Doppelleben auf Mallorca - Roderic Jeffries - E-Book

Doppelleben auf Mallorca E-Book

Roderic Jeffries

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Beschreibung

Ein Mallorca-Krimi von Roderic Jeffries Der Paß des verunglückten Fahrers ist offensichtlich nicht der richtige, denn sonst müßte sein Inhaber schon seit drei Jahren tot sein. Nach und nach deckt Inspektor Alvarez das mehr als interessante Doppelleben des Börsenspekulanten Steven Taylor auf. Doch als er glaubt, das letzte Glied der Beweiskette in der Hand zu haben, spielt der «Tote» ihm einen unverhofften Streich ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 246

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Roderic Jeffries

Doppelleben auf Mallorca

Aus dem Englischen von Ingrid Herrmann

FISCHER E-Books

Inhalt

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1

In dem unteren Teil der Hänge des tief eingeschnittenen, sich in Windungen dahinschlängelnden Tales standen Pinien; hin und wieder ragte stolz eine immergrüne Eiche empor. Weiter oben gab es nackten Fels mit vereinzelten Büscheln aus Gräsern, wildem Thymian und Disteln. An manchen Stellen sah das verwitterte Gestein aus, als sei es von Menschenhand bearbeitet worden. Den unteren Grund des Tales bildete ein Flußbett, das zwar meistens trocken war, sich zu manchen Jahreszeiten jedoch zu einem reißenden Strom verwandeln konnte.

Längs der Westseite des Tals verlief ein paar Kilometer weit eine Straße. Sie führte in mehreren Serpentinen steil bergab zu einer Brücke, die das Flußbett überspannte. Nirgendwo war die Straße zum Abgrund hin gesichert, obwohl er an verschiedenen Stellen bis zu dreißig Meter tief hinunterklaffte.

Ängstliche Autofahrer hielten sich vorsichtshalber auf der Straßenmitte, eher noch einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Wagen riskierend, als sich dem gefährlichen Rand zu sehr zu nähern. Seit Jahren plante man, an den kritischsten Punkten dieser tatsächlich gefährlichen Straße ein Geländer anzubringen, doch mit der Ausführung hatte man es dann doch nicht so eilig, da sich nur wenige der Millionen Touristen so weit vom Meer und den Sandstränden weg in die Berge wagten.

Mit scharrenden Reifen nahm der Ford Fiesta eine extrem scharfe Kurve und raste auf die nächste zu. Für die gegebenen Verhältnisse war das Tempo so irrsinnig hoch, daß nur ein Schaden am Fahrzeug oder ein völlig untauglicher, sich überschätzender Fahrer der Grund dafür sein konnten.

Kurz vor der zweiten Biegung wurde so heftig gebremst, daß die Reifen quietschten. Der Wagen geriet ins Schleudern, und die Hinterräder rutschten nur knapp am Abgrund vorbei. Jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte ein Dankgebet zum Himmel geschickt und die Geschwindigkeit gedrosselt, doch der Fahrer des Fiesta raste in dem gleichen wahnsinnigen Tempo weiter.

Die Gebirgsflanke bildete einen Vorsprung in Form eines ungleichmäßigen Keils, und die Kurve begann relativ harmlos. Dann jedoch krümmte sie sich stärker als jede der vorhergehenden Serpentinen. Aus diesem Grund hatte man ein Schild angebracht, das auf eine gefährliche Kurve hinwies. Der Umstand, daß nur wenige der allesamt höchst gefährlichen Kurven derart gekennzeichnet waren, hätte als doppelte Warnung dienen können, doch mit unverminderter Schnelligkeit fuhr der Wagen weiter.

Erst als die Schleife eine haarnadelenge Biegung machte, begriff der Fahrer die drohende Gefahr, und selbst dann noch reagierte er falsch; er bremste abrupt.

Ein paar Stunden zuvor hatte es geregnet, und dort, wo die Baumäste die Straße überragten, war die Fahrbahn noch feucht. Außerdem lag Eichenlaub verstreut, abgerissen und herangewirbelt von einem kurzen, heftigen Windstoß, der ohne Vorwarnung durch das Tal gefaucht war.

Der Wagen schleuderte, doch dieses Mal blieb dem Fahrer das Glück nicht hold. Das Heck des Fiesta schwenkte herum, schlitterte auf den Abgrund zu, über die Kante hinweg, und durch den Schwung wurde das Auto in die Tiefe gerissen.

Ein paar Meter fiel der Fels beinahe senkrecht ab, dann ging er in ein schmales, von Gras und einzelnen Pinien bewachsenes Sims über. Darunter befand sich ein weiterer, nicht ganz so steiler Abhang.

Mit dem Heck zuerst landete der Fiesta auf dem Felsband. Die Wucht des Aufpralls zerschmetterte die Reifen und die Achsen. Die Türen öffneten sich, und ein Mann wurde herausgeschleudert. Mit wild rudernden Armen und Beinen purzelte er in einen Busch.

