Zufriedenheit - Christina Berndt - E-Book + Hörbuch

Zufriedenheit E-Book

Christina Berndt

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Beschreibung

Sind Sie noch glücklich oder schon zufrieden? Selbstoptimierung ist in: Ständig plagen wir uns mit dem Gedanken, wie wir das Beste aus uns und dem Alltag herausholen können. Leider ist das Ergebnis oft gar nicht so gut wie erhofft. Der Wunsch nach immer mehr kann ganz schön unglücklich machen. Zeit also, innezuhalten: Was ist wirklich wichtig? Der einzige Zustand, in dem man nachhaltiges Wohlbefinden erreicht, ist Zufriedenheit. Im Gegensatz zum unkalkulierbaren Glück ist sie dauerhaft und basiert auf einer grundlegenden Lebensbejahung. Was Zufriedenheit ausmacht und wie man sie erreicht, beschreibt die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt. Sie zieht die neueste Forschung heran, lässt Menschen zu Wort kommen, die Krisen überwunden und für sich ganz eigene Lösungen gefunden haben, und sie zeigt, wie man Resilienz und andere »Zutaten« zum Zufriedensein trainieren kann.

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Christina Berndt

Zufriedenheit

Wie man sie erreicht und warum sie lohnender ist als das flüchtige Glück

Für Peter, Linn und Tessa

Einleitung

Wie geht es dir? »Ich bin zufrieden.«

Kaum jemand antwortet in dieser Schlichtheit auf die gängige Frage nach dem aktuellen Wohlbefinden. Und wenn doch, dann ist dies meist keine besonders erfreuliche Äußerung. Sorgenfalten könnten sich bei dem, der gefragt hat, auf der Stirn breitmachen: Schließlich ist »Ich bin zufrieden« meist mit einem »Na ja« konnotiert. Och, es geht schon irgendwie, heißt das. Ich pass mich an. Zufrieden zu sein, sich zufriedenzugeben, das gilt weithin als eine Kapitulation vor den Ansprüchen des Lebens.

Dabei ist der Zustand der Zufriedenheit doch der beste, den man erlangen kann. Ob es einem nun, von außen betrachtet, gut geht oder schlecht: Das ist wohl nebensächlich, wenn man – ehrlich und wahrhaftig – mit dem eigenen Sein zufrieden ist. Was bedeuten die Eckdaten schon, die mit den Messinstrumenten des Erfolgs, des Finanzwesens, der ärztlichen Diagnostik bestimmt werden, wenn man sich trotz negativer Ergebnisse und gegen alle Prognosen wohlfühlt in der eigenen Haut; wenn man es sich innerhalb der äußeren Grenzen, die etwa durch spärliche Einkünfte oder eine chronische Krankheit gesteckt werden, ganz behaglich in seinem Leben einrichten kann und die Vorzüge seines Daseins erkennt und schätzt, statt den verpassten Chancen nachzutrauern und nach einem noch angenehmeren Leben mit noch besseren Möglichkeiten zu lechzen.

Unser Alltag ist geprägt davon, dass wir das Beste aus ihm und aus uns herausholen wollen. Produkte zur Selbstoptimierung finden reißenden Absatz. Ständig plagen wir uns mit dem Gedanken, wo wir noch präziser, effektiver, effizienter mit unseren Ressourcen umgehen können. Wo es noch mehr fürs Geld gibt oder mehr Glück zu finden ist. Glücksratgeber boomen seit Jahren, Apps auf dem Smartphone erinnern uns mit einiger Penetranz an unsere Vorhaben, damit wir das Streben nach Perfektion beim Sporttreiben, bei der Nahrungsaufnahme und selbst beim Kinderkriegen bloß nicht zwischendurch vergessen. Und immer mehr Arbeitnehmer greifen schon zu Neurostimulanzien, um ihre Gehirne nicht mehr nur mit Hilfe von Sudokus oder Softwareprogrammen zu trimmen, sondern auch auf chemischem Wege.

Leider ist das Ergebnis oft gar nicht so gut wie erhofft. Zwischen Ideal und Realität tut sich am Ende eine Kluft auf. Die Karriere verharrt trotz allen Einsatzes und trotz akribischer Pläne auf der gleichen Stufe; das Gewicht will nicht weniger werden – oder zumindest nicht auf die Tiefstmarke absinken, die man sich vorgenommen hat. Nicht einmal das Wohlbefinden wächst.

Das Streben nach Glück, es kann paradoxerweise ganz schön unglücklich machen.

Zeit also, sich auf das Wesentliche zu besinnen: sich über das zu freuen, was das Leben einem bietet, statt ihm ständig mehr und mehr abtrotzen zu wollen. Pläne zu schmieden, die ohne zerstörerischen Ehrgeiz realisierbar sind und die deshalb am Ende wirklich ein Erfolgsgefühl bescheren und das Selbstbewusstsein stärken. Nicht immer die ganz großen Träume zu träumen, die letztlich wie Seifenblasen zerplatzen, sondern solche, die sich erfüllen lassen – und an denen man sich dann unbeschwert freuen kann. Realistische Pläne, lebbare Träume – sie machen nicht nur zufrieden, sondern in der Folge auch stark. Stark, um neue Pläne zu entwerfen und umzusetzen.

Zufriedenheit mag auf den ersten Blick die weniger attraktive, die weniger glamouröse Stiefschwester des Glücks sein. Aber sie ist verlässlich und auf Dauer erfüllend: Im Gegensatz zum großen Glück ist Zufriedenheit ein lang anhaltendes Gefühl, weniger aufjauchzend, weniger euphorisierend, aber ruhig und stabil. Anders als das stolze, sich stets nach vorne drängelnde Glücksgefühl wirkt die Zufriedenheit eher im Hintergrund. Dabei ist sie ein Quell der Kreativität. Sie basiert auf einer positiven Grundstimmung, auf einer grundlegenden Lebensbejahung – und sie ist weniger vom Herzen oder, wissenschaftlicher ausgedrückt, von den für die Gefühle zuständigen Regionen im Gehirn gesteuert und dafür umso mehr vom Verstand. »Zufriedenheit ist das Ergebnis von Denkprozessen«, sagt der Psychologe Philipp Mayring von der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Daraus ergibt sich ein unschlagbarer Vorteil: Jeder Mensch kann seine Zufriedenheit erheblich stärker beeinflussen als das flüchtige Glück.

Wie zufrieden ein Mensch ist, hängt im Großen und Ganzen davon ab, in welchem Maße seine Ansprüche an sich selbst und an das eigene Leben erfüllt werden. Zufriedenheit ist also das Ergebnis eines Vergleichs: Wir setzen unsere tatsächliche Situation in Beziehung zu unserer Idealvorstellung von unserem Leben. »Je kleiner die Kluft ist, desto zufriedener sind wir«, sagt Jochen Brandtstädter, emeritierter Professor für Psychologie an der Universität Trier.

Das bedeutet aber auch, dass es zwei Stellschrauben für die Zufriedenheit gibt: Man kann versuchen, einen größeren Teil der eigenen Ansprüche zu erfüllen. Man kann aber auch seine Ansprüche herunterschrauben und lernen, sich stärker mit den Gegebenheiten abzufinden, damit im positiven Sinne zufrieden zu sein und das Dürsten nach dem immer Besseren, Höheren, Weiteren zu beenden.

