Color my Love - Merit Niemeitz - E-Book
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Merit Niemeitz

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Beschreibung

**Alles grau, außer dir** Gelb steht für Optimismus, Blau für innere Ruhe, Grün für Hoffnung – Effi wählt ihre Kleidungsfarben nach ihrer Stimmung. Doch seit sie von ihrem Musikerfreund verlassen wurde, trägt die sonst so lebensfrohe Studentin nur noch Grau. Bis sie in einer Bar ausgerechnet ihrem frischgebackenen Ex über den Weg läuft und um ihn eifersüchtig zu machen, kurzerhand den heißesten Typen im Raum küsst. Fin heißt der geheimnisvolle Fremde, der nicht nur erstaunlich gut küssen kann, sondern auch für eine regelrechte Explosion an Rottönen in ihrem Kopf sorgt. Je näher Effi ihm aber kommt, desto mehr spürt sie, dass sie all ihre Farben brauchen wird, um die Dunkelheit seines Herzens zu durchbrechen. Textauszug: Ich wusste genau, warum ich diese Art von Mann normalerweise mied. Allein die Anwesenheit eines so selbstbewusst wirkenden, attraktiven Typen reichte aus, damit ich mich klein, erbärmlich und nicht genug fühlte. Nicht schön genug, nicht schlank genug, nicht witzig genug, nicht klug genug … Die Liste war lang und spulte sich unaufhörlich in meinem Kopf ab, während ich in seine Augen sah. Auch in dem schwachen rotstichigen Licht konnte ich erkennen, dass sie stechend blau waren. Ich schluckte und musste mich zwingen, die nächsten Worte über meine Zungenspitze zu stoßen. »Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich dich kurz küssen würde?« Seine Augenbrauen wanderten hinauf. »Wie bitte?« Sogar seine Stimme war attraktiv. Tief und warm, mit einem sanften Basston, der darin mitschwang. Ich räusperte mich, um mein Krächzen ein wenig hübscher klingen zu lassen. »Darf ich dich küssen? Nur kurz und völlig ohne weiterführende Hintergedanken, versprochen. Ich bräuchte nur ganz dringend jemanden, der mich für ungefähr fünf Sekunden küsst. Bitte. Wäre das in Ordnung?« Er sah mir nur ernst in die Augen und legte den Kopf ein wenig schief. »Nur zu.« //Der Liebesroman »Color my Love« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Merit Niemeitz

Color my Love

**Alles grau, außer dir**

Gelb steht für Optimismus, Blau für innere Ruhe, Grün für Hoffnung – Effi wählt ihre Kleidungsfarben nach ihrer Stimmung. Doch seit sie von ihrem Musikerfreund verlassen wurde, trägt die sonst so lebensfrohe Studentin nur noch Grau. Bis sie in einer Bar ausgerechnet ihrem frischgebackenen Ex über den Weg läuft und um ihn eifersüchtig zu machen, kurzerhand den heißesten Typen im Raum küsst. Fin heißt der geheimnisvolle Fremde, der nicht nur erstaunlich gut küssen kann, sondern auch für eine regelrechte Explosion an Rottönen in ihrem Kopf sorgt. Je näher Effi ihm aber kommt, desto mehr spürt sie, dass sie all ihre Farben brauchen wird, um die Dunkelheit seines Herzens zu durchbrechen

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© privat

Merit Niemeitz wurde 1995 in Berlin geboren und lebt noch immer dort, in einer Wohnung mit unzähligen Flohmarktschätzen, Pflanzen und Büchern. Seit ihrer Kindheit liebt sie Worte und schreibt ihre eigenen Geschichten. Während und nach ihrem Studium der Kulturwissenschaft arbeitet sie seit Jahren in der Buchbranche und möchte eigentlich auch nie etwas anderes tun.

Kapitel 1

»Und das ist das Ende der Geschichte.« Ich holte tief Luft und legte die zittrigen Hände um die Tasse vor mir. Der Kaffee darin war längst kalt geworden, aber ich sollte sowieso nicht noch mehr Koffein zu mir nehmen. Seit Tagen befand ich mich in einem seltsamen Zustand, permanent hin- und hergerissen zwischen Lachanfall und Heulkrampf. Beides würde nicht unbedingt einen guten ersten Eindruck vermitteln, den ich bei einem WG-Bewerbungsgespräch bei meinem potenziellen Vermieter hinterlassen wollte.

Bela saß mir gegenüber an seinem Küchentisch und sah mich abwartend an. Er wirkte weder genervt noch ungeduldig, obwohl ich beides hätte nachvollziehen können. Wenn man eine neue Mitbewohnerin suchte, sehnte man sich vermutlich nicht nach einer nervös plappernden Frau, die ungefragt vom traurig-tragischen Ende ihrer letzten Beziehung erzählte. Bela hatte seinen Kaffee längst ausgetrunken und sich meine Erzählung schweigend angehört. Jetzt wünschte ich mir, er hätte mich unterbrochen. Die plötzliche Stille, die zwischen uns hing, verunsicherte mich schlagartig. Ich rutschte an die Kante des Stuhls und presste die Fersen auf den Boden, um nicht nervös mit den Füßen zu wippen.

»Klingt so, als hättest du eine harte Zeit hinter dir«, sagte er schließlich mit einem halben Lächeln. Seine Stimme verriet nicht, ob er sich über mich amüsierte, aber der warme Ausdruck in seinen Augen wirkte aufrichtig mitfühlend. Das machte es noch schlimmer. Seit der Trennung von Levi hatte ich mich immer wieder beschworen, mich zusammenzureißen. Es brachte mir nichts, wenn ich mich in etwas hineinsteigerte, das ich nicht ändern konnte. Ich wusste das. Doch sobald mich jemand ansah und mir das Gefühl gab, mein Schmerz wäre gerechtfertigt, geriet meine Selbstbeherrschung ins Wanken. Auch jetzt wurde der Drang zu weinen immer stärker.

»Was passiert, passiert. Und für irgendetwas wird es gut gewesen sein. Schmerz kann ungemein fruchtbar sein. Alles wird gut. Man lernt immer aus seinen Fehlern, nicht?« Mein Mund spulte all die leeren Floskeln ab, die ich mir in den letzten Tagen eingeredet hatte.

Dabei wusste ich längst, dass das nicht stimmte. Das alles war für gar nichts gut gewesen. Vier Jahre hatte ich an Levi verschwendet, vier Jahre, die ich nie wiederbekommen würde. Schmerz war nicht fruchtbar, sondern einfach nur furchtbar – mein Inneres war ein blutiges Herzfasern-Massaker, aus dem sicher nichts Neues auferstehen würde.

Gott, ich war so kurz davor zu weinen. Und seinem weichen Blick zufolge wusste Bela das ganz genau.

Reiß dich zusammen. Schnell zog ich mir die Ärmel des anthrazitfarbenen Pullover-Kleides über die Handgelenke. Seit Tagen trug ich nur Grau.

»Keine Sorge, ich bin keinesfalls eine Freundin von diesen kitschigen Wandpostern mit motivierenden Sprüchen.«

»Du meinst, so was wie ›Lächle und die Welt lächelt zurück‹?«

»Genau. Oder so was wie ›Oh, it’s wine o’ clock‹. Nicht ganz mein Stil.«

Obwohl dieser Spruch in den letzten Tagen durchaus Potenzial entwickelt hatte, zu meinem Lebensmotto zu werden.

»Schade. Eigentlich wollte ich genau deshalb eine Frau als Mitbewohnerin. Damit es hier ein bisschen kitschiger und motivierender wird.«

Er hob bedauernd die Hände und mein Lächeln wurde echter. Mein Körper entkrampfte sich, ich sank wieder gegen die Lehne des Stuhls und überschlug die Beine. Die Tatsache, dass Bela es schaffte, so gelassen und freundlich mit mir umzugehen, obwohl wir uns nicht kannten und er gerade dreißig Minuten lang meine Liebeskummertirade ertragen hatte, machte ihn vermutlich zum wundervollsten Typen in ganz Goldhain. »Ich finde, du hast einen sehr hübschen Einrichtungsstil«, sagte ich und ließ den Blick durch die Küche schweifen. Der schmale Holztisch, an dem wir saßen, war mit Brandflecken und Kerzenwachsabdrücken übersät, an der Wand darüber hing eine Pinnwand mit grobkörnigen Fotos aus Einwegkameras. Ein Bastlampenschirm warf Licht auf unsere Köpfe und tunkte die hellen Wände in Gold. In der Luft hing ein angenehmer Duft von frisch gemahlenem Kaffee und altem Holz.

Es war sauber, aber dennoch ein bisschen chaotisch: Über dem Herd standen Gewürzdosen ungeordnet auf einem Holzbrett, die Kaffeetassen von drei Tagen (oder ebenso vielen WG-Castings) stapelten sich neben der Spüle und auf dem Fensterbrett vertrockneten Minze und Basilikum in trauter Zweisamkeit. Es hatte genau die richtige Prise Unordentlichkeit für mich.

