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Katja Lange-Müller

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Beschreibung

»Wie ich vor vielen Jahren war: jünger, schöner und meistens neben dir.« Westberlin im Jahr 1987: Soja, gelernte Setzerin, Republikflüchtling, Aushilfsblumenhändlerin mit weitem Herzen, trifft Harry, groß, frei, still-entschlossen, abgründige Vergangenheit, düstere Zukunft. Und fortan bestimmt sein Schicksal ihr Leben. Geblieben ist ein Schulheft mit undatierten Einträgen, genau neunundachtzig Sätze, in denen Harry festhielt, was ihn beschäftigte, während er mit Soja zusammen war. Vieles kommt vor, eine fehlt: Soja. Jahre später macht sie sich daran, die gemeinsame Geschichte zu erzählen und die Leerstelle zu füllen, die Harry hinterließ. Sie erinnert sich an den Mann, der sie durch seine Entschiedenheit beeindruckt, gleich anfangs mit einem Geschenk verstört und ihr Herz mit einem Kinderkuss erobert hat – und um den sie sich leidenschaftlich und wider alle Vernunft bemüht. Obwohl er sich in jeder Hinsicht bedeckt hält, gibt Harry einiges preis: nach einem Raubüberfall zehn Jahre im Knast, auf Bewährung draußen, Bewährungsauflagen verletzt, weil Drogentherapie abgebrochen, angewiesen auf neue Maßnahme, sonst umgehende Inhaftierung. Und das bringt Soja nicht gegen ihn auf, sondern auf Trab. Sie organisiert eine neue Therapie, verpflichtet ihre wenigen Freunde zu einer lückenlosen Begleitung und ignoriert doch alle Indizien dafür, dass Harry ihr manches verschwiegen hat. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis die nächste Bombe platzt. Katja Lange-Müller, vielfach ausgezeichnete Meisterin der Erzählung, greift dem Leser mit diesem lange erwarteten Roman ans Herz: Einfühlsam, komisch und in einer melancholischen Tonlage erzählt sie davon, wie eine unglückliche Liebesgeschichte das größte Glück im Leben sein kann und liefert fast nebenbei ein atmosphärisch dichtes Porträt des geteilten, stillstehenden Berlins der 80er-Jahre.

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Katja Lange-Müller

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Roman

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Katja Lange-Müller

> Über dieses Buch

> Impressum

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Inhaltsverzeichnis

FördernachweisMottoI. KapitelII. KapitelIII. KapitelIV. KapitelV. KapitelVI. KapitelVII. KapitelVIII. KapitelIX. KapitelX. KapitelXI. KapitelXII. KapitelXIII. KapitelXIV. KapitelXV. KapitelXVI. KapitelXVII. KapitelXVIII. KapitelXIX. KapitelXX. Kapitel
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Dieses Buch wurde mit einem Stipendium vom Deutschen Literaturfonds Darmstadt gefördert.

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»Stehaufmännchen, Stehaufmännchen, zeig mal deine Beine«

(aus dem Japanischen; Verfasser unbekannt)

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I

Wir liegen auf den beiden Matratzen, nicht Seite an Seite, dennoch Kopf an Kopf. Die Arterie über deinem Schläfenbein pulst gegen meine Wange. Dein Haar berührt meine Nase, doch es kitzelt nicht, riecht bloß – nach Shampoo und nach dir. Seit Minuten oder Stunden bewegen wir uns kaum, sagen nichts, atmen flach. Deine Augen sind geschlossen, meine schauen hoch zum offenen Fenster, in dem sich nichts zeigt als ein Stück des wolkenlosen, weder hellen noch dunklen Himmels. Und wollte ich mich überhaupt etwas fragen, dann nur, ob der Morgen herandämmert oder der Abend. Ich fühle mich weder müde noch wach, weder schwer noch leicht, muß weder rauchen noch essen, noch trinken, noch zum Klo. Ich habe nicht das Bedürfnis nach Distanz, aber auch keine Lust, dich zu umarmen. Ich bin frei, nicht zu, sondern von allem, und trotzdem nicht einsam …

 

Dieser Film läuft, sobald ich an dich, an uns denke. Ich sehe ihn und gleichzeitig mich darin vorkommen (mitspielen wäre wohl das falsche Wort), nicht als die Frau, die ich jetzt bin, sondern so, wie ich vor vielen Jahren war: jünger, schöner und meistens neben dir.

Ich kann den schon ein wenig verblichenen und zerkratzten Film nicht zurückspulen, nur beschleunigen oder strecken, Sequenzen, die mir gefallen, anhalten, bis sich der ganze Spuk auflöst, weil das Telefon wieder klingelt oder der Postbote oder weil ich, von keiner weiteren Störung behelligt, das heute nähere, morgen fernere Ufer des Schlafs erreicht habe.

