Zirkulum - Sarah Sander - E-Book

Zirkulum E-Book

Sarah Sander

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Beschreibung

Edward Gregory Bells großer Tag ist gekommen, als er in Vertretung seines Vorgesetzten einen Fall im Außendienst übernehmen darf. Doch statt eines einfachen Vergehens gegen die Arbeitssicherheit erweist sich der Fall als Sabotageakt. Und zu allem Überfluss ist Bells Vorgesetzter nicht mehr zu erreichen. Wie weit wird der Sicherheitsinspektor gehen, um die Sicherheit seiner Stadt zu gewährleisten? Der spannende erste Band der Cyberpunk-Krimireihe »Zirkulum« in einer neuen und überarbeiteten Fassung. Tauchen Sie ein in eine Stadt, in der KI die Regierung übernommen hat!

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Ähnliche


Zirkulum

 

 

Roman

Sarah Sander

 

Independently published

Impressum

 

Text und Verlag

 

Sarah Sander

Gräbenstraße 6

65604 Elz

[email protected]

 

Überarbeitete und verbesserte Auflage, April 2024

Alle Rechte beim Autor

 

Copyright © 2024

by S. Sander (Autor)

 

 

© Covergestaltung 2016 Jenny Zalfen

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

Sonntag, 11. Februar: Edward Gregory Bell

Montag, 12. Februar: Sicherheitsinspektor

Dienstag, 13. Februar: Maschinenrebellion

Mittwoch, 14. Februar: Conviction

Sonntag, 18. Februar: Ring Null

Montag, 19. Februar: In die Stadt

Dienstag, 20. Februar: Der Freizeitring

Mittwoch, 21. Februar: Der Freizeitpark

Donnerstag, 22. Februar: Skyler

Unbekanntes Datum: Custo

Freitag, 23. Februar: Beweissicherung

Samstag, 10. März: Verhandlung

Sonntag, 11. Februar: Edward Gregory Bell

Ed­ward Gre­go­ry Bell schlug mit der Faust auf die Tisch­plat­te. »Ver­dammt noch­mal!«

Der Si­cher­heits­po­li­zist saß an sei­nem Schreib­tisch in dem ge­ka­chel­ten Groß­raum­bü­ro der Si­cher­heits­zen­tra­le und starr­te auf den al­ter­tüm­li­chen LCD-Schirm vor ihm. Zwei wü­ten­de Au­gen spie­gel­ten sich in dem tie­fen Schwarz. Ei­ne stei­le Fal­te zier­te die Stirn dar­über, ein­ge­rahmt von dun­kel­blon­den Haar­sträh­nen, die aus der an­sons­ten ta­del­lo­sen Fri­sur han­gen. Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar, in dem er­folg­lo­sen Ver­such, die Sträh­nen wie­der an ih­ren Platz zu schie­ben. Die Be­we­gung be­ru­hig­te ihn we­ni­ger, als er sich er­hofft hat­te.

Er muss­te die­sen Be­richt heu­te ab­ge­ben, aber na­tür­lich sa­bo­tier­te ihn die Tech­nik. Da­bei soll­te die Kor­rek­tur schon seit Stun­den im Bü­ro von Si­cher­heits­ge­ne­ral Mil­ler lie­gen. Be­vor Clin­ton sei­nen Ur­laub an­ge­tre­ten hat­te. Jetzt hat­te er nur noch Zeit bis zu sei­nem Fei­er­abend. Wenn er den kor­ri­gier­ten Be­richt für sei­nen Vor­ge­setz­ten bis da­hin nicht ab­gab, wür­de Clin­ton Är­ger mit dem Chef be­kom­men. Und dann wür­de Bell Är­ger mit Clin­ton be­kom­men und sei­ne Be­för­de­rung rück­te noch wei­ter in die un­ge­wis­se Zu­kunft. Bells Ma­gen krampf­te sich zu­sam­men, eben­so wie sei­ne Hän­de.

Ein Kol­le­ge am Nach­bar­tisch sah sich zu ihm um. Sein Com­pu­ter lief ta­del­los. Je­der Com­pu­ter in die­sem Raum lief ta­del­los. Je­der, au­ßer Bells.

»Kann ich Ih­nen hel­fen?«, er­kun­dig­te sich der Kol­le­ge.

»Das ver­damm­te Mist­ding hat schon wie­der den Geist auf­ge­ge­ben«, brumm­te Bell. »Das vier­te Mal in den letz­ten zwei Ta­gen.«

»Was ha­ben Sie ge­macht?«

»Was ich ge­macht ha­be?« Bell fuhr her­um. Er stier­te sei­nen Kol­le­gen an, als hät­te die­ser ihn ei­nes Mor­des be­zich­tigt, dann schüt­tel­te er den Kopf. Er muss­te sich be­ru­hi­gen. Sein Kol­le­ge hat­te nichts mit der Sa­che zu tun. Es war ein Kampf zwi­schen ihm, dem Com­pu­ter und der la­xen Ar­beits­mo­ral sei­nes Vor­ge­setz­ten. »Nichts. Ich war da­bei, Clin­tons Fal­lak­te zu kor­ri­gie­ren, als das Ding ein­fach run­ter­ge­fah­ren ist.« Er klopf­te mit den Fin­ger­knö­cheln auf das Ge­häu­se des wür­fel­för­mi­gen Rech­ners, et­was fes­ter als nö­tig. Ein hoh­les Geräusch hall­te über den Schreib­tisch. »Macht piep und geht aus. Wenn ich es nicht bes­ser wüss­te, wür­de ich sa­gen, dass ein Vi­rus in Clin­tons Do­ku­men­ten ist.«

Er woll­te den letz­ten Satz wie einen Scherz klin­gen las­sen, aber er war noch im­mer zu wü­tend über den Ab­sturz, so dass es wie ein Vor­wurf her­vor­kam.

Sein Kol­le­ge run­zel­te die Stirn. »Ging es bei dem Fall nicht um so­was? Spio­na­ge oder Sa­bo­ta­ge?«

Bell schüt­tel­te den Kopf. All­mäh­lich ent­spann­te sich sein Ma­gen wie­der. »Ich glau­be nicht. Ist bloß der Strom­aus­fall. Von ei­nem Vi­rus steht nichts in dem Be­richt. So­weit ich ihn le­sen konn­te. Vier­mal. Ver­dammt. Ich ha­be die­sen Be­richt vier­mal zur Hälf­te ge­le­sen, und al­les nur, weil Mil­ler zu gei­zig ist, uns end­lich neue Com­pu­ter zu be­sor­gen. Wie lan­ge sind die Din­ger schon in Be­trieb? Hun­dert­fünf­zig Jah­re?« Bell sah auf sei­ne ana­lo­ge Arm­band­uhr, ein an­tikes Stück aus den 1980ern Jah­ren.

»Nicht so lan­ge wie dei­ne Uhr je­den­falls. Kann ich hel­fen?«, misch­te sich ei­ne flö­ten­de, viel zu fröh­li­che Stim­me in Bells Aus­bruch. »Ich krieg den gu­ten Blocko si­cher wie­der zum Lau­fen.« Hu­go Reynolds, Chef­tech­ni­ker der Si­cher­heit, lehn­te sich ne­ben Bell an des­sen Schreib­tisch.

Bell sah auf und seufz­te tief. Hu­go, der ein­zi­ge Freund un­ter sei­nen Kol­le­gen, Schön­ling der Be­hör­de und wahn­sin­nig wie al­le Tech­ni­ker. »Was tust du hier? Und wer ist Blocko?«

Hu­go deu­te­te auf den Laut­spre­cher über der Tür, oh­ne auf­zu­se­hen: »Der Chef hat mich her­ge­schickt. Er meint, sei­ne Durch­sa­gen kom­men in letz­ter Zeit nicht an.«

»Ist er si­cher, dass es an den Laut­spre­chern liegt und nicht dar­an, dass al­le ihn igno­rie­ren?«

»Wann hast du das letz­te Mal ei­ne Durch­sa­ge ge­hört?«

»Ist was dran. Aber wenn Mil­ler dich schickt, soll­test du dich lie­ber um dei­nen Auf­trag als um mei­nen Rech­ner küm­mern.« Bell stand auf. »Ich wer­de jetzt nach Hau­se ge­hen. Soll sich Clin­ton selbst um den ver­damm­ten Be­richt küm­mern. In den in­ne­ren Rin­gen gibt es so­wie­so nichts Sinn­vol­les zu tun.«

Der Si­cher­heits­tech­ni­ker beug­te sich über den Tisch und be­trach­te­te den Com­pu­ter, oh­ne ihn zu be­rüh­ren. »Du hast al­so nur den Be­richt ge­le­sen?«

»Kor­ri­giert. Ei­gent­lich soll­te ich ihn heu­te Vor­mit­tag ab­ge­ben, be­vor Clin­ton sich da­von­macht. Aber das däm­li­che Teil spielt nicht mit. Und jetzt frisst es sich in mei­nen Fei­er­abend, wie es aus­sieht. Ganz ehr­lich, bei der Ar­beit, die ich für ihn ma­che, könn­te ich auch gleich Clin­tons Pos­ten krie­gen.« Bell zog das schwar­ze Jackett sei­ner Uni­form von der Rücken­leh­ne sei­nes Schreib­tisch­stuhls und leg­te es sich über die Schul­ter, dann griff er nach sei­ner Geld­bör­se auf dem Schreib­tisch.

»Wenn du mir fünf Mi­nu­ten gibst, be­kom­me ich Blocko wie­der hin.« Hu­go setz­te sich. Er zog den Com­pu­ter zu sich her­an, lös­te die Klap­pe und be­gut­ach­te­te die Pla­ti­nen im In­ne­ren. »Oder auch nicht. Was hast du ge­macht? Hast du Kaf­fee ins Ge­häu­se ge­schüt­tet?«

»Ich sag­te doch, die Rech­ner hier sind über­al­tert. Al­so, kriegst du es vor Fei­er­abend hin oder nicht?«

»Mmh«, mach­te Hu­go und wieg­te den Kopf. Er stöp­sel­te die Ka­bel von dem Wür­fel und zog ihn nä­her zu sich, dann sah er zu den Laut­spre­chern auf. »Ich wer­de einen mei­ner Leu­te da­mit be­auf­tra­gen müs­sen, fürch­te ich. Der Chef geht vor.«

»Al­so kein Fei­er­abend?« Bell seufz­te. Und das al­les nur, weil Clin­ton sei­ne Ar­beit nicht selbst er­le­di­gen konn­te. »Was soll ich Mil­ler sa­gen?«

»Gar nichts. Ich be­stä­ti­ge dir den De­fekt. Aber wenn du dich auf sei­ne gu­te Sei­te stel­len willst, soll­test du den Be­richt viel­leicht zu Hau­se fer­tig kor­ri­gie­ren.«

Bell seufz­te. Er nahm die Chip­kar­te mit Clin­tons Un­ter­la­gen vom Schreib­tisch und nick­te. »Wahr­schein­lich hast du Recht. Viel Er­folg mit dem Laut­spre­cher und eh­re Cu­sto.«

»Du gehst jetzt schon? Wir ha­ben nicht mal halb sechs.«

»Kann ich hier noch was ma­chen? Nein. Al­so wer­de ich den Kram mit nach Hau­se neh­men und von dort ar­bei­ten. Wir se­hen uns spä­ter!« Bell zog sein Jackett über, pack­te sei­nen Man­tel und ver­ließ die Si­cher­heits­zen­tra­le. Ei­si­ger Fe­bruar­wind schlug ihm ent­ge­gen. Er wi­ckel­te sich fes­ter in den schwar­zen Man­tel und stapf­te die Stra­ße ent­lang zu den Wohn­ge­bie­ten von Ring Drei.

