Bullseye - Bull & Tiger - Monica James - E-Book
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Bullseye - Bull & Tiger E-Book

Monica James

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Beschreibung

Zwölf Jahre hat Cody Bishop für ein Verbrechen eingesessen, das er nicht bereut. Jetzt ist er wieder auf freiem Fuß und hat nur eine Sache im Sinn. Rache. Nichts und niemand wird ihn aufhalten können, denn eins hat er gelernt. In dieser Welt leben wahre Monster. Und er selbst ist das schlimmste von allen. Nicht ohne Grund nennt man ihn Bullseye. Sein Plan ist ganz einfach, doch dann lernt er Lillian Hope kennen. Sie löst Dinge in ihm aus, die er nicht kennt, und er beginnt, nach all den Jahren wieder etwas zu fühlen. Bull ist ein Mann, vor dem Lily davonlaufen sollte. Sie sollte Angst vor ihm haben. Aber er zieht sie magisch an, obwohl sie wie Feuer und Eis sind. Ein Dark Romance Roman aus der Feder der internationalen Bestsellerautorin Monica James.

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Seitenzahl: 492

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BULLSEYE - BULL & TIGER 1

Monsters Within Dilogie

Monica James

© 2021 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Übersetzung Sylvia Pranga

© Covergestaltung Andrea Gunschera

© Originalausgabe Monica James 2020

ISBN Taschenbuch: 9783864439711

ISBN eBook-mobi: 9783864439728

ISBN eBook-epub: 9783864439735

www.sieben-verlag.de

Elle Kennedy, ich liebe dich.

Lass uns nie wieder eine Bootstour machen.

P.S.: Ich hoffe, dass unsere Hunde nie gekidnappt werden.

Und von Babymöhren bekomme ich Blähungen.

Contents

Kapitel 1 Bull

Kapitel 2 Bull

Kapitel 3 Lily

Kapitel 4 Cody

Kapitel 5 Bull

Kapitel 6 Lily

Kapitel 7 Bull

Kapitel 8 Bull

Kapitel 9 Lily

Kapitel 10 Bull

Kapitel 11 Lily

Kapitel 12 Bull

Kapitel 13 Lily

Kapitel 14 Bull

Kapitel 15 Bull

Kapitel 16 Lily

Kapitel 17 Bull

Danksagungen

Die Autorin

Kapitel 1

Bull

„Ein Paar Motorradstiefel, Größe 47. Ein Harley-Davidson T-Shirt. Eine Jeans, an beiden Knien aufgerissen. Ein schwarzer Kapuzenpulli. Ein Portemonnaie aus Leder mit fünfundachtzig Dollar. Eine silberne Halskette mit einem Sankt Christophorus Anhänger. Und hier sind hundertfünfzig Dollar, eine Straßenkarte und drei Kondome. Holt dich jemand ab?“

Ich schüttele den Kopf und nehme meine Habseligkeiten, die auf dem langen Holztresen vor mir ausgebreitet liegen.

„Die nächste Bushaltestelle ist eine halbe Meile in die Richtung.“ Er zeigt über seine Schulter.

„Ich laufe“, erwidere ich ausdruckslos, streife die weißen Halbschuhe ab und befreie mich von der Uniform, die zwölf lange Jahre wie eine zweite Haut für mich gewesen ist. Es ist mir egal, dass eine Großmutter ein paar Meter entfernt keucht, als sie meine weiße Feinripp-Unterhose sieht. Ich muss das Zeug von mir runterkriegen.

„Wohin willst du gehen? Die Dinge haben sich geändert, seit du eingebuchtet worden bist. Die Leute sind nicht mehr wie früher.“

„Das finde ich schon raus.“ Meine Jeans sitzt etwas locker, was keine Überraschung ist. Man würde nicht einmal einen Hund mit dem Scheiß füttern, den ich da drin essen musste. Das T-Shirt sitzt jedoch eng um meinen Brustkorb und die Oberarme. Die Stiefel und der Kapuzenpulli passen noch. Die Kette lege ich als Letztes an.

Pederson hebt ungläubig eine Braue und zuckt mit den Schultern. „Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Viel Glück, Bull. Du wirst es brauchen.“

Ich nicke ihm dankend zu. Er war der einzige Wärter in diesem Höllenloch, den es überhaupt interessiert hat, ob ich lebe oder sterbe.

Ich werfe keinen letzten Blick mehr auf den Ort, der über ein Jahrzehnt mein Zuhause gewesen ist, denn jede Ecke und Kante dieses Dreckslochs hat sich für immer in mein Gedächtnis eingegraben. Man vergisst die Kinkora-Correctional Facility nicht, und sie vergisst dich ganz sicher auch nicht. Die Hälfte der entlassenen Kriminellen wird innerhalb von sechs Monaten wieder dort inhaftiert, weil es einfacher ist, mit der Politik im Knast klarzukommen, als mit der außerhalb.

Die Regeln sind einfach:

1. Vertrau niemandem.

2. Zeig keine Gefühle.

3. Verpfeif niemanden.

Wenn man diese drei einfachen Regeln befolgt, ist alles in Ordnung.

Doch die Regeln draußen sind mir und meinen Brüdern vollkommen fremd. Ich habe die gesellschaftlichen Regeln fast vergessen, denn wenn man sitzt, folgt man einem ganz anderen Gesetz. Im Knast überlebt der Stärkere und im Gegensatz zum realen Leben kann dich Unterlegenheit das Leben kosten.

Pederson drückt einen Knopf hinter dem Tresen und entlässt mich in die Freiheit. Ich drücke die Glastür mit der Schulter auf und schlendere auf das Stahltor zu, das langsam aufschwingt. Die Wachen beobachten mich aufmerksam. Ich rieche ihre Angst. Sie waren in der Nacht, als ich in meiner Zelle niedergestochen wurde, nicht so wachsam, sondern taten, als bemerkten sie nichts. Das hatte ich ein paar weißen Rassisten-Arschlöchern zu verdanken, die es nicht ertrugen, dass ich Hitler ein Muttersöhnchen nannte.

Aber das ist jetzt Vergangenheit, denn im Gegensatz zu meinen Vorgängern will ich kein Rückkehrer werden. Ich würde mich eher umbringen, als wieder in einer winzigen Zelle gefangen zu sein.

Als das Tor sich geöffnet hat, mache ich meine ersten Schritte als freier Mann. Ich sehe nach rechts und links und stelle fest, dass Detroit sich kein bisschen verändert hat. Es ist immer noch eine scheiß Einöde, in der Träume sterben.

Ich werfe die Karte und die Kondome weg und beschließe, mich nach Norden zu wenden. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es ein paar Meilen entfernt ein billiges Motel. Die verlassene Straße hat für mich so lange für meine Freiheit gestanden, dass ich denke, dass ich etwas fühlen sollte, irgendetwas, als ich sie entlanggehe. Aber ich bin innerlich tot und fühle überhaupt nichts.

Das liegt wohl an der Gefängnisregel Nummer Zwei.

Je weiter ich gehe, desto isolierter wird alles. Ich bin dreißig Jahre alt und habe keine Ahnung, wohin ich will. Nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinn. Ich habe keine Kenntnisse, keine Berufsausbildung und keine besonderen Talente. Als Kind war ich ein kleiner Dreckskerl, der in der Schule mehr hätte lernen sollen.

Wäre ich mehr wie mein älterer Bruder Damian gewesen, könnte ich jetzt ein verdammter Astronaut sein. Ich werfe meinen Eltern nicht vor, wo ich gelandet bin, denn es war nicht ihre Schuld. Es war meine. Ich war faul und geriet auf die schiefe Bahn.

Blut.

So viel Blut.

Ich verdränge die Erinnerung, die mich jedes Mal quält, wenn ich die Augen schließe. Wenn ich das hier überlebe, dann muss ich lernen, mit offenen und geschlossenen Augen zu leben. Nur so ende ich nicht wieder im Knast.

Es weht eine kühle Brise, und ich ziehe die Kapuze über meinen rasierten Kopf, denn die dunklen Sturmwolken vor mir sehen bedrohlich aus. Kurz darauf öffnet der Himmel seine Schleusen und die blöden Engel pissen mich voll. Ich beschleunige mein Tempo, bis ich renne. Endlich sehe ich das rot leuchtende Schild des Hudson Hotels ein paar Blocks vor mir.

Auch wenn sich der Name geändert hat, ist es immer noch dasselbe heruntergekommene Drecksloch, das es vor zwölf Jahren war. Auch noch so viel Farbe kann dieses Scheißding nicht aufpolieren. Aber dieses Drecksloch wird mein Zuhause sein, bis ich meinen Plan in die Tat umsetzen kann. Also wird es mein trautes Heim.

Die Glocke über der Tür klingelt schwächlich, als ich die Holztür aufdrücke und glücklich bin, der Sintflut draußen zu entkommen. Hinter dem weißen Empfangstresen sitzt eine Frau mittleren Alters, die in einem Magazin blättert und eine dünne Zigarre raucht.

Ihre blauen Augen richten sich auf mich. „Hey, Süßer. Du bist ja ganz nass. Bist du im Regen hergelaufen?“

Ich nicke, streife die Kapuze vom Kopf und streiche über die kurzen, dunklen Stoppeln auf meinem Schädel. Dann lange ich in meine Gesäßtasche und ziehe einen Hundertdollarschein heraus. Das Totenschädel-Tattoo auf meinem Handrücken erregt ihre Aufmerksamkeit. „Wie viele Nächte kann ich dafür hierbleiben?“

Ihre roten Fingernägel sind wie Krallen, als sie den zerfledderten Geldschein zu sich zieht. Sie befühlt den Schein und sieht mich aufmerksam an. „Bist du gerade rausgekommen?“

Ich nicke nur. Sie muss den Verbrecher an mir riechen. „Für dich, Süßer, reicht das für eine Woche.“

„Danke.“

„Kein Problem.“ Sie fasst in ihren tiefen Ausschnitt und holt eine zerknitterte weiße Visitenkarte hervor. „Wenn du etwas brauchst, ruf mich an.“

Sie beugt sich über den Tresen und hält mir die Karte zwischen zwei Fingern hin. Ich nehme sie und lese den Namen.

Venus Bisset – Managerin

„Vielen Dank“, sage ich und halte die Karte hoch.

„Oh, Süßer“, schnurrt sie. „Jemand mit so schönen Augen wie du darf mich immer anrufen. Tag und Nacht.“ Sie zwinkert mit ihren lächerlich langen falschen Wimpern, die aussehen, als wären Raupen auf ihren Lidern mutiert.

„Danke, Venus.“

„Ich danke dir. Ich habe noch nie zuvor jemanden mit zwei verschiedenen Augenfarben gesehen. Es ist, als ob Himmel und Hölle einen persönlichen Krieg führen und die andere Seite erobern wollen“, sagt sie mit scheinbarer Ehrfurcht vor meiner genetischen Anomalität.

Ihr Blick schießt von meinem linken Auge, das hellblau ist, zu meinem rechten, das je nach Lichtverhältnissen grün oder fast bernsteinfarben ist. Ihre Aufmerksamkeit kehrt zum linken zurück. Das Blau scheint immer zu gewinnen.

„Welche Seite gewinnt?“, fragt sie, während ich mir wieder die Kapuze über den Kopf ziehe.

„Frag mich das nächste Woche.“

Sie lächelt spöttisch, leckt sich über die rot geschminkten Lippen und wühlt dann in einer Schublade herum, in der sich ein Stapel weiße Schlüsselkarten befindet. „Ich checke dich ein. Wie heißt du?“

Ich trete von einem Bein aufs andere und nenne ihr den Namen, unter dem ich seit jener Nacht bekannt bin. Aber dieser Name passt auch zu dem, zu dem ich geworden bin. „Bullseye. Aber nenn mich Bull.“

„Du redest nicht viel, was?“

Ich nicke kurz, denn sie hat recht. Ich fülle die Leere nicht mit Unsinn. Ich rede nur, wenn es nötig ist.

„Ich sorge dafür, dass du keine Probleme kriegst. Ich will keinen Ärger.“ Sie schiebt mir den Schlüssel zu und fragt nicht nach meinem Spitznamen.

„Ich auch nicht.“ Ich greife nach der Schlüsselkarte, doch Venus legt ihre Hand über meine. Ich balle die Hand sofort zur Faust, und mein ganzer Körper geht in Kampfbereitschaft. Doch ich atme kurz durch und zügle den Drang, Schmerz zuzufügen.

„Die Eismaschine ist gleich um die Ecke. Das Rauchen ist in allen Zimmern verboten.“ Man würde ja auch nicht wagen, diese reinliche Einrichtung zu verschmutzen.

Sie lässt meine Hand los und lächelt. „Genieß deinen Aufenthalt. Du hast Zimmer vierzehn. Wenn du mich brauchst, hast du meine Nummer.“

Ich ziehe meine Hand sofort zurück und lockere die Faust. Venus scheint von meinem merkwürdigen Verhalten unbeeindruckt.

Mit der Schlüsselkarte in der Hand bedanke ich mich bei Venus und gehe aus der Tür. Sobald ich draußen bin, atme ich ein paar Mal tief durch, um die wilden Dämonen in mir unter Kontrolle zu bringen. Berührt zu werden, überschreitet eine meiner Grenzen. Wenn man mich nicht berührt, gibt es keine Probleme.

Ich mag es nicht, wenn Menschen mir auf die Pelle rücken. Wenn man so lange im Knast war, vergisst man die Berührungen anderer Menschen und lernt, damit zu leben. Und nach einer Weile begann es, mir zu gefallen. Ich mochte die Einsamkeit, denn Berührungen schaffen Verbindungen zu anderen Menschen, und daran bin ich nicht interessiert. Ich reiße mich zusammen und gehe den betonierten Fußweg hinunter. Mein Zimmer ist die vorletzte Tür auf der linken Seite. Ich ziehe die Karte über den Sensor und warte auf das Piepen, das mir Einlass gewährt. Als ich die Tür aufschiebe, quietscht die Vier in meiner Zimmernummer plötzlich und verrutscht. Auf dem Kopf hängend schwingt sie hin und her. Ihr verfallener Zustand offenbart, auf was ich mich beim Eintreten gefasst machen muss.

Ohne weiteres Zögern betrete ich mein Zimmer. Es ist genauso, wie ich es erwartet habe – klein, einfach möbliert, mit angrenzendem Bad. Ich mache die Tür zu und verschließe sie. Dann streife ich die Stiefel ab und schalte die Wandheizung ein. Der rote Teppich ist schmutzig und die Brandflecken zeigen mir, dass den Mietern vor mir das Rauchverbot scheißegal war.

Ich gehe durchs Zimmer und ins Bad. Dort schalte ich das schwache Licht an und sehe, dass ich ein Duschbad, ein Waschbecken, einen Spiegel und eine Toilette habe. Ein paar billige Pflegeartikel sind ordentlich auf dem gerissenen Marmor der Abstellfläche arrangiert worden. Ich sehe die kleine Dusche an und weiß, dass ich sie am meisten genießen werde. Warm zu duschen, ohne ständig über die Schulter schauen zu müssen aus Angst, dass man wegen seiner Seife abgestochen oder gefickt wird, wird schön sein.

Ich ziehe mich aus, hänge meine Sachen an dem silberfarbenen Haken auf, und stelle das Wasser auf Heiß. Es ist mir egal, dass mir die Hitze auf der Haut brennt. Ich trete unter den Wasserstrahl, und das ständige Kältegefühl verschwindet langsam aus meinen Knochen, während ich mich von Seite zu Seite drehe.

Dass mir die einfachsten Freuden des Lebens genommen wurden, scheint unfair zu sein, aber ich habe es verdient. Ich habe alles verdient.

Als ich daran denke, wie ich jemandem die einfachsten, alltäglichen Annehmlichkeiten geraubt habe, habe ich plötzlich das Gefühl, dass ich dieses kleine Stück Glück nicht verdient habe. Ich verdiene kein Glück. Dieses Recht habe ich verwirkt, als ich den größten Fehler meines Lebens machte.

Ich kneife die Augen zusammen, während die Erinnerung über mich hereinbricht, und drehe den Wasserhahn auf Kalt. Ich lege die Handflächen an die geflieste Wand und lasse den Kopf zwischen meine ausgebreiteten Arme sinken. Die Silberkette baumelt wie ein Pendel um meinen Hals. Ich bete, dass das kalte Wasser meine Sünden wegwäscht, doch das tut es niemals. Es betont nur, dass ich, egal ob hinter Gittern oder in Freiheit, immer ein Sklave der Vergangenheit sein werde, und dass ich meine inneren Dämonen füttere.

Ich werde immer ein Gefangener des Tages sein, an dem ich eine Waffe nahm und kaltblütig einen Mann erschoss. Doch das Einzige, was ich bedauere, ist … dass ich erwischt wurde.

Dank meiner Reise ins Unglücksland bin ich ruhelos und habe den Kopf nicht frei. Vielleicht könnte ich eine Pussy aufreißen, um etwas Druck loszuwerden. Aber ich hatte so lange keine Frau mehr, dass ich mich wahrscheinlich in dem Moment blamieren würde, in dem sie sich auszieht. Und dafür bin ich auch nicht hier. Ich muss einen Job erledigen.

Mich in Selbstmitleid zu suhlen, tut mir nicht gut, also nehme ich meine Schlüsselkarte und schiebe sie in die Gesäßtasche meiner immer noch feuchten Jeans. Ein paar Blocks weiter habe ich einen Goodwill Laden gesehen. Ich hoffe, dass Laufen gegen meine Niedergeschlagenheit hilft und das Gefühl von Verzweiflung verschwindet.

Nicht, dass es jemals so ist. Aber vielleicht ist es heute anders.

Draußen ist es dunkel, und der Starkregen hat sich in ein Nieseln verwandelt. Mit gesenktem Kopf gehe ich zu dem Geschäft. Ich habe kein Interesse an irgendwelchem Ärger. Ich habe vor, mich in den Schatten zu halten, denn ich will auf keinen Fall zurück in den Knast.

Man sagt, dass das Gefängnis einen Mann verändert. Und das stimmt. Ich habe das schnell gelernt, als mein achtzehnjähriges Ich in eine Jauchegrube von Verkommenheit geworfen wurde und für sich selbst kämpfen musste.

Ich dachte, dass ich ein Gangster wäre und ich mit meinem großen Mundwerk durchkommen würde, aber das brachte mir nur drei gebrochene Rippen, zwei blaue Augen und eine andere Verwendung für meinen Mund ein. Von dem Tag an verrohte die Verbindung zu meiner Vergangenheit, und ich war nicht länger Cody Bishop. Ich war Bullseye. Diesen Spitznamen gaben mir die brutalen Kerle, die meine Mitbewohner waren, als sie von meiner Geschichte erfuhren.

Danach wurde aus dem naiven Möchtegern-Gangster das gefühllose Arschloch, das ich heute bin. Im Gefängnis lernte ich Lügen, Betrügen und Stehlen. Ich wollte nicht für jeden die Schlampe sein, also verwandelte ich mich von einem schlaksigen Teenager in eine einsdreiundneunzig große und zweihundert Pfund schwere Kampfmaschine. Ich trainierte, wenn wir in den Hof durften, und wenn wir wieder in unsere Zellen getrieben wurden, tat ich in dem winzigen Raum, was ich konnte.

Das Training erhielt mir meinen Verstand. Und es war das Einzige, was mir Sicherheit garantierte. Aber egal, wie stark man ist, irgendjemand ist immer stärker und bösartiger. Und mein großer Böser kam in Form eines Neonazis namens Snow White. Er verdankte seinen Namen den Drogen, mit denen er dealte, bis er erwischt wurde.

Ich reibe geistesabwesend über die fünfzehn Zentimeter lange Narbe, die von meinen Nieren bis zur Milz verläuft. Mir wurde gesagt, dass es ein Wunder war, dass ich siebzehn Messerstiche überlebte, aber dem stimme ich nicht zu. Sterben wäre der einfache Ausweg gewesen. Aber zwischen Snow und anderen Schlägern zu überleben, hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Und das ist jemand, den man nicht provozieren sollte.

Ich schiebe die Glastür des kleinen, überfüllten Goodwill Geschäfts auf und gehe zur Abteilung für Männerbekleidung. Ich brauche nicht viel, greife mir schnell das Wichtigste. Nachdem die gelangweilte Teenagerin die Beträge eingegeben hat, bezahle ich und stopfe meine neuen Habseligkeiten in einen Seesack, den ich ebenfalls gekauft habe.

„Einen schönen Tag noch“, sagt sie automatisch, obwohl es draußen stockdunkel ist. Das macht Detroit mit den Menschen. Nach einer Weile verschwimmen alle Tage miteinander und werden zu einem einzigen langen, ermüdenden, monotonen Tag.

Das Interesse der Angestellten ist plötzlich geweckt, als ich meinen dünnen Kapuzenpulli ausziehe und die schwarze Lederjacke überstreife, die ich gerade gekauft habe.

Sie kann nicht viel älter als achtzehn sein, und ich überdenke die Idee, eine Pussy aufzureißen, um ein bisschen Dampf abzulassen. Aber die Idee wird durchkreuzt, als ein älterer Mann mit den Armen voller Ware den Laden betritt. Als er mich sieht, bleibt er abrupt stehen.

„Brandy, ist alles in Ordnung?“ Sein Blick wandert zwischen uns hin und her.

„Ja, Dad, alles gut“, antwortet sie, räuspert sich und scheint verlegen zu sein, weil sie beim Starren erwischt wurde.

„Okay.“ Er geht an mir vorbei und nickt mir zu. „Haben Sie alles, was Sie brauchen?“

Ihm gelingt es nicht, seinen Widerwillen zu verbergen, dass ich seiner geliebten Brandy so nahe bin. Aber ich mache ihm keinen Vorwurf. Ich muss mich an diese Seitenblicke gewöhnen und daran, dass ich wie der tätowierte Kriminelle behandelt werde, der ich bin.

Ich schultere schnell den Seesack, nicke und verlasse das Geschäft. Dabei fühle ich mich sogar schlimmer als beim Betreten des Ladens.

Ein flackerndes pinkfarbenes Licht ein Stück vor mir erregt meine Aufmerksamkeit. Wenn ich an Gott glauben würde, wäre das für mich ein Zeichen. Als ich das schwarz gestrichene Gebäude erreiche, blicke ich hoch und sehe ein blinkendes Licht, das drinnen Girls, Girls, Girls verspricht. Es ist leicht zu erraten, was für ein Etablissement es mit dem Namen The Pink Oyster nur sein kann.

Das schäbige Äußere lässt mich hoffen, dass ich hier vielleicht die Person finde, nach der ich suche. Es scheint, dass ich meinen Plan früher als beabsichtigt verwirklichen kann. Ich öffne die schwere schwarze Tür und gehe hinein.

Rote und gelbe Blitze und hartes, flackerndes Stroboskoplicht schneiden durch den dunstigen Nebel. Die spiegelnde Discokugel über der Bühne wirft Lichtblitze über die schwarzen Wände. Die halbnackte Blondine, die sich um die silberne Stange auf der Bühne windet, bestätigt meine Vermutung.

Ich gehe an einer Gruppe Männer vorbei, die vor der Bühne anerkennend pfeifen und dem jetzt nackten Mädchen Dollarscheine zuwerfen. Sie ist für meinen Geschmack zu mager, also gehe ich zum Tresen.

„Budweiser“, rufe ich der Barkeeperin zu, um trotz des Rocksongs, der aus den Lautsprechern dröhnt, gehört zu werden.

Sie nickt und mir entgeht nicht, dass sie mich interessiert mustert, als sie die Bierflasche öffnet. „Zwei Dollar.“ Sie stellt meine Flasche auf den Tresen, und ich gebe ihr fünf. „Bist du neu hier?“

Ich nicke und greife nach meinem Bier.

Ich sehe mich um und hoffe, ein vertrautes Gesicht zu finden. Kein Erfolg.

„Wie heißt du?“, fragt sie und gibt mir mein Wechselgeld.

„Bull“, antworte ich und stecke die Scheine in die Trinkgelddose, die wie eine Venusmuschel geformt ist.

„Willkommen in The Pink Oyster, Bull. Ich bin Lotus. Wenn du etwas brauchst, ruf mich, okay? Mir gehört dieses schöne Etablissement und Herren wie dich haben wir gern als Stammgäste.“

„Danke. Das merke ich mir.“ Lotus ist eine hübsche Blondine in den Vierzigern. In ihren grünen Augen sehe ich nichts als Freundlichkeit. So einen Blick habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

„Suchst du nach Gesellschaft?“

„Gesellschaft?“ Ich hebe eine Braue und trinke einen großen Schluck Bier. Verdammt, schmeckt das gut. Auch wenn ich noch nicht legal trinken durfte, als ich eingebuchtet wurde, hat mich das nicht davon abgehalten, mich jede Nacht zu betrinken, seit …

Ich verdränge die Erinnerungen und konzentriere mich auf Lotus, weil ich einen klaren Kopf brauche, um das hier zu tun.

„Ja. Meine Mädchen sind nicht nur hervorragende Tänzerinnen, sondern auch angenehme Gesellschaft.“

Lotus sieht, dass ich verwirrt bin und lächelt. „Keine Sorge. Das hier ist ein legales Unternehmen. Wir bieten ein paar Extras in unseren VIP-Räumen im hinteren Bereich an. Allerdings nichts Illegales. Nur ein bisschen Zeit allein mit den Mädchen.“

„Danke, aber ich bin sicher, dass ich mir so hübsche Mädchen wie deine nicht leisten kann.“

„Kein Problem. Wenn du deine Meinung änderst, lass es mich wissen.“

Bevor ich antworten kann, wird das bereits schummrige Licht noch mehr heruntergedreht, und die Leute drehen durch.

„Wisst ihr, was jetzt kommt?“, fragt der als Cowboy verkleidete Showmaster. Die Menge brüllt als Antwort begeistert. „Sie ist unvergleichlich, die Crème de la Crème … Tigerlily!“ Er eilt hinter die Bühne, während die meisten Männer zur vordersten Reihe drängen, den Plätzen, die der Bühne am nächsten sind.

Ich frage mich, warum sie so sabbern. Ich drehe mich auf dem wackeligen Barhocker um, lehne mich gegen den Tresen, verschränke die Arme vor der Brust und beobachte alles interessiert, während ‚Closer‘ von Nine Inch Nails aus den Lautsprechern dröhnt.

Die Musik hat sich verändert, während ich gesessen habe, aber diesen Song kenne ich. Ich bin mit ihm aufgewachsen. Die Bühne ist schwarz verhüllt, und die Musikauswahl trägt zur Mystik bei. Doch als der rote Vorhang am Ende der Bühne sich teilt und eine schlanke Brünette auftaucht, beuge ich mich vor. Das Stroboskoplicht verzerrt ihre Form, aber was ich sehe, erweckt mein Interesse.

Sie bewegt sich wie eine echte Tänzerin, statt die Stange nur dazu zu nutzen, ihren Kunden eine effekthascherische Show zu bieten. Dieses Mädchen hat Übung, denn sie kann tanzen. Sie bewegt sich synchron zum Rhythmus, und jede ihrer geschmeidigen Bewegungen betont den Song. Der knappe String und das Bikini-Oberteil lassen mich ihren trainierten, starken Körper sehen.

Als der Refrain des Songs einsetzt, hängt sie sich an die Stange, offenbart ihre Kraft, indem sie sich herumschwingt und dabei nur ihre Beine nutzt, um sich aufrechtzuhalten. Sie windet sich mit der Kraft und Schnelligkeit einer olympischen Turnerin an der Stange, und als sie abspringt, landet sie auf dem vorderen Teil der Bühne auf den Füßen und geht tief in die Hocke. Sie wirft ihr langes Haar zurück, richtet den Blick auf die Menge, und ich könnte schwören, dass alle Kerle einen Ständer haben. Ein sündiges Lächeln spielt um ihre vollen Lippen. Sie weiß, was sie für eine Wirkung auf diese wandelnden Ständer hat. Sie lässt die Hüften verführerisch kreisen und kommt langsam zum Stehen.

Obwohl ich in einer dunklen Ecke im hinteren Bereich des Raums verborgen bin, habe ich das Gefühl, als ob sie mich direkt anstarrt. Aber genau das tut eine gute Performerin – sie vermittelt jedem den Eindruck, nur für ihn zu tanzen.

Sie lässt das rot glitzernde Bikini-Oberteil herabgleiten, legt die Hände auf die vollen, natürlichen Brüste und nimmt sie erst am Ende des Songs weg. Bevor es auf der Bühne dunkel wird, erhasche ich einen Blick auf ihre festen, pinkfarbenen Nippel. Heilige Scheiße.

Grüne Scheine bedecken die Bühne, und Tigerlily beugt sich diskret herunter und sammelt ihren Verdienst ein. Ich sehe, wie sie unauffällig den ausgestreckten Händen der Perversen direkt vor der Bühne ausweicht. Sie lächelt und kontert ihre anzüglichen Bemerkungen, aber es stört sie offensichtlich, dass sie nur als ein Stück Fleisch gesehen wird.

„Hast du deine Meinung geändert?“, fragt Lotus, als ich mein Bier trinke und dabei Tigerlily beobachte.

„Vielleicht. Wie viel?“ Ich wische mir mit dem Handrücken über die Lippen.

„Sie kostet zu viel, Hübscher“, sagt eine Stimme links neben mir. „Genau wie ich. Aber für dich würde ich eine Ausnahme machen.“

Die Blondine, die vor Tigerlily auf der Bühne getanzt hat, tritt vor mich. Sie trägt ein kurzes blaues Kleid mit sehr tiefem V-Ausschnitt, der ihre falschen Titten zeigt. Sie ist keinesfalls unattraktiv, aber ich suche hier nicht nach einer Pussy, auch wenn die Umgebung etwas anderes vermuten lässt.

„Hi, ich bin Tawny. Ich bin Lotus‘ Nummer Eins bei den Mädchen, nicht wahr?“, sagt sie und sieht über meine Schulter hinweg Lotus an.

Lotus sieht sie als Reaktion gespielt spöttisch an, während sie weiterhin durstige Gäste bedient.

Tawny lächelt mich an und versucht nicht einmal zu verbergen, dass sie mich abcheckt. „Also, Hübscher, was meinst du?“

„Danke, aber …“ Ich komme nicht dazu, meinen Satz zu beenden, denn in diesem Moment kehrt Tigerlily in den Raum zurück. Sie trägt ein rotes Kleid, das wie eine zweite Haut an ihrem wohlgeformten Körper sitzt. Jetzt, wo das Licht etwas heller ist, sehe ich sie besser. Ihr braunes Haar ist lang und wellig. Ihre unglaublich hohen Absätze lassen sie größer wirken, aber ohne sie ist sie klein.

Tawny dreht sich um, um zu sehen, was meine Aufmerksamkeit erregt hat und verdreht die Augen. „Vergiss es. Sie nimmt keine neuen Kunden an. Außerdem denke ich, dass sie alle Hände voll mit Thumper zu tun hat.“

Als ich sehe, wen sie meint, frage ich mich, ob Thumper sich auf dem Weg zu seiner Studentenverbindung verlaufen hat. Er trägt eine Uni-Jacke und sieht wie ein reicher College-Junge aus, dessen Mom ihn immer noch Süßer nennt.

Thumper ist kurz davor, einen Finger zu verlieren, denn Tigerlily will von seinem Schoß aufstehen. Sein schwachsinniges Gefolge lacht, als er sie festhält und scheinbar glaubt, dass ihr offensichtliches Unbehagen lustig ist. Als er eine Hand unter ihr Kleid schiebt, löst sie sich angewidert von ihm und knallt ihm eine – hart. Gut für sie. Der Blödmann wird rot und hält sie noch fester.

Obwohl sie sich selbst behaupten kann, springe ich ohne nachzudenken auf. Ich schiebe mich an Tawny vorbei und stürme auf das Arschloch zu. Ich habe Kerle dieser Art zu oft gesehen. Aber jemanden wie Tigerlily habe ich noch nie gesehen.

Ich erreiche den Tisch, greife nach ihrem Oberarm und ziehe sie hoch, bevor Thumper die Chance hat, irgendetwas zu sagen. Sie quietscht protestierend, hat aber keine Wahl, denn ich schiebe sie hinter mich. Thumper starrt wütend zu mir hoch. Dieser Hund ist nicht glücklich darüber, dass ich ihm sein Spielzeug weggenommen habe.

„Entschuldige bitte. Tigerlily und ich haben uns unterhalten.“ Seine Freunde schweigen und warten auf ein Zeichen, dass sie eingreifen sollen.

„Dann seid ihr jetzt fertig mit Reden“, antworte ich ruhig.

Er drückt zornig die Zunge in die Wange. „Wir sind erst fertig, wenn ich es sage“, blafft er, steht abrupt auf und tritt seinen Stuhl zur Seite.

Er ist einige Zentimeter kleiner als ich und versucht das wettzumachen, indem er den Brustkorb aufbläht. Ich muss lachen.

„Willst du ihm noch etwas sagen?“, frage ich Tigerlily, wobei ich den Blick auf Thumper gerichtet halte.

„Nein“, sagt sie mit bitterer Überzeugung.

Mir gefällt, dass sie sich nicht vor Angst zusammenkauert. Sie hatte keine Skrupel, Thumper zu schlagen, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass sie Ärger kriegt, wenn sie Kunden verschreckt. Ihr Name bekommt eine neue Bedeutung für mich und ich beschließe, dass Tiger ein besserer Spitzname für sie ist.

„Du hast die Dame gehört“, spotte ich. „Ihr seid fertig.“

„Was glaubst du, wer du bist, zum Teufel?“, knurrt er, geht um den Tisch herum und bleibt vor mir stehen.

Solange er mich nicht berührt, muss das nicht schlimm enden … für ihn. „Ich bin jemand, der Frauen nicht schlecht behandelt. Jetzt hast du zwei Möglichkeiten.“ Ich hebe einen Finger. „Erstens könntest du dich wieder hinsetzen und die Show genießen.“ Ich hebe einen zweiten Finger. „Und zweitens könntest du die Fahrt in einem Rettungswagen genießen. Du hast die Wahl.“

Seine Nasenflügel blähen sich, als er wütend ausatmet und den Kiefer anspannt. Er schätzt ab, ob er mit mir fertigwerden kann, doch ich weiche nicht zurück, bin von seinem Blendwerk nicht im Mindesten eingeschüchtert.

„Scheiß drauf!“, sagt er schließlich, wischt kindisch mit der Hand über den Tisch und wirft alle Gläser und Bierkrüge zu Boden.

Ein Glas steht noch auf dem Tisch, und als er es herunterschleudern will, greife ich nach seinem Arm und drücke fest zu. Er sieht auf meine linke Hand hinunter und scheint das Wort zu lesen, das auf meinen Knöcheln tätowiert ist. Dort steht Wolf. Auf der anderen Hand steht Einsamer.

„Fass das Glas an, und ich zertrümmere es auf deinem Kopf.“ Das ist keine leere Drohung.

Als er spürt, dass ich es ernst meine, reißt er sich los und funkelt mich wütend an. „Kommt, Jungs. Lasst uns gehen. Das hier ist sowieso ein Scheißladen. Und das Bier schmeckt wie Pisse.“

Thumper und seine Freunde drängen sich an mir vorbei, aber ich weiche nicht zurück und schütze Tiger, bis der Letzte von ihnen verschwunden ist.

Ich atme tief durch und bücke mich, um die zerbrochenen Gläser aufzuheben. Ich habe keine Ahnung, was über mich gekommen ist. Das war’s wohl mit in Deckung bleiben. Das Bedürfnis, Tiger zu beschützen, war instinktiv, und ich weiß nicht, warum. Mir ist jedoch klar, dass sie gefährlich ist und ich mich von ihr fernhalten sollte.

Ich werfe nicht zwölf lange Jahre des Planens für einen hübschen Hintern weg.

