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GRIMMS MÄRCHEN DURCH DEN BÖSEN WOLF GEDREHT. So haben Sie die Märchen der Gebrüder Grimm garantiert noch nicht erlebt. Wussten Sie schon, dass Schneewittchen in Wahrheit die jüngere, pummelige Schwester von Dornröschen war, oder Rapunzel eine uneheliche Halbblutprinzessin? Kennen Sie den Erdbeerprinz, den Bärchenprinz oder Prinzessin Apfelsina? Haben Sie schon mal etwas von einer prüden Königin namens Frigiede oder dem Klapperfrosch gehört? Wenn nicht, dann sollten Sie sich dieses einzigartige Lesevergnügen auf keinen Fall entgehen lassen. +++ Dem Königreich droht Ungemach: Eine frustrierte alte Gewitterhexe treibt ihr Unwesen im Märchenland und sühnt nach bitterer Rache, weil der König sie als einziges Mitglied des dreizehnköpfigen Hexenclubs nicht auf die Geburtstagsfeier seiner erstgeborenen Tochter Rosemarie eingeladen hat. Die beleidigte Leberwursthexe sieht rot und belegt die kleine Märchenprinzessin mit einem schrecklichen Fluch, der sich am Tage ihrer Volljährigkeit erfüllen soll. Dessen nicht genug, bleibt auch des Königs zweitgeborene Tochter Schneewittchen, nicht vom Zorn des rachsüchtigen Dragoners verschont. Das alles sollte aber erst der Beginn eines verheerenden, nie da gewesenen Rachefeldzugs gegen das Königshaus sein. Zu allem Übel treiben sich noch ein grimmiger Gruselkobold, ein ziemlich böser Wolf und ein grottenhässlicher Monsterfrosch in der Nähe des Schlosses herum, die ebenfalls nichts Gutes im Schilde führen …
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Seitenzahl: 312
Veröffentlichungsjahr: 2023
Alexander Otto
Zornröschen und der böse Froschkönig
Grimm'sche Märchenparodie (nicht ganz jugendfrei!)
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Episode I
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Episode II
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Impressum neobooks
Vor ewigen Zeiten (verflucht lange her) waren einmal irgendein König und irgendeine Königin, die irgendwo im Nirgendwo, in irgendeinem mächtig prächtigen Märchenschloss wohnten, welches von irgendwelchen Dornenhecken, allerlei Rosengewächsen und anderen botanischen Augenweiden um-geben war. Obwohl die Zeiten rosig waren und es ihnen an nichts mangelte, lastete schwerer Mut auf ihren Gemütern. Denn ihr größter Wunsch war ihnen bisher verwehrt geblieben.
Weil sie sich schon seit einer gefühlten halben Ewigkeit ein Kind herbeisehnten, aber immer keins bekommen hatten, jammerte das frustrierte Königspaar jeden Tag gebetsmühlenartig im Duett: »Ach, wenn wir doch ein Kind hätten … Ach, wenn wir doch ein Kind hätten … Ach, hätten wir doch bloß ein kleines Baby …«
Hätte der schlafmützige König mal jeden Tag die Königin vernascht, statt sich tagtäglich den dicken Wanst vollzuschlagen und sich literweise Korn, Bier, Schnaps und Apfelwein in die Birne zu kippen, dann hätte es schon längst geknuspert in der Backstube. (Mal davon abgesehen, dass dem König Impotenz II, der ganze Stress und Ärger, den man als omnipotenter Alleinherrscher nun mal so hat, gewaltig auf die Kronjuwelen ging.)
Tja, und die junge Königin, welche Frigiede hieß, war der fleischgewordene Inbegriff der sexuellen Unlust. Nomen est omen: Ihr Name war Programm und von Matratzensport hatte sie noch nie etwas gehört. (Wie soll man auch Lust auf etwas haben, das man nicht kennt und daher gar nicht weiß, auf was man Lust haben soll?)
Weil es nun mal so war, wie es gewesen ist, streute die undeflorierte Königin drei mal täglich Zucker auf die Fensterbank und wartete jeden Tag sehnsüchtig auf den Klapperstorch. Meister Adebar wollte aber ums Verrecken nicht kommen, genauso wenig wie dieser verfressene Trunkenbold von König, der getreu dem Motto lebte: »Lieber zu viel gegessen, als zu wenig getrunken.« (Um zu kommen muss man nicht nur wissen wie der Rammler läuft, sondern den dicken Schwellkopf frei haben. Wenn ein impotenter Rasselbock mehr Bock hatte, als unser schlaffer König hier, dann ist das mehr als nur ein bisschen traurig. Und mit einer prüden Gemahlin an seiner Seite, die weder von Tuten noch von Blasen einen blassen Dunst hatte und dazu noch unter einer manischen Klapperstorchneurose litt, war kein Blumentopf zu gewinnen. Somit waren all ihre saft- und kraftlosen Bemühungen bis dato fruchtlos verlaufen.)
Man mag es kaum glauben, aber der Wunsch des Königs und der Königin sollte tatsächlich schon bald in Erfüllung gehen.
Und das kam so: An einem sonnigen Sonntagmorgen im frühen Spätsommer geschah es, dass sich die Königin nackig machte. Aber nicht, um mit dem König in die Kiste zu springen und das Lattenrost mal ordentlich krachen zu lassen, sondern um in dem See baden zu gehen, welcher halbmondförmig um das prachtvolle Schloss drum herum lag. Wie an jedem Kirchtag tauchte die Königin ins kühle Nass ein, um dort in den tiefen Gewässern nach Kinderseelen Aus-schau zu halten. (Die Ärmste glaubte, dass die Seelen von Kindern in dem See herumschwimmen würden; und irgendwann käme der Klapperstorch vorbeigeflogen, um für sie ein Baby aus dem Schlossgartenteich zu angeln.)
Als die splitterfasernackige Königin an jenem besagten Sonntagmorgen wieder auftauchte und betrübt feststellen musste, dass sie wieder nicht gefunden hatte, wonach sie suchte, planschte sie mit ihrem blanken Hintern deprimiert und lustlos am Beckenrand herum, während sich in der Tiefe etwas regte …
Still und leise näherte sich eine Kreatur, die so schauderhaft aussah, dass jeder, der diese verunstaltete Laune der Natur jemals erblickt hatte, einen hysterischen Schreikrampf bekam und panisch die Flucht ergriff. Dieser schmuddelige, schleimige Mutant sah dermaßen versifft, ungepflegt, abstoßend und unappetitlich aus, dass die meisten Leute ihn nicht mal beim Ausbruch einer Hungersnot in der Bratpfanne hätten brutzeln wollen.
