Zyklus - Patrick Stark - E-Book

Zyklus E-Book

Patrick Stark

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Beschreibung

Eine uralte Macht. Verborgen – und doch allgegenwärtig in ihrem Einfluss. Ein ewiger Zyklus. Unaufhaltsam verwoben mit dem Schicksal der Menschheit. Was würde ein Wesen sehen, das seit Jahrtausenden über die Welt wacht? Würde es Bewunderung empfinden – oder Enttäuschung? Würde es Hoffnung sehen – oder Verfall? Seit Anbeginn der Zivilisation gibt es eine unsichtbare Kraft, die die Menschheit lenkt. Nicht als Gott, nicht als Herrscher, sondern als stiller Architekt der Geschichte. Ein Wächter, der beobachtet, formt und lenkt – bis seine Zeit abläuft. Denn Macht ist nicht für die Ewigkeit. Sie wird weitergegeben, immer und immer wieder, in einem Zyklus, den niemand durchbrechen kann. Nun steht ein neuer Wechsel bevor. Hoch über der Welt, auf einem Berg, der seit jeher als heilig gilt, wird eine Entscheidung getroffen, die alles verändern könnte. Der Wächter blickt zurück – auf Jahrhunderte des Aufstiegs und Niedergangs, auf Kriege und Frieden, auf Fortschritt und Zerstörung. Was hat er erreicht? Was hat er versäumt? Und was wird sein Nachfolger aus all dem machen? Doch diesmal scheint etwas anders. Eine leise Unruhe liegt in der Luft, ein kaum greifbarer Zweifel. Ist es wirklich nur ein weiterer Wechsel – oder steht die Menschheit an der Schwelle zu etwas völlig Neuem? Eine Reise durch Zeit und Erinnerung. Ein Blick auf die Menschheit durch die Augen eines Wesens, das sich stets außerhalb von ihr wähnte – bis es erkannte, dass nichts wirklich außerhalb steht. Und dass manche Erkenntnisse zu spät kommen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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Impressum

Veröffentlicht im Selbstverlag

1. Auflage 2025

ZYKLUS

Vorwort

Ich habe mal irgendwo gehört: „Das Schwierigste daran, ein Buch zu schreiben, ist anzufangen, ein Buch zu schreiben.“ Das kann ich nur bestätigen. Die grundlegende Geschichte dieses Buches schwirrt mir schon seit über zwanzig Jahren im Kopf herum. Aber sind wir doch mal ehrlich: Das Leben gibt einem keine Zeit, ein Buch zu schreiben. Es sagt nicht: So, jetzt ist der richtige Zeitpunkt! Setz dich mal gemütlich hin und leg los!

Das gleiche Prinzip gilt übrigens für so viele Dinge im Leben. Für vieles gibt es nicht den perfekten Zeitpunkt. Oft begreift man das aber erst, wenn es zu spät ist. Wie oft erwischt man sich dabei, zu denken: Hätte ich mal! Wäre ich doch!

Genauso lange, wie mir diese Geschichte im Kopf herumgespukt ist, genauso lange hatte ich vor, sie irgendwann niederzuschreiben. Irgendwann halt – wenn ich Zeit habe, wenn der richtige Zeitpunkt kommt.

Und dann? Job, Frau, Kinder, dies, das – und hoppla, zwanzig Jahre sind rum. Das soll jetzt auch kein Vorwurf an jemanden sein, auch nicht an mich. Wichtig war, dass der Wunsch, dieses Buch zu schreiben, erhalten blieb.

Der Knackpunkt war dann tatsächlich der Anfang. Ich dachte immer, ich schreibe Wort für Wort und Satz für Satz – gleich perfekt, strukturiert und fertig. Tja, so hätte ich nie angefangen.

Tatsächlich habe ich die Geschichte erst einmal aus meinem Kopf geschrieben – im wahrsten Sinne des Wortes. Ohne wirklichen Zusammenhang, ohne Struktur, nur mit der Motivation, sie endlich aus meinem Kopf zu bekommen.

Da war der Anfang gemacht – und wenn man mal angefangen hat, will man es auch zu Ende bringen. Das Grundgerüst hatte ich dann und es ging „nur“ noch um die Ausarbeitung.

Natürlich haben mir bei der Recherche Google und ChatGPT geholfen. Ich wollte historisch so akkurat wie möglich sein und die Orte präzise beschreiben. Ohne das Internet ist das fast nicht möglich.

Nun will ich Sie aber nicht weiter aufhalten und hoffe von Herzen, dass dieses Buch Ihnen gefällt, Sie fesselt, berührt oder sogar zum Nachdenken anregt.

Jede Geschichte wird erst durch ihre Leser lebendig – und Ihre Meinung bedeutet mir viel. Wenn Ihnen das Buch gefallen hat, würde ich mich über eine positive Bewertung sehr freuen. Sie hilft nicht nur mir als Autor, sondern auch anderen Lesern, die noch auf der Suche nach ihrer nächsten Geschichte sind.

Vielen Dank, dass Sie sich auf diese Reise eingelassen haben – und viel Freude beim Lesen!