 

Er er­reich­te den Wohn­kom­plex ei­ne hal­be Stun­de spä­ter. Ein ein­zel­nes Mo­tor­rad tu­cker­te an ihm vor­bei. Er sah ihm nach und lä­chel­te in sich hin­ein, doch sei­ne Knie zit­ter­ten. Der Fah­rer und das Mo­tor­rad bo­gen um die nächs­te Kur­ve. Bell wand­te sich ab und stieg die me­tal­le­nen Stu­fen zu sei­ner Woh­nung hin­auf. Sei­ne Schrit­te mach­ten ein hoh­les Geräusch, das als Echo von den ecki­gen Ge­bäu­den mit ih­ren gelb-grau­en Fassa­den zu­rück­ge­wor­fen wur­de. Im­mer­hin bil­de­te der Kom­plex ei­ne U-Form, ein Schutz, ge­gen den Wind, der Bell auf dem Weg be­glei­tet hat­te.

Er trot­te­te an der Woh­nung ne­ben sei­ner vor­bei. Sein Blick durch das Fens­ter sei­nes Nach­barn. Glän­zen­de Bau­tei­le und al­te Pla­ti­nen war­fen das Licht der Stra­ßen­la­ter­nen zu­rück. Elek­troschrott ver­steck­te die Mö­bel und den Fuß­bo­den.

Bell seufz­te. Ring Drei glich im­mer mehr den äu­ße­ren Rin­gen, schmut­zig und ver­ges­sen. Kein Ort für einen Si­cher­heits­be­am­ten. Aber oh­ne Be­för­de­rung konn­te er nicht ein­mal von träu­men, einen Bun­ga­low in Ring Vier zu be­zie­hen. Ein schickes Haus mit run­den Wän­den und Platz für ein ei­ge­nes Aqua­ri­um. Kein Hüh­ner­kä­fig wie sei­ne jet­zi­ge Woh­nung. Aber als Mit­ar­bei­ter im In­nen­dienst war er für Cu­sto zu un­be­deu­tend, um einen ho­hen Sta­tus zu recht­fer­ti­gen. Da­mit er über­haupt Aus­sicht auf einen hö­he­ren Sta­tus hat­te, kor­ri­gier­te er Clin­tons Be­rich­te. Um dann bei der nächs­ten Be­för­de­rung über­gan­gen zu wer­den. We­nigs­tens konn­te er nach ge­ta­ner Ar­beit in den Ster­la ge­hen, den Dart­club im nörd­li­chen Ring Drei.

Er zog sei­ne ID-Kar­te durch den Schlitz ne­ben der Ein­gangs­tür. Die Tür sprang auf, Bell trat ein und setz­te sich an den win­zi­gen Tisch hin­ter der Tür, auf dem sein trag­ba­rer Com­pu­ter stand. Ein klo­bi­ges Stück aus Hu­gos pri­va­ter Samm­lung, noch aus ih­ren Schul­ta­gen, ge­nau­so lang­sam wie die Rech­ner im Bü­ro, aber deut­lich zu­ver­läs­si­ger. Bell klapp­te ihn auf und star­te­te. Wäh­rend der al­te Rech­ner die Ar­beit auf­nahm, schloss Bell ein Le­se­ge­rät für die Chip­kar­te an. Er ko­pier­te den Be­richt auf den Desktop und kor­ri­gier­te zum fünf­ten Mal die ers­te Hälf­te des Be­richts. Strom­aus­fall im Fa­brik­vier­tel von Ring Drei. Die Lis­te der bis­her be­trof­fe­nen Ge­bäu­de. Kei­ne Ge­sprä­che mit Zeu­gen. Bell gähn­te. Nor­ma­ler­wei­se be­nei­de­te er die In­spek­to­ren um ih­re Auf­ga­ben, aber Clin­ton über­wach­te die Fa­bri­ken zu­stän­dig. Der Auf­pas­ser für die Tech­nik­be­hör­de. Ein bes­se­rer Pa­pier­ti­ger. Nur durf­te Si­cher­heits­in­spek­tor Clin­ton den Pa­pier­kram ab­schie­ben.

Bell rieb sich über die Au­gen und las wei­ter. Die zwei­te Hälf­te des Be­richts be­schäf­tig­te sich mit der Ur­sa­che des Strom­aus­falls, ei­nem De­fekt im Kraft­werk. Bell span­te sich. Clin­ton hat­te kei­nen Hin­weis auf ein tech­ni­sches Pro­blem ge­fun­den, al­so blie­ben die Soft­wa­re oder ein Ver­sa­gen der Mit­ar­bei­ter. Aber Clin­ton schi­en nicht weit ge­nug ge­kom­men zu sein. Sein Ur­laub hat­te die Er­mitt­lun­gen ab­ge­bro­chen, noch ehe er sie rich­tig auf­ge­nom­men hat­te. Und Bell muss­te sich recht­fer­ti­gen, wenn er das Bü­ro ei­ne Stun­de eher ver­ließ, ob­wohl es nichts mehr zu tun gab. Er schnaub­te. Sein Blick glitt vom Bild­schirm des Lap­tops zu der Wand ge­gen­über der Ein­gangs­tür, wo sein Bett stand. Wenn er im Au­ßen­dienst ar­bei­ten und in ei­ner schi­cken Woh­nung mit Aqua­ri­um woh­nen wür­de, wür­de er den Fall nicht ein­fach ru­hen las­sen. Aber so blieb ihm nichts an­de­res üb­rig, als den Be­richt zu kor­ri­gie­ren und sich auf sei­ne Frei­zeit vor­zu­be­rei­ten.

Mit ei­nem ar­beits­wil­li­gen Rech­ner schloss Bell sei­ne Ar­beit rasch ab. Er schick­te den fer­ti­gen Be­richt über das Netz­werk der Si­cher­heit an Mil­ler und ließ sich an­schlie­ßend auf sein Bett sin­ken. Sein Blick fiel auf den Wä­sche­korb ne­ben der Ba­de­zim­mer­tür. Die Wä­sche dar­in quoll über die Rän­der. Wei­ße und schwar­ze Hem­den, ei­ne schwar­ze Ho­se, zwei Jacketts. Un­ter­wä­sche. Und ir­gend­wo da­zwi­schen ein Woll­pull­over, den sei­ne Schwes­ter ihm zum letz­ten Ge­burts­tag ge­schenkt hat­te. Ei­nes der we­ni­gen Klei­dungs­stücke, das nicht zu sei­ner Uni­form ge­hör­te. Bell schüt­tel­te den Kopf. Er muss­te un­be­dingt zur Wä­sche­rei. Vi­el­leicht wä­re ein Haus­halts­ro­bo­ter kei­ne schlech­te Idee, aber al­lein der Ge­dan­ke, sei­nen Haus­halt ei­ner Ma­schi­ne an­zu­ver­trau­en, würg­te Bell. Bes­ser ei­ne Haus­halts­hil­fe aus Fleisch und Blut, aber da wuss­te nie, wen man sich ins Haus hol­te. Er ar­bei­te­te bei der Si­cher­heit, er hat­te Zu­gang zu sen­si­blen Da­ten. Und einen Ge­dan­ken­chip, den je­mand aus­le­sen konn­te. Nein, ihm blieb nichts an­de­res üb­rig, als sei­ne we­ni­ge Frei­zeit so ein­zu­tei­len, dass er nicht ir­gend­wann nackt im Haupt­quar­tier der Si­cher­heit er­schi­en.

Er stand auf und wühl­te in dem Korb nach dem Pull­over. Dun­kel­rot mit Strei­fen in ei­ner un­de­fi­nier­ba­ren Far­be. Krat­zig. Und er roch un­an­ge­nehm. Bell warf ihn wie­der auf den Sta­pel. Un­ter den Um­stän­den wür­de er spä­ter in der schwar­zen Ho­se und ei­nem wei­ßen Hemd im Club auf­schla­gen. Oh­ne Kra­wat­te, da­mit es nicht zu for­mell aus­sah.

 

Sein Weg führ­te ihn erst zur nächs­ten U-Bahn-Sta­ti­on und von dort zum Haupt­quar­tier der Tech­nik. Bell stapf­te die Stu­fen zum Aus­gang hin­auf, blieb auf hal­ber Stre­cke ste­hen und las den ver­wit­ter­ten gel­ben Zet­tel. Die U-Bahn in Ring Drei soll­te schon vor Ewig­kei­ten ge­schlos­sen wer­den, da­mit man den Ring an das ober­ir­di­sche Bus­netz an­schlie­ßen konn­te. Ei­ne Kon­troll­maß­nah­me, um es Be­woh­nern der äu­ße­ren Rin­ge zu er­schwe­ren, sich ins In­ne­re der Stadt zu schlei­chen. Aber die Nach­richt trug kein Da­tum und of­fen­sicht­lich hat­ten selbst Cu­stos Schalt­krei­se das Vor­ha­ben ver­ges­sen.

Das Krei­schen der U-Bahn riss Bell aus sei­nen Ge­dan­ken. Er ver­ließ die Sta­ti­on und schlen­der­te über die brei­ten, bei­na­he men­schen­lee­ren Stra­ßen zu ei­ner Sei­ten­gas­se zwi­schen den Back­stein­häu­sern. Ob­wohl sie den An­schein von drei­hun­dert Jah­re al­ter Archi­tek­tur er­we­cken soll­ten, er­kann­te Bell, dass es sich um mo­der­ne Häu­ser han­del­te. Der Stil der Tü­ren und Fens­ter pass­te nicht zur Far­be und Be­schaf­fen­heit der Stei­ne. Aber die Ko­pi­en wa­ren im­mer noch bes­ser als die her­un­ter­ge­kom­me­nen Woh­nun­gen oder die glä­ser­nen Tür­me der Si­cher­heits­zen­tra­le. Back­stein hat­te Ch­ar­me.

An dem Haus zu sei­ner Rech­ten blink­te ei­ne Leucht­re­kla­me, um Passan­ten die Tür zum Club Ster­la zu zei­gen. Nicht, dass es nö­tig war, denn um die­se Uhr­zeit be­wach­te ein aus­ge­wach­se­ner Go­ril­la in grau­em An­zug den Zu­gang. Der Mann war auf­fäl­li­ger als das Schild und schrie ge­ra­de­zu die Wor­te be­gehr­ter Club. Vor al­lem war der Tür­ste­her des Dart­clubs ein Mensch, kein Ro­bo­ter, kein An­dro­id. Ei­ne le­ben­di­ge, den­ken­de Per­son.

Bell trat auf den Mann zu und grüß­te ihn bei­läu­fig. »Wie lau­fen die Ge­schäf­te, To­ni?«

»Wie im­mer, Mis­ter Bell. Heu­te nur Sie?«

»Ist Hu­go noch nicht da? Ei­gent­lich woll­ten wir zu­sam­men an dem frei­en Tur­nier heu­te Nacht teil­neh­men.«

Der Tür­ste­her schüt­tel­te den Kopf, der ge­gen die brei­ten Schul­tern lä­cher­lich klein wirk­te. »Hab ihn nicht ge­se­hen.«

»Wahr­schein­lich kommt er noch. Er hat­te heu­te ei­ne Men­ge zu tun.« Bell trat an To­ni vor­bei in das Däm­mer­licht des Flurs. Er be­eil­te sich, in den ei­gent­li­chen Club zu kom­men, einen hell er­leuch­te­ten, großen Raum, in des­sen Mit­te ei­ne run­de Bar auf ihn war­te­te. Wän­de, Pols­ter und der An­strich der Bar er­füll­ten den Raum mit ei­nem be­ru­hi­gen­den Blau, sanf­te Mu­sik säu­sel­te aus den De­cken­laut­spre­chern, lei­se ge­nug, um nicht zu stö­ren.

Bell setz­te sich an den Tre­sen, nick­te dem Wirt zu und be­ob­ach­te­te drei jun­ge Män­ner, die auf ei­ner der kur­z­en Sei­ten Darts spiel­ten. Der Abend war noch jung und die meis­ten Gäs­te des Clubs er­schie­nen erst ge­gen neun Uhr.

»Heu­te ganz al­lein?«, er­kun­dig­te sich der Wirt, als er das Bier vor Bell ab­stell­te.