Nicht weit von der Königin entfernt, kroch das grüne Warzengetier an Land und hüpfte auf einen flachen, breiten, abgesackten Randstein. Umgeben von Schilfrohren, Farnen, Sumpfschwertlilien und Pfennigkraut, luchste die korpulente Kröte mit großen Glubschaugen über den Uferrand und schaute der molligen Madame genüsslich beim Baden zu. Die betrübte Königin schwelgte gedankenverloren in schwermütiger Lethargie und hatte nicht einmal das heftige Beben bemerkt, das der bullige Specklurch beim Aufprall auf den Stein verursacht hatte.
Es verging eine Weile, als der Mutantenfrosch mit tiefer, dröhnender Stimme quakte: »Hallöchen Popöchen!«
Erschrocken zuckte die Königin zusammen und sah sich irritiert in allen vier Himmelsrichtungen um. Doch weit und breit war nichts zu sehen als grüne Flora.
»Hier unten, ich bin hier unten, Frau Königin!«, dröhnte es wieder von irgendwo her.
Hektisch drehte sich die Königin um ihre eigene Achse und als sie plötzlich den monströsen Ochsenfrosch am Ufer erblickte, erblasste sie. Reflexartig schlug sie die Hände vor ihrem entblößten Oberkörper über Kreuz zusammen, presste mit gebeugten Knien ihre Oberschenkel krampfhaft gegeneinander, drehte ihr gebärfreudiges Becken seitlich von dem unsäglichen Ungetüm weg und kreischte hysterisch: »Sieh mich nicht an! Hau ab, du Mistvieh! Geh weg!«
»Hey, keine Panik«, entgegnete der Frosch gelassen. »Du bist nicht die erste Nackige, die ich zu Gesicht bekomme.«
»Das ist mir egal. Dreh dich gefälligst um, du unverschämter Sittenmolch!«
Frigiede hatte schon viele Frösche gesehen, aber eine derart widerwärtige und Ekel erregende Spezies war ihr bis jetzt noch nicht über den Weg gehüpft. Obwohl der Frosch so grässlich hässlich war und so grauenvoll aussah, schämte sich die nackte Königin mehr vor diesem Froggel, als dass sie sich vor ihm fürchtete. Im Gegensatz zum gemeinen, einfältigen Pöbel war der Königin klar, dass Ochsenfrösche, Kröten und Unken nun mal nicht dem menschlichen Schönheitsideal entsprechen. Und nur weil dieses grottengrässliche, abartige Ding da, aussah wie unter aller Sau und dazu aus allen Poren stank wie eine Jauchegrube, sagte das doch nichts über seinen Charakter aus. Dass dieser grüne Plumpsack offensichtlich dazu in der Lage war in vollständigen ganzen Sätzen zu sprechen und sich auszudrücken wusste, sprach außerdem dafür, dass das Ungetier über ein gewisses Bildungsniveau verfügen musste; auch wenn Laberfrösche zu jener Zeit nichts Außergewöhnliches waren. Plappernde Amphibien gehörten genauso zum Alltag, wie Laberfische, Laberbärchen, Laberbäumchen, Laberrhabarber oder Labertaschen.
Schnell hatte sich die Königin von dem Schreck erholt und war jetzt sogar erleichtert, dass es nur ein harmloser (wenn auch äußerst unansehnlicher und extrem übergewichtiger) Wasserpatscher war, der dort friedlich und entspannt auf seinem Stein hockte. Frigiede war davon überzeugt, dass der dicke Frosch keine bösen Absichten hatte, oder gar etwas Unsittliches im Schilde führte, oder zu sonstigen schrecklichen Missetaten fähig wäre.
Die Königin atmete einmal tief durch und wandte sich gefasst dem Frosch zu. »Sag mal, wo kommst du denn auf einmal her? Ich habe mich fast zu Tode erschrocken! Hockst du schon lange da?«
»Och nöö, bin eben erst gekommen … Tut mir aufrichtig leid, Frau Königin, ich wollte dich nicht erschrecken. Das Wetter ist zu schön, um die Zeit nicht für ein Sonnenbad zu nutzen, nicht wahr?« Schwerfällig und ächzend schleppte sich der Koloss hinauf auf einen höher gelegenen Randstein und saß nun in seiner vollen Pracht vor der Königin, die sichtlich beeindruckt war von dem Körperumfang des missgestalteten Giganten.
»Oh ja, äh …, ein wirklich wunderherrlicher Tag heute. Ich hoffe, du nimmst mir meinen hysterischen Anfall von vorhin nicht übel?«
»Weiber halt … Ich bin’s ja nicht anders gewohnt.«
»Das tut mir leid«, beteuerte die Königin, die in ein schlechtes Gewissen überkam.
»Halb so wild«, quakte der Frosch tieftönig. »Mach dir mal keinen Kopf. Ich kann’s verstehen. Ich meine, sieh mich doch nur an! Was will man schon erwarten von so einem schleimigen, breitmäuligen Fliegenfänger, der den lieben langen Tag in dreckigen Morasten und Algentümpeln herumdümpelt und sich wie ein wildes Schwein in irgendeiner Matschepampe herumsuhlt? Es heißt zwar, Algen und Schlammkuren halten jung und straffen die Haut, bla …, aber du siehst ja selbst, was es bei mir gebracht hat. Ich jedenfalls wäre nicht so mutig gewesen wie du und hätte vor so einem adipösen Schwabbelspeckmonster ganz schnell die Flucht ergriffen …, wäre ich nur nicht so dick und fett und pomadig und …«
»Ach, so dick bist du doch gar nicht. Da hab ich schon schlimmeres gesehen«, sagte die Königin mit einem aufmunternden Lächeln und dachte dabei an ihren König.