Als sie jedoch neben mir in die Hocke geht, lösen sich alle Gedanken, mich von ihr fernzuhalten, in Luft auf. „Hi.“ Ihre Stimme ist so süß wie Zuckerwatte.

Ich sehe in ihre großen, grünen Augen und nicke.

„Danke, dass du das getan hast. Thumper ist ein Blödmann, aber er ist einer meiner Kunden, die das Girlfriend-Experience wollen.“ Als ich eine Braue hebe, erklärt sie: „Ich tue so, als ob ich mit ihm flirte, und er gibt mir ein großzügiges Trinkgeld. Ich kann selbst auf mich aufpassen, trotzdem danke. Die Dinge sind etwas aus dem Ruder gelaufen.“ Sie leckt sich über die glänzend roten Lippen, und ich habe sofort den Drang, mit dem Daumen über ihren Mund zu streichen, ihren perfekten Lippenstift zu verschmieren und eine sexy Schweinerei zu hinterlassen.

Ich nicke wieder, denn ich habe kein Interesse an Small Talk.

„Ich bin Tigerlily. Lily“, verbessert sie sich schnell und streckt ihre kleine Hand aus.

Ich sehe darauf hinunter, nehme sie jedoch nicht. „Bull.“

Sie ist offensichtlich verlegen und zieht ihre Hand zurück.

„Steh auf“, fordert Lotus. Sie steht, die Hände in die Hüften gestützt, neben dem Tisch. Sie hat jedes Recht, wütend auf mich zu sein, weil ich ihre Gäste rausgeworfen habe. Ich habe die Situation offenbar missverstanden. Thumper wollte das Girlfriend-Experience, was heißt, dass Tiger ihm den Hintern versohlen sollte? An diesem Bild stimmt so gar nichts.

Die Hände voll mit zerbrochenem Glas stehe ich auf und lege die Scherben auf den Tisch. Tiger steht ebenfalls auf.

„Tut mir leid. Ich werde gehen“, sage ich zu Lotus, die mich aufmerksam mustert.

Sie hebt eine schmale Braue. „Weißt du denn, wohin?“

„Nein. Aber ich denke, dass du mich nicht mehr hier haben willst. Ich habe gerade zahlende Kunden vertrieben“, sage ich ausdruckslos.

Als sie den Kopf schüttelt, frage ich mich, was hier los ist.

„Du hast gerade das gemacht, was mein Rausschmeißer Andre hätte tun sollen.“

„Oh?“, erwidere ich und streiche mir über den Kopf. „Mir war nicht klar, dass hier Rausschmeißer arbeiten.“

„Genau das meine ich“, sagt sie und trommelt mit den Fingern auf ihrer Taille. „Andre war zu sehr damit beschäftigt, mit irgendeinem Säufer zu quatschen, um zu merken, dass eins der Mädchen, für deren Schutz er bezahlt wird, in Schwierigkeiten war.“ Sie sieht zu dem Riesen hinüber, der verlegen neben ihr steht.

Ich mag Andre auf den ersten Blick nicht. Abgesehen davon, dass er mit seinem dünnen Pferdeschwanz und dem schwarzen Schnauzbart wie ein schleimiger Schmalzkopf aussieht, hat er einen Bock geschossen, weil er jemanden, den er beschützen sollte, im Stich gelassen hat.

„Willst du einen Job?“, fragt Lotus überraschenderweise. Andre und ich reißen beide die Augen auf.

„Ein Job?“, frage ich für den Fall, dass ich sie missverstanden habe.

Sie nickt, und ihr blonder Pferdeschwanz hüpft bei der heftigen Bewegung. „Ja. Es scheint, dass Andre Hilfe braucht.“

Andre sieht aus, als würde er mir am liebsten die Arme ausreißen. „Ich will niemandem auf die Füße treten.“ Doch das ist so ein verdammtes Glück. „Aber ich kann morgen anfangen.“

„Gut. Komm gegen fünf Uhr nachmittags her.“

Das ist so verdammt gut. Es scheint, dass mein Plan, mit der Gesellschaft zu verschmelzen, eher funktioniert, als ich gedacht hätte. Ich hatte vor, ein Chamäleon zu sein und den Eindruck zu erwecken, mich auf dem richtigen Weg zu befinden. Auch wenn ein respektablerer Job wahrscheinlich angemessener wäre, wird mir das meinen Bewährungshelfer vom Hals halten. Es ist ein perfekter Trick. Jetzt beginnt meine Rache.

Lotus wirft die Scherben in einen Abfalleimer, und ich sage: „Ich könnte diesen Tisch für dich reparieren.“ Ich lege die Hand auf die Tischoberfläche und rüttle ihn, um ihr zu zeigen, wie instabil er ist. Ich habe bemerkt, dass hier etwas Instandhaltung bitter nötig ist. Ich wäre wegen des wackeligen Barhockers fast auf den Hintern gefallen. Sie hält mitten in der Bewegung inne und verzieht die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Du bist gut mit den Händen, was?“

Ihr Kommentar trieft vor Anspielung, und ich grinse. „Du hast ja keine Ahnung.“

Sie fächelt sich dramatisch Luft zu. „Komm gegen zwölf her.“

Da es nichts mehr zu sagen gibt, drehe ich mich um und will zum Tresen zurückgehen, um mein Bier auszutrinken, bis ich bemerke, dass Tiger und Tawny mich beobachten. Plötzlich fühle ich mich sehr unbehaglich.

Lotus bemerkt mein Unbehagen sofort. „Wenn du hier ein Spürhund sein willst, musst du dich in Gesellschaft der Mädchen wohl fühlen. Tawny?“ Sie sieht die aufmerksame Blondine an. „Nimmst du Bull mit nach hinten?“

Spürhund muss ein Ausdruck für einen Rausschmeißer sein, der sich um alles kümmert, was hinten passiert.

„Ja, Lotus“, antwortet sie und lächelt lüstern.

„Was passiert hinten?“, frage ich, denn ich mag keine Überraschungen.

Als Tawny sich vorbeugt und „Du wirst schon sehen“ in mein Ohr flüstert, halte ich den Atem an, weil sie mir zu nahekommt.

Bevor ich ablehnen kann, weil ich mit Tawny nirgendwohin gehen will, tritt Tiger vor. „Lotus, lass mich das machen.“

Lotus und Tawny wenden sich ihr sichtlich überrascht zu. „Was?“

Die Röte, die in ihre Wangen steigt, zeigt entweder, dass sie verlegen, oder dass sie heiß ist. Aber ich will verdammt sein, wenn ich Frauen verstehe. „Bull kam mir zur Hilfe, also denke ich, dass ich ihm etwas schulde.“

„Du schuldest mir nichts“, blaffe ich, weil ich für niemanden ein Wohltätigkeitsfall sein will.

Ihr Blick wird weicher, und ich fühle mich sofort wie ein Blödmann, weil ich sie angeschnauzt habe. „Trotzdem würde ich mich gern bedanken.“

„Du kannst mir ein Bier spendieren.“ Ich will mich umdrehen, aber sie legt schnell die Hand auf meinen Arm. Das Leder meiner Jacke knarzt unter ihren Fingern, und ich presse die Kiefer aufeinander. Tiger erkennt, dass ich mich wegen ihrer Berührung unbehaglich fühle und zieht die Hand sofort weg. Ich atme aus.

„Gut. Wenn du mit Bull gehen willst, mach das“, sagt Lotus und winkt uns weg. Im Club ist immer mehr los und ich weiß, dass sie zurück an die Bar muss.

Tawny verschränkt die Arme vor der Brust. „Das ist nicht fair. Vor zwei Minuten war das noch mein Job.“

Lotus schnalzt mit der Zunge. „Mach eine Pause.“

Tawny ist nicht glücklich, stapft aber schließlich davon.

Tiger lächelt schüchtern und streicht eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr. Als sie mir mit einem Kopfnicken bedeutet, dass ich ihr folgen soll, beäuge ich sie misstrauisch. „Schon okay, Bull. Ich beiße nicht.“

Die Erheiterung in ihrer Stimme lässt mich schließlich nicken. Daraufhin geht sie mir voran. Ich folge ihrem festen Hintern, als sie mich durch den Club führt. Wir gehen durch einen schwach beleuchteten Korridor. Die spärliche Dekoration verrät nicht viel. Tiger öffnet die letzte Tür auf der linken Seite und geht hinein. Als ich eintrete, sehe ich in der Mitte des Zimmers einen Stuhl, der von einem hellroten Scheinwerfer angestrahlt wird.

Das muss der VIP-Raum sein. Also ist ein Spürhund jemand, der die privaten Tanzzimmer überwacht.

Tiger bemerkt, dass ich mich umsehe und lächelt. „Siehst du, es ist nicht unheimlich, oder?“

Die Beurteilung darüber steht noch aus.

„Setz dich“, sagt sie und zeigt auf den Stahlstuhl.

Ich sehe sie misstrauisch an. „Warum?“

„Vertrau mir einfach.“ Sie will mich auf den Stuhl drücken, aber mein Arm schießt vor und ich packe ihr Handgelenk, bevor sie mich berühren kann. Sie zuckt zusammen, wendet den Blick aber nicht eine Sekunde von mir ab. „Ich tue dir nicht weh. Versprochen.“

Das Problem ist, dass ich nicht versprechen kann, ihr nicht wehzutun. In ihren Augen sehe ich nichts als Entschlossenheit, also lasse ich sie langsam los. Wir stehen ganz still, keiner weicht zurück, und ich mag sie sogar noch mehr, weil sie keine Angst zu haben scheint und nicht einmal eingeschüchtert ist, weil ich über ihr aufrage.

Schließlich setze ich mich und beobachte, wie sie durchs Zimmer geht und irgendein Gerät einschaltet. Ich bin ziemlich sicher, dass es ein iPod ist, aber ich habe noch nie einen in natura gesehen, also kann ich es nicht wirklich sagen.

Sie drückt ein paar Knöpfe, und das Licht wird schummriger. Ich kann kaum die Hand vor Augen sehen, aber als das Zimmer in ein sattes Pink getaucht wird, leuchtet Tiger wie ein Weihnachtsbaum. Marilyn Mansons Version von ‚Tainted Love‘ erklingt. Das Lied erkenne ich. Ich sehe interessiert zu, wie sie sich im Takt der Musik bewegt, die Augen schließt und offenbar von dem Song mitgerissen wird.

Genau wie beim ersten Mal, als ich sie tanzen sah, bin ich fasziniert davon, was für eine Kontrolle sie über ihren Körper hat. Sie dreht mir den Rücken zu und zieht den tief sitzenden Reißverschluss ihres Kleids herunter. Dann windet sie sich heraus und wirft es zur Seite. Sie dreht sich, wirft das Haar zurück und offenbart einen goldenen Büstenhalter, der kaum ihre vollen, runden Titten bedeckt.

Atemlos kommt sie auf mich zu. Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück und bin unsicher, was als Nächstes kommt.

Ohne zu zögern, klettert sie auf meinen Schoß, schwebt aber über mir und setzt ihre Muskeln ein, um das Gleichgewicht zu halten. Sie täuscht vor, die Arme um meinen Hals zu legen, berührt mich aber immer noch nicht.

Mir gefällt diese Intimität nicht, aber sie zwingt mich nicht, ihr näherzukommen. Sie dreht sich nur, sodass sie mir den Rücken zuwendet. Meine Arme liegen steif an meinen Seiten, meine Hände ballen sich zu Fäusten. Als sie die Hüften kreisen lässt und mit dem Hintern wackelt, drehe ich fast durch und gebe nach.

Ich verschränke die Hände hinter meinem Nacken und sehe zu, wie sie mir einen Lap Dance gibt. Nur, dass es kein richtiger Lap Dance ist, weil sie mich nicht berührt. Bestimmt ist der Song bald zu Ende. Ich weiß nicht, wie ich hier noch sitzen und die Dämonen unter Kontrolle halten kann.

Blutdurst und Rache treiben meine Dämonen an, und sie wollen Schmerz auslösen, denn Elend sucht Elend. Ich will die Welt mit mir zusammen brennen sehen. Aber das Monster in mir hat schon immer gelauert. Es wartete nur auf den richtigen Moment, aus der Hölle zu kriechen.

Als sich das Tempo erhöht, beschleunigt sie auch ihre Bewegungen, und egal wie sehr ich mich bemühe, kann ich nicht abstreiten, dass ihre Schönheit mich antörnt. Ich war einer Frau seit Ewigkeiten nicht mehr so nah, und ich habe vergessen, wie weich und üppig ihre Rundungen sind. Und wie gut sie riechen. Tiger riecht nach Kirschblüten.

Ich atme langsam weiter und strenge mich an, mein Verlangen zu beherrschen. Aber als sie sich herumdreht und direkt über mir ist, grunze ich tief und kann meine Sehnsucht nicht länger verbergen. Ihre Brust ist nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, und plötzlich drehe ich den Kopf weg.

Doch sie legt bedächtig einen Finger unter mein Kinn und drängt mich mit einem arroganten Lächeln, sie anzusehen. Sie streicht mit dem Zeigefinger über das kleine Tattoo unter meinem rechten Auge und bewundert das Kreuz interessiert, denn ich bin ganz bestimmt kein religiöser Mann.

Ich will das, was sie tut, nicht. Und als sie nach meinen Händen greift und sie an ihre Brust zieht, springe ich vor Überraschung fast vom Stuhl.

Sobald ich ihre weichen Titten spüre, drückt sich mein Ständer gegen sie, aber ich drehe die Hüften weg und fühle mich, als würde ich ersticken. Sie überrascht mich, als sie keucht und ihre Hüften über meinem Schwanz kreisen lässt. Sie schwebt immer noch über mir, wobei sie ihre eindrucksvollen Muskeln einsetzt. Daher täuscht sie die Bewegungen nur vor.

Ihre Hände liegen fest über meinen und ermutigen mich, ihre Titten zu liebkosen. Als ihre Nippel unter meinen Fingern anschwellen, zischen wir beide. Ich erinnere mich, wie sie auf der Bühne ausgesehen haben. Aber egal, wie gut sie sich anfühlt – und sie fühlt sich einfach fantastisch an – ich muss das beenden. Jetzt.

Bevor ich begreife, was sie vorhat, beugt sie sich vor und küsst mich.

Das ungewohnte Gefühl der Lippen eines anderen auf meinen lässt mich erstarren, und als sie sanft meinen zusammengepressten Mund mit ihrer warmen Zunge öffnet, wird mir bewusst, dass ich zum letzten Mal mit siebzehn eine Frau geküsst habe.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte zu fühlen, aber zum ersten Mal seit einer Ewigkeit hebt sich der Schatten aus Wut und Schmerz für ein paar Sekunden. Doch es hält nicht an. Das tut es nie.

Sie schmeckt nach Kaugummi, aber unter der Süße liegt eine Güte, die ich verderben will. Ich will meine Finger in ihrem langen Haar vergraben und daran ziehen – fest – bis sie sich krümmt und mich anbettelt, aufzuhören. Ich will sie beißen, fesseln, sie markieren, denn ihre Reinheit ist ansteckend, und ich frage mich, ob ich sie stehlen kann, um den Schatten auszulöschen, der auf meiner Seele liegt.

Ich will sie betteln sehen. Ich will sie zum Bluten bringen.

Ich bin ein unwürdiges, abscheuliches Monster. Tiger weiß, dass ich nicht gern berührt werde, also bleibt sie auf Abstand. Die meisten Menschen würden ihre Freundlichkeit zu schätzen wissen, aber zu denen gehöre ich nicht. Ich will ihre Schwäche ausnutzen, denn ich blühe bei Schmerz auf.

Ich merke nicht einmal, dass die Musik aufgehört hat, denn ich bin zwischen Richtig und Falsch hin- und hergerissen. Aber das ist erledigt. Vorbei. In mir steckt kein Held. Und genau den verdient jemand wie Tiger.

Sie ist so schön wie ein Schmetterling, aber ich will ihr nur die Flügel ausreißen.

Das ist für mich genug Antrieb, um den Kopf abzuwenden und unsere Verbindung zu trennen. Tiger erkennt meinen Rückzug klar und deutlich und ist verwirrt. Aber das ist nicht mein Problem. Ich stehe auf und zwinge sie, es mir gleichzutun.

„Danke für den Tanz.“ Ich kann nicht widerstehen und reibe langsam mit dem Daumen über ihre vollen Lippen, wobei ich den Lippenstift über ihren Mund verwische – der Mund, den ich gerade geküsst habe. Das Geschmier zu sehen ist wie ein Schuss Heroin für einen Teufel wie mich.

Das Zittern ihrer Lippen zeigt, wie nervös sie ist, was mich nur in dem bestärkt, was ich tun muss.

„Wir sehen uns, Darling.“

Sie scheint etwas sagen zu wollen, ändert ihre Meinung aber. Sie nickt nur, geht nervös zu der Stelle, wo sie ihr Kleid fallengelassen hat, dreht mir den Rücken zu und streift es über.

Ich mache keinen Small Talk, weil ich nicht gern etwas vortäusche. So bin ich. Ein kaltherziger Bastard. Ein verkommenes Tier. Meine Geschichte endet nicht damit, dass der Traumprinz die Prinzessin rettet und mit ihr glücklich bis ans Lebensende ist, denn … ich habe den verdammten Prinzen umgebracht.

Kapitel 2

Bull

„Guten Morgen, strahlende Augen. Hast du gut geschlafen?“

„Habe ich. Danke, Venus“, antworte ich und wende den Blick von der zerfledderten Stadtkarte an der Wand ab und ihr zu.

Venus trägt einen pinkfarbenen Jumpsuit mit dazu farblich passender Perücke. Der Seidenschal, den sie trägt, kann ihren Adamsapfel kaum verbergen. Ich weiß nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe macht. Aber sie muss ihren eigenen Scheiß durchziehen. Ich denke, dass Detroit grausam zu Außenseitern wie uns ist.

„Weißt du, ob der Bus immer noch in der Oakland Road hält?“, frage ich und fahre mit dem Finger eine blaue Linie nach, die durch die Stadtmitte führt.

„Wenn ich mich richtig erinnere, ja. Du willst mit dem Bus fahren?“

„Ja. Das habe ich mir so gedacht.“

„Hast du kein Auto?“

Ich schüttele den Kopf und begegne ihrem Blick. „Ich habe keinen Führerschein.“

Sie zuckt erschrocken zusammen. „Wie alt warst du, als man dich eingebuchtet hat?“

Ich reibe mir den Nacken. „Ich war gerade achtzehn geworden.“

Mitleid überschattet ihr Gesicht. „Tut mir leid, das zu hören.“

Sie braucht kein Mitleid mit mir zu haben. Und sie sollte besser aufhören, mich so mitleidig anzusehen. „Das braucht es nicht. Das Gefängnis war wahrscheinlich der beste Ort für mich.“

Sie lehnt an der Arbeitsplatte und hört mir aufmerksam zu. „Weswegen musstest du sitzen?“

Und da ist sie, die gefürchtete Frage. Ich muss mich daran gewöhnen, darauf zu antworten. Also fange ich besser gleich damit an.

„Mord“, sage ich ganz offen und sehe, wie ihr die Gesichtszüge entgleiten. Auch an diesen Anblick sollte ich mich besser gewöhnen.

Nach ein paar unbehaglichen Sekunden räuspert sie sich. „Wenn jemand eine zweite Chance verdient, bist du es.“

Sie überrascht mich mit dieser unerwarteten Antwort. Aber sie kennt mich nicht. Und wenn sie von meiner Geschichte und meinen Plänen wüsste, wäre sie nicht so schnell mit diesem gefühlsduseligen Kram bei der Hand.

„Wir sehen uns später.“ Ich ziehe den Reißverschluss meiner Lederjacke hoch. „Ich habe einen Job.“

„Tatsächlich? Wo?“

„Im Pink Oyster.“

Sie lächelt und beugt sich auf ihrem Hocker zurück. „Die Frauen können sich einfach nicht von dir fernhalten, was?“

Meine Lippen zucken in der Andeutung eines Lächelns.

Es ist wieder ein eiskalter Morgen, also setze ich meine graue Beanie auf und gehe die Meile bis zur Bushaltestelle. Zum Glück muss ich nicht lange warten. Es ist seltsam, obwohl ich so lange nicht mehr mit einem Bus gefahren bin, sind der Anblick, die Geräusche und Gerüche immer noch genau die gleichen.

Ich schließe die Augen und rufe mir das letzte Mal in Erinnerung. Es war mit meinem Bruder Damian, in der Nacht des großen Spiels. Er hätte mit Freunden fahren können, wollte aber mit mir fahren.

„Komm schon, Kleiner. Das wird Spaß machen.“

„Ich mag Football nicht mal.“

Damian lachte. „Das wirst du, wenn du die Cheerleader siehst.“

Ich verzog das Gesicht und antwortete: „Widerlich. Mädchen sind seltsam.“

„Das liegt daran, dass du gerade mal fünfzehn bist. Warte ein paar Jahre, dann sind sie alles andere als widerlich.“ Er zerzauste mir das Haar, als wir bei unserer Schule vorfuhren, um das große Spiel zu sehen.

„Ich bezweifle es.“

„Vertrau mir, Kleiner. Du wirst deine Meinung ändern.“

Er nahm seine Sporttasche und seinen Helm. Mein Bruder, der Quarterback.

Ich reiße die Augen auf, als der Bus zu einem langsamen Halt kommt. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und sehe, dass ich nur noch einen Block von meinem Ziel entfernt bin. Nichts hat sich verändert. Es ist genauso, wie ich mich erinnere und immer noch so deprimierend wie an dem Tag, als ich das letzte Mal hier war.

Raureif bedeckt das Laub, und selbst die Blumen welken in dem rauen Herbst. Es scheint, dass jedes Lebewesen vergessen will, dass es hier existiert.

Das Gras knirscht unter meinen Schuhen, und leichter Regen setzt ein. Aber ich lasse mich nicht vom Wetter abhalten, das zu tun, was ich seit Jahren tun will. Meine Erinnerung lässt mich nicht im Stich und ich gehe wie auf Autopilot zu dem letzten Grab in einer Reihe, die genauso aussieht wie die davor und dahinter. Aber diese Reihe ist etwas Besonderes.

Sie ist etwas Besonderes, weil sich dort das Grab meines Bruders befindet.

„Hey, Damian.“ Ich gehe in die Hocke.

Vertrocknete Blumen stehen bei seinem Grabstein, und ich könnte mich ohrfeigen, weil ich keine frischen mitgebracht habe. „Ich bin draußen. Zwölf Jahre sind nichts im Vergleich mit der Hölle, die du wegen mir ertragen musstest.

Ich habe seit über neun Jahren nichts mehr von Mom und Dad gehört. Daraus kann ich ihnen allerdings keinen Vorwurf machen, denn ich habe ihnen gesagt, dass sie sich fernhalten sollen. Wenn es nur mich und nicht dich getroffen hätte, dann wäre es für uns alle besser gewesen. Wenn ich nach dem Spiel direkt nach Hause gegangen wäre, wäre alles so anders gewesen. Vor allem würdest du noch leben.“

Ich seufze und senke beschämt den Blick. „Es tut mir leid, Bro. Ich bin schuld, dass du … tot bist. Du hast dein Leben geopfert, um mich zu retten. Aber mein Leben war dieses Opfer nicht wert. Das war es nie.

Aber ich werde nicht zulassen, dass du umsonst gestorben bist. Das verspreche ich“, schwöre ich und umklammere den Anhänger an der Kette um meinen Hals. Er gehörte einst Damian. Es war sein Glücksbringer.

Dies ist der einzige Ort, an dem ich mir erlaube, zu trauern. Wo ich mir die Buße gestatte, die ich nicht verdiene.

„Es tut mir leid, dass es dich getroffen hat. Wenn wir die Plätze tauschen könnten, würde ich es sofort tun. Du warst immer der Gute, und ich …“ Ich breche ab und sehe auf die Taschenuhr hinunter, die auf meinen Handrücken tätowiert ist. „Ich habe immer darauf gewartet, dass etwas Besseres kommt. Ich wünschte, ich hätte begriffen, dass du dieses Bessere warst.“

Ich küsse meinen Mittel- und Zeigefinger und drücke sie auf Damians marmornen Grabstein. Dann stehe ich langsam auf.

„Sie werden dafür bezahlen. Jeder einzelne. Und wenn das passiert … sehen wir uns wieder. Ruhe in Frieden, Bruder. Ich liebe dich.“

Damian ist der einzige Mensch, dem ich je gesagt habe, dass ich ihn liebe. Ich habe es nicht einmal zu meinen Eltern gesagt. Aber wir beide waren nicht nur Brüder, sondern auch beste Freunde. Ich habe zu ihm aufgesehen – verdammt, das haben alle getan. Jeder wollte mit ihm befreundet sein. An ihm war etwas Besonderes, etwas, von dem jeder ein Teil sein wollte.

Dieses Besondere wurde in der Nacht ausgelöscht, als er ermordet wurde. Meinetwegen.

Da es nichts weiter zu sagen gibt, drehe ich mich um und verlasse meinen Bruder, der seit vierzehn Jahren in seinem Grab verrottet. In meinen Gedanken ist er für immer jung. Ein Siebzehnjähriger, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte, bevor es ihm grausam gestohlen wurde.

Ich balle die Fäuste, als ich an den Grund dafür denke, dass sich Damians und mein Leben für immer veränderten. Eine einzige, verdammte Entscheidung zerstörte das Leben von so vielen Menschen, aber ich kann es nicht rückgängig machen. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, und ich muss mit dieser Schuld den Rest meiner lausigen Existenz leben.

Aber ich bin auf dieser Schuld gediehen, seit ich meinen Bruder begraben habe. Es gab nur eine Sache, die mich angetrieben hat, und das war Rache. Und jetzt, wo ich draußen bin … brennt, ihr Dreckskerle, brennt.

Ich verdränge die Erinnerungen, während ich an der Bushaltestelle warte und nicht sicher bin, wann und ob ich jemals hierher zurückkomme. Meine Eltern sind schon eine Weile nicht mehr hier gewesen. Das schmucklose Grab meines Bruders ist ein sicheres Zeichen dafür, denn es war kurz nach seiner Beerdigung ganz anders. Meine Mom kam jeden Tag her, und mein Dad musste sie praktisch nach Hause zerren.

Aber am nächsten Tag war sie wieder da, weinte und verfluchte das Universum, weil es ihr den falschen Sohn genommen hatte.

Der Bus fährt vor, ich steige die Stufen hoch und lasse mich auf einen Sitz im hinteren Bereich sinken. Ich sehe aus dem Fenster und frage mich, wo meine Eltern sind. Das Letzte, was ich von ihnen hörte, war, dass sie sich endlich scheiden ließen. Dad fand Trost bei einer Frau, die halb so alt war wie er. Und meine Mutter fand ihr ewiges Glück in verschreibungspflichtigen Tabletten.

Aber ich verurteile sie nicht. Verdammt, ich bin der Grund, dass ihr Leben so verkorkst ist. Bevor es passierte, waren wir eine große, glückliche Familie. Damian war der Goldjunge, aber ich war nicht eifersüchtig. Ich wünschte mir nur, ein halb so guter Mensch wie er zu werden.