Das Auto balancierte sekundenlang auf dem Sims, dann kippte es über den Rand. Dieses Mal betrug der Absturz zwölf Meter, der nächste Fall ging noch tiefer. Zum Schluß prallte es seitlich gegen einen riesigen Felsblock, zerquetscht zu einer formlosen Masse aus verbogenem Metall.

Bei dem kreischenden Lärm waren die Grillen und Vögel verstummt; doch nach einer Weile begannen die Grillen wieder zu zirpen, die Vögel zu rufen. Heiß brannte die Sonne auf das Autowrack hernieder.

2

Alvarez faßte nach seiner Hose, die über einem Stuhl hing, und zog ein Tuch aus der Tasche; er wischte sich den Schweiß von Gesicht und Hals. Für Mitte Mai war es ungewöhnlich heiß. Vielleicht war auch nur die Luftfeuchtigkeit sehr hoch. Was immer es sein mochte, ein Grund, sich übermäßig anzustrengen, war es nicht.

Von unten rief ihn jemand. »Enrique, bist du wach?«

Er öffnete die Augen leicht. Sonnenlicht sickerte durch die Schlitze der geschlossenen Fensterläden und malte Muster an die Zimmerdecke …

»Enrique! Enrique!«

»Schon gut«, rief er zurück. Dolores war eine bewundernswerte Person, eine gute Hausfrau, eine perfekte Köchin, doch sie veranstaltete meist viel zu viel Wirbel. So etwas konnte nur Magengeschwüre zur Folge haben.

Nach einer Weile setzte er sich hin und drehte sich um, bis er die Füße auf den Boden setzen konnte. Gähnend schaute er auf die Uhr und stellte zu seiner Überraschung fest, daß es bereits nach fünf war.

Egal, viel Arbeit lag heute nicht an, oder zumindest nicht solche, die seiner besonderen Aufmerksamkeit bedurfte. Die Zeiten mochten sich geändert und bestimmte Viertel Palmas sich zu Zentren für Raubüberfälle entwickelt haben; in Llueso war es ziemlich ruhig und friedlich geblieben, und nur Touristen wurden gelegentlich Opfer von Verbrechen. Da sie selten länger als vierzehn Tage auf der Insel verweilten, konnte man diese Fälle getrost vergessen.

Er stand auf und zog sich Hemd und Hose an. Als er sein Kinn berührte, fühlte er die Stoppeln, und ihm fiel ein, daß er es am Morgen total vergessen hatte, sich zu rasieren. Er verließ das Schlafzimmer und ging hinunter in die Küche. »Wo ist der Kaffee?« fragte er, indem er sich umschaute.

»Was soll das?« entgegnete Dolores mit lauter Stimme.

Zu spät merkte er, daß sie wieder eine ihrer Launen hatte. Obwohl sie wirklich eine bewundernswerte Frau war, kam dies hin und wieder vor. Ihr Mann, Jaime, hätte ihr das längst abgewöhnen müssen, doch er hielt sich da lieber raus, er wollte sich sein Leben nicht unnötig erschweren.

»Hast du deine Zunge verschluckt?«

»Ich dachte nur …«

»Ich weiß genau, was du dachtest. Daß ich dazu da bin, um dich zu bedienen. Der Kaffee soll bereitstehen, wann immer du ihn wünschst, egal, wieviel ich gerade zu tun habe.« Ihr ovales, von schwarzglänzendem Haar umrahmtes Gesicht drückte hoheitsvollen Zorn aus.

»Du brauchst mir keinen Kaffee zu machen, wenn du keine Zeit hast.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt beleidigst du mich auch noch, indem du andeutest, ich könnte meine Familie bis zum Abend hungern lassen. Als ob ich es nicht schaffte, einen Becher Kaffee und ein Stück Obsttorte zu servieren.«

»Aber gerade sagtest du doch …«

»Setz dich hin.«

Er nahm am Küchentisch Platz. Vielleicht durfte man Jaime wirklich keinen Vorwurf machen. Wie sollte man mit einer Frau fertigwerden, die so unlogisch diskutierte? Er fragte sich, ob er sich hätte durchsetzen und auf den Kaffee verzichten sollen. Aber ihre Obsttorte brachte ihn schnell wieder davon ab, sie zerging auf der Zunge wie der Kuß einer Fee …

Um Viertel vor sechs erreichte er den Guardia-Posten. Der diensthabende Cabo blickte von einem Pin-up-Magazin hoch und sagte ihm, Palma habe mehrere Male versucht, ihn telefonisch zu erreichen.

Langsam stieg Alvarez die Treppen hinauf. In seinem Büro ließ er sich auf den Schreibtischstuhl sinken und betrachtete flüchtig die noch ungeöffnete Morgenpost.