Je länger der Film dauert, um so ereignisloser wird er; und vielleicht ist der Vergleich mit einem stotternd abgespulten Kino- oder Fernsehfilm nicht der beste, vielleicht gehören diese Bilder, die mir eins nach dem anderen über die Netzhäute flimmern, ja eher zu einer Serie nicht sehr scharfer, auch deshalb einander ähnlicher Diapositive, deren unwillkürliche, nie identische Reihenfolge von meinen Wimpernschlägen abhängt, davon, wann und wie oft sich meine Augen schließen, öffnen, schließen … Das fenstergroße Stück Dämmerungshimmel ohne Wolken und Gestirne, die signalrot bezogenen Matratzen im Hintergrund meines Zimmers, unsere ruhenden Körper, wir auf den Straßen Berlins, du bei Joe, ich vor einer Kiste alten Krempels …, nur mehr die Kraft meines Vorstellungsvermögens erzeugt jedes einzelne dieser Bilder und alle zusammen, was die Filmmetapher ebenso rechtfertigte wie die von der Diaserie, wäre da nicht noch der Geruch deines Haars, die klebrige Wärme deiner Schläfe und meiner Wange, unser asynchrones Atmen und die Freiheit verheißende Bedürfnislosigkeit, die ich empfand und immer wieder erneut empfinde, die ich, seit ich sie zum ersten Mal erlebte, Glück nenne, ein betörend undramatisches Glück, das zu mir zurückkehrt, mit jeder Erinnerung daran.

Hätte ich mich, als unser Film in Echtzeit lief, als wir zu fotografieren gewesen wären, nach deinen Empfindungen erkundigen sollen, obwohl du meist so tatest, als gingen die nicht einmal dich etwas an? Konntest du deine Gefühle überhaupt zur Sprache bringen? Oder fandest du es nur bequemer, Derartiges physisch auszudrücken, mit Blicken, Gesichtsregungen, Gebärden – und manchmal mit dem Schwanz? Habe ich je gewagt, dich zu fragen, was hinter deiner stolzen Eisbärmiene, deinem abwesenden Gleichmut, deinen seltenen Aktionismus- oder Liebesanfällen steckte? Wenn ich das wissen wollte, und ich wollte oft genug, maskierte ich den entsprechenden Satz als den angeblich typischsten aller einfachen Frauenfragesätze: Was denkst du? Deine noch sparsamere und klassisch männliche Antwort lautete fast immer: »Nichts.« Oder: »Nichts Bestimmtes.«

Sicher, zu den Mitteilungsbedürftigen gehörtest du nicht, warst schweigsam und, was noch wichtiger ist, verschwiegen. Du hieltest es – in deinen besseren Momenten – mit den Stich- und Schlagwörtern, den pointierten Sprüchen, aber du hast gerne gelesen, Fantasyromane, die dicksten, die sich auftreiben ließen. Dir ging das Wort eben leichter ins Auge und von der Hand als über die Lippen; du hattest Schriftsetzer gelernt, wie ich.

 

»Gestern abend habe ich mir zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder einen Schleck auf den Schnabel getan. Es ist wunderbar, frei zu sein, und die Sonne so warm. Aber das Hobby muß ich weiter bleibenlassen, ganz konsequent. Auf dem Plan steht: Kohle besorgen, Karate machen, eigene Bude suchen.«

 

Du fragst dich, warum ich dir zitiere, was du doch selbst geschrieben hast? Weil das Schulheft mit deinen undatierten Eintragungen, das ich während all der Zeit, die wir miteinander verbrachten, nie bei dir gesehen habe, damals mir zufiel und ich nicht weiß, ob – und wenn ja, wie gut – du dich erinnerst an deine genau neunundachtzig Sätze, in denen mein Name nicht auftaucht und die ich dir dennoch oder gerade deshalb wiederholen werde, nicht chronologisch, aber Wort für Wort, bis zum Ende unserer Geschichte.

Ach, Harry, wäre dieses Heft bei jemand anderem gelandet und der neugierig genug gewesen, es auch zu lesen, er hätte nicht einmal ahnen können, daß es mich in deinem Leben, das meines war und ist, jemals gab.

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II

Daß wir uns begegneten, war Zufall. Was sonst? Vielleicht ja doch so was wie Schicksal, denn wir hätten uns ebensogut verpassen können. An dem Tag, da wir einander über den Weg liefen, warst du nicht allein, und ich war noch keine zwölf Monate fort von dort, wo ich aufgewachsen und bis zu meinem neununddreißigsten Jahr geblieben war.

