Aufbruch im Heiligen Land - Fritz May - E-Book

Aufbruch im Heiligen Land E-Book

Fritz May

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Beschreibung

Seit einiger Zeit steht eine bisher weithin unbekannte jüdische Minderheit in den Schlagzeilen der israelischen Medien und im Mittelpunkt des Interesses von Juden und Christen: Sie nennen sich „Messianische Juden“. Wer sind diese neuen Juden, die als die „vierte religiöse Kraft Israels“ bezeichnet werden und die ihren Ursprung auf die Urgemeinde in Jerusalem zurückführen? Was glauben sie? Wie leben sie? Wie halten sie es mit ihrem messianischen Zeugnis? Wie stehen sie zum Judentum und zum Volk, Staat und Land Israel? Sind sie dem Judentum oder dem Christentum zuzurechnen? Welche gesellschaftlichen Schwierigkeiten haben sie? Und was können Christen für sie tun?

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Aufbruch im Heiligen Land

Messianische Juden in Israel

Fritz May

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Bruchsal

Autor: Fritz May

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-032-2

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Das eBook Aufbruch im Heiligen Land ist als Buch erstmals 1996 erschienen. Statistiken und zeitabhängige Angaben beziehen sich daher auf diese Zeit.

Autorenvorstellung

Dr. h.c. Fritz May, Pastor und Publizist, ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft CHRISTEN FÜR ISRAEL.

Inhalt

Titelblatt

Impressum

Autorenvorstellung

Vorwort

ERSTER TEIL Wer sind die messianischen Juden?

Israels neue Juden

Warum »messianische Juden«?

2000 Jahre messianische Juden

Messianische Gemeinden und Werke in Israel heute

Ein einig Volk von Brüdern?

ZWEITER TEIL Vom Leben und Glauben messianischer Juden

Was die messianischen Juden glauben

Gottesdienst am Schabbat

Wie die messianischen Juden die biblischen Feste Israels feiern

Sind die messianischen Juden dem Gesetz verpflichtet?

Messianisches Zeugnis in Israel heute

»Wir haben den Messias gefunden!«

DRITTER TEIL Messianische Juden zwischen Diskriminierung und Verfolgung

Von Staats wegen geduldet

Unerwünscht im Gelobten Land?

Sind messianische Juden keine Juden mehr?

Von Ultra-Orthodoxen diskriminiert und verfolgt

Glühende Zionisten und verantwortungsbewusste Staatsbürger Israels

VIERTER TEIL Die messianischen Juden – unsere Brüder und Schwestern!

Von Christen und Kirchen ignoriert und abgelehnt

Die messianischen Juden brauchen unsere Hilfe

Messianische Juden weltweit

Unsere Empfehlungen

Vorwort

Seit nun mehr als 20 Jahren verbinden mich enge und freundschaftliche Beziehungen zu vielen Juden in Israel, die sich als »messianische Juden« bezeichnen.

Leider ist von ihnen bei uns kaum etwas bekannt.

Deshalb wurde ich wiederholt gebeten, über diese neuen Juden im heutigen Israel zu schreiben, um bei vielen Christen eine wichtige Informationslücke zu schließen.

Diesem Wunsch komme ich nun endlich nach. Dabei bin ich mehreren führenden und bekannten messianischen Juden dankbar, die mir als Insider in Gesprächen und Interview-Beiträgen mit wertvollen Informationen halfen. Von ihnen möchte ich besonders erwähnen:

Menachem Benhayim (Jerusalem)bis 1994 Israel-Sekretär der Internationalen Messianisch-Jüdischen Allianz und Sekretär der Israelischen Messianisch-Jüdischen Allianz

Gershon Nerel (Jad Ha'Shmona)seit 1995 Israel-Sekretär der Internationalen Messianisch-Jüdischen Allianz

Ilan Zamir (Jerusalem)Präsident der Israelischen Messianisch-Jüdischen Allianz

Asher Intrater (Jerusalem)Generalsekretär der Israelischen Messianisch-Jüdischen Allianz

Joseph Shulam (Jerusalem)Leiter der messianischen Gemeinde »Roeh Israel« (vormals »Netivyah«) – einer der ältesten messianischen Gemeinden in Israel

Heinrich Israel Pollack (Jerusalem)Journalist

Ihr Wissen und ihre Kenntnisse über die messianischen Juden und ihre Gemeinden sowie meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen möchte ich in diesem Buch einem möglichst breiten Leserkreis von Christen weitergeben. Und sie dadurch motivieren, die Gemeinschaft mit ihren messianischen Brüdern und Schwestern aus dem »Hause Israel« zu suchen und in Liebe und Verantwortung durch Fürbitte und Fürsorge für sie einzutreten.

Sicher werden auch nicht wenige messianische Juden selbst dieses Buch »über sie« zur Hand nehmen und mit Interesse lesen. Ich möchte sie mit dieser Publikation ermutigen, ihr geistliches Leben zu aktivieren und zu festigen und sich in ihrem Glauben und in ihrem öffentlichen Zeugnis nicht einschüchtern zu lassen. Vor allem aber möchte ich sie motivieren, die Suche nach ihrer eigentlichen Identität zu intensivieren und das Bestreben nach innerer und äußerer Einheit über alle theologischen Sekundär-Erkenntnisse und allen Personen- und Gruppenegoismus zu stellen. Damit Jesus als der Messias Israels vor Juden und Christen verherrlicht wird.

Schließlich bin ich mir sicher, dass auch religiös indifferente und traditionell religiöse Juden, ja sogar Ultra-Orthodoxe, innerhalb und außerhalb Israels diese Publikation interessiert lesen werden – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Manche werden es tun, um ihr Wissen über eine beachtenswerte religiöse Gruppe aus ihrem Volk zu erweitern. Manche aber auch – vornehmlich aus dem extrem ultra-orthodoxen Lager –, weil sie nicht nur weiteres »Beweismaterial« gegen die »christliche Mission« suchen, sondern auch, um die angeblich »Abtrünnigen« und ›Verräter« ihres Volkes noch mehr als bisher diskriminieren zu können. Nun, sie werden in dieser Publikation wahrscheinlich nicht mehr und nichts Neues erfahren, als sie ohnehin schon längst wissen. Darum möchte ich zumindest an sie appellieren, gegenüber den messianischen Juden, die sich ausdrücklich zu ihrem Volk und Staat bekennen, religiöse Toleranz und Menschlichkeit zu üben und ihnen die volle Glaubensfreiheit sowie die uneingeschränkten Menschenrechte zuzugestehen, die sie auch für sich als selbstverständlich in Anspruch nehmen.