Der erste Weg ist der offensive Weg zur Zufriedenheit, für den wir uns anstrengen müssen und an dessen Ende die Belohnung lockt. Der zweite Weg ist eher defensiv: Wir stecken zurück, wir lassen Dinge geschehen, wir passen unsere Vorstellungen der Wirklichkeit an. Dieser defensive Weg fällt den meisten Menschen schwerer. In unserer Biologie, unserem Menschsein sind wir so angelegt, dass wir stets auf Anerkennung und neue Errungenschaften abzielen und auch bereit sind, uns dafür zu engagieren. Schließlich haben im Laufe der Evolution nur jene biologischen Arten überlebt, die etwas dafür getan haben, genügend zu fressen zu finden, und die trotz aller Mühen Nachkommen großgezogen haben. Uns Ziele zu setzen, gehört für uns zum Alltag. Der defensive Weg erscheint uns deshalb häufig als Niederlage.

Zweifellos ist der offensive Weg in vielen Lebenssituationen der richtige. Er treibt uns dazu an, Höchstleistungen zu bringen, am Ende Erfolge einzufahren und uns darüber zu freuen. Allerdings ist die Freude oft nur kurzlebig, bald schon bemühen wir uns um das nächste Projekt. Dauerhaftes Glück erreichen wir auf diese Weise nicht.

Das unaufhaltsame Streben nach Mehr kann sogar zu einer schlechten Strategie werden, wenn wir ständig an unseren Vorstellungen scheitern. Dann ist quälende Unzufriedenheit das Ergebnis. Das Selbstwertgefühl wird in Mitleidenschaft gezogen. Unsere Optimierungsphantasien ziehen uns in einen Strudel, der immer weiter abwärtsführt. Burn-out und Depressionen drohen.

Dabei brachte schon in der Antike die philosophische Schule der Stoa den Menschen bei: Besitz ist wertlos; der Königsweg zur stoischen Weisheit besteht darin, jene Dinge, die nicht der eigenen Verfügung unterliegen, so sein zu lassen, wie sie sind. Gelassenheit und Seelenruhe – sie sind die wichtigsten Eigenschaften, die sich ein Stoiker erarbeiten sollte. Ganz ähnliche Ziele verfolgen vor allem östliche Religionen und Meditationslehren, die helfen, Ruhe zu finden in einer gehetzten Welt.

Darum geht es auch bei der Zufriedenheit: Gelassenheit üben, Loslassen lernen, Wünsche und Träume kommen und einfach wieder ziehen lassen, sich Fehler und Unvollkommenheit verzeihen – das sind die Schlüsselstrategien. Dazu gehört es, nicht über ungenutzte Möglichkeiten zu klagen, sondern zu akzeptieren, dass diese Vergangenheit sind: In dem Moment, in dem sie sich boten, sprachen ganz offensichtlich Gründe dafür, diese Möglichkeiten nicht als Chancen zu sehen oder sie trotz ihrer Attraktivität eben nicht zu ergreifen. Zufriedenheit bedeutet schließlich auch, Frieden zu schließen mit sich, den eigenen Versäumnissen und selbst mit unangenehmen Personen und Situationen, mit denen jeder Mensch in seinem Leben immer wieder konfrontiert ist und vor denen es kein Ausreißen gibt.

Zufriedenheit meint hingegen nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, sich zu bescheiden, zu resignieren oder gar antriebslos zu sein. Um sie zu erlangen, muss man durchaus etwas tun. Auch kann sich, wer nach Zufriedenheit strebt, weiterhin für eine bessere Welt engagieren, sich für Menschen in Not einsetzen und Karriere machen. Es geht um die eigene Lebenswirklichkeit und um eine Lebenseinstellung, die zu einem besseren Umgang mit Problemen und dadurch auch zu mehr Gesundheit beiträgt.

Das Schöne daran ist: Zufriedenheit kann man lernen. Letztlich geht es darum, das Machbare vom Nichtmachbaren zu unterscheiden. Es gilt, seine Vorhaben immer wieder kritisch zu überprüfen und in der Folge auch einmal ein Ziel aufzugeben oder nach den gerade aktuellen, ganz persönlichen Vorlieben abzuändern: Was ist mir jetzt eigentlich wichtig? Wie man das herausfinden und an der eigenen Zufriedenheit arbeiten kann, davon erzählen die folgenden Seiten.

Um die eigenen Wege zur Zufriedenheit zu erkennen und umzusetzen, ist der Blick auf die Erfahrungen anderer Menschen hilfreich. Deshalb sind neun wahre Geschichten in dieses Buch eingestreut. Die Beispiele veranschaulichen, wie zerstörerisch eine andauernde Unzufriedenheit und stetes Dürsten nach noch mehr Glück sind – gleich, ob man dieses Glück im beruflichen Erfolg, in finanzieller Optimierung, beim perfekten Partner oder im Alltag seiner Familie erwartet. Und sie zeigen, wie Menschen, die sich in einer solchen zermürbenden Situation befanden, für sich eine Lösung gefunden haben: wie sie, ohne gleich sämtliche Vorstellungen und Ziele über den Haufen zu werfen, zufrieden geworden sind.

1 Die aufreibende Suche nach dem Glück

Das Verlangen nach Glück ist so groß geworden, dass es schon den Philosophen Sorgen bereitet: »Viele Menschen sind plötzlich so verrückt nach Glück, dass zu befürchten ist, sie könnten sich unglücklich machen, nur weil sie glauben, ohne Glück nicht mehr leben zu können.« So läutet Wilhelm Schmid, wohl einer der bekanntesten deutschen Glücksphilosophen der Gegenwart, sein Büchlein ›Glück‹ ein. Es sei dringend eine »kleine Atempause inmitten der Glückshysterie nötig, die um sich greift«, stellt Schmid fest.

Fakt ist: Glück liegt absolut im Trend. Gut 2000 Jahre nachdem Philosophen erstmals eine Definition dieses abstrakten Bestzustands vorgelegt haben, ist das Streben nach dem großen Glück zur Normalität geworden. Jahrhundertelang haben Menschen, unterbrochen von kürzeren Episoden der lebenstollen Ekstase, das Leben für etwas gehalten, was zunächst einmal zu bewältigen sei. Die eigene Existenz galt als eine Herausforderung, die möglichst unbeschadet zu bestehen war. Nur wenige kannten den Luxus, mehr als nur das Beste aus ihrem Dasein machen zu können. Diese Wenigen waren von äußeren Zwängen so befreit, das Leben gelang so nebenbei, dass sie genügend Geld, Zeit und Energie hatten, um nach mehr zu verlangen: nach einem glücklichen Leben.

Inzwischen haben viele Menschen diese Möglichkeiten. Obwohl Stress und Leistungsdruck zunehmen und in der Folge auch die Zahl psychischer Erkrankungen, haben die meisten Menschen neben der Bewältigung ihres Alltags noch genügend Muße für die Suche nach dem ultimativ guten Gefühl. Vorbilder im Kino wie in der Ratgeber-Literatur suggerieren, dass Glück der anzustrebende Zustand ist und man sich mit weniger nicht zufriedenzugeben hat. Überbordende Gefühle sind gefragt. Im Mittelmaß tut man es nicht mehr. Der Anspruch ist das Maximum.