Für die Kinder der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Prolog

Der Raum war in sanftes Dämmerlicht getaucht. Über dem Tisch hingen einfache Öllampen, deren Flammen zuckten und flimmerten, die Wände der Kammer in schwankende Schatten hüllend. Der Duft von warmem Brot und kräftigem Wein mischte sich mit der kühlen Luft, die von den spärlich verteilten Fenstern hereinkroch. Es war eine schlichte, unauffällige Stube, aber in diesem Moment war sie der Mittelpunkt einer unermesslichen Veränderung, ohne das jemand es ahnte. Der Tisch, ein massives Stück aus grobem Holz, nahm beinahe den gesamten Raum ein. Es war kein Tisch für Feste oder Zeremonien, sondern ein Ort, an dem Entscheidungen getroffen wurden, die das Schicksal vieler beeinflussten. Die Rillen im Holz, die Abnutzungsspuren der Zeit, ließen erahnen, dass dieser Tisch schon vielen Menschen gedient hatte. Die Spuren, die sie hinterließen, waren in das Holz eingeschnitten wie ein Gedächtnis an all die Gespräche, die stattgefunden hatten. Ein Kratzer an einer Ecke, dort, wo ein unruhiger Arm immer wieder auf den Tisch gestützt wurde. Ein Brandfleck, hinterlassen von einem überhasteten Feuer, das bei einer hitzigen Diskussion fast außer Kontrolle geraten war. Auf der Oberfläche des Tisches fanden sich die Rillen von Messern, die in hastigen Bewegungen über das Holz fuhren, als hätte der Tisch den Ärger und die Frustration der Menschen ertragen müssen, die ihn benutzten. Manche Flecken hatten sich tief in das Holz gegraben – Reste von Wein, der während hitziger Diskussionen über wichtige Entscheidungen verschüttet wurde, oder Spuren von Tränen, die über den Tisch flossen, als Menschen ihre Niederlagen eingestanden und den Schmerz des Verlustes akzeptierten. Diese markanten Stellen waren Zeugen von Momenten der Verzweiflung und des Zögerns, als der Preis der Entscheidungen zu schwer auf den Schultern der Beteiligten lastete. Die Stille, die den Raum erfüllte, war beinahe zerreißend. Nur das gelegentliche Geräusch eines Holzbechers, der über die verfurchte Tischplatte gezogen wurde oder das leise Knacken von Brot war zu hören. Der Wein, dunkel und rot wie Blut, spiegelte sich in den Bechern, die an den Händen der Versammelten ruhten. Sie saßen eng beieinander, ihre Körper in schlichte, dunkle Gewänder gehüllt, die im schwachen Licht der Öllampen fast zu einem einzigen, einheitlichen Ganzen verschmolzen. Die Stoffe waren abgenutzt, die Kanten zerrissen, als hätten sie oft das gleiche Leben geführt – das Leben des Reisens, des Wanderns und des ständigen Wechsels. Die Farben waren verblasst, ein tiefes Braun, dunkles Blau und Grau, die Töne, die sich in der Dämmerung fast mit der Umgebung vermischten. Ihre Gesichter waren jung, doch in ihren Zügen lag eine Tiefe, die nicht jedem Alter eigen war. Manche trugen die markanten, wettergegerbten Spuren eines Lebens voller Reisen – ihre Haut gezeichnet von Sonne und Wind. Andere strahlten eine stille Zurückgezogenheit aus, ihr Blick nach innen gerichtet, als wären sie in Gedanken verloren. Einige ließen ihre Augen flüchtig durch den Raum wandern, auf der Suche nach etwas Unbestimmtem, das sich ihnen entziehen mochte, während andere den Blick beinahe scheu senkten, als versuchten sie, der wachsenden Spannung auszuweichen. Ihre Hände lagen meist ruhig auf dem Tisch, ab und an das nervöse Zucken eines Fingers verriet, dass der Moment auch ihre Ruhe aufbrach. Die Fingernägel waren nicht gepflegt, die Haut grob, von Arbeit und Strapazen gezeichnet. Ein leichter Duft von frischem Brot, Schweiß und dem Rost von alten Metallwaren ging von Ihnen aus, ein Aroma, das an die Weite und Schlichtheit des Lebens erinnerte, das sie führten. Manche trugen Sandalen, deren Sohlen vom oft harten Boden abgenutzt waren. Andere hatten ihre Füße barfuß auf den Boden gestellt, als ob sie mit dem Raum verschmelzen wollten, als ob sie nicht mehr wussten, wo der Boden und der Tisch endeten. Ihre Körperhaltung war von einer unbestimmten Mischung aus Müdigkeit und Erwartung geprägt – eine Haltung, die sowohl dem langen Weg als auch dem Gefühl der nahenden Veränderung geschuldet war. Und doch, trotz all der Unterschiede, die sie ausmachten – der Altersunterschied, die Haltung, der Ausdruck in ihren Augen – schien sie etwas Gemeinsames zu verbinden, etwas, das sie an diesem Tisch hielt, an diesem Moment, der sich so unwiederbringlich anfühlte. Etwas, das ihnen die Worte zu rauben schien, sie aber dennoch in der Dunkelheit umhüllte. Er saß am Kopf des Tisches, die Hände ruhig vor sich auf dem Holz abgestellt, als hätte er den Raum in seiner Gesamtheit bereits erfasst. Sein Blick war nach innen gerichtet, als ob er etwas jenseits des Moments sah – etwas, das den anderen verborgen blieb. Die Öllampen warfen flackernde Lichter auf sein Gesicht, doch die Züge blieben ruhig, beinahe unnahbar. Eine Tiefe lag in seinen Augen, eine Melancholie, die mehr verriet als Worte es je könnten. Es war, als ob er die ganze Geschichte der Versammelten in einem einzigen Blick überblickte und dabei etwas sah, das keiner von ihnen in der Lage war zu begreifen. Seine Kleidung war schlicht, aus dunklem Stoff, der sich fließend um seinen Körper legte, ohne sich aufzudrängen. Die Falten des Gewandes waren nicht störend, sondern gaben seinem Auftreten eine fast meditative Ruhe. Doch trotz der Schlichtheit der Kleidung hatte er eine Präsenz, die den Raum ausfüllte, als könnte alles, was er tat, bedeutend sein. Die Art und Weise, wie er saß, hatte etwas Unverrückbares, als ob er für den Moment und alle, die ihn umgaben, der Mittelpunkt der Welt war. Seine Haare, dunkel und leicht gewellt, fielen ihm in unregelmäßigen Strähnen über die Stirn, als wollten sie den Ernst seiner Züge betonen. Doch seine Miene war weit mehr als nur ernst – sie trug eine Mischung aus Weisheit und Sanftheit, die in den unruhigen Blicken der anderen nicht zu finden war. Wenn er sprach, war es mit einer Stimme, die die Luft selbst zu füllen schien, leise, aber fest. Jede seiner Bewegungen war bedacht, als würde er nie etwas tun, ohne es vorher in seinem Inneren zu erwägen. Es war jedoch nicht nur seine äußere Erscheinung, die die Atmosphäre bestimmte, sondern die stille Ausstrahlung von etwas Tieferem, das in ihm zu wohnen schien. Etwas, das die anderen nicht zu benennen wussten, aber was sie gleichzeitig unbewusst zu ihm hinzog. Manchmal sah es aus, als ob er mehr wusste, als er preisgab, als ob seine Gedanken schon längst der Zeit voraus waren. Seine Augen ruhten für einen Moment auf jedem der Versammelten, und in diesen flüchtigen Blicken war mehr als nur der Kontakt zwischen zwei Menschen – es war ein Verstehen, das in der Luft hing, ohne dass es ausgesprochen wurde. Er sprach wenig, doch jeder Satz, der über seine Lippen kam, hatte das Gewicht von etwas Bedeutendem. Wenn er den Raum ansah, schien es, als ob er in den Augen eines jeden etwas las, was sie selbst noch nicht erkannten. Die Spannung, die in seinen Bewegungen lag, war ein stilles Versprechen, dass das, was in dieser Nacht geschehen würde, von weit größerer Tragweite war, als sie je ahnen könnten.