Schalom! Friede sei mit allen Lesern und dem ganzen »Haus Israel«!

Fritz May

ERSTER TEILWer sind die messianischen Juden?

Israels neue Juden

Die vierte religiöse Kraft in Israel

»Jeshua Ha'Mashiach!« – das sind die hebräischen Worte, mit denen sich heute immer mehr Juden in Israel, aber auch in vielen anderen Ländern zu Jesus Christus als ihrem Messias bekennen. Sie sind der Überzeugung, dass Jesus von Nazareth der von Gott verheißene, gesandte und wiederkommende Messias (Christus) ist. An ihn glauben sie. Ihn bezeugen sie. Ihm folgen sie nach.

Sie sind Israels neue Juden!

In letzter Zeit sind sie in Israel verstärkt in die Schlagzeilen gerückt. Rundfunk, Fernsehen und Presse berichteten über sie. Neben tendenziösen Meldungen und Meinungen wurde über sie auch objektiv und fair informiert. So erfuhr die israelische Öffentlichkeit vermehrt Einzelheiten über die Existenz von Juden aus ihrem Volk, die an Jesus glauben und sich als »messianische Juden« bezeichnen.

Sie sind heute neben den Orthodoxen, Konservativen und Reformjuden die vierte religiöse jüdische Kraft in Israel. Zugleich sind sie Teil der universalen Gemeinde Jesu Christi, die aus christusgläubigen Juden und nichtjüdischen Christen besteht.

Durch die messianischen Juden ragt das religiöse Judentum (Israel) in den »Leib Christi« hinein und das Christentum in das religiöse Judentum. In der Schnittfläche der beiden Kreise versuchen Israels neue Juden ihre Identität zu finden.

In deutschsprachigen Ländern weitgehend unbekannt

Während die israelische Öffentlichkeit durch die Medien über die messianischen Juden in ihrem Land zum Teil recht gut informiert ist, ist bei uns in den deutschsprachigen Ländern von ihnen so gut wie nichts bekannt.

Darum sind auch viele Christen überrascht, wenn sie zum ersten Mal von der Existenz messianischer Juden hören oder lesen. Nicht wenige fragen dann halbwegs ungläubig: »Was? Gibt es denn in Israel überhaupt Juden, die an Jesus glauben? Davon habe ich nie etwas gehört!«

Das folgende Beispiel ist dafür geradezu exemplarisch:

Ein Christ aus Deutschland, der als Tourist Israel besuchte, traf an der Westmauer des Tempelberges (»Klagemauer«) völlig unerwartet und unvorbereitet einen messianischen Juden. Dieser erzählte ihm freimütig, dass er an Jesus als Messias glaube. Nach einem kurzen Wortwechsel sagte der Christ zu ihm: »Das ist ja phantastisch! Ich wusste gar nicht, dass es messianische Juden gibt!« Wie dieser Christ wissen viele Christen nicht, dass es in Israel (und auch in vielen anderen Ländern) Juden gibt, die an Jesus Christus glauben.

Woran liegt das? Dafür gibt es viele Gründe:

Es liegt an fehlender Information. Nicht nur die säkularen, sondern auch die christlichen Medien schweigen sich bei uns größtenteils über die messianischen Juden aus. Wenn sie schon einmal etwas berichten, dann ist es meist falsch, ungenau und verwirrend. Darüber hinaus hört man gewöhnlich in den christlichen Kirchen und Gemeinden von ihnen nichts. Selbst nicht einmal am sogenannten »Israel-Sonntag« des Kirchenjahres.

Es liegt oft an mangelndem Interesse seitens der Christen. Weil in der landläufigen Verkündigung meist nur das biblische Israel Erwähnung findet, nicht aber auch das heutige und zukünftige Israel in seiner biblisch-eschatologischen Bedeutung, darum kommen auch Israels neue Juden, die sich zu Jesus bekennen, nicht vor. Viele Pfarrer und Christen zeigen auch kein sonderliches Interesse daran. Selbst dann nicht, wenn sie nach Israel reisen. Ihr Ziel sind meist die biblisch-historischen Stätten der Gottes- und Christusoffenbarung, um ihre Kenntnisse und ihren Glauben zu vertiefen. Viele wollen vor Ort das Christentum, das Judentum oder den Islam studieren. Andere interessieren sich für das moderne Israel, für die Menschen und Völker, die hier am »Nabel der Welt« leben. Oder sie wollen einfach Ferien machen. Aber dass es in der Heimat Jesu heute auch Juden gibt, die sich zu Jesus bekennen, wissen die meisten christlichen Israel-Touristen nicht. Oder es interessiert sie nicht. Darum machen sie sich auch meist keine Mühe, einige von ihnen persönlich kennenzulernen, geschweige denn ihre Gottesdienste zu besuchen. Hinderlich ist auch in vielen Fällen, dass sie mit einer Reisegruppe unterwegs sind, deren Besichtigungsprogramm – gewollt oder ungewollt – in der Regel keine Zeit für die Begegnung mit messianischen Juden bzw. eine Teilnahme an ihren gottesdienstlichen Versammlungen zulässt.

Es liegt auch an den messianischen Juden selbst. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Israel-Besuch einige von den relativ wenigen christusgläubigen Juden zu treffen, ist gering. Denn sie sind eine religiöse Minderheit. Ihre Adressen zu bekommen ist nicht ganz einfach. Sie in ihrer Wohnung zu besuchen ist fast unmöglich, wenn man sich nicht schon vorher auf andere Weise kennengelernt hat. Auch ihre Gottesdienststätten sind nicht ohne weiteres von außen sofort als solche zu erkennen. Hinzu kommen für viele Israel-Besucher Sprachprobleme. Denn in den messianischen Gottesdiensten wird heute fast nur noch Hebräisch (Ivrith) gesprochen. Nur in wenigen Gemeinden wird für ausländische Besuchergruppen in Englisch übersetzt. Außerdem versuchen viele messianische Juden, nicht soviel Aufsehen von sich zu machen. Sie sind oft publikumsscheu. Manche Gemeinden wollen auch nicht zum Guckkasten für Neugierige werden und sind gegen die Überflutung ihrer Gottesdienste durch christliche Besucher aus dem Ausland. Das liegt zum Teil daran, dass Israels neue Juden von vielen christlichen Theologen nicht anerkannt, nicht geschätzt oder verstanden werden und dass viele Christen weder für sie noch für das jüdische Volk viel übrig haben.