Das Telefon schrillte. Chefinspektor Salas’ Sekretärin meldete ihm mit einer Stimme, als hätte sie überreife Pflaumen im Mund, der Chefinspektor wünsche ihn zu sprechen.

Wie immer hielt sich Salas nicht mit einer Begrüßung auf, sondern wollte sogleich wissen, wo, zum Teufel, er den ganzen Nachmittag lang gesteckt habe. Dann äußerte er mit der für einen Madrileño typisch vulgären Art, daß ihn die Antwort ohnehin nicht überzeugen könne.

»Hätten Sie vielleicht jetzt die Zeit, sich auf Ihre Arbeit zu konzentrieren? … Gestern, am frühen Nachmittag, passierte auf der Straße nach Estemos ein Unfall mit Todesfolge; in einer Kurve stürzte ein Auto in die Schlucht. Ein Mann wurde aus dem Wagen geschleudert, er befindet sich jetzt in der Clínica Bahía, ein anderer starb am Unfallort. Bei keinem der beiden fanden sich irgendwelche Ausweispapiere. Stellen Sie fest, wer die beiden sind.«

»Darüber muß Ihnen doch der Mann Auskunft geben können, der im Krankenhaus liegt.«

»Müßte er, wenn er nicht an einer Amnesie leiden würde.«

»Und er hatte überhaupt keine Papiere bei sich?«

»Die Tatsache, daß Sie seine Identität ermitteln sollen, läßt doch wohl den Schluß zu, daß es so war, oder nicht?«

»Was ist mit dem Auto?«

»Es handelt sich um einen Leihwagen. Der Mann, der ihn vermietete, ist, weil eines seiner Familienmitglieder krank geworden ist, nach Madrid gereist, und das übrige Personal dieser Firma kann die Unterlagen nicht finden. Typischer Fall von Schlamperei.«

»Wo wurde der Wagen gemietet?«

»Am Flughafen.«

»Dann wäre es möglich, daß es sich bei den beiden Männern um Ausländer handelt?«

»Warum, glauben Sie, wende ich mich in dieser Angelegenheit an Sie und nicht an jemanden, in den ich größeres Vertrauen setze? Ich sagte Ihnen gleich zu Anfang, daß der Verletzte Englisch spricht und nur sehr wenig Spanisch.«

»Wirklich, Señor, das sagten Sie nicht.«

»Ich weiß ganz genau, daß ich es erwähnte. Hören Sie mir bitte mit etwas mehr Aufmerksamkeit zu. Spätestens morgen früh erwarte ich Ihren vollständigen Bericht auf meinem Schreibtisch. Ist das klar?«

»Ich werde mir Mühe geben.«

»Das will ich hoffen.«

»Wer befaßt sich mit dem Unfall?«

»Gómez, Hauptquartier, Abteilung B.« Salas hängte ein.

Alvarez öffnete die linke obere Schreibtischschublade und holte ein schmales Büchlein heraus, in dem die Telefonnummern sämtlicher Dienststellen der Guardia Civil verzeichnet waren. Er suchte die richtige Nummer, wählte und sprach schließlich mit Gómez.

»Der Unfall geschah gestern, also Mittwoch, kurz nach drei Uhr nachmittags. Das schließen wir aus der stehengebliebenen Armbanduhr, die sich am Handgelenk des Toten befand. Der Wagen fuhr auf der Straße nach Estemos in östlicher Richtung und hatte gerade den Kilometerpfosten siebenunddreißig passiert.«

Alvarez kannte die Gegend; eine einsame, stellenweise so abweisend wirkende Landschaft, daß sie, verglichen mit den Touristenstränden, wie aus einer anderen Welt zu stammen schien.

»Der Fahrer ging mit stark überhöhter Geschwindigkeit in die engste Kurve dieser Straße, und das Auto schleuderte über den Rand hinweg. Es prallte auf ein Felsband, wobei die Türen aufgingen. Der Beifahrer war nicht angeschnallt und wurde glatt hinausgeschleudert. Aber der Fahrer hatte den Sicherheitsgurt angelegt und stürzte mit dem Wagen bis auf den Grund der Schlucht. Er war natürlich sofort tot.«

»Und was tat der Beifahrer – kletterte er zur Straße zurück und rief um Hilfe?«

»Er war viel zu verstört, um etwas Vernünftiges zu unternehmen. Als wir ihn fanden, irrte er auf halber Höhe zwischen der Straße und dem Autowrack umher.«

»Wenn er Sie nicht von dem Unglück benachrichtigte, wer tat es dann?«

»Ein anderer Wagen kam vorbei. Kurz vor der Kurve hielt der Fahrer an, weil er ein menschliches Bedürfnis hatte. Er sah unten im Bachbett etwas in der Sonne glitzern und ging ein Stück die Straße entlang, um sich zu vergewissern, was es war. Dann fuhr er zum nächsten Telefon, ungefähr vier Kilometer weit.«