Auch an die Szenen jenes siebzehnten April 1987, die mich und – zumindest für die ersten Stunden – vielleicht sogar dich betrafen, kann ich mich jederzeit erinnern; und im Unterschied zu den Film- oder Diabildern von der Matratzenidylle werden diese Szenen von Mal zu Mal klarer und detaillierter und stehen mir gerade jetzt beinahe textgenau vor Augen, so, als wären sie nicht geschehen, sondern erfunden, das Resultat meiner von mächtiger Sehnsucht befehligten Phantasie:

Die U-Bahn hatte gehalten über dem Nollendorfplatz, ich war ausgestiegen und freute mich einmal mehr an der mir zu Füßen liegenden, von Dönerbuden, Cafés, Ramschläden und Blumenständen gesäumten, fast menschenleeren Weite, auch darüber, daß ich am Vortag nur mein Kleingeld samt dem billigen Portemonnaie verloren hatte, aber nicht das Dokument, das einen über das Aufnahmelager Marienfelde eingereisten DDR-Flüchtling berechtigte, ein ganzes Jahr lang kostenlos sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Die Frühlingssonne stand hoch am Himmel und warf gleißend helles, nahezu weißes Licht hinab auf den Platz, der nach dem Tauwetter, dem jedoch kein Regen gefolgt war, ebenso unschuldig wie heruntergekommen wirkte; ich sehe auch noch dieses Kind, ein schmächtiges Mädchen in einem neongrünen Anorak, das mir von links ins Blickfeld lief, seinen Turnbeutel hinter sich herschleifte und offenbar keinen Spaß am Schuleschwänzen hatte.

Ich griff mir vom Sims neben dem Kiosk eine zerknitterte »Bingo-BZ« mit gültigem Datum, die ihr voriger Besitzer, wohl weil es ihm gegen den Strich gegangen wäre, etwas Bezahltes und noch Brauchbares einfach wegzuschmeißen, dort abgelegt hatte – für jemanden wie mich, denn ich las damals gern die Klatsch- und Gruselgeschichten, die in schmalen Spalten unter den knalligen und manchmal sehr komischen Schlagzeilen standen.

Die Zeitung überfliegend, eine Zigarette zwischen den Lippen, steuerte ich mein eigentliches Ziel an, die Badewanne in der Wohnung eines aus dem Bayrischen zugewanderten Sozialarbeiters, den ich mochte – da kamt ihr um die Ecke geschossen, du und dein Kumpel. Ihr benahmt euch seltsam, ausgelassen, ja übergeschnappt: wie zwei Kettenhunde, die sich losgerissen, aber erst eine Nacht unter fremden Fenstern geschlafen und noch nicht wieder den ganz großen Hunger haben; und doch deutet das Glitzern in ihren Pupillen, diese Tollheit, mit der sie einander bei Laune halten, schon darauf hin, daß sie den Preis der Freiheit bald kennen und bezahlen würden.

 

Schöne Männer wart ihr, alle beide, du blauäugig, bleich, aschblond, der neben dir oliv, mit braunem Kraushaar, Sonnenbrille, kleinem Silberohrring. Und dafür, daß die Sweatshirts, die sich über euren breiten Schultern spannten, wahrscheinlich aus dem Kleiderfundus der Arbeiterwohlfahrt stammten, hatte ich damals noch nicht den Blick.

Ich muß euch, obwohl ich nicht geschminkt war und mein kräftiger Leib in der Sorte Kleid steckte, die bezeichnenderweise Hänger heißt, ebenso aufgefallen sein wie ihr mir, denn ihr bliebt stehen, du zu meiner Linken, der andere zu meiner Rechten.

»Na, Mausepuppe, wohin geht’s?« sagtest du – so schleppend deutlich, daß ich einen Moment lang dachte, du hättest schon drei, vier Biere getrunken. Aber in deinem Atem, den ich riechen konnte, weil sich dein Gesicht, während du sprachst, meinem näherte, war nichts säuerlich Alkoholisches, dafür etwas, wovon ich Appetit auf Kakao bekam. Ich weiß nicht mehr, was ich dir zur Antwort gab, doch das Wort Mausepuppe verfehlte seine Wirkung nicht, zumal es mich darauf brachte, daß du, trotz deiner irritierend langsamen, um saubere Artikulation bemühten Ausdrucksweise, nur ein Berliner sein konntest, aber keiner, dem der Schnabel im Osten gewachsen war. Einem so jungen und zudem klischeegemäß gewitzten Lands- oder richtiger Stadtsmann war ich bis zu jenem Tag, an dem ich euch in die Arme lief, auf dieser Seite der Mauer noch nicht begegnet. Die wenigen Menschen, die ich während der Monate nach Marienfelde näher kennengelernt hatte, stammten – wie der Bayer mit der Badewanne – aus dem Süden Deutschlands und betrachteten die Selbständige politische Einheit als eine Art Zwischenlager, in dem man studieren und so den »Ruf zum Bund«, »zur Fahne«, wie wir »von drüben« sagten, ganz legal ignorieren konnte. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, daß sich diese anderen nicht wesentlich von mir »Exzoni« unterschieden, daß auch sie vor etwas geflohen waren, ja, daß all die hierher abgehauenen Nord-, Süd-, West- und Ostdeutschen samt den Türken, Italienern, Griechen, Chinesen, Franzosen, Amerikanern … etwa die Hälfte der Bevölkerung jenes Teils meiner Stadt stellten, in dem ich nicht geboren wurde.

