Zwölf Dates bis Weihnachten - Rachael Lippincott - E-Book

Zwölf Dates bis Weihnachten E-Book

Rachael Lippincott

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Beschreibung

Zwei Ex-Freundinnen, zwölf Tage Fake-Dating und jede Menge Gefühlschaos! Arden und Caroline waren beste Freundinnen, bis Arden als Teenager ihren Heimatort verließ. Während Caroline zurückblieb, machte Arden in Hollywood Karriere. Vier Jahre später ist sie ein angesagter Teeniestar im Filmbusiness. Um ihre Traumrolle zu bekommen, soll sie jedoch beweisen, dass in ihr noch immer das Kleinstadtmädchen von früher steckt, das eine Beziehung führt – mit Caroline! Also reist Arden in ihre Heimat und macht ihrer ehemals besten Freundin einen Vorschlag: Caroline, die von einer Zukunft als Journalistin träumt, darf einen Artikel für die ›Cosmopolitan‹ schreiben. Im Gegenzug spielt sie bis Heiligabend mit Arden ein glückliches Paar. Ein super Deal, schließlich geht es ja nur um zwölf Tage – oder? - Cozy, sweet, charming – der perfekte Jugendroman für die Winterzeit! - Eine romantische Weihnachtslovestory zum Mitleiden und Mitfiebern – vom erfolgreichen Autorinnenduo Rachael Lippincott und Alyson Derrick

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EPUB
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Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Zwei Ex-Freundinnen, zwölf Tage Fake-Dating und jede Menge Gefühlschaos!

 

Arden war Carolines beste Freundin und ihre erste große und heimliche Liebe. Doch dann verließ sie ihren Heimatort. Während Caroline zurückblieb, machte Arden in Hollywood Karriere. Jahre später ist Arden mit gerade einmal 18 Jahren bereits ein angesagter Star – mit einem Imageproblem. Um ihre Traumrolle zu bekommen, muss sie beweisen, dass in ihr noch immer das unschuldige Kleinstadtmädchen von früher steckt, das eine Beziehung führt – und zwar mit Caroline!

Also reist Arden in ihre Heimat und macht ihrer ehemals besten Freundin einen Vorschlag: Caroline, die von einer Zukunft als Journalistin träumt, darf einen Artikel für die ›Cosmopolitan‹ schreiben. Im Gegenzug spielt sie bis Heiligabend mit Arden ein glückliches Paar. Ein Superdeal, schließlich geht es ja nur um zwölf Tage, oder? Doch was als Fake beginnt, wird bald zu wahren Gefühlen.

 

Romantisch-witzige Christmas Romance der beiden Erfolgsautorinnen

 

 

Von Rachael Lippincott und Alyson Derrick

ist bei dtv außerdem lieferbar:

She Gets the Girl

 

Von Rachael Lippincott sind bei dtv außerdem lieferbar:

Drei Schritte zu dir (mit Mikki Daughtry und Tobias Iaconis)

All This Time (mit Mikki Daughtry)

Rachael Lippincott / Alyson Derrick

Zwölf Dates bis Weihnachten

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Nina Frey

Für Poppy

Caroline

»Caroline!«

Erschrocken zucke ich zusammen und kippe um ein Haar aus dem Bett. Die Stimme meiner kleinen Schwester Riley katapultiert mich verlässlicher in den Wachzustand als mein Wecker, bei dem ich heute schon zwölfmal die Schlummertaste gedrückt habe.

Das ist also der Dank dafür, dass ich bis drei Uhr nachts an der Mappe für meine Columbia-Bewerbung rumgebastelt und meinen neuesten Artikel hinzugefügt habe. Es geht darin um das Zimtsternrezept der hiesigen Bäckerei, das seit fünf Generationen gehütet wird wie ein Augapfel. Irgendeine Urgroßtante soll sogar einen Mann um die Ecke gebracht haben, der es sich hatte unter den Nagel reißen wollen. Das verleiht diesem Text etwas mehr Brisanz, als sie meine sonstigen Reportagen über unser weihnachtsbesessenes Städtchen haben.

Apropos schaurige Todesfälle – Riley schaut ganz schön mörderisch drein. Sie nimmt ihren Mund von meinem gepeinigten Ohr und verschränkt die Arme vor ihrem ehemals waldgrünen Fußballpulli mit dem Logo des SC Barnwich. »Können wir vielleicht ein einziges Mal in unserem Leben pünktlich sein?«

Ich röchle ein Nein und rolle mich wieder unter meine kuschelige Decke.

»Es ist Pfannkuchen-Dienstag«, sagt sie.

Prompt rolle ich mich wieder in ihre Richtung.

»Dachte ich’s mir doch«, fügt sie hinzu und überlässt mich meiner hektischen Dienstagmorgenroutine. Ich wurschtle mich in eine Jeans und eine übergroße Strickjacke und packe – noch mit der Zahnbürste im Mund – meinen Rucksack, bevor ich mir ein, zwei Schichten Mascara verpasse und ausreichend Ringe an die Finger stecke, damit auch klar ist, dass ich Frauen mag.

Als ich die Treppe hinunter- und der Küche und den Pfannkuchen entgegeneile, die wohl das Einzige sind, was mich heute aus dem Bett locken konnte, werde ich verfolgt von Blue, meinem schwarz-weißen Border Collie, dessen Krallen laut über den Holzboden klackern. Als wir um die Ecke biegen, ertappe ich Riley dabei, wie sie sich gerade eine jeder Beschreibung spottende Menge an Schlagsahne direkt in den Mund sprüht, und meine beiden großen Brüder, Levi und Miles, die sich die Pfannkuchenstapel einverleiben, als kriegten sie’s bezahlt. Zum Pfannkuchen-Dienstag tauchen sie verlässlich auf, obwohl sie schon über zwanzig sind.

»Habt ihr kein Zuhause?«, frage ich und schenke mir eine Tasse Kaffee ein. Als ich mich umdrehe, knallt mir ein Pfannkuchen mitten ins Gesicht. Unter Rileys Gelächter stopfe ich ihn mir gleich in den Mund.

Dad, der bislang am Herd über dem brutzelnden Putenspeck vor sich hingesummt hat, wirbelt mit wehender Schürze zu uns herum und droht uns mit dem Pfannenwender. »Noch ein fliegender Pfannkuchen und das hier war das letzte Mal.«

»Mir kriecht die Angst bis in die Knochen«, lästert Levi und schüttelt den Kopf.

»Lass es nur drauf ankommen, Bürschchen«, sagt Dad mit einem herausfordernden Lächeln, als Mom in die Küche geschneit kommt und das Duell im Keim erstickt. Automatisch wirft Dad einen Blick auf die Uhr in der Ecke, denn auch nach fünfundzwanzig Jahren sorgt er sich immer noch wegen ihrer Unpünktlichkeit.

»Ich komm zu spät«, murmelt Mom prompt, klaut mir die Tasse aus der Hand und gönnt sich meinen Kaffee.

Mom pendelt jeden Morgen von Barnwich nach Pittsburgh in die Kanzlei, die sie nach der Uni mit ihrer besten Freundin gegründet hat, und sie ist so gut wie immer ein paar Minuten hinterher. Einmal hat Dad sämtliche Uhren in unserem Haus fünf Minuten vorgestellt, doch die Wirkung war gleich null. Instinktiv muss sie gespürt haben, dass hier was faul war. Zum Glück fährt alle siebzehn Minuten ein Zug vom Bahnhof Barnwich ab, sonst käme sie niemals pünktlich zu den Morgenmeetings, die sie höchstpersönlich anberaumt.

Vermutlich steckt mir das in den Genen, denn jetzt wandert mein Blick ebenfalls zur Uhr und macht mir bewusst, dass mir nur noch anderthalb Minuten bleiben, um den Rest dieses dringend benötigten Pfannkuchens zu verschlingen und das Haus zu verlassen.

»Wir brauchen dringend eine Stärkung«, sagt Miles, als sei er nie unterbrochen worden. »Die Bar muss noch für morgen vorbereitet werden. Wir haben ja diese Karaokemaschine angeschafft und der Karaoke-Mittwoch hat eingeschlagen wie nur was.« Er scrollt durch den farbigen Veranstaltungskalender auf seinem Handy, dass die rosa und gelben und grünen Felder nur so vorbeifliegen.

Levi und er haben praktisch schon seit der Mittelstufe jeden Penny beiseitegelegt, um das Beckett Brotherszu eröffnen, eine Bar an der Kreuzung Haupt- und Kiefernstraße. Schuld daran war die Besessenheit meines Vaters von Bar Rescue, einer Serie, in der heruntergewirtschaftete Kneipen aufgemöbelt und vor dem Untergang gerettet werden, gepaart mit dem Ehrgeiz meiner Brüder, in unserem weihnachtsverrückten Städtchen in Pennsylvania ihre eigene Nische zu finden. Als sie den Laden Weihnachten vor zwei Jahren von unserem Nachbarn Mr Burton zu einem sagenhaften Freundschaftspreis mieten konnten, haben sie ihn erst mal von Grund auf renoviert. Dann wurden Riley und ich rekrutiert, um beim Streichen und Anschleppen der Flohmarktfunde zu helfen, wofür wir im Sommer mit Eis und im Winter mit heißer Schokolade entlohnt wurden. Dies ist ihr erstes volles Geschäftsjahr und sie sind aufs Ganze gegangen, um mit dem Kopf über Wasser zu bleiben und in die schwarzen Zahlen zu kommen. Quizabende, Speed Dating, Livemusik und jetzt, so scheint’s, sogar Karaoke. Sie würden alles tun, um den Laden am Laufen zu halten. Und trotzdem schwächelt das Geschäft, ein Schicksal, von dem sämtliche Betriebe Barnwichs ein Liedchen singen können.

»Eingeschlagen ist gut. Ich hab jetzt noch ’nen Hörsturz von letzter Woche«, grummelt Levi mit vollem Mund.

Ich auch, wenn ich ehrlich bin. Er hat mir ein Video geschickt von einem Mädchen, das sich an Celine Dion gewagt hatte, aber geklungen hat wie ein rostiger Gockel.

»Aber zu Chanukka seid ihr schon da, oder?«, fragt Mom und trommelt mit den Fingern auf das, was mal mein Kaffeebecher war, wie immer unter Strom wegen ihrer Verspätung, aber gleichzeitig unfähig, auch nur einen winzigen Zacken zuzulegen. »Ich hab Oma schon angekündigt, dass ihr mitkommt.«

»Klaro«, sagt Miles wegwerfend und hält ihr zum Beweis einen farbmarkierten Tag auf seinem durchgeplanten Kalender hin. »Wär ja ein Verbrechen, sich ihre Rinderbrust durch die Lappen gehen zu lassen.«

Mit einer jüdischen Mutter und einem katholischen Vater ist Weihnachten immer ein Chaos aus Weihnachtsmusik, Latkes, neuen Strümpfen und … dem wohlvertrauten Fremdheitsgefühl, das entsteht, wenn man auf der Schwelle zwischen zwei Religionen lebt.

Weder in die Kirche noch in die Synagoge zu gehen, aber Osterkörbe zu öffnen und ins jüdische Ferienlager in Upstate New York geschickt zu werden, weil da die ganze Familie meiner Mutter lebt. Einen Weihnachtsbaum zu haben und einander hässliche Pullis anzuhängen, aber die Geschenke vom Weihnachtsmann auf ein Minimum zu beschränken.

Vor allem aber: sich weder ausreichend christlich noch jüdisch genug zu fühlen, besonders in einer Stadt, die ihre Grundfesten auf Weihnachten errichtet hat.

Levi und Miles scheinen sich mit diesem Dilemma nie rumgeschlagen zu haben. Sie haben es schnell geschafft, hier in Barnwich ihren Platz zu finden. Trotz all der Artikel, die ich über den Ort geschrieben habe, scheine ich selbst noch nicht ganz so weit zu sein.

»Fertig?«, fragt Riley und stopft sich schnell noch eine Scheibe Speck in den Mund, bevor sie nach ihrem Rucksack angelt.

Ich nicke und werfe Blue meinen letzten Bissen zu, klaue mir für einen Abschiedsschluck den Becher von Mom zurück und sause hinaus in den Flur zur Garderobe.

»Bis später, Leute!«, rufe ich, wobei ich Riley schon die Mütze über den Kopf stülpe. Dann stoße ich die Tür auf und wir schlittern kichernd die Stufen hinab und durch den Schnee zu Bertha, dem uralten Toyota Camry, in dem bereits Miles als Säugling vom Krankenhaus nach Hause gebracht wurde. Gewissenhaft wird er von einem Beckett zum nächsten weitergegeben und nun ist die Erbfolge an mir. Riley steigt ein und wischt schon mal von innen die Scheibe frei, während ich nur das Allerallernötigste von der Windschutzscheibe kratze.

»Dein Ernst, Caroline? Das ist doch immer noch alles dicht«, mosert Riley, als ich mich hinters Steuer klemme.

»Ich dachte, du willst unbedingt pünktlich sein«, entgegne ich und pfeffere den Eisschaber über meinen Kopf hinweg auf den Rücksitz.

»Schon, aber gerne lebend«, sagt sie und schnallt sich an. »Die hätten uns auch mal schneefrei geben können heute.« Sie reibt sich die Hände in ihren Fäustlingen.

»Schneefrei? In Barnwich? Träum weiter.« Unser annähernd pausenloses malerisches Schneegestöber hier verdanken wir einem seltenen meteorologischen Effekt, an dem unser See schuld ist – der Hauptgrund dafür, dass man sich in Barnwich vorkommt wie in einer weihnachtlichen Schneekugel.

Ich drehe den Schlüssel in der Zündung und Bertha erwacht mit einem Röcheln. Ihre Reifen suchen mühsam nach Halt, bis wir schließlich die Straße hinunterschleichen.

»Irgendwelche Klassenarbeiten die Woche?«, frage ich.

Riley brummt zustimmend mit ihren Fäustlingen zwischen den Zähnen, während sie Frostbeulen riskiert, um ihrer Mittelstufengang zu schreiben.

»Brauchst du Hilfe?«

Sie brummt noch einmal und tippt weiter.

Obwohl wir wirklich spät dran sind, spähe ich bei der Fahrt durch die Hauptstraße neugierig aus dem allmählich abtauenden Fenster. Ich sehe die bunten Geschäfte, die Lichterketten über uns und die roten Schleifen und grünen Kränze an den leuchtenden Laternenmasten. Wie immer ist es unmöglich, der warmen, kuschligen, vorfreudigen Festtagsstimmung zu entrinnen. Kein Wunder, dass der Ort seit jeher eine Hochburg des Feiertagstourismus ist. Die Leute pilgern jeden Dezember hierher, um sich an heißer Schokolade, Schlittenfahrten, Kunsthandwerk und einem Foto mit Mr Green zu erfreuen, unserem Weihnachtsmann mit Nebenberuf Installateur. Ganz zu schweigen von unserer Straßenbeleuchtung, die es landesweit auf Platz vier schafft.

Aber seit meiner Kindheit sind die Besucherzahlen geschrumpft. Deutlich. Und obwohl Barnwich zu dieser Jahreszeit immer noch zauberhaft ist, kann man nicht leugnen, dass inzwischen alle mehr auf die Tube drücken müssen, um die Leute zurückzugewinnen und die kleinen Lädchen entlang der Hauptstraße am Leben zu erhalten. Es ist, als würde bei allem noch eins draufgesetzt: etwa die Pyro-Effekte bei der Weihnachtsbeleuchtung, die wertvolleren Preise bei unseren Heiße-Schokolade- und Lebkuchenhaus-Wettbewerben und die neuen Elfenkostüme für die Fahrer der Rentierschlitten, die die Hauptstraße entlangrutschen. Es ist … alles so überladen und trotzdem scheint irgendwas zu fehlen.

Bei dem Gedanken steigt Wehmut in mir auf, die sich um diese Jahreszeit bei aller Begeisterung immer in mir breitmacht.

»Arden haben sie gestern fotografiert, wie sie völlig im Arsch aus einem Club rauskommt«, sagt Riley, immer noch mit Blick aufs Display. Meine Finger krampfen sich ums Lenkrad. Mit der Erwähnung meiner ehemaligen besten Freundin verpufft auch noch der letzte Rest meiner festlichen Stimmung und lässt nur noch Schwermut übrig.

»Pass auf, was du sagst«, murmle ich und weiß nicht, ob ich damit meine unflätige zwölfjährige Schwester meine oder den Namen der Person, die für mich von Barnwich nicht zu trennen ist – noch weniger als Weihnachten.

Vier Jahre ist es jetzt her, seit sie Barnwich und mich links liegen gelassen hat, um in Hollywood Karriere zu machen, aber in gewisser Weise kommt es mir vor, als wäre sie nie weggegangen. Hinter jeder Ecke lauert sie oder zumindest ihr Geist auf mich. In Klatschzeitschriften an der Supermarktkasse, in viralen TikTok-Edits, zusammengebastelt von ihrem sie bewundernden Publikum.

Arden James, Arden James, Arden James.

Und Riley kennt keine Gnade. Sie besteht darauf, mich tagtäglich über jedes Ereignis im Arden-Universum auf dem Laufenden zu halten, das ich erfolgreich ignoriert hatte, und zwar bis ins kleinste Detail, obwohl ich absolut nichts, wirklich null Komma null, zu tun haben will mit ihr.

Und trotzdem – als wir auf dem Parkplatz von Rileys Schule halten, kann ich mir einen Blick auf das Handy nicht verkneifen, das sie mir direkt vor die Nase hält. Ardens lange, dunkle Haare und ihre braunen Augen sind die alten und doch so anders. Und das nicht nur wegen des glasigen, verwirrten Blicks durch die aktuelle Dröhnung der Wahl.

»Du musst heute mit dem Bus heimfahren«, sage ich, als das Display schwarz wird und Ardens Gesicht verschluckt. Ich parke das Auto und Riley schnallt sich ab. »Ich hab eine Schicht im Edie’s.«

Edie’s Eatery. Das vielgeliebte Diner der Stadt, das auch ein Grund ist, weshalb ich Arden trotz aller Bemühungen nicht vergessen kann. Es gehört Ardens Großmutter und ist berühmt für seine gnadenlos guten Pfannkuchen, die zugegebenermaßen noch besser sind als die meines Vaters, und einen Kaffee, der Tote zum Leben erweckt.

Natürlich kommt mir das Geld sehr gelegen, aber der wahre Grund, weshalb ich dort arbeite, ist Edie. Seit Arden weg ist und ihre Eltern kreuz und quer über den Globus trotten, schaue ich ein bisschen auf sie, besonders weil Edie doch langsam etwas nachlässt. Sie ist zäh wie Leder, aber manchmal braucht eben auch Leder etwas Pflege. Um uns hat sie sich ja auch jahrelang gekümmert. Milchshakes und gefüllte Omeletts und zwei zugedrückte Augen, wenn wir ihre Küche kaperten.

Noch ein Grund, Arden zu grollen. Weil sie auch Edie im Stich gelassen hat.

»Meinetwegen, aber nur, wenn du mir einen von diesen schwarz-weißen Keksen mitbringst.«

»Wird erledigt.«

Mit einem Abschiedsgruß rast Riley die Treppe nach oben, wo ihre Fußballkolleginnen warten, und ich sause hinüber zur High School, die ein bisschen weiter die Straße hinunter liegt. Stöhnend ergattere ich einen der letzten freien Parkplätze und stelle fest, dass Riley zwar gerade noch pünktlich gekommen ist, ich selbst aber zu spät dran sein werde, wie üblich.

Mit meinem Rucksack schlittere ich über den vereisten Gehweg in die Schule und dann einmal durch den mit grünen Schließfächern ausgestatteten Gang in mein Klassenzimmer. In der Sekunde, in der mein Hintern den Stuhl in der Ecke berührt, schrillt die Klingel.

»Guten Morgen«, trällert Austin Becker und stellt mir einen dringend benötigten Caramel Macchiato auf den Tisch. Sehr praktisch, so ein Kumpel, der immer die Morgenschicht im Barnwich Brews schiebt.

»Morgen.« Dankbar nehme ich ihn aus seiner goldbraunen Hand mit den langen, silberberingten Fingern, während Mr Fisher aufsteht, um die Anwesenheitsliste zu checken.

Als damals im Herbst nach Ardens Abreise die High School losging und ich am ersten Tag ohne meine beste Freundin durch die Doppeltür trat, war das ziemlich gruselig. Aber zum Glück kam Becker direkt vor Beckett und Austin war neu in Barnwich. Er war noch ein unbeschriebenes Blatt und mochte Bücher und Phoebe Bridgers genauso wie ich. Dieser schwarzlockige, tiefenentspannte Typ, der ganz nebenbei den Kapitän der Footballmannschaft, mit dem er auch noch liiert ist, im Kampf um den Titel des Ballkönigs ausgestochen hat, war vom ersten Tag an mein kaffeelieferndes Geschenk des Himmels.

Vor dem Trinken nehme ich den Deckel ab und voilà, natürlich ist da ein Latte-Kunstwerk obendrauf. Ein Hund von bestechender Ähnlichkeit mit Blue. Ich stoße einen anerkennenden Pfiff aus und er strahlt, während ich den Kaffee mit Fotos dokumentiere.

Als ich den Deckel wieder draufdrücke, dreht sich Maya, die Dritte unseres Kleeblatts, in ihrem Sitz um und schiebt die Ellbogen auf meinen Tisch. »Wie läuft’s mit der Bewerbung? Hast du sie endlich weggeschickt?«, fragt sie.

Ich stöhne und ihre blauen Augen gleiten vielsagend zu Austins braunen.

»Läuft also bestens?«

»Ich denk nur irgendwie …«, tja, »… irgendwie hab ich nichts, was so richtig raussticht, versteht ihr?«

Austin lacht ungläubig. »Du bist seit der Sechsten Chefredakteurin der Schülerzeitung. Deine Noten sind schon peinlich genug und jetzt hast du auch noch diesen landesweiten Schreibwettbewerb gewonnen mit deinem Artikel über die Renovierung vom Barnwick Brews nach dem Megabrand.«

»Ja, und ich wette, genau so was steht in all den anderen Lebensläufen von denen, die sich für Journalismus an der Columbia University bewerben. Oder Besseres. Was, wenn all das Zeug, das ich fabriziert habe, zu … Weiß auch nicht. Zu hinterwäldlerisch ist. Nicht aufregend genug.« Selbst der Bäckereiartikel, den ich dazugegeben habe, erscheint mir zu lahm.

Bluttat hin oder her.

Mr Fisher ruft mich auf und ich hebe die Hand. »Und, was treibt Finn so?«, wechsle ich das Thema.

Wie aufs Stichwort steckt Austins Freund Finn seinen blonden Schopf durch die Tür, um Austin zuzuwinken, bevor ihn Mr Fisher zu seinem eigenen Klassenzimmer weiterscheucht. Finn steigt das Blut in die Wangen, als ihn seine Fußballkumpels auf dem Gang hochnehmen, und Austin verdreht die Augen und verbeißt sich ein Lachen.

»Das Übliche«, sagt er kopfschüttelnd. »Wir wollen nächste Woche am ersten Ferientag rodeln gehen, falls du Lust hast. Finn meint, Taylor Hill von den Cheerleadern hat nach dir gefragt. Ich glaub, sie will was von dir.«

Taylor Hill? Von mir?

»Klingt gut«, sage ich mit einem unverbindlichen Schulterzucken und zupfe an der Papphülle meines Bechers.

»Das Rodeln?«, fragt Maya und lehnt sich augenbrauenwackelnd zu mir. »Oder Taylor Hill?«

Ich schnaube, doch diesmal bekomme ich heiße Wangen. »Ich … ich hab sie echt noch nie so wahrgenommen.«

Mir ist natürlich nicht entgangen, wie gut sie aussieht, also ganz objektiv. Vizekapitänin der Cheerleader. Blond. Perfektes Lächeln. Nur … also in dieser Hinsicht ist mir eigentlich noch kaum jemand aufgefallen. Jedenfalls schon lange nicht mehr. Offen wäre ich schon dafür. Ich habe es nur einfach nicht …

Wenn ich da an Finn und Austin denke. Bei denen kann man richtig sehen, wie die Funken sprühen.

»Trauerst du immer noch Julie Shapero vom Zeltlager nach?« Austin nimmt einen Schluck aus seinem Becher und bedenkt mich mit einem wissenden Blick. »Oder etwa …«

Nein.

Ich sehe ihn böse an und schlage ihn auf die Schulter, bevor er ihren Namen sagen kann, aber das verhindert auch nicht, dass ich schon wieder die vertrauten glasigen braunen Augen vom Handydisplay meiner Schwester vor mir sehe. Ungebeten, wie immer.

Obwohl Austin Arden nie getroffen hat, wissen sowohl er als auch Maya genau, dass sie für mich mehr war als nur die beste Freundin. Dass ich ständig diesem gewissen Gefühl nachhänge, ohne es irgendwo anders zu finden.

Vielleicht sollte ich meine Columbia-Bewerbung um die Information ergänzen, dass ich seit vier Jahren keinerlei Liebesleben hatte. Dann nehmen sie mich womöglich zumindest aus Mitleid auf.

Langsam wird es mir zu viel, doch zum Glück geht jetzt der Unterricht los und setzt dem Gespräch ein Ende. Also drehe ich mich nach vorne und versuche, mich auf das zu konzentrieren, was jetzt wirklich zählt.

Die Columbia University.

Viel wichtiger als sprühende Funken oder Taylor Hill oder Arden James.

Diesmal werde ich aus Barnwich rauskommen und meine eigenen Träume wahr machen.

Ich will es so dringend, dass es wehtut. Aber als ich meinen Blick aus dem Fenster schweifen lasse und dahinter die weißen Flocken tanzen sehe, weiß ich, dass ich hier nie ganz wegkommen werde – so gefangen ich mich auch manchmal in dieser riesigen Schneekugel mit Weihnachtsmotiven fühle. Es fällt mir nicht leicht, Leute zurückzulassen.

Oder sie zu vergessen.

Nach der Schule fahre ich einmal quer durch den Ort zu Edie. Beim Eintreten bimmeln die Glocken und ich werde von dem vertrauten Schachbrettboden, den abgewetzten mintgrünen Ledersitzen und der Drehhockerreihe in Empfang genommen. Aus Edies Küche wallt mir ein herrlicher Duft entgegen und lässt meinen Magen grummeln, obwohl das Mittagessen noch gar nicht so lange her ist, und zum ersten Mal am heutigen Tag spüre ich so etwas wie Entspannung. Hier habe ich immer einen kühleren Kopf, und obwohl der Bewerbungsstress nicht völlig von mir abfällt, scheint er mir jetzt doch immerhin annähernd beherrschbar.

»Hey, Edie!«, rufe ich und schäle mich rasch aus meinen tausend Zwiebelschichten. Als ich um die Ecke biege, knalle ich fast mit Harley zusammen, einer stylischen Studentin, die hier seit zwei Jahren aushilft und beide Arme mit Tellern beladen hat.

»Boah, aufpassen!«, sagt sie und weicht mir aus, ohne auch nur eine einzelne Spiralpommes fallen zu lassen.

Aus der Durchreiche schaut Edies graumelierter Kopf hervor. Zum Gruß wedelt sie mit dem Pfannenwender, spürbar weniger fröhlich als sonst. Für eine gerade mal eins fünfzig große koreanische Großmutter ist sie im ganzen Laden extrem präsent. Als ich mir die Schürze umbinde und das hellblonde Haar zum Pferdeschwanz zusammennehme, kommt von ihr nur ein Kommentar in ihrem breiten Südstaatenakzent, den sie ihrer Jugend in Georgia verdankt: »Tja, diesmal hat sie sich echt zum Affen gemacht, was?«

Ich zögere, weil ich mich, einem alten Instinkt folgend, schützend vor sie stellen will.

Doch dann nicke ich. Edie hat ja recht und ich bin Arden nichts schuldig. Nicht mehr.

Den Rest des Tages verlieren wir kein Wort mehr darüber, aber ich weiß, was in ihrem Kopf vorgeht. Auf gewisse Weise hat Edie sich immer Vorwürfe gemacht. Als sie noch hier wohnten, konnte Edie sich wenigstens um Arden kümmern, während ihre Eltern sich Tag und Nacht an die Gurgel gingen. Oder ich half, indem ich Arden mit ihrem Rucksack bei uns aufnahm und sie bei mir im Bett übernachten ließ.

Aber Hollywood ist für uns beide völlig außer Reichweite. Besonders wenn die Person dort nichts von sich hören lässt. Stattdessen ist sie jetzt berühmt. Uns braucht sie nicht mehr.

Während ich einen doppelten Cheeseburger mit Pommes für Tisch drei in die Durchreiche stelle, werfe ich Edie ein kleines beruhigendes Lächeln zu, um ihre Gewissensbisse zu mildern. Schließlich hat sie immer selbst gesagt, Ardens Eltern würden es nie lange am selben Ort aushalten. Dass Arden uns irgendwann sitzen lassen würde, war unausweichlich, denn sie hat es nie anders gelernt.

Arden

»Guten Morgen! Guten Morgen! Beweg deinen Arsch aus dem Bett!«

Ein Eiswasser-Tsunami platscht mir ins Gesicht. Ich fahre senkrecht hoch, huste und wische mir die Sicht frei, bis ich blaue Augen und wirre braune Locken erkenne. Meine Agentin, mit einem grünen Kaugummi im Mund.

»Echt jetzt?«, grolle ich und schiebe mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht.

»Echt jetzt. Du bist schon wieder zu spät«, sagt Lillian und geht zu den Fenstern, um die Bambusrollos hochzuziehen.

»S.«

Das erste Rollo schnalzt.

»P.«

Und das nächste.

»Ä.«

Ein drittes.

»T.«

Das letzte Rollo enthüllt den vollen Panoramablick auf Malibu Beach, mit weißen Schaumkronen, die über riesige dunkle Felsen direkt an der Küste tanzen. Für diesen Blick habe ich Millionen hingeblättert. Ich hab mir vorgestellt, wenigstens ab und an mal am Strand chillen zu können, aber die ganzen letzten zwei Jahre hab ich nicht einen Fuß auf den Sand gesetzt.

»Danke, Buchstabieren krieg ich gerade noch hin.«

Ein Sonnenstrahl bricht durch die morgendliche Wolkendecke und ich schlage mir die Hand vor die Augen, aus Rücksicht auf meinen Brummschädel.

»Das erstaunt mich jetzt, wo du doch nicht mal fähig bist, deinen verdammten Terminkalender zu lesen oder die fünf Erinnerungen, die ich dir gestern geschi- oh, schönen guten Morgen auch!«, sagt sie in etwas verbindlicherem Tonfall. Durch meine Finger sehe ich, dass sich neben mir unter der Decke etwas rührt. Ein blondes Mädchen mit sonnengebleichter, verstrubbelter Mähne streckt den Kopf heraus. Hm. Trotz des verschmierten Make-ups und einem Kater, der sich vor meinem nicht verstecken muss, gehört sie zugegebenermaßen zu den schönsten Mädchen, die mir je begegnet sind. Wenigstens die gibt es in LA wie Sand am Meer.

»Arden? Musst du schon weg?«, fragt sie, stützt sich auf einen Ellbogen und zieht die Decke hoch. »Ich hab gedacht, wir frühstücken vielleicht noch zu…«

Au weia.

»Sorry, äh …«

Miranda? Jackie? Mist. War’s irgendwas mit L? Oder … Moment. Mit A ging der Name los, oder?

Wie aufs Stichwort meldet sich Lillian vom Fußende des Betts aus. »Diese Dame hier hat leider jetzt einen Werbedreh, für den sie schon eine halbe Stunde zu spät dran ist. Also wäre das jetzt der richtige Moment, sich zu verzupfen, Schätzchen, danke vielmals, auf Wiedersehen. Nimm dir doch beim Gehen noch einen frisch gepressten Saft aus dem Kühlschrank.«

Lillian zerrt mich aus dem Bett und ich schnappe mir die Decke, um nicht in Boxershorts dazustehen, bevor ich der Blonden noch einmal entschuldigend zulächle und aus dem Raum geschleift werde.

»Du willst mich unter die Erde bringen, was?«, raunzt Lillian und stapft mit mir im Schlepptau Richtung Badezimmer.

»Ich leg’s nicht bewusst drauf an«, seufze ich.

»Wirkt aber so, Arden. Diese Party-Girl-Nummer war als Futter für die Klatschpresse gedacht, nicht als dein neuer Lifestyle. Schon vergessen?«

»Ich weiß, ich weiß«, sage ich und massiere mir die Nasenwurzel. Als ob das so einfach wäre. Als könne man einfach jahrelang eine verhasste Rolle spielen und sie auf magische Weise nicht auf sich abfärben lassen. Lillian tut gerade so, als hätte sie keine Ahnung, wie einen dieser Ort hier mit Haut und Haar verschlingt.

»Und es hat ja auch geklappt. Alle kennen dich. Alle wollen dich. Du bist diejenige, die mir gesagt hat, dass du provozieren willst, dass du ein neues Image brauchst. Wenn du möchtest, dass man dich jetzt als Schauspielerin und Charakterdarstellerin ernst nimmt, dann musst du dich auch erwachsen verhalten. Himmel, Arden, das Allermindeste ist doch, dass du pünktlich bist.«

»Ist mir doch völlig bewusst, Lil. Ich …«

»Wenn dir das so bewusst ist, warum muss ich mir dann heute Morgen tausendundein Foto von dir anschauen, wie du in der Nacht vor einem Werbedreh völlig zugedröhnt mit allen möglichen Leuten rummachst?«

Weil ich es nicht ausgehalten habe, die ganze Nacht alleine in diesem verwaisten Riesenhaus zu verbringen.

»Es tut mir leid. Ich hab nicht …« Ich reibe mir mit den Händen übers Gesicht. »Ich hatte keine Ahnung, dass da Kameras waren. Es hieß, das sei eine private Party.«

»Du bist Arden James. Der einzige Name, den die Leute letztes Jahr häufiger im Internet aufgerufen haben, war Taylor Swift! Na klar sind da überall Kameras. Da werden immer überall Kameras sein. Der Fototermin heute? Der ist für den Superbowl! Meine drei Scheidungen hätte ich finanzieren können mit dem, was die dafür hinlegen, dass du eine Stunde lang lächelnd eine Flasche in die Kamera hältst. Einen Monat habe ich am Telefon verbracht, um die Chefs zu überzeugen, dass du die Richtige dafür bist. Krieg das gefälligst auf die Reihe!« Sie schiebt mich ins Bad. »Geh duschen! Ich hab dir vom Laden an der Ecke Frühstück bestellt. Das kannst du auf der Fahrt zum Studio essen.«

Ich luge durch die Badezimmertür, mit reuiger Miene. »Danke, Lillian. Du hast was gut bei mir.«

»Aber so was von«, sagt Lillian, die mit einer Hand auf ihrem Handy herumtippt und mir mit der anderen einen Kaffee und eine Kopfschmerztablette reicht. Sie hebt den Kopf und grinst mich an. »Sogar doppelt, weil du dank mir nicht so tun musstest, als hättest du auch nur einen blassen Schimmer, wie sie heißt.«

Eine Stunde darauf rattert mir Lillian meinen verbleibenden Wochenplan runter, während ich in der Maske sitze und meinen zweiten Becher Morgenkaffee leere.

»Nach dem Termin hast du für heute frei, aber spiel nicht wieder verrückt«, sagt sie und sieht zu, wie mein langes, dunkles Haar hochgesteckt und ein halbes Kilo Concealer auf meine Augenringe getupft wird. »Morgen ist das bewusste Vorsprechen bei Bianchi.«

Bianchi.

»Das vergess ich garantiert nicht«, verspreche ich Lillian und denke an die unzähligen Anmerkungen, mit denen ich das Drehbuch in meiner Tasche garniert habe, an die abgegriffenen, eselsohrigen Seiten. Ich habe mich ewig vorbereitet auf diesen Termin.

Trotzdem schlottern mir beim Gedanken daran die Knie.

Ich kann mich nicht erinnern, je eine Rolle so dringend gewollt zu haben, aber die hier raubt mir seit Wochen den Schlaf. Zu der Party letzte Nacht bin ich auch nur, weil ich die ohne Unterlass kreisenden Gedanken nicht mehr ausgehalten habe.

Mit Produktionen von Disney Plus Originals ging meine Karriere los, doch jetzt werde ich für romantische Heterokomödien gebucht, besonders nach meinem Netflix-Debüt vor zwei Jahren, das sämtliche Rekorde gebrochen und mich ins Licht der Öffentlichkeit katapultiert hat.

Aber jetzt das hier: eine Geschichte über ein asiatisch-amerikanisches Mädchen, das sich aus ihrer Kleinstadt und ihrem kaputten Leben befreit und sich was Besseres aufbaut. Es fühlt sich an, als sei sie mir auf den Leib geschrieben.

Wie Miranda Priestly für Meryl Streep oder Forrest Gump für Tom Hanks.

Das ist meine Rolle.

Außerdem würde ich mit der Crème de la Crème arbeiten. Alles, was Bianchi dreht, wird zu Gold. Die größten Produktionsfirmen schlagen sich drum. Zehnminütige Standing Ovations in Cannes. Oscarnominierungen in fast jeder Kategorie.

Es ist genau das, worauf ich immer gewartet habe: die Möglichkeit, meiner Karriere eine Wendung zu geben. Aber ich muss Bianchi zeigen, dass mehr in mir steckt als das, was er bislang von mir gesehen hat. Dass ich mehr draufhabe, als lustige Sprüche zu klopfen und dabei maximal gut auszusehen und irgendwelchen Typen den Kopf zu verdrehen. Und das auf eine Art, die die Variety so freundlich als »Charme von der Stange« zu bezeichnen pflegt.

Noch so ein Grund, weshalb ich diesen Imagewandel brauche.

Derart in der Rolle eines feierwütigen Hollywood-Jungstars aufzugehen, hat mir zwar, wie von Lillian prophezeit, ziemlich viel Aufmerksamkeit eingebracht, aber es sollte eigentlich nur Mittel zum Zweck sein, nicht etwas, das mir ein Leben lang anhängt. Ich will, dass man mich ernst nimmt. Ich will einen Oscar und nicht schon wieder einen Teen Choice Award.

Ich brauche nur eine Chance. Und um diese Chance zu bekommen, muss ich Bianchi etwas liefern, das ihm mehr in Erinnerung bleibt als mein Ruf oder meine IMDB-Seite. Also versteh ich wirklich nicht ganz, wieso ich mich immer schlechter unter Kontrolle habe, je näher der Tag X rückt.

»Ich weiß, wie dringend du das willst. Lass dich nicht hängen«, sagt Lillian.

Noch bevor ich antworten kann, kommt der Werberegisseur reingeprescht, begleitet von niemand Geringerem als Marc Nicholson selbst, dem Thronfolger des Nicholson-Mineralwasserimperiums.

Die Tür knallt so laut, dass ich um ein Haar das Gesicht verzogen hätte.

»Entschuldigen Sie meine Verspätung«, flöte ich und stehe auf, um ihn zu begrüßen. Der Regisseur wirkt genervt, doch Marc Nicholson fegt meine Entschuldigung mit einer massigen gebräunten Hand beiseite, bevor er meine ergreift.

»Aber das ist doch überhaupt kein Problem«, sagt er mit schleppendem Südstaatenakzent und hält meine Hand deutlich zu lange. Um seine blauen Augen sprießen die Krähenfüße. »Wow, es ist wirklich so: Die Kamera packt immer noch vier Kilo drauf.« Er lacht und seine Augen führen einen Ganzkörperscan an mir durch, einmal hinunter und wieder hinauf. Soll ich jetzt mitlachen oder ihm eine knallen? Bevor ich eine Entscheidung treffen kann, rempelt er den spindeldürren Typen neben ihm in die Seite. »Erklär’s ihr, Richie.«

Richie, der Regisseur, schiebt sich die Statement-Brille hoch und macht eine ausladende Geste. »Fünf verschiedene Szenen. Auf verschiedene Zeiten verteilt, um das legendäre Nicholson-Mineralwasser damals, heute und in der Zukunft zu präsentieren. Sie, im Hier und Jetzt, wie Sie nach einer Preisgala ins Auto steigen und erst mal einen prickelnden Schluck aus der Flasche nehmen. Sie, wie Sie sich vor hundertsechsundvierzig Jahren, also direkt nach Firmengründung, eine schöne Flasche öffnen, nachdem Sie einen ganzen Tag lang Wäsche auf dem Waschbrett geschrubbt haben. Sie, hundertsechsundvierzig Jahre in der Zukunft, wie Sie mit der Nicholson-Flasche in der Hand in Ihrem selbstfahrenden Wagen sitzen. Sie, wie Sie …«

Während er weiterschwadroniert, schweift mein Blick über die Kleiderstange in der Ecke, deren Palette von viktorianischem Schick bis zu George Lucas’ feuchtem Traum reicht, und dann zu Lillian, die mich mimisch anweist, nur bitte ja nicht die Augen zu verdrehen.

»Welch unglaubliche Fügung, dass Arden James höchstpersönlich mein Set beehrt.« Marc Nicholson, schlappe dreißig Jahre älter als ich, wuselt um mich herum, streift mir mit der Hand über den Rücken und rückt mir so dicht auf die Pelle, dass ich seine Lippen an meinem Ohr spüren kann. »Ich hab heute Abend eine Reservierung in deinem Lieblingsclub, zur Feier des Tages.« Er raunt es mit gesenkter Stimme, damit es sonst keiner mitkriegt, aber Lillian setzt sich trotzdem stocksteif auf, bereit zum Eingreifen.

Ich schüttle unauffällig den Kopf und trete aus Nicholsons Reichweite, wobei ich mich zwingen muss, mir nicht über das feuchte Ohr zu wischen.

Stattdessen werfe ich ihm einen zur Perfektion gebrachten verschämten Blick zu, den ich schon allzu oft bei allzu vielen Männern eingesetzt habe. »Das wäre herrlich, aber ich habe ein wichtiges Vorsprechen, auf das ich mich vorbereiten muss«, entgegne ich und drehe mich wieder zu Richie, der gerade ausführlich darlegt, wie ich mich in welcher Szene zu bewegen habe und welche Ästhetik ihm dabei vorschwebt.

Mir geht es zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus, weil bereits klar wurde, dass es völlig wurscht ist. Ich bin nur hier, damit dieser alte, reiche Sack mich zum Essen einladen kann. Er meint, mich mit einer Reservierung beeindrucken zu können, für die ich sonst keinen Finger hätte krumm machen müssen. Statt mir hätten die auch einfach eine aufblasbare Gummipuppe engagieren können.

»Verstanden?«, fragt Richie schließlich und ich nicke wie jemand, der alles im Griff hat.

Augen zu – Geld einsacken – und durch.

»Verstanden.«

Fertig gestylt und Jeans und Hoodie gegen ein Glitzerkleid getauscht, bugsieren sie mich zum Set.

Und Licht, Kamera, Action. Ich tu, was von mir erwartet wird.

Überdramatisches Wassertrinken, neckisches Lächeln, Kostümwechsel und abgeschmackte Textzeilen, die ich vom Teleprompter ablese.

Nachdem der viktorianische Schick und die Siebzigerjahre im Kasten sind, gehe ich in meinem Wagen mittagessen, Lillian im Schlepptau, die auf ihrem Handy herumtippt.

»Wie läuft’s?«, fragt sie, als ich mich in den schwarzen Drehstuhl vor dem hell beleuchteten Spiegel fallen lasse.

»Na ja, mein Tag ging damit los, dass mir jemand Wasser ins Gesicht gekippt hat. Also …«

»Wecker stellen wäre auch eine Möglichkeit gewesen«, schlägt Lillian vor, ohne von ihrem Handy aufzublicken.

»Oder ein bisschen mehr Zartgefühl deinerseits.«

»Tja, Arden, nach dem fünfzehnten Mal verliert man halt auch so ein bisschen die Lust. Mein Job besteht nicht darin, dir den Kopf zu tätscheln, Schatzi. Ich bin deine Agentin, nicht deine M…« Sie bremst sich und blickt auf.

Meine Haut prickelt.

Mom. Die ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe, genauso wenig wie Dad. Dessen Probleme ich mit meinem Erfolg lösen wollte.

In gewisser Weise hab ich das vielleicht auch. Um Geld streiten sie sich jedenfalls nicht mehr, aber mehr für mich interessieren tun sie sich seitdem auch nicht und zufrieden sind sie ebenso wenig. Weshalb mir endlich klar geworden ist, dass ich selbst die Ursache ihrer Probleme war, nicht die Lösung. Der Klotz am Bein, der sie daran hinderte, ihren Traum von einem freien Leben zu verwirklichen.

Ich weiß noch genau, wie sie das erste Mal weggingen. Mom weckte mich mit Frühstück im Bett, frisch gepresstem Orangensaft, kleinen Pfannkuchen-Herzchen und einem Omelett mit allen Schikanen.

»Hallo, Spatz, dein Dad und ich machen eine ganz kleine Tour, aber am Montag sind wir wieder da, um dich ans Set zu begleiten«, mit einer Stimme, fast so hauchzart wie die Hand, mit der sie mir über die Wange strich, beides völlig ungewohnt für mich. Erst als ich nachher die Packung im Müll fand, ging mir auf, dass mein perfektes Frühstück aus dem Laden unten an der Ecke stammte. Genau wie ich erst sehr viel später kapiert habe, dass jetzt alles anders wurde.

Erst waren es nur ein paar Tage in Florida oder ein Wochenende in Las Vegas, um »einander wieder näherzukommen«. Dann brauchten sie einen Privatjet auf die Fidschi-Inseln. Danach einen Monat auf einer Yacht vor Santorin. Bis mir klar wurde, dass ich mehr Wochen mit unserer Hausreinigungskraft verbrachte als mit meinen eigenen Eltern.

An meinem sechzehnten Geburtstag kam schließlich ein Anruf von meiner Mutter, gerade als sie eigentlich aus Italien heimkehren sollten, um mit mir zu feiern.

»Hey, Mom, was gibt’s?«, fragte ich und hoffte, der Flug habe keine Verspätung.

»Hallo, Spatz. Hör mal, wir müssen unsere Reise noch um ein paar Wochen verlängern«, sagte sie, als wären sie geschäftlich unterwegs und nicht auf einer Vergnügungsfahrt mit meinem selbst verdienten Geld.

»Willst du mir noch was sagen?«, fragte ich mit brennenden Augen.

»Ah, ja. Lillian hat noch so ein Drehbuch von Netflix oder irgendwas in der Richtung. Dreh ist in LA, März bis Juni. Ein Haufen Kohle, Spatz. Ich hab ihr grünes Licht gegeben.«

Ich konnte nicht sprechen. Gar nichts konnte ich, außer die Luft anhalten, während mir die Tränen nur so die Wangen runterliefen.

»Ciao, Spa-« Sie hatte schon aufgelegt, bevor sie sich überhaupt verabschiedet, geschweige denn mir zum Geburtstag gratuliert hatte.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich konnte mich nicht länger von ihnen ausnutzen lassen.

Also … befreite ich mich von ihnen. Drehte den Geldhahn zu, um zu sehen, wie sie eigentlich zu mir standen.

Ich hab sie nie wiedergesehen.

»Tut mir leid«, sagt Lillian, diesmal aufrichtig. »Ich hol mir einen Kaffee. Möchtest du was vom Catering?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich brauch nichts, danke.«

Sie tätschelt mir den Arm und verschwindet, und als die Tür ins Schloss fällt, stoße ich einen tiefen Seufzer aus. Ich lege den Kopf in den Nacken und drehe mich im Sessel, bis die Gipsfliesen an der Decke kreiseln. Einmal. Noch einmal.

Aus dem Spiegel blickt mir eine junge Frau mit übertrieben blauem Lidschatten und gewaltigen Wellen im dunkelbrauen Haar entgegen. Ich neige den Kopf, um mein Gesicht zu mustern, bevor sie es wieder verändern. So viel meiner Zeit geht dafür drauf, jemand anderen zu spielen, dass ich die Person im Spiegel manchmal nicht wiedererkenne.

Nicht dass das schlecht wäre. Das mag ich schon sehr.

Sonst wäre ich einfach nur Arden.

Die war ich vorher und Arden James ist mir deutlich lieber.

Und allen anderen auch.

Ich zücke mein Handy und rufe Twitter auf. Zweimal scrollen und schon taucht die erste Schlagzeile mit einem Bild von mir auf, wie ich vergangene Nacht völlig zermatscht aus dem Club wanke.

Arden James: Droht jetzt der Absturz?

Okay, diese Arden James finde ich jetzt nicht so prickelnd, aber das bin ja auch nicht wirklich ich. Die Paparazzi haben es einfach drauf, einen immer im ungünstigsten Moment zu erwischen, weil sich das eben verkauft. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass ich ihnen in letzter Zeit etwas mehr Futter gegeben habe als unbedingt notwendig.

Aber ich kann es nicht einfach lassen, bevor ich nicht etwas anderes habe, um die sich unvermeidlich auftuende Lücke zu stopfen.

Und in diese Lücke passt diese Filmrolle perfekt.

Kopfschüttelnd wische ich weiter zu Instagram, wo ich ein Bild eines älteren Schauspielers like, den ich von meiner ersten Rolle in September Blues kenne, und dann eines von einem Musiker, mit dem ich mal was auf einer Vanity-Fair-After-Party hatte. Mein Finger kommt erst zur Ruhe, als ein vertrautes Lokal auftaucht. Edie’s Eatery. Abgewetzte mintgrüne Sitzecken, gläserne Colaflaschen im dazugehörigen Kühlschrank, eine Vitrine voller Kuchen.

Aber das ist es nicht, was mich innehalten lässt.

Genau vorne in der Mitte, mit einem Teller in der Hand, auf dem sich die berühmten Pfannkuchen meiner Grandma nur so türmen …

Caroline.

Ich mache ihr Gesicht größer. Wie früher, nur … anders. Erwachsener. Ihr Lächeln wirkt zurückhaltender, weicher, nicht das schiefe zahnspangige Grinsen, das ich in Erinnerung habe. Aber ihre warmen braunen Augen sind dieselben. Und ihr hellblondes Haar im Pferdeschwanz, aus dem sich Strähnen gelöst haben.

Sie wirkt so natürlich – etwas, das ich in LA nicht sehr häufig zu sehen kriege. Die Frauen in dieser Industrie legen schon mit Botox los, bevor sie überhaupt alt genug sind, um auch nur ein Auto zu mieten. Ich nicht. Irgendwas Gutes hat meine Mutter mir doch vermittelt.

Irgendwann letztes Jahr habe ich aufgehört, mich bei Grams nach Caroline zu erkundigen. Ich hatte keine Lust mehr, von ihren Uniplänen und ihrem Freundeskreis und ihren High-School-Erfahrungen zu hören, die ich selbst nicht haben konnte. Und nie haben werde.

Das liegt alles hinter mir. Sie liegt hinter mir. Mein letztes Gespräch mit Grams war vor … o nein, vor vier Monaten? Sie hat mich früher häufig angerufen, aber ich glaube, ich habe sie so oft auf die Mailbox sprechen lassen, dass sie irgendwann das Handtuch geworfen hat. Immer wenn ich drauf und dran bin, sie anzurufen, fallen mir die ganzen Fotos ein, die im Internet von mir rumgeistern, und dann habe ich doch zu viel Schiss, es durchzuziehen. Und je länger ich mich nicht melde, desto einfacher wird es, es einfach sein zu lassen.

»Wer ist das Mädchen?«

Ich schrecke auf und werfe fast das Handy quer durchs Zimmer. Es ist Lillian, die in ihrem Kaffee rührt und mir über die Schulter schaut.

»Äh.« Ich rutsche in meinem Stuhl herum und räuspere mich. »Nur meine beste Freundin von früher. Caroline.«

»Mmm.« Sie nippt an ihrem Kaffee. »Mehr nicht? Du hast gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, ich hab schon gedacht, sie ist jemand Besonderes. Bitte jetzt keine sinnlosen Schwärmereien, klar?«

»Im Leben nicht.« Ich drücke die Seitentaste und mein Handy zieht Carolines Gesicht mit ins Schwarz. »Ich hab gedacht, es sind nur zwanzig Minuten Mittagspause«, entgegne ich, weil ich genau weiß, wie ich sie mir vom Leib halte.

Lillian schaut auf die Uhr und saust aus dem Wagen. Eine Minute darauf kehrt sie mit zwei Maskenbildnerinnen zurück, die noch an ihrem Mittagessen kauen.

Während diese Fremden an mir rumzupfen und -zerren, male ich mir unwillkürlich aus, wie es wohl wäre, wenn ich jetzt stattdessen auf diesen mintgrünen Polstern säße. Wie ich bei Grams einen Teller voller Pfannkuchen in mich reinschlingen würde, mit zu viel Butter und echtem Ahornsirup. Die Hälfte meines Abschlussjahrs wäre schon rum. Die berühmte Barnwicher Christbaumilluminierung stünde bevor.

Hätte ich dabei immer noch Caroline Beckett neben mir?

»Ms James? Passt das so oder zwickt es irgendwo?«, fragt die Hairstylistin und rückt eine schnurgerade silberne Perücke auf meinem Kopf zurecht.

»Hm?« Ich schüttle mich zurück in die Realität, kurz erschreckt von meinem futuristischen Ebenbild im Spiegel. »Oh, klar. Alles gut.«

Keine Ahnung, warum ich hier von Barnwich träume, wo ich doch in LA sitze und genau das Traumleben führe, das ich mir immer gewünscht habe.

Caroline

»Erste Halbzeit gleich überstanden«, stöhnt Austin neben mir und reicht Nicole Plesac, dem Star unserer Mädchen-Basketballmannschaft, eine Flasche Gatorade.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es fast noch zehn Minuten sind bis zum Halbzeitpfiff.

»Gleich?«, schnaube ich. Nicole pfeffert die leere Flasche in unsere Richtung und trabt aufs Spielfeld zurück. Trotz unserer Bemühungen scheitern wir beide daran, sie aufzufangen, bevor sie zu Boden fällt.

Genau dieses athletische Ausnahmetalent ist es, weshalb wir seit der Neunten diese Mannschaft managen müssen. Barnwich High ist so winzig, dass es eine Spielen-oder-betreuen-Regelung gibt, und die Betreuung des Mädchen-Basketballteams war nicht nur unsere Rettung vor dem Sportunterricht, sondern auch die sicherste Bank. In der Halle. Viele Zugeständnisse. Kurze Spiele.

Manchmal nicht kurz genug.

»Pssst! Beckett!«

Als ich mich umdrehe, sehe ich oben in den Rängen Maya mit Finn und seinen zwei Footballkumpels rumalbern, L.J. und Antonio. Sie hat tatsächlich was drauf im Fußball, weshalb sie sich nicht damit rumschlagen muss, Wasserflaschen zu befüllen und miefige Trikots zu waschen.

Unsere Blicke treffen sich und sie dreht den Kopf so überhaupt nicht auffällig in Richtung der Cheerleader und formt mit den Lippen: »Taylor. Schaut. Dich. Ständig. An.«

Finn schickt mir ein breites Grinsen und ein Daumen hoch, begleitet von einem anzüglichen Augenbrauengewackel von L.J. hinter ihm, doch ich verdrehe nur die Augen und richte meinen Blick wieder aufs Spielfeld. Trotzdem kann ich es mir nicht verkneifen, mir eine Strähne hinters Ohr zu schieben und zu den grün-weiß gekleideten Cheerleaderinnen rüberzuspähen.

Und siehe da, Taylor Hill schaut mich tatsächlich an.

Sie lächelt mir so breit zu, dass ihre weißen Zähne in der Neon-Hallenbeleuchtung nur so blitzen.

Ich winke verkrampft und krame mein eigenes strahlendes Lächeln hervor, doch meine Gesichtsmuskeln haben völlig vergessen, wie’s geht. Bevor ich mich weiter blamieren kann, gehe ich hinter Austin in Deckung.

»Meisterhaft«, sagt er. Ich sehe ihn strafend an und hoffe darauf, im hochglanzpolierten Hallenboden zu versinken und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

Bis zur Halbzeit halte ich durch, ohne wieder zu Taylor zu schielen. Während Austin und ich Wasser und Handtücher an die Spielerinnen verteilen, kommen Taylor und ihre Kolleginnen auf den Platz getrabt und vollführen dabei Räder und Handstandüberschläge, bei denen ich mir das Genick brechen würde. Ich sehe, wie sie an der Schulter von Coach Gleason vorbeiturnt und tja …

Tja.

Gut sieht sie aus, keine Frage.

Schönes Gesicht, schöne Haare, schöne …

Mir schießt das Blut in die Wangen und ich schaue schnell weg, räume geschäftig die Flaschen zurück in den Träger.

Kann gut sein, dass meine Ansprüche zu hoch sind. Vielleicht ist das ja einfach mal ein erster Schritt?

Ich reiße mich aus meinen Taylor-Hill-Grübeleien und setze mich neben Austin, der sich seinerseits von seinem Handy losreißt. »Finn hat gerade gemeint, alle gehen nach dem Spiel noch ins Barnwich Brews auf eine heiße Schokolade. Kommt mir sehr entgegen, weil ich inzwischen das perfekte Rezept für den Wettbewerb entwickelt habe. Intensiv, süß, aber eben nicht allzu süß, verstehst du?« Seine Daumen tippen bereits die Antwort. Der Heiße-Schokolade-Wettbewerb ist eine richtig große Sache hier. Wer ihn gewinnt, erntet einen Batzen Bargeld, stadtweiten Ruhm und die Ehre, die Weihnachtsbaumbeleuchtung einzuschalten. Die Tradition existiert bereits seit sechzig Jahren, aber die Ehrenrolle mit dem Anknipsen ist erst vorletztes Jahr eingeführt worden, um die Leute von außerhalb zum Teilnehmen zu verlocken. Mit überschaubarem Erfolg.

Aber eine Sache ist klar: Dieses Jahr muss Austin gewinnen. Er hat unentwegt an diesem Rezept getüftelt und nach drei hart umkämpften Wettbewerbsrunden steht er jetzt quasi unangefochten im Finale.

Er stupst mich fragend in die Seite. »Bist du dabei?«

Seufz. »Argh. Ich würde ja so gerne, aber ich muss erst mal bei der Zeitung eine Katastrophe abwenden. Kendall hat die Formatierung völlig verhunzt, ausgerechnet beim …«

»Hi!«

Eine schnaufende Taylor Hill unterbricht mich mitten im Satz, indem sie sich zwischen uns auf die Bank fallen lässt und mit ihrem Arm gegen meinen streift.

»Hi«, sage ich, spüre den Blick aus ihren blauen Augen mit dem silbrig schimmernden Lidschatten auf mir.

Sie riecht gut. Frisch. Wie saubere Wäsche.

»Kommst du nach dem Spiel noch mit ins Barnwich Brews?«

»Gerade hatten wir davon gesprochen«, sagt Austin und grinst mich über Taylors Kopf hinweg durchtrieben an. »Sie hat schon an einer Ausrede gebastelt, von wegen Schülerzeitung und so.«

»Komm doch mit«, sagt Taylor und knufft mich in die Seite. »Ich würd dich so gern öfter sehen!«

»Also, ich … hm …« Ich eiere herum, irgendwas an ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Art, mich anzuschauen, bringt mich aus dem Tritt. Ich kenne das von irgendwoher. Dieses … fast Herausfordernde.

Kurz habe ich Arden vor Augen, mir gegenüber in der Sitznische im Edie’s, wie sie sich zu mir vorbeugt und die Mutprobe bereits mit den Augen einfordert, bevor sie sie überhaupt ausspricht.

Das Bild kann ich beiseiteschieben, aber die Herausforderung hängt weiter in der Luft. Denn ich könnte ja im Grunde wirklich einfach Caleb Harvey auf die Formatierung ansetzen. Der steht schon in den Startlöchern, um nächstes Schuljahr die Chefredaktion zu übernehmen, und ist eifrig zu jeder Hilfsaktion bereit. Manchmal ein bisschen zu eifrig. Aber es wäre doch nett, mal einen Abend Bewerbung Bewerbung, Schule Schule und die Zeitung einfach Zeitung sein zu lassen. Mal an was anderes zu denken oder sogar an eine andere. Wieder habe ich diesen glasigen Blick vor mir, wie verändert sie doch jetzt ist. Vielleicht könnte ich mich auch verändern, wenn ich jetzt ausnahmsweise mal mitmache. »Ja, ich, äh … Caleb Harvey? Vielleicht könnte der …«

»Was könnte Caleb Harvey?«, fragt Taylor mit einem belustigten Lächeln.

»Die Zeitung … er könnte …« Ich schüttle den Kopf und versuche, mich zusammenzureißen. »Also kurz mitkommen kann ich, glaub ich, schon irgendwie.«

Wow. Faszinierend und rätselhaft zugleich, Beckett.

»Taylor!« Coach Stevens von den Cheerleadern hat die Hände in die Hüften gestützt und zeigt so energisch mit dem Kinn zum restlichen Team, dass ihr dunkler Pferdeschwanz hochfliegt.

»Ich muss«, sagt Taylor und zupft mir ganz nebenbei ein Staubkorn von der Schulter. »Bis nach dem Spiel.«

»Bis nachher«, rufe ich ihr einen Takt verspätet nach, was Austin zu einem leisen Pfiff veranlasst.

»Aua. Das tat ja schon beim Zuschauen weh.« Er rückt in die Lücke, die Taylor hinterlassen hat. »Deine Flirtkünste scheinen von Julie Shapiro jedenfalls nicht profitiert zu haben.«

»Ach, halt doch die Klappe.«

Nachdem unser Team gewonnen hat, machen wir uns mit Maya auf, um die anderen bei Finns Kleintransporter zu treffen, der unter dem orangen Licht einer Straßenlaterne geparkt hat.

»Nun denn, Beckett«, feixt Antonio, als wir näher kommen, und wechselt einen vielsagenden Blick mit dem ebenfalls grinsenden L.J. »Taylor Hill?«

»Schnauze, Antonio«, sagen Maya und Finn wie aus einem Mund. Finn zerrt Antonio sogar noch sicherheitshalber die schwarze Mütze übers Gesicht.