Ich saß mit ihnen, mitten unter ihnen, und beobachtete die Bewegungen, die Blicke. Der Wein war süß, das Brot weich, doch der Geschmack lenkte mich nicht von meiner Konzentration ab. Meine Augen glitten über die Gesichter der Männer um mich, jedes einzelne von ihnen in seiner eigenen Welt gefangen, so ahnungslos, so bereit, sich von den Ereignissen, die sich langsam um sie herum schlossen, mitreißen zu lassen. Ihre Worte flossen träge, überflüssig, während ihre Hände zitterten – vor einer inneren Unruhe, die keiner von ihnen benennen konnte. So viele Schwächen, so viele Lücken, die es zu füllen galt. Ein leichtes Lächeln stieg in mir auf, unsichtbar für die anderen, während ich die Jünger musterte. Der eine, der immer zu viel sagte, zu laut und doch zu wenig – ein Drama in jedem Blick, eine Schwäche in jeder Geste. Er wollte gesehen werden, aber er konnte nicht verstehen, dass ich ihn längst durchschaut hatte. Der andere, der schweigsame, der sich immer etwas zu bedeckt hielt, als könne er sich hinter einer Mauer aus Geheimnissen verstecken. Er glaubte, er würde sicher sein. Ich hatte noch nie einen schwächeren Charakter gesehen, einen, der sich selbst so sehr belog. Es war fast zu einfach, ihn zu beobachten, wie er sich im Inneren zerbrach. Und dann war er da, der Dritte. Der, der nichts sagte, der, dessen Blicke immer wieder zwischen den anderen hin und her flogen, als ob er auf der Suche nach etwas war, das er nicht finden konnte. Etwas, das ihm längst entglitten war, aber er wusste es noch nicht. Er war der den ich erwählt hatte. Ich wusste, was er dachte, was er fühlte, was ihn quälte. Er war der Schlüssel, der letzte notwendige Schritt. Ein kleinster Zweifel, ein kleiner Stoß, und der Plan würde beginnen. Und während ich über sie alle nachdachte, landeten meine Augen auf ihm – dem Mittelpunkt dieser seltsamen Versammlung, dem einzigen, der ruhig blieb, der das Gewicht der Welt auf seinen Schultern zu tragen schien, ohne einen Laut von sich zu geben. Unsere Blicke trafen sich. Ein kurzer Moment. Ein Austausch, der mehr bedeutete als jedes Wort, das wir je hätten sagen können.

Worte hatte er viel gebraucht. Im Worte gebrauchen war er sehr gut. Oder eher im Worte verbrauchen, dachte ich und hätte beinahe laut losgelacht. Wir hatten in den letzten Tagen viel gesprochen. Genau genommen hatte er viel gesprochen, und ich hatte ihm, wie immer, geduldig zugehört und nur selten etwas gefragt oder kommentiert. Es schien, als hätte er die unermüdliche Vorstellung, dass ich seine Worte wirklich hören wollte. Er redete von Liebe, von Vergebung, von einer besseren Welt, die durch die Menschen entstehen könnte. Und jedes Mal, wenn er sprach, dachte ich: Was bringt das? Was haben diese Worte jemals verändert? Natürlich hörte ich ihm zu. Es war nicht so, dass ich seine Worte einfach ignoriert hätte. Aber ich war weit davon entfernt, erleuchtet zu werden. Irgendwo, tief in mir, wollte ich diesen Moment nur hinter mich bringen. Was sollte ich aus diesen Gesprächen wirklich lernen? Was hatte ich davon, wenn er immer wieder dieselben idealistischen, fast kindlichen Vorstellungen über das Gute in den Menschen äußerte? Er erzählte auch von den dunklen Dingen, die Menschen taten. Das interessierte mich mehr. Aber er blieb in diesen Dingen immer wage, obwohl man nur die Augen aufmachen musste wenn man durch die Straßen ging. Jerusalem war in diesen Tagen ein brodelnder Kessel aus Gläubigen, Soldaten und Intrigen. Die engen Gassen rochen nach Schweiß, Tiermist und abgestandenem Wein. Händler schrien ihre Preise heraus, Pilger drängten sich aneinander, während römische Soldaten in ihren Rüstungen durch die Menge patrouillierten – wachsam, misstrauisch.