Bell trank einen Schluck, ehe er ant­wor­te­te: »Hu­go hat noch zu tun, neh­me ich an. Er wird spä­ter da­zu sto­ßen. Ich kann mir nicht vor­stel­len, dass er sich die Chan­ce ent­ge­hen las­sen wird, ein paar Grün­schnä­bel ab­zu­zie­hen.« Er lach­te und deu­te­te auf die klei­ne Grup­pe. »Ich hof­fe, die Bur­schen spie­len sich rich­tig warm.«

Der Bar­kee­per ging nicht auf die Be­mer­kung ein. Er sor­tier­te die Ge­trän­ke hin­ter sich und frag­te bei­läu­fig: »Wa­rum brin­gen Sie ei­gent­lich im­mer nur ih­ren Kol­le­gen mit?«

Bell stock­te. Er klam­mer­te sich an sein Bier und blin­zel­te sein Ge­gen­über an. »Was soll die Fra­ge?«

Der Bar­kee­per deu­te­te erst auf die vier jun­gen Män­ner, dann auf einen Tisch in der Ecke, an dem vier jun­ge Frau­en sa­ßen. »Es wird Zeit für Sie, nicht wahr?«

Bell ent­spann­te sich. Er zuck­te mit den Schul­tern. »Hu­go hat es drin­gen­der als ich. Au­ßer­dem ha­be ich da­für kei­ne Zeit. Genau des­halb gibt es Cu­stos Sys­tem, nicht wahr?«

»Glau­ben Sie an das Sys­tem?«

Bell prall­te zu­rück. Er griff has­tig nach sei­nem Glas und trank einen großen Schluck, um Zeit zu ge­win­nen. Tes­te­te der Wirt ihn? Mein­te er Fra­ge ernst ge­meint? »Sie wis­sen, dass ich von der Si­cher­heit kom­me. Ich könn­te Sie für die Fra­ge ver­haf­ten.«

»Oh, so mein­te ich das nicht.« Der Bar­kee­per hob ab­weh­rend die Hän­de. »Aber Sie sind kein Freund der Tech­nik, wenn ich mich rich­tig er­in­ne­re. Es wun­dert mich, dass Sie aus­ge­rech­net bei so mensch­li­chen Din­gen wie der Lie­be ei­nem Com­pu­ter­pro­gramm Ver­trau­en schen­ken.«

»Men­schen ir­ren, vor al­lem in der Lie­be. Com­pu­ter mö­gen ka­putt ge­hen, aber so­lan­ge sie or­dent­lich lau­fen, ir­ren sie nicht. Und Cu­sto läuft or­dent­lich.«

»Schon seit hun­dert Jah­ren.« Der Bar­kee­per lä­chel­te. Er schob die An­mel­de­lis­te für das Dart­stur­nier spä­ter am Abend über den Tre­sen zu Bell. »Aber las­sen wir das. Sie und Hu­go wol­len teil­neh­men?«

»Wenn Hu­go noch kommt. Die Tech­nik im Bü­ro hat heu­te kol­lek­tiv den Geist auf­ge­ge­ben, fürch­te ich.« Bell zog sein Ho­lo­fon aus der Ta­sche, kein An­ruf und kei­ne Nach­richt von Hu­go. Er schüt­tel­te den Kopf. »Ich wer­de ihn bes­ser an­ru­fen und nach­fra­gen.«

Bell stand auf. Er such­te sich ei­ne stil­le Ecke im Club, ab­seits der Dart­schei­ben und war­te­te dar­auf, dass Hu­go den An­ruf an­nahm. Doch nie­mand mel­de­te sich. Bell leg­te auf und be­trach­te­te miss­trau­isch sein Ho­lo­fon, dann ver­such­te er er­neut, sei­nen Freund zu er­rei­chen. Auch der zwei­te An­ruf blieb oh­ne Er­folg. Bell kehr­te zum Tre­sen zu­rück. »Er geht nicht ran. Sieht ihm gar nicht ähn­lich.«

»Vi­el­leicht ist er schon auf dem Weg hier­her?«

Bell wieg­te den Kopf. In der U-Bahn gab es kei­nen gu­ten Empfang, viel­leicht hat­te Hu­go den An­ruf nicht mit­be­kom­men. »Wahr­schein­lich ha­ben Sie recht. Wie lan­ge ha­ben wir für die An­mel­dung Zeit?«

»Sie bei­de krie­ge ich im­mer noch rein ge­quetscht, ma­chen Sie sich kei­ne Sor­gen.«

Es nicht das Tur­nier sorg­te Bell. Hu­go mel­de­te sich we­der in den nächs­ten vier­zig Mi­nu­ten, noch er­schi­en er im Club. Bell hoff­te, dass die Re­pa­ra­tur der Laut­spre­cher in der Zen­tra­le Hu­go auf­hielt, aber er konn­te sich nicht völ­lig von dem Ge­dan­ken lö­sen, dass et­was pas­siert sein konn­te. Er muss­te sich ab­len­ken. Hu­go war ein er­wach­se­ner Mann, kurz vor der Ver­part­ne­rung durch Cu­sto, und ein Be­am­ter der Si­cher­heits­be­hör­de. Und ein Tech­ni­ker. Hu­go konn­te bes­ser auf sich auf­pas­sen als Bell. Hu­go war im­mer da­von­ge­kom­men.

Bell schau­kel­te sein Bier­glas auf sei­nem Rand hin und her, sah zur Tür und zu­rück zum Wirt. »Vi­el­leicht kommt Hu­go auch heu­te nicht mehr. Ha­ben Sie zu­fäl­lig ein Ki­no­pro­gramm hier?«

»Für heu­te? Es lau­fen sonn­tags kei­ne Klas­si­ker.«

»Ein neu­er Film kann auch ei­ne gu­te Idee sein.«

Montag, 12. Februar: Sicherheitsinspektor

Bell kam am nächs­ten Mor­gen un­ru­hig ins Bü­ro. Hu­go hat­te sich den gan­zen Abend nicht mehr ge­mel­det. Ob doch et­was pas­siert war? Oder hat­te er die Zen­tra­le am En­de gar nicht erst ver­las­sen? Vi­el­leicht soll­te Bell zu­erst in der Werk­statt nach­hö­ren, aber das wür­de be­deu­ten, durch die Kel­ler­flu­re zu lau­fen. Für nichts, schlimms­ten­falls. Ob er statt­des­sen an­ru­fen oder ei­ne Nach­richt schi­cken soll­te? Hu­gos Kol­le­gen ant­wor­te­ten mit Si­cher­heit.

Bell ließ sich vor sei­nem Schreib­tisch auf den Stuhl fal­len und streck­te den Arm nach dem Ein­schalt­knopf aus. Das Gerät fuhr mit ei­nem lei­sen Pie­pen hoch. Im­mer­hin hat­te Hu­go oder ei­ner sei­ner Kol­le­gen die Re­pa­ra­tur be­en­det. Wäh­rend er dar­auf war­te­te, dass der Rech­ner ein­satz­be­reit war, sah er aus dem Fens­ter auf die Stra­ße vor dem Ge­bäu­de. Er er­kann­te ei­ni­ge sei­ner Kol­le­gen, sah ih­nen nach, bis sie vor der Pfor­te im Nichts ver­schwan­den und schüt­tel­te den Kopf. So früh am Mor­gen tra­fen erst die Pa­pier­ti­ger ein, die Be­am­ten im In­nen­dienst, wie er. Die kleins­ten Lich­ter, auf de­nen die ge­sam­te Si­cher­heit ruh­te. Nach ih­nen ka­men die In­spek­to­ren, wie Clin­ton, die Män­ner und Frau­en, die den größ­ten Teil der Ar­beit stemm­ten, Er­mitt­lun­gen au­ßer­halb der Zen­tra­le führ­ten. Im­mer nach dem Auf­trag des Chefs, na­tür­lich. Clay­ton Mil­ler selbst kam nor­ma­ler­wei­se ge­gen zehn ins Bü­ro, noch vor den Agen­ten. Die Mit­ar­bei­ter, die nach neu­en Fäl­len such­ten und oh­ne di­rek­te An­wei­sung er­mit­teln durf­ten. Hu­go be­gann sei­nen Tag ir­gend­wann zwi­schen dem der In­nen­dienst­mit­ar­bei­ter und Agen­ten. Spä­ter als Bell. Vi­el­leicht war er noch nicht im Haus.

Bell schüt­tel­te hef­tig den Kopf. Er konn­te sich nicht ewig da­mit her­aus­re­den, dass Hu­go ein er­wach­se­ner Mann war und auf sich auf­pas­sen konn­te. Er re­de­te von Hu­go Reynolds. Sein Freund war zwar bis­her aus al­len Schwie­rig­kei­ten heil her­aus­ge­kom­men, aber je­de von ih­nen war selbst­ver­schul­det. Hu­go be­saß ein Ta­lent, in Schwie­rig­kei­ten zu ge­ra­ten. Und der Tun­nel zur Werk­statt? Der dunkle Sch­lund mit ei­nem ein­zi­gen, fla­ckern­den Licht auf sei­ner gan­zen Län­ge konn­te ihn nicht auf­hal­ten. Nicht heu­te. Er stand ruck­ar­tig auf und stapf­te zum Auf­zug. Doch ehe er den Ruf­knopf be­rühr­te, klin­gel­te als sein Ho­lo­fon. Er kram­te das klei­ne Gerät her­vor und stock­te. Das Dis­play zeig­te Mil­lers Na­men. Bell at­me­te tief durch und nahm den An­ruf an.

Mil­ler war­te­te gar nicht erst auf ei­ne Re­ak­ti­on. »Clin­ton, Ihr Be­richt ist un­zu­rei­chend. Über­ar­bei­ten Sie ihn bis heu­te Abend!«

Bell seufz­te. Clin­ton hat­te sein Dienst-Ho­lo­fon auf Bells um­ge­lei­tet und jetzt konn­te Bell sich mit Mil­ler her­um­är­gern. Und egal, wie sehr er sich um Hu­go sorg­te, Mil­ler ging vor. Bell kehr­te an sei­nen Schreib­tisch zu­rück und rief sei­nen Chef an. »Si­cher­heits­ge­ne­ral, ich ru­fe we­gen des Be­rich­tes von Si­cher­heits­in­spek­tor Clin­ton an. Mis­ter Clin­ton ist in Ur­laub, wie Sie wis­sen. Ich kann den Be­richt nicht wei­ter über­ar­bei­ten, da­für feh­len mir lei­der die nö­ti­gen In­for­ma­tio­nen.«

Mil­ler schwieg. Er schwieg so lan­ge, dass Bell fürch­te­te, die Ver­bin­dung sein ab­ge­bro­chen. End­lich ant­wor­te­te der Si­cher­heits­ge­ne­ral: »Dann schluss­fol­gern Sie aus dem, was Ih­nen vor­lie­gen ir­gen­det­was. Das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um will über den Fall auf dem Lau­fen­den ge­hal­ten wer­den. Ich kann nicht war­ten, bis Clin­ton aus Ring Sie­ben zu­rück ist.«

Bell schnapp­te nach Luft, blin­zel­te hef­tig. Ei­ner sei­ner Kol­le­gen schob ihn zur Sei­te, um zum Auf­zug zu ge­lan­gen, und er ließ es ge­sche­hen. Hat­te sein Chef ihm ge­ra­de auf­ge­tra­gen, das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um zu be­lü­gen? In Clin­tons Na­men? Bell schluck­te. Er spann­te sei­ne Schul­tern und nick­te hef­tig. »Na­tür­lich. Si­cher. In Ord­nung. Ehren Sie Cu­sto.«

»Sie sind ein gu­ter Mit­ar­bei­ter, Bell. Ich dan­ke Ih­nen. Ehren Sie Cu­sto!«

Mil­ler leg­te auf. Bell sah einen Mo­ment ver­wirrt auf das Ho­lo­fon in sei­ner Hand. Nach und nach fan­den die Ge­dan­ken zu ihm zu­rück. Er knurr­te. Wie­so bliebt Clin­tons ge­sam­te Ar­beit an ihm hän­gen? Das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um be­ru­hi­gen? Das ge­hör­te nicht ein­mal mehr an­nä­hernd in zu den Auf­ga­ben ei­nes Si­cher­heits­po­li­zis­ten im In­nen­dienst! Er soll­te einen An­trag stel­len, ins Fund­bü­ro zu­rück ver­setzt zu wer­den. Dort blie­ben ei­nem po­ten­ti­ell le­bens­be­droh­li­che Auf­ga­ben we­nigs­tens er­spart.