»Warum kletterte er nicht hinunter, um dem Verletzten zu helfen?«

»Er hatte keine Ahnung, daß dort jemand war. Er sah bloß das abgestürzte Auto. Die Bäume und die Sträucher müssen den Mann verdeckt haben.«

»Hörte der denn nicht, daß auf der Straße ein Wagen hielt?«

»Wer weiß? Er spricht kein Spanisch, und durch den Schlag gegen den Kopf war er wie benommen.«

»Er hat Glück, daß dieser andere Wagen überhaupt anhielt.«

»Stimmt. Aber im Krankenhaus sagen sie, die Verletzungen seien nicht schwer, und die Verwirrung würde sich legen. Wahrscheinlich hätte er nach einer gewissen Zeit allein zur Straße zurückgefunden.«

»Und Sie waren nicht imstande, einen der beiden Männer zu identifizieren?«

»Nachdem wir den Fahrer aus dem Autowrack geholt hatten – wenn ich Ihnen erzählen würde, wie er aussah, verginge Ihnen der Appetit aufs Abendessen –, durchsuchten wir ihn und den Wagen. Keine Papiere irgendwelcher Art.«

»Und der Beifahrer hatte auch keine bei sich?«

»Nein. Das einzige Gepäck war ein Rucksack mit Aluminiumrahmen, wie Anhalter ihn gern benutzen. Er enthielt Kleidungsstücke und ein paar Konservendosen, sonst nichts.«

»Haben Sie den Mann im Krankenhaus nach seinem Namen gefragt, trotz seiner Verwirrung?«

»Mein Chef hat es versucht. Er bildet sich ein, er hätte von den Puppen, die er am Strand aufreißt, eine Menge Englisch gelernt. Aber er bekam keine Antwort. Vielleicht kennt er nicht das richtige Vokabular.«

»Merkwürdig, daß alle beide keine Papiere bei sich hatten.«

»Nicht unbedingt. Letzte Woche hielt ich einen Wagen an, weil er doppelt so schnell fuhr wie erlaubt. Der Fahrer war ein Engländer. Er sagte mir, er trüge keine Papiere bei sich, weil er das zu Hause in England auch nicht brauchte.«

»Trotzdem – der Rucksack deutet auf einen Anhalter hin. Man sollte doch annehmen, daß der seinen Ausweis dabei hat … Haben Sie sich mit der Mietwagenfirma am Flughafen in Verbindung gesetzt?«

»Nein.«

»Wer dann?«

»Keine Ahnung.«

»Wissen Sie, wie die Firma heißt?«

»Worldwide Hire Cars.« Gómez’ Aussprache des Englischen war so miserabel, daß er die Worte dreimal wiederholen mußte, ehe Alvarez ihn verstand.

Er bedankte sich und legte auf. Dann rief er die Mietwagenfirma an. Es meldete sich eine Frau mit einer honigsüßen Stimme.

»Es tut mir schrecklich leid, aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Inspektor. Das ist alles sehr bedauerlich, und unser Geschäftsführer hat mir telefonisch schon seine Meinung durchgebrüllt, aber Toni hat den Wagen vermietet, und als seine Mutter plötzlich erkrankte, mußte er zu ihr nach Madrid fliegen.«

»Es muß doch die üblichen Vertragsunterlagen geben.«

»Sicher. Doch wie ich unserem Geschäftsführer bereits sagte, ich kann sie einfach nicht finden. Wissen Sie, ich bin bloß Tonis Vertretung, und ich kenne mich mit seinem Ablagesystem nicht aus.«

»Haben Sie eine Ahnung, wann er zurückkommt?«

»Vor einer Stunde rief er an und sagte, er wäre morgen früh wieder da.«

»Dann werde ich mal ein Wörtchen mit ihm reden.«

Er hängte ein und wählte die Nummer der Clínica Bahía. Eine Krankenschwester sagte ihm, die Verletzungen des namenlosen Patienten seien relativ gering, und er würde sich rasch von ihnen erholen; doch er litte an einer geistigen Verwirrung und einem totalen Gedächtnisverlust. Die Prognose? Die Ärzte wunderten sich ein wenig, weil er immer noch so verstört wirkte – die Schläge gegen den Kopf schienen nicht besonders heftig gewesen zu sein – aber in solchen Fällen könne man nie genau vorhersagen, wie das Gehirn reagierte. Eine Prognose sei demnach nicht möglich.