Er war der Typ Mensch, der Älteren über die Straße half und sich um Vögel mit gebrochenen Flügeln kümmerte. Ich zog es vor, den Vogel von seinem Leid zu erlösen und über den alten Furz zu lachen, der über die Straße schlurfte. Wir waren so unterschiedlich, aber Damian verurteilte mich nie. Er liebte mich trotz meiner Fehler.

Mein Spiegelbild starrt mich aus dem schmutzigen Busfenster an, und ich sehe in meine nicht zusammenpassenden Augen und frage mich, ob mein Bruder mich heute noch lieben würde. Mit einem verächtlichen Schnauben schiebe ich diese Empfindungen beiseite, denn ich weiß, dass ich keine Liebe verdiene. Ich verdiene es, allein zu sein, so wie Damian.

Als der Bus an einer Haltestelle ein paar Blocks vom Pink Oyster entfernt stoppt, steige ich aus und gehe den Rest des Weges. Ich bin dankbar, dass Lotus etwas in mir sah, das ich nicht sehe. Ich erledige meinen Job unauffällig und halte mich aus allem raus, denn ich bin aus einem Grund hier. Als ich jedoch die Hintertür öffne und Andre mit einem der Mädchen reden sehe, weiß ich, dass es mir bei diesem Arschloch schwerfallen wird, mich aus allem rauszuhalten.

Ich nicke ihm zur Begrüßung kurz zu, gehe durch den Club und hoffe, Lotus zu finden, damit ich den Umgang mit Andre so gering wie möglich halten kann. Sie ist in einem kleinen Zimmer den Flur hinunter, das ihr als Büro dient. Die Tür steht offen, aber ich klopfe trotzdem an.

„Hi, Bull“, sagt sie und sieht mich kurz an, bevor sie sich wieder den Bergen von Papierkram vor ihr zuwendet.

„Hey. Hast du irgendwelche Werkzeuge, die ich benutzen kann?“

Lotus wedelt mit der Hand zu einer Zimmerecke, wo ich eine Werkzeugkiste aus Metall und einen Erste-Hilfe-Kasten entdecke. Scheinbar hat ihr Büro mehrere Funktionen. Da ich sie nicht stören will, gehe ich schnell hinein und nehme mir, was ich brauche.

Ich will gerade gehen, da schnaubt Lotus und wirft ihren Stift auf den unordentlichen Schreibtisch. „Ich gebe auf“, grollt sie und reibt sich die müden Augen. „Warum kommt das nicht hin?“

Ich weiß nicht, ob sie mit mir spricht oder nicht, vermute, dass es nicht so ist und gehe zur Tür.

„Ich gehe davon aus, dass du nicht gut mit Zahlen bist?“

Ich bleibe stehen und werfe einen Blick über die Schulter auf das vollgekritzelte Blatt vor ihr. Sie scheint Hoffnung zu haben, weil ich nicht sofort abgewehrt habe. Ich überschlage die Berechnung schnell im Kopf und finde ihren Fehler.

„Du hast die Eins nicht übertragen“, sage ich mit Blick auf die Zahlen auf der Seite.

Ich vermute, dass das die Einnahmen des Clubs sind. Vielleicht macht sie auch ihre Steuer. Ich weiß es nicht. Was immer es auch ist, sie sieht rasch auf die Berechnungen vor ihr hinunter und brummt bestätigend. „Heilige Scheiße, du hast recht.“

„Natürlich habe ich recht“, erwidere ich, und sie schmunzelt. „Vieles hat sich verändert, seit ich eingebuchtet wurde, aber Mathe nicht.“

Ich bedauere sofort, preisgegeben zu haben, dass ich im Knast war. Aber Lotus zuckt nicht zusammen oder sieht mich anklagend an. Sie nickt bloß mit einem Lächeln.

„Ein Alleskönner. Wenn du nicht vorsichtig bist, lasse ich dich auch noch meine Bücher machen.“

„Ich bin da draußen, wenn du mich brauchst.“ Ich halte mich nicht länger auf, sondern gehe in den Club.

Andre bedient sich am besten Wodka, was total daneben ist, weil ich nicht glaube, dass er dafür bezahlen wird. Ich mag keine Schmarotzer und Geizhälse. Das Leben ist nicht kostenlos. Aber ich ignoriere ihn und mache mich an die Arbeit, indem ich die Stabilität der Barhocker teste. Sie sind alle wackelig, also öffne ich die Werkzeugkiste und suche nach dem, was ich brauche. Sekunden später legt sich ein riesiger Schatten über mich, was mir sagt, dass ich einen Beobachter habe. Ich schlucke den Köder nicht, denn ich weiß genau, wer da lauert.

Wenn dieses Arschgesicht Ärger sucht, ist er bei mir an der falschen Adresse. Ganz egal, wie gern ich ihm in den Hintern treten würde, werde ich es nicht tun, weil das respektlos gegenüber Lotus wäre. Gerade als ich den Hocker hochheben und auf den Tresen legen will, knallt Andre seine Pranke auf die Oberfläche und blockiert mich. Ich zucke nicht zusammen und hebe langsam den Blick. Wir sehen uns in die Augen, und es ist klar, dass er mir das Leben zur Hölle machen will.

Er hat Glück, dass mich das einen Scheißdreck interessiert.

Er kaut auf einem Zahnstocher und versucht, mich einzuschüchtern, indem er mich niederstarrt. Sein Versuch ist lächerlich. Ich hebe den Hocker hoch, lege ihn auf den Tresen und ignoriere dabei seine Hand.

Er zieht sie schnell zurück. „Sieht aus, als hätte Lotus ein kleines Dienstmädchen gefunden“, spottet er und zieht den Zahnstocher zwischen seinen gummiartigen Lippen hervor.

Ich ignoriere ihn, gehe auf Augenhöhe mit den Beinen des Hockers und checke sie.

„Bist du taub oder dumm? Ich rede mit dir.“ Er reißt am oberen Ende des Hockers und wirft ihn zu Boden.

Ich atme zwei Mal tief durch, richte mich ruhig auf und weigere mich, einzuknicken. Andre ballt mit einem höhnischen Grinsen die Fäuste und wartet auf meinen Gegenschlag.

Da kann er lange warten.

Ich greife nach einem anderen Hocker und mache mit ihm dasselbe, wie mit dem Ersten. Bei diesem Hocker ist das ungleiche Bein auffälliger, also suche ich im Werkzeugkasten nach einer kleinen Säge. Andre gefällt es nicht, ignoriert zu werden.

„Hör zu, du Freak“, spuckt er aus, wobei er seine Hände zum Glück bei sich behält. „Geh mir aus dem Weg, dann haben wir keinen Ärger.“

Es ist klar, dass er nicht verschwindet, bevor ich geantwortet habe, also nicke ich kurz. „Passt mir gut.“

Andre muss das Gefühl haben, dass ich seine Position als Platzhirsch bedrohe, was ironisch ist, da ich mich aus allem raushalten will. Ich bin nicht daran interessiert, der Alpha vor diesem Vollidioten zu sein, denn das ist keine Konkurrenz. „Du bist ein seltsamer Dreckskerl.“

„Danke“, erwidere ich und wende mich wieder der Suche im Werkzeugkasten zu. Ein paar Sekunden später ist er verschwunden, nicht ohne eine Flasche Wodka mitgehen zu lassen.

Ich atme langsam aus, beherrsche meine Wut und konzentriere mich darauf, die Barhocker zu reparieren. Es ist einfach, durch die billigen Holzbeine zu sägen, und ich brauche nicht lange, um alle Beine auf eine Länge zu bringen. Als ich die Beine abschmirgele und die Aufsätze wieder anbringe, damit sie stabil sind, liegt plötzlich ein Hauch von etwas Süßem in der Luft.

Ich wische mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, werfe einen Blick über die Schulter und sehe, dass ich nicht mehr allein bin.

„Hallo, Schöner“, sagt Tawny mit einem Lächeln. Sie versucht nicht zu verbergen, dass sie mich mit den Augen fickt, als sie mich von Kopf bis Fuß mustert.

Ich trage eine zerrissene schwarze Jeans und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, das die Tattoos auf meinen Armen und meinem Hals entblößt. Tawny neigt den Kopf, um einen besseren Blick darauf zu haben, aber da kann sie lange gucken. Meine Tattoos sind privat. Ich habe sie nicht machen lassen, damit andere Leute um mich herumscharwenzeln und mir Fragen stellen. Ich habe sie mir als ständige Erinnerung daran machen lassen, was ich getan habe. Und was ich tun muss, um meinen Bruder zu rächen.

Ich räuspere mich, was sie aus ihrem Starren reißt.

„Bist du hier fertig?“, fragt sie und zeigt mit dem Kinn auf die Barhocker.

„Fast. Warum?“

„Im Umkleideraum sind ein paar Birnen durchgebrannt. Ich würde sie selbst wechseln, habe mir aber gerade die Nägel machen lassen.“ Wie um es mir zu beweisen, wedelt sie mit ihren pinkfarbenen Nägeln vor meinem Gesicht herum.