Einmal Mallorca einfach - Roderic Jeffries - E-Book

Einmal Mallorca einfach E-Book

Roderic Jeffries

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Beschreibung

Ein Mallorca-Krimi von Roderic Jeffries Als der so reiche wie unbeliebte Geoffrey Freeman plötzlich auf Mallorca stirbt, freuen sich alle – bis auf einen. Für Inspektor Alvarez ist das Motiv sonnenklar. Doch dann muß er erkennen, daß nichts an diesem Fall so ist, wie es scheint. Bis er eine unglaubliche Entdeckung macht ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Roderic Jeffries

Einmal Mallorca einfach

Aus dem Englischen von Traudl Weiser

FISCHER E-Books

Inhalt

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1

Caroline Durrel stand am östlichen Ufer von Puerto Llueso und blickte über die stillen Wasser der Bucht zu den Felsen, die sie umrahmten, und hoch zu dem tiefblauen, wolkenlosen Himmel. Ein herrliches Fleckchen Erde, das eine Atmosphäre stillen Friedens ausströmte. Amüsiert erinnerte sie sich an eine Bemerkung, die Colonel Atkin nach seinem vierten Brandy und außer Hörweite seiner sehr strengen Frau darüber machte: »Wissen Sie, ohne Menschen wäre dies hier das Paradies.«

Caroline wandte sich um und ging langsam den Kai entlang zurück. Sie schlenderte am Club Nautico vorbei, dem Wachtposten der Guardia Civil und dem Restaurant, das bekannt für seine Fischspezialitäten und hohen Preise war. Sie erreichte den Jachthafen, kam an den Fährschiffen vorüber, die zur Parelona-Bucht fuhren, und schließlich kam sie zu den offenen, breiten Fischerbooten mit ihren Gaslaternen am Heck. Ein junger Fischer, der sein Boot reinigte, beobachtete sie. Die Art, wie er sie anlächelte, verriet seine Gedanken. Sie freute sich über das verborgene Kompliment und lächelte zurück, lehnte aber sein Angebot, sie zu begleiten, ab. Enttäuscht wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.

Der Kai mündete in die Straße, und unmittelbar dahinter standen zwei Kioske. Einer davon war geöffnet. Der Mann hinter der Theke sah traurig und gelangweilt aus, und sie beschloß, ihm einen Hot dog abzukaufen, um ihn etwas aufzuheitern. Er gab ihr zu wenig Wechselgeld heraus, aber als sie die fehlenden fünf Peseten verlangte, war sie davon überzeugt, daß er nicht böswillig, sondern gewohnheitsmäßig gehandelt hatte.

Sie biß in den Hot dog, und Tomatenketchup lief ihr übers Kinn. Sie lachte. Ein vorbeikommendes Taxi fuhr beinahe gegen den Randstein. Sie überquerte die Straße, und ein Auto mit französischen Nummernschildern hielt an, um sie vorbeizulassen. Sie winkte dem Fahrer freundlich zu und ahnte nicht, daß es normalerweise einem Franzosen nicht in den Sinn kam, Rücksicht auf Fußgänger zu nehmen.

Auf der anderen Straßenseite luden Stühle und Tische vor verschiedenen Bars zum Sitzen ein. Sie nahm Platz. Es war Mitte Oktober, aber die Sonne hatte noch Kraft genug, die Luft so weit zu erwärmen, daß es ein Vergnügen war, im Freien zu sitzen. Ein Kellner, sehr von sich und seiner vermeintlichen Schönheit überzeugt, eilte herbei. »Guten Morgen, Señorita«, begrüßte er sie in unbeholfenem Englisch. »Ein wunderschöner Tag heute, nicht wahr?«

»Ja, wirklich. Ich bin mit einer Freundin verabredet und möchte mit der Bestellung warten, bis sie kommt.«

»Vielleicht müssen Sie lange warten?« Er versuchte mit ihr ins Gespräch zu kommen. Seine Stimme klang plötzlich anders – heiser, einschmeichelnd und zumindest, so glaubte er, verführerisch.

»Das nehme ich nicht an. Sie ist meistens pünktlich.« Caroline machte ihm klar, daß sie nicht mit ihm am Samstagabend in die Diskothek gehen wollte.

Er akzeptierte ihre Ablehnung mit einem Schulterzucken. Aus Erfahrung im Umgang mit Engländerinnen wußte er, daß er bei ihr keine Chance hatte.

Caroline drehte ihren Stuhl so, daß sie ihr Gesicht der Sonne zuwenden konnte. Mit geschlossenen Augen genoß sie die warmen Strahlen. In England war es jetzt wahrscheinlich kalt, naß und windig; ein trübsinniger Winter stand bevor. Hier auf der Insel war es warm, trocken und windstill. Sie verscheuchte die Gedanken an das unerfreuliche Winterwetter. Nach einer Weile hörte sie Absätze übers Pflaster klappern. Sie öffnete die Augen und schaute nach links. Sie konnte gerade noch sehen, wie Mabel den einzigen Fußgänger auf der Straße außer ihr anrempelte.

Mabel trug ein Plisseekleid, das ihr vor zwanzig Jahren vielleicht einmal gestanden hätte, plumpe, altmodische Schuhe, und ihr Haar war völlig zersaust. Sie kam an Carolines Tisch und ließ sich in einen Stuhl fallen. Sie hatte ein langes, dünnes Gesicht, das ihren Mund überbreit erscheinen ließ. Das einzig Schöne an ihr waren ihre blauen Augen, die sie aber leider dauernd zukniff, weil sie kurzsichtig war und aus falschem Stolz keine Brille trug. »Habe ich mich verspätet? Wenn ja, ist es Normans Schuld. Ich habe versucht, früher zu kommen, aber er hörte nicht auf, mir von seinem kranken Hund zu erzählen. Ich habe ihm geraten, das Tier einschläfern zu lassen. Das würde doch alle Probleme lösen.«

Mabels Vorschlag war sicherlich gut gemeint, überlegte Caroline, aber Norman dachte wohl anders darüber. Mabel war sehr stolz darauf, stets auszusprechen, was sie dachte. (»Wenn es so ist«, hatte jemand einmal gesagt, »wäre es besser, sie würde ihren Mund halten.«) Sie gehörte zu den Menschen, die tolpatschig in jedes Fettnäpfchen traten und ungewollt mit sich und der ganzen Welt auf dem Kriegsfuß standen.

»Kommt denn hier kein Kellner? Die werden auch von Woche zu Woche fauler.« Mabel drehte sich um und wedelte mit der Hand in Richtung Eingangstür zur Bar. Nach einer Weile erschien ein älterer Kellner und kam langsam näher.

»Ich möchte einen Brandy. Was trinkst du, Carrie?«

»Einen Martini, bitte.«

Mabel bestellte die Getränke in Englisch. Sie weigerte sich strikt, spanisch zu sprechen, weil sie Angst hatte, Fehler zu machen und ausgelacht zu werden. Der Kellner verschwand in der Bar.

Mabel runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und spähte die Straße hinauf und hinunter. »Hast du heute morgen schon Geoffrey gesehen?«

»Nein. Ich war die meiste Zeit am Hafen.«

»Er wollte auch kommen. Ich muß ihn etwas fragen …« Sie sprach nicht weiter. Mabel brauchte Caroline nichts vorzumachen. Caroline wußte ohnehin, daß Mabel Geoffrey nicht nur sehen wollte, um ihn etwas zu fragen.

Es gab wenig Menschen auf der Welt, die Caroline nicht leiden konnte, wenn nicht insgeheim haßte: den Freund ihres Vaters, der ihr im Alter von zwölf Jahren unter den Rock gefaßt hatte; den Mathematiklehrer, der sie sarkastisch verhöhnte, wenn sie einen Fehler machte; den betrunkenen Fahrer, dessen Lastwagen das Auto ihrer Eltern gerammt hatte … und Geoffrey. Er behandelte Mabel mit einer unverhüllten Verachtung, so daß sie oft versucht war, ihm einen Tritt zu versetzen. Wie konnte ein Mann eine Frau, die ihn so offensichtlich liebte, derartig geringschätzig behandeln, auch wenn sie sich noch so lächerlich machte?

Der Kellner brachte die Getränke. Mabel goß Sodawasser in ihr Glas, kostete den Brandy und erkundigte sich barsch: »Ist das die Marke 103?«

»Ja, Señora.«

»Señorita, bitte. Ich glaube Ihnen nicht. Das schmeckt wie billiger Fusel.«

Der Kellner reagierte auf ihre Beschwerde nicht. Die Bars machten ihr Geschäft hauptsächlich mit Touristen.

Plötzlich sagte Mabel in aggressivem Ton: »Ich habe unterwegs Edward gesehen. Er ging in die Bäckerei. Was hat er am hellichten Tag dort zu suchen?«

»Wahrscheinlich hat er Brot gekauft.«

Sie rümpfte die Nase. »Ich begreife nicht, warum er nicht zurück nach England geht und dort eine ordentliche Arbeit annimmt. Er ist wohl arbeitsscheu.«

»Ich habe dir doch erzählt, daß seine ganze Liebe, sein Lebensinhalt Schiffe sind. Er ist nur an einer Arbeit interessiert, die damit zusammenhängt. Alles andere ist ihm gleichgültig. Jedenfalls hat er eben einen Auftrag beendet, an dem er Tag und Nacht gearbeitet hat. Der Besitzer der Jacht ist vor zwei Tagen aus England gekommen und hat ihn sehr gelobt. Noch nie zuvor hätte er so gute Arbeit gesehen!«

Mabel schaute Caroline nachdenklich an, und plötzlich wurde ihre Stimme sanft. »Begreifst du denn nicht, Carrie, diese Insel ist Gift für einen Menschen wie ihn.«

»Wieso?«

»Zuviel mañana, zuviel billiger Fusel, zuwenig zu tun.«

Und zu viele Frauen, die es auf Geoffrey abgesehen hatten. Arme Mabel, dachte Caroline. Was für ein glückliches und zufriedenes Leben könnte sie führen, wenn sie sich in einen Mann verliebt hätte, der ihr wahres Wesen hinter der Maske der zänkischen, taktlosen und aggressiven Person erkannt hätte.

2

Ca’n Ritat liegt am Ortsausgang von La Huerta de Llueso, dort wo die dunkle, fruchtbare Erde allmählich steiniger wird. Ursprünglich war es ein dreihundert Jahre altes Bauernhaus gewesen, ehe es von Grund auf restauriert und umgebaut wurde. An die Nordseite des Hauses hatte man Garagen und Wohnungen für das Personal angebaut, dadurch war ein kleiner Hof entstanden. Ein großer Garten wurde angelegt, der mit dem Wasser aus einem Ziehbrunnen versorgt wurde. Der Swimming-pool schloß unmittelbar an den Rasen aus Bermudagras an, und dahinter, geschützt durch eine Steinmauer, gediehen auf einem Feld Orangen, Zitronen, Mandarinen, Mandeln, Feigen und andere Früchte, der Jahreszeit entsprechend. Dann stieg das Gelände stetig an und bildete einen Hügel, etwa fünfhundert Meter hoch, der die Schlechtwetterfronten vom Norden abhielt. Am Fuß des Hügels lag eine Wohnsiedlung mit ausgesprochen häßlichen Häusern.

Geoffrey Freeman, knapp einen Meter achtzig groß, noch schlank, mit einem Baumwollhemd, Hosen und Sandalen bekleidet, stand neben dem Swimming-pool und schaute zum Haus zurück. Obwohl durch die umfassenden Bauarbeiten nichts mehr von seiner ursprünglichen Form erhalten war, gefiel es ihm. Die Freude, die er daran hatte, ließ sich aber nur in barer Münze messen. Er hatte es für vier Millionen gekauft – der vorherige Besitzer war schwer erkrankt, und seine Frau war gezwungen gewesen zu verkaufen –, und jetzt war es mindestens sieben Millionen wert.

Geld macht Leute. In England hatte er in einem Doppelhaus gelebt, mit Hypotheken bis unters Dach belastet, hatte einen klapprigen Vauxhall gefahren, seine Kleider im Kaufhaus erstanden und hatte mit Müh und Not sich, seine Frau und seine beiden Kinder ernährt … Hier, jetzt war er reich. Er besaß zwei Autos, eins davon ein Mercedes, ein Haus im Wert von sieben Millionen, beschäftigte eine Köchin, einen Hausdiener und einen Gärtner. Wenige der ständig hier lebenden Engländer konnten sich den Luxus von Hausangestellten wegen der gestiegenen Löhne und Versicherungsbeiträge noch leisten. Er war derselbe Mann geblieben, aber jetzt war er angesehen. Er kannte alle gesellschaftlich wichtigen Leute, auch wenn dieser oder jener hochnäsig auf ihn herabsah. Lord und Lady Plichton waren mehrmals bei ihm zum Abendessen gewesen, ebenso Admiral Sir Alfred Postern, der anscheinend den letzten Krieg ganz allein gewonnen hatte …

Gott sei Dank hatte er Rose nicht mitgenommen. Sie hätte alles verdorben, denn Geld allein genügte nicht, gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen. Er dachte dabei an die Zacaries. Mit welch einer Nonchalance verkehrte sie mit den einheimischen Bauern und behielt ihre Souveränität, selbst wenn sie mit ihnen zusammen in der Küche Tee trank … Rose wäre der neuen Situation nicht gewachsen gewesen. In ihrer Unsicherheit und Angst, etwas falsch zu machen, hätte sie sicherlich gegen alle ungeschriebenen Gesetze der Etikette verstoßen. Er stellte sie sich vor, wie sie ausgesehen hatte, als er sie verließ. Ihr Kleid war zerschlissen und ausgefranst am Saum, ihre Schürze zerrissen, ihr Gesicht gerötet und erschöpft, ihr Haar unordentlich.

Sie hatte ihn halb ängstlich, halb angriffslustig angeblickt – ein Ausdruck, den er nur zu gut kannte. »Du bist doch nicht zum Mittagessen heimgekommen? Ich habe nichts vorbereitet.«

»Reg dich nicht auf. Ich bin nicht zum Essen gekommen.«

»Weshalb bist du dann hier?«

»Um meinen Koffer zu holen.«

»Koffer? Was für einen Koffer?«

»Einen Koffer für die Kleider.«

»Wozu brauchst du ihn?«

Vor ihrer Heirat hatte ihn ihre stets atemlose, naive Zerstreutheit amüsiert. Aber nach einigen Ehejahren verlor sich dieser Reiz, der nur der Ausdruck ihrer Unfähigkeit war, mit den Anforderungen des Lebens fertig zu werden. »Ich brauche den Koffer, um einige Sachen einzupacken. Ich fahre fort.«

»Aber wohin fährst du und für wie lange? Warum schickt dich deine Firma so plötzlich weg? Das ist noch nie passiert.«

»Meine Firma schickt mich nirgends hin.«

»Geoff, ich verstehe dich nicht. Was ist los?«

»Ich verlasse dieses Haus, das dauernd nach Kohl riecht.«

»Aber ich habe seit Wochen keinen Kohl mehr gekocht«, kam die für sie typische Antwort. Sie hatte, wie immer, nichts begriffen.

Eine Bewegung auf der gewundenen Straße der Siedlung zog seine Aufmerksamkeit auf sich und riß ihn aus seinen unerfreulichen Erinnerungen. Die Sonne brach sich in den Glasscheiben eines Autos, das sich Cassells Haus näherte und davor hielt. Dieser Gauner! Ein international bekannter Finanzier. Bekannt wofür, fragte er sich bitter. Cassell hatte ihn dazu überredet, sein Geld in kurzfristige Anleihen und Obligationen anzulegen, da der Markt einen schnellen Wertzuwachs versprach. Er hatte hoch investiert und alles verloren, weil dieser Idiot Cassell die Wirtschaftslage verkehrt beurteilt hatte. Dieser Irrtum hatte ihn fünfzehn Millionen gekostet.

Er sah Matilde aus dem Haus kommen. Sie überquerte den Hof, streichelte den Hund und ging zu Orozco. Obwohl sie von Bauern abstammte, gefiel sie ihm in ihrer natürlichen Sinnlichkeit, die vollerblühte südländische Frauen oft ausstrahlen, ehe das harte Leben sie zerstört. Ihr formloses Kleid verbarg ihre weichen Rundungen. Sie hatte einen Körper, der nach Liebe verlangte. Ihr Mann Luis war diesen Forderungen sicher nicht gewachsen. Was hatte sie veranlaßt, einen Mann zu heiraten, der doppelt so alt war wie sie?

Als Orozco sie kommen sah, ließ er die Hacke sinken und stützte sich auf den Stiel. Einem Mallorquiner war jeder Anlaß willkommen, seine Arbeit zu unterbrechen.

Die beiden unterhielten sich eine Weile, und Orozco lachte, das kam selten vor. Dann ging Matilde wieder ins Haus zurück. Orozco lehnte noch immer auf seiner Hacke und sah ihr nach.

Freeman überquerte den Rasen und betrat den Kiesweg. Obwohl Orozco seine Schritte gehört haben mußte, ließ er sich nicht stören und verharrte weiterhin unbeweglich.

Freeman stand mitten auf dem Weg, die Hände in die Hüften gestemmt: »Bist du fertig mit deiner Arbeit? Hast du nichts mehr zu tun?« fragte er barsch in Englisch.

»Bitte, Señor?« fragte Orozco. Er sprach ein holpriges Englisch mit starkem Akzent.

»Ich habe gefragt, ob alle Arbeit getan ist?«

»Nein, Señor.«

»Warum, zum Teufel, stehst du dann faul hier herum und arbeitest nicht?«

Nachdenklich schaute Orozco ihn an, und Freeman hatte das unangenehme Gefühl, daß in dem Blick eine leise Verachtung für seine ungehobelte Ausdrucksweise lag. Als ob es eine andere Möglichkeit gäbe, diesem Dickschädel beizukommen. Freeman drehte sich brüsk um und ging zum Haus zurück. Als er den Hof erreichte, sprang der angekettete Hund heraus und bellte ihn an. »Sei still«, brüllte er ihn an. Er warf einen Stein nach ihm, und der Hund jaulte auf, als er getroffen wurde.

Freeman überquerte den Hof und betrat die Küche. Matilde zerrieb etwas in einem Mörser, sie hatte Schweißperlen auf der Stirn. Ihre Brüste bewegten sich unter ihrem Kleid. »Was gibt’s zum Mittagessen?«

»Schweinekoteletts mit Ailloli, Señor. Ich rühre gerade die Ailloli an.«

»Es gibt nichts Köstlicheres als deine Ailloli. Sie hat nur einen Nachteil – ich kann nach dem Genuß von so viel Knoblauch eine Weile niemanden küssen.«

Unbeirrt fuhr sie in ihrer Arbeit fort. Sicherlich hatte sie ihn nicht verstanden. »Ich sagte, wenn ich deine Ailloli gegessen habe, kann ich kein Mädchen küssen, bis sich der Knoblauchgeruch verflüchtigt hat.«

Sie goß aus einer Flasche einige Tropfen Olivenöl in die kremige Masse.

Wahrscheinlich war sie zu dumm, um ihn zu verstehen, dachte er verächtlich. »Wo ist Luis?«

»In Llueso einkaufen, Señor.«

Das hieß, Luis saß in seiner Stammkneipe und trank.

Sie rührte weiter mit dem Stößel, und er verließ kurz darauf die Küche und ging ins Wohnzimmer.

Der Raum war L-förmig. Er hatte die Möbel mit dem Haus übernommen und die Ausgabe nie bereut, denn selbst Lady Glass hatte sie nach ihrem dritten Brandy überschwenglich gelobt. Er ging zur Schrankbar und mixte sich einen Gin Tonic. Dabei erinnerte er sich daran, daß er versprochen hatte, sich mit Mabel und Caroline im Hafen zu treffen. Ihr voller Name war Mabel Striggs – er fand ihn passend, da sie aussah wie eine vertrocknete alte Jungfer, die sie auch war.

Er ließ sich in einen weichen Polstersessel sinken. Es gab Menschen, denen konnte man ins Gesicht sagen, daß sie einem auf die Nerven gingen, sie würden einen weiterhin belästigen. Mabel war so ein Mensch. Nichts konnte sie davon abbringen, ihm nachzustellen und ihm bei jeder Gelegenheit verliebte Augen zu machen.

Er trank sein Glas leer und mixte sich noch einen Gin Tonic. Caroline könnte ihm gefallen, wenn sie nicht diese naiv gutgläubige Lebensanschauung hätte – die Welt gehörte immer noch den Gaunern, nicht den Naiven.

 

Edward Anson saß in einer kleinen Bar in einer Seitenstraße – hier waren die Drinks um die Hälfte billiger – und fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes, lockiges, braunes Haar. »Ja, ich hatte heute morgen eine Unterredung mit Ramón.«

Caroline betrachtete eingehend sein Gesicht. »Und – was ist dabei herausgekommen? Rede doch endlich, ich mußte andauernd daran denken.«

»Du hättest dir die Aufregung ersparen können.«

»Sieh doch nicht immer so schwarz. Wirklich, Teddy, manchmal übertreibst du mit deinem Pessimismus. Wo hast du dich mit ihm getroffen?«

»In seinem Büro. Typisch Ramón. Er hat gleich eine Flasche teuren Brandy hervorgeholt und mir einen Drink eingegossen, in dem eine Jacht hätte schwimmen können.«

»Aber hat er dir Arbeit angeboten? Himmel, das interessiert mich doch. Er ist so ein netter Mann, und ich habe dir die Daumen gedrückt, daß es klappt.«

»Er hat mir keine Arbeit angeboten. Er hat mir angeboten, sein Partner zu werden.«

Ungläubig starrte sie ihn an. »Eine … Partnerschaft?« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das ist viel mehr, als du jemals zu hoffen wagtest! Das übersteigt selbst meine kühnsten Träume! Und du sitzt da mit einem langen Gesicht, als wären dir eben sämtliche Felle davongeschwommen.«

Er zuckte die Schultern. Er hatte ein breites, kantiges Gesicht mit hellblauen Augen, die oft mehr von seinen Gefühlen verrieten, als ihm lieb war. Seine Haut war von Wind und Wetter gebräunt, und man konnte ihn sich gut als Seemann vorstellen. »Es gefällt mir, aber die Sache hat einen Haken. Ramón will mich als Teilhaber nehmen, weil ich gute Arbeit leiste und Engländer bin. So könnte ich die englischsprechenden Kunden betreuen. Dadurch würde ich keinem Spanier die Stelle wegnehmen und könnte auch eine Arbeitsgenehmigung bekommen.«

»Wo ist dann der Haken? Ich sehe schon das Firmenschild vor mir: ›Mena & Anson, Schiffsbauer und Konstrukteure.‹ Du wirst viele Superjachten bauen, alle wichtigen Rennen damit gewinnen, und jeder reiche Jachtbesitzer wird sich von dir seine Schiffe bauen lassen.«

»Carrie, ich kann nur unter einer Bedingung sein Partner werden: Ramón will für die Beteiligung eineinhalb Millionen Peseten haben.«

»Oh!« Sie starrte ihn an. »Eineinhalb Millionen … Ist es das wert?«

»Auf jeden Fall. Er könnte sogar das Doppelte verlangen. Es wäre auch drei Millionen wert. Das Geschäft ist eine Goldgrube, und er ist der Mann, dem man absolut vertrauen kann … Aber egal ob eineinhalb Millionen oder drei Millionen – ich kann mir so eine Summe nicht einmal vorstellen.«

»Du mußt sie eben auftreiben.«

»Soll ich unter meinem Kopfkissen nachsehen?« Bitter sprach er weiter. »Carrie, ich könnte nicht einmal zehntausend Peseten zusammenkratzen, geschweige denn eineinhalb Millionen. Das ist absolut phantastisch.«

»Sei nicht so niedergeschlagen. Es gibt immer einen Weg.«

»Nicht immer, nicht im wirklichen Leben.«

»Mit deinem Pessimismus kommst du nicht weiter. Wenn du das Angebot erhältst, von dem du dein Leben lang geträumt hast, dann kommt das nicht von ungefähr. Dann soll es auch gelingen. Und es wird gelingen.«

»Schade, daß nicht du die Welt regierst. Dann wäre das Leben glücklicher.«

Sie lachte. »Da bin ich mir nicht so sicher – höchstwahrscheinlich würde es ein fürchterliches Chaos geben … Aber eins weiß ich gewiß – du bist als Ramóns Partner vorgesehen.«

»Kann sein.«

»Ohne Zweifel.« Sie streckte ihre Hand über den Tisch und legte sie auf seine Faust. »Hab’ Vertrauen, es wird klappen. Ich spüre es zutiefst, und mein Gefühl hat mich noch nie getrogen.«

3

Carolines Eltern waren vierundzwanzig Jahre glücklich verheiratet gewesen. Sie hatten sich nie ernstlich gestritten, und ihre Meinungsverschiedenheiten wurden meist schnell beigelegt. Jahrelang hatte Caroline geglaubt, daß alle Ehen so harmonisch verliefen, und war schockiert, als sie erkennen mußte, daß das Gegenteil der Fall war. Es hatte sie zutiefst erschreckt, weil sie wußte, daß es nichts Wichtigeres im Leben gab als Glück.

Ihre Einstellung, ja ihr Wunsch, von jedem Menschen das Beste zu glauben, war in einem Zeitalter der gegenseitigen Verachtung und des Hasses nicht nur ungewöhnlich, sondern hätte für sie sogar gefährlich werden können. Doch ihr Humor und gesunder Menschenverstand ließen sie rechtzeitig das Böse erkennen – und bewahrten sie vor schlechten Erfahrungen. Hinzu kam eine innere Stärke, die man nicht sofort an ihr bemerkte. Als der Polizeibeamte ihr die Nachricht vom tödlichen Verkehrsunfall ihrer Eltern überbrachte, war sie zunächst völlig geschockt. Aber anstatt in Trauer zu versinken und nach Hilfe zu rufen, hatte sie ihre Tränen hinuntergeschluckt und sich dem Leben gestellt, das plötzlich für sie so schwer geworden war.

Nach der Beerdigung und Erledigung der nötigen Formalitäten hatte sie beschlossen, dem allem erst einmal den Rücken zu kehren und den Winter dort zu verbringen, wo sie zusammen mit ihren Eltern einen ihrer glücklichsten Urlaube verbracht hatte. Jeder Zyniker hätte ihr davon abgeraten – es gelingt selten, vergangene, glückliche Tage noch einmal heraufzubeschwören –, sie würde nur schmerzlichen Erinnerungen begegnen. Sie machte ihre Reise in die Vergangenheit und fand den Frieden und die Schönheit, an die sie sich erinnert hatte, und wenn sie dabei an ihre Eltern dachte, dann nicht mit einem Gefühl des schmerzlichen Verlustes, sondern mit einem Gefühl der Dankbarkeit dem Schicksal gegenüber, daß sie gemeinsam sterben durften, nachdem sie ein Leben der Liebe miteinander geführt hatten.

Sie hatte Mabel Cannon auf einer Party eines ehemaligen Industriemagnaten kennengelernt. Ihr war die plumpe, linkische, schlechtgekleidete Frau, die in einer Ecke des riesigen Wohnzimmers in einem Rohrstuhl saß, aufgefallen. Es war typisch für sie, daß ihr diese Person, mit der niemand zu sprechen schien, sofort leid tat. Spontan war sie auf die Frau zugegangen und hatte sich vorgestellt. Anfangs war Mabel sehr mißtrauisch gewesen, aber Carolines offene, selbstlose Art überzeugte sie schließlich, daß ihr hier eine ehrliche, aufrichtige Freundschaft angeboten wurde. Immer in der Gesellschaft der sehr reichen, sehr gut aussehenden, sehr begehrten Menschen war Mabel eine sehr einsame Frau, die sich schmerzlich ihrer eigenen Häßlichkeit bewußt war.

Nachdem sie ihr anfängliches Mißtrauen überwunden hatte, reagierte Mabel mit überschwenglicher Dankbarkeit auf die Freundschaft der jüngeren Frau. Caroline hätte sich ohne weiteres die eineinhalb Millionen Peseten von ihr ausleihen können, wenn das Geld für sie selbst bestimmt gewesen wäre. Da Caroline Mabels Vertrauen nicht ausnutzen wollte, fühlte sie sich verpflichtet, ihr genau zu erklären, wofür sie das Geld brauchte.

Mabel ließ sich tiefer in den Sessel sinken und schlug die Beine übereinander. Daß sie dabei ihre dicken Oberschenkel teilweise entblößte, schien sie nicht zu stören. Sie zupfte Fäden aus dem zerschlissenen Bezug der Armlehne. Mabel hatte ihr Haus mit der gleichen Lieblosigkeit eingerichtet, wie sie auch ihre Kleider auswählte. Die meisten Möbel stammten aus zweiter Hand von Leuten, die die Insel verlassen hatten – nichts paßte zusammen, vieles war schäbig. »Wer hat dir von der Partnerschaft erzählt?«

»Teddy natürlich. Mabel, du kannst dir nicht vorstellen, was das für eine einmalige Gelegenheit für ihn ist. Sein ganzes Leben lang …«

»Wie kommt Mena dazu, ihm eine Partnerschaft anzubieten?«

»Teddy ist ein ausgezeichneter Arbeiter und weiß alles über Schiffe.«

»Aber arbeitet er denn? Jedesmal, wenn ich ihn sehe, hängt er nur herum und tut nichts.«

»Natürlich hast du ihn noch nie bei der Arbeit gesehen, du gehst ja nie zur Werft, nicht einmal zum Hafen. Wenn du ihn an Land triffst, macht er gerade Pause.«

»Sieben Stunden Pause und eine Stunde Arbeit am Tag.«

Caroline lachte. »Du bist voreingenommen! Mir scheint, du verdächtigst jeden der Nichtstuerei, der nicht in einem Büro arbeitet. Teddy ist aus anderem Holz geschnitzt. Er war schon immer in Schiffe vernarrt, und sein Lebenstraum ist eine eigene Werft. Ramón hat ihm nun diese Chance geboten, und er dreht schier durch vor Aufregung.«

»Er wird keine Arbeitsgenehmigung bekommen.«

»Doch, die bekommt er. Ramón muß nur nachweisen, daß Teddy keinem Mallorquiner den Arbeitsplatz wegnimmt, und da er sich um die englischsprechenden Kunden kümmern soll, ist diese Bedingung erfüllt. Außerdem werden durch die Ausweitung des Geschäfts zusätzliche Arbeitsplätze für Mallorquiner geschaffen, ein weiterer Grund … Hör mal, warum kommst du nicht mit zur Werft und schaust dir an, was er macht. Seine Arbeit ist sehr interessant.«

»Ich hasse Schiffe. Sie machen mich seekrank.«

Caroline lachte wieder. »Das dürfte dem aufgedockten Schiff, an dem er eben arbeitet, nicht gelingen. Es ruht auf festem Boden. Komm, laß uns austrinken und ihn besuchen.«

»Warum bestehst du so hartnäckig darauf?«

»Ich möchte, daß du erkennst, daß er nicht der Tagedieb ist, für den du ihn anscheinend hältst.«