Auf das Schmutztitelblatt des ersten Buches, das ich mir als Raubdruck vom ersten neuen Geld in einer Kneipe gekauft hatte, Anfang Dezember 1986, schrieb ich:

Seit ich, die Topographie des Ostteils im Gedächtnis, durch den Westteil Berlins laufe, weiß ich, diese Stadt ist tatsächlich eine; die auf beiden Seiten übriggebliebenen Häuser ähneln einander ebenso wie die nach dem Krieg hinzugekommenen. Berlin, Ost und West, erinnert mich an ein Verlegenheitsgeschenk, eine Schachtel Kaufhauskonfekt, die dann wochenlang unbeachtet herumsteht, weil ihr Inhalt nicht besonders schmackhaft (hier würden sie sagen »lecker«) ist. In den Mulden des Plastikreliefs hocken, graubeschlagen oder angeknabbert und freudlos zurückgelegt, rechts die nackten Pralinees und links die golden eingewickelten, die, aus der Folie geschält, den anderen gleichen – haargenau, könnte man sagen, wenn Pralinen Haare hätten.

Und auf einem Kalenderblatt vom vierzehnten März 1987, das als Lesezeichen in eben jenem Buch lag, hatte ich noch die folgenden zwei Sätze notiert:

Ich laufe umher, sehe Menschen und denke: der und der und die und die …, wie ich kamen sie irgendwann hier an, um gleich weiter- oder wieder abzureisen, spätestens mit dem letzten Zug. Aber alle Züge waren längst weg, und der letzte ist nie losgefahren; seither sind wir auf dem Bahnhof unterwegs, und der heißt Westberlin-Zoologischer Garten.

 

»Ich Harry, das Benno«, sagtest du, einen Knicks, keinen Diener andeutend. Und ich bin Soja, ergänzte ich – ziemlich unwillig, weil ich befürchtete, nun würde, wie beinahe jedesmal, wenn ich mich hier im Westen jemandem vorstellte, gleich wieder das große Kichern ausbrechen. – »Soja? Ach, und wie weiter? Bohne oder Soße?!« Nur einmal versuchte ich daraufhin zu erklären, daß nicht ich für meinen Vornamen verantwortlich sei, sondern meine Mutter, denn sie habe, auch und gerade »in den schweren Stunden« ihrer »ersten Niederkunft«, an ihr Idol denken müssen, »die von den deutschen Faschisten hingerichtete Partisanin Soja Kosmodemjanskaja«, die mir als »Leitstern den Lebensweg beleuchten« sollte – und noch größere Heiterkeit schlug mir entgegen.

Ihr aber lachtet nicht mehr als zuvor. »Und, Soja«, sagtest du, »was ist? Wollen wir einen Kakao trinken gehen?«

Der Blick, mit dem ich deinen erwiderte, muß dir gezeigt haben, wie ertappt ich mich fühlte. Woher wußtest du, welche Assoziation der Geruch deines Atems in mir ausgelöst hatte? Euer dreister Auftritt hatte mich ohnehin verunsichert, doch daß einer meine Gedanken las, das fand ich nun wirklich unheimlich, aber auch erregend, zumal du dieser eine warst. Ich flatterte mit den Armen, als könnte ich so die Erde verlassen oder euch wenigstens auf diese schüchterne Art den Vogel zeigen. Etwas zog mich hin zu dir, und gleichzeitig warnte mich etwas anderes: kleinliche Herzensträgheit, die allerdings auf Erfahrung basierte. Waren nicht, wie meine Oma einmal gesagt hatte, die meisten Abenteuer am Ende bloß teure Abende?! Außerdem erwartete mich Christophs Badewanne; ich fühlte mich ja gar nicht frisch genug für das vage Verlangen, das mich ergreifen und dir an den Hals werfen wollte. Oder kroch es durch den Bauchnabel in mich hinein – wie ein Gas, das sich hinter meinem Zwerchfell sammelte und ausdehnte und schon anfing, mir die Stimmung zu heben?

Nein, sagte ich, geht nicht. Werde erwartet.

»Okay«, meinte deine Gesellschaft, die bislang noch nicht das Wort gehabt hatte, offensichtlich erleichtert – und packte dich am Ärmel, so derb, daß der mürbe Trikotstoff tatsächlich eine Art Klagelaut von sich gab, denn du bliebst stehen, wolltest dich ebensowenig fortziehen lassen, wie ich dies wollte. Dennoch tat ich das, wozu meine miteinander im Streit liegenden Empfindungen mich nötigten; ich begann zu laufen, mit verdrehtem Kopf, ohne den Blick von dir zu wenden, und schrie dich an: Vielleicht später.

