benötigte. Hendrik zögerte, die ausgestreckte Hand zu ergreifen, denn er ahnte, was kam.

Wahrscheinlich ein Pumper, dachte er. Es gab die Handzerquetscher, aber die waren in den letzten Jahren seltener geworden, weil selbst für Schwerfällige zu nah am Höhlenmenschen, und es gab die Pumper, die eine einmal ergriffene Hand in eine unerwartete Richtung zerrten, zum Beispiel nach unten und gleichzeitig in Richtung ihrer rechten Niere, und sie dann mit wieder mit voller Kraft nach oben und in Richtung Gegenüber stießen, und das solange wiederholten, bis der Begrüßte annähernd aus dem Gleichgewicht geriet.

Hendrik stellte sich vor, welches Balz-Tänzchen so manche Frau für diesen Typ aufführen würde, und der alte Anna-Schmerz kroch ihm wieder vor die Stirn.

Der Schönling schnappte sich Hendriks halb angehobene Rechte.

»Hallo! Ich bin der Marc!«, sagte er und begann zu pumpen und zu quetschen. Der Typ konnte beides. Mehrprozessfähig. »Und du bist also der Hendrik«, sagte Marc, pumpte noch ein paar Mal und ließ endlich Hendriks Hand wieder los.

»Ja, ich bin der Hendrik«, antwortete Hendrik, der es nicht leiden konnte, wenn jemand sagte, er sei der Marc oder der Hendrik, solange keine weiteren Marcs oder Hendriks zur Auswahl standen. Aber eigentlich war es ganz egal, warum er ihn nicht leiden konnte.

Das Taxi fuhr davon. Marc entdeckte Hendriks Begleitung und riss die Augen auf.

Rosa.

Rosa war eine große und kräftige Frau, und sie liebte bunte Kleidung. Heute trug sie ein Kostüm, das aussah wie die digitalisierte Version einer Bundesgartenschau – ein gärtnerisches Chaos aus explodierenden Blüten in violett und türkis, unter dem eine rüschenbesetzte Heimatbluse hervorschillerte.

»Hallo …«, murmelte Marc, ließ den Blick über Rosas pompösen Körper gleiten und musste sich erst einmal räuspern.

Rosa nickte knapp und ignorierte seine ausgestreckte Hand. Ihr massives Löwinnengesicht wirkte durch die blonde Igelfrisur noch größer als es ohnehin war, und ihre verhältnismäßig klein wirkenden Augen strahlten in naivem Marienblau.

Doch der Blick, mit dem sie Marc musterte, war ernst und konzentriert.

Marc wusste nicht weiter. Wie die meisten Männer, die Rosa zum ersten Mal gegenüberstanden, hatte er Schwierigkeiten, seine widersprüchlichen Empfindungen unter Kontrolle zu bringen. In ihm kämpfte der dringende Wunsch, fortzulaufen, mit dem nicht weniger dringenden Wunsch, sich fortzupflanzen. Er witterte die vibrierende Energie von achtundachtzig Kilo Rubens, fest und hart wie Reifengummi, spürte die ungeheure Dichte ihrer Ausstrahlung und erahnte ihre erdige, mörderische Sinnlichkeit.

Aber dann sah er Rosa noch einmal in die Augen, geriet in diesen todernsten Blick, und beschloss, doch lieber Angst zu haben. Mit einer unmerklichen, seitlichen Kopfbewegung hakte er sie ab.

Hendrik bemerkte es, und Rosa hatte es nicht anders erwartet. Sie erlebte solche Reaktionen oft, und sie kränkten sie jedes Mal. Aber der umgekehrte Fall kränkte sie auch.

»Schön euch kennen zu lernen«, startete Marc einen Versuch die Lage zu entspannen. »Wart ihr schon mal in Holland?«

Rosa drehte den Kopf, sah Hendrik an, hob die Brauen und überließ es ihm, zu antworten.

»Hör zu, Marc«, sagte Hendrik, »gib uns einfach die Unterlagen und die Wagenschlüssel, und spar dir den Rest für deinen Swinger-Club, okay?«

Marcs Gesicht war mit einem Schlag purpurrot, er machte einen Schritt auf Hendrik zu – blieb aber ruckartig stehen, als Rosa ebenfalls einen halben Schritt nach vorn machte.

Messing hatte ihn gewarnt.

»Du bist aber nicht besonders freundlich«, sagte Marc und klang beleidigt.

»Nein, bin ich nicht«, antwortete Hendrik. »Die Rosa und der Hendrik müssen jetzt los. Und falls der Marc jemanden sucht, der ihn lieb hat, ist er an der falschen Adresse.«

»Puh«, sagte Marc und führte sie wortlos auf den Parkplatz, wo eine anthrazitfarbene 5er-BMW-Limousine bereitstand.

»Das ist der Wagen, hier sind die Unterlagen und hier ist der Schlüssel.«

»Ich fahre«, sagte Rosa und schnappte sich mit einer blitzschnellen Bewegung den Schlüssel.

Marc zuckte zurück. Hendrik grinste und zeigte auf den Ordner, der sich in Marcs krampfhaften Griff bedenklich bog.

Marc übergab ihm die Dokumente, drehte sich weg und ging mit hochgezogenen Schultern davon.

Ein neuer Feind.

3.Kapitel

Während der ersten anderthalb Stunden der Fahrt beschäftigte Hendrik sich mit dem Dossier. Es schien wahllos zusammengestellt und war kaum strukturiert, was zeigte, wie wenig Bedeutung die Firma diesem angeblichen Fall beimaß. Weder gab es vernünftige Fotos noch auch nur ein Inhaltsverzeichnis. Irgendwer hatte irgendwelche Dokumente in eine Mappe gestopft und sie an Hendrik weitergegeben.

Sollte der sehen, wie er damit klarkam.

Messing würde den Auftraggeber abkassieren, ohne ihm zu sagen, dass seine Firma nichts für ihn tun konnte. Und Hendrik war sich noch keineswegs sicher, ob er das einfach so mitmachen würde.

Gut möglich, dass er sich entschied, dem Mann reinen Wein einzuschenken und gleich wieder abzufahren.

Hendrik blätterte ein wenig in den Papieren, las eine Zusammenfassung, sowie auszugsweise das Gerichtsurteil, die Zeugenaussagen und die Polizeiberichte, die aus dem Holländischen ins Englische übersetzt worden waren.

Der Fall war einfach und klar: Eine Frau war erschlagen worden. Der Täter war ihr besoffener Mann.

Ende der Durchsage.

Hendrik schloss den Ordner und betrachtete für ein paar Minuten die vorüberziehende Autobahnwelt. Dann öffnete er die Akte wieder. Wenigstens den Obduktionsbefund, der auf Deutsch vorlag, wollte er sich noch ansehen.

Doch der Bericht bestand aus für einen Laien wenig verständlichen Beschreibungen und Fachbegriffen – und war, wo er doch verständlich war, unerfreulich detailliert.

Hendrik überflog die Äußere Besichtigung, las die Beschreibung der Kopfverletzung und erfuhr, dass der Hals des Opfers bei der Untersuchung mittellang, kräftig, und nicht abnorm beweglich gewesen war. Er ersparte sich, nach kurzem Anlesen, die Innere Besichtigung, die mit I. Schädelhöhle begann und mit II. Brust- und Bauchhöhle weiterging.

Wieder schloss er den Ordner. Er wollte einfach nicht wissen, was die Rechtsmediziner noch herausgefunden hatten, nachdem sie festgestellt hatten, dass die Kopfschwarte nach dem Abziehen an ihrer Innenseite eine graurote Farbe zeigte.

Hendrik warf das Dossier auf die Rückbank. Es reichte.

Eine korrekte Vorbereitung war das nicht, aber sein Kurzeitgedächtnis war gut, und er würde damit durchkommen. Außerdem konnte er den Obduktionsbericht ja später immer noch durcharbeiten, falls sich herausstellte, dass es wider Erwarten doch etwas zu ermitteln gab.

Also machte Hendrik es sich bequem, schlief ein und wachte erst auf Höhe von Eindhoven wieder auf.

Holland. Anständige Menschen hinter hohen Fenstern. Vage Bilder vom Gutsein. Alte Filme in schwarzweiß.

So sahen Hendriks Erinnerungen aus.

Als Kind war er oft hier gewesen, mit seinen Eltern, die sich immer schämten, sobald sie die Grenze überquert hatten, für Dinge, die ihre Eltern hier getan hatte, und die Kinder noch nicht verstanden.

Als er sie dann verstand, schämte er sich ebenfalls und wunderte sich darüber, dass die Holländer überhaupt noch Deutsche in ihr Land ließen.

Später, als Jugendlicher in Amsterdam, mit siebzehn oder achtzehn, bedeutete Holland die große Freiheit: Die ersten Drogen, die ersten wilden Partys, die erste richtige Freundin, der erste richtige Sex – und das erste schmerzhafte Scheitern.

Und dann, viele Jahre später, das Wochenende mit Anna, bei dem sie ihm ganz nebenbei erzählte, dass sie auf eine Party ihres Ex gehen würde. Und Hendrik brannte vor Eifersucht, tobte, weinte, benahm sich wie ein Kind. Als sie zurückkamen, stellte sie ihm in wohlgesetzten Worten den Laufpass aus.

Und dabei hätten sie es belassen sollen. Aber das taten sie nicht. Nach zwei Wochen war sie wieder da und hasste ihn dafür. Ein paar Wochen war es der Himmel, dann verließ er sie, und kam ebenfalls nach ein paar Wochen zurück, weil er es nicht aushielt.