»Jason hat mir erzählt, daß er faul und unfähig ist.«

»Du kennst Jason. Er mag nur Menschen, die Seidenhemden tragen und sich zweimal am Tag die Fingernägel maniküren lassen. Ich kenne auch den Grund, warum Jason so über ihn spricht. Er hatte Teddy beauftragt, das Deck seiner Jacht herzurichten und hat bis heute nichts dafür bezahlt. Er versucht, sich zu drücken, und erfindet Lügengeschichten. Es ist widerlich, wenn man bedenkt, daß Jason ein Krösus ist und Teddy keinen Penny besitzt.«

»Da er kein Geld hat, wird er die eineinhalb Millionen nicht aufbringen, nicht wahr?«

»Nein. Außer er kann sie sich leihen.«

»Keine Bank wird sich darauf einlassen. Gib ihm die eineinhalb Millionen, und er wird schnellstens damit verschwinden.«

»Das ist lächerlich.«

»Du kennst die Männer nicht.«

»Aber Teddy könnte man hundert Millionen anvertrauen … Mabel, würdest du ihm die Summe leihen? Auf ganz legalem Weg, und wenn es dich mehr beruhigen würde, könntest du das Geld Ramón direkt geben. Teddy würde die üblichen Zinsen zahlen, ein Gewinn für dich, und er könnte die Chance seines Lebens nutzen.«

»Die Chance, weiter herumzulungern.«

»Sei doch nicht so voreingenommen …«

»Ich kenne diese Typen. Sie kommen hierher, weil der Alkohol billig ist, die Mädchen noch billiger, und sie hängen hier herum und lassen sich aushalten. Sie sind allesamt Schmarotzer.«

»Teddy gehört nicht dazu.«

»Nein? Warum hatte er dann nicht den Mut, mich selbst nach dem Geld zu fragen, anstatt dich vorzuschicken?«

»Er weiß nichts davon. Es war meine Idee.«

»Blödsinn! Er versteckt sich hinter dir, und du bist so gutmütig und merkst es nicht einmal. Du bist viel zu weichherzig. Es genügt, wenn man dir eine erfundene Geschichte von Schicksalsschlägen auftischt, und sofort bietest du deine Hilfe an. Du darfst nicht alles glauben, was man dir erzählt; du mußt lernen, argwöhnisch zu werden. Sonst gibt es eines Tages ein böses Erwachen, wenn du herausfindest, wie die Männer wirklich sind.« Bittere Falten der Enttäuschung gruben sich in Mabels Mundwinkeln ein.

 

Mabel schätzte Caroline falsch ein. Es stimmte, Caroline hatte immer eine Schwäche für die vom Schicksal benachteiligten Menschen gehabt. Aber ihr Mitgefühl kam aus einer sehr realitätsbezogenen Lebenseinstellung, und sie besaß die intuitive Fähigkeit zu erkennen, ob unglückliche Lebensumstände vom Betroffenen selbst verschuldet worden waren. Sie bemühte sich, Menschen zu helfen, die gegen ungünstige, schicksalsbedingte Nachteile zu kämpfen hatten. Und Edward Anson war ein Kämpfer, das hatte sie von Anfang an zu ihm hingezogen.

Das Leben hatte ihm übel mitgespielt. Seine Eltern waren sehr arm gewesen und hatten eine unglückliche Ehe geführt. Alle Enttäuschung und Bitterkeit, die sie füreinander empfanden, hatten sie auf ihm abgeladen. Er sprach selten über seine Kindheit, er konnte sich nur an Streitereien und willkürliche Prügel erinnern. Kurz vor seinem siebten Geburtstag war sein Vater mit seiner Geliebten auf und davon gegangen und hatte seine Frau mittellos zurückgelassen. Sie waren nach Hampshire gezogen, wo seine Mutter als Haushälterin eine Stellung fand. Das Haus, in dem sie nun lebten, lag direkt an einem Fluß. Und dort hatte sich für Anson eine neue Welt geöffnet – ein Leben mit und für die Schiffe.

Er war kein sehr gesprächiger Mann – außer es ging um Schiffe – und war nicht sehr gebildet. Deshalb blieb ihm der psychologische Sinn, den der Umgang mit Schiffen für ihn bedeutete, verborgen, doch Caroline war davon überzeugt, daß sie für ihn den Inbegriff der Freiheit darstellten. Freiheit von Trauer und Leid, das ihm das Leben an Land gebracht hatte. Auf einem Schiff, auf hoher See war er nur den unberechenbaren Kräften der Natur ausgesetzt und konnte im Kampf gegen die Wellen seinen Mann stehen.