Da machtest du dich los, daß dein Ärmel riß wie Papier, ranntest mir nach, holtest mich ein. »Gut, Punkt drei Uhr, genau hier«, sagtest du scharf, fast drohend, und hörtest erst auf, mich zu verfolgen, als ich, weil ich schon eine Passantin angerempelt hatte, beschloß, jetzt doch lieber wieder nach vorne zu schauen.

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III

Christoph, den mit der Badewanne, einer außergewöhnlich großen, hatte ich Ende Januar kennengelernt, im Lokal gewordenen Wunschtraum einer jeden Ostfrau, dem Malibu am Winterfeldplatz, dessen Boden knöchelhoch mit feinstem weißen Strandsand bestreut war. Zwischen den Tischen standen künstliche Palmen und echte, vom Zigarettenqualm und aus Mangel an Sonnenlicht halb verwelkte Ficus-benjamina-Bäumchen. Pinkfarbene, zu riesigen Flamingos geformte Neonröhren zogen sich über die schwarzen Wände hin, und von der Decke hingen Kugellampen, die ein diffuses blaues Licht gaben. Vor allem dieses Blaulichts wegen besuchte ich das Lokal ganz gerne, denn es bewirkte, daß die Hamburger, Spareribs und Folienkartoffeln, die man dort bestellen konnte, erbärmlich fad aussahen. Und so aß ich nie mehr davon, als unbedingt nötig war, damit mich die sehr kleinen Cocktails, die dafür aber nur die Hälfte des sonst Üblichen kosteten, nicht im Handumdrehen zulöteten.

Christoph hatte sich mir gegenüber niedergelassen, weil alle anderen Plätze besetzt waren. Etwa eine halbe Stunde lang verrenkte er sich fast den Hals, spähte an den ein- und ausströmenden Menschen vorbei zur Tür und leerte nebenher blitzartig die Karaffe Roséwein, die ihm gebracht worden war, ohne daß er sie hatte bestellen müssen. Als die erwartete Person, eine gewisse Adrienne, wie sich bald herausstellte, nicht erschien, drosch Christoph, dessen hübsches Gesicht vom hastigen Trinken und womöglich auch vor Zorn rot angelaufen war, eine Börse aus speckigem Leder neben sein Glas, erhob sich, wand sich suchend um die eigene Achse – wie eine Raupe, die das Ende des Grashalms erreicht hat und nicht mehr weiterweiß; doch die dürre, immer gehetzt dreinschauende Serviererin war nirgends zu sehen.

Erbstück, fragte ich laut und legte meine Finger auf das Portemonnaie. Aber Christoph grabschte nicht etwa ängstlich nach seinem Eigentum, sondern antwortete grinsend, als hätte ich ihn von Üblerem als Geld befreien wollen: »Nein, noch nicht, noch bin ich ja am Leben.«

Er setzte sich wieder, winkte, kaum daß die Toilettentür hinter ihr zugeschlagen war, die Serviererin herbei, fragte, ob er mich einladen dürfe, zu was auch immer, orderte für sich die nächste Karaffe Rosé und sprach: »Angenehm, ich bin der Bayer Christoph Meier.«

Ich sagte ihm, wer ich sei und wo ich herkäme, und dann wunderten wir uns ein wenig und ganz so, wie unsere Rollen es verlangten, er sich, weil ich keinen Wodka mochte, ich mich darüber, daß er sich an diesen komischen hellroten Wein hielt, obwohl sie hier ein berühmtes Münchner Bier zapften. Christoph outete sich als Augsburger, der »in der Nähe von Brechts Elternhaus« aufgewachsen und vor sechs Jahren nach Berlin gekommen sei, um Pädagogik zu studieren. Doch das habe ihn bald »angeödet«, auch weil er »nicht ernsthaft« daran denke, »einmal Kinder zu dressieren«. Jetzt bringe er sich ein bißchen ein in ein Jugendprojekt namens Pumpe und mache am Wochenende einen Job, der ihm wiederum ein bißchen was einbringe.

»Und du? Welcher Teufel hat dich geritten, der DDR den Rücken zu kehren?« Christoph war so taktlos nicht, mich, wie es schon mancher getan hatte, des »Verrats an der Sache des Sozialismus« zu bezichtigen. (Was mich nur mäßig kränkte; denn so, wie wir von einer Alternative geträumt hatten, gestand ich euch die umgekehrte Illusion zu.) Statt dessen bot er mir an, ihn gelegentlich, wenn er Wichtigeres erledigen oder mal wieder seine Mutter besuchen müsse, bei dem Wochenendjob zu vertreten, und sehr viel später, als wir das Malibu schwankend verließen, auch seine Badewanne. »Hier«, lallte Christoph, »hier is a Schlüssel zu unsrer WG. Den hatte ich für Adrienne dabei, doch die scheint ihn ja nicht mehr zu wollen. Kannst kommen, wann du magst. Wir verlassen meist früh das Haus und sind viel unterwegs oder bei unseren Freundinnen.«

Christophs Faust knuffte lasch meine Schulter; seinem Mund entwich noch ein »Tschau«, das wie Miau klang, dann drehte er sich weg und schritt davon, etwas steif- und breitbeinig, wie ein trauriger, aber stolzer Mann eben so geht, kurz vor dem Ende der Nacht.