3000 bekennende »evangelikale« messianische Juden ohne öffentlichen Rechtsstatus

Die meisten messianischen Juden sind als jüdische Einwanderer aus den verschiedensten Ländern nach Israel gekommen. Sie haben ihre Kultur, ihre Sprache und vor allem ihre Frömmigkeit aus den Kirchen und Gemeinden mitgebracht, zu denen sie in ihren früheren Heimatländern gehörten.

Eine wachsende Zahl von messianischen Juden ist jedoch bereits in Israel geboren und aufgewachsen (Sabres). Darunter sind schon viele in der zweiten und dritten Generation.

Sie kommen aus allen israelischen Gesellschaftsschichten. Unter ihnen sind Handwerker und Geschäftsleute, Künstler und Krankenschwestern, Ärzte und Rechtsanwälte, Lehrer und Studenten, Offiziere und Soldaten. Die Mehrheit kommt jedoch aus einfachen Kreisen.

Die meisten dieser sich zu Jesus bekennenden Juden sind »evangelikal«. Das heißt, sie haben die persönliche Gewissheit des Heils im Glauben an Jesus Christus und anerkennen die volle göttliche Autorität der ganzen Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments. Außerdem engagieren sie sich in der Evangelisation ihres Volkes. Ich werde darüber später ausführlicher berichten.

Über die genaue Zahl der heute in Israel lebenden evangelikalen messianischen Juden ist nichts bekannt. Es gibt nur Schätzungen. Es werden Zahlen genannt zwischen 500 und 6000. Die statistischen Angaben des israelischen Religionsministeriums liegen wesentlich niedriger als die der messianischen Gemeindeleiter.

Warum ist es so schwierig, ja geradezu unmöglich, die genaue Zahl von Israels neuen Juden, die an Jesus glauben, verbindlich festzustellen? Dies hat mehrere Gründe:

Es liegt einmal daran, dass sie in Israel eine verschwindend kleine religiöse Minderheit sind, die bis vor kurzem weitgehend in der Öffentlichkeit unbekannt bzw. unbeachtet war. Sie hatten weder einen offiziellen »Sprecher«, noch waren sie oder sind sie eine fest organisierte Glaubensgemeinschaft.

Nur wenige ihrer Gemeinden sind inzwischen bei den Behörden registriert und werden von ihnen anerkannt. Die meisten haben jedoch weiterhin keinen öffentlich anerkannten Rechtsstatus. Weshalb auch der frühere israelische Religions- und Innenminister Dr. Josef Burg mir gegenüber in einem Interview kategorisch die Existenz messianischer Juden – sogenannter Judenchristen – in Israel bestritt. Obwohl er genau wusste, dass es sie gibt.

Ein weiterer Grund ist, dass viele messianische Juden sich keiner Gemeinde als feste Mitglieder anschließen. Sie besuchen zwar eine Gemeinde eine Zeitlang, um dann – aus welchen Gründen auch immer – wegzubleiben und zum Gottesdienst einer anderen Gemeinde zu gehen. Manche besuchen auch die Gottesdienste mehrerer Gemeinden. Dies führt unweigerlich zu Mehrfachzählungen und zu bedenkenloser Addition. Wobei nicht immer ersichtlich ist, ob es sich dabei um Gottesdienstbesucher oder um feste Gemeindeglieder handelt.

Schließlich wäre noch zu erwähnen, dass die Mehrheit der messianischen Gemeinden auch keine offiziellen Mitgliederlisten führt, um auszuschließen, dass sie in die Hände ihrer orthodoxen Glaubensgegner fallen.

Nach weithin übereinstimmender Meinung führender messianischer Repräsentanten dürfte jedoch die Zahl der Bibel- und bekenntnistreuen messianischen Juden in Israel heute zwischen 3000 und 4000 liegen. Das wären zumindest so viele, wie vor 2000 Jahren zur Urgemeinde in Jerusalem gehörten.

Diese evangelikalen messianischen Juden leben über das ganze Land Israel zerstreut in mehr als 40 Orten von Metulla im Norden bis nach Eilat im Süden.

Sie stehen im Mittelpunkt dieser Publikation!

Enormes Wachstum der messianischen Bewegung in Israel

Seit 1967 – nach dem Ende des Sechstagekrieges – hat die evangelikale messianische Bewegung nach den Worten des früheren Israel-Sekretärs der Internationalen Messianisch-Jüdischen Allianz, Menachem Benhayim (Jerusalem), eine enorme Ausbreitung gefunden. So ist, wie sein Nachfolger im Amt, Gershon Nerel (Jad Ha'Shmona), hervorhob, »die Zahl der messianischen Juden von einigen Dutzend auf mehrere tausend angewachsen. Sie bilden heute eine von Kirchen weithin unabhängige Gemeinschaft in Israel, haben eigene Gemeinden und sind in der israelischen Gesellschaft weitgehend integriert, wenn ihnen auch der rechtliche Status fehlt.«

Für dieses Wachstum gibt es vor allem zwei wesentliche Gründe:

a) Die verstärkte Evangelisationstätigkeit von messianischen Juden unter der israelischen Bevölkerung. Dies bestätigt auch der Präsident der nationalen Messianisch-Jüdischen Allianz, Ilan Zamir (Jerusalem):

»Die zahlenmäßige Zunahme der messianischen Juden ist eine Folge der Evangelisation auf verschiedenste Art und Weise. Als ich 1979 zum Glauben kam, gab es so gut wie überhaupt keine Evangelisation in Israel. Aber jetzt sind viele Gemeinden aktiv. Es gibt sogar ein übergemeindliches Evangelisationskomitee. Viele Menschen hören heute das Evangelium und kommen zum Glauben.«

b) Die zunehmende Einwanderung von Juden aus der ehe-maligen Sowjetunion (den heutigen GUS-Staaten), Äthiopien, den USA und anderen Ländern. Dazu der Generalsekretär der Israelischen Messianisch-Jüdischen Allianz, Asher Intrater (Jerusalem):

»Ein wesentlicher Grund ist der Fall des Kommunismus in der ehemaligen Sowjetunion, in dessen Folge viele eingewanderte Juden zum Glauben gekommen sind. Außerdem gab es in den USA während der vergangenen 20 Jahre ein stetiges Wachstum der Anzahl von messianischen Juden, von denen nicht wenige nach Israel eingewandert sind. Die Mehrheit kommt sicherlich aus Russland. Aber ihre Anzahl ist nahezu unmöglich festzustellen. Nach dem Fall des Kommunismus haben sich jedenfalls viele mit jüdischen Traditionen beschäftigt, aber auch mit Christentum und messianischem Judentum.«

Ein Teil der messianischen Juden aus den GUS-Staaten hat sich den bereits bestehenden hebräischsprechenden Gemeinden angeschlossen. Der größte Teil versammelt sich jedoch in eigenen russischsprechenden Gemeinden. Dies hat sprachliche und kulturelle Ursachen.