Bell run­zel­te die Stirn. Le­bens­be­droh­lich oder le­bens­ver­än­dernd? Hu­go wür­de ihm mit Si­cher­heit ra­ten, die Auf­ga­be als Chan­ce zu se­hen. Mil­ler be­ach­te­te ihn und wenn der Be­richt zur Zufrie­den­heit des Wahr­heits­mi­nis­te­ri­ums aus­fiel, wür­de Bell doch noch sei­ne Be­för­de­rung er­hal­ten. Bell lä­chel­te grim­mig. Mil­ler wür­de den bes­ten Be­richt be­kom­men, den er ab­lie­fern konn­te.

Er kehr­te zu sei­nem Schreib­tisch zu­rück und mach­te sich er­neut an die Ar­beit. Er muss­te die Da­tei be­ar­bei­tet ha­ben, be­vor die­ser vier­e­cki­ge Schrott­hau­fen zum fünf­ten Mal be­schloss, eben­falls Ur­laub zu neh­men.

Bell hef­te­te sei­ne Au­gen auf dem Be­richt. Seit ges­tern hat­te sich nichts an sei­nem In­halt ver­än­dert. Wie auch? Mil­ler mach­te sich nicht die Mü­he, Stel­len zu mar­kie­ren, die dem Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um nicht aus­rei­chen wür­den. Als ob Bell wüss­te, was die Re­gie­rung hö­ren woll­te. Soll­te er sich Zeu­gen­aus­sa­gen aus­den­ken? Kei­ne gu­te Idee. Er konn­te höchs­tens ei­ni­ge Schluss­fol­ge­run­gen zie­hen. Aber er hat­te die La­ge im Kraft­werk nicht über­prüft, wie tref­fend konn­ten sei­ne Schluss­fol­ge­run­gen sein?

Bell seufz­te. Das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um wür­de nicht er­fah­ren, dass er den Be­richt an Clin­tons Stel­le ver­fasst hat­te, al­so wür­den sie ihm auch nicht nach­set­zen. Hof­fent­lich. Bell knack­te mit den Fin­ger­knö­cheln, spann­te die Schul­tern und tipp­te ei­ne ers­te Ana­ly­se in den Be­richt, dann stopp­te er wie­der.

Der Cur­sor blink­te un­nach­gie­big hin­ter dem letz­ten Wort, Mit­ten im Satz.

Bell kau­te auf ei­nem Fin­ger und starr­te auf den Bild­schirm. Was, wenn das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um doch er­fuhr, dass er den Be­richt für Clin­ton ver­fasst hat­te? Ein Si­cher­heits­po­li­zist, der das Kraft­werk nicht ein­mal von au­ßen se­hen durf­te. Ge­schwei­ge denn in dem Fall er­mit­teln. Konn­te er sich aus der Af­fä­re win­den, in­dem er die Schuld auf Mil­ler schob? Mil­ler war der Si­cher­heits­ge­ne­ral. Selbst das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um wür­de es nicht wa­gen, ihn an­zu­rüh­ren. Nicht we­gen ei­ner sol­chen Klei­nig­keit. Aber er, Bell, der Pa­pier­ti­ger, war er­setz­bar.

»Du siehst skep­tisch aus«, be­merk­te sein Kol­le­ge vom Nach­bar­tisch.

Bell schüt­tel­te den Kopf. Er rieb sich über die Au­gen, zwang sich, sei­nen Kol­le­gen an­zu­se­hen und ein ent­spann­tes Ge­sicht zu ma­chen. »Ich fra­ge mich nur, warum Clin­ton sich in den Ur­laub ver­zie­hen durf­te, oh­ne den Fall kor­rekt ab­zu­schlie­ßen. Die­ser Be­richt ist ein ein­zi­ges Cha­os.«

»Wie meinst du das?«

»Clin­ton ist mit sei­nen Er­mitt­lun­gen zu kei­nem Er­geb­nis ge­kom­men. Al­les, was er ge­schrie­ben hat, ist, dass es einen Strom­aus­fall gab. Da­für braucht es die Si­cher­heit nicht, so­viel kriegt die Tech­nik al­lein hin. Selbst das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um hat ge­nug Grips da­für.«

Sein Kol­le­ge zuck­te mit den Schul­tern. »Mag sein, aber das geht uns nichts an. Und viel­leicht war es wirk­lich nur ein Strom­aus­fall.«

Bell senk­te den Blick auf den Schreib­tisch. Er such­te erst mit den Au­gen, dann mit den Fin­gern nach ei­nem Stift, tipp­te da­mit auf die Tisch­plat­te. Nur ein Strom­aus­fall? Oh­ne ei­ne Ur­sa­che? In Zir­ku­lum? Er schüt­te­te den Kopf. »Strom­aus­fäl­le pas­sie­ren nicht oh­ne Grund. Ent­we­der ist es tech­ni­sches Ver­sa­gen oder mensch­li­ches. Oder Sa­bo­ta­ge.«

»Sa­bo­ta­ge?« Sein Kol­le­ge lach­te. »Hast du in letz­ter Zeit wie­der einen an­ti­ken Agen­ten­film ge­se­hen? Ganz ehr­lich, warum soll­te je­mand das Kraft­werk sa­bo­tie­ren wol­len? Und wer über­haupt? Die ACA?«

»Kei­ne Ah­nung. Ich will da­mit nur sa­gen, dass der Strom nicht ein­fach aus­fällt, weil ihm lang­wei­lig ist. Vi­el­leicht wur­de ein Ge­ne­ra­tor über­las­tet, das wä­re ein Ver­stoß ge­gen die Ar­beits­si­cher­heit. Oder je­mand hat zur falschen Zeit den falschen Knopf ge­drückt, dann ist es ein Ver­stoß ge­gen die Ma­schi­nen­auf­sicht. Oder ein un­pas­sen­der Ro­bo­ter oder An­dro­id wur­de an der falschen Stel­le ein­ge­setzt, dann ist es …«

Sein Kol­le­ge hob die Hand. »Schon gut. Ehr­lich mal, Cu­sto hät­te dich als mensch­li­chen Bei­sit­zer vor Ge­richt ein­tei­len sol­len, nicht in die Si­cher­heit. Du musst nicht al­le Pa­ra­gra­phen aus­wen­dig kön­nen.«

Bell zuck­te mit den Schul­tern. »Vi­el­leicht nicht im In­nen­dienst.«

»Auch drau­ßen nicht, wet­te ich. Wenn es drauf an­kommt, stö­ren die Re­geln wahr­schein­lich mehr als dass sie hel­fen.« Bells Kol­le­ge wand­te sich von ihm ab. »Du um­gehst sie dann und für den Rest ist der Chef da. Mil­ler darf die Re­geln so bie­gen, dass sie uns nicht im Weg sind. Du als Po­li­zist oder Agent darfst das nicht. Du darfst sie bloß igno­rie­ren, wenn es drauf an­kommt.«

»Wei­se Wor­te von ei­nem Pa­pier­ti­ger. Aber man soll­te die Re­geln nicht um­ge­hen. Bes­ser nutzt du die Schlupflö­cher aus, und da­für musst du die Ge­set­ze gut ken­nen. Aber vor al­lem soll­te man nicht ver­ges­sen, sei­ne Ar­beit zu En­de zu brin­gen.«

Bell at­me­te ge­räusch­voll ein und wand­te sich wie­der dem Be­richt zu. Ja, man durf­te die Re­geln nicht um­ge­hen. Nicht als Agent und erst recht nicht in Mil­lers Po­si­ti­on. Aber ver­mut­lich war es si­che­rer, ein paar Not­lü­gen in den Be­richt zu schrei­ben, als zu­zu­ge­ben, dass man den ver­ant­wort­li­chen Agen­ten mit­ten in den Er­mitt­lun­gen in den Ur­laub ge­schickt hat­te. We­nigs­tens hat­te er jetzt Schluss­fol­ge­run­gen. Ein tech­ni­scher De­fekt er­schi­en zwar bei Clin­tons Da­ten­la­ge un­wahr­schein­lich, aber er wür­de das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um am we­nigs­ten be­un­ru­hi­gen. Und soll­te die Tech­nik­be­hör­de zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis ge­kom­men sein, wür­de Clin­ton spä­ter schon ein Grund ein­fal­len. Die Er­mitt­lun­gen konn­te er im­mer noch wie­der­auf­neh­men, wenn er aus Ring sie­ben zu­rück­kam.

 

Bell stell­te den Be­richt kurz vor der Mit­tags­pau­se fer­tig, doch ge­ra­de in dem Mo­ment, als er einen Kaf­fee ho­len woll­te, knack­te der Laut­spre­cher über der Tür. Dem Knacken folg­ten zwei Se­kun­den Stil­le, dann ein Rau­schen und schließ­lich die ver­zerr­te, ble­cher­ne Stim­me Mil­lers.

»Si­cher­heits­po­li­zist Ed­ward Gre­go­ry Bell! So­fort in mein Bü­ro!«

Bell hielt in der Be­we­gung in­ne und starr­te den Laut­spre­cher an. Die Wor­te sei­nes Chefs prall­ten an ihm ab, so sehr über­rasch­te ihn die Durch­sa­ge selbst. Der Laut­spre­cher funk­tio­nier­te wie­der. Nach all der Zeit, in der sie im Bü­ro ih­re Ru­he vor Mil­ler hat­ten. Hu­go hat­te es ges­tern al­so ernst ge­meint.

Sein Kol­le­ge sah ihn fra­gend an. »Hast du das an­ge­stellt?«

Bell schüt­tel­te den Kopf. Er hat­te kei­ne Ah­nung, was los war oder warum Mil­ler ihn spre­chen woll­te. War schon wie­der et­was es mit Clin­tons Be­richt? Nein, er hat­te ihn ge­ra­de erst ab­ge­schickt, Mil­ler konn­te ihn noch nicht ge­le­sen ha­ben. Aber warum dann die­ser Auf­ruf? Er fühl­te sich bei­na­he wie da­mals in der Schu­le. Ver­las­sen, bloß­ge­stellt. Nicht, dass er sich als Schü­ler viel hät­te zu­schul­den kom­men las­sen. Das war Hu­gos Auf­ga­be ge­we­sen. Trotz­dem, ge­nau so hat­ten sie sich im­mer ge­fühlt, wenn der Di­rek­tor einen ih­rer Na­men durch den Äther ge­brüllt hat­te. An­ge­spannt und pein­lich be­rührt.

Der Laut­spre­cher knack­te er­neut und Clin­tons Stim­me klang noch ble­cher­ner als vor­her: »Si­cher­heits­po­li­zist Ed­ward Gre­go­ry Bell! So­fort in mein Bü­ro!«

Bell zuck­te zu­sam­men. Er schal­te­te rasch den Bild­schirm sei­nes Ar­beits­com­pu­ters ab und ver­ließ be­tont lang­sam das Bü­ro. Sein Herz ras­te und er fürch­te­te, dass sei­ne Bei­ne an­fan­gen wür­den zu zit­tern, soll­te er ste­hen blei­ben. Wo­her kam nur die­se Ner­vo­si­tät? Er hat­te sich nichts zu­schul­den kom­men las­sen, je­den­falls nicht, seit er für die Si­cher­heit ar­bei­te­te. Aber ei­ne sol­che Durch­sa­ge be­deu­te­te nie­mals et­was Gu­tes.

