Zwischen-Welten - Felix Terborg - E-Book

Zwischen-Welten E-Book

Felix Terborg

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Beschreibung

Eine fremdartige Lebensform aus den Weiten des Alls findet die Erde. Die wolkigen Gestalten, die in Wirklichkeit jeweils aus Millionen einzelner Mikro-Wesen bestehen, treten voller Hoffnung mit dem Planeten in Kontakt. Und eine fatale Kette von Missverständnissen nimmt ihren Lauf. Zusammen mit ihren Soldaten bekämpfen Rom und Athene grauenhafte Bugs - Unmengen käferartiger Wesen, die nach dem Absturz eines Raumschiffs ihre Welt infiltriert haben und alles zerbeißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Entgegen allen Regeln dringen die beiden jungen Leute in das Wrack des Raumschiffs ein, um das Übel endlich an der Wurzel zu packen. Aber nichts ist, wie es scheint. Cadoc ist Soldat und weiß, dass sie verloren haben, denn die überlegenen Helix werden auch seinen Planeten Alexios in Kürze erobern: Sklaverei oder Tod warten auf sie alle. Nur ein paar Glückliche werden sie noch evakuieren können. So gibt es nur noch ein einziges Ziel für Cadoc: Seine geliebte Schwester Haya muss in eines der Evakuierungsschiffe - wenn er sie nur davon überzeugen könnte! Der Sternen-Seefahrer Quill bettet seine geliebte Frau Kahni zur Ruhe, nachdem die Strahlenkrankheit sie getötet hat. Ebenfalls krank, will er in seiner Verzweiflung nur noch sterben. Doch der verrückte Kapitän Myst kann ihn davon überzeugen, stattdessen mit seiner todgeweihten Crew den Spuren des mysteriösen Sternenwals zu folgen: Auf abenteuerliche Weise segeln sie hinaus in den Weltraum, um den sagenumwobenen Planeten zu finden, auf dem ihre geliebten Toten noch leben. Diese und mehr als ein Dutzend weitere Geschichten aus dem schier grenzenlosen Reich der Science Fiction, verfasst von acht aufstrebenden Autorinnen und Autoren, finden sich in Zwischen-Welten: Eine Science Fiction Anthologie. Lassen Sie sich von der überraschenden Vielfalt dieser Erzählungen in die unterschiedlichsten Welten entführen!

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Seitenzahl: 523

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Eine fremdartige Lebensform aus den Weiten des Alls findet die Erde. Die wolkigen Gestalten, die in Wirklichkeit jeweils aus Millionen einzelner Mikro-Wesen bestehen, treten voller Hoffnung mit dem Planeten in Kontakt. Und eine fatale Kette von Missverständnissen nimmt ihren Lauf.

Zusammen mit ihren Soldaten bekämpfen Rom und Athene grauenhafte Bugs – Unmengen käferartiger Wesen, die nach dem Absturz eines Raumschiffs ihre Welt infiltriert haben und alles zerbeißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Entgegen allen Regeln dringen die beiden jungen Leute in das Wrack des Raumschiffs ein, um das Übel endlich an der Wurzel zu packen. Aber nichts ist, wie es scheint.

Cadoc ist Soldat und weiß, dass sie verloren haben, denn die überlegenen Helix werden auch seinen Planeten Alexios in Kürze erobern: Sklaverei oder Tod warten auf sie alle. Nur ein paar Glückliche werden sie noch evakuieren können. So gibt es nur noch ein einziges Ziel für Cadoc: Seine geliebte Schwester Haya muss in eines der Evakuierungsschiffe – wenn er sie nur davon überzeugen könnte!

Der Sternen-Seefahrer Quill bettet seine geliebte Frau Kahni zur Ruhe, nachdem die Strahlenkrankheit sie getötet hat. Ebenfalls krank, will er in seiner Verzweiflung nur noch sterben. Doch der verrückte Kapitän Myst kann ihn davon überzeugen, stattdessen mit seiner todgeweihten Crew den Spuren des mysteriösen Sternenwals zu folgen: Auf abenteuerliche Weise segeln sie hinaus in den Weltraum, um den sagenumwobenen Planeten zu finden, auf dem ihre geliebten Toten noch leben.

EINE SCIENCEFICTION ANTHOLOGIE

BANDAI BAUER HELMAR MINDEN NEXT TERBORG WAGNER WEBEL

INHALT:

VORWORT

PANSPERMIE

Roger Bandai

DIE ZURF VON KLAUDZ BESUCHEN PLANET ERDE

D

ER

B

RIEF AN DIE

P

RÄSIDENTIN

3 W

OCHEN ZUVOR

Felix Terborg

ZWISCHEN DEN BRÜCKEN

Royana Helmar

DAS ZEITREISE-PROJEKT

Peter M. Wagner

BREAK-AWAY

Annie G. Bauer

AREA 101

Vanessa K. Minden

EINE FATALE FEHLENTSCHEIDUNG

Marco Webel

SCHUTZENGEL

Roger Bandai

SOS: DER NASE NACH

Felix Terborg

GEMA, AM ENDE DER GALAXIS HINTEN LINKS

Vanessa K. Minden

ENTROPIE

Roger Bandai

DER FREMDE PLANET

Felix Terborg

DER ORCUS

Roger Bandai

DIE HELLE BLAUE SCHEIBE

Felix Terborg

HAYA & CADOC

Royana Helmar

DIE TÖNE DES URLAUBS

Vanessa K. Minden

UPDATE

Thursday Next

UNSUITABLE BASTARDS: GARDENING PIRATES

Vanessa K. Minden

NEBELKAMMER (UNIVERSUM)

Felix Terborg

DER TALISMAN

E

RSTER

T

EIL

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EHNSUCHT

Z

WEITER

T

EIL

, A

BFAHRT

D

RITTER

T

EIL

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OD UND

L

EBEN

Roger Bandai

MITWIRKENDE

Alle

Vorwort

Lust am Lesen …

im Schein der Nachttischlampe die Nacht zum Tag werden lassen, weil eine spannende Geschichte Sie wachhält. Eingekuschelt in eine Wolldecke die kalte Jahreszeit vergessen und mit einem fesselnden Buch in der Hand in fremde Welten eintauchen. Sich verzaubern lassen von geheimnisvollen Figuren, einer exotischen Landschaft oder einem abenteuerlichen Leben in einer fernen Zukunft. Die Lust am Lesen ist mit nichts zu vergleichen.

Mit dieser Sammlung von Erzählungen möchten wir Ihre Lust am Lesen wecken und Ihnen Appetit machen auf neue Autoren. Machen Sie es sich mit einer heißen Tasse Tee oder einem Glas Wein gemütlich und freuen Sie sich: auf die abgefahrenste Party in einem Reaktor, auf unvergessliche Begegnungen mit Außerirdischen oder auf Einblicke in die Denkweise einer künstlichen Intelligenz. Öffnen Sie die Tür zur weiten Welt der Science Fiction und verlassen die ausgetretenen Pfade nur um festzustellen, dass auch neue Autoren unterhaltsame Geschichten schreiben.

Panspermie

von Roger Bandai

Feng und ich standen unter der Highwayauffahrt nach Blue Diamond District, in der Schlucht zwischen mächtigen Betonpfeilern und Bergen von zurückgelassenem Müll. Gut geschützt vor den Blicken der Hauptstadt von Xentronia machten wir dort unsere Geschäfte. Hier lagen Megatonnen von undichten Bioschlackebehältern und Haufen von Cyberschrott, sinnlos und unbrauchbar gewordene Technik für die vollsynthetische Hochglanzzivilisation, für uns aber Ersatzteile und Nahrung. Festgeschmorte Drähte quollen aus ausgeschlachteten Synthetikorganen hervor, verbrannt und verdreht. Es war die Heimat des erbärmlichen Restes des biologischen Lebens von Xentronia – der Junk-Tumor-Complex – unsere Heimat.

»Also was ist jetzt, Feng?«, murmelte ich.

Irgendwoher hörte ich ein Schaben. Wahrscheinlich kramte jemand im Müll nach Resten von Industriechemikalien, um daran zu nuckeln. Auf dem Beton verteilt lagen überall Zugedröhnte. Wir hatten uns hier festgesaugt wie Nacktschnecken an einer Mülltonne. In einem Zustand fieberhaften Delirs, zitternd, brütend, und ständig auf der Suche nach Stoff. Einige versammelten sich um brennende Mülltonnen. Der Rauch und die Wärme von diesen kleinen Feuern stiegen entlang der Betonwände in die Luft auf, bildeten wirre Schatten und wirbelten die Rußpartikel des letzten echten Lebens dieses Planeten durcheinander.

Fengs Synthhand wanderte zu seiner Brust. Ich machte mich bereit, ihm eine mit meinem karbonverstärkten Ellenbogen in sein Plastikgesicht zu verpassen.

»Hey, cool bleiben Ash! Ich hab’ nichts verkauft, nur getauscht. Gegen dieses Baby …«

Eine Klappe in seiner Brust ging auf, Dampf zischte hervor. Er nahm einen Flachmann raus und trank.

Seine Bewegungen waren eckig, aber sicher nicht vom Stoff. Es war wegen seiner ungeölten Synthgelenke. Er lächelte mit der biologischen Hälfte seines Gesichtes, und nahm noch einen Schluck. Die Linsen seiner Kompositaugen fokussierten mich und er reichte mir die Flasche. Sein rechtes Okular fiel dabei heraus und blieb an der Verkabelung hängen, wie bei einer dieser Spaßbrillen, wo die Augen rauskullern.

Das kannte ich: Totalschaden von der kleinsten Erschütterung. Der selbe Ramsch war bei mir eingebaut.

Ich kostete sein Zeug. Billigster Synthwein, in den armseliges Stimblow reingemischt war. Nur ein Arschloch ließ sich sowas andrehen. Und nur ein Arschloch konnte davon high werden.

»Was ist das? Beschissener Industriedünger?« Ich schluckte es. »Gib mir den richtigen Stoff, du Bastard.«

»Hab’ alles dem Padre abgetreten, Mann!«, sagte Feng und zeigte auf eine Gruppe Penner, die sich um eine brennende Mülltonne scharten.

»Padre? Wer ist dieses Arschloch überhaupt?«

Einer der Penner dort trug eine goldene Kette aus fingerdickem Draht und darunter einen schwarzen Plastikumhang.

»Der Straßenpriester?«, fragte ich.

Der »Padre« stand auf einem Podest vor dem Feuer und hob seine Arme.

»Der ist legit!«, sagte Feng.

»Was man heutzutage alles tun muss, um high zu werden«, sagte ich kopfschüttelnd.

»Nein, Mann, bleib weg. Die machen da ein Ritual oder so ’ne Scheiße!«

»Verpiss dich«, flüsterte ich und trat ihm mit der Ferse ins Gesicht. Sein Kopf knackte dabei wie ein verfaulter Surrogatkürbis.

»Scheiße, die ganze linke Seite meiner Zähne wackelt jetzt beim Draufbeißen. Dabei hab’ ich die Implantate noch nicht einmal abbezahlt«, jammerte Feng.

»Was kaufst du dir denn auch so ’ne teure Visage?«, flüsterte ich.

»Verdammter Hurensohn.«

Ich nickte zustimmend, nahm einen letzten Schluck von dem Fusel und warf den Flachmann zwischen die Penner, die sich unter einem Solarpanel eingenistet hatten.

»Hey!«, rief Feng und tauchte nach der Flasche.

Ich war benebelt, konnte aber den Priester kristallklar hören:

»Wir, die, und die ganze Stadt sind ein Haufen stinkender Biomasse. Klebengeblieben, auf dieser Müllkugel von Planeten.«

Die Penner um die Tonne nickten und murmelten wie kleine Roboterkobolde vom Jahrmarkt.

Ich wickelte mich fester in meinen nach Tannenbaum und Schweiß riechenden Plastikmantel und hastete über einige der halbtoten Penner auf der Straße. In meinen Taschen waren noch Brotreste von gestern, die sich dabei unter meine Fingernägel schoben. Ich trat auf was Weiches.

»Verpiss dich!«, krächzte der Penner unter meinem Fuß.

»Maulhalten!«, flüsterte ich. Woher hätte ich wissen sollen, dass das Arschloch noch lebte?

Der Padre ergriff wieder das Wort: »Sie haben sich mit ihren kybernetischen Augmentaten die Seele weggechipt!« Zustimmendes Raunen unter den Pennern.

»Und jetzt lassen sie uns in den Ritzen zwischen ihren Wolkenkratzern, unter Mikroplastik und Elektroschrott verwesen.«

Ich kam näher.

»Ja, wir sind der stinkende, verfaulende Abfall ihrer Gesellschaftsmaschine. Aber wir leben noch, wir atmen! Ihre kybernetischen Körper sind kalt. Reine Maschinen. Simuliertes Leben.«

»Simuliertes Leben, simuliertes Leben!«, wiederholten die Penner wie im Gebet.

Der Padre stand oben bei der Mülltonne, darunter seine Jünger, die bei seinen Worten nickten.

Er warf ein blaues Pulver ins Feuer. Eine Stichflamme stieg auf.

»Von den heiligen Engeln der Wüste habe ich dieses Device bekommen …«, der Padre verwies auf die Mülltonne. Heraus schlängelte sich ein mechanischer Tentakel, der sich zu einer Schrödingercast-Antenne aufrichtete. Die Dinger verwendeten sie für Teleportationsversuche, draußen in der Aschewüste. Soweit ich wusste, hatte sich bisher jeder, der gecastet wurde, in radioaktiven Bioschleim verwandelt.

»Das Device, das Device!«, murmelten die Jünger und verneigten sich.

»Kraft meines Amtes vollführe ich nun die heilige Befruchtung!«

Wusste dieser »Padre« überhaupt, was er da faselte? Wohl eher spulte er ein Bodyprogramm herunter. Transpersonale Junkware eines festgerosteten Chips, der sich wahrscheinlich in den verkrusteten Resten seines Hirns reaktiviert hatte.

Die Penner inhalierten die Dämpfe, und wer genug davon hatte, sackte auf dem Boden zusammen. Der Padre hantierte dabei am »Device«.

Dann sprach er wieder: »Es ist so weit! Einer wird vortreten! Seht zum Device!«

Ich drängte mich ans Feuer.

»Gib mir von dem Zeug«, sagte ich.

»Das Device, das Device«, murmelten die Penner.

»Du bietest dich dar?«, sagte der Padre geheimnisvoll. Er warf seinen Umhang über die Schulter und streute noch etwas von dem blauen Pulver in die Tonne.

Ich lächelte müde.

»Ja, um high zu werden«, flüsterte ich. Er nickte. Ich kam ganz nah.

»Bist du bereit?«

»Was faselst du da, Arschloch?«, flüsterte ich.

Er musterte mich.

»Ja, Mann«, rief ich. »Mach schon!«

Er zog eine Eisenstange mit einer draufgewickelten Drahtspule aus einem Beutel und rasselte damit um das Feuer. Datenschläuche kamen aus der Tonne und tasteten nach meinem Interface.

Ein Elektrohigh. Naja, besser als nichts, dachte ich und machte mich bereit.

Die Penner machten mir Platz und ich hielt meine Fresse übers Feuer. Ich registrierte nur Hitze. Ein Upgrade für direkte Schmerzempfindungen hatte ich nicht eingebaut.

Unter den Flammen sah ich einen Haufen Kabel, Elektronik und Infusionsbeutel, in denen es blubberte. Die Dämpfe stanken nach verbranntem Plastik.

Plötzlich hatte ich Angst, dass die zusammengesackten Penner tot waren. Vielleicht war das mein letztes High, dachte ich. Aber ich blieb stehen.

Vielleicht, weil ich genug hatte. Genug vom Gelaber, dem Stoff und dem stinkenden Elend der Straße. Ich war reif für ein Ende.

»Bist du bereit, dich für das Leben zu opfern?«, fragte er.

Was sollte ich dagegen schon sagen?

»Sieh ins Device und beginne deine Reise!«, sagte er trocken, während die Kabel weiter aus der Tonne krochen und sich mit meinem Neuralinterface verbanden.

In den Dämpfen flimmerte es Blau und Schwarz. Verzweigte Muster von leuchtenden Fasern blitzten auf. Er warf wieder Pulver ins Feuer und ich atmete voll ein.

Es war, als würde der Rand meines Sichtfeldes in Brand stehen. Ein verkohlender Rahmen verengte sich um mich und wurde immer kleiner. Als ob man durch einen Tunnel krabbelt. Dann schmeckte ich Asche. Es blitzte und jaulte irgendwo weit weg und dann wurde es dunkel.

Aus dem Schwarz schälten sich blaue Blitze, und es roch nach Blut und Erde. Meine Haut vibrierte und die Eingeweide rumorten. Ich spürte die Zellen meines Körpers wie Sand aus meinem Unterleib rieseln. Die Körner vermengten sich mit dem Feuer und der Feuchtigkeit in der Luft zu einer wabernden Masse und ich streckte mich zum Himmel. Meine Synthetik blieb als Schrotthaufen zurück und ich bildete einen Strahl von Zellen, der in den Weltraum stieg.

Einen Augenblick später war ich im Orbit und sah unter mir die Lichter der Stadt Xentronia, meiner Heimat, die ich so sehr hasste. Das Rot der uralten Sonne flackerte und spendete spärliche Wärme. Ich fand mich zwischen zwei spindelförmigen Lichtern, die sich zu drehen begannen.

Die Zellen meines Körpers wurden zwischen den Energiespindeln zermalmt, gereinigt von Schleim, altem Maschinenöl und allem sonstigen Dreck, der über die Jahre in sie gekrochen war. All das kam als leuchtender Staub dort wieder raus, wo einmal mein Arsch gewesen war. Ich konnte nicht fassen, was passierte, aber es war keine Zeit, denn ich beschleunigte auf Hyperlichtgeschwindigkeit. Ich entfernte mich von der roten Sonne von Xentronia. Ich flog durch ein Asteroidenfeld und ein Teil von mir blieb auf einem der Steine haften. Die Schatten des Weltraumes rauschten an mir vorbei, als ich durchs All raste und ich sagte allem, was ich kannte, auf Wiedersehen. Umgeben von Schwärze, funkelten Sterne in weiter Ferne.

Wie es wohl wäre, wenn ich mich hier verteilen würde. Fernab von all dem Lärm, der stinkenden Stadt und dem Hass. Fernab von all den Bastarden, von denen ich mich kaum unterschieden habe. Ich wollte nichts mehr, als mich hier auflösen. Aber ich lebte, driftete durch das Vakuum. Und es gab absolut nichts, dass ich dagegen tun konnte.

Ich flog vorbei an sterbenden Sternen, rotierte um einen ultravioletten Nebel und sah, wie sich Planeten aus chaotischen Staubwolken erst zu Scheiben, und dann zu Kugeln formten. Die Strahlung eines Pulsars drückte mich bis zum Rand eines schwarzen Loches, wo mich die Gezeitenkräfte drohten zu zerreißen.

Und dann zog es mich in die unendliche Dunkelheit, wie einen langgezogenen Kaugummi, dessen an der Realität festgeklebtes Ende sich plötzlich löste.

Für Äonen waberte ich in aufgewickelten Dimensionen zwischen Raum und Zeit. Bis ich etwas spürte. Eine Brise, ein stellarer Wind, trieb mich aus dem Schwarzen Loch und ich wurde in die Galaxis zurückgespuckt.

Und endlich begann ich zu kapieren: Hier draußen interessierte es niemanden, was für ein Bastard ich gewesen war. Die Gesteinsbrocken gaben einen Dreck auf mein Konzept von Gut und Böse.

Der Weltraum ist kalt. Tot. Aber ich lebte. Ich hatte einen Geist und eine Seele.

Auf der anderen Seite war ein gelber Stern mit einigen Planeten. Ich bedankte mich für das Licht und seine Wärme und raste darauf zu.

Land in Sicht, dachte ich. Nach all der Zeit endlich wieder Planeten. Ich steuerte auf den dritten zu. Er hatte glühendes Lavagestein und war zu zwei Drittel mit Wasser bedeckt. Ich berührte seine Atmosphäre, drang ein und spürte seine Luftpartikel wie winzige Nadeln in mich dringen. Wasser zerbarst unten auf einer Felsküste und ich schmeckte das Salz in der Luft.

Hier kam ich auf diese großartige Welt. Verdammt, ich war so unwürdig, wahrscheinlich die niedrigste Lebensform des Universums. Aber für diesen einsamen Planeten war ich eine Chance. Der Kristallisationskeim des Lebens, und der Ursprung des Bewusstseins. Ich zerplatzte auf einem Felsen wie eine überreife Frucht, verwirbelte mich in der Atmosphäre dieser Welt und mit meinem letzten Gedanken gab ich ihr den Namen Erde.

Die Zurf von Klaudz besuchen Planet Erde

von Felix Terborg

Niederschrift der Audio-Transkription,

Prof. Dimpfelkit, den 28. April 2032

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Sehr geehrte Präsidentin Hargrove,

im Nachfolgenden finden Sie den Bericht über die extraterrestrischen Objekte, um den Sie meine Abteilung gebeten hatten.

Wie Sie bereits wissen, ist es schon kurz nach Absturz des UFOs gelungen, dessen Panzerung zu knacken. Unser Team betrat die fremde Technologie und fand nur Flammen, Asche und Zerstörung.

Zielgerichtet suchten wir nach Speichern und Artefakten, die uns mehr über die Besucher sagen könnten.

Über den Atlantik ist allerdings noch nicht folgende Nachricht gedrungen: Heute Vormittag ist es uns gelungen, eine weitere Luke im Innern zu öffnen. Dieses gigantische Alien-Schiff hat unzählige Gänge, und in diesem verbarg sich eine Überraschung. Wir haben ein Alien sicherstellen können, lebend! Aber zunächst soll es darum nicht gehen. Sie haben angeordnet, dass wir dem Raumschiff höchste Priorität zuordnen sollen, und das haben wir getan.

Untersuchungen zu einem geborgenen Speicher ergaben zumindest eine grobe Übersicht über die Aliens, die uns angegriffen haben.

Ich will nicht weitere Lesezeit mit unnötigen wissenschaftlichen Floskeln verschwenden, weshalb ich auf Ihre Fragen direkt zu sprechen komme und in jener Reihenfolge beantworte, die auch Ihr Fragenkatalog aufwies:

Frage 1: Sind weitere Truppen/Schiffe im Anmarsch oder in der Umgebung? Kann eine weitere Katastrophe ausgeschlossen oder zumindest verhindert werden?

Die gute Nachricht, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte und somit dem eigentlichen Text vorangestellt wird, lautet: Es scheint, dass das abgeschossene Schiff, welches in das Wattenmeer im Südatlantik gestürzt ist, das einzige der Außerirdischen ist. Trotz des heftigen Aufpralls in den Schlick war es meinen Leuten möglich, den Schreiber – ja, die Aliens haben einen! – zu bergen und an unsere Computer anzuschließen. Die entschlüsselte Karte scheint, wenn wir das richtig übersetzt und interpretiert haben, auf keine anderen Schiffe hinzuweisen. Zumindest wird uns in nächster Zeit kein weiteres aufsuchen. Da bin ich mir relativ sicher.

Frage 2: Was waren das für Wesen? Haben sie mögliche Schwächen, die wir ausnutzen können?

Ich habe zu Anfang gesagt, dass wir ein Alien lebend bergen konnten. Das ist mitnichten wahr. Ich werde nun darauf eingehen, warum es schwer ist, von einem Alien zu reden, wenn es doch ganz sicher außerirdisches Leben ist.

Zunächst war uns gar nicht bewusst, was uns da vor die Nase kam. Wir waren noch mitten in der Datensicherung, als eine Splittereinheit den neuen Gang untersuchte. Die Gruppe hielt mit Funkgeräten zu uns Kontakt und berichtete von seltsamen rötlichen Dämpfen.

Zuerst dachte ich mir nichts dabei und ließ sie weiter forschen. Der Bordcomputer war viel interessanter, und ich rechnete nicht mit lebenden Aliens. Und dann stießen wir auf etwas Unerwartetes. Nicht nur fanden wir Sternkarten und Maschinenprotokolle – es gab auch eine Enzyklopädie über ihren Heimatplaneten. Ja, in der Tat hinterließen die Außerirdischen eine Bibliothek über sich selbst! Es wird Jahre dauern, die Texte zu übersetzen und daraus zu lernen …

So stellte meine Abteilung eine biologische Beschreibung der Aliens sicher. Stellen Sie sich das so vor wie die goldene Schallplatte, die damals in den 70ern ins All geschossen wurde. Darauf befanden sich nackige Strichmännchen, die die Menschheit repräsentieren sollten.

Wie dem auch sei … wir übersetzten die Daten, so gut es möglich war, und wir erhaschten einen Einblick in die Physiologie der Angreifer. Wir wissen jetzt zumindest grob Bescheid. Es sind keine kleinen grauen Männchen, und Tentakel haben sie auch nicht.

Als ich feststellte, was Sache war, kontaktierte ich meine Splittereinheit und befahl ihnen, sofort den roten Dampf in einen Behälter zu saugen.

Sofort baute ich im Wrack ein neues Labor auf. Ich platzierte die Dampf-Probe unter einem Mikroskop. In wenigen Stunden ergab die biologische Untersuchung in Kombination mit den Daten aus dem Schiffsspeicher ein klares Bild.

Wo soll ich anfangen? Es haben sich viele Informationen angehäuft …

Die Spezies nennt sich selbst Die Zurf.

Zurf sind Aliens aus mikrobiologischen Einheiten – Partikeln, die einen einfachen Aufbau besitzen, in Gruppen jedoch zu enormem Handeln imstande sind.

Diese Partikel zeigen unter dem Mikroskop einen zellenartigen Aufbau, wobei zwei Tragflächen auf die Flugeigenschaft schließen lassen, die schon beobachtet wurde. Es handelt sich hierbei um die kleinsten biologischen Fluginstrumente, die jemals bei einem Lebewesen nachgewiesen wurden.

Zurf sind keine Individuen, wie man es eventuell vermuten möchte, sondern ergeben nur in der Gemeinschaft eine Intelligenz. Somit handelt es sich bei den Zurf um Schwarmintelligenzen.

Nun liegt der Vergleich zu Insektenkolonien nahe, doch diese Assoziation sollte schnell fallen gelassen werden. Die extraterrestrischen Schwärme haben nämlich eine Besonderheit gegenüber den auf der Erde existenten Bienenvölkern: Zurf-Partikel können zu sogenannten Wolken »verklumpen«. Solch eine Wolke enthält bis zu Einhundert Milliarden Mikro-Partikel. Diese Wolken stellen keine Gemeinschaften dar – sie sind lediglich einzelne Stimmen im großen Ganzen.

Nun ist solch eine Wolke nicht die größte Einheit der Fusion, die bei den Partikeln nachgewiesen wurde. Sie kann dennoch zu eigenständigem Denken in der Lage sein. Mehrere Wolken können sich zu einer sogenannten Domäne zusammenschließen. Dies entspricht wohl einer Gemeinschaft aus mehreren eigenständigdenkenden Einheiten. Eine auf der Erde vorkommende biologische Entsprechung wurde noch nicht gefunden.

Es ist faszinierend – wir haben insgesamt ein paar Liter dieses Zurf-Nebels aus dem Schiff bergen können. Sie reagieren auf elektrische Schocks und können sich immer wieder zu neuen Wolken rekombinieren.

Wir müssen uns hier vor Augen halten, dass diese Aliens eine völlig andere Denkstruktur besitzen, ja im Ganzen völlig anders aufgebaut sind. Ihre Gedanken reisen als elektrische Ströme, die von Partikel zu Partikel weitergereicht werden. Vielleicht nehmen sie das Universum ganz anders wahr (auf den Punkt komme ich später zu sprechen). Aber nicht nur das! Die Aliens tauschen sich auch mithilfe von Schallwellen aus – ganz so, wie wir!

Ihre Sprache kann nicht sonderlich effektiv in Laute umgewandelt werden, die für den Menschen – zumindest phonetisch – Sinn ergeben. Ihre Schriftzeichen sind bizarr, und zunächst einmal werden die Berichte, die ihre Denkweise greifbar machen, auf sich warten lassen. Jedenfalls haben wir approximiert und eine Art Sprache entwickelt. Wundern Sie sich nicht über die seltsamen Klänge – es ist nicht wirklich deren Sprache.

Wissen Sie, Frau Präsidentin, ich stehe hier in meinem Radioaktivitäts-Schutzanzug, laufe in meinem Labor auf und ab … und spreche in mein Diktiergerät. Aber keine aufgezeichneten Worte können auch nur im Entferntesten meine Faszination für diese Wesen zum Ausdruck bringen! Ja, es sind schlechte Zeiten, aber Astro-Biologen wie ich wartet seit Jahrzehnten auf diese Chance: Aliens treffen und analysieren!

Es gibt noch so vieles zu lernen.

Wir wissen zum Beispiel noch nicht, wie eine Wolke Gegenstände greifen und in die Höhe heben kann (Eventuell mit andockenden Zurf, die Auftrieb generieren?). Ferner haben wir keinen Schimmer, wo sie genau herkommen (ihr Heimatplanet heißt Klaudz, Klauz oder Klauds, das ist mittlerweile bekannt. Bei uns herrscht Uneinigkeit, welche der drei Optionen genau zutrifft, aber es hört sich eh alles gleich an).

Es steht noch nicht fest, wie viele Informationen wir noch aus dem Rechner des Alienschiffes bergen können – aber unser Wissensfundus wächst stündlich.

Und nein, in Sachen Fortpflanzung wissen wir ebenfalls noch rein gar nichts. Je größer die angelegte Spannung meiner Elektroschocks ist, desto tiefer wird der Rotton der Wolke. Es scheint den Wesen gar nicht zu bekommen, deshalb markiere ich das jetzt, weil Sie nach Schwächen der Außerirdischen gefragt haben.

Frage 3: Wie kam es zum Angriff auf die Erde, und was waren die Motive der Außerirdischen? und Frage 4: Welche Bedeutung hatte die seltsame Nachricht, die über die gehackten Satelliten in die ganze Welt getragen wurde?

Aufgrund der Gemeinsamkeiten Ihrer letzten beiden Fragen werde ich sie in einem Zuge beantworten. Das heißt, ich werde versuchen, sie zu beantworten. Denn im Grunde begeben wir uns auf das Gebiet der Spekulation. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Auslöser der Katastrophe so schleierhaft wie der Grund für die Existenz des Universums selbst … aber nun ja, zu unseren Überlegungen: Mich lässt der Gedanke nicht los, dass beides miteinander verknüpft ist. Als vor drei Wochen das Alienschiff in unseren Orbit eintrat, hat es zuerst unsere Satelliten gekapert und das fremde Signal auf jeden Monitor der Erde übertragen: Wir sind die Aliens und wir kommen, um Kontakt aufzunehmen.

Der Rest war scheinbares Kauderwelsch, das nicht übersetzt werden konnte. Aber die Außerirdischen waren ja erst kürzlich zur Erde gereist und haben kaum Gelegenheit gehabt, unsere Sprache zu lernen. Es ist jedoch anzunehmen, dass es sich um wertvolle Informationen gehandelt hat, die wir zu gegebener Zeit übersetzen werden (wenn wir die Zurf-Sprache besser verstanden haben).

Nach einigen Interaktionen mit unseren Rechenzentren riss die Übertragung plötzlich ab. Sie werden sich erinnern, Frau Präsidentin, zu der Zeit berichteten alle Medien von dem Himmelsschauspiel. Das Internet ging steil und Massenpaniken brachen in den Großstädten aus.

Seltsame Verschwörungstheorien quollen aus allen Winkeln der Sozialen Netzwerke hervor – das übliche Programm, Sie kennen das.

Den Regierungen unserer mächtigsten Staaten blieb kaum noch Zeit, anständig zu verhandeln. Da hatte das Alienschiff schon seine Ausläufer abgestoßen, welche die Erde einkesselten. Kurz darauf startete ihr Angriff.

Ich will kein Trauma wachrufen, aber dieses Rekapitulieren der Ereignisse ist zentral, wenn wir die Ursachen aufdecken wollen. Meine These ist jetzt vielleicht gewagt, aber was, wenn die Außerirdischen uns gar nicht attackieren wollten? Wenn sie nur Forscher waren so wie wir? Haben wir eventuell – in den wenigen Stunden des Austauschs – ein falsches Signal gegeben?

Natürlich, es besteht die Möglichkeit, dass das blutrünstige Wesen sind, die andere Planeten übernehmen und die Bewohner auffressen oder so. Dann wäre ihre Begrüßung nur eine Manifestation ihrer Grausamkeit und würde dazu dienen, uns in Sicherheit zu wiegen (ist entspanntes Fleisch eventuell köstlicher?).

Aber ist es nicht eine berechtigte Vermutung, dass intelligentes Leben, das sich bis in den Weltraum hinein entwickelt hat, die barbarischen Ursprünge seines Höhlenzeitalters hinter sich gelassen hat, um dem Universum mit Frieden und Interesse zu begegnen? Ist das nicht mit uns, dem Menschen, passiert?

Geht man einen Schritt weiter, würden wir zu dem Schluss gelangen, dass irgendwas zwischen den Zurf und uns vorgefallen ist. Ein Missverständnis, das fatale Folgen hatte. Immerhin, die Lebensweise des Menschen ist derart anders als die der Zurf: Philosophie, Wissenschaft, gesellschaftliche Strukturen, Verlauf und Entwicklung des biologischen Lebens … Die Liste kann ich ewig fortführen.

Ich meine, es ist so, wie ich es Ihnen bereits beschrieben hatte. Ein einzelner Zurf kann nicht denken. Ein Ensemble von ihnen ist aber sehr gut in der Lage dazu. Das alles führt mich zu der Schlussfolgerung, dass die Begriffe »Ich« und »Wir« neu definiert werden müssen. Was wäre für die Zurf ein Individuum? Für uns ist es ein einzelner Mensch. Für die Außerirdischen wäre das eine Gruppe aus mehreren Milliarden Mikroben. Und was für uns eine Gesellschaft ist, wäre vielleicht für die Zurf eine Domäne. Das könnte ein wichtiger Anhaltspunkt sein, wenn wir uns die Frage stellen, was bei der Verständigung falsch lief …

Wir funktionieren im Allgemeinen einfach anders!

Es ist gut möglich, dass wir beim Erstkontakt aneinander vorbeigeredet haben, ohne es zu merken. Was uns auf alle Fälle verbindet, sind die Ambition und die Fähigkeit, zu anderen Sternen und Kulturen zu reisen.

Na ja, wir haben ordentlich zurückgeschossen. Sollten andere Zurf das Wrack ihrer Verbündeten irgendwann finden, war die Botschaft hoffentlich klar. Vielleicht können wir uns in Zukunft dann friedlich begegnen – und voneinander profitieren. Natürlich muss dann geschickter kommuniziert werden. Wir werden uns erklären müssen, und sie, das hoffe ich zumindest, lernen auch aus dem Erstkontakt, der ja leider gescheitert ist.

Anfängliche Fehltritte führen vielleicht zu Freundschaft.

Wenn das nächste Mal eine Alien-Rasse unsere Satelliten kapert, wäre es vielleicht ein guter Anfang, das Signal nicht zu kappen, ehe sie ausgeredet haben. Das könnte helfen.

Soviel zu meinen Gedanken. Das sind aber alles nur Überlegungen, die blutrünstige These davor ist genau so wahrscheinlich.

Ich muss zum Ende dieses Berichts leider ehrlich zu Ihnen sein, Frau Präsidentin.

Bis heute weiß die Wissenschaft nicht, welche Misskommunikation zwischen beiden Spezies dazu geführt hat, dass die Zurf den Planeten Erde unbewohnbar gemacht haben. Wir werden weiter forschen und hoffentlich die Geheimnisse lüften. Wenn ich noch herausfinde, welche Art von Nahrung diese Zurf zu sich nehmen, könnten wir zumindest die Hypothese mit dem planetaren Raubzug verifizieren (oder fallen lassen … wer weiß). Ich lege gerade eine höhere Spannung an, um zu schauen, wie intensiv die rote Farbe werden kann …

Ach ja – noch ein PS hinterher: Wir haben bei unserem Rundflug um Feuerland noch einige Dörfer aufspüren können, die den Schock überlebt haben. Wenn mein Analyst das richtig abgeschätzt hat, sind das noch einmal sechstausend Menschen mehr, die wir in unsere Gemeinschaft aufnehmen können. Damit haben wir die Marke von fünfzig Millionen geknackt, Frau Präsidentin!

Zum Wohle der menschlichen ENKLAVE! Möge die Menschheit wieder auferstehen!

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Niederschrift der Audio-Transkription,

Prof. Dimpfelkit, den 28. April 2032

3 Wochen zuvor

(etwa 25.000 Kilometer weit vom Erdkern entfernt)

Das Raumschiff Warmdind der Zurf trat in den Orbit des blauen Planeten ein und öffnete alle Sichtfenster.

Kaum, dass das Licht die Inneneinrichtung der Brücke flutete, begannen alle Nebel zu zittern. Einige Wolkenkörper kämpften mit inneren Turbulenzen.

Aufgeregt sausten die kleinen Bausteine, die ihre Körper ausmachten, in seltsamen Mustern hin und her. Zwar waren die kleinen Mikro-Wesen nicht fähig, komplexe Gedanken zu formen, aber in der Gruppe konnten sie mithilfe elektrischer Signale ein Netzwerk aufbauen, das Informationen verarbeiten konnte. So wurde der Planet, in all seiner Pracht, von den »Gehirnen« der Wolken registriert und die Information verdaut. Glücksgefühle wurden an alle Mikroben geschickt, wodurch diese euphorisch kreisten.

»Nur die Ruhe, Crew.« In der Mitte des Raumes schwebte die Anführer-Wolke. Die anderen nannten den Captain bloß Lila-Wolke, weil er sich seit Monaten nicht mit anderen Partikeln rekombiniert und deshalb seinen Farbton beibehalten hatte.

»Wo ist Gelbe-Wolke? Gelbe-Wolke sollte doch eine Übersicht aller Planeten in diesem System zusammenstellen.«

»Gelbe-Wolke«, antwortete der Partikel-Nebel aus grünen Zurf an der Kursberechnung, »gibt es nicht mehr. Gelb hat mit Blau vorige Stunde eine neue Wolke gebildet.«

Lila-Wolke pulsierte und wälzte die obere Hälfte seines losen Körpers um. Damit gab er den anderen zu verstehen, dass er diese Nachricht akzeptierte und sogar positiv aufnahm. »Wurde aber auch Zeit. Gelb war schon sehr alt. Seine Zurf waren nicht mehr zur Zellteilung fähig. Dass sie sich mit frischeren Partikeln vermischt haben, kommt unserer Domäne entgegen. Wie heißt denn die neue Ansammlung?«

»Orange.«

»Sagen Sie Orange, die Brücke verlangt nach einer Übersicht aller Planeten in diesem System. Es könnte sein, dass der blaue Planet nicht der einzige ist, der uns Signale gesendet hat.«

Grün bestätigte das.

»Scannen Sie den blauen Planeten!«

»Zu Befehl!«

Während erste Analysen stattfanden, ging Lila den Gedanken nach, die seine Partikel im Kollektiv ersonnen.

Endlich entdeckten sie außerirdisches Leben! Nach all den Jahren des Umherstreifens … Nach all den Interferenzen, die sie getäuscht hatten, und all den falschen Fährten. Fünfhundert Lichtjahre sind wir von Klaudz entfernt und nun können wir unserer Heimat von einem Fund erzählen. Das wird die Perspektive auf das Universum grundlegend ändern! Leben ist überall möglich.