Die Gesamtzahl der russischsprechenden messianischen Einwanderer wird auf 700 bis 1000 geschätzt.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch die schätzungsweise 200-300 schwarzen messianischen Kinder Salomos und die über 700 Falash-Mura-Juden aus Äthiopien, die bereits in ihrer alten Heimat zum Christentum konvertierten. Die meisten von ihnen (ca. 16.000) kamen 1991 bei der dramatischen Rettungsaktion »Operation Salomo« in das Verheißene Land. Sie wurden ebenfalls als Juden aus dem altisraelitischen Stamm »Dan« anerkannt und erhielten die israelische Staatsbürgerschaft. Dazu Asher Intrater:

»In Äthiopien gab es bereits in der Vergangenheit zahlreiche Judenchristen, die sogenannten Falasha. Ob es sich dabei um traditionelle Kirchenchristen oder eher um evangelikale Gläubige gehandelt hat, ist dabei offenzulassen. Tatsache ist jedoch, dass unter denen, die nach Israel gekommen sind, eine bedeutsame Anzahl ist, die eine persönliche Beziehung zu Jesus als ihrem Messias hat. Der größte Teil der äthiopischen Gläubigen versammelt sich untereinander. Sie haben noch mit Integrationsproblemen zu kämpfen. Bei vielen von ihnen befinden sich Familienangehörige nach wie vor in Äthiopien, und sie versuchen, diese nach Israel zu bringen. Deshalb treten sie in Israel nicht sonderlich an die Öffentlichkeit. Sie sind jedoch wie die messianischen Juden aus anderen Ländern Teil des vielschichtigen Leibes Jesu Christi. Und wir sind alle sehr froh, dass sie hier sind.«

Die evangelikalen messianischen Juden aus Äthiopien versammeln sich gegenwärtig in mehreren Gemeinden, z. B. in Netanja, Jaffa, Jerusalem und Nazareth.

Eines Tages aber werden sie an die israelische Öffentlichkeit treten und mutig ihren Glauben an den Messias Jesus bezeugen. Zugleich werden sie sich dann auch den anderen messianischen Juden in Israel als Brüder und Schwestern im Glauben zu erkennen geben. Das wird dann auf die weitere Entwicklung des messianischen Judentums nicht ohne Auswirkungen bleiben. Vor allem wenn sich die Zahl weiterer messianischer Juden aus Äthiopien, deren Einwanderung für die Zukunft erwartet wird, noch erhöhen wird.

Dagegen bleibt die Zahl eingewanderter Juden aus den USA und aus anderen westlichen Ländern weit hinter den Erwartungen zurück. Asher Intrater nennt als Gründe dafür:

»Es ist sehr schwierig für einen messianischen Juden, der die Verantwortung für seine Familie trägt, nach Israel zu kommen, wenn er keine Arbeitsstelle hat und die Familie die Sprache nicht beherrscht. Ein weiterer Grund ist, dass Gottes Zeit für eine massive Einwanderung von messianischen Juden aus Amerika noch nicht gekommen ist. Ihre Bewegung wächst, und sie haben eine wichtige Aufgabe, die Juden in Amerika mit dem Evangelium zu erreichen. Der nächste Schritt ist sicher, dass in der Zukunft mehr von den Jüngeren nach Israel kommen werden.«

Deshalb ist es der Wunsch vieler bereits in Israel lebender messianischer Juden und ihrer Repräsentanten, dass noch mehr Juden als bisher, unter ihnen verstärkt auch Juden, die an Jesus glauben, in das Verheißene Land »Eretz Israel« heimkehren. Gershon Nerel betont mit Nachdruck:

»Mein wichtigstes Ziel als Israel-Sekretär der Internationalen Messianisch-Jüdischen Allianz ist der messianische Zionismus. Ich will die Sammlung des jüdischen Volkes in Israel unterstützen und die Stellung der messianischen Juden stärken. Sie alle sollten nach Israel kommen, wie andere Juden auch, um Gottes Plan mit seinem Volk zu erfüllen.«

Eine religiöse Minderheit als verheißungsvolle Erstlingsschar

Trotz ihres enormen Wachstums in den vergangenen Jahren sind Israels neue Juden, die sich zu Jesus bekennen, noch immer eine religiöse Minderheit. Wie bereits erwähnt, beträgt die Zahl der bereits Alteingesessenen mehr als 3000. Dazu kommen ca. 200-300 messianische Juden aus Äthiopien und ca. 1000 aus den GUS-Staaten. Sie sind zusammen nicht einmal 0,1 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Israel. Und doch sind sie, wenn auch zahlenmäßig unbedeutend, eine verheißungsvolle Erstlingsschar, die Gott aus seinem Volk bereits ausgewählt und berufen hat, Jesus als ihren Messias zu erkennen.

An ihnen erfüllt sich gegenwärtig in einem vorlaufenden Geschehen die endzeitliche Verheißung Gottes: »Ich will ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurer Brust nehmen und euch ein fühlendes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will aus euch Menschen machen, die nach meinem Willen leben, auf meine Gebote achten und sie befolgen.« (Hesekiel 36,26 f.)

Welch eine Verheißung für Israels kleine Schar von messianischen Juden! Und zugleich: Welch eine Verpflichtung für sie, inmitten ihres Volkes entsprechend dem erklärten Willen Gottes zu leben, zu glauben und zu wirken!