Alvarez legte den Hörer auf die Gabel, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und entspannte sich. Toni weilte in Madrid; der Beifahrer war zu keiner Aussage imstande. Selbst Salas würde zugeben müssen, daß er vorläufig überhaupt nichts mehr unternehmen konnte. Seine Gedanken begannen abzuschweifen. Hatte Dolores nicht gesagt, zum Abendessen gäbe es lomo con col, in Kohlblätter gewickelte und mit Pinienkernen, Rosinen und Sobreasada gewürzte Schweinelendchen …

3

Am Flughafen, am Terminal A, herrschte Chaos; an mehreren Schaltern hatten sich zum Einchecken lange Schlangen gebildet, weil das Personal noch nicht eingetroffen war. Die Anzeigetafel für die Abflüge befand sich noch auf dem Stand vom vergangenen Abend; die Tafel, die die Landungen ankündigen sollte, funktionierte überhaupt nicht. Die Lautsprecherdurchsagen klangen hysterisch, und hinter dem Informationspult saß eine attraktive Frau, die mit irgend jemandem am Telefon flirtete und somit viel zu beschäftigt war, sich den auskunftsuchenden Fluggästen zu widmen.

Die Männer von der Gepäckabfertigung verzehrten ihr zweites Frühstück, so daß sämtliche Gepäckkarren in der Ankunftshalle leer waren. Ein Morgen wie jeder andere auf dem Flughafen.

Alvarez bahnte sich einen Weg durch die dichte Menschentraube, die die Ein- und Ausgänge belagerte, und ging zu der Reihe von Schaltern, hinter denen Angestellte verschiedener Mietwagenfirmen saßen. Er entdeckte ein weißes Schild, auf dem in blauen Buchstaben ›Worldwide Car Hire‹ stand.

Der Mann hinter dem Schalter sah hoch und musterte Alvarez, der keinen besonderen Eindruck auf ihn zu machen schien. »Ja?« fragte er in blasiertem Tonfall.

»Sind Sie Toni Bibiloni?«

»Und wenn es so wäre?«

»Inspektor Alvarez, Cuerpo General de Policía.«

Mit einstudierter Eleganz stand Bibiloni auf. Zu einer hellgrünen Leinenhose trug er ein lilafarbenes Hemd. Er war groß, schlank, sah auf eine geschniegelte, stutzerhafte Weise gut aus und wirkte sehr selbstsicher. Alvarez fand ihn auf Anhieb unsympathisch.

»Sind Sie wegen des Autounfalls hier?«

»Richtig. Wie zahlte der Mann, der den Wagen mietete, mit einer Kreditkarte oder in bar?«

»In bar.«

»Warum gibt es über diesen Mietvertrag keine Unterlagen?«

»Es sind welche da.«

»Die Dame, mit der ich gestern sprach …«

»Die liebe Tania«, erwiderte Bibiloni lässig. »Ein reizendes Mädchen, aber nicht sehr zuverlässig. Sie hat nicht am richtigen Platz nachgeschaut.«

Im Geist wettete Alvarez mit sich selbst, daß hier Schwindeleien im Gange waren. Wahrscheinlich zweigte Bibiloni Bargeld in die eigene Tasche ab. Schwierig wäre dies nicht, vorausgesetzt, er befand sich im Besitz von ausreichenden Formularen. Fand keine Prüfung statt, behielt er das Geld, und es gab keinen offiziellen Mietvertrag; kam jemand auf den Gedanken, die Unterlagen zu verlangen, »fand« er ganz einfach die Kopie des Mietvertrags sowie das Geld, das er vorsorglich beiseite gelegt hatte …

»Gibt es sonst noch etwas?«

Alvarez konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. »Ich möchte mir den Vertrag gern anschauen.«

Bibiloni schloß die Schreibtischschublade auf und holte eine Mappe heraus, der er zwei Vertragskopien entnahm. Eine davon reichte er Alvarez.

Alvarez las. Steven Thompson. Adresse auf Mallorca: Hotel Verde, Cala Oraña; Paßnummer: C 229570 A; englischer Führerschein mit der Nummer 255038ST16KD; der Wagen wurde gemietet für die Zeit vom 14. bis 17. Mai. Er schaute hoch. »Können Sie sich an diesen Mr. Thompson erinnern?«

»Natürlich.«

»War er allein oder in Begleitung?«

»Allein.«

»War er von England hierher geflogen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Erzählte er nicht, woher er käme?«

»Nein. Er sagte nur, hier sei es wärmer.«

»Klingt ganz danach, als sei er von England angereist.«

»Wenn Sie meinen.«

»Erwähnte er, warum er nur vier Tage auf der Insel bleiben wollte?«

»Nein.«

»Welches Gepäck hatte er bei sich?«

»Einen kleineren Koffer und einen dieser Diplomatenkoffer.«

»Dann könnte er geschäftlich hier gewesen sein?«

»Warum nicht?«

»Sprach er gut Spanisch?«

»Da ich fließend Englisch spreche, unterhielten wir uns in Englisch. Das ist viel einfacher, als jemandem zuzuhören, der jedes Wort falsch ausspricht.«

Alvarez deutete auf die Kopie des Mietvertrags. »Geben Sie gut acht, daß dies hier nicht noch mal verschwindet, ehe ich meine Ermittlungen beendet habe.«

Bibiloni zuckte mit den Schultern und wirkte jetzt auch nicht mehr so selbstsicher und herablassend wie vorher.

