Verfrühte Tierliebe - Katja Lange-Müller - E-Book

Verfrühte Tierliebe E-Book

Katja Lange-Müller

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Beschreibung

Auf den ersten Blick erzählt Katja Lange-Müller in den beiden Teilen ihres neuen Buchs zwei kuriose Ereignisse aus der Kindheit und Jugend einer Frau: Im achten Schuljahr wird die triste Routine des Schulalltags unterbrochen durch den Auftritt eines Mannes, der den Schülern in der Aula eine Sammlung von toten und lebenden Reptilien und Insekten vorführt. Jahre später geht die junge Frau durch ein neu eröffnetes Kaufhaus und landet im Keller als Gefangene eines dubiosen Warenhausdetektivs. Doch das, was sich aus diesen Ereignissen entwickelt, vor allem über die Art und Weise, wie diese beiden Episoden erzählt werden, macht Katja Lange-Müllers Buch zu einem Kunstwerk: genaueste Detailbeobachtungen, ein entwaffnender Humor und ein hochkomplexer sprachlicher Stil. Verfrühte Tierliebe ist ein Buch über die Einsamkeit des Erwachsenwerdens, über die peinigende Realität des Körpers im menschlichen Zusammenleben, über Macht und Ohnmacht zwischen Männern und Frauen. Und nicht zuletzt ist es ein Buch über ein Land, das es seit 1989 nicht mehr gibt.

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Seitenzahl: 120

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Katja Lange-Müller

Verfrühte Tierliebe

Kurzübersicht

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Inhaltsverzeichnis

FördernachweisVerfrühte Tierliebe – Teil I KäferVerfrühte Tierliebe – Teil II Servus
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Dieses Buch wurde mit einem Stipendium vom Deutschen Literaturfonds Darmstadt gefördert.

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Verfrühte Tierliebe – Teil IKäfer

»Seit ich die Tiere kenne,

liebe ich die Pflanzen.«

H. Beyer, Schauspieler

Unsere Schule war ein fast quadratischer Bau aus rotgelben Ziegeln, unter dessen Dach früher einmal eine Schokoladenfabrikation gehaust haben soll, was ich manchmal für möglich hielt, wegen des vanilleähnlichen Geruchs, der – schwach, doch penetrant genug in seiner Andersartigkeit – den üblichen Bohnerwachs-Pisse-Gestank durchdrang, wenn es sehr heiß wurde von der Sonne im Sommer oder, schon seltener, im Winter von den gußeisernen Heizkörpern, deren abblätternde braune Rostschutzfarbpartikel ich eine Zeitlang sammelte, wie auch von den specksteinernen Fensterbänken die krepierten Fliegen, die ich, am liebsten während der Mathematikstunden, im Hinterhalt eines wackligen Lehrbücherturms mit Hilfe der Barthaar-Entfernungs-Pinzette meiner Mutter in ihre Bestandteile zerlegte, um sie anschließend häufchenweise, die Körper zu den Körpern, die Köpfe zu den Köpfen, die Beine zu den Beinen, die Flügel zu den Flügeln, auf vier verschiedenfarbig bemalte Zigarilloskistchen der Sorte »Sprachlos« zu verteilen.

 

Wie eine kleine Schachtel ohne Deckel in einer großen, mit viereckigen verglasten Luft- und Gucklöchern, steckte in der Schule der Schulhof, über den, den Herbst meines sechsten Schuljahres lang, immer früh, noch vor der Nullstunde, nicht gerade schnell und dicht beieinander, zwei Ratten liefen, bis der Hausmeister eines Morgens wenigstens die eine mit der Kohlenschippe erwischte. Die andere aber rannte nicht etwa panisch davon, sondern tapste, wie besoffen, geschockt, verwirrt … direkt neben der Erschlagenen im Kreis umher, was den Hausmeister derart erstaunte, daß er, die Schippe vorsichtshalber in der Hand behaltend, trotz seines Gelenkrheumatismus niederkniete, um die übrige Ratte näher zu betrachten. Und weil er seinen Augen, selbst auf diese nun wirklich kurze Distanz hin, nicht trauen wollte, oder aus Angst um deren Licht – vor der Ratte –, griff er auch noch zu der Lesebrille, die ansonsten, gemeinsam mit einem alten Füllfederhalter, zu rein dekorativen Zwecken im Brustlatz seines nie richtig sauber gewaschenen, aber immer steif gestärkten und platt gemangelten Blaumanns steckte.