Rabbiner und Militärs, die an Jesus glauben

Neben bekennenden messianischen Juden gibt es in Israel laut Asher Intrater schätzungsweise 2000 »anonyme« messianische Juden. Sie glauben zwar an Jesus als Messias, bekennen dies aber nicht in der Öffentlichkeit und schließen sich auch keiner bestehenden messianischen Gemeinschaft an. Viele von ihnen bekleiden in der Öffentlichkeit hohe und einflussreiche Positionen und fürchten deshalb berufliche und gesellschaftliche Nachteile, wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass sie an Jesus glauben. Unter ihnen befinden sich hohe israelische Militärs, Knesset-Abgeordnete, Beamte, Wissenschaftler und sogar Rabbiner. Ich selbst kenne einige von ihnen persönlich.

Ein Rabbiner aus dem ultra-orthodoxen Jerusalemer Stadtviertel Mea Shearim versicherte mir auf Jiddisch: »Ich glaube an Jeshua (Jesus). Er ist der Messias. Aber das darf hier niemand wissen.«

Ein Agrarwissenschaftler am Weizmann-Institut in Rehovot:

»Ich bin überzeugt davon, dass Jesus von Gott für die Juden und für die Nichtjuden gesandt wurde. Ich habe durch ein langes Gespräch mit einem Christen erkennen dürfen, dass er der Erlöser ist. Seitdem ich an ihn glaube, hat mein Leben einen neuen Sinn bekommen. Aber ich muss das für mich behalten, sonst muss ich mit Diskriminierung rechnen.«

Ein Offizier der israelischen Armee, im Sechstagekrieg hoch dekoriert, den ich in einem Kibbuz in Galiläa kennenlernte, bezeugte mir hinter halbwegs vorgehaltener Hand:

»Eines Tages schenkte mir jemand ein Neues Testament. Ich las darin – und kam zum Glauben an Jeshua (hebr. Name für Jesus). Sie sind der erste, dem ich dieses Geheimnis mitteile. Vergessen Sie aber bitte baldmöglichst wieder meinen Namen. Denn ich möchte nicht, dass andere ihn erfahren.«

Für Christen ist die Angst vieler dieser »anonymen« messiasgläubigen Juden weithin unverständlich. Denn Jesus hat gesagt: »Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.« (Matthäus 10,32) Wer jedoch die möglichen gesellschaftlichen Repressionen bedenkt, denen ein Jude ausgesetzt ist, wenn er sich offen zu Jesus bekennt, wird darin auch ein Stück weises Taktieren erkennen müssen. Denn in der Tat verfolgen viele dieser »anonymen« messiasgläubigen Juden die Weisheit Mordechais, der einst seiner Adoptivtochter Esther den Rat gab, gegenüber dem persischen König nichts von ihrer Herkunft und von ihrem Volk zu sagen (Esther 2,20).

Diese heimlichen messiasgläubigen Juden erinnern uns an den Pharisäer Nikodemus im Neuen Testament. Er war Mitglied des Hohen Rats, der obersten jüdischen Rechts- und Religionsbehörde in Jerusalem. Um unerkannt zu bleiben, kam er während der Nacht heimlich zu Jesus und wurde von ihm von der Notwendigkeit der geistlichen Wiedergeburt seines Lebens überzeugt. Seitdem war er ein Anhänger und Nachfolger des Messias Jesus, ohne dies jedoch öffentlich zu bezeugen (Johannes 3,1-21; 7,50 + 52; 19,39).

Ganz Israel wird in Zukunft in Jesus den Messias erkennen

Noch steht die Hinwendung und Bekehrung des gesamten jüdischen Volkes zu Jesus aus. Sie wird aber nach dem Willen und Heilsplan Gottes in Zukunft geschehen. Nach den prophetischen Worten des Apostels Paulus wird in der Endzeit »aus Zion der Erlöser kommen … Und dann wird das ganze Volk Israel gerettet werden.« (Römer 11,25 f.)

Israels bekennende messianische Juden sind deshalb überzeugt, dass die Zukunft des gesamten jüdischen Volkes in »Jeschua Ha'Maschiach« (Jesus dem Messias) liegt. Voller Hoffnung und Gewissheit sind folglich auch die Worte von Baruch Maoz, dem Pastor der messianischen Gemeinde »Hesed VeEmet« in Rishon leZion:

»Unsere Zahlen sind zur Zeit sehr klein. Aber ich möchte denen, die daraus folgern, dass wir klein bleiben werden, den Vorschlag machen, den Tag des geringen Anfangs nicht zu verachten.

Die Heilige Schrift macht deutlich, dass wir eines Tages keine Minderheit mehr sein werden. Auch nicht nur eine Majorität. Nein, es wird das Ganze umfassen. Israel als Nation wird an Jeschua Ha'Maschiach glauben und ihm folgen. Auf diesen Tag hin arbeite ich erwartungsvoll. Diesem Ziel streben wir gemeinsam zu. Gott hat Israel durch die Verkündigung des Evangeliums großen Segen verheißen. Darum engagieren wir uns mit Freuden für diese wunderbare Berufung.«1

Juden in der Kutte

Außer den »evangelikalen« und »anonymen« messianischen Juden gibt es in Israel noch etwa 300 bis 400 sogenannte römisch-katholische »Judenchristen«. Manche sprechen sogar von 1500. Sie sind über Jahrzehnte ihrer Kirche treu geblieben und kämpfen darum, vom Papst als ein besonderer Zweig der katholischen Kirche anerkannt zu werden. Ihre Gottesdienste finden nur in Hebräisch statt. Ihre Liturgie ist stark an die jüdischen Traditionen angelehnt. Sie kommen im Jesaja-Haus in Jerusalem, in Haifa und Beersheva zusammen. Einige der römisch-katholischen Judenchristen sind sogar Mönche und tragen die Kutte, wie beispielsweise Daniel Rufeisen und Elias Friedmann.

Außerdem gehören etwa 150 Juden zu den Adventisten, Zeugen Jehovas und zu anderen christlichen Sekten.

Sowohl die »Judenchristen«, die römisch-katholischen Glaubens sind, als auch die, die zu verschiedenen christlichen Sondergemeinschaften gehören, bleiben im weiteren Verlauf dieser Publikation unberücksichtigt.

1 Christusglaube unter Juden in Israel (Videofilm), EHG, Ettlingen o. J.

Warum »messianische Juden«?