Als die ihn verschluckt hatte, lief auch ich los, Richtung Tiergarten, den Schlüssel in meiner Hand wärmend.

Lieber hätte ich Christoph mitgenommen und viel lieber ihn zu sich begleitet, schon wegen der Badewanne. Doch seit ich unter ihnen lebte, war es mir nicht mehr gelungen, einen dieser Westmänner aus halbwegs sortierten Verhältnissen für mich zu gewinnen. Sicher, ich war nichts Besonderes, aber ich konnte lange Beine vorzeigen, reine Haut, einen vollen Busen und Mund. Früher im Osten, als ich noch den Exotenbonus hatte und der Gast die Freiheit, zu bestimmen über das Maß von Nähe und Distanz, waren einige dieser Gäste jedenfalls weniger wählerisch gewesen. Zwei Studenten der politischen Wissenschaften, aus Marburg der eine, der andere aus Bremen, hatten nacheinander, »mit Hilfe« meiner »Zuneigung«, wie der Bremer es ausgedrückt hatte, die »erotischen Unterschiede« zwischen ihren »Bräuten« und denen im Osten »empirisch überprüft«. Auch an einen Heidelberger Zahnmediziner kann ich mich ziemlich gut erinnern – und an den vasektomierten amerikanischen Germanistikstudenten, der beim Anblick meines Ofens derart in freudige Erregung geriet, daß er, während seine Zehen die heißen Kacheln betasteten, wieder und wieder »oh, it’s crazy« rief. Dabei hatte mancher Mann, der neben mir oder in den übrigen Regionen unseres Ländchens aufgewachsen war, meine unkomplizierte, nicht nach fester Bindung strebende Art durchaus geschätzt; zumal sich Ostmänner bei den wirklich Schönen eher unsicher fühlten, denn die wollten, wie es hieß, »erobert und so oder so unterhalten werden«.

 

Und nun? Ich gab mir alle Mühe, meine nicht eben zahlreichen Reize hervorzuheben, mit Lippenstift, Netzstrümpfen, schicken BHs unter dünnen Blusen. Aber es lief, obschon ich mich manchen Abend an der gelangweilten Herumhockerei in den Kneipen beteiligte, nichts; nichts als gelegentlich gönnerhaftes oder kritisch belehrendes Interesse an den – auch noch reichlich unspektakulären – Umständen meiner »weichen Landung« auf dem »Planeten des real existierenden Kapitalismus im Sonnensystem Deuropa«, zu der mir Christoph bei unserem ersten Gelage im Malibu gratuliert hatte. Und trotz des beifälligen Lächelns, mit dem ich die fade polemische Replik quittiert hatte, wußte ich über solche wie Christoph doch schon so viel, daß ich mich fragte, ob dieser Wortwitz tatsächlich auf seinem Mist gewachsen war oder auf dem eines Titanic-Redakteurs.

Es war, als seien diese freundlichen, für das ungeübte Auge sehr lässig wirkenden jungen Männer, deren erlesene »Dresscodes« ich entschlüsseln lernte, noch ehe ich wußte, was genau damit gemeint ist, in Klarsichtfolie gewickelt. Ich konnte ihren Blicken folgen, zu ihnen sprechen, sie antworten und atmen hören, aber wirklich berühren konnte ich sie nicht. Das spürte ich, sobald ich meine Hand auf eine dieser Männerhände legte und versuchte, sie eine Weile dort zu lassen. Es fühlte sich an, als seien ihre gepflegten, sehnigen Hände, aus denen sich markant die Adern hervorwölbten, wiewohl sie Wärme abgaben, taub. Oder waren es meine Fingerkuppen? Auch die Männer schienen diese Blockaden zu bemerken, denn sie zogen, meist beiläufig, ja, behutsam, ihre jeweilige Hand weg, während meine noch Kontakt wollte, mein Nervensystem noch darauf wartete, daß etwas geschah, daß es womöglich meinen Pulsschlag beschleunigen, meine Betriebstemperatur erhöhen und meinen Geruchssinn schärfen müßte.