»Na danke, bin gerade auf Diät. Ein paar Pfunde müssen schon noch purzeln.«
»Es muss hart sein, so einsam zu sein.«
»Mit der Zeit gewöhnt man sich dran – Und wie läuft’s bei dir so, hm?«
»Och, na ja …«
»Verzeiht mir meine Indiskretion, Frau Königin. Ich weiß doch schon längst was Euch bedrückt und was Euch schlaflose Nächte bereitet.«
»Wovon redest du?«
»Eigentlich geht’s mich ja nix an … Ich hab das nur ganz nebenbei am Beckenrand mitbekommen …«
»Ach ja, was denn?«
»Ja, also …«
»Was denn?«, unterbrach die Königin den Frosch ungeduldig.
»Jetzt lass mich doch mal ausreden, verdammt noch mal!«
»Entschuldige. Dann rede endlich! Spucks aus! Was hast du mitbekommen, was?«
»Na, was wohl? Dass du dir ein Baby wünschst.«
»Woher willst denn du das wissen?!«, sagte die Königin verdutzt.
»Na ja, an sonnigen Sonntagen wie diesen hüpfe ich manchmal auf einen Stein, um ein Sonnenbad zu nehmen. Mal die Alltagssorgen vergessen, bisschen relaxen und die Seele baumeln lassen. Wenn man hier so rumsitzt und vor sich hin schwitzt, sein Leben chillt und sich die Froschschenkel grillt, bekommt man zwangsläufig Einiges mit, was da oben in Euren königlichen Gemächern so abgeht …, oder was nicht.«
»Ach, mein kleiner, quakender Freund, du hast ja Ohren wie ein Maulwurf.«
»Der Vergleich hinkt vielleicht ein wenig, aber danke fürs Kompliment.«
»Wir haben es momentan wirklich nicht leicht. Ach, wenn wir doch bloß …«
»Jo, ein Kind hätten.« Der Frosch verrollte gelangweilt die Augen und dachte bei sich: So langsam kann ich’s nicht mehr hören.
»Das wäre so schön, so wunderschön. Aber der Klapperstorch will einfach nicht kommen, obwohl ich doch regelmäßig Zucker auf die Fensterbank streue. Was mache ich bloß falsch?«
»In der Regel klappert es sowieso selten bis gar nicht, wenn du verstehst was ich meine. Und wer sagt denn, dass es an dir liegen muss? Ich meine, es geht mich zwar einen feuchten Fliegenfurz an, aber wenn ich dir mal einen kleinen Tipp geben darf: den Klapperstorch, den gibt’s nur im Märchen.«
»Was quakst du da?!«, rief die Königin empört. »Klar gibt es den Klapperstorch in echt!«
»Aha? Hast du schon mal einen gesehen, du Blitzbirnchen? Ich jedenfalls nicht.«
»Gesehen habe ich ihn noch nie, aber ich weiß ganz genau, dass der Klapperstorch irgendwo da draußen herumflattert und bestimmt irgendwann mal zu uns geflogen kommt.«
»Irgendwann mal …«, sagte der Frosch mit halb offenen Augenlidern und hochgezogenen Augenbrauen. »Tzzzsss, du bist mir t ein Schneewittchen. Da kannst du bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten, sag ich dir.«
»Er wird bestimmt bald kommen … demnächst … Ich weiß es ganz genau. Der ist schon längst überfällig!«
»Verrate mir doch mal, woher du wissen willst, dass es den Klapperstorch gibt, wenn du diesen schrägen Vogel noch nie gesehen hast, hä?«
»Das hab ich mal gehört.«
»So, so, das hast du mal gehört … Mädchen, Mädchen … Du solltest nicht jeden unsinnigen Schwachfug glauben, den irgendein dahergelaufener Dummschwätzer von sich gibt. Das sind alles an den Haaren herbeigezogene Ammenmärchen.«
»Wieso sollte sich jemand so etwas ausdenken?«
»Tja, manche Leute haben halt eine blühende Fantasie und den lieben langen Tag nichts Besseres zu tun, als einen Haufen gequirlter Scheiße zu labern und Lügenmärchen am laufenden Meter zu verzapfen. Die Leute plappern alles nach, wie stupide Papageien. Deswegen verbreiten sich fabelhafte Märchen wie die Seuche.«
Die Königin sah den Frosch verständnislos an. »So, so … Ist das so?«
»Jede Lüge wird irgendwann zur Wahrheit, wenn man sie oft genug wiederholt. Dieser ganze Mist breitet sich unter dem gemeinen, bildungsresistenten Pöbel und dem geistig verirrten Vagabundengesindel aus, wie die Pest, die Cholera und die Syphilis. Diese einfältigen Einfaltspinsel geben ihr gefährliches Halbwissen an andere gutgläubige Naivlinge weiter, die den unsinnigen Schwachsinn wiederum anderen hirnlosen Papageien erzählen, die ihren Schnabel ebenfalls nicht halten können. Verstehst du was ich meine?«
»Ja … Nein!«
»Der Gesellschaft mangelt es an Aufklärung und Bildung, das hab ich schon immer gesagt. Meinetwegen darf jeder Dorftrottel seine Meinung haben, dann soll er sie aber wenigstens für sich behalten. Würden sich die Leute mal die Mühe machen richtig zuzuhören, kritisch zu hinterfragen und erst das Hirn einschalten, bevor sie reden und ihren verbalen Müll in der Nachbarschaft abladen, dann … Ach, was reg ich mich auf …? Die meisten Leute glauben eh nur das, was sie glauben wollen; da kann ich mir bis in alle Ewigkeit einen Wolf labern … Versteht mich nicht falsch, Frau Königin. Ich will dir gar keinen Vorwurf machen. Aber jedem, der nicht geistig völlig umnachtet im Dunkeln tappt, sollte einleuchten, dass so eine Märchenfantasiegestalt aus der Fabel nicht durch die Wallapampa fliegt und kleine Säuglinge an kinderlose Pärchen verteilt, die keine Ahnung von der Vögelei haben!«
»Es mag sein, dass der König und der andere Pöbel da, keine Ahnung von Vögeln haben. Ich aber weiß ganz genau, dass es den Klapperstorch gibt! Und nichts und niemand kann mich von meiner felsenfesten Überzeugung abbringen.«
»Jetzt überleg mal ganz scharf, Prinzessin und streng dein Köpfchen an …«
»Königin! Nicht Prinzessin!«
»Meinetwegen, Fräulein Königin … Selbst wenn es einen Klapperstorch gäbe und der klappernde Flattervogel mit seinen wackeligen Stelzen es tatsächlich auf die Kette bekommen würde das doppelte oder gar das dreifache seines eigenen Körpergewichts, entgegen der Schwerkraft, bis in die oberste Etage Eures Schlosses zu schleppen, bestünde immer noch die Gefahr, dass dieser ominöse, sagenumwobene Vogel den tropfnassen Frischling im Flug verliert und das Kind schreiend in den Tümpel fällt, aus dem es das klapprige Federvieh zuvor mit Mühe und Not rausgefischt hat. Mal ganz davon abgesehen, dass Störche wasserscheu sind und nicht schwimmen können … Bevor du dir dein Köpfchen zermarterst und dich weiter deinen Illusionen hingibst, verrate ich dir jetzt mal ein kleines Geheimnis …«
»Was denn, hm?«
»Der Klapperstorch …«
»Ja?!«
»Also, der Klapperstorch heißt in Wirklichkeit gar nicht Klapperstorch.«
»Ach nein? Wie heißt er denn bitteschön dann? Vielleicht Rumpelstilzchen?«
Der Frosch hielt sich seinen dicken Bauch und krümmte sich vor lachen. »Wuaaahaahaa! Rumpel… Was?!«
»Stilzchen!«
»Waahaahaa! So einen bescheuerten Namen hab ich ja noch nie gehört. Nein! Der Klapperstorch heißt in Wirklichkeit – und jetzt halt dich fest – Klapperfrosch. Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied, was meinst du?«
»Hmm…! Und du sprichst ganz bestimmt nicht die Unwahrheit?«
»Ich würde es niemals wagen Euch zu belügen, Euer Hoheit.«
»Wenn das stimmt, was du da quakst, dann würde das bedeuten … Oh, mein Gott! Dann bist du der Klapperfrosch?!«
»Bingo!«, sagte der Frosch mit einem breiten, selbstgefälligen Grinsen, drückte ein Auge zu und streckte die Zunge heraus.