Viele Namen – ein Glaube

Ein bekanntes Sprichwort lautet: »Ein liebes Kind hat viele Namen!«

Auch wenn die Juden, die an Jesus glauben, nicht von allen Juden und Christen geliebt werden, so trifft dies, was die Vielzahl ihrer Namen betrifft, zweifellos auf sie zu. Man nennt sie bzw. sie nennen sich:

»Judenchristen«

»Jüdische Christen«

»Hebräische Christen« (engl. »Hebrew Christians«)

»Israelische Christen«

»Christliche Hebräer«

»Christliche Juden«

»Getaufte Juden«

»Christen jüdischer Herkunft«

»Juden für Jesus« (engl. »Jews for Jesus«)

»Nachfolger des Jesus von Nazareth«

»Jüdische Gläubige« (engl. »Jewish Believers«)

»Christusgläubige« bzw. »Jesusgläubige Juden«

»Messianische Juden« bzw. »Messiasgläubige Juden« (hebr. »Meschichim Jehudim«, engl. »Messianic Jews«)

Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig.

Für den völlig uneingeweihten Christen, der zum ersten Mal oder wiederholt eine oder mehrere dieser Bezeichnungen liest oder hört, ist diese Vielfalt verwirrend. Er wird vielleicht meinen, es handele sich um verschiedene jüdische Christen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Und er wird im Vergleich dazu an die verschiedenen christlichen Konfessionen und Denominationen denken. Also an die Christen, die sich entweder als Lutheraner, Baptisten, Methodisten oder als Protestanten, Pietisten, Freikirchler oder Evangelikale bezeichnen.

Dies ist jedoch nicht der Fall. Es handelt sich bei den verschiedenen Benennungen nicht um unterschiedliche christlich-jüdische Glaubensrichtungen oder gar Sekten. Es sind vielmehr verschiedene Bezeichnungen für Juden, die an Jesus glauben.

Zur Zeit der sogenannten »Urgemeinde« in Jerusalem, der Muttergemeinde des Christentums, wurden sie in der Regel schlicht »Gläubige« bzw. »Gläubiggewordene« genannt (Apostelgeschichte 4,32).

Als dann um das Jahr 43 n. Chr. im syrischen Antiochia eine weitere Gemeinde Jesu entstand, zu der gläubig gewordene Juden und Gläubige aus den Heidenvölkern (Apostelgeschichte 21,25) gehörten, wurden sie von Außenstehenden gemeinsam als »Christen« bezeichnet (Apostelgeschichte 11,19-27).

Nach der neutestamentlichen Zeit wurde es jedoch in der jungen Kirche bald notwendig, zwischen den Gläubigen aus den heidnischen Völkern und den Gläubigen aus dem jüdischen Volk zu unterscheiden. Die einen nannte man fortan »Heidenchristen«, die anderen bezeichnete man als »Judenchristen«. Der Begriff »Judenchrist« wurde alsbald zu einem feststehenden Terminus für Juden, die sich zu Jesus Christus bekehrt hatten und zum Christentum konvertiert und getauft waren.1

Warum christusgläubige Juden keine »Judenchristen« sein wollen

In neuerer Zeit lehnen immer mehr Juden, die Jesus nachfolgen, es entschieden ab, als »Judenchrist« bezeichnet zu werden. Weil diese Bezeichnung für sie eher eine Beschimpfung als ein Bekenntnis ist. Und sie haben dafür gewichtige Gründe:

1. Der Begriff »Judenchrist« ist missverständlich. Er besteht nämlich aus den beiden Hauptwörtern »Jude« und »Christ«. Nach allgemeinem jüdischen Verständnis und auch nach traditioneller christlicher Auffassung kann ein Jude nicht zugleich ein Christ sein. Entweder er ist ein Jude. Dann ist er aber kein Christ. Oder er ist ein Christ. Dann aber ist er kein Jude. Ist man nämlich ein Jude, dann gehört man zum jüdischen Volk und zur jüdischen Religion. Ist aber ein Jude Christ, also »Judenchrist«, dann gehört er nach landläufiger jüdischer Auffassung nicht mehr zum Judentum und auch nicht mehr zum jüdischen Volk. Da aber die heutigen Juden, die an Jesus glauben, sich nach wie vor als Angehörige des jüdischen Volkes verstehen und auch niemals die Brücken zu ihrem Volk abbrechen würden, lehnen es immer mehr von ihnen ab, als »Judenchrist« bezeichnet zu werden.

2. Der Begriff »Judenchrist« ist ein traditioneller Begriff aus der Zeit der christlichen Judenmission. Seit 2000 Jahren werden Juden als »Judenchristen« bezeichnet, die durch Zwangsbekehrungen und Zwangstaufen oder durch Verlockungen seitens christlicher Missionen und Missionare oder aber freiwillig zum Christentum übertraten.

Jeder bewusst an Jesus glaubende Jude von heute würde es aber entschieden verneinen, sich aus Zwang oder wegen verlockender Angebote zu Christus bekehrt zu haben und getauft worden zu sein. Er würde es auch entschieden ablehnen, vom Judentum zum Christentum zu konvertieren und Katholik, Protestant oder Baptist und damit »Judenchrist« oder »Christ« zu werden.

3. Der Begriff »Judenchrist« weckt bei Juden schlimme Erinnerungen an eine 2000jährige Judenfeindschaft »getaufter Christen«. Er erinnert unzählige jüdische Menschen an die furchtbaren Verfolgungen, die unter dem Zeichen des Kreuzes und im Namen des offiziellen Christentums von »getauften Christen« am jüdischen Volk begangen wurden. Die Juden haben bis heute nicht die diskriminierenden Äußerungen der ersten Kirchenväter vergessen. Sie haben die blutigen Kreuzzüge im frühen Mittelalter nicht vergessen, als »Christen« mit dem Kreuz auf der Brust und dem Wort »Christus« auf den Lippen in den »heiligen Krieg« gegen die jüdischen »Christusmörder von Golgatha« zogen und das Blut ihres Herrn an ihnen furchtbar rächten. Sie haben Luthers verbalen Judenhass nicht vergessen, der ihn in ihren Augen zum geistigen Vater des Holocaust machte, auf den sich dann im 20. Jahrhundert die Nazis bei der »Endlösung der Judenfrage« beriefen. Sie haben schließlich auch nicht die Arbeits- und Vernichtungslager im Machtbereich Hitlers vergessen, in denen sechs Millionen ihrer Brüder und Schwestern auf grausame Weise zu Tode gequält wurden. Und die Überlebenden des Holocaust, die noch immer physisch und psychisch an den Folgen der ihnen zugefügten Peinigungen leiden – sie und ihre Kinder werden es nicht vergessen, dass Hitler, Himmler, Heydrich, Eichmann und Tausende ihrer Helfer und Helfershelfer meist alle »getaufte Christen« waren. Für sie, ja für den größten Teil des jüdischen Volkes weltweit sind deshalb das Kreuz und das Hakenkreuz identisch. Wenn sie den Namen Jesus oder Christ hören, dann denken sie meist an Hitler und Auschwitz.