Bereits beim Betreten der Wohnung hatte ich diesen unaufdringlichen Hauch von Gemütlichkeit und Wohlfühlatmosphäre wahrgenommen. Dieser ging nicht nur von der Neunzig-Quadratmeter-Wohnung aus, sondern auch von ihrem Bewohner. Bela wirkte mit den weiten Jogginghosen, dem verwaschenen Shirt und dem wirren Haar etwas verpeilt, aber seine warme, offenherzige Ausstrahlung hatte mich vom ersten Moment an willkommen geheißen. Nach den anstrengenden Begegnungen der vergangenen Tage, die ich auf meiner Wohnungssuche gemacht hatte, war das so wohltuend, dass ich mich sofort entspannt hatte. Vielleicht ein kleines bisschen zu sehr. Ich rechnete jederzeit damit, dass er mich auf höfliche Art vor die Tür setzte.

»Na dann, komm. Ich zeige dir mal das Zimmer, um das es geht«, meinte er stattdessen und erhob sich.

Mein Herz machte einen Satz. Entweder war er extrem freundlich oder er wollte mich tatsächlich noch nicht loswerden.

Ich folgte ihm durch den Flur in den hinteren Bereich der Wohnung. Während wir durch das geräumige Wohnzimmer liefen, warf ich einen Blick durch die bodentiefen Fenster auf die Dachterrasse. Ich konnte bis zur Küche sehen, von der man ebenfalls auf die Terrasse kam. Sie hatte mich schon in der Anzeige begeistert, genau wie der Raum, den wir jetzt betraten.

Er war nicht allzu groß, aber selbst am späten Nachmittag noch so hell, dass ich kurz die Augen zukniff. Vorsichtig blinzelnd ging ich an Bela vorbei weiter hinein und sah mich um. Innerhalb von Sekunden beruhigte sich mein Herzschlag und auch das letzte bisschen Nervosität ebbte ab. Bis auf die dunklen Holzbalken, die sich quer durch den Raum zogen, war er ganz leer. Ich musterte die zarte Maserung des Parketts und die schmalen Lichtstreifen der Abendsonne, in denen winzige Staubkörner tanzten. Wärme, Licht, Gemütlichkeit, dachte ich und schloss erneut die Augen, um tief durchzuatmen. In der Luft lag auch hier der satte Duft von Holz und darunter ein Hauch von verblasstem Lavendel.

Alles an diesem Zimmer fühlte sich richtig an – nach einem potenziellen Zuhause.

Ich ging zu einem der Fenster, die sich an der abgeschrägten Wand befanden und durch die man in den Frühlingshimmel sehen konnte. Die Fetzen grauer Wolken hingen zerrissen über dem sonnenzerfurchten Abendblau.

»Unglaublich schön«, sagte ich leise und strich mit den Fingerspitzen über das Holz eines Balkens. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie ich das Bett an diesen Platz stellen würde, um jede Nacht unter den Sternen einschlafen zu können. Natürlich erst, nachdem ich mir ein Bett besorgt hatte. Und nachdem ich Bela irgendwie dazu gebracht hatte, mich entgegen aller Vernunft als Mitbewohnerin in Betracht zu ziehen.

Er stand ein paar Schritte hinter mir an die Wand gelehnt. »Im Sommer auch unglaublich heiß. Ich würde gern sagen, dass man sich daran gewöhnt, aber das wäre gelogen. Ebenso wenig wie an die Treppenstufen.«

»Das ist doch durchaus von Vorteil. Damit spart man sich die Fitnessstudiogebühr. Glaub mir, ich habe meine Wadenmuskulatur schon lang nicht mehr so intensiv gespürt.« Ich deutete demonstrativ auf meine Beine, die immer noch über die fünf Stockwerke klagten.

Er grinste. »Auch wieder wahr. Das könnte ich glatt auf die Miete draufschlagen.«

»Wo du es sagt: Wieso ist das eigentlich so günstig?« Die meisten der bisherigen Zimmer hatten mehr gekostet, einige sogar doppelt so viel wie dieses. Dabei befand sich die Wohnung in einem der schönsten Bezirke der Stadt. Direkt vor der Haustür lag der Götterpark, der seinen Namen den etlichen Statuen verdankte, die in der wild wuchernden Parkanlage verstreut standen. Bis zur Universität dauerte es mit dem Rad nur zehn Minuten und der nächste Supermarkt war direkt um die Ecke.

»Der Hausverwalter ist mein Onkel«, erklärte Bela leicht zerknirscht. »Vitamin B hat leider auch auf dem Wohnungsmarkt etwas Gutes.«

»Du könntest mehr verlangen und dir damit den Studentenjob sparen. Schlecht fürs Karma, aber gut fürs Konto.« Vermutlich war es ziemlich dämlich, ihn auf diese Idee zu bringen, während ich mich um das Zimmer bewarb. Im Grunde hatte ich mich schon von der Hoffnung losgemacht, auch nur eine Chance zu haben. Das Sommersemester hatte gerade erst angefangen und in der Stadt wimmelte es von Studierenden, die nach einer Bleibe suchten. Für diese Wohnung hatte Bela sicher Dutzende Anfragen erhalten.

Er schüttelte den Kopf. »Nicht meine Art. Außerdem mag ich meinen Job. Barkeeper sein ist das perfekte Kontrastprogramm zum BWL-Studium.«

»Fällt dir auch das perfekte Kontrastprogramm zum Publizistik- und Kommunikationsstudium ein?«, fragte ich, während ich den Blick erneut durch das Zimmer schweifen ließ. Ich konnte nicht aufhören, es gedanklich einzurichten, obwohl ich wirklich versuchte, es nicht zu sehr zu wollen. Noch mehr Enttäuschungen konnte ich momentan unmöglich ertragen.

»Du könntest es als Aushilfe in der Bibliothek versuchen. Du weißt schon, fern von jeder Art der Kommunikation.«

Tatsächlich war mir der Gedanke auch schon gekommen, da ich so ziemlich jeden Job in Betracht gezogen hatte. Ich brauchte dringend Geld, wenn ich mich in den nächsten Monaten nicht nur von Tütensuppen ernähren wollte. Meine Ersparnisse waren durch die Hostelkosten beinahe komplett aufgebraucht worden. Viel mehr als die erste Mietzahlung dieses Zimmers konnte ich nicht aufbringen. Auch das war etwas, das ich vermutlich besser vor meinem potenziellen Vermieter geheim halten sollte.

Bela hatte mich nach diesen Details allerdings überhaupt nicht gefragt. Er wusste zwar alles darüber, auf welche wenig erfreuliche Art meine Beziehung jüngst in die Brüche gegangen war und dass ich deshalb seit dreizehn Nächten in einem Sechsbettzimmer auf meinen Wertsachen schlief, doch weder, woher ich kam, noch, ob ich im Stande war, Miete zu zahlen. Ich könnte eine trommelspielende, seilspringende, technoliebende Mietnomadin sein und er hätte keine Ahnung. Ebenso wenig wusste ich aber auch über ihn. Bela war zweiundzwanzig, studierte BWL im vierten Semester und jobbte in einer Bar in der Altstadt. Das waren die Informationen, die er vor meinem Monolog erwähnt hatte.

Jetzt lehnte er so gelassen an der Wand, als wäre an dieser Situation nichts Ungewöhnliches. Vermutlich hatte er selbige in den vergangenen Tagen aber auch schon haufenweise erlebt.

»Willst du noch irgendetwas über mich wissen?«, fragte ich.

Bela schirmte seine Hand gegen das Licht ab, um mich anzusehen. »Willst du mir denn etwas erzählen?«

»Ich glaube, ich habe dir schon mehr erzählt, als ich hätte sollen. Viel zu viel.« Verlegen strich ich mir eine hellblonde Strähne hinter das Ohr, die sich aus dem wirren Dutt gestohlen hatte.

Bela winkte ab. »Es gibt kein Zuviel. Reden ist immer gut. Im Grunde ist es das A und O jedes Zusammenlebens. In diesem Sinne: Wenn du magst, kannst du das Zimmer haben.«

Perplex wandte ich mich ihm zu. »Wirklich? Aber … wieso?«

Bela lachte und rieb sich mit dem Handrücken über den Dreitagebart auf seiner Wange. »Ich mag dich, Effi. Darum.«

»Bist du dir sicher?«, hakte ich skeptisch nach. Das konnte nur ein Witz sein. Nicht einmal ich mochte die Version von mir, die Bela kennengelernt hatte. Ich war ein weinerliches, anstrengendes Nervenbündel.

»Du musst wirklich dringend daran arbeiten, wie du dich selbst verkaufst«, erwiderte er amüsiert. »Aber ich versuche immer, auf mein Bauchgefühl zu hören. Und das sagt mir, dass wir gut miteinander auskommen werden.« Er sah sich erneut in dem Zimmer um, hob dann die Hände und bildete mit den Fingern ein Rechteck, als würde er durch eine Kamera blicken. Mit der Handlinse fokussierte er mich, kniff ein Auge zusammen und lächelte zufrieden. »Außerdem passt du ins Bild. Das Zimmer sieht aus, als hätte es auf dich gewartet.«

Das war das erste Mal, dass mir in den Sinn kam, dass Bela vielleicht auch etwas seltsam war. Und dass er recht hatte: Wir würden mit Sicherheit gut miteinander auskommen.

Kapitel 2

Mit letzter Kraft schob ich mich an Asta vorbei, stellte Daphne neben dem Fenster ab und richtete mich auf. Meine Hände waren mit roten Striemen übersät und pochten, ebenso wie meine Arm- und Beinmuskeln. Einen Umzug in ein Dachgeschoss ohne Aufzug zu machen, war kein nachahmenswertes Unterfangen. Ich war dennoch ungemein glücklich, als ich mich im Zimmer umsah, das vom Licht der hereinfallenden Sonne besprenkelt wurde. Noch immer konnte ich nicht glauben, dass ich hier wohnte.

Nachdem ich gestern die Wohnung verlassen hatte, hatte ein Teil von mir fest damit gerechnet, Bela würde es sich anders überlegen und mir absagen. Stattdessen schrieb er mir morgens und bot an, meine Sachen mit dem Auto einzusammeln und mir beim Umzug zu helfen. Ich hatte zwar immer noch die leise Sorge, dass er mich entweder veralberte oder ein Psychopath war, der mich lebendig einmauern wollte, aber ich war so verzweifelt, dass ich sogar das in Kauf nahm. Endlich hatte ich vier Wände, die ich meins nennen konnte.

Asta ließ sich schwer atmend auf den Boden fallen und streckte sich der Länge nach aus. »Ich schwöre bei meinem verstorbenen Hamster Goldie, wenn du hier ausziehst, bevor du dir eine Umzugsfirma leisten kannst, bringe ich dich um.«

Grinsend sank ich ebenfalls auf das Parkett und musterte ihre erhitzten Wangen und den leichten Schweißfilm, der sich auf ihrer Stirn gebildet hatte. »Aber du würdest mir trotzdem helfen, oder?«

»Nachdem ich dich umgebracht habe, meinst du? Klar doch.« Sie lächelte zu mir auf. »Dafür sind Freunde doch da. Sie fangen sich für dich den Muskelkater ihres Lebens ein und jammern dir die Ohren voll.« Sie zwinkerte mir zu, ehe sie mit einem theatralischen Stöhnen erneut ihre Augen schloss.

In diesem Moment war ich wieder einmal unendlich froh, diesen Menschen kennengelernt zu haben. Asta und ich waren uns vor knapp einem halben Jahr am ersten Einführungstag des Studiums begegnet. Sie hatte sich neben mich gesetzt und mir wortlos eine Tüte Kekse gereicht. Mehr hatte es nicht gebraucht, um meine Zuneigung zu gewinnen.

»Ich habe ein Gespür für die Leute, die ich gernhaben werde«, hatte sie mir später verraten. »Und dich habe ich gesehen und sofort gewusst, dass das mit uns was Gutes ist.«

Und das war es. In Astas Nähe war es von Anfang an ganz leicht gewesen, ich selbst zu sein. Und das Gefühl zu haben, dass das absolut genug war.

Wir waren beide erst zum Wintersemester hergezogen und hatten niemanden gekannt in Goldhain, dieser postkartentauglichen Studentenstadt. Bis heute hatte ich es nicht geschafft, diesen Bekanntenkreis groß zu erweitern. Was vor allem daran lag, dass ich die vergangenen Monate hauptsächlich mit Levi und seinen Freunden verbracht hatte. Immerhin war ich ihnen zuliebe überhaupt hierhergezogen. Levi zuliebe. Der Band zuliebe. Ihrem Traum zuliebe.

Nach dem Abitur hatten die Jungs in eine größere Stadt ziehen wollen, um ihre Musik voranzubringen. Dass sie damit ein Jahr gezögert hatten, hatte an Levi gelegen, der auf mich warten wollte, bis ich ebenfalls meinen Abschluss hatte. Damals hatte ich das wahnsinnig romantisch gefunden. Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht, ob der Umzug – unabhängig von Levi – das Richtige für mich sein würde. Etwas unabhängig von Levi zu überdenken war ein Vorgehen, das ich seit Jahren nicht praktiziert hatte.

Jetzt, sechs Monate, unendliche Demütigung und ein gebrochenes Herz später, saß ich in einem neuen Zimmer in einer neuen Wohnung mit meiner einzigen richtigen Freundin. Ohne Möbel, dafür mit etlichen Kleidersäcken, wenigen Kisten und meinen Pflanzenkindern. Diese hatten im Gegensatz zu mir in Astas winzigem Zimmer im Studierendenheim Unterschlupf finden können, als ich überstürzt aus Levis und meiner gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Mir hatte sie fünf Tage lang ihre für mich viel zu kleinen Klamotten geliehen, ehe sie darauf bestanden hatte, in die Wohnung zu gehen, um meine restlichen Besitztümer zu holen. Viel war es nicht gewesen. Die Möbel hatten Levi und ich gemeinsam gekauft, als wir hergezogen waren. Ich hätte mich mit ihm streiten können, was davon mir gehörte, aber dazu hätte ich mit ihm sprechen müssen. Und das war etwas, das ich in den nächsten hundert Jahren dringlichst vermeiden wollte.

»Wusstest du, dass man im Ellbogen Muskelkater bekommen kann?« Mittlerweile hatte Asta sich auf den Bauch gerollt und das Gesicht gegen das Parkett gepresst. Ihr schwarzes Haar schimmerte im Sonnenlicht, das durch das Dachfenster hereinbrach. Es war erst April und noch dazu später Nachmittag, aber in diesem Zimmer so nah am Himmel war der warme Atem des Frühlings deutlich spürbar.

»Ich glaube eher, das liegt daran, dass du gegen das Treppengeländer gelaufen bist«, erklang eine Stimme von der Tür. Bela hatte die Arme verschränkt und ein unverschämt breites Lächeln im Gesicht. Anders als wir sah er nicht so aus, als hätte er einen Triathlon absolviert.

Asta schnaubte und hievte sich auf die Unterarme. Ihr Shirt klebte feucht an ihrem Rücken, darunter zeichnete sich ihre Wirbelsäule ab. »Du hast leicht reden. Du hast Armmuskeln. Und lange Beine. Und du bist diese Folter gewöhnt.«

Asta war von Natur aus zart gebaut und hatte es daher nie nötig gehabt, Sport zu machen, um sich den Tragekomfort der Lieblingsjeans zu erhalten. In meinen schwachen Momenten beneidete ich sie darum. Insbesondere, weil mich das Joggen, mit dem ich mich mehrmals die Woche abquälte, nicht davor bewahrt hatte, dass ich zwischenzeitlich meine Lungen kollabieren spürte. Dabei hatten wir nur jeweils dreimal hoch- und runterlaufen müssen, um meine Sachen herzubringen. Mittlerweile freute ich mich darüber, keine Möbel zu haben. Auch wenn ich das sicher widerrufen würde, sobald ich mir überlegen musste, wie ich heute Nacht schlafen wollte.

Als hätte Bela den gleichen Gedankengang gehabt, musterte er skeptisch den verstreut herumstehenden Kram. »Hast du überhaupt keine Möbel?«

»Keine, die sie sich traut, einzufordern.« Unter meinem grimmigen Blick hievte sich Asta auf die Knie.

»Das ist nicht so einfach«, setzte ich im Verteidigungstonfall an, aber sie unterbrach mich.

»Natürlich ist es das. Du gehst in diese Wohnung, nimmst dir, was dir gefällt, und verschwindest wieder. Hab ich mit deinem Kleinkram doch auch so gemacht.«

»Und wenn Levi da ist?«

»Umso besser, dann kannst du ihm gleich noch in seine beschissenen Eier treten.«

»Sehr erwachsen«, murmelte ich und strich mir die Haare ins Gesicht, um meine heißen Wangen zu kaschieren. Im Grunde musste mir vor Bela nichts mehr peinlich sein, er kannte die ganze Geschichte ja bis in die Details.

»Ohne mich da einmischen zu wollen«, sagte er jetzt in behutsamen Tonfall, »aber seine Freundin aus einer langjährigen Beziehung derart zu betrügen, ist auch nicht erwachsen. Es ist einfach nur scheiße. Er hätte weit mehr verdient als den Verlust von ein paar Möbeln oder einen Tritt.«

Asta klatschte in die Hände. »Meine Rede!«

Ich ließ mich frustriert gegen die schräge Wand in meinem Rücken sacken. Diese Diskussion hatte ich in den vergangenen Tagen zur Genüge geführt. »Ich werde diese Wohnung nicht mehr betreten. Nie wieder. Und ganz ehrlich – ich will diese Möbel gar nicht. Das waren unsere Möbel. Und wenn es kein Uns mehr gibt, dann will ich auch die nicht mehr. Das Du aus diesem Uns soll aus meinem Leben verschwinden, okay? Ich will nur mein Ich. Ich will meine Möbel.«

»Aber du hast keine Möbel, Effi.« Astas Blick hatte sich erweicht und sie musterte mich mit dieser bekannten Mischung aus Mitgefühl, Besorgnis und Frustration.

»Ich habe ein Dach über dem Kopf, eine Yogamatte und einen Haufen Klamotten. Das sind alles Dinge, von denen andere Menschen träumen. Ganz ehrlich: Wir sind mittlerweile viel zu verweichlicht.« Energisch stand ich auf und bemühte mich um einen entschlossenen Gesichtsausdruck, auch wenn ich mir dabei den Kopf am Holzbalken anstieß. »Früher gab es auch keine Federkernmatratzen oder Daunendecken. Die Menschen haben auf Strohballen oder harten Pritschen geschlafen. Ich bin in einer privilegierten Situation und ich werde bestimmt prima schlafen, in dem Wissen, dass ich nicht länger in dem Bett liegen muss, in dem mein Freund wochenlang mit einer anderen Frau kopuliert hat.«

Asta und Bela hatten sich meine Rede schweigend angehört, jetzt tauschten sie einen langen Blick.

»Irgendwelche Ideen?«, fragte sie ihn resigniert.

»Sie kann heute Nacht in meinem Bett schlafen. Ich kann bei einem Kumpel übernachten«, überlegte Bela. »Der, wenn ich mich nicht täusche, auch noch eine Matratze übrig hat.«

Asta nickte zufrieden. »Guter Mann.«

Bela bedachte mich mit einem leichten Kopfschütteln. »Kopulieren – wirklich?«

Meine Wangen wurden erneut mit Hitze geflutet, aber da drehte er sich schon lachend um. »Ich bestelle uns jetzt Pizza«, meinte er beim Rausgehen. »Und in zwei Stunden muss ich zur Arbeit und bestehe darauf, dass meine neue schräge Mitbewohnerin mich begleitet.«

Ich streckte ihm die Zunge heraus, obwohl er das nicht mehr sehen konnte. Asta schon. Sie grinste breit und knuffte mir in die Seite. »Er ist wirklich ein guter Mann«, flüsterte sie. »Ich habe ein prima Gefühl bei ihm.«

»Ich auch.« Mit einem Lächeln ließ ich mich auf den Rücken sinken. Mein Blick tastete über die dunklen Holzbalken, hin zu dem schräg liegenden Fenster, hinter dem vereinzelte Wolkenbäuche gemächlich vorbeizogen.

Zum ersten Mal seit Tagen erlaubte ich es mir, in mich hineinzuhorchen. Noch immer fühlte sich die Trennung von Levi seltsam surreal an. Es war so absurd, dass man vier Jahre lang beinahe jeden Tag mit jemandem verbringen und ihn dann von einen auf den anderen Moment verlieren konnte – und mit ihm so viel mehr. Levi hatte mir gezeigt, dass ein Zuhause nicht immer ein Ort war. Manchmal war es ein Mensch, der in das Leben stolperte und in dessen Nähe man sich auf Anhieb geborgen und aufgehoben fühlte. Mich von ihm zu trennen, hatte mich auf so viele Arten entwurzelt. Seit wir auseinandergegangen waren, war es, als hätte ich Heimweh nach einem Ort, den ich nicht erreichen konnte.

In diesem Moment ließ ich den Gedanken zu, dass das nicht daran lag, dass es diesen Ort nicht mehr gab, sondern daran, dass es ihn noch nicht gab. Vielleicht musste ich ihn einfach wiederfinden. Ein neues Zuhause, eine neue Zuflucht, eine neue Heimat. Und diese Suche fing genau hier an.

Ich brauchte keinen untreuen Freund oder erinnerungsbelastete Möbel, solange ich ein Zimmer hatte, von dem aus man zu den Sternen sehen konnte, eine Freundin, die Muskelkater für mich in Kauf nahm, und einen Mitbewohner, der Pizza bestellte. Alles zurück auf Los. Das hier war mein Neuanfang.

***

Das Katergold, die Bar, in der Bela als Barkeeper jobbte, lag zentral in Goldhains Altstadt. Schon von außen wirkte das Backsteingebäude einladend und gemütlich. Die Fassade war von wild wucherndem Efeu überzogen und eine Laterne beleuchtete die plakatverklebte Tür und das rostige Schild darüber. Die Bar selbst bestand aus zwei großen Räumen.

Während im vorderen neben zusammengewürfelten Tischen und Stühlen ein langer Verkaufstresen mit beachtlichen Alkoholregalen wartete, erinnerte der hintere Bereich an einen Club. Ein Kicker und eine altmodische Jukebox standen an einer Seite, samtige Polstersessel auf der anderen. Die Mitte war als Tanzfläche frei gelassen, nur am Ende war eine schmale Holzbühne angebracht.

Bela arbeitete heute an der kleinen Bar im hinteren Raum. Ich setzte mich auf einen Hocker am Tresen und sah mich um, während er seine Kollegen begrüßte. Bis jetzt war es recht leer. Lediglich vereinzelte Gesprächsfäden flochten sich über die Musik. Die Luft war noch frei von übermäßig viel Parfum, Schweiß oder abgestandener Atemluft. Aus den Boxen neben der Bar drang ein ruhiger Remix eines Beatles-Songs. Zusammen mit den goldgelben Lichterkettenköpfen, die auf den Regalbrettern hinter der Bar in leeren Alkoholflaschen leuchteten, wirkte der Raum so behaglich, wie man es sich von außen erhoffte. Bela passte ins Katergold ebenso gut wie in die Wohnung und genau wie dort fühlte ich mich hier auf Anhieb wohl.

Es dauerte nicht lang, bis er zurückkam und sich hinter den Tresen schob. Auf dem Bruststoff seines dunkelblauen Shirts prangte das Logo des Katergolds: der Umriss eines Katers, der eine Krone trug.

»Was hat es eigentlich mit dem plötzlichen Anflug von Farbe auf sich?«, fragte er, während er anfing, längst saubere Gläser zu polieren.

Ich sah an mir hinab. Bevor wir losgegangen waren, hatte ich die grauen Umzugsklamotten gegen ein grasgrünes T-Shirt-Kleid getauscht. Bela hatte mich bisher nur in Grau gesehen. Das lag daran, dass ich jeden Tag beim Aufstehen aus dem Bauchgefühl heraus entschied, welche Farbnuance meine Stimmung am besten einfangen würde. Und heute fühlte ich mich zum ersten Mal seit Wochen wieder mehr als grau.

»Grün ist die Farbe der Hoffnung«, teilte ich ihm lächelnd mit und nahm dankend das Bier entgegen, das er mir über den Tresen zuschob.

»Du ziehst dich wirklich jeden Tag stimmungsabhängig an?«

»Das ist ein Tick, ich mache das schon, seit ich meine Klamotten selbst auswählen durfte. Allerdings kann sich meine Stimmung auch im Laufe des Tages ändern. Und manchmal versuche ich mich selbst zu überlisten. Du weißt schon, wenn ich eine wichtige Prüfung habe, dann ziehe ich Rot an, fürs Selbstbewusstsein. Wenn ich bedrückt bin, ziehe ich Gelb an, für den Optimismus. Und wenn ich denke, dass ich nie wieder glücklich sein werde, dann ziehe ich Grün an, für die Hoffnung …« Ich verstummte, weil ich merkte, wie ich wieder ins Reden verfiel.

Bela hob amüsiert die Augenbrauen. »Dann willst du also heute Hoffnung empfinden?«

»Heute und morgen und übermorgen«, bestätigte ich und prostete ihm zu. »Und deswegen wechseln wir jetzt auch das Thema. Wie lange arbeitest du hier schon?«

»Seit etwa drei Jahren. Ich habe angefangen, kurz nachdem wir hergezogen sind.«

»Ihr?«

»Ja, ich bin nach unserem Schulabschluss mit meinen besten Freunden hergezogen. Wir wollten raus aus unserem Heimatkaff.« Er bedeutete mir mit der Hand, kurz zu warten, ehe er sich zwei Frauen zuwandte, die an den Tresen getreten waren. Während er ihre Getränke fertig machte, pulte ich am Etikett meines Biers herum.

»Goldhain ist aber auch nicht unbedingt der Nabel der Welt«, fuhr ich fort, als er wieder vor mir stand. In dieser Stadt fand man alles, was man brauchte, aber sie war trotzdem keine Großstadt.

»Nee.« Bela griff nach einem weiteren Bierkrug und rieb sorgsam mit dem Geschirrtuch darüber. »Aber es hat sich irgendwie richtig angefühlt. Groß genug, sodass du nicht jeden Menschen kennst, aber so klein, dass du keine Stunde fahren musst, um deine Freunde zu besuchen.« Er musterte mich aufmerksam. »Was ist mit dir? Gefällt es dir hier?«

Es war vermutlich ein schreckliches Zeichen, dass mir darauf auf Anhieb keine Antwort einfiel. Da ich nie darüber nachgedacht hatte, ob ich überhaupt herziehen wollte, hatte ich auch nie darüber nachgedacht, ob ich Goldhain mochte.

Ich zuckte mit den Schultern und rang mir ein Lächeln ab. »Ich habe das Gefühl, ich muss die Stadt irgendwie noch mal von vorne kennenlernen.« Immerhin fielen durch meine Trennung von Levi etliche Orte weg, die ich bisher gemocht hatte. Im Grunde hatte er alles bekommen: Unsere Freunde, unsere Wohnung, unsere Möbel und unser Goldhain. »Das Katergold ist ein guter Anfang. Hier war ich noch nie«, fügte ich betont optimistisch hinzu. Energisch klopfte ich auf das Holz, sodass sich die losen Etikettfetzen auf dem Tresen verteilten.

»Dann wurde es aber mal Zeit. Und heute ist ein guter Tag dafür«, erwiderte Bela. Belustigt half er mir dabei, das Papier zusammenzuschieben, und warf es in einen Mülleimer hinter dem Tresen. »Es wird später ziemlich voll werden. Diese Band tritt bei uns auf.«

Das Lächeln fiel auf einen Schlag aus meinem Gesicht. Meine Hand hielt auf dem Weg zum Mund inne, in Zeitlupe ließ ich das Bier sinken. »Welche Band?«

»Ich vergesse den Namen immer. Der ist ein bisschen abgedroschen. Aber die Jungs sind gerade ganz gut im Geschäft.« Bela kratzte sich am Nacken, als wollte er eine Erinnerung dahinter wachrütteln.

Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht.

» No Longer Yours oder so was?«

Mein Herz zog sich zusammen, um sich kurz darauf krampfhaft auszudehnen. Ich spürte den Schmerz in jeder Faser meines Körpers, und obwohl ich wusste, dass er in meinem Kopf entstand, fühlte es sich so an, als würde er mich umbringen können. Physisch. Psychisch. Mit allem, was ich war.

»No More You«, brachte ich hervor.

Bela nickte. »Stimmt. Typischer Boybandname. So sehen sie ehrlich gesagt auch aus. Aber ihre Musik ist echt ganz gut.«

Ich machte ein seltsames Geräusch, von dem ich selbst nicht wusste, ob es Lachen oder Schluchzen war. Das durfte einfach nicht wahr sein. In dem Moment tauchte einer von Belas Kollegen im Durchgang auf. »Kannst du eine Kiste Gin aus dem Lager holen?«, rief er ihm zu. Bela zeigte ihm einen hochgestreckten Daumen und der Typ verschwand wieder im Vorderraum.

Bela legte das Geschirrtuch auf die Arbeitsfläche und musterte mich noch einmal. Was immer er in meinem Gesicht bemerkte, es führte dazu, dass er die Stirn runzelte. Als hätte er Sorge, ich könnte jederzeit vom Hocker fallen. Womit er nicht mal unrecht hatte.

»Bin gleich wieder da, okay?«

Ich rang mir ein Nicken ab und umklammerte meine Bierflasche fester. Nichts war okay. Diese Situation war nur einen Wimpernschlag davon entfernt, extrem schrecklich zu werden. Langsam drehte ich mich um und sah zu der Holzbühne am anderen Ende des Raums, der ich beim Reingehen nur einen kurzen Blick zugeworfen hatte. Der Bühne, auf der jetzt ein paar Menschen dabei waren, Instrumente aufzubauen.

Sie waren zu weit weg, um ihre Gesichter zu erkennen, aber das musste ich auch gar nicht. Ich hatte vier Jahre lang meine gesamte Freizeit mit diesen Leuten verbracht, ich erkannte ihre Gestik aus jeder Entfernung.

Mats, der mit geübtem Griff das Keyboard aufstellte und die Beine feststeckte. Ari, der sich den Gitarrengurt um die Schulter geschwungen hatte und sich aus Nervosität häufig durch die schwarzen Haare fuhr. Mo, der am Schlagzeug saß und mit den Sticks auf seinen Knien trommelte, sodass er permanent blaue Flecken hatte.

Mich durchzog ein feiner Schmerz und ich rutschte reflexartig vom Hocker. Diese Jungs, das waren vier Jahre lang auch meine Freunde gewesen. Meine Familie. Die Menschen, die mich zum Lachen brachten, wenn es mir schlecht ging, die da waren, wenn ich das Gefühl hatte, an mir selbst zu scheitern, die mir sagten, dass ich zu ihnen gehörte. Ich hatte geglaubt, ich würde ihnen etwas bedeuten. Bis mich ihr Frontsänger betrog und keiner von ihnen mir davon erzählte.

Ich war mir sicher, dass sie alle von Levis Affäre mit der hübschen Barista aus dem Buttercup gewusst hatten. Die vier waren seit der Grundschule beste Freunde und standen einander so nahe wie Brüder. Ich verstand sogar, dass sie es mir nicht erzählt hatten. Ich hätte es mir trotzdem gewünscht. Ebenso, wie ich mir gewünscht hätte, dass mich einer von ihnen in den vergangenen Tagen einmal angerufen hätte. Ich wusste, dass ich so nicht fühlen sollte, aber sie fehlten mir. Ich hatte auf einen Schlag nicht nur Levi verloren, sondern drei mir nahestehenden Menschen. Das Stückchen Jugend, das ich in diese Stadt mitgenommen hatte.

Gerade als ich auf sie zugehen wollte, sackte die Erkenntnis auf den Grund meines Gehirns und durchwirbelte die umherliegenden Gedanken. Drei Menschen. Da waren nur drei Menschen auf der Bühne. Drei Menschen einer Band, die unmöglich ohne ihr viertes Mitglied auftreten würde. Erst jetzt realisierte ich, was das bedeutete. Levi war hier. In dieser Bar. Ich musste hier weg, bevor …

»Effi?«

Ein Wort und mein Herz sank in meine Knie, die sofort zu zittern begannen. Sämtliche Restposten an Farbe wichen mir aus dem Gesicht, während ich mich langsam umdrehte.

Levi stand nur zwei Schritte von mir entfernt. Er runzelte die Stirn und fuhr sich durch die goldblonden Locken, die vom Frühlingswind zerzaust waren. Mit aller Kraft zwang ich mich dazu, seinen Augen nicht auszuweichen, auch wenn mir sein Anblick fast den Atem raubte. Nicht auf diese überwältigende, schöne Weise, sondern auf eine, die sich nach Ersticken anfühlte. Seine markanten Wangenknochen, der leichte Bartschatten, die dichtbewimperten bernsteinfarbenen Augen: Es war alles noch da. Mein Blick verfing sich an dem weinroten Kragen seines Hemdes. Seine Lieblingsfarbe. Natürlich. Wenn ich jemanden kannte, der nahezu immer selbstbewusst war, dann war das Levi.

In mir flammten mehrere Impulse auf. Ein Teil von mir wollte in Tränen ausbrechen, ein anderer sehnte sich danach, ihm an die Gurgel zu gehen, und der, den ich am meisten verachtete, hätte sich gern in seine Arme geworfen. Schließlich räusperte ich mich und bemühte mich um einen gelassenen Gesichtsausdruck. »Hi.«

»Effi, was willst du hier?«

Ich brauchte zwei Sekunden, ehe ich seine Worte entziffern konnte. Weitere zwei, um seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Er hatte Mitleid mit mir. Er dachte ernsthaft, ich wäre hier, obwohl ich gewusst hatte, dass die Band hier spielen würde. Nein – genau, weil ich es gewusst hatte.

Beinahe hätte ich gelacht, brachte jedoch nur ein Kopfschütteln zustande. »Ich bin nicht wegen dir hier.«

Er zog eine Augenbraue hoch – irgendwo zwischen Spott und Genervtheit. »Du bist also zufällig in der Bar, in der meine Band auftritt?«

»Ich«, setzte ich entgeistert an, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.

»Hör mal, ich verstehe, dass das eine schwierige Situation ist. Für mich ist das auch nicht leicht.«

Klar, es war sicher schwer, mich zu betrügen. Was für ein Stress es gewesen sein musste, mich derart zu hintergehen. All die Ausreden, die er sich einfallen lassen musste, all die körperliche Verausgabung, die es gekostet haben musste, am selben Tag mit mir und ihr zu schlafen. Der Arme.

»Aber du machst es mit solchen Aktionen nur noch komplizierter und ganz ehrlich – irgendwie ist das ein bisschen armselig. Tu uns das beiden nicht an.« Er hob die Hand und strich sanft über meine Schulter. Der Stoff des Kleides war heruntergerutscht und seine Finger berührten meine nackte Haut. Allein diese sachte Berührung brannte.

Entschieden machte ich einen Schritt zurück und lächelte gezwungen zu ihm auf. »Danke für deinen lieb gemeinten Rat, aber ich kann dich beruhigen. Ich bin wirklich nicht wegen dir hier. Ich bin verabredet.«

Jetzt wanderte auch die zweite Augenbraue hinauf. »Du kennst doch niemandem außer Asta hier.«

»Ein Zustand, der sich verändern lässt. Ohne Freund ist es bei Weitem einfacher, neue Leute kennenzulernen.« Mittlerweile gab es nur noch einen Impuls in mir. Ich wollte ihm an die Gurgel springen. Auf der Stelle. Ich wollte ihm eine Reaktion entlocken, ein winziges Anzeichnen von Bedauern, Reue oder Schmerz. Ich wollte ihm wehtun, wie er mir wehgetan hatte.

Sein zutiefst ungläubiger Blick machte es nicht unbedingt besser. »Willst du mir sagen, du bist mit einem Typen hier?«

»Ja.« Das Wort war heraus, ehe ich abwägen konnte, wie klug das war. Ich wusste nicht, was ich vorhatte, ich wusste nur, dass ich alles tun würde, um auch noch das letzte bisschen Herablassung aus seinem Gesicht zu beseitigen.

Zwischen Levis Augenbrauen bildete sich eine tiefe Falte. »Mit wem?«

Gute Frage. Ich ließ beiläufig den Blick durch den Raum wandern, als wäre ich auf der Suche nach jemanden. War ich ja auch. Nach jemandem, der bereit war, für zwei Minuten so zu tun, als wäre ich nicht komplett armselig. Ich hätte die Wahrheit sagen können, aber Bela war nicht wieder hinter der Bar und ich kannte Levi gut genug, um zu wissen, dass er mir meinen imaginären Mitbewohner nicht abgekauft hätte. Es war zwar mittlerweile voller geworden, aber die Anzahl der Menschen war dennoch überschaubar. Ich brauchte jemanden, der weit genug weg stand, eindeutig nicht in Begleitung war und noch dazu gut aussah. Richtig gut. So gut, dass ich ihn unter normalen Umständen nie, nie, nie angesprochen hätte.

Mein Blick wanderte zu der Säule, die vor dem Sofabereich stand. Und gerade als ich dachte, es wäre meine beste Option, mit Anlauf dagegen zu rennen, sah ich ihn.

Er stand seitlich zu mir, sodass ich nur sein Profil erkennen konnte, und nippte an einem Bier. Trotz des dämmrigen Lichts in der Bar konnte ich eine geradlinige Nase und einen markanten Kieferknochen ausmachen. Er trug schwarze Jeans und ein gleichfarbiges Shirt, das über seinen unaufdringlichen Armmuskeln spannte. Außerdem hatte er eine dunkle Fischermütze auf, die seinen Hinterkopf bedeckte und seine Ohren frei ließ. Normalerweise hätte mich das irritiert und ich hätte mich gefragt, ob er einer dieser Menschen war, die im Club ihre Sonnenbrille aufsetzten, um cooler auszusehen. Es war komplett bescheuert, in einer Bar eine Mütze aufzuhaben – noch dazu eine, die die kälteempfindlichsten Teile des Kopfes freiließ -, doch es stand ihm trotzdem. Und genau deswegen war mir alles andere egal. Er musste keine Intelligenzbestie sein, es reichte, dass er so attraktiv war, dass ich normalerweise einen weiten Bogen um ihn geschlagen hätte. Außerdem war er anscheinend alleine hier. Perfekt.

Mit einem hoffentlich gelassenen Lächeln sah ich zu Levi auf, der mich skeptisch beobachtete. Auf diese Art, die sagte: Du machst dich lächerlich. Ein Blick, den ich in den vergangenen Jahren intensiv kennen- und hassen gelernt hatte. »Wenn du nichts dagegen hast, gehe ich jetzt zurück zu meiner Begleitung.«

Levi hob erneut die Augenbrauen. Und die Mundwinkel. Er grinste spöttisch auf mich hinab. »Klar. Mach das. Ich bin gespannt.«

Ich kniff die Lippen aufeinander und schob mich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei, Richtung Säule. Dorthin, wo der Mützentyp stand und ahnungslos den Blick über die Bar wandern ließ. Vermutlich wartete er auf jemanden. Nur eben nicht auf mich. Mein Puls schlug mir mit Boxhandschuhen auf den Kehlkopf und ich spürte, wie mein Halsinneres sich blutergussdunkel färbte.

Was tat ich hier nur? Am liebsten hätte ich abgedreht und wäre auf die Toilette gerannt. Levis Blick, den ich deutlich in meinem Rücken wahrnahm, hinderte mich daran. Ich ballte die Hände zu Fäusten und blieb neben dem Fremden mit den kalten Ohren stehen. Er war viel größer als ich, mindestens einen Meter neunzig. Ich musste den Kopf ein wenig in den Nacken legen, um zu ihm aufzusehen.

»Entschuldige bitte.« Meine Stimme versickerte in der Musik um uns herum, aber er hörte mich trotzdem. Augenblicklich drehte er sich zu mir und sah mich an. Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu, immerhin wäre es seltsam, einen Meter Abstand zu meiner Begleitung zu halten. Meiner Begleitung, die mich irritiert musterte.

O Gott, was für eine furchtbare Idee. Ich wusste genau, warum ich diese Art von Mann normalerweise mied. Hätte Levi mich damals in der Schule nicht angesprochen, hätte ich mich mit ihm auch niemals unterhalten. Allein die Anwesenheit eines so selbstbewusst wirkenden, attraktiven Typens reichte aus, damit ich mich klein, erbärmlich und nicht genug fühlte. Nicht schön genug, nicht schlank genug, nicht witzig genug, nicht klug genug … Die Liste war lang und spulte sich unaufhörlich in meinem Kopf ab, während ich in seine Augen sah. Auch in dem schwachen rotstichigen Licht konnte ich erkennen, dass sie stechend blau waren.

Ich schluckte und musste mich zwingen, die nächsten Worte über meine Zungenspitze zu stoßen. »Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich dich kurz küssen würde?«

Seine Augenbrauen wanderten hinauf. »Wie bitte?«

Sogar seine Stimme war attraktiv. Tief und warm, mit einem sanften Basston, der darin mitschwang.

Ich räusperte mich, um mein Krächzen ein wenig hübscher klingen zu lassen. »Darf ich dich küssen? Nur kurz und völlig ohne weiterführende Hintergedanken, versprochen. Ich habe weder Herpes noch bin ich eine aufdringliche Stalkerin. Ich bräuchte nur ganz dringend jemanden, der mich für ungefähr fünf Sekunden küsst. Bitte. Wäre das in Ordnung?« Die Verzweiflung meiner Stimme ließ mich vermutlich noch erbärmlicher wirken, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Wenn ich ihn nicht sofort küsste, würde Levi mir niemals glauben, dass ich ihn länger als dreißig Sekunden kannte.

Ich hatte mich auf eine abschätzige Musterung eingestellt. Darauf und dass er mich lachend stehen ließ. Wahlweise auch, dass er seine Freunde dazu rief und mich vor ihnen bloßstellte oder sich gleich ein Mikrofon besorgte, um die ganze Bar daran teilhaben zu lassen. Aber das tat er nicht. Er sah mir nur ernst in die Augen und legte den Kopf ein wenig schief. »Nur zu.«

Erleichterung und Unglauben durchzuckten mich, aber ich zwang beides zurück. Das war nicht der Zeitpunkt, um so etwas zu fragen wie: Wirklich? Was stimmt nicht mit dir? Hast du mal in den Spiegel geguckt?

Stattdessen nickte ich und stellte mich auf die Zehenspitzen, bevor mein Verstand Einspruch erheben konnte. Ich legte die Hände auf seine Schultern und dann, dann tat ich es. Zum ersten Mal in meinem Leben küsste ich einen Mann, ohne auf seinen Schritt zu warten. Zum ersten Mal seit vier Jahren küsste ich jemand anderen als Levi. Die Erkenntnis ließ mich für den Bruchteil eines Moments innehalten. Was zum Teufel tat ich hier nur?

Doch als mein Mund nur noch Zentimeter von seinem entfernt war, wurden die aufgebrachten Stimmen in meinem Kopf ganz still. Mein Körper übernahm. Und er fühlte. Diese weichen Lippen, die sich bereitwillig teilten, als ich sie mit meinen berührte. Seine warmen Hände, die sich auf meine Taille legten und mich dichter an sich heranzogen. Das kitzelnde Gefühl eines kurz geschorenen Haaransatzes, als sich meine Finger in seinen Nacken schoben. Der Geruch eines herben Aftershaves, der in meine Nase kroch. Der Geschmack von Bier und darunter, verblasst, der von Pfefferminz. Ein leichtes, beinahe unangenehmes Kribbeln, das sich in meinem Unterleib breitmachte, als er mit seiner Zunge sanft über meine Unterlippe strich. Auf einen Schlag war die Welt um mich herum stummgeschaltet. Keine Musik, keine Stimmen, kein Gelächter, nur mein schneller Puls in meinen Ohren und sein Atem, der sich mit meinem vermischte. Da waren nur noch wir. Ich seufzte leise in seinen Mund und umklammerte ihn fester. Seine eine Hand schob sich höher, vergrub sich an meinem Hinterkopf im Haar, die andere wanderte meinen Rücken hinab. Das war der Moment, in dem ich wieder zu mir kam.

Schwer atmend löste ich mich von ihm und sank zurück auf die Fersen. Er ließ mich langsam los und sah schweigend auf mich hinab. Seine Augen waren ein wenig dunkler, die Pupillen erweitert, doch in seinen Mundwinkeln lag ein leichtes Lächeln. Sein Blick hing auf meinem pochenden Mund. Auf diese Art, die mich dazu brachte, ihn am liebsten erneut zu mir herunterzuziehen. Stattdessen räusperte ich mich und wich einen Schritt nach hinten, tätschelte unbeholfen seinen Arm. Hoffentlich sah das von Weitem so aus, als würde ich ihn liebevoll streicheln.

»Vielen Dank. Und gut gemacht.«

Ich deutete einen erhobenen Daumen an, ehe ich mich mit hochrotem Gesicht und wild klopfendem Herzen an ihm vorbeischob, hin zum Ausgang. Es war mir egal, ob mein plötzlicher Abgang auf Levi verdächtig wirkte. Unmöglich konnte ich länger in dieser Bar bleiben, in der sich nicht nur mein Ex-Freund, sondern auch mein Pseudo-Liebhaber aufhielt. Ich würde Bela eine Nachricht schreiben und morgen erklären, warum ich gehen musste. Und auch, warum ich ihn niemals wieder bei der Arbeit besuchen konnte.

So viel zum Thema Neuanfang.

Kapitel 3

»Du hast was getan?« Astas Stimme drang so hell in mein Ohr, dass ich das Handy ein wenig von mir weg halten musste.

Ich stöhnte leise und legte eine Hand über die Augen. »Du hast richtig gehört. Ich habe ihn geküsst. Du wärst bestimmt sehr stolz auf mich gewesen.«

»O Mann, Effi«, brachte sie lachend hervor. »Und wie ich das bin! Den Gesichtsausdruck hätte ich zu gern gesehen.«

»Den von dem armen Kerl oder Levis?«, hakte ich nach und strich mit der freien Hand über die Yogamatte, auf der ich die Nacht verbracht hatte. Ich hatte das Angebot nicht annehmen können, in Belas Bett zu schlafen.

»Beide«, antwortete Asta, während sie hörbar Frühstücksflocken in eine Schale kippte. »Aber ich finde, der heiße Typ mit den kalten Ohren klingt interessanter. Wie war der Kuss denn?«

Ich erwischte mich dabei, wie ich mit der Fingerspitze über meinen Lippenbogen tastete, über den vor rund vierzehn Stunden seine Zunge geglitten war. Sofort setzte wieder dieses leichte Prickeln unterhalb meines Bauchnabels an und ich riss die Hand fort. Gott, ich war definitiv armselig. »Ziemlich viel zu gut«, gab ich widerwillig zu.

»Unzureichende Beschreibung, Süße.«

Ich presste die Hand wieder auf meine Augen, als könnte ich die Erinnerung dadurch fernhalten, die mich schon die ganze Nacht begleitet hatte. Ich wollte weder ihr noch mir eingestehen, wie verdammt gut dieser Kuss gewesen war. »Es war episch. Großes Kino. Sämtliche Feen sind wieder zum Leben erwacht, Regenbögen haben sich gebildet, Einhörner wurden geboren und jedes Feuerwerk aller Silvester unserer Zeitrechnung ist erneut explodiert. So besser?«

Meine Ironie war kläglich, aber Asta lachte zufrieden.

»Viel besser. Du solltest dem Guten eine Yelp-Bewertung schreiben.« Sie hielt inne, kurz darauf hörte ich, wie sie ihr Müsli kaute. Das Geräusch war so laut, dass ich den Hörer etwas weghielt und ihre Worte kaum verstand. »Wieso bist du einfach abgehauen?« Wieder knusperte es in der Leitung. »Du hättest ihn weiterküssen sollen. Vorzugsweise an anderen Körperstellen.«

Sie ließ das Satzende bedeutungsschwer in der Luft hängen und ich konnte mir ihr anzügliches Grinsen so gut vorstellen, dass ich errötete. Vor allem, weil ich im Hintergrund Geklapper von Geschirr und leises Stimmgewirr hörte, was verriet, dass sie nicht allein in der Wohnheimküche war.

Asta hatte eine beneidenswert lockere Einstellung zum Thema Körperlichkeit. Sie war der Meinung, dass sich Sex auf der Bedürfnisskala einen Platz dicht neben Atmen und Nahrungsaufnahme verdient hatte – oder dass jeder Mensch zumindest die Wahl haben sollte, ihn genau dort anzusiedeln. Sie selbst hatte absolut kein Problem damit, in aller Öffentlichkeit zu besprechen, was sie wie mit wem getan hatte, und sie regte sich ständig darüber auf, was für ein Tabu daraus gemacht wurde. Ich wünschte wirklich, ich wäre ihr in dieser Hinsicht ähnlicher. Dann würde ich nicht nur aufhören, vor Scham zu erröten, sobald ich an einen harmlosen Kuss dachte, Astas und meine Gespräche würden mich auch nur halb so oft in Verlegenheit bringen. Ich hätte gern meinem Elternhaus die Schuld darangegeben, aber ich war weder streng religiös noch zur außerordentlichen Tugendhaftigkeit erzogen worden. Meine Eltern hatten mir nie verboten, mit Levi zu schlafen, aber sie hatten auch nicht wirklich darüber sprechen wollen. Asta hingegen hatte mich bereits in unserer ersten gemeinsamen Woche so beiläufig über mein Liebesleben ausgefragt, als ginge es um meine Lieblingsbücher. Auch nachdem sie bemerkt hatte, dass mich ihre Direktheit verunsicherte, hatte sie damit nicht aufgehört. Ich vermutete, dass das ihre Art einer Konfrontationstherapie war. Bisher verzeichneten wir einen eher mäßigen Erfolg.

Ich rieb mir über die warmen Wangen. »Ich glaube, für so etwas bekommt man Hausverbot. Oder eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.«

Asta schluckte laut. »Dann hättest du ihm wenigstens deine Nummer geben sollen. Wie willst du ihn denn jetzt wiedersehen?«

»Mit ein bisschen Unterstützung des Universums – was es mir echt mal schuldig wäre – niemals wieder.« Das Katergold hatte es in jedem Fall geschafft, direkt auf die Liste der verbotenen Orte zu wandern. Wenn ich so weitermachte, musste ich in ein paar Wochen in eine andere Stadt ziehen.

Aus dem Wohnzimmer hörte ich die Wohnungstür aufgehen. Ruckartig fuhr ich in die Höhe und zog mein hochgerutschtes blassblaues Kleid über die Knie. Blau war für mich die Farbe der Harmonie und Ruhe – und davon konnte ich heute wirklich etwas gebrauchen.

»Bela kommt heim. Ich muss ihm erklären, warum ich gestern geflohen bin.«

Astas Grinsen wurde hörbar breiter. »Mit allen schmutzigen Details?«

Ich schnaubte und stand umständlich auf, wobei ich zum dritten Mal an diesem Tag gegen den Holzbalken stieß. Mühsam unterdrückte ich einen Fluch und ging zur Tür. »Wir sehen uns morgen in der Uni«, erwiderte ich in einem Tonfall, der hoffentlich vermittelte, dass wir nie wieder über diese neue Anekdote meiner Peinlichkeiten reden würden.

Als ich aufgelegt hatte und mein Zimmer verließ, sah ich Bela neben dem Sofa im Wohnraum stehen. Er kämpfte mit einer Matratze, die ihm immer wieder aus den Händen rutschte. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte ich, dass er nicht allein war.

Das andere Ende wurde von einem jungen Mann gehalten, der sichtlich amüsiert über Belas verhaltenes Fluchen war. Ich blinzelte mehrmals, bis mein Gehirn zusammensetzte, was es dort sah. Wen es sah. Einen großen Typen mit attraktiv kantigem Gesicht und stechend blauen Augen. Mein Blick huschte über seine schwarze Kleidung hin zu seinem Kopf, auf dem eine dunkle Fischermütze saß. O Gott. Ich schnappte nach Luft und gab einen seltsamen Laut von mir – schrill und doch erstickt.

Die beiden drehten sich um und bemerkten mich. Bela runzelte die Stirn und legte seine Seite der Matratze endgültig auf dem Boden ab. »Hey. Alles klar?«

Mein Mund öffnete sich, aber ich konnte nichts erwidern. Ich konnte ja nicht einmal den Blick von dem anderen abwenden. Er schaltete im Bruchteil eines Moments – der Ausdruck in seinem Gesicht wandelte von Verblüffung hin zu Begreifen und schließlich zu aufrichtiger … Belustigung.

»Bitte nicht.« Ich begriff zu spät, dass ich das laut gesagt hatte. In einem Tonfall, der nach purer Verzweiflung klang.

Bela sah zur Matratze, die sein Freund noch immer festhielt. »Ich hatte ehrlich gesagt gedacht, du freust dich darüber, nicht auf deiner Yogamatte schlafen zu müssen.«

»Ich glaube, das galt nicht der Matratze, sondern mir«, erwiderte der andere, ohne den Blick von mir zu lösen.

Meine Wangen wurden heiß und ich strich mir schützend das Haar ins Gesicht. Gut, damit war es amtlich. Ich musste wieder ausziehen. Sofort.

»Soll das heißen, ihr kennt euch?«, fragte Bela.

Die Frage war eher: Wieso kannten sie sich? Und wieso hatte ich von allen Anwesenden ausgerechnet ihn küssen müssen? Wieso hasste mich das Universum so sehr?

Ich glaubte, einen Hauch Missmut aus Belas Worten herauszuhören, und beeilte mich, den Kopf zu schütteln. »Nur flüchtig«, brachte ich krächzend hervor.

Das Lächeln des Typens wurde breiter. »Kaum mehr als fünf Sekunden.«

Eine weitere Welle Scham kletterte mit roten Fingerspitzen über meine Wangen, als ich meine Worte von gestern Abend wiedererkannte. Schweigend funkelte ich zu ihm auf.

Bela verfolgte aufmerksam unseren Blickwechsel. Dann zuckte er mit den Schultern. »Wie auch immer: Das ist Effi. Meine neue Mitbewohnerin. Effi, das ist mein bester Freund. Fin, mit einem N.«

»Fin wie das Ende?«, fragte ich lahm.

»Effi wie Fontanes Mädchen?« Der seltsame Ausdruck aus seinem Gesicht war verschwunden, er wirkte völlig entspannt. So, als hätten wir uns in einer Supermarktschlange kennengelernt, wo ich ihm in die Ferse getreten war. Sicherlich nicht, als ich ihn in einer Bar angefleht hatte, mich zu küssen.

»Du siehst müde aus«, schaltete Bela sich ein und musterte mich besorgt. »Hast du nicht gut geschlafen?«

»Doch«, log ich und starrte auf meine nackten Zehen, um keinen der beiden ansehen zu müssen. »Der Boden war ein bisschen hart, aber dafür hatte ich einen schönen Ausblick. Ich habe mir eingebildet, eine Sternschnuppe zu sehen. Aber eventuell war das auch nur ein sehr schnelles Flugzeug.« Ich biss mir auf die Zunge, um nicht weiterzuplappern.

»Warum hast du nicht in meinem Bett geschlafen?«

»Das erschien mir irgendwie unangebracht.« Eine Grenzüberschreitung pro Abend hatte mir gereicht.

»Wahrscheinlich hatte sie keine Lust, in deiner benutzten Wäsche zu schlafen«, meinte Fin trocken. »Du hättest ihr sagen sollen, dass das letzte Mal, dass eine Frau da drin geschlafen hat, ewig her ist.«

Bela zuckte kaum merklich zusammen. Offensichtlich war das ein wunder Punkt. Etwas in seinem Blick ließ mich ahnen, dass es dabei nicht um die Tatsache ging, dass lange niemand mehr dort geschlafen hatte, sondern eher um die Person, die es als Letztes getan hatte. Ich wusste, wie jemand mit Liebeskummer aussah. Immerhin musste ich seit Wochen in den Spiegel sehen.

»Wenigstens müsste ich meine Bekanntschaften nicht immer zu einem Freund bringen«, murmelte er abwesend.

»Adam beschwert sich nie.« Fin stützte gelassen den Ellbogen auf der Matratze ab. Er schien Belas Befangenheit nicht zu spüren oder bewusst zu ignorieren. Es schien ihm auch nicht unangenehm zu sein, dass ich alles mit anhörte. Er würde sich bestimmt hervorragend mit Asta verstehen.

»Adam ist auch der entspannteste Mensch der Welt«, erwiderte Bela vielsagend.

»Deswegen bin ich mit ihm befreundet.« Fin klopfte Bela auf die Schulter. »Du hingegen punktest mit deinem sonnigen Gemüt.«

»Immer wieder nett zu hören, dass du deine Freunde nach Funktionalität einordnest«, gab Bela zurück und wandte sich mir zu. »Angesichts der Tatsache, dass Fin lieber die Wohnungen seiner Freunde für diese Art von Bettaktivitäten nutzt, ist seine alte Matratze ziemlich jungfräulich. Falls dir das wichtig ist.«

»Toll.« Mehr brachte ich nicht hervor. Ich konnte ja schlecht äußern, dass ich doch lieber auf ewig auf meiner Yogamatte schlief, wenn die Alternative seine alte Matratze war. Mein Gesicht glühte mittlerweile sicher kirschrot und ich war froh, dass ich mich heute Morgen gegen das orangefarbene Kleid entschieden hatte. Das hätte sich wunderbar gebissen. Von der versprochenen Ruhe des Blaus fühlte ich aber nicht mehr allzu viel.

Fin räusperte sich. »Also, können wir das Ding jetzt endlich in ihr Zimmer bringen?«

Ich sah den beiden zu, wie sie die Matratze durch das Wohnzimmer zerrten und anstelle der Yogamatte unter dem Fenster platzierten. Normalerweise wäre es mir unangenehm gewesen, dass jemand Fremdes in meinem Zimmer stand und sich umsah. Angesichts der Tatsache, dass ich nichts ausgepackt hatte und er somit nur meine Kisten, Kleidersäcke und Pflanzenkinder bestaunen konnte, kümmerte es mich kaum. So fremd war er ja auch nicht. Ich wusste immerhin, wie es war, seinen verdammt weichen Mund zu küssen. Wie das kurz geschorene Haar an seinem Kopf an den Fingerkuppen kratzte. Und wie es sich anfühlte, wenn er eine Hand in meinem Nacken vergrub, mich fest an sich drückte und …

Entschieden drängte ich mich gegen die Gedanken und brachte ein bisschen Abstand zwischen Fin und mich, während wir zurück ins Wohnzimmer gingen. »Danke für die Matratze. Das ist sehr zuvorkommend«, sagte ich steif, ohne ihn anzusehen.

Fins Mundwinkel zuckten und er warf mir einen flüchtigen, dennoch deutlich spürbaren Blick zu. »Ich helfe immer gern.«

Wieso klang alles, was er sagte, dermaßen zweideutig? Ich verzog den Mund und verschränkte die Arme vor der Brust.

Belas Stirnrunzeln war zurück. Er ließ den Blick zwischen uns umherwandern und verharrte dann damit eindringlich auf seinem Freund. »Ich parke kurz das Auto um. Alles klar?«

Fin hob die Augenbrauen und ich glaubte, ihn schwach nicken zu sehen, ehe Bela aus dem Zimmer verschwand. Sekunden später fiel die Wohnungstür ins Schloss und ich blieb mit Fin allein zurück.

»Ich brauche Kaffee«, brachte ich tonlos hervor und lief zur Küche. Mein Herz dröhnte, aber ich hörte trotzdem, dass er mir folgte. O Gott, wieso?

Sag etwas Unverfängliches, beschwor ich mich innerlich und suchte fieberhaft nach etwas, was ich zu jemandem gesagt hätte, an dessen Lippen ich nicht die ganze Nacht hatte denken müssen.

»Frieren deine Ohren nicht?« Gut. Das war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.

Er lachte, ein warmer, unfassbar weicher Ton, der gar nicht zu ihm zu passen schien. Meine Armhärchen stellten sich auf. Hastig wandte ich mich von ihm ab, um eine Tasse aus dem Schrank zu nehmen. »Das ist dir jetzt ziemlich peinlich, was?«, fragte er amüsiert in meinem Rücken.

Wütend knallte ich die Tasse auf die Spüle und griff nach der Kanne mit Kaffee, den ich vorhin aufgesetzt hatte. »Und du bist unsagbar feinfühlig, was?«