 

Wie ferngesteuert erreichte ich die Pallas-Athene-Straße 12, öffnete die Tür zu der Fünfzimmerwohnung im vierten Stock des zweiten Hinterhofs, die sich Christoph mit drei Freunden teilte, und dann, bis zum Anschlag, den breitmäuligen Messinghahn, aus dem das Wasser in disproportional dünnem, unregelmäßigem Strahl hinunterrann auf den Grund der tiefen, sanft gerundeten Badewanne, die mich jedesmal an die Krankenhaus-Nachttöpfe aus meiner Zeit als Hilfspflegerin erinnerte, nicht nur der Form und des Geräusches wegen, sondern auch, weil sie bestenfalls zu einem Drittel gefüllt war, wenn sich der – zum Glück über dem Fußende hängende – schrottreife Dreißig-Liter-Gasboiler nach einer knappen Stunde endlich entleert hatte. Meistens nutzte ich diese Stunde, um mich für das Privileg zu revanchieren, spülte Geschirr, bügelte Hemden oder bereitete die Suppe vor, die ich nach dem Baden gerne kochte, schön langsam; es konnte ja sein, daß Christoph ausnahmsweise mal vor Mitternacht heimkehrte oder wenigstens einer seiner Wohngenossen Anton, Sven und Bruce.

Doch an jenem Freitag legte ich unverzüglich meine Sachen ab und mich fröstelnd auf den rostfleckigen Wannenboden. Aber nicht so, daß der feine, dafür aus beträchtlicher Höhe hinabstürzende Wasserstrahl die leicht manipulierbare Stelle zwischen meinen Beinen traf, denn beinahe mehr als den mechanisch herbeigeführten Orgasmus, den ich mir sonst immer gönnte, genoß ich es, in Eile zu sein.

Kaum richtig trockengerubbelt, setzte ich mich nackt an den Küchentisch, frisierte und schminkte mich vor einem Klappspiegel, den ich im Bad entdeckt hatte – und dorthin zurückzubringen vergaß, weil ich nervös war, so sehr, daß mir der Lidstrich mißriet und mein flüchtig gefönter, toupierter, hochgesteckter, von zuviel Haarspray klebrig-steifer Schopf aussah wie ein aufgeplatzter Polsterstuhl, ein gefrorener Ameisenhaufen, ein verlassenes Krähennest … Ich schlüpfte wieder in den kleinkarierten Sommerhänger, der mir nun lächerlich verfrüht vorkam, fand noch eine blaue Herrenstrickjacke, die Helmut Kohl gepaßt und gestanden hätte, entschuldigte die Leihnahme auf einem Zettel, warf die Tür hinter mir zu – und hatte Zeit, noch fast eine Stunde, in der ich hin und her überlegte, ob ich meine Verabredung mit dir einhalten sollte oder besser nicht.

 

Ich kniff dann doch nicht; wahrscheinlich, weil ich mich später nicht mit sentimentalen Spekulationen über das womöglich Versäumte quälen wollte, und auch, weil ich in solchen, eine Entscheidung fordernden Situationen erkannte oder zu erkennen glaubte, daß, vor allem anderen, meine Mutter schuld war an meinem »Hang zum Übermut«, den sie oft beklagt und der sie und mich nun für immer getrennt hatte. Oder war Soja Kosmodemjanskajas schweres Schicksal etwa nicht, von den politischen Weltläuften abgesehen, das Resultat ihres Kampfes wider den, nicht einmal nur uns Menschen eigenen, Selbsterhaltungstrieb gewesen?!

 

Peinlicherweise stand ich bereits vor dem Café, als ihr kamt; ja, ihr, denn wieder hattest du diesen Benno im Schlepptau. Dein Blick war so, daß ich einen Moment lang dachte, ich hätte meinen Geburtstag vergessen, du aber nicht. Du strecktest mir eine langstielige, etwas angewelkte, nahezu blatt- und dornenlose rote Rose entgegen; mit der anderen Hand verbargst du etwas hinter deinem Rücken. Dein Fuß stieß die Tür zum Lokal auf, du wähltest für uns einen Tisch in einer weit vom Eingang entfernen Ecke des Raumes und bestelltest bei der Kellnerin, deren einzige Gäste wir waren, drei Kännchen Kakao plus extra Schlagsahne.

Und erst jetzt, da sicher war, daß wir zumindest die nächste Stunde miteinander verbringen würden, musterte ich dein Gesicht in Ruhe und so gut es ging in dem Zwielicht aus Sonnen- und Lampenschein. Trotz dieses Fieberglanzes auf deinen Pupillen, die widerspiegelten, was immer du ansahst, ähnelten deine großen blaßgrauen Augen denen eines alten Karpfens. Auch das Oval deines weichen, unrasierten Gesichts war blaß, und das linke deiner fleischigen Ohren lag dichter am Kopf als das rechte. Das einige Zeit nicht geschnittene Haar fiel dir strähnig in die Stirn. Du hattest Schatten unter den Augen, die weder nur deine langen blonden Wimpern warfen noch allein von dem diffusen Licht herrührten. Am besten gefielen mir dein üppiger, aber männlicher Mund und dein kräftiges, in der Mitte gekerbtes Kinn, das für sich betrachtet aussah wie ein stoppliger Babypopo.

Die Kellnerin brachte die Gedecke, goß Kakao in unsere Tassen, ersetzte den vollen Aschenbecher durch einen leeren. Doch ehe ich in meiner Gier den ersten Schluck nehmen konnte, legtest du das, was du hinter deinem Rücken versteckt und dann neben deinem Stuhl geparkt hattest, zu der Rose, die ich in ein Glas Wasser und an die Wand gestellt hatte. »Mach auf«, sagtest du strahlend; auch Benno versuchte ein Backgroundlächeln.

Ich hob den Deckel von dem violetten, ein wenig lädierten Karton und erblickte eine in Holzwolle gebettete, atemberaubend scheußliche Pierrot-, Harlekin- oder Weißclownpuppe mit blauem Kegelhütchen, grüner Halskrause, Stupsnäschen, herzförmiger Schnute und schwarzer Träne unter dem einen ihrer dämlich glotzenden Glasaugen.

Für den Moment, womöglich gar minutenlang, war ich so verblüfft, daß ich die Kontrolle über meine Mimik verlor; das jedenfalls signalisierte mir der Anflug von Enttäuschung, der auf euren Gesichtern lag, als ich endlich wieder hochschauen konnte – zu Benno – und dann zu dir. Danke, sagte ich fast tonlos.

Du erwidertest nichts; aber Benno begann, als sei er Meister im Überspielen heikler Situationen, davon zu plappern, wie du diese »wertvolle Künstlerpuppe, eine einmalige Handarbeit«, all den kleineren, weniger schönen vorgezogen und »keine müde Mark« gescheut hättest, weil du der Meinung gewesen wärst, die und keine andere passe zu mir.

Das nun brachte mich gleich noch einmal aus der Fassung, jedoch nicht in dem Sinne, daß mich Zweifel allein an dir befallen hätten. Nein, ich fragte mich, was an meiner Erscheinung so zu deuten sei, daß es dir möglich war, zwischen diesem kitschigen Monstrum und mir irgendeine Verbindung herzustellen oder gar Ähnlichkeit zu entdecken.

Ich entschuldigte mich, ging zur Toilette, betrachtete die im Spiegel über dem Waschbecken sichtbaren Teile meiner Person: die dilettantische Hochfrisur, die ich jetzt nicht einmal mehr mit einem zerrissenen Polster, einem Vogelnest oder einem Insektenbau vergleichen wollte, meinen kleinen roten Mund und meine schwarz umrandeten Augen. Tatsächlich, sagte ich zu der Erscheinung, die mich darstellte, wenn du dir jetzt noch eine Träne erlaubst, kannst du dich auch in die Holzwolle hauen.

Ich weiß nicht, Harry, ob eine andere als ich zu euch zurückgekommen wäre, wenn sie ihre Handtasche dabei- und das Klofenster keine Gitter gehabt hätte.

Daß ich es fertiggebracht hatte, meine Tasche stehenzulassen – und dann noch bei fremden, wenig Vertrauen erweckenden Männern, signalisierte mir nichts Gutes. Jäh überrollt von einer Panikwelle, die mich nur aus einem Grund nicht umwarf, nämlich dem, daß ich mein Geld seit dem Portemonnaieverlust tagsüber im BH aufbewahrte, unterdrückte ich jenes Bedürfnis, das mich diesen Ort hatte aufsuchen lassen, und ebenso das kaum geringere, mit dem letzten bräunlich aus dem Spender lugenden Papierhandtuch verbessernd an mir herumzuwischen.

Glücklicherweise fand ich euch dort wieder, wo ihr sein solltet, in der hinteren Ecke des Cafés, und war zumindest die Sorge um meine Tasche los. Du schautest mich nicht an, als ich mich seufzend auf den Stuhl plumpsen ließ, der jetzt zwischen euch frei war und nicht identisch mit jenem, den ich vor wenigen Minuten verlassen hatte. Ihr wirktet verstimmt, ja richtig sauer. Ich fragte mich, ob die Ursache dafür noch immer meine mäßige Freude über dein Geschenk sein konnte und ihr euch womöglich deswegen gestritten hattet, oder ob euch etwas ganz anderes die Gesichter entstellte, etwas, wovon ich nun gar keine Ahnung hatte.

Ich griff nach der Puppe, sagte schrill: schönes Ding – und erschrak über meine falsche Stimme.

»Nun nimm sie schon in den Arm«, setzte Benno nach und klang dabei nicht minder verlogen und vollends onkelhaft, als hätte ich diese fiese Puppe mit einem von ihm spendierten Los auf dem Rummel gewonnen, fügte er hinzu: »Die kann dir keiner mehr wegnehmen.«

»Jetzt reißt euch mal bloß nicht das Futter aus der Jacke«, das waren die Worte, mit denen du unserem Laienspiel ein Ende machtest. Und obgleich du zu grinsen versuchtest, verriet dein sowohl Benno als auch mir ausweichender Blick, daß ich dir gründlich die Laune verdorben hatte. Nicht nur dir; die Stimmung war hin. Wir schwiegen wie die Steine; Kakao hatten wir auch keinen mehr.