Und seitdem führten sie diese vollkommen verrückte Beziehung, oder wie immer man diesen Unsinn nennen sollte.

Diese erste Trennung war nur der Auftakt gewesen, für eine endlose Kette von Trennungen und Wiedervereinigungen, die sie beide weiter als nur bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben hatte.

Selbst die besten Freunde und Freundinnen stellten bald jede Seelsorge ein und schüttelten nur noch stumm die Köpfe, und das konnte man ihnen nicht übel nehmen.

Hendrik hatte mitgezählt: Sechsundzwanzigmal hatten sie sich jetzt getrennt. Und fünfundzwanzigmal hatten sie wieder von vorn angefangen. Wer jeweils warum gegangen war, und wer dann, nach Tagen oder Wochen, wieder weinend vor der Tür des anderen gestanden hatte, war mittlerweile völlig gleichgültig. Mittlerweile erlebten sie das Ganze eher wie eine schwere gemeinsame Krankheit, die gerade dann wieder ausbrach, wenn die schlimmsten Anfälle vorbei zu sein schienen.

Aber diese erste Trennung war ohne Zweifel die schlimmste gewesen. Weil vollkommen außer Frage, dass er sie durch sein kindisches Verhalten vorangetrieben hatte. Weil er sehen konnte, dass er sich wie ein Idiot verhielt, und genau deswegen mit dafür sorgte, dass das, was er vermeiden wollte, passierte.

Immerhin hatte er in dieser Zeit Rosa kennen gelernt. Das war das einzig Positive an dieser Geschichte.

Damals hatte Hendrik sich ins Bett gelegt und hatte sterben wollen, hatte auf die Uhr gestarrt, hatte die Sekunden gezählt, dann die Minuten und schließlich Stunden. Und irgendwie brachte er ganze Tage zusammen und lebte immer noch.

Die Nächte erledigte er in der Idülle, einer Kneipe, die bis fünf Uhr morgens geöffnet hatte und mit ihrem steinalten Sumpf-Design das passende Weltuntergangs-Ambiente bot. Das Lokal bestand nur aus einer zentralen, runden Theke, einem Monstrum aus geschwärztem Holz, das fast den ganzen Raum einnahm. Unter den Stammgästen hieß der Laden auch Café Venedig, weil die Theke von unten her wegfaulte und jedes Jahr um ein paar Millimeter sank.

Die Idülle war die Endstation. Hier versammelten sich die Wracks der Nacht und erzählten einander, dass ihr Leben famos wäre oder doch zumindest irgendetwas anderes als einfach nur zum Heulen.

Hier strandeten die Lustgreise, mit den aus Restbeständen gewundenen Pferdeschwänzen, verdrängt von den Jungwölfen, die noch mit den eigenen Zähnen grinsten.

Und hier hockten die stillen Brüter, die stundenlang vor sich hinstierten, bis sie, von einer plötzlichen Fehlschaltung durchzuckt, dem Nachbarn die Faust ins Gesicht rammten.

Trotzdem ging es in der Idülle meist friedlich zu, und das lag an den nahezu monarchistischen Verhältnissen: Hier war kein Kunde König. Hier gab es nur eine Königin, und das war Rosa. Sie war die absolute Herrscherin dieses völlig versifften Tempels – die Wärterin eines räudigen Männerrudels, das Nacht für Nacht ihr erotisches Lagerfeuer umzingelte und jede ihrer Bewegungen mit blutunterlaufenen Augen verfolgte.

Rosa kokettierte nicht, lachte über keinen Witz und erwies bei Weitem nicht jeder Bestellung die Gnade ihrer Aufmerksamkeit.

Die Benutzung spaßiger Anreden wie »Heh, Mädel« oder »Hallo Fräulein« war ein sicheres Mittel, auf dem Trockenen sitzen zu bleiben. Eine Amnestie erfolgte allenfalls nach mehrmaliger Neuformulierung und sehr lautem »Bitte!«.

Wagte jemand einen Satz wie: »Schatz, mach mir mal …« – lag er auf den Brettern, bevor er »ein Bier« ausgesprochen hatte. Sie wischte ihn einfach vom Hocker, nachlässig, nebenbei, fast liebevoll und ohne ihren Bewegungsfluss wirklich zu unterbrechen.

Rosa war kein Schatz.

Hendrik hatte miterlebt, was passierte, wenn sie ernsthaft böse wurde. Ein Taxifahrer, der sich darüber ärgerte, dass seine Fahrgäste nicht auf ihn gewartet hatten, verlangte eine Entschädigung für seine Anfahrt.

Rosa ignorierte ihn.

Der Taxifahrer setzte sich an die Theke und schwor, nicht eher zu gehen, bis er sein Geld hätte, doch Rosa nahm weiterhin keinerlei Notiz von ihm. Irgendwann begann er herumzubrüllen, beschimpfte sie und nannte sie eine »blöde Fotze!«.

Es wurde ganz still.