Zur Liebe geht`s dort entlang - Lily Winter - E-Book

Zur Liebe geht`s dort entlang E-Book

Lily Winter

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Beschreibung

Ein altes Auto, drei Menschen und eine Reise, die alle(s) verändert Julia ist fassungslos. Ihr Vater befindet sich auf einmal auf Kos! Und sie soll ihm jetzt sein uraltes Auto dorthin fahren! Da kann man schon mal anfangen, in Ausrufezeichen zu denken! Aber vielleicht sollte sie ja mehr Risiken eingehen, wie ihr ihre Freunde ständig raten und Julia beschließt, das Wagnis der Reise. Doch plötzlich hat sie nicht nur die Sachen ihres Vaters im Auto, sondern auch ihre beiden Chefs, von denen einer auf keinen Fall herausfinden darf, dass sie in ihn verliebt ist.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Autorenbiografie

Lily Winter

Lily Winter

Lily Winter

1.

„Hallo, Julia! Bin auf Kos und werde wohl bleiben. Bring mir doch bitte mein Auto und ein paar Sachen vorbei.“

Kopfschüttelnd betrachte ich mein Telefon, das auf dem Küchentisch im Wohnzimmer steht. Die Küche ist leider zu klein für solche Dinge. Aber die Ansage auf meinem Anrufbeantworter ergibt immer noch keinen Sinn.

Was war das, bitte? Und wer war das überhaupt?

Na gut, ich weiß natürlich, wer das war, theoretisch. Doch diese heitere, ausgelassene Stimme hat sich einfach nicht nach meinem Vater angehört. Eher wie jemand, der eben nicht wie mein Vater klingt, sondern der heiter und fröhlich ist. Also alles, was nicht auf meinen Vater zutrifft. Die Stimme meines Vaters, also die, an die ich mich erinnere, ist leise und verhalten, dunkel und manchmal etwas heiser.

Mein Handy klingelt und reißt mich aus meinen Überlegungen. Es ist Thomas Börger, mein Chef. Wieso denn um diese Zeit? Es ist gerade mal sieben Uhr früh und seine Kanzlei öffnet doch gar nicht vor neun Uhr! Der Himmel leuchtet allerdings bereits strahlend blau und die Maisonne scheint gleißend hell ins Wohnzimmerfenster und blendet mich.

„Guten Morgen, Frau Andacht. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so früh störe. Könnten Sie heute schon um halb neun da sein?“

„Guten Morgen, Herr Börger. Natürlich, kein Problem. Was gibt es denn so Wichtiges?“ Schließlich muss ich hier meine Morgenroutine beschleunigen, da darf ich doch wohl mal nachfragen! Mein Chef räuspert sich und blöderweise löst das bereits ein kleines Kribbeln in mir aus.

„Gegen halb zehn kommt ein Kurier. Dafür muss ich Ihnen dringend noch einen Brief diktieren, den er ebenfalls mitnehmen muss. Und mein Vater wird wahrscheinlich auch irgendwann kommen…“, druckst er rum, doch ich verstehe sofort, was er meint.

Herr Börger, Senior, der Vater meines Chefs, ist eigentlich Anwalt a.D., sprich Ade, aber lässt es sich nicht nehmen, seinem Sohn, wie er es ausdrückt, 'hin und wieder auf die Finger zu schauen'. Das macht er beinah jeden Tag, seit fünf Jahren. Also ziemlich genau, seitdem er seinem Sohn die Kanzlei überschrieben hat und ich angefangen habe, dort zu arbeiten. Dabei trinkt er jede Menge Kaffee und stört mich bei meiner Arbeit, weil sein Sohn natürlich keine Zeit hat, ihn zu bespaßen und daher seinen Vater an mich abschiebt. Pardon, an mich verweist natürlich, um mich tatkräftig zu unterstützen.

„Ich mache mich sofort auf den Weg, Herr Börger!“, versichere ich ihm und er legt auf, aber nicht, ohne sich noch einmal bei mir zu bedanken.

Aber, auch wenn ich gesagt habe, dass ich gleich losfahre, Zeit für meinen ersten Kaffee muss sein!

Wo war ich eigentlich gerade? Ach ja, bei meinem Vater. Und wieso er sein Auto haben will. Soll das etwa heißen, er will für immer auf Kos bleiben? Obwohl. So hat er das eigentlich nicht ausgedrückt, nicht so wortwörtlich jedenfalls. Aber wenn er sein Auto haben will, kann er es eigentlich nicht anders gemeint haben. Was will er dort eigentlich? Das sieht ihm doch gar nicht ähnlich!

Allerdings sollte ich dazu sagen, dass unser gutes Verhältnis ausschließlich darauf basiert, dass wir sehr wenig miteinander reden. Vor allem, nachdem meine Mutter vor achtzehn Jahren ganz plötzlich durch einen Autounfall gestorben ist, haben wir unsere Gespräche auf ein Minimum beschränkt. Mit 15 war ich jetzt auch nicht so scharf darauf, viel mit meinem Vater zu reden und dann haben wir das irgendwie so beibehalten.

Mein Vater hat bis zu seiner Rente für eine Bank gearbeitet und mir immer in den Ohren damit gelegen, auch dort anzufangen. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, aus lauter Trotz, Philosophie und noch irgendetwas zu studieren, nur um ihn richtig zu ärgern. Doch leider habe ich es nicht einmal bis zur elften Klasse geschafft und musste somit meinen geplanten Trotzversuch an der Uni an den Nagel hängen. Nach der Realschule habe ich mich erstmal für Praktika beworben, allerdings nicht bei Banken. In einer Bank konnte ich mich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

„Nur mit einem Realschulabschluss wirst du ohnehin keine Lehrstelle bekommen, Julia. Die nehmen nur Leute mit Abitur. Das ist auch richtig so. Schließlich vertrauen uns die Leute so etwas Wichtiges wie ihr Vermögen an“, hatte mein Vater mir damals unverblümt mitgeteilt.

„Aber du hast doch auch kein Abitur, Papa!“, hatte ich entrüstet entgegnet.

„Ja sicher. Aber mein Schulabschluss war noch etwas wert. Heute lernt man in dreizehn Jahren kaum das, was wir in acht Jahren Volksschule gelernt haben. Schon deshalb müsst ihr länger zur Schule gehen. Ach, die neuen Azubis haben überhaupt keine Ahnung und das trotz ihres Abiturs! Ich könnte dir Geschichten erzählen!“

Ja, über solche Dinge hat er mit mir gesprochen, aber nicht darüber, wie es bei mir so läuft. Wahrscheinlich reden wir deshalb noch weniger miteinander, seitdem er nicht mehr arbeitet.

Bei einer Praktikumsstelle in einer Anwaltskanzlei habe ich irgendwie Spaß an den ganzen Paragrafen gefunden. Man braucht da so wenig kreativ zu sein, finde ich und das ist angenehm. Dann gibt es weniger Streitpunkte für meine Arbeit, sondern nur richtig oder falsch. Ich hatte Glück und durfte auch weiter die Ausbildung dort machen. Danach kam dann die nächste Praktikantin und ich konnte sehen, wo ich bleibe.

Wo ich bleibe! Das ist mein Stichwort, verdammter Mist! Hektisch schaue ich auf die Uhr! Mittlerweile ist es halb acht vorbei und mein Kaffee bereits völlig kalt. Trotzdem stürze ich ihn hinunter. Schließlich sollte das Koffein auch im kalten Zustand wirken, tut es ja bei Cola schließlich auch. Dann schnappe ich mir meine abgewetzte braune Lederhandtasche. Nicht, weil die mein absolutes Lieblingsstück ist, sondern weil ich sonst immer alles in der Tasche vergessen würde, die ich gerade nicht dabeihabe. Dann rase ich die beiden Etagen runter zur Haustür.

Die natürlich wieder abgeschlossen ist. Eine Angewohnheit, die ich meinen Nachbarn einfach nicht abgewöhnen kann. Eilig krame ich meinen Schlüssel raus und lasse ihn fallen, was ein lautes Klirren auf dem Steinfußboden hinterlässt und durch den ganzen Treppenflur hallt.

„Guten Morgen, Frau Andacht“, tönt es direkt hinter mir.

„Guten Morgen, Frau Mielke!“ Trotz Hektik versuche ich, freundlich zu klingen. Ein Fehler, den mir meine Freunde ständig vorwerfen, den ich aber einfach nicht abstellen kann. „Frau Mielke, könnten Sie bitte die Tür abends offenlassen? Was ist denn, wenn jemand einen Krankenwagen braucht?“

„Aber meine Liebe! Dann können wir auch sofort alle unsere Wertsachen nach draußen stellen und ein Schild dranhängen 'zu verschenken'. Es wird doch so schon sehr viel eingebrochen, da muss man nicht noch einen Anreiz durch offene Haustüren schaffen!“

Mit diesen Worten lässt sie mich stehen und schlurft wieder nach Hause, eine Treppe rauf. Anscheinend ist sie nur heruntergekommen, um mir Guten Morgen zu wünschen, nicht etwa, um irgendwo hinzugehen. Meistens steht sie am Fenster und guckt, ob draußen etwas Aufregendes passiert. Was demnach so gut wie nie der Fall zu sein scheint.

Fluchend hebe ich den Schlüssel auf und schaffe es endlich, ihn ins Schloss zu stecken und die schwergängige dunkle Holztür aufzuschließen. Rasch laufe ich in Richtung U-Bahn. Warme Frühlingsluft umgibt mich, obwohl es erst Anfang Mai ist. Allerdings schwitze ich schon allein wegen meiner Klamotten heftig, was vor allem an meinem Regenmantel liegen könnte, den ich immer draußen trage. Über Freiburg mag man gehört haben, dass hier oft die Sonne scheint. Aber, seitdem ich dreimal durchgefroren und völlig durchweicht im Büro angekommen bin, alle drei Male im Hochsommer, übrigens, trage ich jetzt immer meinen dunkelblauen Regenmantel, ganz egal, ob es Frühling oder Sommer ist. Für den Herbst und Winter wechsele ich zu einem dunkelblauen, gefütterten Regenmantel, was bei den milden Wintern teilweise eine echte Herausforderung ist. Ja, sicherlich könnte ich den Mantel auch einfach ausziehen und über dem Arm tragen. Aber dann schleift er wegen seiner Länge auf dem Boden und wird dreckig. Also behalte ich ihn an und schwitze eben.

Dann warte ich erstmal zehn Minuten auf meine Bahn, die im Fünfminutentakt angeschrieben steht. Ganz pünktlich werde ich wohl nicht da sein, befürchte ich. Mein Chef wird bereits mit griesgrämigem Gesicht auf mich warten bzw. auch sein Vater, wenn er schon da ist. Weil beide, trotz akademischem Abschluss, nicht in der Lage dazu sind, den zweitausend Euro teuren Kaffeevollautomaten zu bedienen.

Doch trotzdem klopft mein Herz heftig, während ich die halbe Stunde zur Arbeit fahre. Wie jeden Morgen. Seit fünf Jahren. Also seitdem ich angefangen habe, für Thomas Börger zu arbeiten. Denn blöderweise hat er diese Wirkung auf mich. Seine grünen Augen, seine dunkle Stimme, alles an ihm löst kleine Hopser in meinem Bauch aus. Ich kann es einfach nicht ändern, auch wenn ich mir sicher bin, dass er sich nie für jemanden wie mich interessieren wird.

Ich bin seine Angestellte, ohne Studium, nicht mal Abitur. Und mit meinen knappen 1,65 m, kurzen Stummelbeinen und braunen Haaren mit den Augen in der gleichen Farbe dazu, bin ich wohl alles andere als die Frau-von-Welt-Erscheinung. Und wahrscheinlich wäre es ohnehin keine gute Idee, etwas mit seinem Chef anzufangen, auch wenn er noch so toll ist.

2.

Kaum betrete ich die weißgestrichenen Räume der Kanzlei, die sich in einem Geschäftshaus mit Ärzten, Notaren und eben auch Anwälten befindet, höre ich auch schon ein genervtes Rufen:

„Guten Morgen, Frau Andacht! Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bringen Sie uns doch bitte einen Kaffee!“ Diese Worte stammen natürlich von Herrn Börger, Senior, dem Vater meines Chefs.

„Guten Morgen,“ grinst mich der Junior schelmisch an und ich habe das Gefühl, dass sich unsere Blicke treffen. Es könnte aber auch Einbildung sein. „Danke, dass Sie heute früher gekommen sind, Ju…Frau Andacht.“

Oh ja, manchmal verspricht er sich und nennt mich Ju… Manchmal nennt er mich sogar Julia, wenn sein Vater nicht da ist, verbessert sich jedoch immer wieder ganz schnell. Trotzdem plumpst mein Herz dann immer in Richtung Knie, die dann ganz weich werden. Schnellt jedoch hurtig wieder empor, wenn er mich um einen überarbeiteten Schriftsatz bittet. Das sagt er dann natürlich wieder in diesem ernsten Tonfall: „Frau Andacht, heute noch, wenn`s recht ist“. Letzteres klingt dann immer so sehr nach seinem Vater, dass mein Herz postwendend wieder an Ort und Stelle sitzt. Vielleicht sollte man in dieser Tonlage mit Herzpatienten sprechen. Meine Frequenz ist dann immer schlagartig wieder normal.

„Guten Morgen, die Herren. Ihr Kaffee kommt sofort.“

„Ich bin gleich bei Ihnen, Frau Andacht. Dann können wir uns an den Brief setzen.“ Mit diesen Worten verschwindet mein Chef in seinem Büro.

Verdammt. Jetzt stehe ich in meinen völlig verschwitzen Sachen hier herum. Eigentlich bin ich immer gegen acht Uhr morgens da. Und normalerweise schlägt mein Chef nicht vor neun Uhr hier auf. Sein Vater kommt dann meistens erst gegen zehn vorbei. Deshalb weiß mein Chef wahrscheinlich auch gar nicht, dass ich sonst so früh da bin. Vielleicht glaubt er, dass ich auch immer erst gerade gekommen bin. Aber mit den beiden im Büro, kann ich mir jetzt keine frische Bluse anziehen. Mit dem Regenmantel werde ich zwar nicht mehr nass, schwitze jedoch dermaßen, dass ich mich beinah jeden Tag umziehen muss. Aber jetzt geht das nicht mehr. Wie sieht denn das aus, wenn ich plötzlich eine andere Bluse trage. Das wirkt dann bestimmt so, als ob ich mich bekleckert hätte.

Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, mit meinem Chef den eiligen Brief zu tippen. Davor habe ich natürlich für die Kaffees gesorgt. Es macht mir nichts aus, den Kaffee zu machen, denn natürlich habe ich mir ebenfalls einen mitgenommen und genieße ihn zwischendurch. Mit dieser Maschine kann meine Filtermaschine zu Hause einfach nicht mithalten, auch wenn ich immer versuche, mir einen aufgeschäumten Café Latte während des Trinkens vorzustellen. Was aber nicht klappt.

Nachdem wir den Brief beendet haben, steht auch schon der Kurier da und ich versorge ihn mit dem vorbereiteten Umschlag. Danach stelle ich eine Verbindung zu einem Mandanten her, mit dem mein Chef einen Termin hat. Nach einer kurzen Begrüßung stelle ich das Gespräch durch. Nach zweimal Klingeln nimmt Herr Börger das Gespräch an. Mein Chef lässt jedes Telefonat mindestens zweimal durchklingeln, bevor er es annimmt. Wahrscheinlich mit der Absicht, beschäftigt zu erscheinen. Oder es fällt ihm gar nicht auf, dass er es macht.

Dann lege ich auf und beschließe, jetzt doch endlich meine Bluse zu wechseln. Wahrscheinlich haben die Schweißflecke bereits die Ausmaße der Landkarte von Afrika angenommen. Hoffentlich sieht man das auf meiner weißen Bluse nicht allzu deutlich.

Doch als ich mir gerade meine Sachen schnappen will, kommt prompt der Senior-Börger auf mich zugeschossen.

„Frau Andacht! Diesen Brief müssen Sie aber noch einmal überarbeiten. Da sind ja haufenweise Rechtschreibfehler drin. Am besten, wir machen das zusammen.“ Argh!

„Natürlich, sehr gerne. Danke, Herr Börger!“, sage ich freundlich und hasse mich sofort abgrundtief dafür.

Der alte Herr Börger hat seinem Sohn diese Kanzlei, wie gesagt, vor fünf Jahren überschrieben. In Zuge dessen, hat mich sein Sohn, Thomas Börger, eingestellt und die gute Seele des Büros, Frau Knigge, in den Ruhestand befördert. Seit vierzig Jahren war sie hier Assistentin und sogar bereits für Herrn Börger, Senior-Senior, tätig, der vor zehn Jahren das Zeitliche gesegnet hat und den ich leider dadurch nicht mehr habe kennenlernen können. Das waren die Worte von Frau Knigge, die mich eingearbeitet hat, um daraufhin für immer zu entschwinden. Keine Ahnung, was sie heute tut. Ich hoffe, dass sie nur noch für sich selbst Kaffee kocht.

Nach nervenaufreibenden zwei Stunden des Diktierens eines einfachen Briefes und zwei E-Mails, ist es dem alten Herrn Börger dann endlich zu langweilig und er geht seinen Sohn stören. Ich schnappe mir endlich meine Bluse und mache mich auf dem Klo etwas frisch.

Seufzend schließe ich ab und setze mich auf die Toilette. Heute Abend muss ich dringend mit meinem Vater telefonieren. Wieso hat er mich nicht früher angerufen. Wieso macht er das um ein Uhr morgens, wenn ich es natürlich nicht hören kann, weil ich im Tiefschlaf bin. Ob er das mit Absicht gemacht hat? Und wenn nicht: Was hätte ich gesagt, wenn er mich erreicht hätte?

Eigentlich habe ich geglaubt, dass er um diese Jahreszeit an der Ostsee weilt. Da ist er doch jedes Jahr zu dieser Jahreszeit. Seit ungefähr zehn Jahren fährt er dorthin. So ziemlich, seitdem ich ausgezogen bin. Wann und wieso hat er sich für Kos entschieden? Ein lautes Klopfen an die Klotür lässt mich aufschrecken.

„Frau Andacht. Sind Sie da drin? Geht es Ihnen gut?“ Der alte Herr Börger scheint ja heute besonders gut drauf zu sein, wenn er mich bis zum Klo verfolgt! Hastig spüle ich ab, ziehe mich wieder an und schließe die Tür auf.

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Börger“, stottere ich und schiebe mich an ihm vorbei. Dann wasche ich mir schnell die Hände, laufe den kurzen Flur an den Jacken vorbei und setze mich mit heißen Wangen wieder an meinen Schreibtisch. Die verschwitzten Klamotten habe ich immer noch an, die Bluse hängt jetzt auf dem Klo am Jackenhaken.

„Muss Ihnen doch nicht peinlich sein. Sie sollten Dörrpflaumen zum Frühstück essen. Das tue ich bereits seit 30 Jahren und sehen Sie mich an!“

Es stimmt. Herr Börger-Senior wirkt mit seinen ungefähr siebzig Jahren geradezu jugendlich, mein Chef kann sich auf das Alter freuen. Was mich betrifft, fehlen mir da leider die Anhaltspunkte. Meine Mutter ist mit knapp vierzig gestorben. Meine Großmutter, also ihre Mutter hat, soweit ich mich an sie erinnern kann, halt ausgesehen, wie eine alte Frau. Mit lauter Runzeln im Gesicht und Lachfältchen um die Augen. Sie ist gestorben, als ich zehn war.

Der Vater meines Chefs ist durchaus eine ansehnliche Erscheinung, schlank und immer top gekleidet im dunkelblauen Anzug. Sein Sohn sieht auch immer wie aus dem Ei gepellt aus. Sein schmales, herzförmiges Gesicht und seine haselnussbraunen Haare stehen ihm wirklich gut. Obwohl er die Haare sehr kurz trägt, beginnen sie sich immer schon nach kürzester Zeit zu locken und ihm in die Stirn zu fallen. Ich möchte sie dann jedes Mal sanft beiseite pusten.

Konzentrier dich, Jule! Hatte mein Vater jemals irgendetwas angedeutet? Egal, heute Abend werde ich hoffentlich schlauer sein.

3.

„Hallo Papa, hier ist Julia.“

„Julia! Endlich meldest du dich. Wann kannst du mir mein Auto bringen?“

„Äh, wieso bist du eigentlich auf Kos?“ Und mir geht es gut, danke der Nachfrage!

„Ich musste einfach mal raus, Jule! Und Kos ist traumhaft. Du musst herkommen und das mit eigenen Augen sehen.“

„Geht es dir gut?“, frage ich entgeistert. Mein Vater und Worte wie 'traumhaft' klingen absolut surreal auf mich!

„Mir geht es so gut wie schon lange nicht mehr!“, ruft mein Vater begeistert und ich überlege ernsthaft, ob ich meinem Vater ein MRT vorschlagen soll.

„Und wo wohnst du auf Kos?“ Ich hätte nie gedacht, dass ich meinen Vater mal so etwas fragen würde.

„In einer kleinen Pension bei einer ganz wunderbaren Frau!“ Aha.

„Eine Frau also.“ Ich runzle mit der Stirn und bin froh, dass mein Vater das nicht sehen kann.

„Nicht so eine Frau, Julia. Sie ist nur einfach so unkompliziert und sorgt gut für mich.“ Also platonische Schwärmerei, ganz was Neues.

„Äh, aber wieso willst du jetzt dort leben, also für immer?“ Es fühlt sich hölzern an, das auszusprechen: Für immer.

„Jule, ich bin dein Vater. Ich brauche dir doch keine Rechenschaft abzulegen. Und ich kann leben, wo ich will. Also: Wann bringst du mir mein Auto hierher?“

„Papa, dein Auto überlebt die Fahrt doch gar nicht! Es ist lebensgefährlich damit rumzufahren. Es wird quasi nur noch vom Rost zusammengehalten!“

„Julia, der Wagen ist ein Oldtimer! Er darf ruhig seine Tücken haben, das ist doch ganz normal.“

„Und wenn ich liegenbleibe?“ Genau: Was, wenn ich liegenbleibe oder mir noch schlimmeres passiert?

„Du bleibst nicht liegen. Der Wagen ist 1a gewartet. Mit dem sind deine Mutter und ich schon zum Standesamt gefahren und auch ins Krankenhaus, als du geboren wurdest.“ Richtig, das Auto ist älter als ich!

„Papa, ich muss arbeiten.“

„Aber du musst doch auch mal Urlaub machen. Wenn du ohnehin hierherfährst, könntest du mir auch den Rest meiner Sachen bringen. Ins Auto passt doch viel mehr als man in ein Flugzeug mitnehmen darf. Meine restliche Kleidung, ein weiteres Paar Schuhe und das Bild von dir und deiner Mutter, als ihr aus dem Krankenhaus kamt.“

Mein Herz krampft sich bei diesen Worten zusammen. Ist es ihm wirklich so ernst? Will er wirklich auf Kos bleiben? Für immer?

„Es ist dir also ernst, Papa?“, frage ich leise.

Plötzlich bin ich irgendwie erschöpft. Vielleicht brauche ich eine Pause. Wann war eigentlich mein letzter Urlaub? Ich weiß es nicht mehr.

„Ja, Julia. Ich fühle mich so wohl hier. Das wirst du ja dann sehen, wenn du da bist“, wiederholt er und legt einfach auf. Dabei habe ich gar nicht zugestimmt, ihm sein Auto zu bringen. Vielleicht sollte ich meinen Vater doch mal zum Arzt schicken, nur um sicher zu gehen.

Oder aber, es ist wirklich so, wie er sagt: Er fühlt sich besser dort. Auch wenn das für mich schwer vorstellbar ist.

Ganz die gute Tochter, die ich aber offensichtlich nicht bin, denn sonst wüsste ich doch sicherlich, dass mein Vater auf Kos weilt, fahre ich noch heute Abend mit der Straßenbahn zur Wohnung meines Vaters. Er lebt in einem kleinen Appartement in einem großen alten Mietshaus. Das Haus steht direkt an einem Park, in dem man aber wegen der vielen Hundehaufen nicht gerne spazieren gehen will.

Bereits in der Straßenbahn frage ich mich, wieso ich das eigentlich tue. Nein, eigentlich will ich meinem Vater ganz bestimmt nicht sein altes Auto nach Griechenland fahren. Meine Freundin Berti, kurz für Bertina, die ich schon seit der Schule kenne, wirft mir immer vor, dass ich mein Leben mehr selbst bestimmen soll. Aber mir fällt es ganz oft schwer, nein zu sagen. Und jetzt bittet mich mein Vater um etwas. Ich glaube, er hat mich noch nie um etwas gebeten. Die ganze Sache scheint ihm wichtig zu sein, da kann ich doch jetzt nicht mit dem Neinsagen anfangen. Er ist doch mein Vater. Und vielleicht ist es doch gar nicht so schlimm, auch, wenn ich, zugegeben, nur wenig Fahrpraxis habe. Wir haben ja nur uns. Wobei mir mein Vater ja gerade mitgeteilt hat, dass er nicht mehr im selben Land wie ich leben will.

Zuerst laufe ich von der Haltestelle zur Garage, die mein Vater extra für den Wagen angemietet hat. Sie liegt etwa einen Kilometer von seiner Wohnung entfernt, was das Einkaufen auch nicht wirklich leichter für ihn macht. Zum Glück habe ich einen Ersatzschlüssel für das Auto, sonst hätte ich erst in seine Wohnung gehen müssen. Manchmal fahre ich zusammen mit meinem Vater zum Einkaufen, dann lasse ich ihn an seiner Wohnung raus, parke den Wagen in der Garage und laufe wieder zurück. Der Kilometer ist jetzt nicht die Welt, ist aber trotzdem lästig, weil es Zeit braucht und wodurch man auch keine Zeitersparnis hat, dass man mit dem Auto unterwegs ist.

Im Auto stelle ich erstmal alles auf mich ein, atme tief durch und fahre dann vorsichtig aus der schmalen Garage heraus auf die Straße. Im Schritttempo fahre ich den Kilometer zur Wohnung, denn irgendwie habe ich Angst, etwas kaputt zu machen. Dann parke ich den alten Kasten direkt vor dem Haus. Wenn ich in diesem Tempo nach Kos fahre, werde ich Jahre brauchen! Vielleicht schicke ich ihm das Auto samt seinen Sachen mit der Post. Ob das wohl geht?

Als ich die Haustür aufschließe, höre ich bereits im Flur eine hohe, dünne Stimme rufen:

„Hallo, Frau Andacht. Wo ist denn Ihr Vater, ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen!“

Denn, natürlich hat jedes Haus seine eigene Frau Mielke, die besser als jede Alarmanlage funktioniert. Schon deshalb bräuchten meine Nachbarn die Haustür gar nicht abzuschließen. Frau Mielke würde sofort nach unten stürmen, wenn die Tür nur einen Mucks von sich gibt. Papas Frau Mielke heißt übrigens Frau Tück und ist eigentlich ganz nett.

„Guten Tag, Frau Tück. Er ist im Urlaub. Ich schaue nur nach dem Rechten.“

Da ich nicht weiß, ob mein Vater unbedingt will, dass jeder über seine Auswanderung Bescheid weiß, bleibe ich erstmal bei den Tatsachen.

„Ach, das ist aber nett. Ist er wieder in Kühlungsborn?“ Dabei kommt sie immer näher, weil sie schwerhörig ist.

„Äh ja, nein, diesmal ist er woanders hingefahren.“ Lügen ist nichts für mich. Nicht, dass ich was gegen Lügen habe, ich habe nur einfach kein Talent dazu.

„Ach nein? Wo ist er denn diesmal hingefahren?“ Ihre Augen mustern mich aufmerksam und ich breche zusammen wie ein morsches Stück Holz.

„Er ist auf Kos.“ Verdammt. Jetzt ist es raus.

„Kos? Wo ist denn das?“ Frau Tück runzelt die Stirn, was nur wegen des Hebens der faltigen Stirn auffällt.

„Das ist eine griechische Insel im Mittelmeer.“

Dem Internet sei Dank, habe ich das wenigstens noch in Erfahrung bringen können, bevor ich hierher gefahren bin. Wie ich mit dem Auto dorthin kommen soll, das habe ich noch nicht so detailliert in Erfahrung bringen können. Davon abgesehen, weiß ich ja noch gar nicht, ob ich wirklich fahren werde. Vielleicht frage ich mal bei einem Reisebüro nach. Allerdings will ich ja keine Reise buchen, also könnte es etwas schwierig werden.

„Kindchen? Ist alles in Ordnung? Wie lange wird Ihr Vater denn dortbleiben?“

„Das weiß ich leider nicht so genau, Frau Tück. Deshalb hat er mich gebeten, ihm noch ein paar Sachen vorbeizubringen.“

Mit diesen Worten nicke ich ihr zu und gehe rasch an ihr vorbei die Treppen rauf, bevor sie noch mehr Fragen stellen kann.

Ich zücke meinen Zweitschlüssel, den mir mein Vater glücklicherweise direkt bei seinem Einzug gegeben hat. Nach dem Tod meiner Mutter haben wir erstmal weiterhin in unserer Wohnung gelebt, denn ich hätte während meines Schulabschlusses, dem Praktikum und der Ausbildung, gar kein Geld für eine eigene Wohnung gehabt. Mein Vater hatte nichts dagegen. Wir sind ja gut miteinander ausgekommen, glaube ich. Wir sind keine Streithahntypen, wir schweigen lieber. Meine Freunde, Al und Berti, finden, dass ich mir zu viel gefallen lasse. Ist vielleicht auch so, aber mir liegt nichts an irgendwelchen Diskussionen. Entweder, man hat Recht oder eben nicht, fertig. Wahrscheinlich mag ich deshalb die Welt der Paragrafen so gerne: für jedes Problem, gibt es eine Reihe von bereits ausgedachten Regeln und Gesetzen.

In der kleinen Wohnung meines Vaters atme ich erstmal tief durch. Aber das hätte ich lieber lassen sollen, denn die Luft riecht ganz muffig. Ratlos schaue ich mich in seiner Wohnung um: nichts liegt rum, alles ist aufgeräumt und sauber und verrät rein gar nichts über die Person, die hier lebt. Das Bild von meiner Mutter und mir steht auf der Nachtkonsole im Schlafzimmer. Zum Glück hat er das alte Ehebett nicht in die neue Wohnung mitgenommen, sondern sich endlich ein schmales Bett gekauft. In unserer alten Wohnung war die rechte Seite des Bettes immer leer, nachdem meine Mutter nicht mehr da war. Ich bin froh, dass er ein neues hat. Die leere Seite hat immer so gespenstisch auf mich gewirkt.

Wie lange ist mein Vater eigentlich bereits fort. Sollte ich das nicht wissen? Aber wir sind halt nicht die Typen, die jeden Tag miteinander telefonieren. Wir telefonieren auch nicht einmal pro Woche, sondern eher so, wenn es eben passt. Also dann, wenn man wirklich etwas zu erzählen hat. Die Kos Reise hätte ja durchaus so ein Thema sein können, aber das hat mein Vater anscheinend anders gesehen.

Ich hole mir einen wackelig aussehenden Stuhl aus der Küche. Immerhin weiß ich, dass er einen Koffer oben auf dem Kleiderschrank aufbewahrt. Allerdings stellt sich der Koffer als doch recht klein raus. Halt diese Sorte Koffer, die man für einen Krankenhausaufenthalt nimmt oder für ein Wellnesswochenende. Wobei letzteres bei meinem Vater eher unwahrscheinlich ist. Um zu sehen, wieviel überhaupt zusammenkommt, schnappe ich mir erstmal ein paar große Einkaufstaschen von einem riesigen Stapel Tüten, der fein säuberlich im Küchenschrank zusammengefaltet liegt. Ich muss bei diesem Anblick schmunzeln. Von den Dingern habe ich auch ständig welche zu Hause rumfliegen, nur habe ich nie welche dabei, wenn ich einkaufen gehe. Deshalb habe ich ja immer viel zu viele davon, was meinem Vater anscheinend genauso geht.

Was würde ich wohl mitnehmen, wenn ich fahren sollte. Wie lange fährt man überhaupt nach Kos? Auch so etwas, was ich vielleicht erstmal herausfinden sollte, wenn ich meinem Vater das Auto bringe, wozu ich aber immer noch keine Lust habe.

Wahllos beginne ich, Unterwäsche, Socken, Hemden (mein Vater trägt keine T-Shirts) und zwei Hosen in eine Einkaufstasche zu werfen. Aber so viel ist es eigentlich nicht. Wenn ich die Sachen zusammenfalte, sollten sie in den kleinen Koffer passen. Der kleine Kleiderschrank aus dunklem Holz, der mal in meinem Kinderzimmer gestanden hat, ist jetzt bereits leer. Einzig ein schreiend orange und ein gelbes Hemd hängen noch dort, aber von denen nehme ich dann doch lieber Abstand. Sind wahrscheinlich Überreste aus den Siebzigern, wobei ich mir meinen Vater darin so gar nicht vorstellen kann. Seine Anzüge, die er immer in der Bank getragen hat, sind nirgends zu sehen. Vielleicht hat er sie gespendet. Wieder wird mir bewusst, wie wenig wir anscheinend voneinander wissen.

Froh darüber, dass das Auto unten steht, laufe ich mit der prall gefüllten Tasche zur Tür hinaus. Neben den Anziehsachen habe ich noch drei Bücher eingepackt, doch ansonsten fällt mir absolut nichts ein, was mein Vater noch unbedingt haben möchte. Unten angekommen fällt mir auf, dass der kleine schwarze Koffer und Mamas Foto noch oben stehen. Also muss ich doch noch einmal die Treppen raufflitzen, leise natürlich, um nicht Frau Tück wieder auf den Plan zu rufen.

Endlich sitze ich wieder in dem uralten Wagen meines Vaters. Er hat ihn schon solange ich denken kann und eben noch viel länger. Es ist ein roter VW Golf, den mein Vater damals, Mitte der Achtzigerjahre, also ein paar Jahre vor meiner Geburt, bereits gebraucht gekauft hat. Er geht damit auch nur in eine einzige Werkstatt und lässt nur einen bestimmten Mechaniker daran. Der Mechaniker ist in etwa so alt wie mein Vater, an die siebzig, und schraubt auch nur noch zum Spaß an den Dingern rum. Die Werkstatt gehört mittlerweile seinem Sohn. Ich hoffe, er lässt ihn an einer etwas längeren Leine als Herr Börger meinen Chef.

Die kurze Fahrt nach Hause bewältige ich jetzt schon etwas schneller, dabei ziehe ich den vertrauten Autogeruch in mich ein. Er erinnert mich an meine Kindheit, wenn wir in den Urlaub gefahren sind.

Zu Hause parke ich das Auto direkt vor dem Haus, was ich meinem Vater ganz bestimmt nicht auf die Nase binden werde. Was glaubt er denn? Dass ich alle meine Sachen zur Garage schleppen werde? Also, wenn ich fahre. Was immer noch nicht sicher ist!

Ich sollte den Wagen nochmal in die Werkstatt bringen, überlege ich, während ich die Haustür aufschließe und leise die Treppen hochsteige. Wer weiß, in welchem Zustand der Wagen tatsächlich ist. Vielleicht ist er sogar dermaßen kaputt, dass ich ihn direkt zum Schrotthändler fahren kann. Man wird doch wohl noch träumen dürfen!

Kaum bin ich oben in der zweiten Etage angekommen, höre ich bereits, wie jemand, wahrscheinlich Frau Mielke, die Tür abschließt. Ich bin zu fertig für so etwas, denke ich frustriert, denn mittlerweile ist es elf Uhr abends vorbei. Müde stolpere ich hinein in meine leere Wohnung. Kurze Dusche, Zähneputzen, Abendessen hatte ich jetzt tatsächlich keins. Aber das fällt mir erst im Bett ein, als ich auch schon dabei bin, einzuschlafen.

Nachts träume ich davon, wie ich in dem alten Auto sitze und damit übers Meer schippere. Neben mir sitzt ein Schatten, der meine Hand hält und dabei ein leichtes Prickeln in mir auslöst.

4.

Um halb sieben früh klingelt mein Wecker. Völlig schlaftrunken haue ich ihn aus und torkele ins Bad. Dann koche ich mir einen starken Kaffee. Während er durchläuft, ziehe ich mich schonmal an; weiße Bluse, dunkelblaue Anzughose, klassisch eben. Nur halt gekauft bei der Marke ˈzwei Buchstaben mit einem & dazwischen' und nicht von einer Vovr- und Zunahmen-Marke, wie meine Chefs sie wahrscheinlich tragen.

Ob es der wenige Schlaf ist oder weil ich einfach nicht nein sagen kann. So langsam erscheint mir der Gedanke daran, nach Kos zu fahren, nicht mehr völlig abwegig. Soll man nicht offen für Neues sein und auch mal ein Risiko eingehen? Sagt zumindest meine Freundin Berti immer.

Heute schaffe ich es, bereits um viertel vor acht im Büro zu sein. Da der Morgen sogar recht kühl ist, brauche ich die Bluse heute nicht zu wechseln, sondern habe Zeit für einen ersten, wohlschmeckenden Café Latte, während ich in Ruhe die Post sortiere. Inständig hoffe ich, dass der alte Herr Börger heute zu Hause geblieben ist. Ich habe beschlossen, um Urlaub zu bitten. Dann habe ich den schonmal sicher und nehmen muss ich ihn doch ohnehin irgendwann, da hat mein Vater recht. Zwei Wochen wären doch ein guter Zeitraum. Ich weiß zwar immer noch nicht, ob ich fahre und ob ich dann länger auf Kos bleiben will, aber dann kann ich mich nach der langen Fahrt noch erholen und Dinge wie meine Steuerklärung erledigen.

Was mein Chef wohl zu meinem Urlaubsantrag sagen wird. Er ist es gar nicht von mir gewohnt, dass ich so lange freinehme. Wann war überhaupt mein letzter Urlaub? Ist anscheinend schon viel zu lange her, wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann.

Seit ich für die Börger Kanzlei arbeite, bin ich in den letzten 5 Jahren nie länger als eine Woche am Stück weggeblieben. Meistens habe ich einfach nur ein paar Tage freigenommen, an denen ich Termine erledigt und ausgeschlafen habe. Mit Berti war ich letztes Jahr ein paar Tage Skifahren. Also sie ist Ski gefahren und ich war halt dabei. War wirklich mal was anderes als Norddeutschland, wo ich immer mit meinen Eltern war. War aber leider nicht schöner, sondern einfach nur kälter und anstrengender. Über einen kleinen Anfängerkurs, in dem nur kleine Kinder waren, bin ich dann auch nicht hinausgekommen. Dieses Jahr ist Berti mit jemand anderes gefahren, der allerdings direkt danach schon nicht mehr aktuell war, laut ihr.

Die Tür klickt. Herein kommt mein Chef, allein, wie ich zu meiner Erleichterung feststelle.

„Guten Morgen, Herr Börger.“

„Guten Morgen, Frau Andacht.“

„Äh, Herr Börger. Ich müsste Sie um etwas bitten.“

Freundlich schaut er mich mit seinen knallgrünen Augen an und ich habe Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren.

„Äh, ich bräuchte Urlaub, relativ kurzfristig. Ginge das?“

Herr Börger lächelt, wobei er irgendetwas mit seinen Augen macht. Irgendwie strahlen sie so, ist aber vielleicht auch nur der Lichtschimmer von draußen, der sich darin widerspiegelt.

„Sicher. Irgendwann müssen Sie ja schließlich Urlaub nehmen. Für wie lange denn und ab wann?“

„Zwei Wochen, so schnell wie möglich.“ Ich schlucke und ernte einen überraschten Blick.

„Zwei Wochen! Wie soll ich das denn machen, Frau Andacht? Da bleibt doch dann viel zu viel liegen!“

„Es ist eine Familienangelegenheit. Mein Vater, also, er braucht… mmh … Hilfe, also sozusagen.“

Wieso stottere ich denn, es ist ja nicht mal wirklich gelogen! Aber diese forschenden grünen Augen. Heute fällt mir auf, dass da auch noch braune Sprenkel drin sind. Furchtbar. Furchtbar schön! Zu meinem persönlichen Bedauern ringelt sich heute leider keine einzige Locke in seine Stirn, wahrscheinlich war er gestern beim Frisör.

„Oh, ja, na dann. Wobei braucht ihr Vater denn…, also, wenn ich helfen kann.“ Wieso fragt er denn jetzt nach. Was soll ich ihm sagen? Das geht ihn doch gar nichts an.

„Er, äh. Er ist gerade im Urlaub, also auf Kos und er… Er braucht ein paar Sachen und die soll ich ihm, äh, bringen.“

„Und dafür brauchen Sie zwei Wochen?“

Er zieht seine Stirn kraus und ich werde immer unsicherer. Vielleicht hätte ich mir vorher etwas überlegen sollen. Ein Rollenspiel mit Berti wäre eventuell hilfreich gewesen. Berti arbeitet nämlich im Personalmanagement einer riesigen Firma und kennt sich mit schwierigen Chefsituationen aus, sagt sie immer.

„Ich soll ihm sein Auto bringen. Einen knapp vierzig Jahre alten Golf, von dem ich nicht weiß, ob er die Fahrt überhaupt überleben wird.“ Sei doch nicht so offenherzig, schelte ich mich innerlich. Das interessiert Herrn Börger doch ohnehin nicht, wie alt das Auto ist.

„Wieso braucht ihr Vater denn plötzlich sein Auto? Auf Kos? Was will er mit dem Auto an der Ägäis, kann es vielleicht schwimmen?“ Natürlich weiß Herr Börger, wo Kos liegt, ganz ohne Internet.

„Er wandert aus und deshalb will er die wichtigsten Sachen bei sich haben.“ Wie aus der Pistole geschossen beantworte ich ihm seine Fragen, obwohl ihn das Ganze überhaupt nichts angeht. Ich wäre eine schlechte Verbrecherin, ich würde sofort alles gestehen. Wieder runzelt er die Stirn.

„Eine ganz schön weite Fahrt, aber wenn Sie meinen, Frau Andacht. Wann wollen Sie den Urlaub denn antreten?“

„Sofort, äh, wenn es geht?“ Sei nicht so unsicher, höre ich Bertis Stimme direkt in mir meckern.

„Was denn, etwa schon morgen? Das ist jetzt aber doch sehr kurzfristig, finden Sie nicht?“ Ein weiteres Schauen aus seinen grünen Augen mit braunen Sprenkeln und meine Knie geben langsam nach. Dann klingelt das Telefon und unsere Augen fahren auseinander. Anscheinend haben wir uns gegenseitig in die Augen geschaut, was mir aber gar nicht aufgefallen ist. Ich greife zu meinem Schreibtisch, vor dem wir beide stehen und greife schnell zum Hörer:

„Guten Tag. Anwaltskanzlei Börger, Sie sprechen mit Frau Andacht“.

Mein Chef schleicht schnell aus dem Vorzimmer in sein Büro, lässt zweimal klingeln und übernimmt dann das Gespräch.

Uff, wieso hat er eigentlich so viele Fragen gestellt? Und ich bin mal wieder zusammengeklappt wie ein Taschenmesser. Weil du kein Rückgrat besitzt, wie mir meine Freundin Berti immer auf ihre 'ehrliche und freundliche' Art zu vermitteln versucht. So redet man anscheinend miteinander in ihrer Firma. Ich könnte sie heute Abend mal anrufen und sie um ihre ehrliche Meinung bitten und vielleicht kann sie mir auch mit der Reiseroute nach Kos behilflich sein. Wobei sie damit eigentlich keine Erfahrung haben kann. Schließlich fliegt sie meistens in den Urlaub bzw. nimmt selten welchen, denn ihr Job in der Personalabteilung ist furchtbar wichtig.

Den restlichen Arbeitstag reden wir dann auch nur noch das Nötigste miteinander. Ich bin froh, dass der alte Herr Börger heute nicht da ist. So viele Briefe und E-Mails habe ich schon lange nicht mehr an einem Tag geschafft. Ohne sein Gequassel im Hintergrund muss ich mir die Ansage auf dem Tonband nicht zehnmal anhören, bis ich sie verstanden habe.

Irgendwann sehe ich auf. Es ist bereits fünf Uhr durch! Als ich zusammenpacke, steht auf einmal mein Chef vor mir und räuspert sich.

„Ja, also, Frau Andacht. Heute ist Mittwoch. Wäre es Ihnen vielleicht möglich, Ihren Urlaub ab dem nächsten Montag zu beginnen? Ihr Freund kann ja sicherlich auch nicht so rasch Urlaub bekommen. Und wir können dann die nächsten beiden Tage noch tüchtig vorarbeiten.“ Erstaunt blicke ich ihn an.

„Äh, vielen Dank! Dann ab nächsten Montag.“

Er runzelt die Stirn, doch ich habe keine Ahnung, was er gerade denkt.

„Gut, dann machen wir das so, Frau Andacht.“

Damit spaziert er wieder in sein Büro zurück.

Ich stehe auf der Straße und warte auf meine Bahn, die in 20 Minuten kommen soll. Nein, ich bin nicht mit dem Auto meines Vaters zur Arbeit gefahren, keine Ahnung, wieso. Ich bin einfach ein Gewohnheitstier und habe heute Morgen schlichtweg gar nicht mehr an den alten Kasten gedacht. Plötzlich fallen mir die Worte von Tho… Herrn Börger (jetzt fange ich auch noch damit an) wieder ein:

„Ihr Freund bekommt ja sicherlich auch nicht so schnell Urlaub“, oder so ähnlich? Verdammt, wieso habe ich nicht klargestellt, dass ich allein fahre. Jetzt denkt er bestimmt, dass ich einen Freund habe!

Was ja eigentlich völlig egal ist. Schließlich hat dieser Mann bestimmt kein Interesse an jemandem wie mir, die erstmal nachgucken muss, wo Kos überhaupt liegt. Seufzend steige ich in meine Bahn und fahre nach Hause.

5.

Zu Hause greife ich direkt zum Hörer. Ich muss jetzt dringend mit jemandem reden.

„Hallo Berti. Mein Vater hat mich gebeten, ihm sein Auto nach Kos zu fahren. Was meinst du, soll ich das machen?“ Schweigen.

„Äh, was macht dein alter Herr denn auf Kos? Midlifecrisis? Das ist so Oldschool!“

„Ich habe keine Ahnung. Er meinte, er ist da glücklich. Und außerdem hat mich mein Papa darum ge…gebeten, Berti.“ Natürlich stottere ich wieder mal zum Ende hin. Das tue ich meistens, wenn ich versuche, mich für etwas zu rechtfertigen, auf das ich meiner Meinung nach gar keinen Einfluss habe. Berti und ich sind seit der Schulzeit befreundet, obwohl ich mir da gar nicht so sicher bin. Meistens macht sie mich runter, aber vielleicht will sie mich auch nur anspornen damit.

„Ok, weißt du was. Dann mach das doch, Julia! Bestimmt bringt dir die Reise ganz viel für dich selbst und ist eine neue spannende Erfahrung für dich. Ich sage dir doch immer, dass du mehr aus dir herausgehen sollst!“ Über diesen Zuspruch bin ich dann doch sehr überrascht.

„Du meinst also, ich soll das wirklich durchziehen?“ Heute dürfte sie mir wirklich mal widersprechen und dann kommt so etwas. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Den Urlaub habe ich ja bereits genommen, aber die Angst vor der langen Fahrt bleibt.

„Natürlich, wieso nicht“, sagt sie abwesend.

„Ist alles ok bei dir?“, frage ich, denn ich habe das Gefühl, dass sie mir gar nicht wirklich zuhört.

„Ach, ich habe einen himmlischen Typen an Land gezogen. Der hat den Sex quasi erfunden!“, schwärmt sie auf einmal.

„Wieso. Ist er schon so alt?“, entschlüpft es mir unbedacht und ich schlage mir die Hand vor den Mund, obwohl wir nur telefonieren und Berti das gar nicht sehen kann.

„Nein, du Dummchen. Damit meine ich doch, dass er absolut neue Maßstäbe im Bett aufstellt. Wann hast du denn das letzte Mal gevögelt?“ Dabei zieht sie sich wahrscheinlich gerade die Lippen nach oder macht irgendetwas anderes, denn ich höre das Rauschen des Lautsprechers. Ich ignoriere diese Frage einfach, wie jedes Mal.

„Herr Börger hat mir erst ab nächsten Montag Urlaub genehmigt. Weil er meinte, dass mein Freund doch auch bestimmt nicht so schnell Urlaub bekäme.“ Schweigen. „Bist du noch dran, Berti?“

„Bin ich. Ich denke, er wollte die Lage abchecken, Jule.“

„Welche Lage denn?“ Ich verstehe nur Bahnhof.

„Du kapierst mal wieder gar nichts, Julia! Der wollte gucken, ob du allein fährst oder mit jemandem zusammen!“ Ihre plötzliche Begeisterung lässt mich zusammenzucken. Was? Wirklich? Wieso?

„Warum sollte er das denn tun?“ Ich höre förmlich, wie sich Berti an die Stirn klatscht.

„Na, bestimmt will er dich flachlegen, todsicher!“

„So ein Quatsch. Der Typ ist seit 5 Jahren mein Chef und er kann ganz andere Frauen haben.“

„Na und, Männer sind da nicht so wählerisch. Sag ihm, dass du keinen Freund hast. Und viel Spaß bei der Reise nach Kos. Du könntest deinen Chef fragen, ob er mitkommt.“

„Wie sähe das denn aus. Ich kann doch nicht mit meinem Chef in den Urlaub fahren.“ Obwohl das schon schön wäre. Er und ich und das Meer.

„Ach, war nur so ein Gedanke. Ich muss jetzt weiterarbeiten. Ciao!“ Und schon hat sie aufgelegt und lässt mich ratlos zurück.

Also werde ich wohl nach Kos fahren? Nein, ich bin mir immer noch nicht sicher. Aber ich könnte mir mal die Route dahin ansehen. Schnell schnappe ich mir meinen Laptop und gebe ˈKos, Griechenlandˈ in die Suchmaschine ein. Dutzendweise wunderschöne Bilder von einem strahlend blauen Himmel erscheinen direkt auf meinem Bildschirm. Das sieht toll aus. Vielleicht wirklich keine schlechte Idee, dorthin auszuwandern.

Nach nur zwei Stunden raucht mir der Kopf und es ist spät. Die Strecke über Italien sah netter aus, aber dann müsste man mit zwei Fähren fahren. Wobei man sogar noch eine ganze Strecke zur zweiten Fähre fahren müsste. Das erscheint mir riskant. Wenn ich durch Staus oder Sperrungen eine Fähre verpasse, verpasse ich auch direkt die nächste. Und zu viel zeitlichen Puffer dazwischen will ich auch nicht lassen, denn sonst muss ich zu häufig übernachten. Alternativ könnte ich bis nach Athen fahren. Die Fähre fährt direkt nach Kos.

Vor lauter Aufregung kann ich kaum einschlafen und mein Wecker klingelt nach nur wenigen Sekunden, kaum, dass ich endlich eingeschlafen bin.

Und immer noch bin ich mir nicht sicher, ob ich fahren werde. Aber das Heraussuchen der unterschiedlichen Routen hat bereits so etwas wie Reisefieber in mir geweckt. Vielleicht verleiht mir diese Herausforderung ja Flügel. Allerdings hätte das mit dem Neinsagen dann schon mal nicht geklappt, aber ich kann mich ja nicht sofort komplett ändern.

6.

„Guten Morgen, Frau Andacht“, grüßt mich mein Chef am nächsten Morgen, als er bereits um kurz vor neun hereinkommt. „Wissen Sie denn schon, wie Sie nach Kos kommen?“ Komisch, dass ihn das so interessiert.

„Äh, ich bin noch dabei, mich zu informieren.“ Mein Herz klopft heftig, während er mich mustert, aber schließlich muss es ja auch irgendetwas tun, sonst würde es doch schließlich stillstehen, das Herz.

„Ist eine ganz schön lange Strecke, aber Sie und ihr Freund können sich ja abwechseln.“ Wieso fragt er ständig nach meinem Freund? Will er abchecken, ob ich einen habe oder ob ich bald wegen einer Schwangerschaft ausfalle?

„Ich reise allein.“ Mein Gesicht wird warm bei diesen Worten. Ich habe keine Ahnung, wieso ich das gerade eben gesagt habe. Schließlich geht ihn das doch gar nichts an. Aber es kann ja auch nichts schaden, es ihn wissen zu lassen, dass ich ungebunden bin.

„Oh, das tut mir leid. Konnte Ihr Freund so kurzfristig keinen Urlaub bekommen?“ Das Gespräch ist wirklich merkwürdig.

„Äh, ich habe keinen Freund.“ Das Gesicht meines Chefs zuckt und seine Augen weiten sich leicht, aber vielleicht habe ich das auch nur hineininterpretiert.

„Aber das ist wirklich eine sehr weite Fahrt für einen allein“, mischt sich jetzt auf einmal sein Vater ein, den ich noch gar nicht wahrgenommen habe. Wahrscheinlich hat er sich einfach angeschlichen.

„Guten Morgen, Herr Börger. Ja, es wird wohl eine lange Fahrt werden. Wahrscheinlich muss ich mindestens einmal übernachten.“ Innerlich seufze ich. In was habe ich mich da reinquatschen lassen! Aber man wächst ja bekanntlich an seinen Aufgaben, ich fühle mich jetzt schon etwas größer.

„Sie sollten als Frau nicht so allein in der Gegend rumgondeln. Junge, das kannst du doch nicht zulassen!“ Äh, wie bitte?

„Was meinst du damit, Vater?“ Mein Chef sieht seinen Vater irritiert an.

„Na, dass man zu meiner Zeit eine Frau niemals allein gelassen hat. Machen Sie ihrem Freund Beine, Frau Andacht!“

„Vater, sie hat keinen Freund.“ Die Börgers mustern mich jetzt beide, ob abwartend oder geringschätzig kann ich nicht sagen, denn ich bin gerade völlig überfordert. „Und das ist allein Frau Andachts Privatangelegenheit. Da können wir uns doch nicht einmischen!“

„Na gut, dann mische ich mich eben allein ein. Frau Andacht, ich weiß, Sie arbeiten für uns und gar nicht mal schlecht. Schon deshalb habe ich ein Interesse daran, sie in einem Stück wiederzubekommen. Was halten Sie davon, wenn ich Sie begleite. Dann machen wir einen Rot-Trip. Das sagt man doch heute dazu, oder? Einen Rot-Trip?“ Schweigen. Es hat mir absolut die Sprache verschlagen.

„Papa, das nennt man Roadtrip“, sagt sein Sohn schwach. Mir fällt irgendwie gar nichts darauf ein, mein Mund ist plötzlich ganz trocken.

„Frau Andacht! Ich verstehe ja, wenn Ihnen das Angebot merkwürdig erscheint, denn ich bin Ihr Chef. Ok, mein Sohn ist ihr Chef. Aber ich habe doch Zeit und muss auch keinen Urlaub nehmen. Es sei denn, du kommst nicht ohne mich klar, Thomas!“ Tho… mein Chef zuckt zusammen.