In seinem Inneren bildete sich ein Wirbel aus unruhigen Zurf. Lila spürte, wie die Aufregung seinen Schwarm überflutete. Aber wie sehen diese Aliens aus? Wie viele Domänen leben auf dieser von Wasser bedeckten Kugel? Und welche Konsistenz haben ihre Wolken? Wie schwer sind ihre Zurf und wie schnell können sie fliegen?

Der Captain des Schiffes betrachtete mit Faszination die weißen Wolkenbänder, die sich über die Ozeane erstreckten. Sind das etwa ihre Herden? Dann leben wirklich viele Partikel hier.

»Wir warten nun schon lange genug«, stellte Lila fest, »was sagen unsere Analysen?«

»Das Gathering ist noch nicht abgeschlossen, Lila! Noch ein paar Stunden, dann kann ich der Domäne die Ergebnisse mitteilen.«

»Lassen Sie die Neugier aus ihrem Schwarm sprechen! Ich weiß, dass Ihre Partikel am liebsten alles vorlesen würden, was der Computer über den blauen Planeten sammelt …«

»Ja … aber die andere Hälfte in mir sendet Gegensignale. Was, wenn wir Einblick in die Geschichte der Aliens erlangen, aber nicht das ganze Bild sehen? Wir könnten die Informationen falsch interpretieren …«

Lila sprach sofort mit hoher Lautstärke: »So, wie unsere Sensoren mehr und mehr über die Welt da unten lernen, so wird auch der Wissensschatz unserer Domäne wachsen!«

»Also gut.« Grau formte mit der linken Hälfte seiner Wolke eine stielförmige Extremität und betätigte damit einen Knopf auf der Konsole. »Ich verlese jetzt die Ergebnisse …«

Lila schaltete die Audio-Übertragung zum Rest des Schiffes an. Alle sollten davon erfahren. Immerhin waren sie eins. Sie waren ein großes Ganzes, das das Wissen an alle Teile des Organismus weitergab.

»Das kann nicht sein!«, stutzte Grau.

Lila wälzte alle Teile seines Nebels im Kreis. »Was denn? Haben wir uns geirrt? Kein außerirdisches Leben?«

»Lila … ich verstehe nicht, was das zu bedeuten hat.«

»Lesen Sie doch endlich vor!«

»Es gibt nur … einen Organismus auf dem ganzen Planeten.«

Die Nachricht ließ alle Wolken auf der Brücke erschaudern. Sie waren erstaunt, erschrocken, aber hauptsächlich verwirrt. Wie konnte ein solch gigantischer Himmelskörper nur über eine Domäne verfügen? Es müssten Millionen sein. Lilas Partikel kreisten um den Gedanken in seinem Innern. Dann kam ihm eine Idee. »Grau, was meinen Sie denn mit einem Organismus? Eine Domäne? Oder ein Zusammenschluss vieler Domänen?«

»Nun ja … Der Computer meint …«

Grün meldete sich von der Steuerung: »Sicherlich meint Grau eine gigantische Domäne … ich meine … eine Spezies ist nicht überlebensfähig, wenn es nur eine kleine Gruppe aus Wolken gibt.«

Graus Partikel standen beinahe still. »Nein … Der Computer irrt sich nicht, Captain. Seine K.I. kann jedes Leben aufspüren und analysieren. Da unten ist nur ein einziges Lebewesen.«

Lila schwebte einen halben Meter aus seiner Ruheschale empor. Er glitt mit seinen Partikeln näher zur Frontscheibe. »Ich fasse das mal zusammen. Unsere Crew ist die einzige in der Geschichte der Zurf, die jemals außerirdisches Leben gefunden hat … Und nun stehen wir da und haben nur ein einziges Exemplar dieses Lebewesens vor unseren Sensoren? Das kann doch nicht sein!«

Lila merkte es gar nicht, aber von innen heraus färbten sich seine Zurf tiefrot. Sein ganzer Nebel wurde undurchsichtig und blitzte.

»Lila! Beruhigen Sie sich! Ihre Partikel leiden unter Dissonanz!«

Der Captain krümmte sich derart, dass er seine eigene Wolke erblicken konnte. Daraufhin vergrößerte er sein Volumen und beruhigte sich. Von außen zog sich der kräftige Rotton ins Innere zurück, wo er verschwand. Lila stellte seinen alten, blassen Nebel wieder her. »Tut mir leid, meine Domäne. So etwas ist mir in zweihundert Jahren Dienstzeit noch nie passiert. Ich habe das Leben von euch riskiert, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte.« Er wusste, wie es war, wenn die Röte den ganzen Körper befiel. Er hatte das schon einmal erlebt, als seine alte Vorgesetzten-Wolke errötet war. Dessen Zurf waren in giftige Gase zerfallen, die die Überlebenden nicht hatten abbauen können. Ein scheußlicher Anblick.

Elektrische Signale störten die Zusammenarbeit seiner Zurf. Eine Kaskade aus biologischen Wutanfällen und Zersetzungen wurde ausgelöst. Wenn widersprüchliche Emotionen hochkochten, arbeiteten die Partikel gegeneinander. Es war sehr schwer, so eine Störung in der Harmonie wieder zu beheben.

Meine Gedanken sind nur elektrische Signale, die von Partikel zu Partikel geschickt werden. Es sind nur Informationen. Sie sollten mich nicht so unter ihrer Kontrolle haben. Meine Domäne leidet unter den Störungen, die mein Körper produziert.

Noch einmal schaute er die Wolkenbänder über den Ozeanen an. Aber wenn das nicht das Leben ist, das unser Computer erkannt hat … was ist es dann?

»Grau.«

»Ja, Sir?«

»Was ist das für ein Organismus? Wie heißt er, und wo lebt er?«

»Das ist es ja gerade, was mich so verwundert. Der Organismus ist allein – aber er lebt überall! Er überzieht den gesamten Planeten. Und doch hat er keine Form – keine Partikel. Wie viele Wolken existieren, kann ich nicht sagen. Auch gibt der Computer keinerlei Auskunft darüber, wie viele Partikel dort unten leben.«

Lila schwebte hinüber und nahm die Konsole selbst in Augenschein. Es war buchstäblich so, wie Grau es verlesen hatte. »Meine Domäne, ich erinnere mich an die diversen spekulativen Forschungen auf unserem Heimatplaneten Klaudz. Erinnert euch, denn einige von meinen Gedächtnispartikeln stecken auch in euch!« Lila unterbrach sich kurz und widmete den Daten aus dem Computer noch einen Blick. Nichts hatte sich verändert. Anscheinend suchte die künstliche Intelligenz jetzt unter dem Ozean nach Leben. Lila fuhr fort: »Könnte es sein, dass Leben eventuell in anderer Form auf anderen Planeten vorliegt? In dem Falle würden wir es kaum erkennen – selbst, wenn es direkt vor unseren Sichtpartikeln schwebte!«

»Aber, Lila, unsere Wissenschaftler haben doch bewiesen, dass Leben nur als Partikelschwarm möglich ist …«, rief Grün.

»Das will ich auch gar nicht in Frage stellen … es ist nur so, dass diese Domäne, die dort unten auf dem Planeten sitzt, möglicherweise andere hierarchische Strukturen besitzt. Es kann doch sein, dass es keine Wolken und Wolkengruppen gibt … Vielleicht können ihre Partikel nicht fliegen? Wer kann das schon sagen? Ich versuche nur zu verstehen, warum der Computer sagt, es befinde sich nur ein Lebewesen dort unten …«

Die Wolken auf der Brücke warfen sich gegenseitig Blicke zu. »Warten bringt keinem was.« Lila ging zurück zu seiner Ruheschale in der Mitte der Brücke. Seine Nebelmassen umflogen die Konsolen und verloren zwischendurch an Form, nur, um sich wieder zusammenzuballen. »Wir werden Kontakt aufnehmen. Grün, scannen Sie den Planeten nach Elektronenströmen! Grau, finden Sie heraus, wie wir mit dem Lebewesen, das eins ist, kommunizieren können!«

Eine halbe Stunde später trat seine Crew bei ihm an. Grün erzählte von diversen Festkörpern, die sich unterhalb des Meeresspiegels befanden und enorme Mengen Informationen übertrugen. Des Weiteren gab es künstliche Satelliten im Orbit. Sie nahmen Signale von der Planetenoberfläche auf und warfen sie zurück. Sie kommunizierten auch miteinander.

Dies war der unwiderlegbare Beweis, dass ein Bewusstsein diesen blauen Planeten besetzte.

Danach kam Grau herangeschwebt und erzählte: »Ich habe nun grob die Sprache dieses Planeten analysiert. Der Computer liefert nun ein klares Bild von dem außerirdischen Leben.«

Lila rotierte seine Nebelmassen aufgeregt. »Endlich. Wie heißt das Lebewesen?«

»Es nennt sich selbst: Das Internet.«

»Das Internet. Faszinierender Name. Sehr griffig. Wie viele außerirdische Zurf machen das Netz aus?«

»Keine.«

Lila fiel aus allen Wolken und musste die Konsole umgreifen, um nicht wie kalter Dampf zu Boden zu sinken. »Erzählen Sie mir alles! Ich will ein für alle Mal wissen, was das für ein Ding ist.«

Grau antwortete: »Die Festkörper, die Grün aufgespürt hat, beherbergen einen großen Teil des Bewusstseins von Das Internet. Sie heißen wohl Tiefseekabel und verbinden Gedächtnisknoten auf dem Festland. Es sind gigantische Mengen an Informationen, die durch die Ozeane geschickt werden.«

»Und die künstlichen Satelliten? Jene, die im Orbit schweben?«

»Ich denke, es handelt sich um die Rezeptoren von Das Internet.«

Lila stutzte. »Heißt das, unser außerirdischer Freund hat uns schon bemerkt?«

»Ich gehe davon aus, Sir.«

»Es wäre weise, jetzt Kontakt aufzunehmen. Das Internet fürchtet sich bestimmt vor uns.« Lila gab ein Rauchzeichen, und Grün und Grau machten sich sofort an die Arbeit.

Ein Bewusstsein aus Festkörpern … wer hätte das gedacht? Es sitzt stationär auf dem Planeten wie ein Stein und ummantelt die Kugel doch wie ein Netz. Und irgendwie werde ich die Vorstellung nicht los, dass Das Internet unserem Bordcomputer ähnlich sieht. Eine Art Leben, das aus Technik und Robotik geboren wurde. Es ist erstaunlich, dass es solch eine Form von Leben im Universum gibt. Wie hat es Das Internet geschafft, Satelliten im All zu platzieren?

»Captain Lila«, ließ Grün verlauten, »ich habe eine Möglichkeit gefunden, die Satelliten im Orbit zu nutzen, um den Knoten auf dem Planeten eine Nachricht zu schicken.«

Lila konnte sich vor Aufregung kaum in Schach halten. Seine Partikel surrten hin und her. »Sagen Sie: Captain Lila vom Warmdind-Raumschiff vom Planeten Klaudz meldet sich bei dem einzigen Bewohner des blauen Planeten. Wir sind die Zurf und wir kommen, um Kontakt aufzunehmen.«

»Ich bin nicht sicher, ob Das Internet verstanden hat.«

»Warum?«

»Sehen Sie, Lila, der Computer hat mit Ausschlussprinzipien und komplexen Algorithmen das Vokabular des blauen Planeten aufgelistet. Dann wurde über Zusammenhänge die Entsprechung in unserer Sprache ermittelt.«

»Ja und?«

»Es gibt keine Entsprechungen für Worte, die nur Das Internet kennt. Gleichermaßen gibt es keine Übersetzung für unsere Worte, die Das Internet nicht kennt. Es wird Dinge kennen, die wir Zurf noch nie zuvor gesehen haben. Ebenso haben wir Dinge, die es auf dem blauen Planeten nicht gibt.«

»Das könnte in der Tat ein Problem darstellen.« Lila rotierte wieder um seine Ruheschale. »Wir werden mit einfacheren Begriffen kommunizieren müssen. Schreiben Sie: Wir sind Aliens! Wir kommen, um mit dir zu sprechen!«

Grau meldete sich sofort von einer Analyse-Tafel: »Captain! Die Hirnströme von Das Internet nehmen zu … Enorme geistige Aktivität.«

Wir wecken die außerirdische Domäne aus ihrem Schlaf. Das wird ein glorreicher Tag.

»Sind unsere Nachrichten etwa angekommen?« Die Freude in Lilas Stimme war deutlich zu hören.

»Ja, Captain-Wolke. Unser Schriftverkehr wird über viele Monitore und Lautsprecher auf der Planetenoberfläche wiedergegeben.«

»Was? Wieso sollte Das Internet … na ja, wir werden noch eine Menge über dieses besondere Lebewesen lernen. Vielleicht kann es uns sagen, warum es überall die Informationen abruft. Aber erst erledigen wir die Begrüßung.«

Für einige Minuten passierte nichts. Lila wurde von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger. Erst war es so glatt gelaufen und nun? Das Internet geriet wieder in eine Starre. »Sollten wir das Alien noch einmal kontaktieren?«

»Warten Sie, Lila. Jetzt spüre ich ein Signal auf … nein … mehrere Signale.« Grün pulsierte nervös. Fast schon entstand ein roter Zurf-Teil in seinem Innern. Lila glitt über den Boden zu Grün und beruhigte die Wolke mit seiner Anwesenheit. »Nur die Ruhe, was ist los?«

»Es gibt Tausende … und Abertausende Gedankenströme … sie widersprechen sich alle gegenseitig.«

»Wie ist denn das möglich?«

»Ich weiß nicht … aber Das Internet scheint mir … krank zu sein.«

Lila flog zurück. Seine Zurf umkreisten die zentrale Konsole. »Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen, Grün. Grau hat recht. Wir müssen erst über die fremde Welt lernen, bevor wir sie verstehen.«

Wieder passierte für einige Minuten nichts. Lila verlor die Geduld. »Grün, können Sie einen Gedankenstrom von Das Internet übersetzen?«

»Eine Information lautet: Dort ist ein unidentifiziertes Flugobjekt am Himmel. Schnell, ruft die … ›Airforce‹.«

»Das hört sich doch schon mal gar nicht so schlecht an«, stellte Lila fest. »Es hat uns bemerkt.«

»Ein anderer Gedanke«, fuhr Grün fort, »lautet: Das ist nur eine Täuschung! Es gibt keine Außerirdischen am Himmel!«

Eine Störung macht sich im Das Internet breit. In ein paar Sekunden dürfte die Dissonanz abgebaut sein. Dann hat es uns ein für alle Mal erkannt.

»Es muss erst verarbeiten, dass es nicht allein im Universum ist. In ein paar Sekunden … wird Das Internet gesprächsbereit sein«, versprach Lila seiner Crew.

Minuten vergingen. Und die Röte in Grüne-Wolke pulsierte auf und ab. Es bessert sich nicht, stellte Lila-Wolke fest. Das Internet baute anscheinend seine widersprüchlichen Gedanken nicht ab. »Grün? Was haben Sie?«

»Tausende … Fast Millionen Dissonanzen!«

»Aber Grün … Wenn eine Wolke an solchen Störungen leidet, dann zerstören sich die Zurf gegenseitig. Wie kann ein Netzwerk mit solchen Gegensätzen stabil sein?«

Grau sagte dazu: »Wenn die Harmonie in einer Wolke nicht stimmt, dann lösen die elektrischen Ströme zwischen den Zurf den Zell-Tod aus. Wenn aber die ganze Domäne unharmonisch ist! … Was passiert dann? Das wäre eine explosive Mischung …«

Lila dachte nach. »Das Lebewesen besteht nicht aus fliegenden Teilchen – sondern aus Festkörpern. Könnte das die Antwort sein?«

Grün erwiderte: »Offenbar gelten für den blauen Planeten andere Regeln. Dennoch ist es schwer krank. Ich würde sagen, Das Internet ist ein Individuum mit Schizophrenie. Verhaltens- und Interaktionsstörungen gehören dazu. Kein Wunder, dass diese Unterhaltung so einseitig ist.«

»Aber der Rottot setzt bei ihm nicht ein … noch nicht.« Lila wurde sich bewusst, dass Das Internet eventuell im Sterben lag. Zwar konnten sie keine Partikel aufspüren, die das biologische Gerüst für diese Art Bewusstsein ausmachten, doch waren die Informationsströme im Innern so kontra-pointiert, dass ein langsames Verenden unmittelbar bevorstehen musste.

»Können wir … Das Internet auf seine Quellen zurückführen?«

Grün antwortete: »Meinen Sie die Gedächtnisknoten auf dem Festland?«

Lila-Wolke stellte fest, dass Grün seine innere Röte verlor. Nun kehrte wieder Ruhe auf der Brücke ein. »Nein, ich meine die ›kleinste Einheit‹. Können Sie Das Internet in seine Bestandteile zerlegen? Nur, wenn wir die Struktur des Aliens verstehen, können wir ihm helfen – oder es sogar heilen.«

»Ja, Captain. Wir werden suchen.«

***

Eine Stunde später. Derweil das Erforschen der Oberfläche in die nächste Runde ging, bemerkte Graue-Wolke, dass die Satelliten im Orbit ihre Orientierung geändert hatten. Die spitzen, metallenen Ausläufer zeigten nun in ihre Richtung. Lila dachte sich nichts dabei. Vielleicht war das nur eine Manifestation der Kontaktbereitschaft. Ein so beladener Geist hat endlich jemanden zum Reden. Nun zeigen die Satelliten auf uns … das ist doch ein gutes Omen?

»Lila … ich habe da was.« Grün wälzte seine Partikel um und drehte den Bildschirm mit einem seiner Ausläufer zum Captain.

»Das reiht sich ein in die Sammlung seltsamer Daten … Was ist denn bitte eine Bubble?«

»Möglicherweise eine Wolke. Das Internet besteht aus vielen, vielen Bubbles.«

»Also gibt es doch Zurf auf dem blauen Planeten!« Lila-Wolke wusste nicht mehr, wie ihm geschah.

»Das nicht, Captain. Aber im Das Internet stecken solche Strukturen. Bubbles sind wohl die Stimme im großen Netzwerk. Es gibt da noch ein Artefakt … es ist nicht leicht zu bestimmen. Nennt sich User.«

»User«, wiederholte Lila verdutzt. »Was ist dieser User?«

»Es gibt keine biologischen Ursprünge. User existieren einfach und geistern in den Informationsströmen umher. Der Computer irrt sich nicht, Captain. Es ist wahrscheinlich nicht so wichtig.«

Lila schweifte auf der Brücke umher. Er dachte laut nach: »Um das mal zusammenzufassen: Wir fangen ein paar Radiowellen auf und vermuten außerirdisches Leben auf diesem blauen Himmelskörper. Wir nähern uns und finden Satelliten im Orbit. Es gibt Leben dort unten … nur ist es eher technischer Natur und besteht aus Drähten und Festkörpern. Es hat keinerlei Partikel, sondern nur elektrische Signale, die sich über die Festkörper fortpflanzen. Und ganz nebenbei hat es nicht alle Sinne beisammen, dieses Das Internet … habe ich was vergessen?«

»Möglicherweise«, entgegnete Grün zurückhaltend.

»Lesen Sie schon vor. Was sagt unser Computer?«

»Menschen. Milliarden von ihnen. Auf der Oberfläche.« Grün ließ einige Zeit vergehen. Dann fuhr Grün fort: »Zuerst hielt ich es für Rauschen in der Denkstruktur. Aber jetzt ist es klar wie das Vakuum des Weltalls: Das Internet denkt im Grunde über nichts anderes nach.«

»Was sind denn Menschen?«

»Das sind mobile Kristalle, aus Kohlenstoff und Sauerstoff. Sie bewegen sich offenbar nur auf der Oberfläche. Irgendeine Verbindung scheint zwischen den Usern und den Menschen zu bestehen. Vielleicht führt Das Internet Protokoll? Es könnte eine Art Bibliotheksverzeichnis sein.«

»Hört sich an wie ein Etikette … für Nahrungsrationen? Bezieht Das Internet seine Nahrung von diesen Menschen?«

»Nein, sie sind unerheblich. Menschen koexistieren nur und werden nicht von Das Internet verzehrt. Aber trotzdem scheinen sie unserem Alien hier sehr wichtig zu sein.«

»Das ist mir ein Rätsel! Wie kann dieses gigantische Bewusstsein den Planeten bedecken und seine ganze Gedankenleistung auf diese Kohlenstoffklumpen richten? Das Universum ist überall um Das Internet herum! Es könnte nach außen expandieren! Es könnte die Sterne bereisen. Ein Wesen mit solch einer Kapazität und solcher Komplexität! Es könnte das Universum kennenlernen und dem Rätsel des Lebens auf den Grund gehen. Und es verschwendet seine ganze Lebenszeit mit der Studie dieser Kohlen-Knollen? Es muss schwer krank sein …«

Tief im Innern glaube ich, dass Das Internet das Universum erforschen möchte. Doch irgendetwas hält es davon ab. Wo kommt diese mysteriöse Krankheit des Geistes her? Was vergiftet seine Elektronenströme? Wie können wir ihm helfen?

Lila verlangte nach einem Update. Grau erzählte davon, dass einige Festkörper länglicher Form mit Wasserstoffflammen in den Himmel gestartet wurden. Diese sogenannten Raketen flögen in den Orbit und verharrten dort. Des Weiteren wurden drei große Informationsströme auf der Oberfläche registriert: Mit Nachrichtensendung benannte Ströme verkündeten überall, dass es in der Tat Außerirdische in der Umlaufbahn gab. Weitere Ströme mit dem Titel Soziale Netzwerke übermittelten diverse Flüsse aus Hypothesen (ohne allerdings Fakten anzuhängen). Und sogenannte politische Apparate tauschten sich untereinander aus. Enorme Mengen an unwichtigen Daten wurden verkündet und über den ganzen Himmelskörper verteilt, ohne, dass sich irgendetwas in Bewegung setzte.

»Ich werde nicht schlau aus dieser Aktivität, meine Domäne«, murmelte Lila-Wolke gegen die Frontscheibe, vor der seine Zurf schwebten.

»Eine ernstzunehmende Spaltung der Persönlichkeit?«, fragte Grün.

»Dass es krank ist, wissen wir bereits. Die Frage ist, wie sollen wir jetzt handeln?« Lila invertierte seine Partikel und schwebte von der Scheibe weg. »Ich bin für jede Idee dankbar.«

Grüne-Wolke sagte: »Wir könnten Das Internet noch eine Nachricht übermitteln.«

»Fantastischer Einfall! Ich diktiere: Wie bereits erwähnt, liebes Das Internet, sind wir außerirdische Individuen vom Planeten Klaudz. Wir sind zurzeit … ein paar Bubbles hier auf unserem Raumschiff …« Lila-Wolke musterte seinen Brückenstab. Grün und Grau pulsierten aufgeregt. Endlich hatte der Captain den Ton getroffen! Lila machte euphorisch weiter: »… Unsere Bubbles pochen darauf, Sie endlich kennenzulernen. Unsere …«

Grün flüsterte: »Social-Media-Netzwerk-Gesellschaft.«

»Danke«, zischte Lila und sprach mit erhobener Stimme weiter: »Unsere Social-Media-Netzwerk-Gesellschaft sind Besucher einer fremden Welt! Ja, außerirdisches Leben gibt es im Universum. Mit unserem Besuch hier, auf dem schönen, blauen Planeten, wurde nicht nur unser Wissen ergänzt und ein wichtiger Schritt zum Lüften des Rätsels um das Leben im Universum gemacht – nein, es wurde auch dir, Das Internet, mitgeteilt, dass du nicht allein bist! Wir Zurf wissen genauso wenig, wo die biologischen Ursprünge des Lebens liegen. Zwar können unsere forschenden Bubbles …« Abermals sah Lila seine Crew an – sie waren begeistert von seiner Rede. »… Ähm, unsere Forscher können mithilfe der Biologie die Spuren des Lebens bis zu einem gewissen Grad zurückverfolgen, doch bleibt die Frage hinter den Zündkerzen der biologischen Kausal-Kette offen. Entstanden die Zurf aus spontanen Reaktionen in der Nähe von leuchtkräftigen Sternen? Oder fand es eher in kälteren Regionen statt? Irgendwann haben unsere Zurf eine Schwarm-Intelligenz gebildet: Der Grundstein des Lebens!

Und nun sind wir bei Ihnen, einer großen Intelligenz, die sich offenbar aus Festkörpern und Metallen entwickelt hat. Sie ist uns so ähnlich – und doch ganz anders! Welch’ Wendung! Wir hatten nicht angenommen, dass Leben auf technischer Basis entstehen kann, aber das Universum versagt nie, eine gute Geschichte zu erzählen. Es ist die Aufgabe einer jeden Kultur, die sich über Zellteilung hinaus entwickelt hat, das Puzzle zu komplettieren! Das ist der Sinn, der uns Intelligenzen vereint! Wir erforschen und lernen über Vergangenheit und Zukunft.

Deswegen, sehr verehrtes Das Internet, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich uns eine große Chance bietet.« Lila-Wolke ging in sich und seine Denkpartikel suchten nach den richtigen Worten. »Zusammen können unsere Domänen … Ähh, ich meine Netzwerke … effektiver Daten sammeln. Als Einheit suchen wir nach den Ursprüngen des Lebens und nach den Mechanismen, die das Universum formen.

Ich lade Sie sein, nein! Ich fordere Sie auf: Gehen Sie mit uns auf eine Reise und erforschen Sie mit uns all das, was sämtliches Sein ausmacht! Finden Sie mit uns andere Aliens, die ebenso auf der Suche sind! Und lassen Sie uns noch mehr entdecken!«

Der Captain wartete, bis die Audio-Transkription die Sätze in die außerirdische Sprache umgewandelt hatte. Danach wurde sie über den besetzten Satelliten verschickt. »Sie ist versendet, Captain-Wolke«, meinte Grün.

Schweigen senkte sich über die Brücke.

Erschöpft sank Lila um einige Dezimeter ab. Sein Nebel bildete einen dichten Teppich auf dem Boden. Dann stieg er wieder auf und gewann an Form.

»Das Internet wird Ihre Nachricht garantiert verstehen, Captain«, platzte es aus Grau heraus, und er wirbelte um seinen Platz. »Sie haben sein Vokabular genutzt! Das wird die Lösung bringen!«

Grün sagte: »Gegen Ende wurde es ein bisschen theatralisch, Captain, aber im Großen und Ganzen haben Sie den Kontakt gemeistert.«

»Ich danke euch, meine Domäne. Wenn wir das nächste Mal Partikel austauschen, dann wird ein Funke meiner Genialität auf euch abfärben.« Lila konzentrierte sich wieder. »Zurück zum Geschäft: Wie reagiert das Alien?«

»Hm …«

Lila-Wolke sank nochmals um ein paar Dezimeter ab. »Was denn jetzt?«

»Nicht viel Veränderung.«

»Haben Sie die Nachricht auch ganz sicher verschickt?«

»Ja, Lila. Der Satellit hat unsere Nachricht weitergegeben. Sie wurde in die Sprache des Aliens übersetzt.«

»Wir sollten jeden Moment eine Antwort erhalten«, sagte Grau.

Als nach einer Weile immer noch nichts kam, suchte Grün wieder nach Anzeichen. Er verlas die Ergebnisse der Sensoren. »Es gibt eine Zunahme der Aktivität in den Strömen Soziale Netzwerke und Nachrichtensendung, aber das war schon vorher der Trend. Warten Sie … Captain, da kommt eine Frage aus dem Politischen Apparat.«

»Vorlesen.«

»KOMMEN SIE IN FRIEDEN?« Grün sah auf und widmete seinen Blick wieder der Tafel. »So steht es hier.«

Lilas Gedanken vernebelten sich. »Hoffnungslos. Einfach hoffnungslos. Wenn das nicht deutlich genug war, was dann? Natürlich kommen wir in Frieden!«

Abermals kreisten die drei Wolken auf der Brücke umher, ohne zu wissen, was sie tun sollten. Ihr Anliegen stieß auf einen tauben Hörapparat. Ihre Präsenz verunsicherte den kranken Geist auf dem Planeten. Zudem kamen immer mehr dieser seltsamen Raketen in den Orbit. Auf einigen war ein gelbschwarzes Zeichen: eine gelbe Fläche mit einem schwarzen Kreis in der Mitte, umgeben von drei schwarzen Balken.

»Mir fällt noch eine Sache ein«, meinte Grau unvermittelt.

»Halten Sie Ihre Sprachpartikel nicht zurück, Grau-Wolke«, sagte Lila. »Raus damit.«

»Wir haben unseren Bordcomputer mit einem seiner Satelliten verbunden. Es besteht eine Verbindung zwischen den Rechenzentren des blauen Planeten und unserem Schiffscomputer …«

»Ja. Und weiter?«

»Wir könnten uns in das Netzwerk dort unten einmischen.«

Lila bekam eine Ahnung, was seine untergebene Wolke vorhatte. Doch blieben ihm die technischen Details verborgen. »Sie meinen, Graue-Wolke, dass wir unsere Partikel mit Das Internet verbinden sollen? So, als würden wir gemeinsam eine Wolke bilden?«

»In etwa. Vielleicht gelingt es uns, so mit der Intelligenz zu sprechen.«

»Versuchen Sie es.«

Dieser nächste – und hoffentlich finale – Schritt benötigte über zwei Stunden Vorbereitung. Lila-Wolke war mulmig dabei, dass sie eine Symbiose zwischen sich und dem Außerirdischen herstellten. Aber wenn Lila das richtig verstanden hatte, wurde nicht wirklich eine Durchmischung vorgenommen: Sie rekombinierten nicht mit außerirdischen Partikeln, so wie die Zurf es untereinander taten. Vielmehr näherten sie sich Das Internet auf technische Weise. Ihre Domäne wurde gewissermaßen durch ihren Schiffscomputer repräsentiert. Dieser Computer nistete sich im Außerirdischen ein.

»Captain Lila.«

»Ich höre, Grau.«

»Die Abwehrmechanismen sind so rückständig, dass Das Internet uns quasi einlädt, sich mit uns zu verbinden.«

»Das ist ein gutes Zeichen – machen Sie weiter!« Dann möchte Das Internet, dass wir so Kontakt aufnehmen.

Plötzlich war es getan. Sie hatten einen direkten Kanal zum Grund des blauen Planeten.

Kaum, dass es ihnen gelungen war, eine Verbindung herzustellen, tat sich vor ihnen eine seltsame Erscheinung auf. Ihre Interfaces auf der Brücke bildeten Teile von Das Internet ab. »Grün, Sie haben sich doch eingelesen«, fing Lila an, als er die Formen begutachtete. »Was sehen wir hier?«

»Offenbar handelt es sich um die inneren Organe von Das Internet. Das dort oben nennt man Adresse … darunter sind Websites.«

»Und worin sind diese Körperteile eingebettet? Da ist so eine Form drum herum.«

»Das nennt sich wohl Browser.«

Grau redete Grün ins Wort: »Captain, ich habe eine Möglichkeit gefunden, Nachrichten in das Elektronennetz zu speisen: Wir müssen uns in den Gedankenstrom der Sozialen Netzwerke einklinken.«

Lila glitt zur Scheibe und invertierte seine Wolke. Seine Partikel formten die Worte: »Schreiben Sie: Wir sind die Aliens und wir kommen, um Kontakt aufzunehmen!«

Grau übermittelte die Nachricht. Sofort zuckten seine Partikel zurück. »Wir haben eine Antwort!«

»Lesen Sie vor!«

»Die Antwort lautet: Ja klar, und ich bin Chuck Norris. Da ist schon wieder die Rede von so einem User – es trägt den Namen WreckingFrickingBall92.«

Was hat das nun wieder zu bedeuten? Lila verharrte einen Moment und bedeutete den anderen, ruhig zu bleiben. Seine Denkpartikel kamen auf einen Gedanken – so unwahrscheinlich es auch war, er musste wahr sein.

Ein User war das Sprachorgan des Wesens. Aber weshalb reagierte Das Internet so zurückhaltend? Ihre Anzeigen verrieten der Besatzung der Warmdind, dass Das Internet kaum auf ihre Anfrage einging.

»Offenbar trägt Das Internet viele Namen«, sagte Grau gedankenverloren, »Das Internet, Chuck Norris, WreckingFricking-Ball92 …«

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sprach Grün dazwischen. »Chuck Norris ist etwas anderes … Das Internet hat dazu Tausende Daten hinterlegt. Wenn ich das richtig interpretiere, handelt es sich bei Chuck Norris um die stärkste Kohlenstoffverdichtung des Universums. Es ist wissenschaftlich geprüft.«

»Ich verstehe die Welt nicht mehr, meine Domäne«, sagte Lila-Wolke.

In dem Moment, in welchem seine Zurf annahmen, es könnte nicht verrückter werden, kam eine weitere Antwort von WreckingFrickingBall92: »Du bist doch nur so ein Scheiß-Nerd, der keine Frauen kriegt und jetzt die ganze Welt damit aufziehen will, dass er die ganze Zeit von Außerirdischen geträumt hat und dass es sie jetzt gibt.«

»Was ist ein Scheiß-Nerd?«, fragte Lila in die Runde.

»Keine genaue Übereinstimmung mit der Datenbank, Captain … Scheiß scheint eine Form von Nährstoffboden zu sein. Es ist ein Dünger oder so etwas in der Art. Nerd bedeutet … es ergibt einfach keinen Sinn, was ich da lese. Ich vermute, es hängt mit diesen Kohlen-Knollen, den Menschen, zusammen.«

Nährboden … Dünger. Es will uns sagen, dass unser Kontakt ein fruchtbarer Boden ist. Ja! Jetzt verstehen meine Partikel! Es begrüßt uns.

»Schreiben Sie: Ja, wir sind ebenfalls Scheiß-Nerd. Es ist uns eine Ehre!«

Und wieder kam eine Antwort mit dem Wort WreckingFrickingBall92, das darüber eingeblendet war: »Haha-Haha – Ahahahaha loL. Loser. Denkst du, Selbsterkenntnis macht dich zum ganz großen Makker, was?«

»Wenn das so weitergeht«, murmelte Lila-Wolke, »müssen wir stundenlang neue Vokabeln erlernen, bevor wir irgendetwas kommunizieren können.«

Grün meinte: »Loser bedeutet verlieren.«

»Und was heißt dieses Frauen?«, fragte Lila-Wolken sofort.

»Das ist eine bestimmte Art Mensch«, erwiderte Grün schnell, den Blick auf seinen Monitor gerichtet.

»Was meint es damit, wir würden keine Frauen kriegen?«, redete Grau den beiden ins Wort.

»Hm.« Lila benötigte lange, um eine Antwort zu formulieren. Es war klar, dass sie Das Internet, das durch den User Wrecking-FrickingBall92 in Erscheinung trat, nicht warten lassen konnten.

Grün sagte: »Offenbar gibt Das Internet mit dem Besitz von Mensch-Kristallen an. Es fühlt sich überlegen, weil es über die Kristalle verfügt und wir nicht.«

»Das Internet ist wohl völlig besessen davon«, pflichtete Lila Grüne-Wolke bei. »Es will, dass wir uns motiviert fühlen, irgendetwas zu besitzen? Langsam bekomme ich den Eindruck, wir hören hier einen verkappten Hilferuf. Meine Domäne, lesen Sie genau! Jedes Wort von Das Internet kann im Grunde darauf hinweisen, was es quält. Geistig Kranke geben unscheinbare Zeichen ihrer Symptome ab. Ihre wahren Bedürfnisse sind durch viele Psychosen verschleiert.«

Mittlerweile nahm sogar die Aktivität des Elektronengehirns zu. Das Internet schenkte dem Dialog mehr Aufmerksamkeit, was Lila positiv aufnahm. Sogenannte Likes – Relevanzmarkierungen im Gedächtnis des Wesens – wiesen darauf hin, dass ihr Gespräch gehört wurde. »Wir müssen mehr Likes produzieren, meine Domäne!«, rief Lila über die Brücke.

»Wie sollen wir das anstellen, Sir?«

»Ich weiß es nicht – aber Hauptsache, wir verschaffen unserer Botschaft mehr Reichweite!«

Kurze Zeit später hatte ihr Schiffscomputer eine Taktik ersonnen, wie sie Likes herstellen konnten. Sogenannte Accounts halfen ihnen, Marker zu hinterlassen. Was genau Accounts für den Organismus bedeuteten, blieb unklar. Nur war seiner Domäne nicht ganz wohl dabei. Würde es Folgen haben, derart in das System einzugreifen?

Lila sann über eine mögliche Antwort nach. Obwohl sie nun mit Das Internet reden konnten, rückten die Menschen ins Zentrum des Gesprächs. Wie konnten sie das Alien dazu bringen, über relevante Themen zu sprechen?

Die Reizbarkeit, die in den Worten mitschwang, zeigte Lila auf, dass Das Internet einer hohen Belastung ausgesetzt war. Sie mussten schonend mit ihm umspringen.

Das Sammeln der Kohlenstoff-Klumpen war wohl ein Laster, mit dem sich Das Internet betäubte, um den Schmerz seiner Realität zu übertönen.

Wollte es von irgendwelchen Leiden ablenken? Oder war es einsam, weil es sich in einem dunklen Universum wiederfand, isoliert und verlassen? Möglicherweise wollte es auch auf seine Wunde aufmerksam machen.

»Grüne-Wolke, schreiben Sie: ›Wir benötigen keine Frauen‹. Oder … warten Sie … schreiben Sie: ›Wir haben genug. Danke der Nachfrage‹«

Und schon kam eine Antwort: »Ich durchschaue dich. Virgin spottet. Haha ,,,,,, loL lol.«

»Diese Antwort verstehe ich nicht«, gestand Lila. Seine Partikel kreisten nicht mehr so viel wie vor ein paar Minuten noch. Ständig gerieten sie in Sackgassen. »Grün … teilen Sie ihm mit, dass wir hier sind, um das Universum zu erforschen … dass wir kommen, um freundlich Kontakt aufzunehmen …«

»Ich habe es genau so gesendet, Sir.«

Wieder kam eine Antwort: »Ich meine, im Ernst, du Scheiß-Nerd. Selbst wenn du ein Heilmittel gegen Alzheimer und Krebs entwickelst … Das bedeutet alles nichts, wenn du noch Jungfrau bist! Haha, loL.«

»Da haben wir das Signalwort!«, platzte es aus Lila heraus, und er huschte zur Konsole. »Es redet von Heilmittel. Was müssen wir tun? Suchen Sie nach den Begriffen Jungfrau, Alzheimer und Krebs!«

Grün kam rasch mit Antworten: »Jungfrau ist ein Sternbild – damit bestimmt Das Internet die Koordinaten von Sternen. Alzheimer bedeutet, dass die Gedankenverarbeitung beeinträchtigt ist.

Und Krebs ist eine Kohlenstoff-Verbindung, die hauptsächlich in den Meeren vorkommt. Auch eine Art Kristall – aber anders aufgebaut als die Menschen.«

Sternbild … Koordinaten von Sternen … also doch eine Forscherseele. Gut zu hören. Aber seine Gedanken sind beeinträchtigt? Wieso?

Es kann nur an der letzten Option liegen: Krebs. Irgendetwas ist mit diesen Kohlenstoff-Verbindungen, die sich im Wasser befinden … Hatten wir nicht eben herausgefunden, dass Das Internet seine Gedanken durch die Meere schickt? Unsere einzige heiße Spur …

»Scannen Sie die Meere. Ich will Bilder von diesen Krebsen.«