Alvarez verließ das Flughafengebäude durch den Westeingang. Der Himmel war wolkenlos, und die Sonne brannte heiß. Als er seinen Wagen erreichte, schwitzte er bereits aus allen Poren. Zuviel Alkohol, zu viele Zigaretten, zu reichhaltiges Essen; während er das Auto aufschloß, nahm er sich vor, demnächst mehr auf seine Gesundheit zu achten.

Er setzte sich in den Wagen, kurbelte hastig die Fensterscheiben herunter und stellte den Ventilator an. In seinem alten Seat 600 herrschte eine Hitze wie in einem Backofen. Dann zündete er sich eine Zigarette an, und ihm fiel sofort wieder sein guter Vorsatz ein, was ihn keineswegs von seinem Vorhaben abhielt, außerdem wäre es die reinste Verschwendung gewesen, die Zigarette jetzt wieder auszumachen.

Er fuhr bis ans Ende der Autobahn, dann bog er auf den Paseo Marítimo ab, eine breite, elegante Straße, die parallel zur Bucht verläuft. Auf ihr gelangt man rasch in den westlichen Teil Palmas, und von dort aus führt sie vorbei an einem Betondschungel, der viel dazu beigetragen hat, eine der schönsten Buchten des Mittelmeers zu verschandeln.

Cala Oraña war ursprünglich eine kleine Bucht mit einem breiten, sichelförmigen Strand. Das Land dahinter war so karg, daß nur verkrüppelte Bäume und Gestrüpp darauf wachsen und gedeihen konnten. Abgeweidet wurde es von ein paar Ziegen und mageren Schafen. Der ersten Erschließungswelle, die über die Insel hinweggebraust war, fiel es nicht zum Opfer, weil das Land zwei minderjährigen Inselbewohnern vererbt worden war, die selbst zu einem guten Preis nicht verkaufen durften.

Letzten Endes erwies sich dies als ihr Glück. Als beide volljährig waren, hatte sich der Wert des Landes um ein Vielfaches erhöht, denn es besaß mittlerweile einen der ganz wenigen noch nicht erschlossenen Strände. Die beiden verkauften an eine Gesellschaft, deren Direktoren das Land mit Phantasie und Geschmack erschließen und bebauen ließen.

Zwei Hotels und zwei Appartement-Blocks wurden gebaut, und keines dieser Gebäude hatte mehr als vier Stockwerke. Über das restliche Gebiet verteilten sich aufgelockert luxuriöse Villen, jede befand sich auf einem Grundstück von mindestens zweitausend Quadratmetern.

Das Hotel Verde lag am östlichen Rand der Bucht. Von einem brasilianischen Architekten entworfen, wirkte es einerseits hochmodern, andererseits verhieß eine gewisse Zurückhaltung, daß auch Gäste mit konservativerem Geschmack auf ihre Kosten kommen würden. Auf drei Seiten war das Hotel von gepflegten Gartenanlagen umgeben, die vierte Seite zeigte auf den Strand und das Meer hinaus.

Alvarez parkte neben einem Mercedes 190 E, stieg die Stufen hinauf, die zu einem Patio führten, und erreichte das weitläufige, kühle und elegante Foyer.

An der Rezeption saßen zwei Männer, beide hatten schwarze Jacketts an und Krawatten umgebunden. Dem älteren von ihnen stellte Alvarez sich vor und erklärte ihm, warum er gekommen war. Der Empfangschef unterhielt sich kurz mit dem stellvertretenden Geschäftsführer, dann begleitete er Alvarez in das Büro hinter der Rezeption.

Der stellvertretende Geschäftsführer war für einen Mallorquiner großgewachsen. Seine Blässe deutete darauf hin, daß er sich selten der Sonne aussetzte, und er wirkte ein wenig überanstrengt. Er nahm einen Bleistift in die Hand und begann damit zu spielen.

»Sie versuchen, etwas über diesen unglücklichen Señor Thompson herauszufinden? Mal sehen, was uns die Buchung verrät.«

Er schwenkte mit dem Drehstuhl herum zu einem kleinen Tischcomputer mit Sichtschirm. Nachdem er ein paar Daten eingetippt hatte, erschienen auf der Scheibe Reihen von Namen und Daten. »Am Vierzehnten traf er bei uns ein. Er blieb nur für die eine Nacht.«

»Wie nahm er die Buchung vor?«

Der Mann löschte die Daten, gab einen neuen Code ein, und die nächste Liste erschien. »Mr. Thompson bestellte das Zimmer telefonisch. Eine schriftliche Bestätigung gibt es nicht, aber der Anruf wegen der Reservierung fand nur zwei Tage vor seinem Eintreffen statt.«

»Haben Sie eine Ahnung, von wo aus er anrief?«

»Nicht die geringste.«

»Haben Sie ihn kennengelernt?«

»Nein. Ich komme nur mit den Gästen zusammen, wenn sie sich über irgend etwas beschweren und das Personal sie nicht beschwichtigen kann, was leider viel zu oft passiert.«