Darum ist es nicht verwunderlich, wenn mir eine an Christus gläubige Jüdin in Israel von der Zeit vor ihrer Hinwendung zu Christus, dem Messias, sagte: »Früher dachte ich, wenn ich von Jesus hörte, stets an den Holocaust. Ich glaubte, das Neue Testament sei wie Hitlers Buch Mein Kampf ein antisemitisches Buch. Jeder Christ sei ein Nazi. Und jeder Judenchrist ein Verräter seines Volkes und ein Handlanger der Nazis. Und damit waren für mich die Christen und die Judenchristen erledigt.«

Verständlich, wenn deshalb viele messianische Juden keine »Judenchristen« sein wollen.

4. Viele christusgläubige Juden wollen auch nicht als »Judenchristen« bezeichnet werden, weil sie nicht mit den Namenchristen und den etablierten christlichen Kirchen in Verbindung gebracht werden wollen. Nicht wenige haben die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass sie von sogenannten »Christen« und den meisten christlichen Kirchen, ihren Gremien und Repräsentanten im Stich gelassen werden, ja von ihnen sogar offen ignoriert und abgelehnt werden. Aus bitterer Enttäuschung und schmerzvoller Trauer über eigene Erfahrungen sagte mir eine Jüdin, die ich vor vielen Jahren einmal aus Unkenntnis der Situation als »Judenchristin« bezeichnet hatte, mit Nachdruck: »Nein, ich bin keine Judenchristin! Ich bin eine messianische Jüdin!«

5. Manche Juden, die in Jesus ihren Messias erkannt haben, lehnen die Bezeichnung »Judenchristen« für sich auch aus biblisch-theologischen Erkenntnissen ab. Sie sind der Überzeugung, eine besondere Schar von messiasgläubigen Juden zu sein. Und zwar Erstlinge der 144.000 Versiegelten (Offenbarung 7,4 ff.; 14,1-4). Es handelt sich hierbei um gläubig gewordene Juden aus den 12 Stämmen Israels, die in der Endzeit eine besondere Rolle im Heilsplan Gottes spielen. Deshalb sind diese neuen an Jesus glaubenden Juden auch der Ansicht, dass sie nicht zum Christentum gehören, sondern zu den 144.000, die nach ihrer Ansicht die zukünftige Brautgemeinde Jesu Christi, des kommenden Messias, sein werden.

Mag das auch leicht nach Schwärmerei und Exklusivität klingen, so ist dies doch eine faszinierende theologische Feststellung, über die sowohl die anderen messiasgläubigen Juden als auch die Christen weiter nachdenken sollten.

Diese und andere Gründe haben dazu geführt, dass der Begriff »Judenchrist« für die an Christus glaubenden Juden von heute kaum noch Anwendung findet. Als Christen sollten wir diese Tatsache berücksichtigen, um die Gläubigen aus dem Hause Israel nicht unnötig zu provozieren oder in der jüdischen Öffentlichkeit zu kompromittieren.

»Messianische Juden« erstmals in Lexika

Die Mehrzahl der heute in Israel lebenden Juden, die an Jesus glauben, bezeichnet sich als »messianische« bzw. »messiasgläubige Juden« (hebr. »Meschichim Jehudim«, engl. »Messianic Jews«).

Der Hauptakzent fällt dabei auf das Wort »Juden«, das nun seinerseits durch »messianisch« bzw. »messiasgläubig« qualifiziert wird. Mit dem Wort »Juden« wollen sie die Tatsache unterstreichen, dass sie nach wie vor Juden und damit Teil ihres Volkes sind. Mit dem Wort »messianisch« bzw. »messiasgläubig« wollen sie betonen, dass sie als Juden an den Messias glauben. Für sie ist dieser Messias der von Gott verheißene und gesandte Jesus von Nazareth, der Christus, der wiederkommen wird. Zwar sind im strengen Wortsinn orthodoxe Juden, konservative Juden und Reformjuden, sofern sie an das Kommen des Messias glauben, auch »messianische Juden«. Aber mit dem gravierenden und bedeutungsvollen Unterschied, dass sie in Jesus ihren Messias noch nicht erkennen können (Römer 11,25) und deshalb auch noch auf den Messias warten. Anders ausgedrückt: Die an Jesus gläubigen messianischen Juden sind der Überzeugung, dass Jesus als Messias bereits erschienen ist, als er auf Erden lebte, und dass er leibhaftig wiederkommen wird.

Die Bezeichnung »messianische Juden« hat sich inzwischen überall unter den christusgläubigen Juden durchgesetzt. Sie wird von fast allen akzeptiert und verwendet. Sowohl in Israel als auch außerhalb Israels. Dazu Menachem Benhayim, ehemaliger Sekretär der Internationalen und Israelischen Messianisch-Jüdischen Allianz:

»Wir legen besonderen Wert darauf, messianische Juden zu sein und so genannt zu werden und nicht Judenchristen, Christen jüdischer Herkunft o. ä.«

Mittlerweile hat die neue Namensgebung auch in hebräischen Lexika Eingang gefunden. Darin werden die messiasgläubigen Juden unter dem Begriff »Meschichim Jehudim« so definiert: »Eine Bezeichnung, die heutzutage von einer Gruppe von Juden gebraucht wird, die von sich sagen, sie seien jüdischer Abstammung, dem Staat Israel gegenüber loyal, nach dem Glauben aber ›Nazaräer‹ (hebr. ›Nozrim‹, da es im Hebräischen kein Wort für ›Christ‹ gibt)«.2

Diese Definition wird von den messianischen Juden nicht ganz so akzeptiert, da der Ausdruck »Nozrim« dem modernen hebräischen Wort »Christen« entspricht. Sie betrachten sich nämlich allgemein als jüdisch der Religion nach wie auch ethnisch und national, während der Ausdruck »Nozrim« im hebräischen Sprachgebrauch für Menschen verwendet wird, die nach Religion und Volkszugehörigkeit Nicht-Juden sind.