Bei einem solchen Aufwand an Aufmerksamkeit konnte dem Hausmeister gar nicht entgehen, daß die Augäpfel dieser am Leben gebliebenen Ratte ganz milchig waren und daß sie in ihrem von gesträubten, zitternden Barthaaren gesäumten Maul zwischen den gelben Raffzähnen ein Ästchen hielt, an dem, nach den Worten des Hausmeisters, ihre »gefallene Artgenossin« sie »durchs Dasein« geführt habe, »wie ein treuer Blindenhund«.

 

Bis der Hausmeister gegen Ende der Neujahrsferien endgültig auf Rente ging, wohnte Rolf – denn so und mit einem Pils-Bier hatte er, »der Toten zum Gedenken«, wie er uns erklärte, die weißäugige Ratte getauft – nun in des Hausmeisters Heizungskeller, wo sie es schön warm hatte; wir auch, wenn wir sie während der großen Hofpause ausnahmsweise mal füttern durften, doch nur mit Brot- und nie mit Wurststückchen.

 

 

Ziemlich genau in der Mitte des nahezu rechteckigen Schulhofes stand, ich will nicht sagen »wuchs« – denn für das, was nach meiner Vorstellung mit dem Wort »wachsen« gemeint sein könnte, geschah dies, wenn es überhaupt noch geschah, kaum wahrnehmbar langsam –, eine etwa dreizehn Meter hohe Sommereiche. Daß dieser Baum uns als Sommereiche galt, war das angeblich logische Resultat einer Behauptung unseres alten Biologielehrers, der zufolge es möglich wäre, einen Baum, mangels anderer oder weiterer Indizien, allein nach der Struktur seiner Rinde zu bestimmen. An keinem Frühlingstag auch nur eines Jahres der insgesamt zehn, die ich ihn kannte, hätte jemand den Baum anders sehen können als kahl. Noch jeder der alle zwölf Monate aus ihm hervorbrechen wollenden frischen Triebe verschwand, sobald sich dieser Vorgang als Verfärbung der äußeren Extremitäten seiner weit verzweigten Äste bloß andeutete, wie eine Fata Morgana; Goldafterraupen fraßen die Knospen auf, blitzartig und restlos.

Möglicherweise war ihr Entdecker ein Unglückswurm von einem Menschen namens Goldafter, doch dafür, daß dies der Grund war, sie so zu nennen, fand sich niemals irgendwo nur ein Anhaltspunkt, und so verstehe ich bis heute nicht, warum diese Kreaturen Goldafterraupen heißen. Von denen, die ich je erblickte, hatte keine einen goldenen Arsch vorzuweisen, nicht einmal einen gelben, und die Fäden, die aus ihren geschwollenen Hinterleibern kamen, wenn sie sich von Zweig zu Zweig schwangen oder erdwärts abseilten, waren auch bloß hellgrau, wie die der Spinnen. Aber hieß der Baum, dessen Knospen, Triebe, Blätter, Blüten, Früchtchen … allein von den holzbraunen, büschelborstigen Goldafterraupen dargestellt wurden, nicht genauso sinnlos Sommereiche?

Manchmal lagen einige vielleicht schwache, vielleicht ungeschickte, vielleicht flüchtige Goldafterraupen am Boden; sie wurden augenblicks zerstört, in den Schotter gerieben mit eisenbeschlagenen Schuhspitzen, mit Steinen und Stöcken. Ansonsten fiel während der ersten sechs Schulfrühjahre keinem von uns etwas ein zu den Goldafterraupen, und nicht einmal unser Biologielehrer wußte, welche Art Falter im Vorstadium sie verkörperten. Sie verpuppten sich nie; wenn sie es aber doch taten, schließlich waren sie Raupen, dann wahrscheinlich woanders, oder es dauerte bloß eine Nacht, denn jedes Mal waren sie eines Morgens alle weg, ob nun ihrerseits von irgendwem aufgefressen, metamorphosiert ins Diesseits entflogen oder atomisiert – zu Staub zerfallen –, das blieb unergründlich und beschäftigte meine Phantasie eben deswegen so sehr, daß ich, im siebenten Frühling, unter der Schulbank das Kartoffelmesser meiner Oma aus der Strickjackentasche zog, damit einen Weinflaschenkorken aushöhlte, drei tags zuvor auf dem Schulhof eingesammelte Goldafterraupen in das Loch steckte und dieses mit stabgitterartig angeordneten Nähnadeln verschloß. Schon gab es den ersten animalisch gefüllten Knastkorken.