Einmal stand ich im Schatten eines Torbogens, beobachtete ohne Interesse die vorbeifließenden Menschen. Plötzlich ein Tumult in der Menge. Ein Mann, vielleicht ein Dieb, vielleicht einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort, wurde von zwei Soldaten gepackt. Er schrie etwas – Unschuldsbeteuerungen? Flüche? Es spielte keine Rolle. Einer der Römer rammte ihm den Schaft seines Speers in den Bauch, der andere trat ihm die Beine weg. Er fiel in den Staub, keuchte, hustete. Die Menge teilte sich, niemand wollte sich einmischen. Dann das Urteil – schnell, ohne großes Aufsehen. Ein Schwert, ein sauberer Schnitt. Der Kopf fiel schwer auf die Steine, rollte ein Stück weiter, blieb vor einem Gemüsestand liegen. Eine Frau unterdrückte einen Schrei, der Händler fluchte, weil Blut auf seine Ware spritzte. Die Soldaten zogen weiter, als wäre nichts geschehen. Ich konnte mir schon vorstellen, was er gesagt hätte. Er hätte den Blick gesenkt, vielleicht einen Moment geschwiegen, als würde er in der Stille mehr hören als in den Schreien der Welt. Dann hätte er etwas gesagt wie: "Auch für ihn." Vielleicht hätte ich nachgehakt, genervt, ungläubig: "Für wen?" Und er hätte einfach genickt, auf den Peiniger gezeigt, den Mann mit dem blutigen Speer, das Lächeln im Gesicht, Blutspritzer an den Händen. "Für ihn auch. Für sie alle. Vergebung." Und ich hätte nichts geantwortet. Weil es keine Antwort gab, die ihn zufriedengestellt hätte, sondern nur die Augen verdreht. Wie hatte er nur so werden können? Wo war der Anführer, der klare Ziele hatte, der wusste, dass die Welt sich nicht durch leere Worte ändern ließ, sondern nur durch Macht, durch Kontrolle, durch das, was die Menschen wirklich brauchten: Struktur durch einen Herrscher der ihnen durch seineÜberlegenheit zeigte wie sie zu funktionieren hatten. Aber jetzt stand er hier, auf einem Podium der moralischen Überlegenheit, redete von selbstloser Hingabe, von der Fähigkeit zur Vergebung und der Hoffnung, dass die Menschen sich eines Tages ändern könnten. Dabei hätte er die Macht gehabt sie einfach zu lenken. Wenn nötig mit Gewalt. Ich verstand es nicht. Es verwirrte mich. Wie konnte er, der all das Leid, all diese Schwächen der Menschen gesehen hatte, noch immer glauben, dass sie sich ändern könnten? Ändern, was für ein schwammiges Wort. Wenn ich noch einmal das Wort Glaube hörte, konnte ich nicht garantieren, dass ich nicht einfach aufspringen und aus dem Raum gehen würde. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Wenigstens wusste ich jetzt, was er von mir wollte. Was er meinte mit „Ich soll die Menschen nicht verurteilen.“ Als ob sie es nicht verdient hätten. Als ob sie nicht immer wieder gegen das ankämpften, was er zu vermitteln versuchte. Wie viele Male hatte ich von diesen Versuchen gehört? Immer wieder wurden sie mit denselben Fehlern konfrontiert und wieder scheiterten sie. Und doch redete er von „Vergebung“. Es war einfach nur ein langatmiger Gedankenschwall, ohne wirklichen Nutzen. Ich wusste, was zu tun war. Ich wusste, dass dieser Moment irgendwann vorbei sein würde, genauso wie alle anderen Momente. Es musste sein, es war das, was immer geschah. Und am Ende würde ich bekommen, was ich wollte, ganz gleich, wie viele Menschen sich an diesen trügerischen Worten festhielten. Aber während er mir weiterhin von Hoffnung und Liebe erzählte, konnte ich nichts anderes denken als: Wie lange dauert es noch, bis er endlich tut, was getan werden muss? Und er wusste es auch. Er wusste, was kommen musste. Und er wusste, dass er es nicht verhindern konnte. So war der Lauf der Dinge. Es musste so kommen. Der Tod musste kommen, damit der Zyklus fortbestehen konnte. Und er war derjenige, der das Opfer bringen musste. Er könnte wüten, alles beenden – er könnte sie alle vernichten. Doch das war nicht die Lösung, die er suchte. Nein, er wusste, dass er sich nicht gegen das Schicksal stellen konnte, das bereits in Bewegung war. Es war zu spät für ihn. Die Zeit war abgelaufen und er wusste es. Ich konnte fast das Knistern in der Luft spüren, die Spannung, die sich zwischen uns aufbaute, während wir uns in diesem flüchtigen Moment am Tisch stumm verständigten. Der Moment war gekommen, in dem er sich entscheiden musste wo es geschehen sollte. Das "Wie" hatte ich entschieden. Es war immer so. Es musste immer so sein. Der Weg war längst vorgezeichnet, und jeder von uns war nur ein kleiner Teil in einem Spiel, das viel älter war, als sie es je begreifen könnten. Die anderen sahen uns nur flüchtig an, bemerkten den Blickaustausch nicht, die stille Kommunikation, die zwischen uns aufblühte. Für sie war es nur ein weiterer Moment der Stille, einer von vielen, in dem sie versuchten, etwas zu begreifen, ohne je zu wissen, was sie begreifen sollten. Sie ahnten nicht, dass die Zukunft, die sie kannten, sich im Bruchteil dieses Augenblicks verändern würde. „Einer von euch wird mich verraten“, sprach er ruhig, fast als ob es eine beiläufige Bemerkung wäre. Doch die Worte fielen schwer in die Stille des Raumes. Die Jünger erstarrten, die Luft wurde dichter, als hätten die Wände selbst die Bedeutung dieser Worte verstanden. Ich beobachtete sie, mit einem kleinen, unsichtbaren Lächeln in mir, das nicht auf meinen Lippen, sondern tief in meinem Inneren spielte. Ihre Blicke, die einander suchten, waren ein Schauspiel für sich – ein schwaches Zucken der Unsicherheit, ein nervöses Blinzeln. Sie wussten nicht, wie wenig sie wussten. Es war amüsant, wie sie versuchten, das Unaussprechliche in ihren Köpfen zu entwirren, als ob sie tatsächlich eine Antwort finden würden. Ihre Gedanken wirbelten wild, ihre Blicke flogen über den Tisch – ein jeder von ihnen schien zu glauben, es könnte ein anderer sein, der das Unaussprechliche tat. „Bin es etwa ich, Herr?“, fragte der eine mit einer Stimme, die so zitterte, dass sie fast nicht zu hören war. Der Blick, den er auf den Mann gegenüber richtete, war voll von demütiger Entschuldigung, als könnte er sich für das Vergehen entschuldigen, das er noch nicht begangen hatte. Es war nicht zu übersehen, wie er die Schärfe der Frage, die in der Luft lag, von sich abwenden wollte. Seine Angst war so offensichtlich, dass sie fast greifbar wurde. Ich konnte das Spiel sehen, das in ihren Köpfen spielte. Die Gedanken, die so offensichtlich auf der Zunge lagen, und doch waren sie nicht in der Lage, sie auszusprechen. Sie versuchten sich zu schützen, indem sie sich gegenseitig beschuldigten, indem sie versuchten, sich von dem Verdacht zu befreien, der nun in der Luft lag. Jeder einzelne von ihnen fürchtete, er selbst könnte es sein, der diesen gewaltigen Fehler beging. Aber sie verstanden nicht, dass der Verrat schon längst geschehen war. Ich konnte es nicht lassen. Ein leises Lachen stieg in mir auf – ein inneres, eisiges Lächeln, das nie an die Oberfläche drang. Wie leicht es war, sie zu manipulieren, wie durchlässig ihre Gedanken, wie angreifbar ihre Sicherheiten waren. Da saßen sie, diese Männer, die dachten, sie könnten irgendeine Form von Kontrolle über das Geschehen haben, die versuchten, sich mit ihren unschuldigen Fragen aus dem Blickfeld zu ziehen. Sie ahnten nicht, dass sie längst in das Netz aus Lügen und Zweifeln verstrickt waren, das ich selbst webte. „Bin es etwa ich?“, fragte der nächste, der seine Stimme versuchte, stärker klingen zu lassen, als sie war. Die Anspannung war fast unerträglich. Sie alle zitterten, ohne es zu wissen, und keiner von ihnen konnte ahnen, dass sie die Antwort schon längst gehört hatten. Sie alle wollten wissen, wer es war. Der Raum füllte sich mit Fragen, mit unsinnigen Versuchen, die Wahrheit zu begreifen, die ihnen auf der Zunge lag, aber nie in ihren Köpfen ankam. Sie waren blind, wie immer. Blind und naiv. Und während sie sich weiter untereinander befragten, konnte ich den bitteren, würzigen Geschmack des Triumphes nicht mehr unterdrücken. Ich war der Puppenspieler, und sie, sie tanzten alle nach meiner Pfeife. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis derjenige, den ich ausgewählt hatte, den ersten Schritt machen würde. Und dann, als der Lärm von Fragen und Zweifeln am Lautesten war, traf mein Blick auf seinen. Der Moment war da, und ich übwemittelte ihm, dass er es war. Keiner der anderen. Nur er. Ich fühlte es. Er fühlte es. Aber niemand sonst wusste es. Kein Wort, – nur eine Stille, die uns beide umfing, während alle anderen sich in ihren eigenen Ängsten verloren und weiter diskutierten wer das Unaussprechliche vollbringen könnte. „Bin ich es, Rabbi?“, kam die Frage dann, leise, beinahe unhörbar, aus der Ecke, wo er saß. Die Worte flossen nicht wie eine Frage, sondern eher wie eine Bestätigung von etwas, das tief in ihm brannte. Der Blick, den er mir zuwarf, verriet es mir. Der Zweifel, der zu einem unaufhaltsamen Glauben an seine Rolle gewachsen war, hatte ihn längst erfasst. Ich konnte es fast physisch spüren – diese Abwendung vom Zweifel hin zu einem gewissen Wissen. Und dann, ohne ein Wort zu sagen, nickte ich. Unauffällig, kaum merklich, aber doch genug, um ihm die Gewissheit zu geben, die er brauchte. Die Reaktion war minimal, ein kleines Zucken der Augenlider, das ihn weiter in den Strudel der Entscheidung zog. Der den sie Jesus nannten blickte in die Runde, wie um zu prüfen, wie die anderen reagierten, und sprach dann ruhig: „Du hast es gesagt.“ Die Jünger verstummten sofort in ihren Gesprächen untereinander.. Ein Wort, ein flüsternder, unmerklicher Moment, und doch war es, als ob der Raum in diesem Augenblick den Atem anhielt. Nur für den Bruchteil einer Sekunde. Keiner der anderen Jünger verstand. Sie fragten sich, wer der Verräter wohl sei, aber sie wussten nicht, was dieser kleine Austausch zwischen uns bedeutete. Sie sahen nur, dass die Worte in der Luft hingen, ohne sie wirklich zu begreifen. Sie wussten nur, dass etwas Unausweichliches auf sie zukam. Die Luft schien schwerer zu werden, als Jesus sprach: „Was du tust, tu schnell.“ Und in diesem Augenblick verließ er den Raum. Ohne ein weiteres Wort, ohne eine Geste des Zögerns. Der Verräter – der Auserwählte, der das Schicksal lenken würde – erhob sich und ging hinaus in die Dunkelheit der Nacht. Die anderen saßen immer noch am Tisch, jeder von ihnen in Gedanken versunken, ohne zu wissen, was dieser Moment für sie alle bedeutete. Der Raum, der noch von den Worten ihres Messias durchzogen war, schien plötzlich leer. Die Frische des Brotes und des Weines, die noch in der Luft lagen, fühlte sich fremd und unangemessen an. Sie sollten wissen, was passiert, aber sie wussten es nicht. „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, sagte Jesus dann wieder, als ob er die Stille mit etwas heiligem und Unaufhaltsamem füllen wollte. Und als er den Kelch hob, sprach er die Worte, die für alle, die am Tisch saßen, unverständlich waren: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ Nur ich wusste was er wirklich damit meinte. Nun musste ich mich nur noch zurücklehnen und zuschauen.

Es geschah in einem Olivenhain, unter einem bleichen Mond, der die Schatten der Bäume lang über den steinigen Boden zog. Die Luft war schwer von der Kühle der Nacht, aber noch schwerer von dem unausgesprochenen Wissen, das zwischen uns allen hing. Ich stand am Rand der Szene, halb verborgen zwischen den Stämmen, beobachtete. Ich musste nichts tun. Es lief alles ab, wie es musste, wie ich es geplant hatte. Er kam mit ihnen. Eine Gruppe von Männern, bewaffnet, entschlossen, aber nervös. Ihre Rüstungen klirrten leise, als sie durch das hohe Gras traten. Manche hielten Fackeln, deren flackerndes Licht das Bild verzerrte – Gesichter, die im Dunkel verschwanden, nur um im nächsten Moment wieder scharf hervorzutreten. Einer von ihnen wich meinem Blick aus, ein anderer rieb sich unruhig den Nacken. Sie wussten, was sie taten. Und doch zögerten sie. Sie spürten die Aura. Es fiel ihnen nicht leicht, das spürte man. Nicht aber Judas. Er ging voran, den Kopf gesenkt, als wollte er sich unsichtbar machen, und doch stand er im Mittelpunkt. Der Klang seiner Schritte war kaum hörbar, aber jeder in dieser Nacht hörte sie. Sie alle warteten. Ich wartete. Dann blieb er stehen. Sie standen sich gegenüber, der eine mit ruhigem Blick, der andere mit gesenkten Lidern, als könne er nicht ertragen, was er tun musste. Doch es gab kein Zurück. Ich sah wie er seine nach unten hängenden Fäuste ballte als wolle er sich selbst Mut machen. Nun mach schon, dachte ich. Er trat näher. Kein Wort fiel. Kein Laut durchbrach die Stille außer dem fernen Rauschen des Windes. Dann der Kuss. Flüchtig. Leicht. Eine Berührung, die kaum stattfand – und doch das Schicksal besiegelte. Ich spürte, wie sich die Luft veränderte, schwer wurde wie vor einem Sturm. Keiner bewegte sich sofort, nicht die Männer mit den Waffen, nicht die Jünger, die noch nicht wussten, ob sie fliehen oder kämpfen sollten. Alles war für einen Atemzug lang eingefroren. Ich lächelte. Der Kuss war meine Idee gewesen. Ein Moment tiefer Ironie – eine liebevolle Geste, die in Wirklichkeit ein Todesurteil bedeutete. Irgendwie passend nach den ganzen Geschichten über das Gute im Menschen, Vergebung und diese ganzen Schwächen. Plötzlich brach das Chaos aus. Die Soldaten stürzten vor, Arme wurden gepackt, Schwerter gezogen. Einer schrie. Ein anderer stolperte zurück. Ich beobachtete. Ich wusste, dass dies ein Ende war. Aber ich wusste auch, dass es erst der Anfang war. Jesus wurde gefangen genommen. Die Jünger, die wie Schafe ohne Hirten herumliefen, hatten längst alles verloren. Ihre Panik war köstlich, ihre Unsicherheit. Sie dachten, der Welt würde etwas fehlen.