»Wäre es möglich, daß ich mal mit dem Angestellten spreche, der die Eintragung vorgenommen hat? Außerdem möchte ich gern einmal in das Gästebuch schauen.«

Der stellvertretende Geschäftsführer stand auf, ging zur Tür und rief den jüngeren der beiden Empfangschefs herein, der gleich ein großes, in Leinen gebundenes Buch mitbrachte. Geöffnet reichte er es Alvarez. Und dort stand als vorletzte Eintragung: Steven Thompson, britischer Paß mit der Nummer C 229570 A, Zimmerreservierung vom 14. bis 15. »Ist nach Mr. Thompson nur noch dieser eine Gast angekommen?« fragte Alvarez neugierig.

»Großer Gott, nein! Das hier ist das Register für die Normalreisenden; natürlich haben wir für Touristen, die mit Charterflugzeugen reisen, ein anderes Buch.« Sein Tonfall verriet mehr als seine Worte. Am liebsten hätten sie ausschließlich besser betuchte Touristen beherbergt, doch die Zeiten hatten sich geändert, und selbst die Luxushotels mußten sich mit Veranstaltern von Pauschalreisen arrangieren.

Alvarez gab das Register zurück und fragte: »Erinnern Sie sich an Señor Thompson?«

»Eigentlich nicht. Wissen Sie, es war gerade An- und Abreisetag, und dann ist immer viel Betrieb.«

»Glauben Sie, daß sich hier im Haus irgend jemand vom Personal an ihn erinnern könnte?«

»Der Hausboy wird sein Gepäck getragen haben. Wer hatte an dem Tag Dienst?« warf der stellvertretende Geschäftsführer ein.

»Servero, glaube ich«, erwiderte der Empfangschef.

»Bitte suchen Sie ihn, und sagen Sie ihm, er möge sofort hierherkommen. Ach, ehe Sie gehen, Inspektor, darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

»Ein Kognak wäre recht.«

»Für mich wie immer.«

Der Empfangschef ging. Nach einer Weile kam der Hausdiener ins Büro, er hatte die traditionelle Weste an und in der Hand trug er ein Tablett. »Man sagte mir, ich solle dies hier bringen«, sagte er, indem er das Tablett auf dem Schreibtisch abstellte. Er war bestimmt Ende Fünfzig und beherrschte perfekt die Kunst, anmaßend und dienstbeflissen zugleich aufzutreten, eine Eigenschaft, die man bei den meisten einheimischen Hotelangestellten findet, die die reichen Briten bedienen müssen.

Der stellvertretende Geschäftsführer nahm den Kognakschwenker vom Tablett und reichte ihn Alvarez. »Der Inspektor möchte Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte er dann, ehe er an seinem Orangensaft nippte.

Der Hoteldiener wurde sichtbar mißtrauisch.

»Erinnern Sie sich an Señor Thompson?« begann Alvarez.

»Er traf am Montag abend hier ein.«

»Er kam allein«, ergänzte der stellvertretende Geschäftsführer.

»Aha! Sie meinen bestimmt den Herrn, der mit einem weißen Ford Fiesta hier eintraf.«

»Er fuhr einen Fiesta«, bestätigte Alvarez, »aber über die Farbe kann ich nichts sagen.«

»Sein Gepäck bestand aus einem kleinen Koffer und einem Diplomatenkoffer.«

»Richtig.«

»Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis«, meinte der Hoteldiener selbstgefällig, wobei er offenbar vergaß, daß es ihm anfänglich schwergefallen war, sich an den Gast überhaupt zu erinnern. »Die Koffer waren von erstklassiger modischer Qualität, nicht wie die der meisten Touristen bei uns, die sich nur Koffer aus Kunststoff leisten können.«

»Sie trugen sein Gepäck?«

»Ja.«

»Schildern Sie mir bitte ausführlich, was von dem Augenblick an geschah, als Sie mit dem Señor zusammentrafen.«

Der Hoteldiener, bestrebt, zu beweisen, wie gut sein Gedächtnis funktionierte, erging sich in einem weitschweifigen Bericht. Er hatte das Gepäck ins Foyer zur Rezeption getragen. Der Señor, dem man Zimmer 34 zuwies, trug sich ins Gästebuch ein. Er nahm den Schlüssel in Empfang und brachte den Gast zur dritten Etage bis zum hintersten Zimmer.

Er schloß auf und ließ den Señor in den Raum ein. Beiläufig bemerkte er, es sei das schönste Zimmer im ganzen Hotel. Ein Gast fühlte sich immer besonders geehrt, wenn man ihm zu verstehen gab, daß man ihn bevorzugt behandelt.