 

Zunächst verlief mein Studium des Verhaltens von Goldafterraupen unter besonderen architektonischsozialen Umständen noch halbwegs befriedigend; in der folgenden großen Pause fanden sich für die neuartige Bastelei neben einigen Bewunderern auch wenige Nachahmer, und sogar meine Versuchssubjekte verhielten sich – indem sie, Tröpfchen einer gallegrünen Flüssigkeit absondernd, die eng gesteckten Nadeln unermüdlich mit den Zangen ihrer Freßwerkzeuge zwickten, die vorderen Saugnapffüße zwischen sie zwängten und ihre Chitinpanzerstirnen gegen den edelstählernen Vorhang drückten – ganz so, wie man es von Sträflingen erwarten darf.

Es gab nur ein echtes Problem: Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Goldafterraupen füttern sollte. Das, wovon ich wußte, daß sie es fressen, nämlich das Grün der Sommereiche auf unserem Schulhof, hatten sie ja bereits vertilgt. Wahrscheinlich existierten in unserer Gegend, auf dem Friedhof vielleicht oder in einem der Parks, weitere derartige Bäume. Doch selbst wenn ich die nächsten Sommereichen gesucht und dann noch gefunden hätte, nach allem, was ich bisher darüber wußte, mußte ich vermuten, daß auch die kahlgefressen waren, von genau solchen Goldafterraupen. Also schob ich den dreien da im Korken Blätter anderer Pflanzen durchs Gitter, dann Grashalme, dann Apfel- und Rübenhäppchen. Offensichtlich wenig lernfähig, bissen meine Goldafterraupen – wenngleich kaum mehr halb so kämpferisch wie anfangs – in nichts als die Nähnadeln, auch nicht einander. Schließlich, am fünften Tag des Experiments, gegen vierzehn Uhr dreißig, mitten in der Deutschstunde, während wir gerade ein Diktat schreiben mußten, starben sie wie Exekutierte – alle zusammen und annähernd gleichzeitig – und hatten sich, vom ersten Moment ihrer Haft an bis zu dem ihres Todes, äußerlich kein bißchen verändert, nicht einmal dünner waren sie geworden.

 

 

Die ersten Tage des achten Schuljahres verbrachte ich sonderbar gestimmt. Ich weinte oft und grundsätzlich ohne Anlaß, heimlich rauchend auf dem Mädchenklo. Danach fühlte ich mich meistens besser, aber genau genommen bloß leer, obgleich ich die Toilette bei diesen Gelegenheiten nur selten für eine ihrer beiden eigentlichen Bestimmungen benutzte. Und leer blieben seit der Zeit auch die bunten »Sprachlos«-Schachteln, die ich über dem letzten Ferienlagersommer vergessen hatte, in einer Ecke der elterlichen Wohnung, zu der alleine meine Oma noch »das Kinderzimmer« sagte.

 

Obwohl regulär Biologie auf dem Plan stand, ein Fach, das den meisten von uns nicht das unangenehmste war, beorderte uns die Sekretärin des Direktors zur dritten Stunde des zweiten Oktober-Dienstages dieses neuen Schuljahres in jenen selten gebrauchten, weil prinzipiell gemeinschaftlichen Anlässen vorbehaltenen Saal den ich wegen der, wenigstens bei mir, Würgereflexe auslösenden »Immer-Bereit-Zur-Schülervollversammlung-Atmosphäre«, die da drinnen herrschte – assoziierend von der einzigen möglichen Pluralform des originalen Wortes für derartige Säle »die Aule«[1] genannt hatte.