Auf dem Weg zum Auf­zug blieb er ste­hen und sah den Gang hin­ab in Rich­tung der Pfor­te. Ob jetzt die Zeit war, sich krank­zu­mel­den und einen Weg aus der Stadt zu su­chen? Aber wo­hin? In die un­be­wohn­te Wild­nis? Die Sümp­fe um Zir­ku­lum her­um? Da drau­ßen gab es kei­nen Ort, zu dem er flie­hen konn­te.

Der Auf­zug klin­gel­te lei­se, je­mand kam über den Flur auf Bell zu und klopf­te ihm auf die Schul­ter. »Al­les in Ord­nung, Greg?«

Bell zuck­te hef­tig zu­sam­men. Er fuhr her­um.

Hu­go lä­chel­te ihn breit an, gut ge­launt wie im­mer. Nichts deu­te­te dar­auf hin, dass er ges­tern län­ger ge­ar­bei­tet hat­te oder an­der­wei­tig im Stress war.

Bell run­zel­te die Stirn. »Wo kommst du her?«

»Von oben. Ich ha­be Mil­ler das neue Laut­spre­cher­sys­tem er­klärt. Es scheint, als läuft jetzt wie­der al­les.«

»So neu wirkt das Ding an der Wand gar nicht.«

»Ich ha­be auch nicht die Laut­spre­cher aus­ge­tauscht. Nur die Soft­wa­re.«

»Mhm«, mach­te Bell und nick­te höf­lich. Zu viel Tech­nik für sei­ne ver­patz­te Mit­tags­pau­se. »Warst du des­we­gen ges­tern nicht er­reich­bar? Ich hab im Ster­la auf dich ge­war­tet. Das Tur­nier.«

Hu­go schlug sich mit der fla­chen Hand an die Stirn, et­was zu hef­tig, et­was zu schnell. Wie ge­spielt. »Oh, das Tur­nier! Das ha­be ich völ­lig ver­ges­sen. Tut mir leid, Greg.«

»Schon in Ord­nung. Die Ar­beit geht vor.«

Hu­go lä­chel­te flüch­tig und nick­te. Dann dreh­te er sich um und eil­te gruß­los zur Pfor­te.

Bell sah ihm stirn­run­zelnd nach. Et­was an Hu­gos Ver­hal­ten war fremd und selt­sam, und da­bei igno­rier­te er noch die Tat­sa­che, dass sein Freund um zwölf Uhr mit­tags Fei­er­abend zu ma­chen schi­en. Er streck­te die Hand aus. »Hu­go!«

Doch Hu­go war schon au­ßer Hör­wei­te.

Wie­so hat­te er ges­tern Abend nicht ab­ge­sagt, wenn es län­ger dau­er­te? Nein. Wie­so war er über­haupt nicht ge­kom­men, wenn die Re­pa­ra­tu­ren doch nur aus ei­nem ein­fa­chen Soft­wa­reu­p­da­te be­stan­den? Und was hat­te er bei Mil­ler zu su­chen ge­habt? Der Chef der Si­cher­heit ver­stand ge­nug von Com­pu­tern, um ei­ne neue Soft­wa­re auch oh­ne Hil­fe der Tech­nik in den Griff zu be­kom­men. Bell zuck­te zu­sam­men. Mil­ler! Er hat­te kei­ne Zeit, über Hu­go nach­zu­den­ken. Er muss­te die Sa­che mit dem Si­cher­heits­ge­ne­ral klä­ren.

 

Der Auf­zug brach­te Bell ins obers­te Stock­werk des Haupt­turms der Si­cher­heits­zen­tra­le. Grel­les Son­nen­licht fiel durch die Schei­ben ge­gen­über auf den brei­ten Flur. Rechts säum­ten ihn die Tü­ren zu den Bü­ros der hoch­ran­gi­gen In­spek­to­ren, links die der Agen­ten. Am En­de des Gan­ges, hin­ter den Agen­ten­bü­ros, droh­te ei­ne Hoch­si­cher­heits­tür den Be­su­chern des Stock­werks. Die Tür wur­de nicht nur durch di­cken Stahl ge­si­chert, son­dern auch durch zwei bio­me­tri­sche Scan­ner, einen für die Hand­flä­che und einen für die Iris. Ne­ben der Tür war ein Mes­sing­schild in den Stein ein­ge­las­sen, auf dem der Ti­tel »Si­cher­heits­ge­ne­ral« zu le­sen war, dar­un­ter kleb­te ein Plas­ti­kna­mens­schild mit der Auf­schrift »Clay­ton Mil­ler«.

Bell drück­te sei­ne lin­ke Hand auf den Sen­sor über dem Na­mens­schild und starr­te, oh­ne zu blin­zeln, in die Ka­me­ra dar­über. Sei­ne rech­te Hand krampf­te sich um das En­de sei­ner ID-Kar­te, das aus dem Kar­ten­le­ser her­aus­rag­te. Er hat­te noch im­mer nicht die lei­ses­te Ah­nung, warum er ins Bü­ro des Si­cher­heits­ge­ne­rals kom­men soll­te. Hu­gos Ver­hal­ten und sei­ne plötz­li­che Flucht hat­ten nicht un­be­dingt zu Bells Selbst­ver­trau­en bei­ge­tra­gen.

Das Gerät ließ sich Zeit. Der Hands­can­ner surr­te ein zwei­tes Mal un­ter der Hand­flä­che des Si­cher­heits­po­li­zis­ten, der Iriss­can wie­der­hol­te sich. Bells Au­gen trock­ne­ten all­mäh­lich aus, er konn­te den Drang, zu blin­zeln, kaum noch un­ter­drücken. End­lich pieps­te das Gerät und die Tür öff­ne­te sich sur­rend.

Bell schluck­te und trat ein.

Hin­ter ei­nem aus­la­den­den Schreib­tisch saß ein Mann am En­de sei­ner Fünf­zi­ger mit grau­em Haar und Ge­heim­rat­se­cken in ei­nem Le­der­ses­sel. Clay­ton Mil­ler, der Si­cher­heits­ge­ne­ral. Das Ho­lo­gramm ei­nes Ge­sich­tes fla­cker­te über dem Schreib­tisch, halb ver­deckt von ei­nem auf­ge­schla­ge­nen Golf­ma­ga­zin. Der rest­li­che Raum war leer, bis auf ei­ne trag­ba­re Golf­bahn.

Bell trat voll­stän­dig ein und sa­lu­tier­te.

Mil­ler er­wi­der­te den Gruß bei­läu­fig. Er hielt sich nicht mit ei­ner Be­grü­ßung auf, son­dern kam di­rekt zum The­ma. »Sie ar­bei­ten für Ha­rold Clin­ton, nicht wahr?«

Bell nick­te ver­wirrt. »Ich kor­ri­gie­re sei­ne Be­rich­te, ehe er Sie Ih­nen zu­sen­det.«

»Dann sind Sie al­so im Bil­de über die Vor­komm­nis­se im Kraft­werk?«

Bell zog die Au­gen­brau­en zu­sam­men, zwang sich aber zu ei­nem Ni­cken. Worauf woll­te Mil­ler hin­aus? War er doch we­gen des Be­richts hier? »Mehr oder we­ni­ger, ja.«

»Gut.« Mil­ler rä­kel­te sich und stand auf. »Wür­den Sie den Fall als ab­ge­schlos­sen be­trach­ten? Sie ha­ben den Be­richt ge­le­sen, nicht wahr?«

»Ja. Ich ha­be eben die Kor­rek­tur fer­tig ge­stellt, die Sie ver­langt ha­ben. Der Be­richt soll­te auf ih­rem Rech­ner an­ge­kom­men sein.«

»Sehr gut. Gut.« Mil­ler nick­te. Er stand noch im­mer hin­ter dem Schreib­tisch, die Ar­me hin­ter dem Rücken ver­schränkt, und mus­ter­te Bell. »Al­so, Si­cher­heits­po­li­zist Bell, was ist Ih­re Mei­nung zu dem Fall?«

Bell kau­te auf sei­ner Un­ter­lip­pe. Er un­ter­drück­te das Be­dürf­nis, an sei­ner Uni­form zu nes­teln, aber es ge­lang ihm nicht, den Blick auf Mil­ler ge­rich­tet zu hal­ten. Er muss­te vor­sich­tig und di­plo­ma­tisch vor­ge­hen, so­lan­ge er nicht sa­gen konn­te, was Mil­lers Ziel war. Ein falsches Wort wür­de nicht nur sei­ne Kar­rie­re, son­dern auch sei­nen klei­nen Sta­tus ris­kie­ren. Oh­ne die Stel­le in der Si­cher­heit wür­de er in Ring Eins lan­den. Im bes­ten Fall. »Ich bin nicht in der Po­si­ti­on, Mis­ter Clin­tons Ar­beit zu kri­ti­sie­ren.«

»Aber?«

»Aber ich wür­de nicht sa­gen, dass der Fall ab­ge­schlos­sen ist. Ich fürch­te, Mis­ter Clin­ton wird nach sei­nem Ur­laub noch dar­an ar­bei­ten müs­sen.«

»Wie kom­men Sie dar­auf?«

Bell zuck­te mit dem Kopf. Ei­ne Haar­sträh­ne lös­te sich aus sei­nem zu­rück­ge­kämm­ten Haar, er nutzt den Mo­ment als Ablen­kung und schob sie an ih­ren Platz zu­rück. Sein Herz ras­te, sei­ne Fin­ger fuh­ren kalt und feucht über sei­ne Stirn. Lau­er­te Mil­ler auf einen Feh­ler? Oder hat­te er in schon ge­fun­den? Bell räus­per­te sich um­ständ­lich, ließ den Arm wie­der sin­ken. »Mis­ter Clin­ton hat noch nicht mit den Zeu­gen ge­spro­chen. Al­les, was er bis­her ge­schafft hat, war, sich im Kraft­werk um­zu­se­hen. Es gab kei­nen Kon­takt zu Be­trof­fe­nen, nicht ein­mal ein Ge­spräch mit der Tech­nik. Und der Be­richt en­det oh­ne ei­ne Schluss­fol­ge­rung, wie Sie ge­se­hen ha­ben. Der Fall scheint kom­pli­zier­ter sein, als wir zu­nächst an­ge­nom­men ha­ben, wenn Mis­ter Clin­ton in zwei Wo­chen nicht ein­mal einen Schritt vor­an­ge­kom­men ist.«

Mil­ler nick­te be­däch­tig. »Al­so glau­ben Sie, Sie kön­nen den Fall schnel­ler ab­schlie­ßen?«

»Wie mei­nen Sie das?«

Der Si­cher­heits­ge­ne­ral streck­te sei­nen Arm über den Schreib­tisch. »Ich muss bis Sonn­tag ei­ne ver­nünf­ti­ge Er­klä­rung für den Strom­aus­fall beim Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um ab­ge­ben. Clin­tons Be­richt wird die Re­gie­rung kaum be­ru­hi­gen, im Ge­gen­teil. Die Si­cher­heit muss die Er­mitt­lun­gen in dem Fall er­folg­reich ab­schlie­ßen, we­nigs­tens vor­läu­fig. Und zwar am bes­ten so, dass sie sich mit den Er­kennt­nis­sen der Tech­nik­be­hör­de deckt. Ich ha­be kei­ne Lust, mich mit ei­ner Wahr­heits­prü­fung her­um­zu­schla­gen. Nicht ge­gen Clin­ton. Al­so ge­ben Sie mir ih­re ID-Kar­te!«

Bell blin­zel­te. Er hän­dig­te me­cha­nisch die klei­ne Plas­tik­kar­te aus sei­ner Geld­bör­se sei­nem Vor­ge­setz­ten aus. Ihm gin­gen Fra­gen durch den Kopf, zum Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um, zu dem Fall und zu Clin­ton, aber er war nicht in der La­ge auch nur ei­ne da­von zu stel­len.