Bei all dem steht es gar nicht gut ums Glück. Denn Glück wird durch diese Haltung zum Stress. Seine Abwesenheit gilt am Ende nicht mehr als Normalzustand, sondern wird als Defizit empfunden, für das es Lösungen zu suchen gilt. Dabei weiß jeder Mensch in seinem Inneren genau, dass die Momente des Jauchzens und Frohlockens vergänglich sind. Glück lässt sich nicht festhalten. Deshalb ist das Glücksgefühl oft mit einem schalen Beigeschmack verbunden – nämlich der Sorge, dass es bald wieder verloren geht Und wenn das Glück abgeflaut ist, schmerzt das Verlangen, es möge sich doch rasch wieder einstellen. Für den ersehnten Zustand ist man immer mehr zu tun bereit. Gerade weil dem Glück etwas Ekstatisches anhaftet, macht es süchtig. Im Gehirn wirkt es wie eine Droge. Der Genuss, er verwandelt sich bald in ein Muss.

Weshalb wir das große Glück nicht finden

Es geht uns ja gar nicht so schlecht: Viele Deutsche, so sagen sie selbst, begegnen dem Glück recht regelmäßig. Auf die Frage, ob sie in den vergangenen vier Wochen glücklich waren, geben immerhin acht Prozent »sehr oft« zur Antwort, und 45 Prozent sagen, das sei »oft« der Fall gewesen. So erlebt also mehr als jeder Zweite häufig Glücksmomente. Allerdings sagen auch 35 Prozent der Deutschen, sie seien nur »manchmal« glücklich gewesen, neun Prozent geben »selten« an und drei Prozent sprechen sogar nur von »sehr selten«.

Die Daten hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Sozio-oekonomischen Panel erhoben. Dafür stellen Wissenschaftler alljährlich in denselben 11000 Haushalten mit ihren inzwischen rund 30000 Personen Fragen nach der Lebenssituation. Seit 2007 erkundigen sie sich auch, dem Zeitgeist folgend, nach dem Glück.

Die Daten des Panels zeigen: Momente des Glücks sind keine Rarität, aber inflationär verbreitet sind sie auch nicht gerade. Seit das ›Sozio-oekonomische Panel‹ das Glück erfasst, antworten die Befragten mit erstaunlichem Gleichklang: Der Anteil der Menschen, die »sehr oft« oder »oft« glücklich sind, ist sehr konstant geblieben.

Weshalb also wächst das Glück der Deutschen nicht? Weshalb nimmt die Zahl der Glücklichen in diesem nach Glück strebenden Land nicht zu? Die Antwort liegt wohl letztlich in der Natur der Sache: Glück ist außergewöhnlich. Der Mensch empfindet Glück nun einmal nur, wenn etwas Mitreißendes, durch und durch Besonderes, unglaublich Faszinierendes geschieht. Das muss so sein; es wäre absurd, wenn unser Körper mit diesem überwältigenden Gefühl auf Alltägliches reagieren würde. Glück ist eines der besten Gefühle, das der Mensch haben kann. Sein ganzer Körper legt sich dafür ins Zeug (siehe Was sich im Körper abspielt, S. 73). Deshalb sind die überschäumenden Reaktionen aber auch nur dann möglich, wenn dem Menschen etwas Einzigartiges widerfährt. Glück kann weder zum Normalzustand werden, noch ist es auf Dauer angelegt. Wer anderes erhofft, hat schlicht zu hohe Ansprüche. »Irdisches Glück heißt: Das Unglück besucht uns nicht zu regelmäßig«, notierte der Schriftsteller Karl Gutzkow abgeklärt. Wer glaubt, jemand könne »glücklich bis ans Ende seiner Tage« sein, der glaubt wohl noch an Märchen – oder er meint mit dem Wort »glücklich« eigentlich »zufrieden«.

»Wir sind nicht dafür gemacht, ständig glücklich zu sein«, sagt der Hirnforscher Manfred Spitzer, der sich viele Jahre mit der Entstehung von Glückszuständen beschäftigt hat. Demnach ist Glück vor allem eine Reaktion des Gehirns. In einem Augenblick des Glücks ist die Schaltzentrale unter unserer Schädeldecke überzeugt: wow! Dies ist ein richtig guter Moment, er ist besser als alles, was ich erwartet habe. Und das signalisiere ich jetzt dem ganzen Körper, damit er merkt, wie gut sich das Leben anfühlen kann und wonach er streben soll.

Am stärksten ist das Glücksempfinden, wenn uns überraschend etwas Gutes widerfährt; Glücksgefühle sind aber auch die Belohnung, wenn wir am Ende einer großen Anstrengung ein Ziel erreicht haben. In beiden Situationen setzt das Gehirn in großer Menge Glückshormone wie Dopamin, Endorphine und Oxytocin frei. Vor allem das Dopamin motiviert uns und steigert unseren Antrieb, damit wir weiterhin Leistung bringen. Und noch etwas macht uns glücklich: Neben Überraschung und Erfolg empfinden wir es auch als ausgesprochen angenehm, wenn eine stressige, fordernde oder gar bedrohliche Situation zu Ende gegangen ist. Dann sinken die Spiegel der Stresshormone Adrenalin und Cortisol in unserem Blut, Entspannung stellt sich ein, und ein wohliges, oft euphorisches Glücksgefühl breitet sich in uns aus.

Glück ist also Chemie – auch wenn das wenig romantisch klingt. Es sind biochemische Veränderungen, die die guten Gefühle aufkommen lassen. Das hat aber eine unausweichliche Folge: Damit Glückshormone den Körper überfluten können, müssen ihre Spiegel vorher zwangsläufig niedrig gewesen sein, das Lebensgefühl muss auf niedrigem Niveau dahinplätschern, bevor Raum für den nächsten hormonellen Glücksschub ist. Und wenn uns umgekehrt absinkende Spiegel von Stresshormonen gute Gefühle bereiten, dann müssen diese unangenehmen Hormone zuvor im Körper getanzt haben. Wohltuende Entspannung kann nur eintreten, wenn wir vorher unter Stress standen, Erfolge erleben wir nur, wenn wir uns angestrengt haben. Und freudige Überraschungen gibt es nur, wenn wir nicht sowieso schon auf Wolke sieben unterwegs sind.

Momente des Glücks entstehen somit nicht, ohne dass es davor unangenehm oder zumindest mäßig war. »Ohne Anstrengung und schwierige, sogar leidvolle Zeiten gibt es keine Zeiten des Wohlgefühls«, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid. »Das Wohlgefühl bleibt leer, wenn es nur für sich steht.« Je unerfreulicher eine Phase war, umso größer ist an ihrem Ende meist das Glücksgefühl. Und je mehr man sich nach dem Erreichen eines Ziels gesehnt hat, desto erfüllender ist es, wenn man endlich angekommen ist.

Ständige Glückszustände funktionieren also schon aus biologischen Gründen nicht. Die Botenstoffe, die das Gehirn in seiner Euphorie ausschüttet und die die wohligen Gefühle erzeugen, werden vom Körper wieder abgebaut. Es wird Platz geschaffen für neue Momente des Glücks. »Glück lässt sich nicht festhalten«, sagt die Soziologin Hilke Brockmann von der Happiness Research Group an der Jacobs University Bremen. Aber man sollte ihm auch eine Chance geben zurückzukehren: »Stellen Sie sich vor, Sie selbst wären das Glück«, formuliert der Arzt und Komiker Eckart von Hirschhausen das ironisch, »würden Sie dann gern bei sich vorbeikommen?«

Andauerndes Glück könnten wir wohl nicht einmal ertragen: Es war Mitte der 1950er-Jahre, als Ratten in Versuchslabors erstmals vor Glück zusammenbrachen. Der US-amerikanische Psychologe James Olds forschte an der Harvard University mit Laborratten. Er wollte eigentlich etwas über das Lernen herausfinden. Doch dabei entdeckte er, dass bei der Aktivierung einer bestimmten Region im Gehirn so ausgesprochen angenehme Gefühle entstanden, dass für die Ratten kein Halten mehr war.

Aktivität im Gehirn ist immer elektrisch. Auch wenn Hormone dort wirken, lösen sie letztlich elektrische Impulse aus. Deshalb hatte James Olds eine Apparatur entwickelt, bei der die elektrischen Impulse von außen kamen. Auf Knopfdruck wurden über kleine Elektroden in den Köpfen der Ratten jene Gegenden des Gehirns aktiviert, die heute »Belohnungszentrum« heißen und von dessen erdrückender Macht auf den Willen und die Lebenslust James Olds zu Beginn seines Versuchs noch gar nichts wusste.

Das Besondere an seinem Versuchsaufbau war: Die Ratten konnten selbst den Knopf betätigen, der ihnen Glücksgefühle verschaffte. Die Tiere nutzten das redlich. Bis zu achttausend Mal pro Stunde belohnten die Ratten sich und das tagelang – bis sie erschöpft zusammenbrachen. Vor lauter Lust auf Glück hatten sie vergessen zu fressen und zu schlafen. Nicht einmal für Sex interessierten sie sich noch. Es zählte nichts anderes mehr als der nächste kurze Moment der Euphorie.

Olds wies mit seinen Experimenten nicht nur das Belohnungszentrum im Gehirn nach. Er zeigte auch unmittelbar: Glück macht süchtig und das Streben danach kann zerstörerisch sein. Wer nur auf der Suche nach dem nächsten Kick ist, vergisst, seine Grundbedürfnisse zu stillen. Auch deshalb ist im Gehirn von Menschen und Tieren wohl ein Ende des Glücks vorprogrammiert. »Unser Organismus ist darauf ausgerichtet, ein körperliches und seelisches Gleichgewicht herzustellen«, sagt Inga Neumann, Leiterin des Instituts für Neurobiologie und Tierphysiologie an der Universität Regensburg. »Deshalb beruhigen sich die Schaltkreise im Kopf schnell wieder.«

Rein biologisch betrachtet, sollen Glücksgefühle das Überleben sichern: Wer etwas Nahrhaftes isst, Sex hat oder sich der Nähe liebender Personen erfreut, erlebt Glück. Aber dieses Gefühl muss wieder abflauen, sonst würde dem Menschen wohl der Antrieb fehlen, er würde sich schlicht nicht mehr weiterentwickeln. Es gäbe keine Motivation, etwas auf die Beine zu stellen, einen Plan zu entwickeln und umzusetzen – auf welchem Gebiet auch immer. Auch deshalb ist die Lust auf Glück so übermächtig: Sie ist ein evolutionärer Ansporn, eine Triebkraft, nach Mehr und nach Besserem zu trachten, ohne die wir auf der Stelle treten und am Ende verhungern würden.

Der Nachteil an dieser Triebfeder der Evolution aber ist: Wenn Glück relativ leicht zu bekommen ist, wird das Streben danach schnell zur Sucht. Das gilt nicht nur für das Glück auf Knopfdruck in einem Rattenexperiment und das vermeintliche Glück, das Drogen uns verschaffen, sondern auch für Glücksmomente, wie sie in einer reichen Welt kontinuierlich verfügbar sind. »In unserer Konsumgesellschaft sind wir ständig auf der Suche nach Reizen, die ein Euphoriegefühl auslösen«, sagt Tagrid Leménager von der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim: Allzu leicht sei Euphorie zu bekommen, beim Kaufen eines neuen Outfits, beim Buchen einer schönen Reise, beim nächsten Erlebnisevent. Doch schnell gewöhnen wir uns auch an das, was uns eben noch berauscht hat. »Um das gleiche gute Gefühl zu erzeugen, braucht man dann mehr«, so Leménager. »Mehr Geld, mehr Partys, mehr Urlaub.« Wie bei einer Drogensucht muss die Dosis ständig erhöht werden. So ist das zunehmende, zum Teil haltlose Streben nach Glück in unserer Gesellschaft wohl eine Folge ihres Wohlstands.

Jeder weiß aus Erfahrung: Ihren Reiz verlieren nicht nur neue Gegenstände bald. Auch die schönsten Erlebnisse verblassen. Selbst wenn sie sich in derselben Form wiederholen, die uns eben noch so überwältigt hat – oder gerade dann: Körper und Geist finden etwas, das noch einmal geschieht, nicht mehr so berauschend wie beim ersten Mal. Sie reagieren gedämpfter, und bei jeder Wiederkehr fällt die Begeisterung geringer aus. Das Überraschende des Glücksempfindens fehlt. Wahres Glück hat immer etwas Schicksalhaftes.

Karrierestufen, die wie in vielen Beamtenpositionen nach einer von vornherein festgelegten Anzahl von Jahren automatisch erklommen werden, bereiten vielleicht Freude, weil ein neues Türschild angebracht wird und sich auf dem Konto höhere Beträge einfinden. Aber so große Glücksgefühle wie eine mühsam herbeigeschuftete oder eine unerwartet ausgesprochene Beförderung lösen sie nicht aus. Denn zutiefst beglückt fühlt sich nur, wer sich als begünstigt empfindet.

Auch hierin liegt der Grund dafür, weshalb der Mensch bei Glückswiederholungen schnell abstumpft. Das Unerwartete ist nun einmal nicht mehr unerwartet, wenn es wiederholt eintritt. Körper und Geist beginnen mit der Belohnung zu rechnen, sie spekulieren auf das gute Gefühl. In diesem Moment ist für den, der nicht nach Zufriedenheit, sondern nach dem großen Dauerglück strebt, nur noch Enttäuschung möglich. Es ist das Schicksal jeder Liebe, dass der tausendste Kuss nicht mehr das Kribbeln im Bauch auslöst, wie es der zehnte noch tat.

»Jeden Tag Kaviar essen wird nun einmal langweilig«, sagt Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Zürich. Das Gehirn braucht die Abwechslung, um sich erfreuen zu können. Der Mann, der beim ersten gemeinsamen Einkauf auf dem Markt die Vorliebe seiner neuen Partnerin für Serrano-Schinken und Trüffelleberwurst entdeckt und diese fortan an jedem Wochenende erneut mit genau diesen Einkäufen beglücken möchte, erntet spätestens ab Woche vier nur noch mitleidiges statt beseeltes Lächeln.

Schon Ende der 1970er-Jahre überraschten Psychologen um den Amerikaner Philip Brickman mit der Entdeckung, dass selbst einschneidende Ereignisse auf lange Sicht wenig an den Glücksgefühlen der Menschen ändern. 18 Monate nach einem hohen Lottogewinn waren Menschen nicht glücklicher als solche, die nichts gewonnen hatten. Seither bestätigten unzählige Studien, dass sich die glücklichen Ausschläge im Leben bald wieder auf Normalmaß einpendeln (während die unglücklichen durchaus empfindliche Nachwirkungen haben können, siehe S. 50). »Wir Menschen sind außerordentlich anpassungsfähig. Wir gewöhnen uns sehr schnell an neue Lebensumstände, zum Beispiel auch an eine Verdopplung des Gehalts«, sagt der französische Wirtschaftsprofessor Daniel Cohen. »Zunächst freuen wir uns vielleicht, dass wir uns künftig zwei Wochen mehr Urlaub im Jahr leisten können. Doch schon nach ein paar Monaten erscheint uns diese Veränderung als nichts Besonderes mehr.«

So währt Glück stets nur kurz. Es immer wieder spüren zu wollen, bedeutet deshalb eine große Herausforderung, ihm nachzujagen eine Last. Ständig müssen überraschend positive Veränderungen eintreten, um wieder Glück erleben zu können. Schon seit Brickmans Forschungen zu den Lottogewinnern sprechen Wissenschaftler von der »hedonistischen Tretmühle«, der Tretmühle des Glücks, in der wir uns befinden. Wir strampeln uns ab, aber wir bleiben am selben Ort. Am Ende, nach kurzen Höhenflügen der Euphorie, pendelt sich unser Glückslevel doch in etwa wieder auf dem Niveau ein, wo es sich die ganze Zeit befunden hat.

Das Paradoxe dabei ist: Je mehr wir nach Glück streben, desto weniger glückliche Momente werden wir erleben. Je kalkulierter der Erfolg ist, desto weniger Euphorie löst er aus. Schon aus diesem Grund kann Selbstoptimierung, wie sie inzwischen in allen Bereichen des Lebens Einzug gehalten hat, nicht glücklich machen. Es bleibt immer der schale Beigeschmack, nur das erreicht zu haben, was man längst schon erreicht haben wollte. Und wenn dies endlich eingetreten ist, ist das nächste Ziel bereits gesteckt. »Das Glück ist ein Schmetterling. Jag ihm nach und er entwischt dir, setz dich hin, und er lässt sich auf deiner Schulter nieder«, lässt der Jesuitenpriester Anthony de Mello in seinem Buch ›Gib deiner Seele Zeit‹ einen Meister zu seinen Schülern sagen.

Weil der Mensch im Grunde seines Herzens um die Kurzlebigkeit des Glücks weiß, ist jeder schöne Augenblick mit der Angst verbunden, das angenehme Gefühl bald wieder zu verlieren. Schon in den Moment des Glücks mischt sich also die böse Ahnung, dass es wohl bald wieder vorbei sein muss. Nur kurze Zeit kann man sich dem guten Gefühl hingeben, und gleichzeitig zittert man und ruft, verachtet vom Doktor Faustus: »Verweile doch! Du bist so schön!«

Wer zu sehr nach Glück strebt, der bekommt somit zunehmend Angst vor den Widrigkeiten des Lebens. Sie stören seinen Plan, sie bringen die guten, sorgenfreien Momente in Gefahr. Wer auf Teufel komm raus glücklich sein will, muss sich vorm Teufel gut verstecken.

»Einfach glücklich sein« antworten viele Menschen heute auf die Frage nach dem Sinn ihres Lebens. Was zunächst wie eine positive Weiterentwicklung klingt – weg von so äußerlichen, wenig nachhaltigen Zielen wie Karriere und Status, hin zu einem erfüllten Leben –, ist in Wahrheit zu einem neuen Götzenkult geworden. Nun rennt man vielleicht nicht mehr dem Geld und dem nächsten Pöstchen hinterher, dafür aber dem Glück. Statt nach dem »Wozu« sollte man lieber nach dem »Wofür« fragen, empfiehlt daher der Philosoph Robert Pfaller von der Universität für angewandte Kunst in Wien. Nicht: Wozu lohnt es sich zu leben? Sondern: Wofür lohnt es sich zu leben? Auch wenn die Formulierungen sehr ähnlich klingen, sind die Antworten darauf fundamental unterschiedlich: Es geht beim Wofür eben nicht um die großen Ideen und bedeutenden Aufgaben, denen man das Leben unterordnen könnte – und deren Umsetzungen noch dazu alle in der Zukunft liegen. »Wenn die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, zunächst als anspruchsvolle philosophische Herausforderung erscheinen mag, so fallen doch die Antworten gar nicht schwer: mit Freunden ein Gespräch beim Kaffee führen; eine Aussicht genießen; eine Runde schwimmen; in angenehmer Gesellschaft ein Glas Wein trinken; Momente der Zärtlichkeit oder der Liebe«, sagt Pfaller. »Solche Momente geben uns Gelegenheit, zu bemerken, dass sich das Leben lohnt; möglicherweise auch in vielen seiner übrigen Momente. Aber nur, wenn wir das bemerken können, lohnt sich das Leben.«

»Unsere vornehmste Aufgabe ist zu leben«, hat der französische Philosoph Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert geschrieben. Laut Robert Pfaller gehört es deshalb dazu, im Leben selbst »etwas Behauptendes zu erblicken« – und nicht nur in Projekten wie »Hochzeit«, »Karriere«, »zweites Kind«, die die herrliche Profanität des Lebens maskieren sollen.

Die Liebe zu den einfachen Momenten aber ist für viele Menschen schwierig in einer Welt, in der alles machbar erscheint. Der Zeitgeist vermittelt die Überzeugung, jeder Mensch könne alles erreichen, wenn er sich nur genügend anstrengt. »Jeder ist seines Glückes Schmied« heißt es schon seit der Zeit der römischen Kaiser. Aber in der heutigen Welt sind die Möglichkeiten, dem Glück nachzuhelfen, unüberschaubar geworden. Ob in der Werbung, bei Karrierechancen oder in den eifrig genutzten Flirt-Apps auf dem Handy: Ständig sehen wir neue Möglichkeiten, unser Lebensglück zu optimieren. Wer aufs Glück aus ist, der lebt dauerhaft in der Zukunft, der bastelt und schmiedet und wehrt zugleich Gegenläufiges ab. Das Wohlfühlen im Augenblick verkümmert, der Genuss des Vergangenen, bereits Erreichten auch. Die Lustmomente der Gegenwart und die Hoffnungen auf ein Glück in der Zukunft tragen aber längst nicht so viel zu einem guten Lebensgefühl bei, wie dies viele Menschen annehmen. Sich entspannt zurückzulehnen, sich des eigenen, in der Vergangenheit erlebten Glücks auch in der Rückschau immer wieder zu erfreuen, kann dagegen auf zwanglose Weise bereichernd sein. »Lerne schätzen, was du (gehabt) hast!«, sagt deshalb der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman. Das ist zwar weniger euphorisierend, macht aber enorm zufrieden.

Was uns die Glücksforschung trotzdem lehrt

Die Sehnsucht nach Glück macht süchtig, krank und bleibt – abgesehen von kurzen Momenten – unerfüllt. So könnte man die Ergebnisse der Glücksforschung zusammenfassen, das Thema Glück dem Zufall überlassen und sich der Zufriedenheit zuwenden. Doch die Glücksforschung lehrt uns nicht nur unangenehme Einsichten in das Thema Glück. Auch wer in Sachen Zufriedenheit dazulernen will, kann einige Erkenntnisse aus ihr ziehen.

In Wirklichkeit beschäftigt sich die Glücksforschung nämlich zu einem großen Teil mit der Zufriedenheit. Die Wissenschaftler sprechen nur so gerne vom Glück, weil sich das in den Ohren der Menschen so besonders gut anhört. Und das gilt nicht nur für Leser und Studenten, sondern auch für jene Leute, die Forschungsgelder vergeben. Dabei wird in den Happiness Research Groups und Happiness Laboratories dieser Welt häufig gar nicht das Glück (»Happiness«) studiert, sondern oft genug die Lebenszufriedenheit (»Life Satisfaction«) oder das »Subjective Well-Being« (SWB): Dieses subjektive Wohlbefinden umfasst vor allem die Zufriedenheit, die durch Momente des Hochgefühls und der Freude bereichert und durch negative Emotionen in Mitleidenschaft gezogen wird. Das subjektive Wohlbefinden einer Person ist demnach dann besonders groß, wenn sie mit ihrem Leben insgesamt (und mit so wichtigen Teilbereichen wie ihrer Arbeit und ihren Beziehungen) zufrieden ist und wenn ihre Stimmungen und Gefühle in der Summe eher positiv als negativ sind, sie also häufiger Freude, Zuneigung und Begeisterung erlebt als Schuld, Wut oder Scham. Auch Glückserlebnisse tragen natürlich zum Wohlbefinden und zur Zufriedenheit bei.

Glücklich ist, wer sich als begünstigt empfindet, davon war bereits die Rede. Das gilt aber nicht nur für den inneren Abgleich – wenn also Erwartungen, die man an einen Augenblick oder eine Situation hatte, übererfüllt werden. Glück empfindet ein Mensch auch dann, wenn er im Vergleich mit anderen Menschen gut wegkommt. »Wir vergleichen uns stets mit anderen. Wir wollen immer mehr haben als unsere Freunde, Nachbarn und Kollegen«, sagt der Ökonom Daniel Cohen. »Mehr Ansehen, mehr Erfolg, mehr Geld.« Glück bedeutet also Wettbewerb, glücklich ist, wer bei den Olympischen Spielen des Lebens siegt, egal ob durch Schicksal oder eigene Leistung. Der amerikanische Journalist und Satiriker Ambrose Bierce definierte Glück schon in seinem 1911 erschienenen ›Des Teufels Wörterbuch‹ treffend als »angenehmes Gefühl; erblüht aus der Betrachtung fremden Elends«.

Bei dieser Erkenntnis muss man nicht »Katastrophe!« rufen, wie Daniel Cohen das tut. Man kann auch durchaus seinen Nutzen daraus ziehen – zum Beispiel, indem man ganz bewusst und freiwillig in einer niedrigeren Liga mitspielt. Denn Wettbewerbe machen vor allem die Sieger glücklich – und nur unter bestimmten Umständen auch noch manche Unterlegene: zum Beispiel jene, die es gerade noch ins Rampenlicht geschafft haben. Wer Gold gewinnt, jubelt am allermeisten, das ist keine Frage. Die Gewinner von Silbermedaillen aber freuen sich keineswegs am zweitmeisten, wie Studien gezeigt haben. Sie sind vielmehr unglücklicher als jene Sportler, bei denen es nur zur Bronzemedaille gereicht hat. Diese sind froh, dass sie überhaupt auf dem Treppchen stehen; sie fühlen sich begünstigt im Vergleich mit all jenen Sportlern, die leer ausgegangen sind, während die Silbermedaillengewinner an das verpasste Gold denken.

Übertragen auf das Leben des Einzelnen heißt das: Statt sich in der ersten Liga aufzureiben und dort immer nur Letzter zu sein, kann es sich erheblich besser anfühlen, in der zweiten Liga auf einem der vorderen Plätze zu landen. Für Glücksmomente zählt eben der direkte Vergleich.

Das Prinzip lässt sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen – etwa auf die Wahl des Wohnviertels in einer Stadt. Wer sein Leben lang davon träumte, einmal im reichen Grünwald bei München zu residieren und dies dann unter Aufbringung all seiner Ressourcen umsetzt, der wird dort am Ende wohl weniger zu Hause sein als in einer einfacheren Gegend. Denn der ständige Vergleich mit den richtig Reichen, die ihre Villa in Grünwald lässig finanzieren, dafür nicht jeden Euro umdrehen müssen und nebenher immer noch die dickeren Autos fahren und die besseren Kleider tragen als man selbst, versetzt demjenigen, der nicht so richtig dazugehört, ständige Stiche ins Herz. In einer weniger betuchten Wohngegend wird man dagegen für sein Auftreten, seine Kleidung, seinen interessanten Beruf bewundert, statt stets selbst bewundernde Blicke auf andere zu werfen und dies womöglich auch noch verheimlichen zu müssen.

Gerade beim Geld zählt der prüfende Blick auf die Menschen in der direkten Umgebung, wie die Soziologen Glenn Firebaugh und Matthew Schroeder von der Pennsylvania State University mit Hilfe des ›General Social Survey‹ herausgefunden haben. Für den Survey werden regelmäßig mehr als 23000 Amerikaner befragt, ob sie »glücklich«, »ziemlich glücklich« oder »nicht so glücklich« sind; er ist dem deutschen Sozio-oekonomischen Panel vergleichbar. Demnach sind zwar die reichen Menschen tendenziell glücklicher als die armen. Viel wichtiger aber ist der Vergleich mit den Menschen in nächster Nähe. Und ein besonderes Augenmerk richten die Menschen darauf, wie es jenen geht, die so alt sind wie sie selbst und deshalb nach ihrer inneren Überzeugung im Leben auch Ähnliches erreicht haben sollten. »Die eigene Generation gilt offenbar intuitiv als die beste Vergleichsgruppe«, sagt Firebaugh. Nahezu unerheblich für das Glück sei es dagegen, ob man in einem reichen oder armen Land lebt und ob dort eine buddhistische Religion verbreitet ist, in der materieller Wohlstand weniger wichtig sein soll als etwa in christlich geprägten Gesellschaften. Wer mehr Geld hat als seine gleichaltrigen Kollegen oder Nachbarn, dem geht es gut. Dass es natürlich immer viel wohlhabendere Menschen in der Ferne gibt, ist dabei unerheblich.

Doch das Schielen auf die Nächsten wirkt sich letztlich auch auf die Zufriedenheit aus. Denn auch diese ist vor allem ein Ergebnis des Vergleichs – des inneren wie des äußeren: Menschen sind dann zufrieden, wenn ihr reales Leben möglichst viele ihrer Ansprüche und Vorstellungen erfüllt. Aber auch der Vergleich mit den anderen hat einen großen Einfluss: Wie viele Reisen unternehmen sie? Wie ist ihre Wohnsituation? Führen sie eine bessere Ehe? Welchen Erfolg haben sie bei der Arbeit? Wenn wir bei diesen Vergleichen schlecht wegkommen, zehrt das an unserem seelischen Wohlbefinden. Daniel Cohen rät deshalb zur Mäßigung: »Es wird immer Menschen geben, die reicher, erfolgreicher und schöner sind als wir«, sagt er. »Wenn wir uns nur an ihnen orientieren, werden wir stets unzufrieden sein.«

Zur Frustration trägt auch bei, wenn Menschen das Gefühl haben, nur noch Spielball der Gesellschaft zu sein, nicht mehr über Wohl und Wehe entscheiden zu können. »Es ist eminent wichtig, über das eigene Leben selbst bestimmen zu können«, sagt Daniel Kahneman. Denn wer selbst über sein Handeln entscheidet, kann bei Gelingen den Erfolg stärker genießen als jemand, der ohnehin nur ein Gehilfe beim Umsetzen der Idee eines anderen war.

Fremdbestimmung wirkt sich sogar auf die Gesundheit aus. Wer in einer Behörde auf einer niedrigen Hierarchiestufe arbeitet, hat im Vergleich zu seinen Vorgesetzten ein erhöhtes Krankheitsrisiko – und stirbt sogar früher. In der Hierarchie oben zu stehen, hält dagegen fit. Das zeigt auch eine Studie über US-Präsidenten. Diesen Posten innezuhaben, bedeutet, so sollte man meinen, einen mörderischen Stress. Bei Bill Clinton und Barack Obama konnte man schließlich zusehen, wie ihre Haare während ihrer Amtszeit rapide ergrauten. Doch schwerkrank werden die Staatsoberhäupter im Allgemeinen nicht. Sie leben genauso lang wie andere Menschen. Der Demograph Stuart Jay Olshansky verglich das durchschnittliche Sterbealter aller bislang verstorbenen US-Präsidenten seit George Washington mit der für ihre Geburtsjahrgänge üblichen Lebenserwartung von Männern. (Jene vier Staatsmänner, die ermordet worden waren, bezog er natürlich nicht mit ein.) So zeigte sich, dass die Strapazen der Präsidentschaft die Gesundheit nicht beeinträchtigten: Die Präsidenten wurden im Durchschnitt 73,0 Jahre alt, während die Normalsterblichen 73,3 Jahre erreichten.

Man muss aber nicht gleich Macht über Atomwaffen haben, um das Gefühl von Kontrolle ausleben zu können. Wenn man nur ein bisschen was zu entscheiden hat, trägt das schon zur Ausgeglichenheit und zur Gesundheit bei: So sind Bewohner in einem Altenheim weniger gestresst, wenn sie zumindest ihr Essen aussuchen oder über das Ziel ihres nächsten Ausflugs mitentscheiden dürfen. In solchen Altenheimen sinkt sogar die Sterblichkeit.

Was für kleine Gemeinschaften gilt, zeigt auch bei großen Zusammenschlüssen Wirkung: In einer Leistungsgesellschaft bekommt vor allem derjenige die Anerkennung, der vornedran steht, wie die Soziologin Hilke Brockmann sagt. Das hat eine unangenehme Folge: »Auf diese Weise werden die meisten Menschen immer wieder enttäuscht.« So besteht die Gefahr, dass Gesellschaften, die auf Leistungssteigerung, Gewinnmaximierung und Effizienz ausgerichtet sind, zu einem Hort von Frustrierten werden – auch wenn das Klagen letztlich auf hohem Niveau stattfindet.

Ein Staat, der seinen Bürgern politische Freiheiten, ein Mitspracherecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Möglichkeit zur gestalterischen Beteiligung gibt, fördert dagegen das Wohlergehen der Menschen. Insofern ist es nicht zum Lachen, dass im Königreich Bhutan schon seit einigen Jahren weniger Wert auf das Bruttosozialprodukt gelegt wird als auf das »Bruttonationalglück«. Eine staatliche Kommission für das »BNG« ermittelt regelmäßig die Befindlichkeit der Bevölkerung in neun Bereichen, nämlich Kultur, Gemeinschaft, Regierung, Bildung, Gesundheit, Zeitnutzung, Umwelt, Spiritualität und psychisches Wohlergehen. Eine sozial gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung sind dabei ein ebenso erklärtes Ziel wie die Förderung kultureller Werte, der Umweltschutz sowie gute Verwaltungsstrukturen.

Neben den persönlichen Faktoren spielen also eine Reihe äußerer Zutaten für das Wohl und Wehe der Menschen eine Rolle. Jeder Mensch braucht ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit, Menschen, die er liebt – und auch einen Sinn im Leben. Wer sich im Beruf verwirklichen kann, empfindet das als besonders erfüllend, aber auch eine ehrenamtliche Tätigkeit, ein Hobby, die Religion oder die Familie können beseelen.

Hinter der Jagd nach Glück steht ohnehin meist nichts anderes als die Suche nach einem Sinn im Leben. Deshalb ist es so wichtig, sich um jemanden zu sorgen oder sich für etwas zu engagieren. Man muss ja nicht gleich die Welt retten.

Weshalb Zufriedenheit erstrebenswerter ist als Glück

Die Suche nach dem großen Glück ist zum Scheitern verurteilt. Und trotzdem bleibt der Wunsch, ein möglichst erfülltes Leben zu führen. Aus dem Dilemma gibt es einen Ausweg – nämlich das Streben nach einer anderen Art von Glück; nach einem Zustand, in dem man auch die unangenehmen Seiten des Lebens akzeptiert, in dem ein »gut« gut genug ist und in dem es nicht immer »supergut« zugehen muss. Das Leben ist nun einmal voll von besseren und schlechteren Erlebnissen, auf glückliche Momente folgen Enttäuschungen und eher laue Zeiten, bevor dann wieder etwas Schönes passiert. Jeder Tag aber bietet Begebenheiten, die man bei liebevoller Betrachtung durchaus als beglückend beschreiben kann. Und dazu gehören so kleine Dinge wie der köstliche Morgenkaffee, die nette Begegnung auf dem Weg zur Arbeit, der Zuspruch von Kollegen und der Sonnenstrahl, der ab und zu durchs Fenster hereinscheint. Wenn man diese Momente genießt, darf es zwischendurch ruhig einmal regnen, die Einkaufstüte darf auf dem Weg nach Hause reißen und der Chef darf schlechte Laune haben.

Zufriedenheit beinhaltet das alles. Wer das Leben in seiner ganzen Bandbreite akzeptiert, möglichst auch die schlechten Momente willkommen heißt, der erfährt einen Zustand, der erheblich erstrebenswerter, anhaltender und grundlegender ist als das flüchtige Glück. Nur gemeinsam vermitteln die schönen und weniger schönen Erlebnisse des Alltags den starken, erfüllenden Eindruck, wirklich zu leben. Nur wer alles kennt, das Gute wie das Schlechte, wer mal himmelhochjauchzend ist und manchmal eben auch zu Tode betrübt, der steht mitten im Leben, spürt es in seiner ganzen Intensität und Faszination.

Man muss sich nur darauf einlassen können. Aber das ist gar nicht so schwierig, der Anfang ist längst gemacht: Schließlich wissen wir alle in unserem Inneren, dass ein Leben ohne Unglück nicht zu haben ist. Noch unangenehmer als das Unglück selbst ist daher oft die Angst davor – die Angst, dass etwas womöglich nicht so gut ausgeht wie gehofft. Wer sein Glück nicht gefährden will, verzichtet am Ende auf Wagnisse, Abenteuer, Experimente. Doch Glück nach Plan kann nicht funktionieren. Dann werden im Gehirn allenfalls Erwartungen erfüllt, aber keine Freudenhormone frei. Mit überraschenden Momenten wird nur der konfrontiert, der die Herausforderungen, das ganze Drama des Lebens annimmt.

Lernen wir also, mit dem Unglück zu leben. Es kann doch sowieso niemand vorhersehen, ob sich eine Sache am Ende als gut oder schlecht erweisen wird. Etwas kann noch so verheißungsvoll erscheinen und trotzdem eine Kaskade wenig erfreulicher Ereignisse einleiten. Und umgekehrt entwickeln sich aus den unglückseligsten Begebenheiten mitunter völlig unerwartete Chancen. Deshalb sind Frust und Traurigkeit in manchen Momenten reichlich ungerechte Gefühle, wie die Parabel ›Glück im Unglück – Unglück im Glück‹ so überzeugend zeigt.

Die kleine Weisheit aus dem Daoismus handelt von einem rechtschaffenen Mann, dem eines Tages sein Pferd weglief. »Was für ein Unglück!«, riefen die Leute. »Wer weiß«, sagte der Mann. Bald kam sein Pferd zurück – gemeinsam mit einigen sehr edlen Pferden. »Was für ein Glück!«, riefen die Leute. »Wer weiß«, sagte der Mann. Wenige Tage darauf fiel sein Sohn von einem der edlen Pferde herunter und brach sich ein Bein. »Was für ein Unglück!«, riefen die Leute. »Wer weiß«, sagte der Mann. Und als die Armee alle jungen Männer der Gegend für den Krieg einzog, verzichtete sie auf den Sohn mit dem gebrochenen Bein. »Was für ein Glück!«, riefen die Leute. »Wer weiß.«

Ob Glück oder Pech – wer weiß das schon. Nun schadet es nicht besonders, sich über schöne Überraschungen zu freuen. Aber es kann helfen, sich in einer weniger erfreulichen Situation daran zu erinnern, dass etwas, das zunächst wie Pech aussieht, eine erfreuliche Wendung nehmen kann. »Wer weiß, wofür es gut ist!«, sagen Großmütter oder Großväter häufig zu ihren Enkeln, weil sie im Laufe ihres Lebens ebendiese Erfahrung gemacht haben. Wer heute zutiefst gekränkt und in seinem Selbstverständnis bedroht ist, weil sein Arbeitgeber ihm gekündigt hat, der denkt in fünf Jahren womöglich, dass es das Beste war, was ihm passieren konnte – weil er einen wesentlich attraktiveren Job gefunden hat, eine Stelle, in der er sich viel mehr verwirklichen kann als an seinem alten Arbeitsplatz.

Das heißt aber nicht, dass man bei jedem Unglück frohlocken oder gar alle unangenehmen Gefühle schnell wieder wegdrücken sollte – in der tiefen Überzeugung, sie seien gar nicht angebracht. Auch Momente der Traurigkeit und der Melancholie haben ihre Berechtigung für ein gelingendes, sogar für ein glückliches Leben. Es lohnt sich, sie anzunehmen.

Heute meint ja jeder, der einmal traurig ist, gleich, er befinde sich am Rande einer Depression. Dabei hat momentane Unzufriedenheit, Unglücklich- oder Traurigsein so gar nichts mit einer echten klinischen Depression zu tun, bei der die ganze Welt grau wird und keine Hoffnung mehr möglich scheint. Im Gegenteil, vorübergehende Melancholie bringt einen Strauß intensivster Gefühle mit sich, die nicht zu verachten sind: Wer melancholisch ist, ist sensibel für die Welt, er erfährt sie in all ihrer Sinnlichkeit, denkt über das Leben nach und besinnt sich auf sich selbst. Er fördert die Weite seiner Seele und seines Empfindens. Anders als bei einer echten Depression gibt es an der Melancholie rein gar nichts zu heilen. Es kann sehr guttun, sich ihr hinzugeben, sich selbst für Traurigkeit einmal richtig Zeit zu nehmen.

Auch Trübsinn hat also seinen Sinn. Und zwar nicht nur, um das Leben in all seiner Reichhaltigkeit zu erfahren. Unter dem süffisanten Titel ›Don’t Worry, Be Sad!‹ hat der Psychologe Joseph Forgas von der University of New South Wales in Sydney die aktuelle Trübsinns-Forschung zusammengefasst. »Die heutige Zeit konzentriert sich einseitig auf die Vorteile des Wohlgefühls«, schreibt der Psychologieprofessor in seinem Melancholie-Plädoyer. Dabei gehört die miese Laune, die »Dysphorie«, nicht nur zum Alltag des Menschen hinzu, sondern ist eminent wichtig.

Schließlich hat die Evolution uns solche Verstimmung nicht umsonst mitgegeben: Immer wieder haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren festgestellt, dass mürrische Zeitgenossen geistig flexibler reagieren. Wenn sie in eine unerwartete Situation geraten oder ein Problem lösen müssen, gelingt ihnen das eher als den beseelten Menschen in ihrer Umgebung. »Viele Menschen tragen ein Skript mit sich herum, wie sie auf ein Problem reagieren«, sagt Forgas, »aber wenn sie mies drauf sind, lassen sie diesen Fahrplan auch mal links liegen und denken sich etwas Neues aus.« Denn die schlechte Laune trägt dazu bei, dass Menschen den eigenen Vorstellungen und Stereotypen misstrauen – nicht nur solchen im Hinblick auf andere Menschen, sondern auch auf sich selbst. »Glaubenssätze« nennen Psychologen jene tiefen, häufig negativen Überzeugungen, die wir von uns selbst haben. »Einparken kann ich sowieso nicht«, ist ein weit verbreiteter Glaubenssatz, »Ich bin total unmusikalisch«, ein anderer. Allzu oft sagen wir uns so etwas – und versuchen es dann erst gar nicht mit dem Einparken und dem Mitsingen oder scheitern prompt. Sind wir aber mies gelaunt, weckt das unseren Trotz. Plötzlich packen wir die alten Überzeugungen beiseite. »Wir sind einfach offener«, sagt Joseph Forgas. »Wer gut gelaunt ist, glaubt hingegen an das Klischee.«

Das liegt offenbar auch daran, dass unser Körper unsere schlechte Laune als ein biologisches Warnsignal wahrnimmt: Achtung, die Situation, in der du dich gerade befindest, ist nicht kommod! Du solltest auf der Hut sein, dies ist eine Herausforderung!, könnten die Miese-Laune-Hormone uns zu verstehen geben. »In einer solchen Stimmung achtet man stärker auf Signale von außen, damit man sich der Situation anpassen kann«, sagt der Psychologe Klaus Fiedler von der Universität Heidelberg. »Wer fröhlich und ausgeglichen ist, muss sich dagegen nicht so sehr um die Geschehnisse in seiner Umgebung scheren.« So orientiert sich der traurige, missgestimmte Mensch eher nach außen, während der fröhliche seine Sinne nach innen richtet. Auf diese Weise scheint Trübsinn und Melancholie tatsächlich eine schöpferische Kraft innezuwohnen.

Die Biologie des Trübsinns hat noch eine weitere, zunächst überraschende Folge: Nörgler und Melancholiker sind sogar sozialere Menschen als jene, die ständig gute Laune verbreiten. Zumindest erweisen sie sich in Studien, bei denen Großzügigkeit und Gerechtigkeit getestet werden, als diejenigen, auf die man sich im Zweifel lieber verlassen möchte.