Der Himmel war fahl am nächsten Tag, als wäre das Licht selbst unschlüssig, ob es diesen Tag erhellen sollte. Die Luft war trocken, voller Staub, der sich in der Hitze des Mittags kaum regte. Der Boden unter meinen Füßen war hart und unbarmherzig, eine Mischung aus festgetretener Erde und scharfkantigem Geröll. Kein Leben wuchs hier, kein Grün, kein Zeichen von Fruchtbarkeit – nur Steine, die über Jahrhunderte von Wind und Füßen geglättet worden waren. Golgatha, der Ort der Schädel. Ein passender Name. Ich ließ meinen Blick über das karge Hochplateau wandern, auf dem die Römer ihre Kreuze aufrichteten. Kein Schatten, keine Zuflucht. Ein Ort, geschaffen, um zu leiden. Der Hügel lag nahe an der Stadt, aber doch außerhalb der Mauern, damit die römische Justiz nicht das Heilige schändete. Und doch war es so nah, dass jeder, der durch das Stadttor kam, die Verurteilten sehen konnte – damit sie es sich gut überlegten, bevor sie die Ordnung Roms herausforderten. Das Kreuz selbst war roh, zusammengeschlagen aus Balken, die man zuvor für andere benutzt hatte. Es war kein glattes, fein gezimmertes Werk – es war rau, voller Splitter, dunkle Flecken in das Holz gebrannt von Blut, das hier schon oft geflossen war. Die Nägel waren grob, geschmiedet für Haltbarkeit, nicht für Präzision. Dicke, rostige Eisenstifte, zu klobig, um sich sauber durch Fleisch und Knochen zu treiben. Sie würden reißen, brechen, Schmerz verursachen, der nicht nachließ. Und er – er stand dort, barfuß auf dem schmutzigen Boden, sein Körper von den vorherigen Stunden gezeichnet. Seine Füße waren wund, sein Rücken zerfetzt von der Peitsche. Der Mantel, den sie ihm umgelegt hatten, war ihm längst entrissen worden, zurück blieb nur eine grobe Tunika, die an den Wunden klebte. Der Kranz aus Dornen saß noch immer auf seinem Kopf, das getrocknete Blut hatte sich mit Schweiß vermischt. Seine Augen – sie waren klar, trotz allem. Ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen, als sie ihn mit schweren Hammerschlägen ans Kreuz nagelten. Der Erlöser, der sich selbst opferte, als ob dieser Tod ein großes Opfer wäre. Wie süß von ihm. Ich wusste, was er tat. Der große Moment des Leidens, der „Heilsweg“ – was für ein Theater. Die Stunden zogen sich, als hätte die Zeit selbst beschlossen, sich über diesen Moment lustig zu machen. Drei, vier, vielleicht fünf Stunden? Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich wartete. Stand abseits, beobachtete. Wartete weiter. Er hätte schneller sterben können. Ein sauberer Stich mit einem Speer, ein gebrochener Hals, irgendetwas Effizientes. Aber nein, so funktionierte es hier nicht. Hier musste es dauern. Hier musste es öffentlich sein, ein Spektakel, eine Lektion. Die Römer wussten, wie man ein Exempel statuierte. Sie hingen ihn ans Kreuz, nagelten ihn fest, richteten ihn auf – und dann ließen sie ihn hängen. Einfach so. Ich lehnte mich gegen einen Felsen, die Arme verschränkt, und betrachtete das Schauspiel. Die Menge war immer noch da, wenn auch kleiner geworden. Die Neugierigen, die höhnisch Gelangweilten, die Süchtigen nach Leid – sie standen dort, manche riefen noch Spott, andere schwiegen nur noch, als würden sie sich an die eigene Sterblichkeit erinnern. Es kamen Frauen, die weinten, ein paar Jünger, die sich im Schatten hielten, als könnten sie sich unsichtbar machen. Und dann waren da die Soldaten, die ihn einfach nur bewachten, teilnahmslos, routiniert. Einer spielte mit einem Würfel, während ein anderer mit einem kurzen Dolch ein Stück Brot zerteilte. Er hing dort, und er atmete. Immer noch. Ich beobachtete seine Brust, die sich hob und senkte, langsamer, schwerer. Sein Kopf sank nach vorn, dann hob er ihn wieder. Das Blut, das von seinen Händen und Füßen tropfte, war nicht mehr frisch. Die Wunden verkrusteten, aber das bedeutete nichts. Das eigentliche Problem war das Atmen. Sie starben nicht an Blutverlust, nicht an den Nägeln. Sie erstickten. Langsam. Er rang nach Luft, drückte sich mit den Füßen nach oben, nur um den Schmerz der Nägel in seinen Fersen zu ertragen. Sobald er nicht mehr konnte, sackte er zusammen, seine Lungen konnten sich nicht ausdehnen. Es war ein grausamer Rhythmus, ein Kampf, den er irgendwann verlieren würde. Aber er zog es hinaus. Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Warum dauerte das so lange? Die Sonne brannte, der Staub klebte an meiner Haut. Die Schatten wurden länger, und ich spürte, wie die Geduld in mir schwand. Ich hatte getan, was ich tun musste. Alles war vorbereitet. Es gab nichts mehr für mich zu tun, außer zu warten. Warten, bis er endlich aufhörte zu atmen. Ich seufzte. Bald. Bald war es vorbei. Dann hob er den Kopf, atmete ein letztes Mal tief ein – und ließ los. Sein Körper erschlaffte, sein Kinn fiel auf die Brust. Die Soldaten sahen kurz zu ihm auf, dann zu ihrem Hauptmann. „Tot?“ Einer trat vor, rammte ihm eine Lanze in die Seite. Kein Zucken. Nur ein dunkler Fleck, der sich ausbreitete. Der Hauptmann nickte. „Tot.“ Endlich.