Mil­ler schob acht­los das Golf­ma­ga­zin zur Sei­te und steck­te die Kar­te in ein Le­se­ge­rät. Wäh­rend er dar­auf war­te­te, dass sein Com­pu­ter sei­ne Ar­beit ver­rich­te­te, sah er Bell di­rekt in die Au­gen. »Ich will, dass Sie an Clin­tons Stel­le im Kraft­werk er­mit­teln. Und bei den Leu­ten, die vom Strom­aus­fall be­trof­fen wa­ren. Ins­be­son­de­re in der Kup­fer­fa­brik.«

»Was ist mit der Kup­fer­fa­brik?«

»Die Mit­ar­bei­ter dort be­rich­ten seit dem Strom­aus­fall von Aus­fäl­len und un­ge­wöhn­li­chem Ver­hal­ten der Ro­bo­ter und An­dro­iden. Ich hat­te Clin­ton dar­auf an­ge­setzt, aber er ist ab­ge­reist, ehe er sich dar­um küm­mern konn­te.«

Mil­lers Com­pu­ter pieps­te. Der Si­cher­heits­ge­ne­ral zog Bells ID aus dem Le­se­ge­rät und gab sie zu­rück. »Ich ha­be Ihren Sta­tus auf Stu­fe Vier an­ge­ho­ben. Will­kom­men im Te­am, Si­cher­heits­in­spek­tor Bell. Ab so­fort sind Sie für die Über­wa­chung des Kraft­wer­kes so­wie der Kup­fer­fa­brik und der an­ge­schlos­se­nen Wohn­be­zir­ke zu­stän­dig. Sei­en Sie auf­merk­sam, er­fül­len Sie ih­re Pf­licht sorg­fäl­tig und eh­ren Sie Cu­sto!«

Bell ver­stand nur lang­sam, was ge­ra­den ge­sche­hen war. Er nahm die Kar­te ab­ge­hakt ent­ge­gen, als ob er sich selbst in einen Ro­bo­ter ver­wan­delt hät­te. Sei­ne Ge­dan­ken kreis­ten da­bei um die­ses ei­ne Wort: Si­cher­heits­in­spek­tor. Er war we­gen ei­ner Be­för­de­rung her­ge­ru­fen wor­den. War das Hu­gos Ver­dienst oder der von Mil­lers Golf­part­nern im Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um? Spiel­te es über­haupt ei­ne Rol­le? Er be­trach­te­te die ID-Kar­te für einen Mo­ment, ehe er sie wie­der ein­steck­te. Das schwar­ze Plas­tik war un­ver­än­dert, na­tür­lich. Al­le Än­de­run­gen steck­ten in dem klei­nen gol­de­nen Chip. »Ei­ne Sta­tu­s­er­hö­hung für den Fall?«, krächz­te Bell.

Mil­ler schüt­tel­te den Kopf. »Ih­re Be­för­de­rung war schon lan­ge über­fäl­lig. Aber ru­hen Sie sich nicht dar­auf aus, Bell. Es gibt mehr Plät­ze im Bü­ro als auf der Stra­ße.«

Bell nick­te. Er ver­stand die Dro­hung und den Druck, der da­hin­ter stand. Er hat­te Zeit bis zum Sonn­tag, bis zum En­de der Wo­che, um sich zu be­wei­sen und sei­nen neu­en Sta­tus zu be­hal­ten. »Ich dan­ke Ih­nen für Ihr Ver­trau­en, Si­cher­heits­ge­ne­ral Mil­ler. Ich wer­de es nicht ent­täu­schen. Ehren Sie Cu­sto!«

Clay­ton Mil­ler lehn­te sich auf sei­nem Stuhl zu­rück und sah an sei­nem Un­ter­ge­be­nen vor­bei. »Gut, wenn das da­mit er­le­digt ist: Ma­chen Sie sich un­ver­züg­lich auf den Weg zur Kup­fer­fa­brik und se­hen Sie dort nach dem Rech­ten! Hö­ren Sie sich im Be­zirk um und fin­den Sie her­aus, was es mit der gan­zen Sa­che auf sich hat!«

»Was ist mit Mis­ter Clin­tons Ak­ten? Ich ha­be nur Zu­gang zum fer­ti­gen Be­richt, nicht zu sei­nen an­de­ren Da­ten.«

Mil­ler sah Bell an, zog einen Mund­win­kel nach hin­ten und mach­te ei­ne ab­ge­hack­te Ges­te mit der rech­ten Hand. »Mis­ter Clin­ton ist im Ur­laub, Bell. Und Sie ha­ben selbst ge­sagt, dass sei­nem Be­richt über den Strom­aus­fall nicht viel zu ent­neh­men ist. Au­ßer­dem ist die Tech­nik noch da­bei, Ihren neu­en Com­pu­ter in Ihrem Bü­ro ein­zu­rich­ten. Al­so, ge­hen Sie die Er­mitt­lun­gen heu­te ganz un­vor­ein­ge­nom­men an. Sie woll­ten doch ei­ne Chan­ce, sich im Au­ßen­dienst zu be­wei­sen, ha­be ich nicht recht?« Er leg­te sei­ne Hand flach auf den Schreib­tisch ab und deu­te­te mit ei­nem Fin­ger auf die Tür.

Bell ver­stand. Er sa­lu­tier­te er­neut und ver­ließ das Bü­ro. Er kehr­te zu sei­nem al­ten Ar­beits­platz zu­rück, um sei­ne Elek­tro­schock­pis­to­le und sein Ho­lo­fon zu ho­len. Da­nach schal­te­te er sei­nen Com­pu­ter aus, grins­te sei­nen Kol­le­gen im In­nen­dienst zu und ver­ließ das Ge­bäu­de mit aus­la­den­den Schrit­ten. Er wür­de so­fort die Er­mitt­lun­gen auf­neh­men und nichts und nie­mand konn­te ihm heu­te den Tag ver­mie­sen.

***

Bell kehr­te nach Hau­se zu­rück. Am frü­hen Nach­mit­tag sah der Wohn­block eben­so de­pri­mie­rend aus wie am Abend, aber im­mer­hin hat­te er jetzt die Chan­ce, die Ge­gend in na­her Zu­kunft zu ver­las­sen. Er griff sei­nen Lap­top und setz­te sich auf das Bett. Der Wä­sche­korb ne­ben ihm sand­te einen un­an­ge­neh­men Ge­ruch nach Schweiß und al­ter Wä­sche durch den Raum, doch Bell igno­rier­te ihn. Er konn­te sich spä­ter dar­um küm­mern, jetzt muss­te er mehr über Clin­tons Fall her­aus­fin­den. Er such­te im Cy­ber­space, dem Netz­werk der Stadt Zir­ku­lum, nach Be­rich­ten über den Strom­aus­fall. An­ru­fe, Be­schwer­den, Auf­trä­ge an die Tech­nik oder einen ver­irr­ten Zei­tungs­ar­ti­kel, der es an den Au­gen des Wahr­heits­mi­nis­te­ri­ums vor­bei ge­schafft hat­te.

Oh­ne Er­folg. Der Strom­aus­fall wur­de tot­ge­schwie­gen – na­tür­lich.

Bell fuhr sich mit der Hand durch die Haa­re. Si­cher gab es An­wei­sun­gen des Wahr­heits­mi­nis­te­ri­ums zum öf­fent­li­chen Um­gang mit dem Vor­fall. In Zir­ku­lum pas­sier­ten kei­ne Feh­ler, denn Feh­ler führ­ten zu Hys­te­rie. Und mit hys­te­ri­schen Men­schen funk­tio­nier­te die Stadt nicht mehr. Men­schen wa­ren in den Au­gen Cu­stos und der Mi­nis­ter an­fäl­lig und emo­tio­nal. Um einen ers­ten Hin­weis, einen Start­punkt zu fin­den, brauch­te er Clin­tons Un­ter­la­gen. Aber zum einen woll­te er mit dem Lap­top nicht auf das Netz­werk der Si­cher­heit zu­grei­fen und zum an­de­ren hat­te Mil­ler sich sei­ne Grün­de, wes­halb er ihm die Un­ter­la­gen vor­ent­hielt. Vi­el­leicht lag Clin­tons schwa­cher Be­richt we­der an man­geln­der Ar­beits­mo­ral noch am Miss­trau­en der Mit­ar­bei­ter des Kraft­werks. Vi­el­leicht lag es am Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um.

Bell seufz­te. Wel­chen Sinn hat­te sein neu­er Sta­tus, sei­ne Rol­le als In­spek­tor, wenn er auf kaum mehr In­for­ma­tio­nen als der Nor­mal­bür­ger zu­grei­fen konn­te? Un­ter die­sen Um­stän­den gab es nur ei­ne ein­zi­ge Lö­sung für Bell: Er muss­te sich selbst im Kraft­werk, der Kup­fer­fa­brik und bei den An­woh­nern um­hö­ren. Am Bes­ten noch heu­te. Aber er war seit über zehn Jah­ren an einen Schreib­tisch ge­fes­selt, er hat­te kei­ne Ah­nung von Ver­hö­ren und Be­fra­gun­gen. Gab es kei­ne An­lei­tun­gen da­zu? Ir­gen­det­was in den Dienst­vor­schrif­ten der Si­cher­heits­in­spek­to­ren?

Er schüt­tel­te den Kopf. Mil­ler hät­te ihm den Fall nicht an­ver­traut, wenn er nicht da­von aus­ging, dass Bell ihn lö­sen konn­te. We­nigs­tens weit ge­nug, um kei­nen Är­ger mit dem Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um zu be­kom­men. Er muss­te und er wür­de es schaf­fen.

Er schloss den Com­pu­ter, oh­ne ihn her­un­ter­zu­fah­ren, und stand auf. Sein Blick fiel auf den Berg Wä­sche. Auf dem Weg zur U-Bahn wür­de er bei Hil­da vor­bei­kom­men, al­so konn­te er die Wä­sche auch gleich mit­neh­men. Er stopf­te sie in einen Sack und mach­te sich auf den Weg zur Wä­sche­rei in der Nä­he der Wohn­an­la­gen.

 

Bell be­trat das klei­ne Haus, das im Schat­ten der neue­ren Wohn­kom­ple­xe zu er­trin­ken droh­te. Hät­te er den La­den nicht schon seit sei­ner Aus­bil­dungs­zeit ge­nutzt, wä­re er ihm ver­mut­lich nicht auf­ge­fal­len, ab­ge­se­hen vom Ge­ruch nach Was­ser­dampf und Wasch­pul­ver. Die Schrift an dem großen Schau­fens­ter war ver­blasst und lös­te sich in Fet­zen von der Schei­be. Das al­te Ne­on­schild über der Tür war im sel­ben de­so­la­ten Zu­stand wie die Tech­nik der In­nen­dienst­bü­ros. Ei­ne klei­ne di­cke Frau wu­sel­te hin­ter dem Tre­sen her­um, der sie bis fast zu den Schul­tern ver­steck­te. Hin­ter ihr stand ei­ne Tür einen Spalt breit of­fen und gab den Blick in ei­ne Art La­ger­raum frei. Hier drin­nen war der Ge­ruch nach Wasch­mit­tel bei­na­he er­schla­gend. We­nigs­tens muss­te er nicht lan­ge blei­ben, er wür­de sei­ne Wä­sche ab­ge­ben und so­fort wie­der ver­schwin­den.

Bell stell­te den Wä­sche­sack auf den Tre­sen. »Gu­ten Tag, Hil­da. Wie läuft das Ge­schäft?«

Die Frau kniff die Au­gen zu­sam­men und mus­ter­te ihn. »Sie kom­men im­mer sel­te­ner, Mis­ter Bell. Sie soll­ten wirk­lich häu­fi­ger Ih­re Un­ter­wä­sche wech­seln.«

Bell press­te die Lip­pen auf­ein­an­der und wich ih­rem Blick aus. »Ich wech­se­le mei­ne Un­ter­wä­sche häu­fig ge­nug, Hil­da. Das Pro­blem ist nicht die Men­ge Wä­sche, son­dern mei­ne Zeit. Ich ar­bei­te jetzt im Au­ßen­dienst.«

»Ja, si­cher. Bei euch Jung­ge­sel­len ist es im­mer die Ar­beit.« Hil­da zog den Sack über den Tre­sen und hiev­te ihn auf einen Sta­pel im Ne­ben­raum. Sie re­de­te wei­ter auf Bell ein, oh­ne ihn an­zu­se­hen. Statt­des­sen wühl­te sie in sei­ner Wä­sche her­um, als ob sie einen Hin­weis auf ei­ne an­ste­hen­de Ver­lo­bung such­te. »Wol­len Sie nicht bald hei­ra­ten? Sie sind über drei­ßig. Wenn Sie noch län­ger zö­gern, ist es zu spät, um sich je­man­den aus­zu­su­chen. Mei­ne Freun­din Mar­ga­ri­ta hat ei­ne Toch­ter, die ge­nau in ih­rem Al­ter ist. Ei­ne rei­zen­de KI-Koor­di­na­to­rin. Sie hat Aus­sicht auf ei­ne Stel­le im Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um, in der Cu­sto-Ab­tei­lung.«

Bell zuck­te zu­rück. Ein un­an­ge­neh­mes Krib­beln lief über sei­ne Ar­me, das er mit ei­nem hef­ti­gen Zu­cken zu ver­trei­ben ver­such­te. »Was? Ich – hö­ren Sie, Hil­da! Mein Pri­vat­le­ben hat Sie nicht zu in­ter­es­sie­ren. Ich kann mir auch ei­ne an­de­re Wä­sche­rei su­chen!«

Die Frau kam zu­rück, stütz­te bei­de Ell­bo­gen auf den Tre­sen und lehn­te sich so weit zu Bell vor, wie es ih­re klei­ne Ge­stalt er­laub­te. Ih­re Stim­me klang un­be­ein­druckt und sar­kas­tisch: »Ja, si­cher. Auf der an­de­ren Sei­te der Stadt soll es ei­ne ge­ben. Sie kön­nen Ih­re Uni­for­men nächs­ten Diens­tag ab­ho­len.«

»Mor­gen?«

»Nächs­ten Diens­tag. Nicht Mor­gen.«

»Sie mei­nen in ei­ner Wo­che?« Bell spann­te sich. Das war ein schlech­ter Scherz. Der Sack war zwar voll mit Wä­sche, aber ei­ne Wo­che?

Hil­da rich­te­te sich auf und zuck­te mit den Schul­tern. »Dann hät­ten Sie eher da sein sol­len, Mis­ter Bell. Jetzt müs­sen Sie war­ten, bis ich die Wä­sche der an­de­ren Kun­den ge­wa­schen ha­be. Durch den Strom­aus­fall ha­be ich auch mehr zu tun. Ins­be­son­de­re die­se rei­zen­de jun­ge Da­me aus dem Wohn­block an der Kup­fer­fa­brik. Wie war doch gleich ihr Na­me?«

Bell schüt­tel­te den Kopf. Er woll­te nichts mehr von ir­gend­wel­chen al­lein­ste­hen­den Frau­en hö­ren. Aber ei­ne An­woh­ne­rin der Fa­brik, die ih­re Wä­sche nor­ma­ler­wei­se nicht in die Wä­sche­rei brach­te? Ei­ne mög­li­che Zeu­gin. We­nigs­tens ei­ne Be­trof­fe­ne. »Darf ich den Na­men der Frau er­fah­ren?«

Hil­da sah auf. In ih­ren Au­gen fun­kel­te es. »Ana­sta­sia Pe­tro­va. Ei­gent­lich wäscht sie selbst, aber der Strom­aus­fall hat ih­re Wasch­ma­schi­ne rui­niert, sagt sie. Aber ich bin si­cher, Sie weiß ge­nau, dass die Wä­sche­rei …«

Bell un­ter­brach die Al­te mit ei­ner mür­ri­schen Ges­te. »Nicht al­le Ih­re Kun­den kom­men zu Ih­nen, um ver­kup­pelt zu wer­den.«

»Und ich dach­te, Sie wä­ren in­ter­es­siert?«

»Nicht aus den Grün­den. Ha­ben Sie Frau Pe­tro­vas Adres­se zu­fäl­lig griff­be­reit?«

Hil­da ver­schränk­te die Ar­me, die Ka­ri­ka­tur ei­nes Tür­ste­hers. To­ni vom Ster­la wä­re ent­zückt. Ih­re Lü­ge kam prompt, einen Au­gen­blick zu schnell und zu laut. »Nein.«

Bell lä­chel­te flüch­tig. Er deu­te­te mit dem Kopf auf das Whi­te­board ne­ben der Tür. »Was ist mit den Num­mern und Na­men da drauf?«

»Ich mei­ne, ich kann Ih­nen nicht ein­fach die Adres­sen mei­ner Kun­den ge­ben!«

Sie starr­te ihn an, lau­ernd und her­aus­for­dernd, oh­ne ih­re Hal­tung zu än­dern.

Auch Bell än­der­te sei­ne Hal­tung nicht. Er stand hoch auf­ge­rich­tet und of­fen vor ihr, lä­chel­te, er­wi­der­te ih­ren Blick. Sie war nicht schwer zu durch­schau­en, nicht, nach all den Jah­ren, die sie sei­nen nicht vor­han­de­nen Be­zie­hun­gen nach­lief. »Und wenn ich be­reit wä­re, mit Frau Pe­tro­va aus­zu­ge­hen?«

Hil­da zö­ger­te. Sie mus­ter­te Bell aus­gie­big, so­weit ih­re klei­ne Sta­tur hin­ter dem Tre­sen es er­laub­te. Dann wieg­te sie den Kopf. »Sie sind von der Si­cher­heit. Vi­el­leicht ist es in Ord­nung, wenn ich Ih­nen die Adres­se ge­be. Sie sind ein or­dent­li­cher Mann, nicht wahr?«

Bell lä­chel­te noch im­mer. Er nick­te. »Ma­chen Sie sich kei­ne Sor­gen, Hil­da. Ich bin kein un­ge­ho­bel­ter Bar­bar aus Ring Null.«

Hil­da zö­ger­te noch einen Au­gen­blick, mehr aus Höf­lich­keit denn aus Zwei­fel, dann wand­te sie sich zu dem Whi­te­board um. Sie such­te mit dem Fin­ger nach dem Na­men der Kun­din. »Ah, hier. Ana­sta­sia Pe­tro­va, Wohn­ein­heit 34-12-C. Di­rekt im Wohn­block an der Kup­fer­fa­brik. Ich glau­be, Sie ist Ver­tre­te­rin für Haus­ro­bo­ter oder et­was in der Art.«

»Ich dan­ke Ih­nen, Hil­da. Sie sind ein Schatz. Al­so, wann kann ich die Wä­sche ab­ho­len?«

Hildas Lau­ne schlug au­gen­blick­lich um. Sie sah Bell über die Schul­ter aus ver­eng­ten Au­gen an. »Nächs­te Wo­che Diens­tag. Wenn Sie glau­ben, ich wür­de mich von Ih­nen so leicht ein­wi­ckeln las­sen …«

Bell dreh­te sich um und ging, oh­ne das En­de von Hildas Schimpf­ti­ra­de ab­zu­war­ten. Er hat­te die Adres­se ei­ner mög­li­chen Zeu­gin und da­mit einen An­halts­punkt au­ßer­halb des Kraft­werks ge­fun­den. Jetzt muss­te er nur her­aus­fin­den, was die­se Ana­sta­sia Pe­tro­va wuss­te. Wenn sie et­was wuss­te.

 

Er fuhr mit der U-Bahn auf die West­sei­te der Stadt, in den Kraft­werk­be­zirk. Hin­ter den sand­far­ben an­ge­stri­che­nen Häu­sern droh­ten die Schlo­te der Kup­fer­fa­brik mit Rauch und Ruß, soll­ten je­mals die Fil­ter­sys­te­me aus­fal­len. Bell schlen­der­te an den Erd­ge­schoss­woh­nun­gen mit ih­ren Vor­gär­ten vor­bei, auf der Su­che nach Wohn­ein­heit C. Künst­li­che Blu­men und ech­tes Gras, das von Ro­bo­tern ge­pflegt wur­de. Wä­sche weh­te in der kal­ten Fe­bruar­luft. Aus den Bäu­men am Stra­ßen­rand tön­te Vo­gel­ge­zwit­scher aus win­zi­gen Laut­spre­chen. Er blieb vor Haus 34 ste­hen. Frau Pe­tro­vas Woh­nung muss­te im ers­ten Stock sein, mit Zu­gang über den Bal­kon. Er sah auf sein Ho­lo­fon, prüf­te die Uhr­zeit und stieg die Stu­fen nach oben. Ein of­fe­nes Fens­ter ne­ben der Tür ver­sprach, dass er we­nigs­tens einen Haus­be­woh­ner tref­fen wür­de. Die Fra­ge war nur, ob es sich um Frau Pe­tro­va oder einen Haus­halts­ro­bo­ter han­del­te.

Bell klin­gel­te.

Ei­nen Mo­ment spä­ter öff­ne­te ei­ne Frau, et­wa in Bells Al­ter, die Tür. Sie blick­te ihn fra­gend an.

Bell hob das Ho­lo­fon mit sei­ner Dienst­mar­ke. »Mein Na­me lau­tet Bell, ich kom­me von der Si­cher­heit. Sind Sie Frau Ana­sta­sia Pe­tro­va?«

Die jun­ge Frau nick­te zö­ger­lich, trat aber zur Sei­te und deu­te­te auf das In­ne­re ih­rer Woh­nung. »Ja, die bin ich. Ist et­was vor­ge­fal­len, In­spek­tor?«

Bell schüt­tel­te den Kopf. Er trat ein und sah sich um. Er stand in ei­nem schma­len Flur, der an zwei Tü­ren vor­bei zu ei­nem Wohn­raum führ­te, in dem sich we­der Kü­chen­ge­rä­te noch Bet­ten be­fan­den. Ei­ne rie­si­ge Woh­nung, für die Ver­hält­nis­se des drit­ten Rings. Ein hell­blau­es So­fa und zwei Ses­sel stan­den mit­ten im Raum, mit Blick auf einen Flach­bild­schirm. Ein Durch­gang an der kur­z­en Sei­te führ­te in die Kü­che. Da­vor stand ei­ne klei­ne Bar, die auch als Ess­tisch diente. Ei­ne Schüs­sel und ein be­nutz­ter Tel­ler war­te­ten auf Auf­merk­sam­keit.

Bell setz­te sich auf einen der Ses­sel. Er leg­te sein Ho­lo­fon auf die Arm­leh­ne und star­te­te den Sprach­re­kord­er. Ein ro­tes Drei­eck schweb­te über die Ho­lo­gramm­aus­ga­be. »Ich ha­be ge­hört, Sie ha­ben seit dem Strom­aus­fall Pro­ble­me mit den tech­ni­schen Gerä­ten in Ih­rer Woh­nung?«

Frau Pe­tro­va nick­te ver­hal­ten. »Ja, aber nur Klei­nig­kei­ten. Mein Mi­xer und mei­ne Wasch­ma­schi­ne ha­ben ei­ne Über­span­nung ab­be­kom­men, als der Strom wie­der ein­ge­schal­tet wur­de. Das war mei­ne ei­ge­ne Schuld, ich ha­be ver­ges­sen, sie ab­zu­stöp­seln. Die Si­che­run­gen in die­sem Haus sind lei­der über­al­tert.« Sie lä­chel­te ver­le­gen. »Aber es ist nichts, worum sich die Si­cher­heit Sor­gen ma­chen müss­te. Die Be­woh­ner ha­ben die Tech­nik­be­hör­de in­for­miert, aber ich fürch­te, sie kann sich erst dar­um küm­mern, wenn die Fa­bri­ken wie­der lau­fen.«

Bell sah von sei­nem Ho­lo­fon auf. »Wie mei­nen Sie das?«

»Die Kup­fer­fa­brik hat es beim Strom­aus­fall wohl schwer er­wi­scht. Die an­de­ren Fa­bri­ken auch, die gan­ze Tech­nik­be­hör­de ist über­all in den äu­ße­ren Rin­gen un­ter­wegs, um die Din­ge wie­der zum Lau­fen zu krie­gen.«

Bell nick­te. »Gab es sonst ir­gend­wel­che Pro­ble­me? Für Sie pri­vat oder auf Ih­rer Ar­beit?«

Frau Pe­tro­va schüt­tel­te den Kopf, stock­te je­doch und nick­te. »Oh, mein Com­pu­ter. Wis­sen Sie, ich ar­bei­te haupt­säch­lich von zu­hau­se aus. Ich be­treue Kun­den, die einen be­stimm­ten Typ Haus­halts­ro­bo­ter nut­zen, vor al­lem hier im Vier­tel.«

»Was ist mit Ihrem Com­pu­ter?«

»Er lässt sich seit dem Strom­aus­fall nicht mehr aus­schal­ten. Er macht sonst kei­ne Pro­ble­me.«

Bell spann­te sich und run­zel­te die Stirn. »Wa­rum ha­ben Sie das nicht ge­mel­det?«

»Ich hielt es für un­wich­tig. Es ist ein äl­te­res Mo­dell und ich dach­te, das sei­en die ty­pi­schen Ma­cken, ehe das Gerät den Geist auf­gibt. So­bald die Tech­nik Zeit hat, woll­te ich sie dar­auf schau­en las­sen.« Sie stand auf und ging zur Bar. »Wol­len Sie et­was trin­ken, In­spek­tor?«

»Dan­ke nein. Ich will die be­trof­fe­nen Gerä­te se­hen!«

»Na­tür­lich. Fol­gen Sie mir, bit­te!« Die Frau führ­te Bell in die klei­ne Kü­che. Ein Toas­ter und ein Mi­xer teil­ten sich den Platz auf der An­rich­te.

Bell be­trach­te­te den Mi­xer von al­len Sei­ten. »Ist er pro­gram­mier­bar?«

»Nein, nicht das ich wüss­te. Ich le­ge kei­nen Wert auf in­tel­li­gen­te Kü­chen­ge­rä­te, wenn Sie dar­auf hin­aus­wol­len. Ich ha­be den gan­zen Tag mit Ro­bo­tern zu tun, da lernt man, al­te Tech­nik zu be­vor­zu­gen. Aber viel­leicht hat er einen Da­ten­chip ein­ge­baut. War­ten Sie, ir­gend­wo muss ich die Be­die­nungs­an­lei­tung ha­ben.«

Frau Pe­tro­va ver­ließ die Kü­che.

Bell nutz­te die Zeit, um sich die an­de­ren Gerä­te an­zu­se­hen, die mit dem Strom­netz ver­bun­den wa­ren. Ein Kühl­schrank, ein Mi­kro­wel­len­herd, der Toas­ter und ein klei­nes Dis­play an der Wand, auf des­sen Rah­men das Wort Re­zept­buch stand. Kei­nes der Gerä­te schi­en auf­fäl­lig, vor al­lem wa­ren au­ßer dem Kühl­schrank al­le ab­ge­schal­tet.

Frau Pe­tro­va kam mit ei­nem dün­nen Heft in der Hand zu­rück und reich­te es Bell. »Hier ist die Be­die­nungs­an­lei­tung für den Mi­xer.«

Er über­flog die Sei­ten. Kein Hin­weis auf ir­gend­wel­chen Sch­nick­schnack. Ein gu­ter, alt­mo­di­scher Mi­xer. Bell gab die An­lei­tung zu­rück und deu­te­te mit dem Kopf zur Tür. »Ihren Com­pu­ter muss ich eben­falls se­hen!«

»Na­tür­lich.« Frau Pe­tro­va leg­te das Heft auf der An­rich­te ab und führ­te Bell durch den Flur in ihr Schlaf­zim­mer, das gleich­zei­tig als Bü­ro diente. An der lan­gen Sei­te der Wand rahm­ten Re­ga­le einen Schreib­tisch ein. Auf dem Tisch stand ein äl­te­rer Com­pu­ter oh­ne ein­ge­bau­ten Kar­ten­le­ser, sein Bild­schirm er­leuch­te­te fahl den Raum.

Bell setz­te sich auf den Stuhl vor dem Rech­ner und starr­te auf den Bild­schirm. Er war un­si­cher, wo oder wie ge­nau er an­fan­gen soll­te. Aber wenn der Strom­aus­fall et­was zer­stört hat­te, muss­te es Spu­ren im Be­triebs­sys­tem oder an der Hard­wa­re ge­ben. »Ha­ben Sie ein Mo­ni­to­ring-Pro­gramm für die Leis­tung Ihres Com­pu­ters?«

Frau Pe­tro­va blieb ne­ben ihm ste­hen. Sie half ihm da­bei, un­ter all den in­stal­lier­ten Pro­gram­men das rich­ti­ge zu fin­den. »Wo­nach su­chen Sie ei­gent­lich, In­spek­tor?«

»Es geht um die Fol­gen des Strom­aus­falls. An­geb­lich ran­da­lie­ren seit­dem Ro­bo­ter und Gerä­te. Ha­ben Sie im Rah­men Ih­rer Ar­beit da­von ge­hört?«

Sie schüt­tel­te den Kopf.

Bell brumm­te vor sich hin. Er na­vi­gier­te durch die Ein­stel­lun­gen des Com­pu­ters, fand je­doch nichts ver­däch­ti­ges. Das war ei­ne Auf­ga­be für Hu­go und die Si­cher­heits­tech­ni­ker, nicht für ihn. Er sah auf. »Ha­ben Sie ein Le­se­ge­rät? Ich muss Ihr Sys­tem ko­pie­ren, da­mit die Si­cher­heit es un­ter­su­chen kann. Nur für al­le Fäl­le.«

»Na­tür­lich.« Sie nahm ei­ne Kis­te von ei­nem der Re­ga­le, öff­ne­te sie und reich­te ihm ein ex­ter­nes Le­se­ge­rät.

Bell schloss es an den Com­pu­ter an, schob sei­ne ID-Kar­te in das Le­se­ge­rät und rief die Pro­gram­m­über­sicht des Com­pu­ters auf. »Ich wer­de den In­halt Ih­rer Fest­plat­te ko­pie­ren und mit ins Haupt­quar­tier neh­men. Bis wir her­aus­ge­fun­den ha­ben, was los ist, soll­ten Sie ih­ren Com­pu­ter vom Strom tren­nen. Schlie­ßen Sie ihn erst wie­der un­ter Auf­sicht ei­nes Tech­ni­kers der Si­cher­heit an!«

»Und wie lan­ge wird das dau­ern? Ich brau­che mei­nen Com­pu­ter für die Ar­beit.«

Bell press­te die Lip­pen zu­sam­men, schüt­tel­te den Kopf. »Ich kann Ih­nen nicht sa­gen, wie lan­ge es dau­ern wird. Aber ehe wir nicht wis­sen, was ge­nau die­sen Strom­aus­fall und die ran­da­lie­ren­den Gerä­te ver­ur­sacht hat, müs­sen wir vor­sich­tig vor­ge­hen. Be­sor­gen Sie sich für die Ar­beit einen neu­en Com­pu­ter, das Wahr­heits­mi­nis­te­ri­um kann Ih­nen die Kos­ten er­set­zen. Oh, und spre­chen Sie bit­te mit nie­man­dem dar­über.«

Bell stand auf.

Frau Pe­tro­va be­glei­te­te ihn bis zur Tür. »Kann ich der Si­cher­heit sonst ir­gend­wie hel­fen?«

»Falls sie Nach­barn oder Be­kann­te ha­ben, bei de­nen ähn­li­che Pro­ble­me mit tech­ni­schen Gerä­ten auf­ge­tre­ten sind, sa­gen Sie ih­nen bit­te, dass sie sich bei der Si­cher­heit mel­den sol­len. An­sons­ten hel­fen Sie uns am meis­ten, wenn Sie mit nie­man­dem über die Vor­fäl­le spre­chen. Ehren Sie Cu­sto.«

Bell sa­lu­tier­te knapp, dann ver­ließ er den Wohn­block. Ein Blick auf sein Ho­lo­fon ver­riet ihm, dass er noch Zeit hat­te, um sich in der Kup­fer­fa­brik um­zu­hö­ren. Wenn er Glück hat­te, konn­te er viel­leicht je­man­den von der Tech­nik­be­hör­de dort tref­fen.

 

Das Kraft­werk und die Kup­fer­fa­brik la­gen hin­ter ei­ner zwei­ten Schutz­mau­er, die auf die­sel­be Art ge­si­chert war wie die Über­gän­ge zwi­schen den Rin­gen. Ne­ben dem Schleu­sen­tor stand ein Ter­mi­nal mit ei­nem Hands­can­ner und ei­ner Ka­me­ra, um die Iris zu scan­nen. Nie­mand, der nicht die ent­spre­chen­de Er­laub­nis der Be­hör­den be­saß, konn­te auch nur in die Nä­he des in­dus­tri­el­len Her­zens Zir­ku­lums zu kom­men.

Bell schob sei­nen Aus­weis in das Le­se­ge­rät, leg­te sei­ne Hand auf den Scan­ner und sah in die klei­ne Ka­me­ra über dem Dis­play. Das Ter­mi­nal rat­ter­te einen Mo­ment, pieps­te und spuck­te die Kar­te wie­der aus. Auf dem Dis­play blink­ten die Wor­te: »Will­kom­men in Ring Drei, In­dus­trie­vier­tel, Si­cher­heits­in­spek­tor Ed­ward Gre­go­ry Bell. Ehren Sie Cu­sto!«

Ne­ben dem Ter­mi­nal öff­ne­te sich die Schleu­se. Bell steck­te die Kar­te wie­der ein, mur­mel­te has­tig ei­ne Ant­wort auf den Gruß und trat durch das Tor.

Auf der an­de­ren Sei­te der stäh­ler­nen Mau­er führ­te ei­ne brei­te, schmut­zi­ge As­phalt­stra­ße an den La­ger­hal­len vor­bei zu den Fa­bri­ken und dem Haupt­kraft­werk West. Ir­gend­wo da­hin­ter, in Rich­tung der Stadt­mit­te, lag Ring Vier. Der Wohn­ring der Mit­tel­klas­se und das Sprung­brett zu Sta­tus und Ruhm. Ein Elek­tro­au­to roll­te bei­na­he ge­räusch­los an Bell vor­bei. Las­ten­ro­bo­ter rum­pel­ten da­ne­ben über die Stra­ße und ver­schwan­den in den Gas­sen zwi­schen den La­ger­hal­len. An­dro­iden ei­nes ver­al­te­ten Typs, mit fah­ler Haut und star­ren Be­we­gun­gen, wink­ten die Fahr­zeu­ge und Ro­bo­ter ein.

Bell folg­te der Stra­ße zu den Schlo­ten der Fa­brik. Ein ho­her elek­tri­scher Zaun mit ei­ner Schran­ken­an­la­ge si­cher­te das Ge­län­de. Auf dem as­phal­tier­ten Platz vor dem Ge­bäu­de park­ten ei­ni­ge we­ni­ge Au­tos, zwei Mit­ar­bei­ter stan­den da­ne­ben und un­ter­hiel­ten sich. Bei der Schran­ke lehn­te ein jun­ger Mann an ei­nem Pfört­ner­häus­chen. Er stieß sich von der Wand ab und kam auf Bell zu. Sei­ne Stim­me war un­na­tür­lich gleich­för­mig und emo­ti­ons­los.

---ENDE DER LESEPROBE---