Auch in Zukunft wird man nicht grundsätzlich auf den Begriff »Judenchristen« verzichten können. Vor allem nicht, wenn er im historischen und kirchengeschichtlichen Zusammenhang verwendet wird. Aber wenn es um die heutigen christusgläubigen Juden geht, sollte man sie grundsätzlich als »messianische Juden« bzw. als »messiasgläubige Juden« bezeichnen. Dies würde sie nicht nur vor Missverständnissen schützen, sondern auch voll und ganz ihrer Glaubensüberzeugung und ihrem theologischen Selbstverständnis entsprechen.

1 Das Neue Testament kennt jedoch die Bezeichnung »Judenchristen« und »Heidenchristen« nicht.

2 Eben-Shushan, Einbänd. Hebräisches Lexikon, Jerusalem 1987, S. 479, mittlere Spalte – auch im Großen Hebräischen Lexikon. Ähnlich in der Hebräischen Enzyklopädie des Judaismus.

3 Maier-Schäfer, Kleines Lexikon des Judentums, Stuttgart 1981, S. 164

4 Im Deutschen kann es zu unterschiedlichen Schreibweisen des Hebräischen kommen.

2000 Jahre messianische Juden

Die ersten Christen waren messianische Juden

Die messianischen Juden von heute sind nicht die ersten Juden, die an Jesus als Messias glauben. Sie sind auch keine neue religiöse Gemeinschaft, die erst nach der Gründung des neuen Staates Israel 1948 entstand. Messianische Juden hat es vielmehr schon vor 2000 Jahren gegeben, und zwar zur Zeit Jesu. Daran erinnert so manches Kirchengebäude und so manche christliche Gemeinde, die nach einem der Apostel Jesu Christi benannt wurde: Matthäus-Gemeinde, Markusdom, St. Petri-Kirche, St. Pauls-Kathedrale u. a. Als Christen denken wir meistens nicht daran, dass alle diese Persönlichkeiten Juden waren, die an Jesus glaubten, ihm als seine Jünger nachfolgten und als Apostel dienten. Ihnen verdanken wir nicht nur die Entstehung der Gemeinde Jesu und das Neue Testament, sondern zugleich auch unsere geistlichen Wurzeln.

Ein kurzer Rückblick in die Geschichte ist deshalb wichtig, um die Existenz und die Glaubens- und Lebensweise der messiasgläubigen Juden von heute besser verstehen und beurteilen zu können.

Zur Zeit Jesu gab es – wie bereits erwähnt – neben drei bedeutenden religiösen jüdischen Gruppen, den Pharisäern, den Sadduzäern und den Essenern, die religiöse Bewegung der »Nazarener« (Apostelgeschichte 24,5). Auch sie waren Juden, glaubten aber an Jesus von Nazareth, den sie als Messias erkannt hatten. Sie sind die geistlichen Vorfahren der Christen. Denn weder Jesus noch die Juden, die ihm nachfolgten, nannten sich zu jener Zeit Christen. Diese Bezeichnung gab es damals noch nicht. Sie wurde erst viel später von Feinden der neuen Bewegung als diskriminierende Bezeichnung für die an Christus gläubig gewordenen Juden und Heiden in Antiochien/Syrien verwendet (Apostelgeschichte 11,26).

Die ersten Juden, die an Jesus glaubten, waren also »Nazarener«, zu denen auch die 12 Jünger Jesu gehörten. Zwei von ihnen bekannten einmal nach einer Begegnung mit Jesus in einem Gespräch ausdrücklich: »Wir haben den Messias gefunden!« (Johannes 1,41). Aufgrund dieses Bekenntnisses sind sie zugleich die ersten messianischen Juden!

Nach dem Tod Jesu erweiterte sich unmittelbar vor dem jüdischen Fest Shavuot der Kreis der ersten messianischen Juden auf 120 Personen (Apostelgeschichte 1,15). Einige Tage später, am Pfingstfest, brach unter den in Jerusalem anwesenden ausländischen Juden durch eine vollmächtige Predigt des jüdischen Apostels Jesu Christi, Petrus, eine geistliche Erweckung aus, wie es sie seitdem nicht wieder gab: 3000 Juden aus den Ländern des Römischen Reiches (Imperium Romanum) wurden gläubig und bekannten sich zu Jesus Christus als ihrem Messias. Sie schlossen sich unmittelbar danach zur ersten messianischen Gemeinde in Jerusalem zusammen, die zur Muttergemeinde des Christentums wurde und als »Urgemeinde« in die Kirchengeschichte einging. Auf sie haben sich die Kirche Jesu Christi und die Christen immer wieder berufen. Bis heute!

Ein messianischer Jude wird der bedeutendste Theologe des Christentums

Wenige Monate nach dem Pfingstfest stieg die Zahl der an Christus »Gläubigen« (hebr. »Maanimim«) sprunghaft auf 5000 an (Apostelgeschichte 4,4). Täglich kamen weitere hinzu. Unter ihnen waren sogar zahlreiche Rabbiner und jüdische Theologen.

Einer dieser jüdischen Theologen war Saulus von Tarsus, dessen römischer Name Paulus lautete. Als er nach Damaskus reiste, um die dortigen messianischen Juden wegen ihres Glaubens anzuklagen, kam es zu einem unvorhersehbaren Ereignis: In einem rational nicht erklärbaren Erlebnis erkannte er plötzlich in Jesus den Messias und kam zum Glauben an ihn (Apostelgeschichte 9). Nun selbst ein messiasgläubiger Jude, stellte er sich ganz in den Dienst Jesu Christi und wurde zum Wegbereiter des Christentums nach Europa. Er schrieb mindestens 13 theologische Bücher und Schriften, die ohne Beispiel sind. Zusammen mit theologischen Büchern und Schriften anderer Apostel Jesu Christi sind sie im Neuen Testament enthalten und bilden zusammen mit der Hebräischen Bibel (Tanach), dem sogenannten Alten Testament, die Heilige Schrift, deren göttliche Autorität über jeden Zweifel erhaben ist.

In einem seiner im Neuen Testament enthaltenen Schriften, dem 1. Timotheus-Brief, schrieb der an Christus gläubige jüdische Theologe ein eindrucksvolles Bekenntnis über sein persönliches Verhältnis zu Jesus Christus, den er einst entschieden bekämpft hatte: