Geborene Freaks - Andrew Kaufman - E-Book

Geborene Freaks E-Book

Andrew Kaufman

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Beschreibung

Die Freaks waren immer schon ein bisschen merkwürdig, aber niemand ahnt, dass sie von ihrer eigenen Großmutter verflucht wurden. Eigentlich hatte Oma nur vorgehabt, jedem ihrer Enkelkinder bei der Geburt eine spezielle Gabe mit auf den Weg zu geben. Diese »Geschenke« ihrer Großmutter stellen sich jedoch bald als Flüche heraus, die das Leben der jungen Freaks ruinieren. Als Großmutter im Sterben liegt, hat sie einen letzten Wunsch: Ihre Enkelin Angie soll ihr helfen, alle Geschwister in ihrem Krankenhauszimmer zu versammeln, um das Geheimnis um die gutgemeinten Flüche zu lüften ..

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Zum Buch

Die Freaks waren immer schon ein bisschen merkwürdig, aber niemand ahnt, dass sie von ihrer eigenen Großmutter verflucht wurden. Eigentlich hatte Oma nur vorgehabt, jedem ihrer Enkelkinder bei der Geburt eine spezielle Gabe mit auf den Weg zu geben. Diese »Geschenke« ihrer Großmutter stellen sich jedoch bald als Flüche heraus, die das Leben der jungen Freaks ruinieren. Als Großmutter im Sterben liegt, hat sie einen letzten Wunsch: Ihre Enkelin Angie soll ihr helfen, alle Geschwister in ihrem Krankenhauszimmer zu versammeln, um das Geheimnis um die gutgemeinten Flüche zu lüften …

Zum Autor

ANDREW KAUFMAN kam wie Alice Munro in Wingham, Ontario, zur Welt, was ihn zum zweitbesten Schriftsteller eines Ortes mit dreitausend Einwohnern macht. Seine Bücher wurden in neun Sprachen übersetzt und sind in elf Ländern erschienen. Andrew Kaufman ist ein renommierter Drehbuchautor und lebt mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern in Toronto.

ANDREW KAUFMAN BEI BTB

Alle meine Freunde sind Superhelden

ANDREW KAUFMAN

Geborene Freaks

Roman

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Born Weird« bei Random House Canada, Toronto.Sämtliche Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig oder nicht beabsichtigt.

1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung August 2017 Copyright © der Originalausgabe 2013 by Andrew Kaufman Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: semper smile, München Umschlagmotiv: © plainpicture/Minden Pictures/Bart van Dinten/NiS Satz: Uhl + Massopust, Aalenmr · Herstellung: scISBN 978-3-641-20784-7V001www.btb-verlag.dewww.facebook.com/btbverlagBesuchen Sie auch unseren Literaturblog www.transatlantik.de

Für Phoenix, Frida und Marlo

F

ZU IHREM NAMEN KAMEN DIE FREAKS durch eine Kette von Ereignissen, die manche Leute Zufall, andere hingegen Schicksal nennen würden.

Der junge Engländer Sterling D. Frenk überquerte an Bord des isländischen Fischkutters Örlög den Atlantik, um nach Kanada auszuwandern. Raues Wetter und leere Netze sorgten dafür, dass aus der sechswöchigen eine dreimonatige Überfahrt wurde. Nach seiner Ankunft in Halifax betrat Sterling die frisch zusammengezimmerten Planken des Pier 21 und zeigte seine Papiere einem Einwanderungsbeamten vor, der just an diesem Morgen seine zukünftige Frau kennengelernt hatte. In kreativer Hochstimmung (oder einfach nur aus Zerstreutheit) änderte der Beamte das n in Sterlings Nachnamen in ein a um. Siebenundsiebzig Jahre später, als Sterlings Urenkel sich am Saisonende zum letzten Spiel des Footballteams ihrer Schule trafen, hatte der Schreibfehler weiterhin Bestand. Sie waren immer noch Freaks.

Die vier ältesten Geschwister – Richard war neunzehn, Lucy siebzehn, Abba sechzehn und Angie vierzehn Jahre alt – hatten sich auf der Tribüne versammelt, um ihren jüngsten Bruder Kent Football spielen zu sehen. Beziehungsweise Kent auf der Bank sitzen zu sehen, während das restliche Team Football spielte. Kent ging in die neunte Klasse, war aber, da er die sechste übersprungen hatte, erst dreizehn. Dennoch hatte er es irgendwie geschafft, in der Mannschaft einen Platz als Ersatzspieler für den Ersatzspieler des Quarterback zu ergattern. Dass Kent die gesamte Saison auf der Bank verbracht hatte, störte die Freaks kein bisschen. Ganz im Gegenteil; wenn es nach ihnen gegangen wäre, müsste der Trainer Kent kein einziges Mal aufs Feld lassen. Die Vorstellung, ihn spielen zu sehen, erfüllte sie alle mit Angst und Schrecken. Aus diesem Grund war das letzte Spiel der Saison gleichzeitig das erste, zu dem sie überhaupt erschienen waren.

Die Freaks saßen auf dem überfüllten Zuschauerrang und fühlten sich unwohl. Sie hatten als Einzige darauf verzichtet, sich das Gesicht in den Schulfarben (Blau und Weiß) zu schminken. Sie kannten die Gesänge nicht, die ihre Klassenkameraden anstimmten. Aber wenigstens hatten sie von dort aus Kent gut im Blick, der wohlbehalten auf der Bank saß.

Als nur noch fünfunddreißig Sekunden zu spielen waren, wurde der erste Quarterback, Kevin Halleck, so spektakulär zu Fall gebracht, dass er vom Spielfeld getragen werden musste. Mike Bloomfield, der erste Ersatzquarterback, lag mit Pfeifferschem Drüsenfieber zu Hause im Bett. Der Trainer warf Kent einen Blick zu und nickte. Zum ersten Mal in dieser Saison rannte Kent aufs Feld, ganz ohne zu merken, dass seine Schnürsenkel noch offen waren.

Die Gastgeber lagen ein Field Goal im Rückstand. Sie hatten, um es mit anderen Worten zu sagen, noch die Möglichkeit, das Spiel im letzten Moment durch einen Touchdown zu drehen. Dass ausgerechnet Kent diese Chance bekam, war in den Augen seiner Geschwister schier unglaublich. Nicht, dass die Freaks Außenseiter gewesen wären. Sie waren sogar recht beliebt. Sie waren bloß einfach nie die erste Wahl. Um an den Zenit der Beliebtheit aufzusteigen, waren sportliche Höchstleistungen für jeden Teenager eine unabdingbare Voraussetzung, jedenfalls an der F. E. Madill Secondary School. Und genau diese Beliebtheit würde, sollte Kent das Spiel gewinnen, mit sofortiger Wirkung auf sie alle abfärben. Angie machte sich bewusst, wie seltsam das war: Wer in der Highschool durch außergewöhnliche Leistungen glänzte, war nicht etwa besonders, sondern besonders normal. Und nach nichts sehnte sie sich mehr als nach Normalität.

Aber johlte und applaudierte sie, um Kent anzufeuern? Nein. Keins der Geschwister tat das. Sie skandierten nicht einmal seinen Namen. Sie hatten entsetzliche Angst. Keiner von ihnen sprach ein Wort, als Kent sich bückte, um seine Schuhe zu binden. Angie sah sich suchend um, konnte im Publikum aber weder ihre Mutter noch ihren Vater oder ihre Großmutter entdecken. Ihre Eltern waren, wenigstens glaubte Angie das, noch unterwegs, um die Großmutter, die jedes Jahr über Weihnachten für einen Monat zu Besuch kam, vom Flughafen abzuholen. Ursprünglich hatte man sich vor dem Spiel auf dem Parkplatz treffen wollen. Aber die Eltern und die Großmutter waren nicht erschienen. Die Vorstellung, sie könnten Kents möglichen Triumph verpassen, machte Angie sehr wütend. Aber schon im nächsten Augenblick ließ ihre Empörung nach. Und als Kent seinen Mitspielern den nächsten Spielzug zurief, hatte sie ihnen komplett verziehen.

Die Teams bezogen Position. Die Geschwister schwiegen. Die blau-weißen Gesichter ringsum jubelten sich um Kopf und Kragen.

»Los!«, rief Kent.

Der Center warf ihm den Ball zu. Die Uhr tickte. Kent lief einige Schritte rückwärts. Er warf einen Pass. Der Ball eierte durch die Luft und landete auf der Zuschauertribüne.

Die Teams steckten noch einmal die Köpfe zusammen. Kent klatschte in die Hände. Jeder lief auf seine Position. Zweites Down, noch sechsunddreißig Sekunden zu spielen. Der Ball flog Kent in die Hände. Er täuschte einen Pass an und gab das Ei dann an den Running Back weiter, der jedoch kurz darauf zu Boden gerissen wurde. Sie hatten gerade einmal zwei Yards gutgemacht.

Auf der Uhr verblieben dreiundzwanzig Sekunden. Letztes Down, letzte Chance. Der Center schleuderte Kent den Ball entgegen. Die Geschwister jubelten immer noch nicht. Sie hatten schreckliche Angst, Kent könnte den Football fallen lassen. Er wich zwei, drei Schritte zurück. Er drehte den Kopf nach rechts und hob den Arm, ohne zu werfen. Angie sah auf die Uhr. Auf der Digitalanzeige blinkte die 13. Angie richtete ihren Blick wieder auf Kent, der etwas Seltsames tat: Er kniff die Augen zu. Er hielt sie fest geschlossen, presste sich den Football an die Brust und rannte los.

Mit angehaltenem Atem sahen Richard, Abba, Lucy und Angie den Bruder rennen. Er hielt den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Er rannte mitten in die Verteidigungslinien des Gegners hinein. Für einen Moment verschwand er zwischen den gegnerischen Trikots – und tauchte ganz unvermittelt dahinter wieder auf.

Weniger als zwanzig Yards trennten Kent von der Endzone. Knapp davor holte ihn ein schlaksiger Safety ein. Der gegnerische Spieler sprang ab und krachte Kent in den Rücken. Doch der schien es nicht weiter zu bemerken. Mit dem Verteidiger im Schlepp, der die Arme um Kents Taille geschlungen hatte, sprintete Kent über die Linie in die Endzone.

Er öffnete die Augen erst wieder, als er den tosenden Beifall der Menge hörte. Er sah die johlenden Fans und seine verblüfften Geschwister und seine überglücklichen Mitspieler, die auf ihn zugerannt kamen. Und dann sah er seine Großmutter. Sie stand am Spielfeldrand. Ihre Miene verriet ihm, dass etwas Furchtbares passiert war. Kent ließ den Ball fallen, als seine Teamkameraden die Endzone erreichten. Sie versuchten, ihn auf die Schultern zu nehmen, aber Kent entwischte ihnen. Er trabte zur Seitenlinie, nahm den Helm ab und blieb vor seiner Großmutter stehen.

Und so kam es, dass Kent als erster Freak erfuhr, dass sich alles für immer verändert hatte.

Sein Vater war gestorben.

AM 7. APRIL 2010, achteinhalb Jahre nach Kents erstem und einzigem Touchdown, stand Angie Freak auf einem Flur im vierten Stock des Vancouver and District General Hospital und belauschte ihre Großmutter, die ihre eigene Grabinschrift diktierte: »Bis du merkst, dass es keine Zufälle gibt, bestimmen sie dein Leben«, sagte sie. »Wohin du auch blickst, lauert der Zufall. Zufall! Zufall! Zufall! Aber sobald du begreifst, dass es ihn nicht gibt, wird er für immer verschwinden und dich nie wieder heimsuchen.«

Angie kämpfte gegen den Brechreiz an. Der Flur roch, wie übrigens das ganze Krankenhaus, nach künstlichem Kiefernduft. Und das lächerliche Gerede der Großmutter war nicht weniger übelkeiterregend als der Gestank des Desinfektionsmittels. Als sie die Stimme ihrer Großmutter hörte, fiel Angie plötzlich wieder ein, was sie an ihrer Familie ablehnte und warum sie jahrelang jeden Kontakt vermieden hatte. Obwohl sie gerade erst aus New York eingeflogen war – eine fünfeinhalbstündige Reise mit zweistündigem Aufenthalt in Toronto –, beschloss Angie, auf der Stelle zum Flughafen zurückzufahren.

Sie kehrte dem Krankenzimmer der Großmutter den Rücken zu und wollte gerade zu den Aufzügen zurückgehen. Genau in diesem Moment näherte sich ein Pfleger, der einen Essenswagen durch den Flur schob und dabei auf sein Handy starrte. Er hob den Kopf erst, nachdem er Angie mit der Schulter gerammt hatte. Angie verlor das Gleichgewicht und stolperte in das Zimmer der Großmutter hinein.

In jedem der vier Betten von Raum 4-206 lag eine ältere Dame. Großmutter Freak belegte das Bett an der Tür, so dass Angie sich direkt an ihrem Fußende wiederfand. Angie betrachtete die Großmutter. Ihre Wangen waren rosig. Ihre Augen strahlten. Nirgendwo hingen Beatmungsschläuche, nicht einmal ein Tropf. Großmutter Freak sah kein bisschen aus wie jemand, der auf dem Sterbebett liegt.

»Das ist aber ein langer Text«, sagte eine Männerstimme. Sie kam aus dem Lautsprecher des Telefons.

»Dann machen Sie die Buchstaben kleiner«, antwortete Großmutter Freak. Sie verdrehte die Augen. Sie entdeckte Angie. Sie wandte sich wieder dem Telefon zu.

»Kein Name? Kein Datum?«, fragte die Lautsprecherstimme.

»Weder noch.«

»Trotzdem, die Buchstaben werden ziemlich klein ausfallen.«

»Sie haben dreizehn Tage Zeit«, sagte Großmutter Freak, stocherte mit ihrem dürren Zeigefinger auf den Telefontasten herum und beendete das Gespräch. Sie rutschte in die Bettmitte zurück und musterte ihre Enkelin.

»Hat es einen Vater?«, fragte sie.

»Du willst wissen, ob ich Gottes Sohn austrage?«, fragte Angie zurück.

»Wie lange noch?«

»Im Flughafen haben sie mich schief angesehen.«

»Aber kein Ring …«

»Wer bin ich, dass ich mit Familientraditionen breche?«, fragte Angie. Großmutter Freak lachte leise. Als sie ihren einzigen Sohn Besnard geboren hatte, Angies Vater, war sie ebenfalls nicht verheiratet gewesen. Ihr Lachen vermittelte Angie so etwas wie Sicherheit. Angie versuchte, sich auf die Bettkante zu setzen, aber die Matratze gab nach. Angie rutschte ab. Sie versuchte es noch ein paarmal. Dann bemerkte sie den Stuhl in der Zimmerecke. Sie zog ihn ans Bett und nahm Platz.

»Fertig?«

»Ja.«

»Kein Gehampel mehr?«

»Nein.«

»Also gut«, sagte Großmutter. Sie strich ihre Bettdecke glatt. »Ich werde sterben.«

»Schon wieder?«

»Ich werde am 20. April um 19 Uhr 39 sterben. Keine Sekunde später und keinen Moment früher.«

»Nichts geht über einen spannenden Countdown!«

»Heute in dreizehn Tagen.«

»Ist das ein besonderes Datum?«

»Mein Geburtstag. Das ist dir wohl entfallen?«

»Der Tod feiert nicht gern.«

»Ich habe dich gebeten herzukommen, weil ich Fehler gemacht habe. Fehler, die sich nur mit deiner Hilfe korrigieren lassen.«

»Ich persönlich habe ja vor, mindestens hundert zu werden. Vielleicht sogar noch älter …«

»Sei still, Angelika!«

Großmutter Freak schlug an, was Angie und ihre Geschwister nur den Tonfall nannten. Ein jeder hatte eine eigene Erklärung dafür, warum der Tonfall so effektiv war. Kent war der Meinung, es habe mit der Stimmlage der Großmutter – Bass – zu tun. Abba glaubte, es liege an der Betonung, die jedes einzelne Wort wie in Großbuchstaben hervortreten ließ. Lucy vertrat die These, die Großmutter verfüge über ein besonders ausgeprägtes Lungenvolumen und könne doppelt so viel Luft ausstoßen wie ein normaler Mensch; folglich klang sie doppelt so überzeugend. Angie gefielen all diese Erklärungsversuche, aber sie ahnte, dass allein Richard richtiglag. Seiner Theorie zufolge entzog die Großmutter ihrer Stimme jegliches Gefühl, so dass am Ende nur ihr harsches Urteil übrig blieb.

Wie auch immer es funktionierte – Angie gehorchte. Sie saß still. Sie legte die gefalteten Hände in den Schoß. Großmutter Freak schwieg, über eine Minute lang.

»Du warst immer schon ungeduldig«, sagte sie schließlich. »Wusstest du, dass du auf einem Flur zur Welt gekommen bist?«

»Wie könnte ich das vergessen.«

»Du bist auf diesem Flur fast gestorben.«

»Jepp.«

»So eng saß die Nabelschnur an deinem dünnen Hals.«

»Verrückt«, sagte Angie. Sie beachtete die Großmutter gar nicht mehr. Die Vorstellung, in einem Flur niederzukommen, war so angsteinflößend, dass sich das Szenario wie in einer Endlosschleife vor Angies Augen abspielte. Es war ihre Art, mit vermeintlichen Bedrohungen umzugehen.

»Nur deswegen habe ich sie dir vermacht«, sagte Großmutter Freak.

»Klar.«

»Die Gabe zu verzeihen.«

»Ich weiß … warte mal. Was hast du mir vermacht?«

»Dein Vater war schuld. Dein Vater mit seinem idiotischen Auto. Wer fährt in der Großstadt schon einen Maserati? Ich wusste, es würde dich prägen.«

»Das Auto?«

»Ich wusste, du würdest dein ganzes Leben nach einer Möglichkeit suchen, deinen Eltern zu verzeihen, dass sie dich kurz vor deiner Geburt fast getötet hätten. Schon für deinen ersten Atemzug hast du die Kraft der Vergebung gebraucht. Seltsam, eigentlich bin ich im Verzeihen nicht besonders gut. Ich wusste nicht, dass ich überhaupt dazu fähig war.«

»Wovon redest du?«

»Von der Fähigkeit zu verzeihen!«

»Äh …«

»Es liegt an meinem Herzen«, sagte Großmutter Freak. »An meinem verdammten Elefantenherzen.«

Großmutter Freaks Herz war viel kleiner als das eines Elefanten, aber für ein Menschenherz war es in der Tat ungewöhnlich groß. Ein durchschnittliches Herz wiegt zwischen zweihundertfünfzig und dreihundertfünfzig Gramm und hat in etwa die Größe einer Faust. Das Herz von Annie Freak brachte fast sechshundert Gramm auf die Waage und war so groß wie zwei Fäuste. Sie war überzeugt, dass seine übertriebene Größe die Ursache für alle Dramen war, die sie im Leben hatte ausstehen müssen. Und sie wusste genau, dass von allen Enkelkindern nur Angie diese Anomalie geerbt hatte. Angies Herz war sogar noch einen Tick größer.

»Ich hielt dich im Arm«, fuhr Großmutter Freak fort. »Ich sah dich an, und da strömte es aus mir heraus und in dich hinein. Ich habe dir die Fähigkeit vermacht, alles und jedem zu verzeihen.«

Angie sah auf Großmutter Freak hinunter. Sie sah, wie locker die Ringe ihr am Finger saßen, das Zittern der rechten Hand, die hängenden Augenlider. »Das ist ja … das … das ist ja … so … so w-wundervoll!«, schluchzte Angie und fing zu weinen an.

»Vielleicht hätte ich dir auch noch die Fähigkeit vermachen sollen, nicht ständig loszuheulen«, sagte Großmutter Freak.

Angie galt berechtigterweise als Heulsuse der Familie. Dennoch verletzte sie der Kommentar der Großmutter sehr. »Wie wäre es mit Unsichtbarkeit gewesen?«, fragte sie, ihre Tränen waren abrupt versiegt. »Oder der Fähigkeit zu fliegen? Irgendwas Nützliches?«

»Du warst knallrot. Nicht besonders hübsch, leider. Wie ein gekochter Hummer hast du ausgesehen!«

»Schallgeschwindigkeit?«

»Jeder von euch hat etwas bekommen. Alle fünf.«

»Du hast Kent die Fähigkeit vermacht, sich wie ein Arschloch zu benehmen?«

»Ja. Gewissermaßen. Kent ist immer ein bisschen stärker als sein Gegner. Körperlich, meine ich. Er war bei seiner Geburt so klein, dass ich dachte, er würde sich irgendwie verteidigen müssen … Dass er emotional verkrüppelt ist, ist nicht meine Schuld!«

»Er ist nicht verkrüppelt. Er ist bloß immer so wütend.«

»Lucy kann sich nicht verirren. Abba verliert nie die Hoffnung. Richard meidet die Gefahr. Doch ich hätte nicht gedacht, dass eure Fähigkeiten auf euch lasten würden wie ein Fluch. Sie waren als Segen gemeint. Nie hätte ich gedacht, dass sie euer Leben ruinieren würden.«

»Unser Leben ist ruiniert?«

»Nicht nur das. Die ganze Familie. Unser Name! Aber ich werde die Schuld, den guten Namen der Freaks ruiniert zu haben, auf keinen Fall mit ins Grab nehmen.«

»Ach ja? Wenn du meinst. Klingt vernünftig.«

»Nur deswegen bist du hier, Angie. Du musst sie finden. Trommele sie zusammen und bringe sie her. Am 20. April um exakt 19 Uhr 39 müsst ihr zu fünft in diesem Zimmer sein. Im Augenblick des Todes werde ich den Fluch von euch nehmen.«

»Kannst du meinen nicht sofort wegzaubern? Je früher, desto besser, oder? Immerhin ist es ein Fluch.«

»Sei nicht so vorlaut! Angie, ich habe keine Kontrolle darüber. Ich habe euch diese Fähigkeiten nicht willentlich vermacht und kann sie euch nicht willentlich nehmen. Ich weiß nur, dass mein Herz im Augenblick des Todes, im jetzt oder nie einsehen wird, welchen Schaden der Fluch euch zugefügt hat, und dann wird es ihn aufheben.«

»Verstehe«, sagte Angie. Sie betrachtete ihren Bauch. Sie stützte beide Hände auf die Armlehnen und stemmte sich hoch. Neben dem Telefon auf dem Nachttisch stand ein blauer Plastikkrug. Angie füllte einen Styroporbecher mit Wasser und trank.

»Hast du mich verstanden?«, fragte Großmutter Freak.

»Sogar das Wasser schmeckt nach Kiefernnadeln.«

»Sieh mich an!«

»Hmm?«

»Du hältst mich wohl für verrückt?«

»Nein. Kein bisschen. Das Ganze ist nur so … so unglaublich. Ich brauche einfach nur ein bisschen Zeit, um es sacken zu lassen. Das ist alles.«

»Ich verstehe. Brauchst du Beweise?«

»Danke, nicht nötig.«

»Da drinnen liegt ein Stift«, sagte Großmutter Freak und zeigte auf die Nachttischschublade. »Würdest du ihn mir bitte geben?«

Angie öffnete die Schublade. Sie wühlte darin herum. Unter ein paar Klatschzeitschriften entdeckte sie einen schwarzen Filzstift. Sie reichte ihn der Großmutter. Die zog die Kappe mit den Zähnen ab und spuckte sie aus, so dass sie im hohen Bogen durch die Luft segelte.

Als die Kappe auf dem Fußboden landete, wirkte das Licht im Zimmer plötzlich wie gedimmt. Die Fernseher hatten keinen Empfang mehr. Angie spürte, wie sich die kalten, knochigen Finger der Großmutter um ihr Handgelenk legten. Sie wollte den Arm wegziehen, aber der Griff der Großmutter war eisern. Sie konnte sich nicht daraus befreien.

»Sieh dir die alten Damen an«, sagte die Großmutter.

Angie sah sich um. Die Frau im Bett am Fenster fiel in die Kissen wie entbeint. Die Maschine daneben begann in einem hohen Dauerton zu piepen. Großmutter Freak drückte die Filzstiftspitze auf Angies Unterarm und fing an zu schreiben. Es wurde noch dunkler im Zimmer. Die weißhaarige Frau ein Bett weiter sank in sich zusammen. Eine zweite Maschine verfiel in den jaulenden Dauerton. Eine Krankenschwester kam hereingestürzt. Angie versuchte, die Finger ihrer Großmutter umzubiegen. Es gelang ihr nicht. Großmutter Freak schrieb eine Zahlenfolge auf Angies Haut. Die Dame im Nachbarbett kippte nach hinten weg. Eine dritte Maschine heulte auf. Mehr Krankenschwestern kamen angelaufen.

»Aufhören!«, schrie Angie. »Hör sofort auf!«

Ihre Großmutter hielt den Blick gesenkt und schrieb die letzte Ziffer einer zehnstelligen Zahl auf Angies Arm. Dann erst ließ sie das Handgelenk los. Die Lampen brannten mit voller Kraft. Die Fernseher empfingen wieder ein Signal. Die Maschinen piepten nicht mehr. Die alten Damen setzten sich auf und schauten sich verwirrt und verschreckt um.

»Widersprich den Alten nie, mein Kind.«

»Du Hai!«, schrie Angie und torkelte rückwärts aus Zimmer 4-206 in den Flur hinaus. »Niemals sollst du mein Kind im Arm halten. Du wirst mich nie wiedersehen!«

»Doch, werde ich«, sagte Großmutter Freak. Sie grinste. Und dann fing sie zu lachen an. Sie lachte in dem Tonfall.

Angie schwankte. Sie hielt sich den Bauch und lief, so schnell sie konnte. Sie drehte sich nicht noch einmal um. Aber als sie bei den Aufzügen angekommen war, hatte sie der Großmutter längst verziehen.

NEUNZIG MINUTEN NACHDEM SIE aus dem Krankenzimmer der Großmutter geflohen war, stand Angie im Abflugterminal des Vancouver International Airport in der Damentoilette am Waschbecken und schrubbte sich den Unterarm. Den Flug hatte sie telefonisch gebucht, von der Rückbank des Taxis aus, in das sie vor dem Krankenhaus gesprungen war. Die einzige andere Besucherin der Damentoilette stand vor dem lärmenden Händetrockner. Ihr Hosenanzug war knitterfrei. Ihre Diamantohrstecker funkelten. Sie begaffte Angie verstohlen. Dann schaltete sich der Händetrockner ab. Die Frau warf Angie einen mitleidigen Blick zu und stöckelte auf hohen Riemchensandaletten hinaus.

Angie sah in den Spiegel. Die Vorderseite ihrer weißen Bluse war tropfnass. Ihr Bauchnabel zeichnete sich unter dem Baumwollstoff ab. Die zehnstellige Zahl auf ihrem Unterarm war immer noch vollständig lesbar. Als sie den letzten Aufruf für Flug AC117 nach New York City hörte, drehte sie den Wasserhahn zu, eilte zum Gate und bestieg das Flugzeug.

Auf dem Gangplatz in Reihe achtzehn saß ein dicker Mann. Ein Drittel seines Körpers quoll auf den Nachbarsitz über, und sein Arm hatte bereits die mittlere Armlehne in Beschlag genommen. Er sah nicht auf, als Angie ihre Handtasche im Gepäckfach verstaute. Sie stand für eine Weile im Gang herum, bis er aufstand und sie sich in die Reihe zwängen und auf den Fensterplatz sinken lassen konnte.

Ihre Rache war es, ständig Pipi zu müssen.

Den ersten Ausflug zur Toilette unternahm Angie kurz nach dem Start. Den zweiten etwa zwanzig Minuten später. Als sie vom dritten zurückkam, saß der dicke Mann am Fenster.

»Gewonnen«, sagte er, als Angie sich auf den Gangplatz sinken ließ.

»Danke«, antwortete sie.

Als Angie eine Stunde und vierzig Minuten später zum sechsten Mal auf der Toilette war, sackte das Flugzeug ab. Sie klammerte sich mit der linken Hand am Wasserhahn fest, hielt sich mit der rechten den Bauch und stemmte ihren Hintern gegen die Tür. Das Wasser spritzte auf ihre Bluse und durchnässte sie erneut. Sofort wurde Angie klar, dass Veronica ein unglaublich alberner Name war. Sie versprach Gott und ihrer ungeborenen Tochter, einen besseren zu finden, sollten sie den Flug überleben.

Das Luftloch dehnte sich auf drei lange Sekunden aus. Als das Flugzeug sich gefangen hatte, eilte Angie an ihren Platz zurück und schnallte sich hastig an. Der dicke Mann neben ihr schob die Sichtblende hoch. Beide mussten blinzeln. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sahen sie dichten schwarzen Qualm aus dem rechten Außentriebwerk quellen.

»Keine Sorge, wir haben noch drei andere«, sagte der Mann. Dann rutschte er auf seinem Sitz herum, lehnte sich zurück, faltete die Hände über dem Bauch und schloss die Augen.

»Guten Tag«, schallte es in jovialem Ton aus dem Lautsprecher über Angies Kopf. »Hier spricht Ihr Captain. Also. Wir haben gerade ein … winziges … technisches Problem. Kein Grund zur Sorge, Leute. Dennoch werden wir eine unplanmäßige Zwischenlandung einlegen müssen. Wir werden den … den … Winnipeg James Armstrong Richardson International Airport in fünfzehn bis siebzehn Minuten erreichen. Wir … äh … entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten. Wir schaffen das schon.«

Erst bei Wir schaffen das schon brach Panik aus. Die Passagiere schnappten wie aus einem Mund nach Luft. Angies Atmung wurde flach. Der Aberglaube ergriff Besitz von ihr, und bald war sie überzeugt, sie könnten es wirklich schaffen, solange sie sich nur schnell genug für den richtigen Vornamen entschied. Sarah, Rachel, Jenny, Candi, überlegte Angie verzweifelt. »Vanessa, Abigail, Helen, Franny«, sagte sie laut. Dann wurde sie von dem Druckabfall in der Kabine überwältigt und ihr fielen nur noch willkürliche Wörter ein: »Sellerie, Oboe, Luffa«, murmelte sie, »Garamond, Dekanter, Prosecco, Pilates. Rolex, Evian, Dasani, Periella.«

Das Flugzeug ging in einen besonders steilen Landeanflug. Es kippte nach vorn. Es wippte nach rechts und links. Angie klammerte sich mit beiden Händen an den Armlehnen fest und war überzeugt, sie alle würden einen entsetzlichen Flammentod sterben.

Dann sah sie ihre Unterarme und wusste plötzlich, was zu tun war. Sie löste ihren Sicherheitsgurt und torkelte in den Mittelgang.

»Hinsetzen!«, schrie eine Flugbegleiterin.

»Ich werde uns alle retten!«, schrie Angie zurück.

Die Klappe des Gepäckfachs quietschte, als Angie es öffnete. Sie drückte einen herausrutschenden Koffer zurück, packte ihre Handtasche, setzte sich wieder hin und kramte ihr Handy heraus. Dann wählte Angie die Nummer, die sich nicht hatte abwaschen lassen.

Das Flugzeug ruckelte. In der Leitung fing es zu klingeln an. Die Landebahn kam in Sicht. »Nehmen Sie meine Hand!«, schrie Angie den dicken Mann an. Er öffnete die Augen und sah sie verständnislos an. »Ich bin schwanger und allein und ich habe Angst, und würden Sie jetzt verdammt noch mal meine Hand halten!«

Angie streckte ihre Hand aus, der Sitznachbar griff zu. Er drückte sie fest. Das Telefon klingelte zum vierten Mal. Das Flugzeug neigte sich nach rechts. Einige Passagiere fingen zu kreischen an. Das Telefon klingelte und klingelte, und dann meldete sich jemand.

»Ich mach’s!«, rief Angie. »Ich suche sie. Alle! Ich bringe sie zu dir!«

Die Hinterreifen berührten die Landebahn. Das Flugzeug verlangsamte sich. Die Vorderreifen setzten auf, und die Passagiere applaudierten. Angie atmete aus. Sie bemerkte jetzt erst, mit welcher Kraft sie das Handy und die Hand des dicken Mannes umklammert hielt.

»Ich wusste, du würdest zur Vernunft kommen«, sagte Großmutter Freak.

»Moment. Stopp. Warte. Warte mal. Bevor wir uns auf irgendwas festlegen …«

»Ich an deiner Stelle würde bei Lucy anfangen.«

»Ach, meinst du«, sagte Angie. Sie sah aus dem Fenster und dann auf ihre Hand, die immer noch in der fleischigen Faust des Sitznachbarn steckte. »Wo ich ja ohnehin gerade in Winnipeg bin …«

ANGIE FREAK HATTE TATSÄCHLICH IN EINEM FLUR das Licht der Welt erblickt, und das kam so: Als bei Nicola Freak am 4. Mai 1987 die Wehen einsetzten, fuhr ihr Mann Besnard sie in seinem geliebten rostroten 1947er Maserati ins Krankenhaus. Besnard hatte den Zweisitzer erst drei Tage vor Angies Geburt gekauft. Das Auto eignete sich nicht für den Stadtverkehr. Besnard war noch nicht an die Schaltung gewöhnt und würgte den Wagen auf dem Weg zum Krankenhaus sechs Mal ab.

Zum sechsten Mal ging der Motor mitten in Torontos Innenstadt aus, auf der Kreuzung von College Street und University Avenue. Sie waren dem Krankenhaus so nah, dass Nicola es schon sehen konnte. Sie saß auf dem Beifahrersitz und blickte sehnsüchtig geradeaus. Sie schmachtete das Mount Sinai Hospital an, wie sie ihren Mann schon lange nicht mehr angeschmachtet hatte.

Besnard saß am Steuer und versuchte, den Motor wieder zu starten. Der Hintermann fing zu hupen an, Besnard seufzte. Die bevorstehende Geburt seines vierten Kindes machte ihn kaum noch nervös. Er betrachtete seine Kinder mittlerweile als eine Art Geschlechtskrankheit, als direkte Folge des ehelichen Verkehrs. Zu Hause warteten bereits drei Kinder unter fünf Jahren auf ihn. Er liebte sie alle, und auch dieses Kind würde er lieben. Genau das war sein Problem. Während er sich weiter mit dem Motor abmühte, öffnete seine Frau die Beifahrertür.

Nicola stieg aus dem Maserati und legte die letzten knapp zweihundert Meter zu Fuß zurück. Die Türen der Notaufnahme öffneten sich vollautomatisch. Die diensthabende Schwester ließ alles stehen und liegen und eilte herbei. Nicola wurde auf eine Rolltrage geschnallt und durch die Schwingtüren geschoben, noch bevor Besnard einen Parkplatz gefunden hatte. Nicola schrie, als sie Angies Kopf im Geburtskanal spürte. Es war ihre vierte Entbindung, und sie wusste, das Schlimmste lag so gut wie hinter ihr. Sie hatten den Kreißsaal fast erreicht, als ein Arzt angelaufen kam, die Trage stoppte und Nicola noch im Flur untersuchte.

»Nicht mehr pressen! Stopp!«, sagte er.

»Was reden Sie da?«, schrie Nicola.

»Hören Sie sofort zu pressen auf!«, sagte der Arzt bestimmt. Er sah ihr tief in die Augen und nahm ihre Hand, was Nicola nie vergessen würde. Sie hörte zu pressen auf. Sie atmete so flach wie möglich. Weil sie ganz auf ihre Atmung konzentriert war, bemerkte sie nicht, wie totenstill es ringsum geworden war.

»Darf ich jetzt pressen?«

»Nein«, antwortete der Arzt. »Die Nabelschnur hat sich um den Hals Ihres Babys gewickelt.«

Nicola knirschte mit den Zähnen. Sie presste nicht. Der Druck in ihrem Kopf stieg an, bis sie Nasenbluten bekam.

»Ich hab’s gleich«, sagte der Arzt.

»Mein verdammter Kopf platzt, verdammt!«

»Geschafft!«

»Jetzt?«

»Jetzt!«

Die Nabelschnur war abgewickelt, Nicola presste, und Angie Freak wurde, im buchstäblichen Sinn, in die Welt geworfen.