Der Tod des Ketzers - Peter Tremayne - E-Book
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Der Tod des Ketzers E-Book

Peter Tremayne

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Beschreibung

Das Geheimnis des Bischofs aus Burgund.

Irland im 7. Jahrhundert: Im Kloster Imleach kommt bei einem Brand ein Bischof aus Burgund ums Leben. Er war ein arroganter, unangenehmer Mensch, und niemand weiß, wonach er in der Bibliothek des Klosters suchte. Doch er wurde bereits vor dem Brand ermordet, wie Fidelma bald feststellen muss. Da erhängt sich der hoffnungsvollste Student des Klosters. Gibt es einen Zusammenhang? Ein äußerst kniffliger Fall für Fidelma und Eadulf.

Die erfolgreichste historische Serie auf dem deutschen Markt.

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Seitenzahl: 554

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Über das Buch

Im Kloster Imleach ist seit ein paar Tagen ein Bischof aus Burgund mit zwei Gefolgsleuten zu Gast. Ein unangenehmer, arroganter Kerl, den niemand mag und von dem keiner so richtig weiß, warum er da ist. Meist sitzt er in der Bibliothek und bringt dort alles durcheinander. Auch scheint er wertvolle Texte zu stehlen. Nach einem Brand des Gästehauses wird er tot aufgefunden. Schnell wird klar, dass der Brand nur den Mord an ihm verschleiern sollte. Kurz darauf erhängt sich der hoffnungsvollste Student der Abtei. Ein äußerst kniffliger Fall für Fidelma und Eadulf.

Über Peter Tremayne

Peter Tremayne ist das Pseudonym eines anerkannten Historikers, der sich auf die versunkene Kultur der Kelten spezialisiert hat. Seine im 7. Jahrhundert spielenden Romane mit Lady Fidelma sind zurzeit die älteste und erfolgreichste historische Krimiserie auf dem deutschen Buchmarkt. Fidelma, eine mutige Frau von königlichem Geblüt, ehemalige Nonne und Anwältin bei Gericht, löst darin auf kluge und selbstbewusste Art die schwierigsten Fälle. Wegen des großen internationalen Erfolgs der Serie wurde Peter Tremayne 2002 zum Ehrenmitglied der Irish Literary Society auf Lebenszeit ernannt.

Mehr Informationen unter www.sisterfidelma.com

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Peter Tremayne

Der Tod des Ketzers

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen von Bela Wohl

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Zitat

Hauptpersonen

Anmerkung des Autors

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Fidelmas Abenteuer in chronologischer Reihenfolge

Erläuterungen

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Für Caroline Lennon,»die Stimme von Fidelma«,Sprecherin in den englischen Audiobüchern,die Fidelma für die Hörer zum Leben erweckt;als Anerkennung für eine talentierte Schauspielerin und Freundin.

Fuerunt vero et pseudoprophetae in populo sicut et in vobis erunt magistri mendaces qui introducent sectas perditionis et eum qui emit eos Dominum negant superducentes sibi celerem perditionem.

Es gab aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch falsche Lehrer sein werden, die heimlich verderbliche Sekten einführen, indem sie sogar den Herrn, der sie erkauft hat, verleugnen; und sie werden ein schnelles Verderben über sich selbst bringen.

2. Petrus 2,1

Hauptpersonen

Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des 7. Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham aus dem Lande des Südvolks, ihr Ehemann

Enda, Befehlshaber der Krieger vom Goldenen Halsreif, der Elite-Leibgarde des Königs von Muman

IN ARAS BRUNNEN

Aona, Gastwirt

Adag, sein Enkel

IN DER ABTEI IMLEACH IUBHAIR

Abt Cuán, Abt und Oberster Bischof von Muman

Bruder Mac Raith, rechtaire oder Verwalter der Abtei

Priorin Suanach, Leiterin der Schwesternschaft

Der Ehrwürdige Breas, fer-leginn oder Leitender Gelehrter

Der Ehrwürdige Lugán, leabhar coimedach oder Bibliothekar und Rektor der Klosterschule

Bruder Anlón, Arzt

Bruder Áedh, zuständig für den Löschtrupp der Abtei

Bruder Sígeal, echaire oder Stallmeister

BAUARBEITER UND HANDWERKER

Sítae, ollamh-ailtire, Baumeister

Cú Choille, verschwundener Zimmermeister

Patu, erfahrener Zimmermann

Mothlach, Steinmetz

Tassach, Kupferschmied

STUDENTEN

Bruder Garb, Student im höheren Semester

Bruder Étaid, sein anam chara oder Seelenfreund

Schwester Fastrude, Studentin aus Burgund

Schwester Ingund, Studentin aus Burgund

Schwester Haldetrude, Studentin aus Burgund

GÄSTE AUS DEM FRANKENREICH

Diakon Landric, Hofmeister von Bischof Brodulf aus der Abtei Luxovium in Burgund

Bruder Charibert, Diener von Bischof Brodulf

REISEGRUPPE DES OBERSTEN BREHON

Fithel, Oberster Brehon von Muman

Urard, sein Sekretär und Schreiber

Dego, Krieger des Königs, Begleiter des Obersten Brehon

Luan, ein weiterer Krieger

Anmerkung des Autors

Die Geschichte ereignet sich in dem Monat, den man auf Altirisch cét samain nennt – Sommeranfang. Er entspricht in etwa unserem Monat Mai. Wir schreiben das Jahr 672 n. Chr.

Einige Leser werden sich vielleicht erinnern, dass wir die Abtei Imleach Iubhair – was so viel bedeutet wie Grenzland der Eiben – schon einmal besucht haben (in Tod in der Königsburg). Heute ist Emly (anglisierter Name von Imleach) ein kleines Dorf 14 Kilometer westlich der Provinzstadt Tipperary (Aras Brunnen). Die Abtei Imleach Iubhair wurde im 5. Jahrhundert vom heiligen Ailbe gegründet, der schon lange vor dem heiligen Patrick das Christentum predigte, und war einst die führende Lehrabtei des Königreichs Muman (Munster) und der Sitz seines Obersten Bischofs; von alldem ist heutzutage nur noch wenig zu sehen. Emly blieb bis 1587 eine Domstadt und war die bedeutendste Diözese in Munster, bis man sie offiziell mit dem Erzbistum Cashel zusammenlegte.

Die ursprünglichen Abteigebäude hat man im 13. Jahrhundert durch einen Dom ersetzt, der während der Eroberung von 1607 zerstört wurde. Ende des 17. Jahrhunderts entstand dort wieder eine anglikanische Kirche; im Jahre 1827 musste man sie wegen Baufälligkeit vollständig neu errichten. 1882 erbaute man an ihrer Stelle eine moderne katholische Kirche. Der See, an dem die einstige Abtei lag, ist längst verschwunden. Geblieben sind noch einige Überreste der fünf uralten heiligen Brunnen, darunter auch der Tobair Peadar (Peters Brunnen), der wegen Einsturzgefahr gesperrt ist. Von diesem Brunnen aus führte Berichten zufolge ein unterirdischer Gang zum Berg Knockcarn (altirisch: Cnoc Carron), wo sich vermutlich die einstige Begräbnisstätte der Abtei befand.

Imleach war ein gemischtes Haus, ein conhospitae, in dem sowohl Mönche als auch Nonnen lebten. Es wurde von einem comarbae geleitet (einem »Erben« von Ailbe), doch mit der Zeit setzte sich für die Leiter solcher Gemeinschaften der Titel Abt durch, der von dem aramäischen Wort Abbas (Vater) abstammt. Für die weibliche Form fügte man dem aramäischen Wort die lateinische Endung ‑issa hinzu, woraus der Titel abatissa oder Äbtissin entstand. Ich benutze hier den Titel Priorin (prioressa), der ebenfalls dem Alt- oder Mittelirischen entlehnt ist; so bezeichnete man die Leiterin der Schwesternschaft in einem gemischten Haus oder in einem reinen Nonnenkloster.

Manchen Leser mag es überraschen, dass das Christentum bereits zu Fidelmas Zeiten keine einheitliche Religion war; es gab zahlreiche unterschiedliche theologische Strömungen, die alle ihre jeweiligen Anhänger hatten. Während der verschiedenen Konzile diskutierte man leidenschaftlich darüber, welche Konzepte und Lehren man akzeptieren und befolgen sollte. In der Mailänder Vereinbarung von 313 n. Chr. gestand Rom den Christen in seinen westlichen Provinzen die freie Ausübung ihres Glaubens zu. Zehn Jahre später wurde das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches erhoben. Kaiser Konstantin (285–337 n. Chr.) erkannte, dass die Bewegung der Christen durch eine Vielzahl von Auslegungen völlig zersplittert war. Im Jahre 325 n. Chr. trafen sich ihre geistlichen Führer in Nicäa, um sich auf gewisse Grundlehren zu einigen; diese wurden zur Basis für das Nicänische Glaubensbekenntnis. Doch auch das einte nicht alle Christen.

Auf nachfolgenden Konzilen wurde weiter gestritten. Der römische Historiker und ehemalige Soldat Ammianus Marcellinus (330–395 n. Chr.) beobachtete die oft unversöhnlichen und dogmatischen Konflikte und kommentierte: »Wilde Tiere sind im Umgang miteinander nicht so grausam wie die Christen.«

Auf der Synode von Rom (382 n. Chr.) unter Papst Damasus I. stimmte man der Zusammenstellung von siebenundzwanzig Texten zu, die Athanasius, der Patriarch von Alexandria, ausgewählt hatte; sie bildeten die Grundlage für das Neue Testament. Das führte zu erneuten Streitigkeiten und zu dem Versuch, zahlreiche Schriften der frühen Christen, die Rom nicht genehm waren, zu vernichten.

Das Philippusevangelium, das in dieser Geschichte erwähnt wird, gehört zu den koptischen Texten, die aus dem 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. stammen. Man entdeckte es 1945 zusammen mit anderen frühchristlichen Schriften, die in einem versiegelten Behälter aufbewahrt wurden, in Nag Hammadi in Ägypten. Die eintausendzweihundert Nag-Hammadi-Schriften befinden sich heute im Koptischen Museum in Kairo. Man hatte sie im 4. Jahrhundert, nachdem die Synode von Rom entschieden hatte, aus welchen Texten das Neue Testament zusammengestellt werden sollte, vergraben, um sie vor der Vernichtung zu retten. Das Philippusevangelium ist nach dem Apostel Philippus von Bethsaida benannt, einem der ursprünglichen zwölf Apostel Jesu (verstorben 80 n. Chr. im antiken Hierapolis).

Eine ganze Reihe von Konzilen, die an verschiedenen Orten im Römischen Reich stattfanden und sogar außerhalb seiner Grenzen, beschäftigten sich auch weiterhin damit, jeweils eigene Auslegungen zu entwickeln. Bis zu Fidelmas Zeit hatte man sechs bedeutende ökumenische Konzile abgehalten in dem Bemühen, das Christentum zu vereinheitlichen. Auf dem 3. Konzil in Konstantinopel (680 n. Chr.) debattierte man immer noch über Jesus Christus’ menschliche und göttliche Aspekte. Mittlerweile existierten im Westen bereits mehr als dreißig unterschiedliche Auslegungen der christlichen Religion. Manche Vorstellungen akzeptierte man, während andere verworfen oder als Ketzerei verteufelt wurden.

Pelagius (aktiv zwischen 380 und 418 n. Chr.) erklärte man zum Ketzer, doch seine Lehren fanden bei den Iren und anderen keltischen Völkern im Westen des Kontinents noch lange großen Anklang. Papst Johannes IV. schrieb 640 n. Chr. einen Brief an die Bischöfe in Irland und forderte sie auf, Pelagius’ Lehren nicht mehr zu befolgen. Dessen Werke wurden jedoch weiterhin gelesen und bis in die Neuzeit vielfach diskutiert. Denjenigen unter meinen Lesern, die sich für Pelagius’ Schriften und philosophische Gedanken interessieren, empfehle ich Pelagius: Life and Letters, D. R. Rees, 1988.

Die Banshenchus (Die Geschichte der Frauen) – das früheste feministische Geschichtsbuch Europas – hat sowohl in Vers- als auch in Prosaform im Kloster Daimh Inis überlebt, auf der Insel der Ochsen (Devenish, Lough Erne, County Fermanagh). Die Abtei wurde vom heiligen Laisrén mac Nad Froich gegründet (gestorben 564 n. Chr.), der unter dem Namen Mo Laisse bekannt war. Der Text enthält Beschreibungen prominenter Frauen aus dem 5. und 6. Jahrhundert und wurde bis ins Jahr 1193 kontinuierlich ergänzt. Eine der Frauen ist die Tochter von König Failbe Flann, die mit ihrem religiösen Titel erwähnt wird.

In der nun folgenden Geschichte beziehe ich mich mehrmals auf frühere Abenteuer Fidelmas, die ich hier erläutern möchte. Über Fidelmas Teilnahme am Konzil von Streonshalh (Synode von Whitby) im Jahr 664 n. Chr., wo sie Eadulf zum ersten Mal begegnete, wird in Nur der Tod bringt Vergebung berichtet. Damals beschloss König Oswiu von Northumberland, dass man in seinem Königreich zukünftig den religiösen Bräuchen Roms folgen sollte und nicht mehr den Kirchen und Lehren Irlands. Vom Konzil von Autun in Burgund im Jahre 670 n. Chr., an dem Fidelma und Eadulf teilnahmen, erzählt der Band Das Konzil der Verdammten. Dort wurde vereinbart, dass alle religiösen Häuser im Frankenreich und im benachbarten Gallien fortan die Regel des heiligen Benedikt befolgen sollten und nicht mehr die verschiedenen Regeln der keltischen Kirchen im Westen. Und die Hölle folgte ihm nach erzählt von Fidelmas Abenteuer im Jahre 664/665 n. Chr. bei ihrem Besuch in der Abtei Bobbio, die in Norditalien von Columban und seinen irischen Schülern gegründet wurde. Verneig dich vor dem Tod handelt von Fidelmas Reise in Eadulfs Heimat im Königreich der Ostangeln, nach Seaxmund’s Ham im Land des Südvolkes.

Um den Vorfall in der Abtei Darú (Durrow), den Fidelma erwähnt, geht es in der Kurzgeschichte Ein Lobgesang für Wulfstan im Sammelband Der falsche Apostel.

Wer von meinen Lesern an Ortsnamenforschung interessiert ist, möchte vielleicht die modernen Bezeichnungen für die erwähnten Orte im Königreich der Franken erfahren: Biturgia – Bourges; der Fluss Dea Matrona – die Marne; Evoriacum – Faremoutiers; Latiniacum – Lagny-sur-Marne; der Fluss Liger – die Loire; Luxovium – Luxeuil-les-Bains; Martyr Nazarius – Saint-Nazaire und Nevirnum – Nevers.

Kapitel 1

»Gestern Nacht ist in der Abtei ein großes Feuer ausgebrochen, Lady.«

Adag, der siebzehnjährige Enkel des Gastwirts, verkündete ganz aufgeregt die Neuigkeit, während er einen Krug Bier auf den Tisch stellte, an dem Fidelma und Eadulf Platz genommen hatten. Obwohl das Gasthaus sich ganz in der Nähe von Aras Brunnen befand, etwa 15 Kilometer von der Abtei Imleach Iubhair entfernt – was so viel bedeutete wie Grenzland der Eiben –, nannten die Einheimischen Imleach immer nur die Abtei, weil sie von so herausragender Bedeutung für die Gegend war. Die Abtei gehörte zu den ältesten im gesamten Königreich, und ihr Gründer, der heilige Ailbe, galt als einer der Ersten, die den Neuen Glauben nach Muman gebracht hatten, in das größte und südwestlichste der Fünf Königreiche von Éireann. Imleach war zur führenden Lehrabtei des Königreichs geworden; ihr jeweiliger Abt war gleichzeitig der Oberste Bischof der Könige von Cashel. Derzeit war Fidelmas Bruder Colgú König von Muman.

Fidelma musterte den jungen Burschen interessiert.

»Ein großes Feuer?«, fragte sie. »Was ist passiert? Ich habe gehört, dass dort im Augenblick viel gebaut wird. Ersetzt man nicht gerade die alten Holzhäuser der Abtei durch neue Gebäude aus Stein?«

Adag zuckte die Schultern. »Mein Großvater kann euch alles darüber erzählen, wenn er zurückkommt. Ihr habt offenbar nicht die Hauptstraße genommen, die an den Toren der Abtei vorbeiführt, sonst hättet ihr bestimmt etwas von dem Brand mitbekommen.«

»Eadulf und ich sind in Dún Trí Liag losgeritten und haben uns durch die Berge südwestlich von hier der Abtei genähert.«

Der junge Bursche ging zum Kamin hinüber und rückte ein loderndes Holzscheit zurecht, damit es nicht herunterfiel.

»Was hat euch zu einem Besuch in Dún Trí Liag veranlasst?«, fragte er und warf Fidelma einen Blick über die Schulter zu. »Dort ist doch die Festung von Congal von den Dál gCais, der behauptet, von königlichem Geblüt zu sein, und wehe dem, der das vergisst. Er ist kein guter Mensch. Er erwartet von uns, dass wir ihm und seiner Sippe dienen, ohne etwas dafür zu bekommen, und er behandelt meinen Großvater mit unglaublicher Arroganz.«

Fidelma rügte den Jungen mit gespielter Empörung, doch sie kannte ihn schon von klein auf und wusste außerdem, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen. »Äußere deine Meinung nicht zu laut und zu vielen Leuten gegenüber, Adag«, warnte sie ihn. »Congal ist ein Mann, der nicht zögert, von seiner Macht und dem Gesetz Gebrauch zu machen, um sich für eine Beleidigung zu rächen.«

Tatsächlich war der Anlass, aus dem Fidelma und Eadulf in Begleitung von Enda, dem Befehlshaber der Elite-Krieger vom Goldenen Halsreif, nach Dún Trí Liag gereist waren, ein Rechtsstreit zwischen Congal und einem seiner Stammesangehörigen. Congal hatte den Mann beschuldigt, einen Bullen aus seiner Herde gestohlen zu haben. Der Beschuldigte stritt das wiederholt ab, doch Congal glaubte seinen Beteuerungen nicht. Daraufhin beschloss der Stammesangehörige, seine Rechte, die ihm nach dem traditionellen Gesetz zustanden, geltend zu machen und begann einen troscud, einen Hungerstreik, vor den Toren von Congals Festung; er saß dort und verweigerte Essen und Trinken, um den Adligen zu zwingen, einem Schiedsverfahren zuzustimmen. Als dálaigh war Fidelma qualifiziert, in derartigen Fällen Recht zu sprechen, und wurde dorthin geschickt, um die Argumente zu prüfen. Kurz vor der Anhörung hatte man den Bullen aufgefunden, als er in den nahe gelegenen Hügeln umherstreifte, nachdem er sich auf seiner Weide losgerissen hatte. Folglich musste Congal widerstrebend einräumen, dass er den Mann zu Unrecht beschuldigt hatte, und noch widerstrebender stimmte er zu, ihn wegen der falschen Anschuldigung mit einer Färse aus seiner Herde zu entschädigen.

Ehrlich gesagt fühlte sich Fidelma jetzt, da sie und ihre Gefährten Congals Festung verlassen hatten, wieder wesentlich wohler. Congal galt als ein Mann, der schnell die Beherrschung verlor und äußerst nachtragend war. Wenn Fidelma an ihn dachte, fiel ihr das Wort Vertrauen jedenfalls nicht als Erstes ein.

Die Tür der Gaststube schwang auf, und ein Schwall kalter Luft wehte herein. Gleich darauf erschien Aona, der alte Gastwirt, gefolgt von dem jungen Krieger Enda, der die Tür hinter ihnen schloss. Enda hatte Aona geholfen, die Pferde im Stall des Gasthauses mit Wasser und Futter zu versorgen.

»Was höre ich da von einem Brand in der Abtei?«, fragte Fidelma den Gastwirt, als er an ihren Tisch trat, um zu sehen, ob sein Enkel ihnen das Bestellte gebracht hatte.

»Ach, hat Adag euch davon erzählt? Gerade habe ich mit Enda darüber gesprochen.«

Enda setzte sich auf eine Bank am Tisch und griff nach dem Bierkrug, um sich einen Becher einzuschenken. Unter den drei Gefährten, die gemeinsam so viele Abenteuer erlebt hatten, war es nicht üblich, gekünstelte Benimmregeln einzuhalten.

»Die Neuigkeit, von der Aona mir erzählt hat, hat mich nicht überrascht«, sagte er. »In letzter Zeit wird in der Abtei viel gebaut. Da sie von einem Eibenwald umgeben ist, hat man die ältesten Gebäude einst aus Holz errichtet. Die letzten Äbte haben angeregt, die Holzhäuser durch Gebäude aus Steinen, die hier aus der Gegend stammen, zu ersetzen. Bei solchen Umbauarbeiten kommt es häufig zu Bränden.«

Fidelma wandte sich an den Gastwirt. »Was weißt du über die Ursache des Brandes? Was hat denn Feuer gefangen?«

Aona zuckte die Achseln. »Ich weiß nur das wenige, das mir ein Durchreisender heute früh erzählt hat«, antwortete er. »Offenbar hat sich das Feuer nicht ausgebreitet, sondern sich auf eins der alten Holzgebäude beschränkt, das als tech n‑óiged diente.«

»Das Gästehaus?«, rief Eadulf überrascht. »Ich dachte, die Abtei bringt ihre Gäste nicht mehr in den alten Gebäuden unter. Wurde jemand verletzt?«

»Der Reisende erwähnte, dass ein Geistlicher aus dem Ausland, der die Abtei besucht hat, bei dem Brand umgekommen ist«, antwortete der Gastwirt. »Außerdem wurden mehrere Mönche und auch einige der Bauarbeiter verletzt, als sie versuchten, das Feuer zu löschen.«

»Ein Geistlicher aus dem Ausland, sagst du?« Jetzt war Fidelma neugierig geworden.

»Angeblich handelt es sich bei dem Mann um einen Bischof aus einem Königreich auf dem Festland.«

Fidelma spitzte besorgt die Lippen. »Ein Besucher vom Festland und obendrein auch noch ein Bischof …? Weißt du, wer dieser Bischof war oder woher er kam?«

Der Gastwirt hob verneinend die Schultern. »Das wusste der Reisende nicht. Er war ein Händler auf der Durchreise und hatte kurz am Tor der Abtei angehalten, um nach Wasser für sein Pferd zu fragen. Dabei hatte er mitbekommen, dass der Bischof ein wichtiger Besucher aus dem Ausland war und erst unlängst dort eingetroffen ist.«

»Leider ist es nicht ungewöhnlich, dass in Gebäuden aus Holz, in denen man Speisen für so viele Personen zubereitet, Feuer ausbricht«, erklärte ihnen der Enkel des Gastwirts. Er nahm die Nachricht schicksalsergeben hin – angesichts einer Katastrophe reagieren viele junge Menschen so.

»Da hast du vollkommen recht«, stimmte Eadulf ihm zu. »Die Leute gehen oft nicht vorsichtig genug mit offenem Feuer um.«

»Es beunruhigt mich, dass ein Bischof aus dem Ausland, der unser Königreich besucht hat, bei einem Brand ums Leben gekommen ist, noch dazu in der führenden Abtei von Muman«, sagte Fidelma nachdenklich.

»Kennt man denn die Ursache des Feuers? Gab es einen Unfall?«, fragte Eadulf.

»Der Händler hat mir nur das erzählt, was ich euch berichtet habe«, antwortete der Gastwirt. »Es gibt hundert Gründe, warum ein Feuer ausbrechen kann.«

»Mich beschäftigt vor allem der hohe Rang des Bischofs sowie sein Aufenthaltsort.« Fidelma blieb beharrlich bei ihren Überlegungen. »Womöglich bedarf es einer Erklärung, wie dieses Unglück geschehen konnte, denn nach dem Gesetz muss vielleicht eine Entschädigung in Betracht gezogen werden, falls ein Verschulden vorliegt.«

Eadulf lebte inzwischen lange genug in Fidelmas Königreich, um zu wissen, was ihr durch den Kopf ging. Rechtlich betrachtet war die Abtei verantwortlich für etwaige Entschädigungen, und da der Abt gleichzeitig der Oberste Bischof des Königreichs war, könnte ein Verschulden seiner Abtei unmittelbar auf den König zurückfallen. Dann müsste Colgú womöglich diejenigen entschädigen, in deren Auftrag der Bischof die Abtei besucht hatte.

»Es ist fast Mittag«, sagte Eadulf zu Fidelma. »Vielleicht sollten wir hier etwas essen? Danach bleibt uns noch reichlich Zeit, Abt Cuán in Imleach aufzusuchen und Genaueres zu erfahren, damit du sicherstellen kannst, dass nichts übersehen wird. Ich nehme an, darüber machst du dir gerade Gedanken.«

Bevor Fidelma antworten konnte, nickte Enda zustimmend.

»Das ist ein guter Vorschlag, Lady. Die Pferde brauchen eine kleine Pause, nachdem sie gerade Futter und Wasser bekommen haben. Deshalb sollten wir zuerst etwas essen und anschließend zur Abtei reiten.«

Nun schaute Fidelma – schon nicht mehr ganz so ernst – zu Enda hinüber. »Und für dich kommen natürlich das Wohl und die Erholung der Pferde an erster Stelle? Hättest du den Aufbruch nach Imleach sonst auch verschoben?«

Zunächst wirkte Enda peinlich berührt, doch dann sah er den Schalk in Fidelmas Augen.

Der alte Gastwirt schaltete sich jetzt ein und ersparte Enda eine Antwort. »Falls ihr eine kalte Mahlzeit wünscht, habe ich gepökeltes Wildbret, hart gekochte Gänseeier und einen grünen Blattsalat mit Brunnenkresse, Pimpernelle und wildem Knoblauch, gemischt mit den jungen Trieben des Weißdorns, der gerade zu blühen beginnt. Wahlweise gäbe es noch gedünsteten Lauch, wenn euch nach etwas Deftigerem zumute ist. Danach habe ich verschiedene Früchte mit Honig oder frisch gebackene Gerstenküchlein, die ich ganz nach euren Wünschen würzen kann.«

»Nichts Schweres für mich«, erklärte Fidelma dem Gastwirt. »Wir haben noch einen längeren Ritt vor uns, egal, ob wir zur Abtei reiten oder zurück nach Cashel.«

»Aber wir nehmen noch einen Krug Bier«, rief Enda Aona hinterher, der sich mit seinem Enkel auf den Weg in die Küche gemacht hatte.

Als sie allein waren, schwiegen sie einen Augenblick.

»Ich hätte es vorgezogen, heute Nacht zu Hause zu sein«, sagte Fidelma leise zu ihren Gefährten. »Ich habe das Gefühl, diese Angelegenheit wird uns ein Weilchen aufhalten, bevor wir nach Cashel zurückkehren.«

»Du machst dir zu viele Gedanken«, sagte Eadulf mahnend. »Der Tod eines Bischofs aus dem Ausland bedeutet doch nicht notwendigerweise, dass die Abtei oder das Königreich dafür verantwortlich sind.«

»Wenn alles gut geht, könnten wir immer noch gegen Abend in Cashel eintreffen«, stimmte Enda ihm zu. »Selbst wenn wir gemächlich reiten, brauchen wir nicht lange bis Imleach.«

In diesem Punkt hatte er recht. Die Straße in diese Richtung wurde ordentlich instand gehalten, was sowohl den Pilgern als auch den Händlern, die die alte Abtei regelmäßig besuchten, zu verdanken war. Nach dem Gesetz galt sie als ramat, als Straße, die zur Festung eines Adligen führte. Es passte, dass Ailbes Abtei Imleach Iubhair hieß, das Grenzland der Eiben, denn die ausladenden Bäume beherrschten die Gegend und erstreckten sich bis hinunter ans Ufer des kleinen Sees, an dem man die Abtei errichtet hatte. Eiben waren robust und langlebig; aus ihren gebogenen, mit Nadeln besetzten Zweigen bauten sich Jäger und Krieger ihre Bogen. Entlang der Straße durch den Eibenwald wuchs stellenweise dichtes Dornengestrüpp; es bildete Hecken und zog sich quer über brachliegende Flächen. Zwischen den glänzenden dunkelgrünen Blättern des Weißdorns zeigten sich schon ganze Büschel von kleinen Knospen. Im Lauf des Monats würden sie weiter anschwellen und sich zu schönen weißen Blüten entwickeln, die in der Mitte gelb leuchteten – ein sicheres Zeichen dafür, dass der Sommer nicht mehr weit war.

Wo der Wald sich lichtete, waren die trockeneren Flussufer mit Pfeilkresse bedeckt. Als Kind hatte Fidelma gelernt, dass man ihre Samen in dieser Jahreszeit zerstoßen und als Gewürz benutzen konnte. Kresse wies immer darauf hin, dass Wasser in der Nähe war, und ab und zu sahen die drei Reiter, wie das Licht der allmählich sinkenden Nachmittagssonne sich in den munter dahinplätschernden Flüsschen brach und die zahlreichen Kleinlibellen anstrahlte, die über der Wasseroberfläche schwebten oder plötzlich vorbeischossen. In der Gegend gab es einen winzigen See und mindestens fünf tiefe Brunnen mit Süßwasser, das in den fernen Bergen und Hügeln entsprang. Sie waren zweifellos einer der Gründe dafür, dass der heilige Ailbe und seine Anhänger ihre Gemeinschaft gerade hier gegründet hatten.

Am Himmel kreisten aasfressende Vögel auf der Suche nach einer späten Mahlzeit. Am häufigsten sah man die langen, spitzen Flügel der Zwergfalken, die nach offenem Heidemoor Ausschau hielten, weil sie ihre Fähigkeiten als Jäger dort am besten nutzen konnten. Da und dort grasten wilde Ziegen mit ihren geraden, weit auseinanderstrebenden Hörnern; sie ernährten sich von Stechginster und Heidekraut. In der wärmeren Jahreszeit lebten sie an höher gelegenen, felsigen Orten, doch im Winter bevorzugten sie das Tiefland. Merkwürdig, dachte Fidelma, dass sie im Mai noch so weit hier unten waren und nach Futter suchten.

Die Landschaft war nicht völlig menschenleer. An einem Flüsschen angelten ein paar Mönche, die an ihrer Kleidung leicht zu erkennen waren und vermutlich in der Abtei lebten. In dem seichten Wasser waren die Männer wohl nicht auf Lachse aus, sondern auf die Aal-ähnlichen náid oder Neunaugen. Sie zählten zu Abt Cuáns Lieblingsgerichten, waren jedoch nicht jedermanns Sache.

Die Abtei selbst befand sich auf einer kleinen Anhöhe an der Nordseite der Straße. Dort lag das Haupttor; die Abteigebäude zogen sich von da aus den Hang hinauf. Unmittelbar südlich des Tors erhob sich ein lang gestreckter, niedriger Hügel, der Hügel der Steinhaufen, der als Friedhof ausschließlich für die Toten aus der Abtei diente und deshalb auch als Grabstätte der Seligen bezeichnet wurde. Die Straße führte an einem kleinen See vorbei weiter Richtung Westen.

Fidelma und ihre Gefährten näherten sich den vertrauten alten grauen Sandsteingebäuden am Eingang, die man als Erstes am Tor der Abtei errichtet hatte – schon mehr als hundert Jahre bevor die nachfolgenden Äbte beschlossen, dass der gesamte Gebäudekomplex eines Tages neu entstehen sollte, und zwar aus Stein, wie es sich für die führende Abtei des Königreichs ziemte. Doch bis dahin gab es noch viel zu tun, und Abt Cuán hatte bei seinem Amtsantritt vor knapp einem Jahr festgelegt, dass der Umbau bis zu seinem Tod abgeschlossen sein sollte. Angeblich war bisher etwa die Hälfte der neuen Gebäude fertig geworden, während der Rest der Abtei noch immer aus Holzhäusern bestand.

Fidelma und ihre Begleiter erreichten den leicht ansteigenden Teil der Straße, die am Haupttor vorbeiführte. Auf den ersten Blick schien sich hier nichts Ungewöhnliches ereignet zu haben, doch ab und zu wehte der Wind einen schwachen, aber beißenden Geruch nach verbranntem Holz heran. Anscheinend war kein Pförtner da, um sie zu empfangen, und die großen Eichentore blieben geschlossen.

Schließlich ritt Enda hinüber zum Glockenseil und zog dreimal daran. Weit jenseits der Mauern ertönte die Glocke. Kurz darauf bewegte sich etwas oben auf der Mauer über dem gewölbten Eingangstor, und ein Kopf erschien, um nachzusehen, wer draußen war. Er verschwand, noch bevor Enda hinaufrufen konnte, wer da vorm Tor stand.

Er wollte schon erneut die Glocke läuten, als einer der schweren Torflügel sich öffnete. Ein Mann im Mönchsgewand glitt durch den schmalen Spalt und kam ihnen entgegen. Er war jung und mittelgroß und hatte strohblondes Haar und ein blasses Gesicht; er musterte sie mit seinen hellen, fast farblosen Augen. Zunächst runzelte er die Stirn, während er sie von Kopf bis Fuß betrachtete, dann begannen seine schmalen Lippen zu lächeln, als er sie erkannte.

»Fidelma von Cashel!«, rief er. »Ich dachte mir doch, dass ich mich nicht irre, als ich von oben herunterschaute.«

Fidelma erwiderte sein Lächeln. »Es ist fast ein Jahr her, Bruder Mac Raith.«

»Damals befanden wir uns auf dem Gebiet der Uí Fidgente und schwebten in Lebensgefahr«, erwiderte der junge Mann nickend.

»Jetzt bist du der neue rechtaire, der Verwalter dieser Abtei?«

»Und Cuán ist inzwischen unser Abt«, fügte Bruder Mac Raith hinzu, bevor er sich an Fidelmas Begleiter wandte. »Salvete«, begrüßte er sie freundlich. »Receperint, amicis meis epularer. Ihr seid hier herzlich willkommen.«

Eadulf und Enda erwiderten die Begrüßung, wie es die Tradition verlangte.

Der Verwalter machte einen Schritt zur Seite, bat sie mit einer einladenden Geste herein und befahl zugleich seinen unsichtbaren Kollegen, die Tore weit zu öffnen, damit die Besucher mit ihren Pferden in den großen Innenhof gelangen konnten. Einer der Mönche, ein stämmiger Mann, der, seiner Kleidung nach zu urteilen, nur der Stallmeister sein konnte, eilte, gefolgt von zwei Stallburschen, auf die Gäste zu, um die Pferde zu übernehmen, als sie absaßen.

»Ich freue mich, dich wiederzusehen, Lady«, sagte Bruder Mac Raith, während er sie über den Innenhof zum Hauptgebäude der Abtei führte. »Der Abt wird dich bestimmt sofort begrüßen wollen. Deine Ankunft bei uns wird viel dazu beitragen, die Sorgen zu verringern, die auf unserer Abtei lasten.«

Trotz seiner freundlichen Begrüßung gelang es dem Verwalter nicht, die bedrückte Stimmung zu überspielen, die von ihm ausging.

»Wir haben von dem Brand gehört«, sagte Fidelma zu ihm. »Soweit ich weiß, ist bei dem Vorfall ein Bischof, der zu Besuch war, ums Leben gekommen. Wir sind von Aras Brunnen hierhergeritten, um zu sehen, ob wir irgendwie behilflich sein können; eigentlich wären wir jetzt schon auf dem Rückweg nach Cashel.«

Bruder Mac Raith legte die Stirn in sorgenvolle Falten. »Dann wird eure Ankunft Abt Cuán gleich doppelt aufmuntern. Vielleicht bringe ich dich und deine Begleiter am besten sofort zu ihm? Lasst euer Gepäck und die Pferde vorerst bei Bruder Sígeal, unserem Stallmeister.«

Der Verwalter bedeutete ihnen, ihm zu folgen, und ließ die traditionelle Begrüßungszeremonie völlig außer Acht: Reisende, die in einer religiösen Gemeinschaft eintrafen, pflegten sich zunächst Hände und Füße zu waschen. Fidelma entging dieses Versäumnis nicht, doch sie betrachtete es als Zeichen dafür, wie beunruhigt Bruder Mac Raith war, und sagte nichts dazu. Der Verwalter stürmte eine steinerne Treppenflucht hinauf bis zum oberen Stockwerk und folgte einem dunklen Flur zu den Gemächern des Abts, an die sich Fidelma von früheren Besuchen hier vage erinnerte. Die große Sorge des Verwalters blieb auch Eadulf und Enda nicht verborgen. Sie warfen Fidelma vielsagende Blicke zu, als sie vor einer Eichentür haltmachten. Der Verwalter klopfte an und schlüpfte nach einer Aufforderung von drinnen schnell hinein. Gleich darauf schwang die Tür erneut auf, und er bat die Neuankömmlinge einzutreten.

Die gebeugte Gestalt von Abt Cuán hatte sich bereits hinter dem großen Schreibtisch erhoben und kam, auf einen robusten Krückstock gestützt, auf sie zu. Sein freundliches Begrüßungslächeln mischte sich mit sichtlicher Erleichterung.

»Niemand soll behaupten, dass Gott seine Gebete nicht erhört, wenn er in großer Not ist«, sagte er zu Fidelma. »Sei mir herzlich willkommen, Fidelma von Cashel, und auch du, Eadulf, und Enda ebenfalls. Ich habe euch alle in bester Erinnerung, wenn ich an unser Abenteuer bei den Uí Fidgente denke. Ihr taucht gerade im richtigen Moment hier auf.«

Abt Cuán war ohnehin nicht sehr groß und wirkte durch den Krückstock noch kleiner. Er hatte sich vor Jahren bei einem Sturz vom Pferd das Bein gebrochen. Der Bruch war nicht gut verheilt, so dass er seither hinkte und einen Stock benötigte. Er neigte zu Übergewicht, seine Haut war blass, seine Augen dunkel. Sein Haar war von einem unbestimmten Braun und spross büschelweise rund um die Tonsur des heiligen Johannes. Sein Gesichtsausdruck ließ Fidelma immer an den schuldbewussten Blick eines Hundes denken, der wusste, dass er in den Augen seines Herrchens etwas ausgefressen hatte, und der nun nach einem Zeichen der Vergebung suchte. Ihr war natürlich klar, dass diese Vorstellung nicht der Realität entsprach. Sein wahrer Charakter zeigte sich in seinem sanften und dennoch entschlossenen Befehlston.

Die fünf Menschen, die jetzt in Abt Cuáns Zimmer versammelt waren, hatten gemeinsam schon allerhand erlebt; deshalb verband sie eine Kameradschaft, bei der ihre unterschiedliche gesellschaftliche Stellung keine Rolle mehr spielte. Sie alle hatten vielen Gefahren getrotzt, bevor endlich Frieden zwischen Prinz Donnenach von den Uí Fidgente und Fidelmas Bruder, König Colgú von Cashel, geschlossen wurde. Cuán war damals stellvertretender Abt von Imleach gewesen, und Bruder Mac Raith war einer der Schreiber des Klosters. Eine Verschwörung, die schließlich zum Tod von Abt Ségdae führte und in die der damalige Verwalter, Bruder Tuamán, verstrickt war, hatte sie im letzten Jahr alle fest zusammengeschweißt.

»Wir waren auf dem Rückweg nach Cashel in Aras Brunnen, als wir erfuhren, dass es bei euch einen Brand und einen Toten gegeben hat«, sagte Fidelma zu Abt Cuán. »Also ritten wir hierher, um euch behilflich zu sein.«

Bruder Mac Raith stellte Stühle für die Besucher hin, während der Abt wieder hinter dem Schreibtisch Platz nahm und sich des Krückstocks entledigte.

»Der Brand ist in einem der alten Holzgebäude ausgebrochen, die noch im rückwärtigen Teil der Abtei stehen«, erklärte Abt Cuán ohne Umschweife. Seine Stimme klang müde und trocken, als wiederhole er Worte, die er schon viele Male gesagt hatte. »Es handelt sich um das frühere Gästehaus, das als eines der nächsten abgerissen und aus Stein neu errichtet werden sollte. Ich weiß, was du gleich fragen wirst, Fidelma. Es war die Entscheidung unseres vornehmen Gastes, lieber dort zu wohnen als in unserer neuen Gästeunterkunft aus Stein.«

Fidelma starrte ihn verwundert an.

»Unser Gast bestand darauf, weil ein Holzhaus wärmer und behaglicher sei als die Gebäude aus Stein«, fügte der Verwalter hinzu. »Er behauptete, das Holzhaus sei seiner Gesundheit und Bequemlichkeit zuträglicher.«

»Wer war er?«, fragte Fidelma.

»Er kam aus dem Frankenreich: Bischof Brodulf aus Luxovium«, antwortete Bruder Mac Raith.

»Er ist bei dem Brand ums Leben gekommen«, sagte der Abt und nickte bedauernd. »Ich möchte ein paar Worte zu dem Feuer sagen, bevor ich etwas über den Bischof erzähle.«

Fidelma fiel auf, dass der Tod eines Bischofs in seiner Abtei den Abt nicht übermäßig mitzunehmen schien. Sie wartete, bis er weitersprach.

»Obwohl es in den letzten Tagen geregnet hat, muss ich einräumen, dass das Holz des Gästehauses wohl ziemlich trocken gewesen ist, denn nachdem das Feuer einmal ausgebrochen war, ließ es sich nicht mehr löschen. Wir haben alles getan, was wir konnten, um die Flammen zu bekämpfen.«

»Weißt du, wodurch der Brand verursacht wurde?«, fragte Eadulf ungeduldig; er wollte endlich zur Sache kommen.

Abt Cuán seufzte erschöpft. »Das haben wir noch nicht herausgefunden. Bruder Áedh, der einen kleinen Trupp von Mönchen in der Bekämpfung von Bränden ausgebildet hat, untersucht das gerade. Man hat die Flammen erst entdeckt, als es zum Löschen bereits zu spät war. Normalerweise reicht unser Wasser für Bruder Áedh und seinen Löschtrupp aus, um jeden Brand zu bekämpfen, bevor er außer Kontrolle gerät. Da sich unsere Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten stark vergrößert hat, ist das keine leichte Aufgabe. Heutzutage kommen Schüler und Gelehrte aus vielen Königreichen hierher, um bei uns zu studieren. Imleach gilt als das bedeutendste religiöse Zentrum des Königreichs. Zwar hat man meinen Vorgänger überredet, mehrere von diesen tragbaren Handdruckspritzen anzuschaffen, die angeblich Ktesibios aus Alexandria erfunden hat, aber bei so heftigen Bränden sind sie ziemlich nutzlos.«

»Bei allem Respekt, ich fürchte, wir schweifen von den wichtigen Themen ab«, entgegnete Fidelma ernst.

Abt Cuán neigte den Kopf. »Ich bitte um Entschuldigung. Wahrscheinlich versuche ich zu rechtfertigen, warum es uns nicht gelungen ist, unseren vornehmen Gast aus diesem Inferno zu retten. Die Flammen griffen in Windeseile um sich, wie Bruder Áedh euch erklären wird.«

»Und Bischof Brodulf ist als Einziger ums Leben gekommen?«, fragte Fidelma.

»Er übernachtete als Einziger im Gästehaus und war der einzige Tote; mehrere Mönche und einige der Bauarbeiter, die freiwillig zu Hilfe eilten, haben bei ihren Bemühungen, die Flammen zu ersticken, Verbrennungen erlitten. Wir dachten, unser Gast habe sich vielleicht retten können; erst nachdem das Feuer erloschen war, haben wir ihn tot aufgefunden. Wir hatten geglaubt, in unserem Gästehaus könnte kein Brand ausbrechen.«

»Es gibt keinen Ort, an dem kein Brand ausbrechen kann«, widersprach ihm Eadulf. »Häuser werden nun mal aus Holz und Pech und vielen anderen brennbaren Materialien gebaut. Die Handdruckspritzen, die du erwähnt hast, nützen da gar nichts. Ich habe sie auf meinen Reisen öfter gesehen und weiß, dass sie viel zu wenig Wasser versprühen, um etwas zu bewirken, wenn es schon richtig brennt.«

»Wir sprachen gerade über den Toten«, warf Fidelma ein, und ihr eiskalter Ton verriet ihren Ärger, weil sie immer noch nicht die Fakten erfahren hatte, die sie brauchte. »Wer war dieser Bischof Brodulf?«

»Wie ich schon sagte, hielt er sich als Gast in unserer Abtei auf und kam aus Luxovium.«

»Luxovium?« Fidelma dachte angestrengt nach, woher sie den Namen kannte.

»Das liegt in Burgund, einem Königreich der Franken. Die Abtei Luxovium wurde von unserem Landsmann, dem heiligen Columban[1] , gegründet.«

»Wir waren schon in Burgund«, sagte Eadulf zu Fidelma. »Vor zwei Jahren haben wir Abt Ségdae und andere kirchliche Würdenträger in eine Abtei in Burgund begleitet, nach Autun.«

»Ach ja, auf dem dortigen Konzil hat man beschlossen, dass die Regel des heiligen Benedikt zukünftig in allen Abteien und religiösen Gemeinschaften gelten solle«, antwortete Fidelma nachdenklich. »Ich nahm als Beraterin unserer Delegation teil und vertrat die Position, dass unser Rechtssystem und die Grundsätze, nach denen wir unser Land regieren, mit den neuen Vorschriften aus Rom unvereinbar sind.«

»Seit Rom das Christentum als Staatsreligion eingeführt hat, erwartet es von allen anderen Christen, im Gegenzug die Gesetze Roms zu akzeptieren«, entgegnete Abt Cuán spöttisch. »Als ob man eine tausend Jahre alte Kultur einfach abschaffen könnte – durch die bloße Entscheidung einer Mehrheit, die obendrein noch einer anderen Kultur angehört.«

»Hatte denn der Besuch dieses Bischofs etwas mit der Entscheidung in Autun zu tun?«, fragte Eadulf erstaunt.

»In gewisser Weise schon. Er ist hierhergereist, um unsere theologischen Auffassungen und unsere Lehrmethoden kennenzulernen, obwohl, oder gerade weil, er wusste, dass wir viele der Beschlüsse ablehnen, die von den Unterstützern Roms auf zahlreichen Konzilen gefasst wurden.«

»In Luxovium hat Columban eine seiner ersten Gemeinschaften gegründet«, sagte Fidelma. »Ich habe davon gehört, als ich in der Abtei Bobbio war, die Columban ebenfalls gegründet hat. Man erzählte sich, Luxovium sei eine uralte Kultstätte der gallischen Flussgöttin Souconna[2] , ein heiliger Ort des Alten Glaubens, an dem es heiße und kalte Quellen gibt. Wahrscheinlich haben Columban und seine Anhänger ihre Gemeinschaft deshalb dort angesiedelt.«

»Wird Luxovium denn immer noch von irischen Missionaren geleitet?«, fragte Eadulf. »Das würde erklären, warum ein Bischof aus der dortigen Abtei hierher gereist ist.«

»Die Könige des Frankenreichs sind Anhänger Roms«, erklärte ihm Abt Cuán entrüstet. »Man hat Columban und seine Gefährten von dort vertrieben, weil sie noch die alten Osterrituale zelebrierten, genau wie wir hier bei uns.«

»Du hast es schon gesagt, Lady«, warf nun Bruder Mac Raith ein. »Als man Columban und seine Gefolgsleute aus Luxovium verbannte, sind sie nach Bobbio geflüchtet. Man ersetzte sie ausschließlich durch Christen, die gelobten, die Rituale Roms einzuhalten.«

»Warum sollte der Bischof dann ausgerechnet hierher kommen, da ihr ja die Regeln ablehnt, die in Autun vereinbart wurden?«

»Bischof Brodulf ließ jedenfalls keine Gelegenheit aus, unseren Studenten Vorhaltungen wegen unserer Überzeugungen und Auslegungen der Heiligen Schrift zu machen«, erwiderte der Abt und nickte. »Ich glaube, er kam auf ausdrückliche Anordnung seines Königs Chlothar III., eines direkten Nachkommens des Königs, der seinerzeit Columban aus Luxovium verbannt hat.«

»Wir sind Chlothar auf dem Konzil von Autun begegnet«, erinnerte sich Fidelma jetzt. »Er ist kein Mann, den man unbedacht beleidigen sollte. Also hat Bischof Brodulf angedeutet, sein Besuch hier finde auf Chlothars ausdrücklichen Wunsch statt?«

»Auf wessen Wunsch auch immer er hier war, er war in unserer Abtei kein willkommener Gast«, antwortete Bruder Mac Raith. Die anderen starrten ihn an, überrascht von der offensichtlichen Abneigung, die er nicht verhehlen konnte.

»Jeder sollte willkommen sein, solange er nicht gegen die Gesetze der Gastfreundschaft verstößt«, entgegnete Fidelma spitz.

»Gegen die Gesetze der Gastfreundschaft verstößt? Aber genau das hat Bischof Brodulf getan«, verteidigte sich der Verwalter.

Nun sprang ihm der Abt mit einer Erklärung bei.

»Bischof Brodulf hat durch seine Worte gegen unsere Gastfreundschaft verstoßen und sogar das Gesetz des heiligen Ailbe missachtet, nach dessen Regeln und Geboten wir unsere Gemeinschaft führen.«

»Ich weiß nicht, was wir noch tun könnten, um in jeder Situation brüderlich und gelassen miteinander umzugehen«, sagte der Verwalter. »Aber wenn diese Fremden uns als Heiden und Ungläubige bezeichnen, fällt es schwer, ihnen stets mit Brüderlichkeit zu begegnen.«

»Du hast den Plural verwendet: diese Fremden«, bemerkte Fidelma fragend.

»Der Bischof hatte zwei Begleiter«, erwiderte der Abt. »Sie stammen ebenfalls aus Burgund.«

»Konnten sie den Flammen entkommen? Wurden sie bei dem Brand verletzt?«

Abt Cuán schüttelte den Kopf. »Sie waren woanders untergebracht, im neuen Gästehaus, das sich in dem bereits wiederaufgebauten Bereich der Abtei befindet.«

»Wer wohnte dann mit dem Bischof in dem Gästehaus aus Holz, wenn nicht seine Begleiter?«

»Er wohnte dort allein«, erwiderte Bruder Mac Raith sofort. »Das hatte er selbst so gewünscht und angeordnet. Er erklärte mir, er habe kraft seiner Stellung ein Anrecht auf eine eigene Unterkunft, die er nicht mit jemand von niedrigerem Rang teilen müsse.«

Abt Cuán machte eine Geste des Bedauerns. »Bruder Mac Raith hat Brodulfs Worte korrekt wiedergegeben. Der Bischof hatte mindestens eine Charakterschwäche: Arroganz.«

»Jemand von niedrigerem Rang?«, wiederholte Fidelma nachdenklich. »Wer sind die zwei Begleiter aus Burgund, die mit ihm reisten?«

»Einer von ihnen ist Diakon Landric, der andere Bruder Charibert. Er hat sie wie Diener behandelt und nicht wie Gefährten.«

»Also befand sich der Bischof allein im Gästehaus, als es in Flammen aufging?«

»So ist es«, bestätigte Bruder Mac Raith.

»Falls der Bischof die Reise mit Zustimmung des fränkischen Königs Chlothar unternommen hat«, murmelte Eadulf, »scheint es mir dringend geboten, Erklärungen für seinen Tod zu finden.«

»Wir müssen prüfen, ob uns ein Verschulden trifft, das den König des Frankenreichs zu Entschädigungsforderungen veranlassen könnte«, sagte Fidelma. »Selbst wenn nur der Hauch einer Schuld bestünde, würde Chlothar keine Sekunde zögern, eine Wiedergutmachung von uns zu verlangen. Die Abtei muss sicherstellen, dass alles getan wurde, was getan werden konnte, um Bischof Brodulf vor dem Flammentod zu bewahren. Andernfalls dürfte es zu Streitigkeiten zwischen den zwei Königreichen kommen, die womöglich eskalieren und zum Krieg führen könnten.«

Kapitel 2

Abt Cuán trug seinem Verwalter, Bruder Mac Raith, auf, die Besucher unverzüglich zu den Ruinen des niedergebrannten Gästehauses zu führen. Er selbst vermied wegen seines schmerzenden Beins jeden unnötigen Weg. Bruder Mac Raith geleitete sie auf verschlungenen Pfaden in Bereiche der Abtei, in denen gerade erst fertiggestellte Gebäude aus Stein standen. Dazwischen befanden sich einige der ältesten Steinhäuser, darunter die Kapelle. Nicht ohne Stolz zeigte der Verwalter auf ein Gebäude, das fast so groß wie die Kapelle war und das Refektorium beherbergte. Genau gegenüber sahen sie das scriptorium, die Bibliothek. Ganz in der Nähe lag, wie er ihnen erklärte, der Eingang zu den neuen Gästeunterkünften. Fidelma war beeindruckt vom Umbau der uralten Abtei.

Sie überquerten einen Innenhof mit einem kleinen Brunnen und passierten einen steinernen Bogen. Dahinter änderte sich das Bild. Zu beiden Seiten eines breiten Weges, der an eine Straße erinnerte, standen mehrere Holzhäuser. Selbstbewusst erklärte ihnen der Verwalter, dass sich in den zwei langgezogenen einstöckigen Blockhäusern rechts der Straße die Unterkünfte der Studenten befanden; eine für die männlichen, die andere für die weiblichen Studenten. Genau wie andere berühmte conhospitae, zum Beispiel Mungairit und Lios Mór, konnte sich auch die Abtei Imleach rühmen, Schüler und Gelehrte aus vielen Königreichen anzuziehen, die hier unter der Anleitung ihrer Professoren und Lehrer studierten.

Bruder Mac Raith legte Wert auf die Feststellung, dass ein Großteil der Studenten Angeln oder Sachsen waren. Viele waren erst vor Kurzem hier eingetroffen, nachdem man auf dem Konzil von Streonshalh beschlossen hatte, die Vorschriften Roms zu befolgen und die Riten der irischen Kirche abzulehnen.

Zu den Gebäuden auf der linken Straßenseite gegenüber den Studentenunterkünften bedurfte es keiner Erklärung seitens des Verwalters. Dort befanden sich verschiedene Werkstätten, in denen Mitglieder der Abtei, Männer wie Frauen, ihrem Handwerk nachgingen. Es gab Sattler, Schuhmacher, Zimmerleute und eine Kelterei, in der aus Fässern voller Äpfel Apfelwein hergestellt wurde. Sogar Töpfer arbeiteten hier, und im letzten Haus befand sich die Werkstatt eines Sargtischlers. Ein Schmied stand im Freien an seiner Esse. Andere betätigten sich als Weber oder Sticker oder fertigten verschiedene Näharbeiten an. Einige Räume dienten der Lagerung oder Zubereitung von Nahrungsmitteln.

In unmittelbarer Nähe befand sich eine Apotheke, die durch das Schild draußen über der Eingangstür deutlich zu erkennen war; darauf war eine echlasc abgebildet, eine kurze Pferdepeitsche. Dass ausgerechnet sie zum Symbol für alle heilkundlichen Berufe geworden war, ließ sich ganz einfach erklären: Traditionellerweise schrieb das Gesetz früher vor, dass ein Arzt ein schnelles Pferd besitzen musste, um überall hinzukommen, wo seine Patienten ihn brauchten. Deshalb symbolisierte die Darstellung der echlasc die Befähigung des Arztes, die Heilkunst auszuüben.

An der Apotheke blieben Fidelma und Eadulf verblüfft stehen, da sich ihnen gleich daneben ein völlig anderes Bild bot. Vor ihnen lag eine riesige Baustelle, von der Baulärm zu ihnen herüberdrang. Überall herrschte reges Treiben, Gruppen von Männern übten ihr jeweiliges Handwerk aus. Kräftige Ochsen mit Körben voller Sandsteinblöcken, die sie aus einem Steinbruch oder Lager hierhergeschleppt hatten, standen geduldig in einer Warteschlange, bis sie von ihrer Last befreit wurden. Es wunderte Fidelma, dass es immer noch so viele Holzhäuser gab und dass das Gelände – abgesehen von vereinzelten Palisadenzäunen – zu den umliegenden Wäldern hin mehr oder weniger offen war.

Wie es aussah hatten die Bauarbeiter über zwei Wege, einen im Westen und einen im Osten, Zugang zur Baustelle. Bruder Mac Raith erklärte ihnen, dass sie sich etwas weiter westlich, mitten im Eibenwald, ein großes Lager eingerichtet hatten. Dort deponierten die Handwerker und Hilfsarbeiter ihr Material oder stellten spezielle Bauteile für die Arbeit her, und dort wohnten sie auch. In entgegengesetzter Richtung, also östlich der Abtei, lagen eingezäunte Felder und Weiden für die zahlreichen Ochsen und Esel, die schwere Körbe voller Steine und Holz zur Baustelle hin- oder von dort wegtransportierten.

Mit Genugtuung registrierte Bruder Mac Raith, wie beeindruckt die Besucher waren.

»Abt Cuán hat sich fest vorgenommen, dass die Abtei, wenn er sie am Ende seiner Tage – möge Gott ihm ein langes und ersprießliches Leben schenken – an einen Nachfolger übergibt, vollständig aus Stein ist und dass zukünftige Generationen die neuen Gebäude voller Ehrfurcht und Stolz betrachten, wie es sich für die führende Abtei des Königreichs ziemt.«

»Hier wird ja immer noch überall fleißig gearbeitet, trotz des Brandes. Sind denn die meisten Arbeiter auch Mitglieder der Gemeinschaft?«, fragte Eadulf.

»Wir haben bislang noch nicht genügend Mönche zu uns locken können, die über all die Fähigkeiten verfügen, die man braucht, um eine solche Anlage neu zu bauen«, antwortete der Verwalter und schüttelte den Kopf. »Gute Handwerker, die mit Stein und Holz umgehen können, sind selten, besonders wenn man so imposante Gebäude errichten will. Es ist uns jedoch gelungen, einen berühmten Baumeister namens Sítae unter Vertrag zu nehmen.«

Falls der Verwalter beabsichtigt hatte, Fidelma oder Eadulf durch die Erwähnung dieses Namens eine Reaktion zu entlocken, wurde er enttäuscht.

»Ich habe gerade überlegt, dass auf einer Baustelle häufig Unfälle passieren«, sagte Eadulf. »Ein schwelendes Holzscheit, brennbares Material …?«

Sofort schien Bruder Mac Raith den Baumeister und seinen Ruf in Schutz nehmen zu wollen.

»Seit Sítaes Männer angefangen haben, hier zu arbeiten, hat es noch keinen Brand gegeben«, verkündete er, ohne zu zögern; erst danach wurde ihm klar, was das bedeutete.

»Bis jetzt«, entgegnete Fidelma trocken. »Wie Eadulf schon festgestellt hat, ist es auf so großräumigen Baustellen unvermeidlich, dass Unfälle geschehen. Zumindest ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.«

»Das stimmt«, räumte der Verwalter widerwillig ein. »Dennoch ist es bei den Bauarbeitern bisher nur zu ein paar kleineren Verletzungen gekommen. Man erwartet, dass jemand durch herabfallendes Mauerwerk und Ähnliches Schaden nimmt. Gott sei Dank hatten wir nur selten schwere Verletzungen und noch keine Todesfälle. Man kann Sítaes Handwerker gar nicht genug loben.«

»Auch mir ist die herausragende Kunstfertigkeit der Holzarbeiten und Schnitzereien, vor allem im Zimmer des Abts, nicht entgangen«, gestand Fidelma. »Ihr habt hier einen außergewöhnlichen Holzschnitzer, der mit roter Eibe umzugehen weiß. Seine Arbeiten gehören zu den besten, die ich je gesehen habe.«

»Oh, das ist die Arbeit des Zimmermeisters Cú Choille.«

Eadulf musste wegen des Namens grinsen. »Bedeutet das nicht so etwas wie Holzhund?«, fragte er. »Äußerst passend für einen Holzschnitzer.«

»Er hat sämtliche besonderen Schnitzarbeiten im roten Eibenholz ausgeführt, die ihr hier überall seht, an den Türen und anderswo. Cú Choille nahm es, genau wie Sítae, mit den Sicherheitsmaßnahmen immer sehr genau, als er noch die Aufsicht über die Zimmerleute hier hatte.«

»Als er noch die Aufsicht hatte?« Eadulf war die Betonung nicht entgangen.

»Sítae hat mir mitgeteilt, dass Cú Choille gestern aus persönlichen Gründen nach Hause zurückkehren musste.«

Fidelma hob erstaunt eine Augenbraue. »Er ist gestern abgereist?«

»Ja, Lady. Sítae wird Mühe haben, einen anderen zu finden, der so hervorragend arbeitet wie er.«

»Er stammt wohl nicht hier aus der Gegend?«

»Er kommt von einer Halbinsel im Süden, mitten im Sandsteingebirge von An Ceaoha. Er ist ein außergewöhnlicher Handwerker, und man wird seine Schnitzereien in den nächsten Jahrhunderten als herausragende Besonderheit dieser Abtei betrachten.«

»Da hast du sicher recht, schon allein wegen der Sorgfalt, die mir sofort aufgefallen ist«, sagte Fidelma. »Alles ist sehr präzise gearbeitet. Warum ist er abgereist? Hatte er seinen Vertrag erfüllt?«

Der Verwalter starrte Fidelma einen Augenblick an, doch schließlich erhellte ein Lächeln sein Gesicht, als er begriff, was sie möglicherweise dachte. »Ich habe ihn gestern in aller Frühe gesehen, am Nachmittag hat er sich dann verabschiedet. Das Feuer im Gästehaus ist heute in den frühen Morgenstunden ausgebrochen. Solange er hier war, gab es keinen einzigen Vorfall, bei dem etwas aus Holz in Brand geraten ist. Das kann ich dir versichern.«

Fidelma zuckte die Schultern. »Das wollte ich damit nicht sagen. Ich muss lediglich die Reihenfolge der Ereignisse eindeutig feststellen. Gehen wir weiter zu den Überresten des Gästehauses, du kannst uns unterwegs alles erklären.«

Selbst wenn Fidelma, Eadulf und Enda unempfindlich gegenüber dem beißenden Geruch nach verbranntem Holz waren, in den sich ein penetranter, ätzender Gestank nach verschiedenen verschmorten und verkohlten Materialien mischte, zeigte der rußgeschwärzte rechteckige Bereich, zu dem der Verwalter sie jetzt führte, zweifellos an, wo das niedergebrannte frei stehende Gebäude gestanden hatte und wie groß es gewesen war. An der Rückseite des Hauses zog sich ein schmaler Streifen Brachland entlang, der bis zum Palisadenzaun reichte.

Von dem Gebäude war wirklich nicht mehr viel übrig. Nur ein oder zwei verkohlte Stützgerüste und ‑balken standen noch aufrecht. Sie ragten hinauf ins Nirgendwo und ließen erkennen, dass es einst ein oberes Stockwerk gegeben hatte. An einer Seite waren einige seltsam geformte Überreste einer Mauer stehen geblieben. In einer anderen Ecke sah man ein paar rußgeschwärzte Steine, die, wie Fidelma sofort begriff, zu einer Feuerstelle gehört hatten.

Fidelma und ihre Begleiter schauten sich schweigend den verkohlten Trümmerhaufen an. Im Geiste berechnete Fidelma anhand der Überreste die Größe des Gebäudes und die Maße jeder einzelnen Wand. Die Grundfläche hatte etwa fünf mal acht Meter betragen. Sie wusste, dass die Abmessungen für solche Gebäude gesetzlich festgelegt waren.

»Ich nehme an, man hat den Leichnam weggebracht?«, fragte sie mit einem Blick auf die verkohlte Ruine.

Bruder Mac Raith verzog angewidert das Gesicht. »Was von ihm noch übrig war, hat man zu unserem Arzt, Bruder Anlón, hinübergetragen. Allerdings bedurfte es keines Arztes, um zu bestätigen, dass Bischof Brodulf tot war.«

»Wenn die Todesursache unklar ist …«, bemerkte Eadulf pedantisch, doch Fidelma fiel ihm ins Wort.

»Das Gesetz verlangt, dass alle durch Feuer verursachten Todesfälle von einem Arzt eingehend geprüft werden, damit sich die Umstände des Todes nicht nur auf Vermutungen stützen.«

Bruder Mac Raith trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Nun, Bruder Anlón verfügt über ein bemerkenswertes medizinisches Wissen. Er wird inzwischen mit der Untersuchung des Leichnams fertig sein.«

»Wir werden bald mit ihm sprechen.« Fidelma warf einen Blick zurück auf den verkohlten Haufen, der einst das Gästehaus gewesen war. »Wo hat man den Toten gefunden?«

Der Verwalter deutete auf eine Stelle, die nach Fidelmas Vorstellung vom Grundriss des Gebäudes auf seiner Rückseite gewesen sein musste.

»Also lag Bischof Brodulf weit weg vom Haupteingang?«

»Es ist nur eine Vermutung, Lady, doch ich würde sagen, dass er sich im Schlafraum befand, als er dem Brand zum Opfer fiel. Das heißt, er war oben im ersten Stock. Durch das Feuer brach das obere Stockwerk völlig zusammen und stürzte nach unten. Man fand den Leichnam auf einem verbrannten Holzrahmen, der wahrscheinlich sein Bett gewesen ist.«

»Dann war er im Bett, als das Feuer ausbrach, und starb an einer Rauchvergiftung?«, fragte Eadulf schnell.

Bruder Mac Raith antwortete mit einem beredten Schulterzucken. Offenbar war er nicht auf derlei Fragen vorbereitet oder wusste nicht genug, um etwas sagen zu können.

»Soll das heißen, dass er im Bett vom Feuer überrascht wurde und starb, bevor er aufstehen konnte?«, wiederholte Eadulf. »Ist das nicht merkwürdig?«

»Darauf kann ich keine sachkundige Antwort geben.«

»Das Gästehaus hatte also zwei Stockwerke?«, fragte Fidelma. »Aber es war sonst niemand hier, als das Feuer ausbrach?«

»Wie Abt Cuán euch erklärt hat, bestand der Bischof darauf, dieses Gästehaus ganz allein zu bewohnen«, bestätigte der Verwalter. »Das war seine Entscheidung. Er benutzte einen Schlafraum im Obergeschoss auf der Rückseite, genau da drüben … und als der Fußboden einbrach …« Er zuckte erneut die Schultern und deutete noch mal in die Ecke, wo man den Toten gefunden hatte.