An diesem Dienstag stand kein Rednerpult auf dem großen Podest; statt dessen befanden sich dort, wie Kulissen, die einen Umzug vortäuschen sollten, sperrhölzerne würfelförmige Kisten, und eine Art Tafel war arrangiert, aus aneinandergereihten Schulbänken, die denen in unseren Klassenzimmern glichen. Es roch ein wenig anders als üblich, nach Zoo oder nach Zirkus, aber kein Direktor trat auf, wir sollten kein Lied singen, auch nichts geloben. Nicht einmal klassenweise, sondern gerade so, wie wir hereinkamen, durften wir uns gleich hinsetzen, wir Schüler der Oberstufe, ein jeder, wo er wollte, und in die vordersten Reihen, weil die nervösen Kleinen, auf die wir sonst immer Rücksicht nehmen mußten, diesmal offenbar nicht zugelassen waren.

 

Ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte, öffnete die Tür links neben der Bühne. Er tat mit zurückgelegtem Oberkörper einen komisch und zugleich lasziv wirkenden langen Schritt, der genau bis vor die kleine Seitentreppe reichte, hob im hohen stumpfen Winkel ein Bein über ihre drei Stufen, als sei die Treppe keine Steighilfe, sondern eine Hürde, schwang das andere Bein lässig nach und kam, wie ein guter Geräteturner, ohne das zarteste Schwanken sofort zum Stehen, exakt in der linken vorderen Bühnenecke.

Nun erst blickte der Mann uns an, ganz langsam, einen nach dem anderen, Reihe um Reihe, vom ersten vorn bis zum letzten hinten, als wären wir die aufeinanderfolgenden Buchstaben eines Textes und er des Lesens kaum fähig oder so, als müßte er beim Feuerdezernat der Kriminalpolizei unter Hunderten von verkleideten Beamtinnen die eine echte Pyromanin entdecken, die er auch wiedererkennt, jedoch nicht verraten will. Während der Mann mich ansah, zweimal hintereinander jeweils sehr lange, als wäre ich ein besonders undeutlich geschriebenes Doppel-S – vielleicht –, bedauerte ich zunächst, daß ich keine Brille trug, die ich ihm borgen könnte, und verspürte dabei das heftige Verlangen, ihm vorzusagen, was oder wer ich war, aber gerade jetzt wollte es mir einfach nicht einfallen. Den Blick darauf bemächtigte sich meiner das Gefühl, die gesuchte Zündelschwester zu sein, die schon anfing, sich zu fragen, ob sie sich nicht stellen sollte, bloß um den eventuell aufkommenden Verdacht der wissentlichen Nicht- oder Falschaussage von ihm abzuwenden.

Der Mann probierte ein Lächeln. Was er hinkriegte, ähnelte dem alten Schlüpfergummiband an meinem Katapult, wenn ich es gelegentlich noch einmal ohne Krampe, bloß aus Langeweile, zu spannen versuchte: so schmuddlig-weiß und ausgeleiert zogen sich seine Lippen dahin, von einem stumpfen Mundwinkel zum anderen. Als gehöre der Mund nicht zum selben Kopf wie sie, bewegten sich die großen dunklen Augen des Mannes auch weiterhin nur ganz wenig und starrten auf uns nieder, mit diesem nicht deutbaren stoisch-schlafwandlerischen Ausdruck, an den ich mich wohl so genau erinnere, weil ich einem sehr ähnlichen viele Jahre später noch einmal begegnete, im Blick eines anderen Mannes, Momente vor einem seiner Orgasmen oder wenigstens Ejakulationen.

 

Die unerwartet helle, etwa wie Senfgläser im Spülwasser klingende Stimme dieses weder kräftigen noch schmalen, nicht jungen, nicht alten Mannes holte uns endlich zurück aus dem hypnotischen Blödsinn, den seine Augen mit uns getrieben hatten. »Meine lieben jungen Menschen«, sagte er, »ich heiße Bisalzki. Wir werden, denke ich, eine lehrreiche, aber auch erstaunliche Stunde miteinander verleben.«

Und nun packte Bisalzki erst mal aus: durchsichtige, seltsam geformte, zugestöpselte, mit irgendwelchen Flüssigkeiten – vielleicht auch nur Spiritus – gefüllte Behältnisse, in denen auf die Entfernung kaum identifizierbare, doch nicht unbedingt fischähnliche Etwasse herumschwammen, kleinere und größere Schachteln, auf Stullenbrettchen geleimte Skelette und einen runden Deckelkorb, wobei ihm unentwegt so dünne, schillernde Ausrufe wie »Was haben wir denn hier!« oder »Ihr werdet schon sehen!« von der Lippe schäumten.