»Jetzt brat’ mir einer einen Storch!«
»Ich wage zu bezweifeln, dass man von diesem knochigen Federviehzeug satt wird. Für meinen Geschmack ist da viel zu wenig Fleisch dran.«
»Ach, ich freu mich so, lieber Klapperfrosch. Endlich bekomme ich ein süßes, kleines Baby!«
»Jo, vielleicht kann ich dir dabei ein wenig auf die Sprünge helfen.«
»Wieso vielleicht? Du sagtest vorhin, du bist der Klapperfrosch?!«
»Immer mit der Ruhe, mein Mäuschen. Du musst schon bisschen was dafür tun und selbst Hand anlegen, damit es irgendwann klappert in der Kiste. Der Klapperfrosch kann dir nur die Pforte zum Glück öffnen, hindurchgehen musst du schon selbst.«
»Was für eine Pforte? Was meinst du mit Hand anlegen? Ich bin verwirrt.«
»Die Frage ist nicht gänzlich unberechtigt. Noch wichtiger wäre allerdings die Frage, wann dein schlaffer König endlich aus dem Quark kommt. Wir wollen ja nicht, dass das Kind in den Brunnen plumpst und jämmerlich absäuft.«
»Du sprichst in Rätseln, kann das sein? Aber ich glaube, ich weiß schon was du mir verklickern willst … Also ähm, der Klapperstorch ist ja in Wirklichkeit kein Vogel, sondern ein Frosch, richtig?«
»Korrekt!«
»Und weil Frösche nicht fliegen können, kann der Klapperfrosch das Baby demzufolge nicht im Flug verlieren, stimmt’s?«
»Deine weibliche Logik, Euer königliche Hoheit, fängt allmählich an, mich zu faszinieren. Und weiter?«
»Und deswegen kann das Kind nicht in den Blunnen prumpsen … in den Plumpsen brunnen …«
»Ich weiß schon was du meinst.«
»Ach, was bist du für ein neunmalkluger, siebengescheiter Schlaubi-Frosch. Was ich aber nicht verstehe: Was hat der König mit der ganzen Sache zu tun?«
»Na ja, weißt du …, ein Blümchen, das nicht gegossen wird, geht irgendwann ein wie eine Primel in der glühend heißen Mittagssonne.«
»Hä? Was hat das nun wieder zu bedeuten?«
»Gehe ich recht in der Annahme, dass dir der Begriff Blümchensex nichts sagt?«
»Das hab ich ja noch nie gehört! Also Blümchen kenne ich …«
»Pass auf, Liebchen. Wir fangen mal ganz von vorne an. Als erstes kläre ich dich auf, über die Sache mit den Blumen und den Bienen. Wenn du die elementaren Grundlagen der Fortpflanzung verstanden und das Basiswissen vollständig verinnerlicht hast, besteigen wir die nächste Stufe und dringen tiefer in die Materie ein. Was hältst du davon?«
»Was immer du quakst. Hauptsache, ich bekomme endlich mein Baby!«
»Mach es dir bequem und entspann dich. Deine Klamotten kannst du ruhig ausgezogen lassen.«
»Das könnte dir so passen.«
»Du bist, wie gesagt, nicht die erste, die mir im Evakostüm vors Visier gesprungen ist. Aber ganz wie Eure Majestät wünschen …« Der Frosch wandte seinen Blick von der Königin ab, hielt sich eine Flosse vor seine geschlossenen Augen und reichte Frigiede das Badetuch, während in der Ferne das Glockengeläut einsetzte.
»Oh mein Gott, schon so spät?! Ich muss mich für den Sonntagsgottesdienst fertig machen …« Die klatschnasse Königin stieg aus dem Wasser und wickelte sich hektisch in ihr Badetuch ein.
»Beten und fromme Sprüche werden dir garantiert nicht bei der Lösung deines Problems helfen. Der Zorn Gottes wird schon nicht gleich über dich kommen, wenn du einmal nicht dabei bist. Und jetzt pflanz dich endlich fort … äh, da hin«, sagte der Frosch streng und sprach anschließend mit ruhiger, hypnotischer Stimme weiter. »Konzentriere dich voll und ganz auf den Klang meiner Stimme … Hör mir ganz genau zu.«
Bereitwillig setzte sich die Königin neben den Frosch auf den Stein und lauschte gebannt und gespannt den Worten des Klapperfroschs. »An manchen Tagen fliegt die Biene, summ, summ, summ, sinnlos in der Gegend rum. An anderen Tagen sucht sich das Bienchen die schärfste Pimpernelle, die es find’, um sie nach allen Regeln der Kunst zu bestäuben; manchmal langsam, manchmal stürmisch und geschwind, wie der Wind …«
Aus Jugendschutzgründen wollen wir an dieser Stelle nicht tiefer ins Detail gehen. Mit etwas blühender Fantasie kann man sich jedoch lebhaft vorstellen, was es für ein Akt gewesen sein muss, einer unbestäubten Blüte, die von Bienenstichen keinen blassen Schimmer hatte (und für die das Kamasutra bis dato ein exotisches Buch mit sieben Siegeln war) den Geschlechtsakt zu erklären. Zum Glück war der Klapperfrosch ein eiskalter Profi und Meister seines Fachs, der sein Handwerk wie kein anderer verstand. Der Frosch zog sein Ding knallhart und gnadenlos durch, ohne Rücksicht auf Verlust der Jungfräulichkeit der keuschen Königin.
Als der Klapperfrosch kurz vor Sonnenuntergang seine Aufklärungspredigt beendet hatte, war die Königin sichtlich erschüttert und peinlich zutiefst berührt. »Und so einen versauten Schweinekram muss man machen, nur um ein Kind zu bekommen?«
»Tja …«
»Das ist ja pervers! Sag mal, wo hast du eigentlich die ganzen obszönen Wörter und vulgären Ausdrücke her? Das treibt einem ja die Schamesröte in die Backen!«
»Jo«, sagte der Frosch, »gelernt ist gelernt. Das Leben ist nun mal kein Ponyschlecken. Von nix kommt nix. Vom Urknall mal abgesehen.«
»Ich glaube, ich bekomme einen Migräneanfall. Gibt es keinen anderen Weg? Was haben wir denn sonst noch für Optionen?«
»Glaube mir, es ist die einzige Möglichkeit. Zumindest fällt mir momentan spontan nichts anderes ein, wie man es sonst bewerkstelligen könnte. Klar, man kann die Stellungen variieren, um die Sache etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Aber vom Grundprinzip ist es immer dasselbe, ewige Rein-und-raus-Spiel.«
»Uff! Wenn das so ist, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und den kleinen Prinzen des Königs wach zu schütteln. Mir wird schon ganz schlecht, wenn ich nur daran denke.«
»Mach dir mal keinen Kopf, mein Zuckerschneckchen. Man gewöhnt sich an alles. Du schaffst das schon! Mein Urgroßvater pflegte immer zu sagen, Nichts wird so heiß gegessen, wie es in der Pfanne gebrutzelt wird. Wenn du dich, wie besprochen, an alle Details hältst, dann prophezeie ich dir, dass sich dein Wunsch in weniger als einem Jahr erfüllen wird. Du darfst nur den Eisprung nicht verpassen. Wenn du auf Nummer sicher gehen willst, treibst du’s am besten an allen Tagen … Außer, du hast deine Tage!«
»Das hab ich soweit verstanden. Aber was, wenn ich was verkehrt mache beim Verkehr? Ich warte doch schon sooo lange auf mein Baby!«
»Kein Problem, mein Täubchen. Wenn du so weit bist, sag mir bescheid und nimm mich abends einfach mal mit ins königliche Schlafgemach. Ich setze mich dann – ganz unauffällig und diskret, versteht sich – oben auf die Fensterbank, hinter die Gardine und schau mir das Drama von der Vögelperspektive aus an. Ich zeig’ dir dann wo’s lang geht und wo der Hammer hängt, falls es nicht ganz rund laufen sollte in der Rappelkiste.«
»Ach, das ist so lieb von dir, lieber Klapperfrosch. Das gibt mir dann ein bisschen mehr Sicherheit auf der Matratze.«
»Prima. Und jetzt geh zurück ins Schloss, bevor du dich noch verkühlst und der König eine Vermisstenanzeige aufgibt.«
»Ach was. Der hängt bestimmt wieder besoffen im Weinkeller rum, oder liegt schnarchend auf der Couch. Darf ich dir als Zeichen meiner Dankbarkeit einen Schmatzer auf deine dicken Pausbäckchen drücken?«
»Klaro!« Der Frosch grinste keck, schloss die Augen und formte sein breites Froschmaul zu einem Kussmund.
Die Königin beugte sich vor und hielt einen Moment inne. »Aber nicht, dass du dich dann in einen hübschen Prinzen verwandelst.«
»Keine Sorge, das ist ein anderes Märchen.«
»Gut! Weil mit schönen Prinzenjünglingen, die bei uns daheim im Schlafzimmer herumturnen, macht der König kurzen Prozess. Dann zieht er sein langes Schwert aus der Scheide und es gibt einen gewaltigen Coitus interruptus. Und das wollen wir ja nicht, nicht?«
»Stimmt. Das wäre ein bisschen kontraproduktiv. Ich muss sagen, in der kurzen Zeit hast du verdammt viel gelernt. Jetzt sprich nicht mehr und küss mich endlich!«
Das ganze Elend wäre der Königin erspart geblieben, wenn ihr trantütiger König in die Gänge gekommen und an die ehelichen Beischlafpflichten seiner Frau appelliert hätte, statt deren Klapperstorchfetisch stillschweigend zu dulden. Da musste erst so ein klappernder Knallfrosch dahergehüpft kommen, der das Kind beim Namen nannte und die Königin aus ihrem Dornröschenschlaf weckte …
Kurz nach dem ersten Akt musste sich die frisch entjungferte Königin übergeben und bekam einen mordsmäßigen Heißhunger. Sie tat es ihrem beleibten König gleich und verschlang von A wie Apfelkuchen, bis Z wie Zwiebelmettbrötchen, alles, was sich nicht wehren konnte.
Wie die meisten hochschwangeren Frauen, ging auch die Königin auseinander wie ein Hefeteig. Dafür hatte sie aber endlich ihre Unschuld verloren (Halleluja!); und genau wie es der Klapperfrosch prophezeit hatte, angelten sie neun Monate später ein bildhübsches Mädchen aus dem Freudenteich.
Weil im Schlossgarten und ringsherum so schöne Rosen erblühten (und nicht zuletzt auch deswegen, weil der König seine Königin bei der Zeugung auf einem Bett mit roten Rosenblüten flachgelegt hatte), gaben sie dem kleinen Knuffel den Namen Rosemarie.
Die kleine Märchenprinzessin war so schön und so ein goldiger Fratz, dass der stolze König beschloss, ein großes Fest zu geben …
Der König hatte selbstverständlich nicht nur ein paar alte Kumpels, Kollegen und sonstige Saufkumpanen zum lustigen Beisammensein eingeladen, sondern auch noch die ganze bucklige Verwandtschaft inklusive Anhang, den kompletten Hofstaat, und darüber hinaus (und darauf legte der König besonders großen Wert) die allerältesten der ältesten Weiber des Königreich. Die altehrwürdigen Zaubertanten besaßen magische Kräfte und sollten mit ihren guten Gaben und Glückwünschen, dem Königskind hold und gewogen sein, wie man so schön sagt.
Der berühmt-berüchtigte Hexenclub der schrumpeligen, einsamen Witwen und anonymen, versoffenen Jungfern bestand aus dreizehn Mitgliedern. Weil von dem dreizehnteiligen Goldservice dummerweise nur noch zwölf Teller übrig waren und der König außerdem nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, musste eine der runzeligen Faltenfeen daheim bleiben.
Jetzt war die Hexe mit der Rückennummer 13 (also diejenige Schabracke, die die Arschkarte gezogen hatte) eine ziemlich frustrierte, alte Krawallschachtel gewesen, die mit ihren 102 Jahren noch keinen Sex hatte und chronisch untervögelt war, wie man so schön im Volksmund sagt. (Schließlich konnte der Klapperfrosch konnte nicht jede alte Jungfer vor dem sexuellen Verfall retten.) Die pikierte Schrapnelle war nicht nur stinksauer und schmollte eingeschnappt und gedemütigt in ihrem Hexenhäuschen vor sich hin, sondern die garstige Giftnudel kochte regelrecht vor brodelnder Wut und brütete einen teuflischen Plan aus, um es dem König heimzuzahlen.
»Das sollst du noch bitter bereuen, König!«, sprach die Hexe beschwörend zu sich selbst und reimte sich in ihrem Hexenhäuschen etwas gar fürchterlich Grausames zusammen.
»Von diesem Tage an, das schwöre ich, werd’ ich mich rächen.
Der König und seine verfluchte Sippe sollen an meiner Vergeltung zerbrechen.
Schwefeldunst und Achselschweiß,
ich mache dir die Hölle heiß.
Mit Grimm werde ich dich strafen,
des Nächtens sollst du unruhig schlafen.
Ich spuck’ dir lachend ins Gesicht;
mehr wert bist du nicht.
Schmerzvolle Qualen werd’ ich dir bereiten,
um die dich niemand wird beneiden.
Nichts wird mehr so sein, wie’s einmal war,
so wunderbar, ha-ha-harrr.«
Das alte Hexenweib lachte schauderhaft und rammte ein großes, scharfes Messer in das gegrillte Wildschwein, das mit heraushängender Zunge, angerichtet auf dem Küchentisch lag und sie mit trüben, leblosen Augen ansah. Der armen Sau war ihr fröhliches Grunzen längst vergangen, und nach dem Willen der Hexe, sollte dem König ein ähnliches Schicksal blühen …
»Ich heiz dir tüchtig ein, du hundsgemeines Schwein. Ich schüre für dich das Höllenfeuer auf Erden, auf dass du nie mehr froh sollst werden, ha-ha-ha-haa-rrr…«
Das feucht-fröhliche Wiegenfest wurde mit aller Prächtigkeit und Heftigkeit, ausgelassen gefeiert. Die Leute tanzten, lachten, sangen, schunkelten, aßen und tranken, als gäbe es bald nichts mehr zu futtern. Die armen Mägde und Küchenknechte rödelten wie verrückt und mussten so schwer schuften wie nie, um die Unmengen an Fressalien für die unersättliche Sippschaft heranzukarren.
Als die zwölf versoffenen Jungfern ihren maximalen Alkoholpegel erreicht hatten, zog das greise Dutzend obenrum blank und tanzte halbnackt auf den Tischen. Das war jetzt kein besonders ästhetischer Anblick gewesen, aber zum Glück war genügend Alkohol für alle da, um sich das Spektakel der rüstigen Altmeisterinnen schön trinken zu können.
Der absolute Hammer des Abends sollte aber erst noch kommen …
Als das hemmungslose Saufgelage sich allmählich dem Ende zuneigte und so manch scheintote Schnapsleiche sturzbesoffen unterm Tisch lag, erhielt das Neugeborene von jeder der zwölf alten Schnapsdrosseln eine Zauberwundertüte mit guten Gaben und Wünschen darin. Das Königskind sollte mit allem gesegnet sein, was eine junge Prinzessin fürs spätere Leben brauchte: Schönheit, Schlankheit, lange Beine, stramme Waden, gepflegte Fingernägel, einen knackigen Hintern, feste Brüste, einen flachen Bauch, samtweiche Haut, strahlend weiße Zähne, glänzende Haare, und dazu einen gut aussehenden, muskulösen, gut bestückten Königssohn mit einem pompösen Schloss und einer dicken Kutsche.
Die elfte Zauberfee hatte gerade ihre Glückwünsche ausgesprochen, da tauchte Hexe Nummer Dreizehn plötzlich auf. Die alte Schabracke sah verdammt wütend aus und zog ein griesgrämiges Gesicht, dass einem angst und bange wurde. Die Gäste hielten den Atem an und waren starr vor Schreck. Ohne zu grüßen und den König auch nur mit ihrem runzeligen Hintern anzusehen, stampfte die schrullige Schreckschraube wutentbrannt in den Festsaal und schmetterte ihre rostige Stimme, wie von einem mächtigen Donnerschlag getragen, durch die königlichen Hallen: »Man hat mich nicht zum Wiegenfest geladen; dafür werdet ihr mir büßen. Von diesem Tage an, soll mein Wille geschehen. Kein laues Lüftchen soll durch dieses Schloss mehr wehen. Die Tochter des Königs, das ist ein Versprechen, soll sich in ihrem achtzehnten Lebensjahr an einer vergifteten Spindel stechen. Auf dass sie nie mehr erwache! So vollziehe ich an euch meine Rache.«
»Oh nein, wie gemein!«, rief einer rein.
Das war’s auch schon gewesen, und das böse Hexenwesen, rauschte ab auf seinem Hexenbesen.
Die Königin war bleich vor Schreck, der König lag sternhagelvoll im Eck.
Aber noch war nichts verloren, denn die zwölfte Zauberin hatte ihren Wunsch noch übrig. Jetzt hatte die vergorene Saufamsel allerdings dermaßen die Laterne brennen, dass sie den Zauberspruch der beleidigten Leberwursthexe nicht aufheben konnte, sondern lediglich im Rahmen ihrer stark eingeschränkten Zauberfähigkeiten abzumildern versuchte. »Die … Die Königstochter … hickz …«, lallte die Zauberfee gedehnt, »soll nicht tot umfallen und abkratzen, sondern nur in einen tiiiiiiiiiefen Tiefschlaf fallen … Und nach hundert Jahren soll sie wieder aufwachen.« (Das waren ihre letzten Worte, bevor die gute, alte Fee kollabierte und sich zusammengekrümmt auf dem Parkett erbrach.)
Dann schlugen die Ereignisse Purzelbäume und erschlugen sich gegenseitig …
Am Morgen danach wachte der verkaterte König mit einem dicken Schädel auf dem Plumpsklo auf und dachte, er hätte letzte Nacht einen fürchterlichen Albtraum gehabt. Als die Königin ihrem alten Schluckspecht von dem schockierenden Vorfall berichtete, war der König außer sich vor Wut. »VERFLUCHTE SCHEIßE! DAS DARF DOCH WOHL NICHT WAHR SEIN!!!«
»Ja, es ist furchtbar schrecklich und grauenvoll«, sagte die Königin. »Aber wir können von Glück im Unglück reden, dass die zwölfte Zauberfee den Fluch gedrosselt hat …«
»Lächerlich«, entgegnete der König. »Bei hundert Jahren Koma kann man wohl kaum von Schadensbegrenzung sprechen. So besoffen kann doch keiner sein.«
Der König wusste sich nicht anders zu helfen, und in der Hoffnung, den Fluch abzuwenden, erließ er den Befehl, sämtliche Spindeln im ganzen Königreich mit sofortiger Wirkung zu verbrennen. Daraufhin gingen die Mitarbeiter der Textilbranche auf die Barrikaden und es kam zu heftigen Protesten, Tumulten und Aufständen. Um den wütenden Mob zu zerschlagen, setzte die Leibgarde des Königs Granatapfelwerfer, Zwiebelspray und Stinkbomben aus faulen Eiern und saurem Hering, sowie mit Essensresten bestückte Gulaschkanonen, gegen die wütenden Weberknechte und randalierenden Spinner ein.
Kurz darauf standen sämtliche Textilbetriebe des Landes vor dem Bankrott und gingen Pleite. Solange die Prinzessin nicht von einer Giftspindel gestochen werden würde, war dem König jedes Mittel recht.
Nachfolgend schoss die Arbeitslosenquote explosionsartig in die Höhe und nicht wenige der ehemaligen Textilarbeiterinnen, wechselten in ihrer großen Not und Verzweiflung ins horizontale Gewerbe. Später sollten die Weber herausfinden, dass man aus Hanf noch andere Sachen herstellen konnte, als Kleidungsstücke. So begannen einige Leute damit, Cannabis, Marihuana und andere Haschischpflanzen in ihren heimischen Schrebergärten heranzuzüchten. Der König würde geflissentlich darüber hinwegsehen, dass die armen Spinner ihre heiße Ware unter der Hand, auf Basaren und Wochenmärkten vertickerten; zumal der gemeine Pöbel durch den Konsum illegaler Rauschmittel wesentlich entspannter sein und nicht irgendein aufmüpfiges Lumpengesindel ständig den Aufstand proben würde.
Dass im Zuge dessen, immer mehr Leute selbst gebrannten Schnaps zu Dumpingpreisen auf dem Schwarzmarkt anbieten würden, sollte dem Apfelweinkönig noch bitter aufstoßen.
Drei Tage später folgte die nächste Katastrophe.
Wie von einem wilden Hornissenschwarm gestochen, kam der Schatzmeister ins Schloss gerannt, knallte dem König die Rechnung der Feier auf den Tisch und überbrachte ihm die höchst unerfreuliche Nachricht, dass der König sein Hab und Gut versoffen und auf den Kopf gehauen hatte.
»Verfluchter, verdammter Scheißdreck noch mal! Wie konnte denn das passieren?! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ist denn nichts mehr im Sparschwein?«
»Herr König, ich bedaure sehr: Die Kassen sind leer, nix hammer mehr.«
Ärgerlich.
Der König war bankrott und stand kurz davor, den Laden dicht zu machen und das Zepter abzugeben, da kam – wie es der Zufall will – ein armer Müllersmann auf Wanderschaft an den Hof des Königs flaniert und sprach mit einem seltsamen Akzent: »Ei Guude, Könisch, wie dann…? Hier horschema, isch hab gehört, ihr seid e bissi knapp in de Kass odder wass?«
»Da musst du dich verhört haben«, brummte der grummelige König missmutig.
»Was habbe Sie gesacht?«, entgegnete der Müller. »Isch hör so schlescht, wisse Se?«
»Und wenn’s so wäre, was geht dich es an?!«
»Ei, vielleischt kann isch Eure königlische Majestät bissi aus de Bredouille verhelfe?«
»Bredouille? Gott bewahre…«, sagte der König, der die Bredouille für eine Provinz in Frankreich hielt. »Kein Dutzend Pferde würde mich jemals ins Reich dieser blasierten Franzmänner bringen. Diese Froschschenkel fressenden Baskenmützenträger mit ihrem versnobten Acent … Ekelhaft! Bist du etwa einer von diesen bekloppten Baguette-Heinis? Dann zisch ab und zieh Leine, bevor ich dir dein Pariserbrot zwischen deine pomadigen Arschbacken ramme!«
»Parkett…?«, entgegnete der Müller irritiert. »Seh isch vielleischt aus wie’n französische Fußbodenverleescher? Naa, naa. Isch bin nur’n arme Müller, wo sei Brötscher mit Getreide un Backmehl un lauder so Zeusch verdiene tut, wisse Se?«
»Also gut, Müller, was ist dein Begehr? Sprich rasch und nuschle nicht!«
»Ei ja, wie isch vorhind schon gesacht hab … Isch hab ma die Lauscher un Guggelscher bissi uffgesperrt, gell, un da is mir zu Ohre gekomme, däss ihr in de Zwickmühl drin stegge tut … manni-manni-mäßisch gesehe, wisse Se? Zufällischerweise kann meine liebreizende Tochter hier, Stroh zu Gold spinne. Da biste baff, gelle?«
Obwohl der König an dem Tag wirklich ganz mies drauf war, was in Anbetracht der Gesamtsituation mehr als verständlich war, konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. »Ha! Jetzt spinnst du aber, was? Wer bist du denn, der Prahlhans, oder was?«
»Naa, naa, isch bin nur’n einfache Müllersmann hier, der wo e Tochter hat, mit ’nem außergewöhnlische un ganz besondere Talent.«
»Was denn für eine Tochter? Ich sehe hier niemanden außer uns beiden.«
»Ei hier, mei …« Der Müller sah sich verwirrt um und kratzte sich am Kopf. »Ei wo isse dann, wo is dann mei Mariechen? Ebbe grad war se doch noch da … Ei da isse ja! Ei komm doch ma zum Babba, mei Mädsche un saach dem Könisch ma weenischsdens guuden Tach. Brauchst disch doch net zu versteggele.«
Die schüchterne Müllerstochter trat stumm aus dem Hintergrund hervor und machte brav einen Knicks.
»Wisse Se, Herr Könisch«, fuhr der Müller fort, »mei Mädsche is was ganz Besonneres. Ei die kann sogar rischdisch leese un schreibe. Gell, Mariechen?«
Die junge Müllerstochter errötete, nickte zaghaft, verlegen unter sich blickend, und spielte unschuldig an ihren langen, geflochtenen Zöpfen herum, die über ihren prallen Brüsten baumelten.
»Jetzt pass mal auf, du Backpfeife«, sprach der König erzürnt und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den Müller. »Wenn du meinst, ich stelle mich mit so einem armen Schlucker hier, wie dir hier, auf eine Stufe, hier …, nur weil in der königlichen Goldkammer hier, gerade mal bisschen Ebbe herrscht, dann hast du dich aber geschnitten! Ich bin immer noch der König hier, capito?!«
»Ei was dann? Selbstverfreilisch, Euer königliche Hochwohlgeborenheit«, stammelte der Müllersmann demütig. »Isch wollt Ihne doch nur aus de Zwickmühl raus helfe.«
»Ha! Dass ich nicht lache. Wie könnte ein einfältiger, radebrechender Kauderwelsch wie du, einem eloquenten, blaublütigen Blaublütler wie mir denn helfen? Wenn deine Tochter angeblich so begabt ist wie du behauptest, dann verklickere mir mal, wieso du immer noch so ein erbärmlicher, ärmlicher Müllmann bist, der mit löchrigen, zerfransten Klamotten und zerfetzten Jesuslatschen durch die Gefilde vagabundiert, wie ein obdachloser Heckenpenner, hö?«
»Ei, wisse Se, sehr verehrter Herr Könisch, däs is folgendermaßen …«
»Papperlapapp, halt’s Maul!«, unterbrach ihn der König schroff. »Deine Meinung interessiert mich einen stinkenden Misthaufen. Ich will nichts mehr hören von diesem hirnverbrannten Schwachsinn. Scher dich weg und verscheißere deinesgleichen, bevor ich dir deinen hohlen Schrumpfkopfschädel wegen Majestätsverarschung abhacken lasse!«
Aber der Herr Müller war ein ganz hartnäckiger Zeitgenosse und ließ sich nicht von den Drohungen des Königs einschüchtern. »Mir mache Sie kei Angst. Abber wie Sie meine, Herr Könisch, von mir aus, wie Sie wolle. Es is ja net mein Könischreisch, däs de Bach enunner geht, gell.«
Die Königin, die den Disput aufmerksam im Hintergrund verfolgt hatte, hielt es nicht mehr aus und steuerte mit ihren hochhackigen Klackerschuhen zügig auf den König zu. »König! Jetzt sei doch nicht so stur und verbohrt und gib dem armen Mann da doch wenigstens mal eine Chance! Vielleicht stimmt es ja, was er sagt. Siehst du nicht die schönen Goldstränchen in ihren blonden Zöpfen? Vielleicht hat uns der Herrgott ein kleines Goldengelchen oben vom Himmel geschickt?«
Daraufhin kehrte der König in sich und sprach nach kurzer Bedenkzeit: »Na, meinetwegen. Schlimmer kann’s sowieso nicht kommen. Zugegeben, die Goldspinnerei ist ein Handwerk, an dem ich Wohlgefallen finden könnte. Obwohl ich mir nur schwerlich vorstellen kann, dass ein einfaches Müllerweib zu solch einer Zauberei imstande ist. Hoffentlich stellt sich deine Tochter nicht so dumm und ungeschickt an, wie du aussiehst und hat wirklich ein goldenes Hähnchen … Händchen.«
Da fiel dem König plötzlich ein, dass er vor kurzem alle Spindeln im ganzen Land in einen großen Aschenhaufen verwandeln ließ. Ohne Spindel kann man nun mal kein Stroh spinnen (und schon gar nicht zu Gold). Und der kurze Augenblick, in dem das zarte Pflänzchen der Hoffnung aufgekeimt war, löste sich auf wie ein Stück Würfelzucker in einer heißen Tasse Kaffee.
»Scheiße, verfluchte!«, fluchte der König wieder.
»Verflucht noch mal!«, schimpfte die Königin zurück. »Hör endlich mal auf mit deiner verfluchten Rumflucherei, Himmel, Herrgott, Arsch und Friedrich! Davon wird’s auch nicht besser!«
»Wir sind doch sowieso schon verflucht! «, sprach der König resigniert. »Da kommt es auf den einen oder anderen Fluch, mehr oder weniger, auch nicht mehr drauf an. Und wenn man in seinem eigenen Schloss nicht mal mehr fluchen darf, dann schlägt’s aber dreizehn, Donnerkeil und Wolkenbruch nochmal! Was zur Hölle sollen wir denn jetzt bloß machen?«
»Herrgott, ich weiß es doch auch nicht!«, rief die Königin hysterisch.
»Ach, wenn wir doch eine Spindel hätten; ach wenn wir doch eine …«
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