Fidelma sah ihn nachdenklich an. »Du hast gesagt, dass nicht einmal seine Begleiter hier untergebracht werden durften, weil sie von geringerem Stande waren?«

»Da solltest du besser seinen Begleiter, Diakon Landric, fragen, aus welchem Grund der Bischof sich so abgekapselt hat«, entgegnete Bruder Mac Raith.

»Weiß man schon genauer, wo das Feuer ausgebrochen ist?«

»Bruder Áedh, unser Experte für solche Angelegenheiten, hat lediglich den Leichnam des Bischofs von hier entfernt, uns aber bislang noch keinen Bericht vorgelegt. Er wird in Kürze zu uns stoßen. Aus dem wenigen, das ich weiß, würde ich darauf schließen, dass das Feuer wahrscheinlich in der Küche ausgebrochen ist. Vielleicht hat ein glühendes Stück Holz in der Feuerstelle Funken gesprüht und damit etwas leicht Brennbares in Brand gesetzt, etwa trockenes Holz oder den Teer, der zwischen den Brettern der Hauswand verstrichen wurde. Dort seht ihr die Überreste der Feuerstelle.«

Er deutete auf eine von Ruß geschwärzte Konstruktion aus Steinen und Ton in der Ecke. Fidelma untersuchte sie mit gerunzelter Stirn.

»Wenn das Feuer hier ausbrach, im Erdgeschoss und am anderen Ende des Gebäudes, weit entfernt vom Schlafraum des Bischofs, der dort in seinem Bett schlief – ist es dann nicht merkwürdig, dass die Flammen sich so rasch ausbreiteten und ihn bereits eingeschlossen hatten, bevor er sich in Sicherheit bringen konnte?«

Wieder reagierte der Verwalter mit einem Achselzucken auf ihre Frage. »Mir fehlt die Sachkenntnis, um solche Dinge zu beurteilen, Lady«, erklärte er. »Da musst du mit Bruder Áedh sprechen. Er leitet eine Gruppe von Mönchen, die zur Bekämpfung von Feuern ausgebildet sind. Er selbst hat vorgeschlagen, diese Gruppe zusammenzustellen, als Vorsichtsmaßnahme angesichts der umfassenden Umbaumaßnahmen, die hier stattfinden.«

Fidelma hatte Mühe, sich ein Lächeln zu verkneifen, als ihr bewusst wurde, dass der Name Áedh übersetzt Feuer bedeutete. »Er gehört hoffentlich nicht zu den Mönchen, die verletzt wurden, als sie das Feuer zu löschen versuchten?«

»Er hat ein paar Verbrennungen an den Händen, aber nichts Ernstes. Mehrere seiner Männer haben ähnliche Verletzungen erlitten, genau wie zwei Bauarbeiter, die uns halfen, aber darüber hinaus ist niemand zu Schaden gekommen.«

»Zeig mir bitte, wo wir euern Arzt finden; anschließend werden wir mit Bruder Áedh sprechen«, sagte Fidelma. »Außerdem sollte jemand hier sein und aufpassen, dass keiner etwas anfasst, bis wir es noch mal gründlich untersucht haben. Enda kann euch unterstützen.«

Der junge Krieger nickte sofort; er hatte sich nutzlos gefühlt, weil es nichts für ihn zu tun gab.

Bruder Mac Raith war überrascht, als Fidelma plötzlich sagte, sie und Eadulf würden den Arzt schon allein finden. Sie machten sich auf den Weg und überließen es dem Verwalter, Bruder Áedh zu suchen.

Fidelma und Eadulf erinnerten sich an das Haus, über dessen Eingang sie das echlasc-Symbol gesehen hatten. Jetzt stand ein hochgewachsener junger Mann vor der Tür. Mit seiner Leichenbittermiene wirkte er auf Fidelma wie ein Trauergast bei einer Beerdigung. Er war auffallend hager und hatte lange, spitz zulaufende, knochige Finger, die aus den hochgekrempelten Ärmeln seiner Kutte hervorlugten. Sein Gesicht war lang und blass, und er hatte die Lider über seinen dunklen Augen halb geschlossen; sie öffneten sich nur kurz, wenn etwas sein Interesse weckte.

»Bruder Anlón?«, fragte Fidelma.

»Bist du die dálaigh, und bist du hier, um die Überreste des Bischofs aus dem Ausland zu untersuchen?« Selbst seine Stimme klang tieftraurig, und er hob sie nur am Ende des Satzes ein wenig an.

»Ich bin Fidelma von Cashel«, antwortete sie ernst und wunderte sich, dass der Arzt bereits wusste, dass sie hier war und warum.

»Du brauchst nicht überrascht zu sein«, erwiderte der junge Mann und lächelte liebenswürdig. »An diesem Ort verbreiten sich Neuigkeiten in Windeseile. Ich habe beobachtet, dass Bruder Mac Raith dir die Überreste des alten Gästehauses gezeigt hat, in dem der Bischof ums Leben kam. Also wer solltest du sonst sein?«

Er machte einen Schritt zur Seite und bedeutete ihnen einzutreten. Die Aromen und Gerüche, die Fidelma und Eadulf entgegenschlugen, waren ihnen wohlvertraut, denn beide hatten viele Stunden in der Apotheke von Bruder Conchobhar verbracht, Fidelmas Mentor, den man erst kürzlich in Cashel ermordet hatte. Der durchdringende Duft der Kräuter war überwältigend; er raubte Fidelma schier den Atem. Am anderen Ende des Raums lag ein entstelltes schwarzes Etwas auf einem Tisch, und sooft Fidelma auch dem Tod begegnet war, so versuchte sie doch immer wieder, nicht so genau hinzusehen, es sei denn, ihr blieb nichts anderes übrig.

»Wahrscheinlich kann man über einen Toten, der bei einem Brand umgekommen ist, nur wenig sagen«, bemerkte Eadulf, während er Fidelma in die Apotheke folgte. Er hatte an der Medizinischen Hochschule von Tuaim Brecain Heilkunst studiert, das Studium allerdings nicht beendet. Trotzdem hatte er auf ihren Reisen immer seine Arzttasche dabei, und sein Wissen hatte Fidelma bei ihren Ermittlungen schon oft zu wesentlichen Fortschritten verholfen. Nun betrachtete er das, was von dem Toten übrig war. »Da gibt es nicht mehr viel zu untersuchen. Man kann nur hoffen, dass die Flammen und die Hitze den ganzen Sauerstoff verbraucht haben, so dass das Opfer schnell bewusstlos wurde. Was für eine grauenvolle Art zu sterben.«

Das blasse Gesicht von Bruder Anlón verzog sich missbilligend, und er sah Fidelma böse an und sagte barsch: »Ich trete gern zurück und überlasse deinem Arzt die Untersuchung.«

Fidelma warf Eadulf einen ärgerlichen Blick zu; offenbar hatte Bruder Anlón seine Bemerkung in den falschen Hals gekriegt.

»Ich habe lediglich eine Vermutung geäußert und würde mir, da ich keinen medizinischen Abschluss habe, auch keine Schlussfolgerungen erlauben«, erklärte Eadulf.

»In diesem Fall spielt es ohnehin keine Rolle, welche Vermutungen du anstellst.«

Sie starrten den hochgewachsenen, blassen Arzt an und verstanden nicht, was er ihnen sagen wollte.

»Wieso denn?«, fragte Fidelma.

»Weil der Bischof schon tot war, bevor der Brand ausbrach«, erwiderte Bruder Anlón trocken.

Einen Augenblick schwiegen beide verwundert, dann fragte Fidelma: »Wie bist du zu diesem Schluss gekommen?«

Bruder Anlón drehte sich zu einer Art Werkbank um, nahm einen verbogenen, von Ruß geschwärzten Gegenstand in die Hand und streckte ihn seinen Besuchern entgegen. Auch wenn der Gegenstand verkohlt und verformt war, erkannten sie sofort, dass es sich eindeutig um einen Dolch handelte; der Griff war verbrannt, aber die Klinge offenbarte zweifelsfrei, welchem Zweck er gedient hatte.

»Ein Dolch?«, fragte Eadulf überflüssigerweise.

Der Arzt warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Ein Dolch«, bestätigte er sarkastisch. »Man hat dem ausländischen Bischof diesen Dolch ins Herz gestoßen, bevor der Brand ausbrach.«

»Willst du damit sagen, dass …«, begann Fidelma.

»Ich will damit sagen, dass Bischof Brodulf erstochen wurde, bevor man versucht hat, den Leichnam durch das Feuer zu beseitigen«, entgegnete Bruder Anlón ohne jede Gefühlsregung. »Der Bischof wurde ermordet.«

Kapitel 3

Ihnen blieb kaum Zeit, die Erklärung des Arztes zu verdauen, da tauchte auch schon Bruder Mac Raith auf.

»Bruder Áedh wartet draußen«, verkündete er. »Er hat das abgebrannte Gästehaus untersucht und seine Schlüsse über die Ursache des Feuers gezogen und auch darüber, wie es sich so schnell ausbreiten konnte. Sítae, der Baumeister, wartet ebenfalls draußen und möchte hören, was Bruder Áedh zu sagen hat.«

Nach kurzem Überlegen wandte sich Fidelma an Bruder Anlón.

»Behalte das Ergebnis deiner medizinischen Untersuchung für dich, bis ich Zeit finde, die Angelegenheit mit dem Abt zu besprechen.«

Der Arzt nickte zum Zeichen, dass er einverstanden war.

Draußen warteten zwei Männer. Einer von ihnen trug eine Mönchskutte. Er war jung, kräftig gebaut und durchtrainiert. Sein Gesicht verriet, dass er leicht reizbar war; das passte zu seiner blonden Lockenmähne und den stechenden, strahlend blauen Augen; Augen, die unruhig hin und her zuckten und nirgendwo lange verweilten.