»War er gesprächig?«

»Er war sehr freundlich, nicht so wie einige der anderen Gäste hier bei uns.«

»Unterhielten Sie sich in Spanisch oder Englisch?«

»Englisch.«

»Worüber sprach er?«

»Über dies und jenes. Ich fragte ihn, ob er schon einmal auf Mallorca gewesen sei.«

»Und was antwortete er?«

»Mehrere Male … Könnten Sie mir vielleicht verraten, worum es hier eigentlich geht? Ich meine, er war ein richtiger Gentleman, ein wirklich feiner Herr. Wenn man so lange in diesem Beruf tätig ist wie ich, bekommt man einen Blick dafür. Gibt es etwa Schwierigkeiten?«

»Leider kam der Señor bei einem Autounfall ums Leben, und obwohl wir jetzt seinen Namen wissen, fehlen uns noch verschiedene Hinweise, ohne die wir seine nächsten Anverwandten nicht benachrichtigen können.«

»Aber in seinen Papieren muß doch etwas stehen.«

»Uns ist noch nicht genau bekannt, ob er Papiere bei sich hatte«, erwiderte Alvarez geduldig.

»Was befand sich dann in dem Diplomatenkoffer?«

»Das wissen wir nicht, denn wir haben ihn nicht gefunden.«

»Und was ist mit seiner Brieftasche?«

»Die fehlt auch … Erzählte er Einzelheiten über einen seiner früheren Besuche? Erwähnte er, wann er auf Mallorca war und wo er wohnte?« wollte Alvarez weiter wissen.

»Nichts dergleichen.«

»Hatten Sie den Eindruck, daß er bewußt vermied, genauere Angaben zu machen?«

Die Frage verwirrte den Hoteldiener, der zwar pfiffig war, aber nicht sonderlich intelligent zu sein schien. Alvarez mußte sie anders formulieren, damit er sie verstand. Dann antwortete der Hoteldiener:

»Das würde ich nicht sagen.«

»Über ihn persönlich erfuhren Sie nichts?«

Der Mann kratzte sich am Nacken. »Nur, daß er für sein Leben gern segelte.«

»Wie haben Sie das erfahren?«

»Er begann damit, daß das Meer in den letzten Tagen zu unruhig gewesen sei, um mit seinem Boot hinausfahren zu können.«

»Er sprach von ›seinem‹ Boot?«

»Das habe ich doch gerade gesagt.«

»Fällt Ihnen sonst noch etwas ein?«

»Nein.«

»Sollten Sie sich nachträglich noch an etwas erinnern, dann rufen Sie mich bitte an, ja?«

»Ich habe Ihnen alles erzählt.«

»Dann haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Der Hoteldiener ging zur Tür, öffnete sie und drehte sich noch mal um. »Eines muß ich Ihnen noch einmal sagen, Mr. Thompson war ein richtiger Gentleman.« Damit verließ der Hoteldiener das Büro.

»Der Señor scheint mit dem Trinkgeld nicht gegeizt zu haben«, kommentierte der stellvertretende Geschäftsführer trocken.

Alvarez sah auf sein leeres Glas und fragte sich, ob die Hotelleitung wohl gleichermaßen großzügig wäre.

4

Clínica Bahía, das kleinste staatliche Krankenhaus in Palma, lag am östlichen Rand der Stadt. Das Gebäude war äußerlich eher häßlich, und auch innen hatte man wenig getan, um die Räume wenigstens etwas heiterer zu gestalten. Regelmäßig wurden Umbau- und Modernisierungspläne vorgelegt und besprochen, doch dabei blieb es immer; sie wurden niemals ausgeführt. Jedoch das Personal war sehr tüchtig und freundlich, wodurch es im allgemeinen gelang, sogar einen deprimierten Patienten wieder aufzumuntern.

Mit dem Lift fuhr Alvarez in den vierten Stock hinauf. Einer Krankenschwester erklärte er den Grund seines Besuchs.

»Sie möchten zu Señor Higham? Er liegt in Zimmer 413.«

Alvarez war nicht wenig überrascht. »Sie haben seinen Namen festgestellt?«

»Ich nicht, denn ich spreche kein Englisch, und sein Spanisch klingt eher wie Portugiesisch.« Sie lächelte. »Aber Dr. Bauzá hat als Assistenzarzt in Amerika gearbeitet, und er spricht Englisch; er bemerkte auch, daß der Señor das Gedächtnis wiedererlangt hatte.«

»Kann er sich etwa wieder an alles erinnern?«

»Das weiß ich nicht genau, aber es scheint so, denn Dr. Bauzá sagte, er sei auf dem Wege der Besserung und könne bald entlassen werden.«

»Das ist schön. Kann ich mich jetzt mit ihm unterhalten?«

»Warum nicht? Aber wenn er einen erschöpften Eindruck macht, dann müssen Sie ihn sofort in Ruhe lassen.«

Die meisten Zimmer auf dieser Etage enthielten vier Betten, doch in Raum 413