Was uns Bisalzki da an Exponaten auftafelte, ließ mich – wie sich herausstellte, nicht ganz zu Unrecht – vermuten, daß er eine Art Laienzoologe war, ein nach Jahren kontemplativen Hortens nun von Schule zu Schule nomadisierender Vögel-, Reptilien-, Insektensammler und Impressario seines ambulanten Museum-Farm-Unternehmens, denn er führe, gab er uns auf den Korb weisend zu verstehen, nicht ausschließlich konserviertes Getier mit sich herum, sondern auch ein lebendiges.

 

Während er ihre Inhalte erklärte und wie und wo er sich die zugezogen hatte, ließ Bisalzki versiegelte Reagenz- und Zylindergläser von Hand zu Hand gehen. Leicht angeekelt oder mehr amüsiert, manchmal auch beides zugleich, beäugten wir die von der Konservierungsflüssigkeit abgelutschten, in Sonnen- und Lampenlicht gebleichten, unbeschreiblich leichenhaft aussehenden und doch – wie mundgeblasene böhmische Flaschenteufel oder japanischen Souvenirmuscheln entschlüpfte Seidenpapierdrachen – in ihren flüssigen Gräbern auf- und niedertanzenden exotischen Frösche, Grottenolme, Salamander, Leguane, Schlangen.

Ein »Trüffelstück der Kollektion«, wie Bisalzki sich ausdrückte, werde ich, wenn nicht Alzheimer mich dereinst erlöst, bis ans Ende meiner Tage – also zumindest bis zum Beginn der zweiten Phase des Klimakteriums – nicht vergessen können, noch weniger die enorme physiologische Erregung, die mich, rätselhafterweise gerade angesichts dieses eingemachten Dramas und naturalistischen Exempels tierischer Grausamkeit, erstmals ergriff: In einer wahrscheinlich sehr alten, bauchigen Pulle, mehr auf als unter dem Spiegel dessen, was Bisalzki seine »geheime Speziallösung« nannte, schaukelten zwei kleine, zarte, von schlierig-grauer Plaque überzogene ineinander verbissene Vipern. Bis fast zur Mitte ihrer jeweiligen Gesamtlänge hatte die eine der anderen, die andere der einen Leib von den Maulwinkeln her aufgetrennt und verschlungen. Einander komplett waagerecht zu halbieren, das war ihnen dann aber wohl doch nicht gelungen, und so hatten beide Schlangen ersticken müssen, jede an je einer halben Hälfte der anderen.

Die dem Schlangen-Kampf-und-Tod noch folgenden »Kompott«-Gläserfüllungen konnte ich kaum mehr richtig wahrnehmen, zu sehr beschäftigte mich der Verdacht, daß Bisalzki vielleicht nicht bloß jene beiden Vipern präpariert hatte, sondern auch deren seltsames Ende. – »Kompott«, dies irritierend kulinarische Wort für all die abgetauchten oder ertrunkenen oder in bereits totem Zustand untergegangenen, auf Grund gelegten oder gefluteten … ehemaligen Angehörigen aller möglichen Frosch-, Lurch- und Kriechtiergeschlechter, hauchte mir, mit heißem, übelriechendem Atem, meine rechte Platznachbarin, eine immer hungrige Lange aus der Sieben b zu, als ich ihr das letzte Teil dieser Runde, eine Zwei-Liter-Flasche voller medusenhäuptiger rosa-weißer Axolotls, in den Schoß legte.

 

Nach dem Eingeweckten entdeckelte Bisalzki feierlich viele quadratische Schachteln und machte uns, indem er nun auch diese herumreichen ließ, bekannt mit der reziproken Konservierungsmethode: Die Schachteln beherbergten, hinter Objektträgerglas schön ordentlich neben- und untereinander aufgereiht, die mumifizierten Kadaver von Stab-, Wander-, Gespensterheuschrecken, Blattwanzen, Lauf-, Rosen-, Mai-, Mist-, Hirsch- und Nashornkäfern sowie die der heimischen Tag- oder Nachtfalter. Die »leider nicht vollständige, aber schon recht bedeutende Sammlung tropischer Schmetterlinge und Kerfe«, die er »selbstverständlich ebenfalls« sein »eigen« nenne, habe er nicht mitbringen wollen, die sei »ja wohl doch zu kostbar« für un