Ich konnte den Moment spüren, als sein Körper sich veränderte. Der letzte Atemzug, die langsame, gezielte Bewegung des Körpers – alles war inszeniert. Als er hing, den Kopf auf der Brust ruhend, schien der Schmerz endlich von ihm abzufallen. Er war gegangen. Doch ich spürte mehr. Ein kurzer telepathischer Austausch zwischen uns – nur ein Augenblick. Ich wusste, was er fühlte. Er wusste, was ich dachte. Diese Verbindung zwischen uns war einmalig, und jetzt, da der Vorhang fiel, wusste ich, dass er sich damit abgefunden hatte. Seine Gedanken, wie ein leises Murmeln in meinem Kopf, sagten nur eines: „Vergib Ihnen“. Selbst seine letzten Gedanken galten den Menschen die ihn gerade an ein Kreuz genagelt und Stunden lang gequält hatten. Ich war angewiedert von seinem Märtyrertum. Dann geschah es – ein Augenblick, in dem die Welt um ihn zu verblassen schien, der Raum selbst an Kontur verlor. Unsere Gedanken flossen ineinander, wurden zu einem einzigen Puls, einer stummen Verständigung, die tiefer reichte als Worte oder das, was der Verstand erfassen konnte. Diese Verbindung war leise, kaum greifbar, und doch durchströmte sie mich wie eine Welle, die eine unendliche Ruhe in mir hinterließ. In diesem Moment war der Raum um uns herum verschwommen, als ob wir in einer anderen Dimension standen – ein Raum jenseits der Zeit und des Greifbaren. Ich konnte seinen Atem spüren, nicht als Geräusch, sondern als etwas, das in meinem Inneren widerhallte. Und dann begann er zu steigen. Langsam, in einem langsamen, fast ehrfürchtigen Zug, hob sich seine Gestalt vom Boden. Es war nicht der Aufstieg eines gewöhnlichen Menschen – es war ein Aufstieg, der das Gesetz der Schwerkraft selbst zu hinterfragen schien. Sein Körper, der sich in diesem Moment von der Erde löste, schien gleichzeitig schwer und leicht zu sein, als würde er von unsichtbaren Kräften getragen, die wir nicht verstehen konnten. Doch dann war da etwas anderes. Ein Zucken, ein flimmerndes Licht, das sich wie ein Hauch von Feuer durch die Luft zog. Plötzlich begannen sich hinter ihm riesige Flügel zu entfalten. Doch diese Flügel waren anders – sie waren nicht aus Feder oder Haut, sondern aus etwas, das zwischen Licht und Schatten schimmerte. Ihre Konturen waren scharf, majestätisch, und sie schienen von einer unbeschreiblichen Kraft getragen. Jeder Schlag dieser Flügel ließ die Luft vibrieren, als ob ein unsichtbares Wesen in Bewegung war. In dem flimmernden Licht konnte ich die Schuppen sehen, die die Flügel bedeckten – winzige, glänzende, reptilienhafte Schuppen, die im Wechselspiel des Lichts glitzerten, als ob sie lebendig wären. Ihre Oberfläche schien mit einer unnatürlichen Tiefe versehen, die sich fast wie ein gelebtes Geheimnis anfühlte. Doch es war nicht nur das, was ich sah, sondern auch das, was ich spürte. Die Luft um uns herum begann sich zu verdichten, ein Knistern zog durch die Luft, als ob sich die Zeit selbst verlangsamte. Seine Augen, jetzt nicht mehr menschlich, sondern schimmernd und von einer unheimlichen Klarheit, reflektierten etwas, das mich in den Bann zog – ein Funkeln, das wie die Augen eines alten, weise gewordenen Wesens erschien. Es war, als ob ein uraltes Wissen in ihnen wohnte, ein Wissen, das die Jahrhunderte überdauerte und das nie gesprochen wurde. Mit jedem kraftvollen Flügelschlag erhob er sich weiter, die Schwingen weit ausgebreitet, voller Erhabenheit. Die Farben des Himmels um ihn herum veränderten sich, reagierten auf seine Präsenz – dunkler, intensiver, während der Wind plötzlich eine fremdartige, beinahe bedrohliche Note annahm. Die Luft schien unter der wachsenden Macht zu flirren, und der Raum selbst verzog sich, als wäre dieser Aufstieg mehr als nur ein physisches Emporsteigen, sondern ein Übergang in eine tiefere Wirklichkeit. Ich wusste, dass er ein Wesen aus Licht, Dunkelheit und einer uralten Kraft war, die über alles hinausging, aber seine wahre Form hatte ich nie gesehen. Die Flügel, nun vollständig entfaltet, leuchteten mit einer unnatürlichen Intensität, die den Himmel zu durchbohren schien. Und in der Ferne, verborgen im Schatten seiner Flügel, konnte ich seine schwarzgrün schimmernden Schuppen erkennen. Ich sah, wie sich der Himmel öffnete, als er sich entfernte. Zurück blieb nur die menschliche Form seiner Hülle, immernoch an das Kreuz genagelt. Ich blinzelte und sah mich um. Außer mir hatte niemand dieses Spektakel wahrgenommen. Es war außerhalb der Zeit geschehen, verborgen vor schwachen, unterentwickelten, menschlichen Sinnen. Breit grinsend starrte ich in den Himmel. In mir war Klarheit. Es war vollbracht. Der Nächste würde kommen. Der Nächste würde das Spiel fortsetzen. Wie es alle zweitausend Jahre sein musste. Wie es der Zykus vorgab.

Ich war der Nächste.

1

Die Straßen von Manhattan waren ein pulsierendes Gewirr aus Menschen, Verkehr und den endlosen Geräuschen der Großstadt. Hupende Taxis stauten sich an roten Ampeln, Fahrer fluchten aus den offenen Fenstern, während Fahrradkuriere waghalsig zwischen den Autos hindurchschossen. Der schrille Klang einer nahenden U-Bahn vibrierte durch die Gitter der Gehwege, vermischte sich mit dem metallischen Quietschen von Bremsen und dem dumpfen Wummern der Musik, die aus vorbeifahrenden Autos dröhnte. Menschen in maßgeschneiderten Anzügen eilten mit ernsten Mienen über die Zebrastreifen, Telefone am Ohr, Kaffeebecher in der anderen Hand. Ein Straßenmusiker mit einer abgenutzten Gitarre saß an einer Hausecke und sang mit rauer Stimme alte Bluesmelodien, während eine Gruppe Touristen mit gesenkten Köpfen ihre Handys studierten, nach dem Weg suchend, verloren in der Weite der Stadt. Der Geruch von gebratenem Fleisch und gegrillten Zwiebeln hing schwer in der Luft, wehte herüber von einem Hotdog-Stand, dessen Verkäufer mit geübten Bewegungen Senf und Ketchup auf weiche Brötchen drückte. Ein Obdachloser mit zerzaustem Bart und müden Augen saß auf einem Stück Pappe, ein Pappschild mit krakeliger Schrift vor sich: "Hungrig. Alles hilft." Die meisten liefen an ihm vorbei, ohne einen Blick zu verschwenden, versunken in ihre eigenen Gedanken, während eine junge Frau stehen blieb und ihm wortlos einen Geldschein in die Hand drückte. Hoch über all dem ragten die gläsernen Fassaden der Wolkenkratzer in den Himmel, in denen sich die untergehende Sonne spiegelte, und irgendwo in der Ferne ertönte das Heulen einer Polizeisirene, der normale Wahnsinn dieser rastlosen Stadt.

Der Wagen, den ich fuhr, hätte nicht auffälliger sein können – ein knallroter Ferrari, dessen glänzender Lack das Licht einfing und zurückwarf, als wollte er jeden Blick auf sich ziehen. Doch die Wahrheit war: Er hätte jede Farbe haben können, jede Form, jedes Modell. Es war nicht der Wagen, der Aufmerksamkeit erregte. Es war meine bloße Anwesenheit. Und doch schien es mir passend, in etwas zu sitzen, das selbst in dieser Stadt, zwischen all den grauen, abgenutzten Fassaden, wie ein Fremdkörper wirkte – ein Symbol für Macht, für Geschwindigkeit, für Vergänglichkeit.

Die Köpfe drehten sich, Blicke folgten mir, die Menschen spürten die Präsenz, ohne sie begreifen zu können. Ich hatte es immer geliebt, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, wenn ich es wollte. Genausogut konnte ich im Schatten verschwinden und niemand hätte mich wahrgenommen. Heute hatte ich aber Lust gesehen zu werden. Ich stellte den Wagen direkt vor dem Eingang des Hotel The Plaza ab, stieg aus und betratt den breiten Gehsteig, auf welchem die Passanten vorbeihetzten. Ich war mir bewusst, welche Wirkung ich hatte. Es war keine Frage von Eitelkeit – es war eine Tatsache. Der Anzug, den ich trug, saß makellos. Maßgeschneidert, tiefschwarz, aus feinstem Stoff, der sich mit jeder Bewegung geschmeidig an meinen Körper schmiegte.

---ENDE DER LESEPROBE---