Gefangene der Welten - Hazel McNellis - E-Book

Gefangene der Welten E-Book

Hazel McNellis

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Beschreibung

Überrascht von einem Unwetter, finden Sydney und Jack Unterschlupf in einer verlassenen Hütte. Sie sind im Wald und keiner von ihnen weiß, was die merkwürdige Erscheinung zwischen den Bäumen, ein silbrig schimmernder Schleier, zu bedeuten hat. Damian Ramsey, zukünftiger Herrscher der Bakram, vermag ihnen Antworten zu geben. Dumm nur, dass er nicht von dieser Welt zu sein scheint und seine ganz eigenen Ziele verfolgt. Er entführt Sydney durch das Portal - den Schleier - in seine Welt. Denn sie ist die Auserwählte. Diejenige, die seinem Land den ersehnten Frieden bringen wird. Aber er hat seine Planung ohne seine Braut wider Willen gemacht, denn diese sieht gar nicht ein, warum ausgerechnet sie bei dieser Spinnerei mitmachen soll. Unversehens sieht sich Sydney nicht nur mit einem fantastischen Abenteuer konfrontiert, sondern vielmehr mit einer sinnlichen Herausforderung, dessen Ausgang nichts Geringeres als ihr zukünftiges Schicksal bestimmt. "Gefangene der Welten" ist der Auftakt zur Weltentrilogie: Eine Trilogie rund um Sydney und Damian. Zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind und in deren Händen nichts Geringeres als das Schicksal der Welten ruht.

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Seitenzahl: 460

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Hazel McNellis

Gefangene der Welten

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Prolog

Teil 1 – Ankunft

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Teil 2 – Die Auserwählte

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

Teil 3 – Finsternis

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

Epilog

Leseprobe aus „Magie der Welten“ (Weltentrilogie, Band 2)

Impressum neobooks

Widmung

Dieses Buch möchte ich den zwei bedeutendsten Menschen in meinem Leben widmen:

Meiner Mama, von der ich die Liebe zu Geschichten habe und deren Glauben an mein Talent stets unerschütterlich war & René, dem Mann, der stets an meiner Seite ist und der mir die Macht der Liebe vor Augen geführt hat. Ich liebe euch.

Prolog

Ihr Mann.

Die Klauen des Entsetzens griffen nach ihr. Sydney schluckte. Ihr Mund war trocken. Damian bewegte sich auf sie zu und der Abstand zwischen ihnen wurde kleiner.

Sie unterdrückte einen Hilfeschrei. Es würde sie ja doch niemand hören. Und wenn, so würde ihr kaum jemand helfen.

Unmöglich konnte sie zulassen, dass dieser Mann ihre Zukunft und damit ihr ganzes Leben ruinierte.

Teil 1 – Ankunft

1.

Jack gähnte. Wieder war die Nacht zu kurz gewesen. Alpträume quälten ihn, raubten ihm seit drei Nächten den Schlaf und jede Nacht war es derselbe Traum. Wie sollte er da noch arbeitsfähig sein? Ganz zu schweigen von seiner Beziehung zu Sydney. Das Gefühl, der Beziehung kaum gerecht werden zu können, wenn er derart übermüdet war, drängte sich ihm auf. Bisher hatte er kein Wort verlauten lassen. Darüber, dass sie ihm entrissen wurde, die grünen Augen schreckgeweitet, und ihr Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen.

Kopfschüttelnd versuchte er, die Erinnerungen abzuschütteln. Er wollte den Tag nicht damit verbringen, Traumgespinsten hinterher zuhängen.

Den Gedanken folgend, griff Jack nach seiner Sporttasche und legte eine Decke mit hinein, bevor er den Reißverschluss zuzog und das Haus verließ.

Am Waldrand wartete Sydney auf ihn. Ein warmes Lächeln ließ ihr Gesicht leuchten. „Da bist du ja!“ Sie kam ihm entgegen und legte ihre Arme um seinen Hals, ehe sie ihre Lippen auf seinen Mund drückte. „Warum hat es so lange gedauert?“

Jack ergriff ihre Hand und gemeinsam setzten sie sich in Richtung des Waldes in Bewegung. „Hab‘ schlecht geschlafen.“ – „Alpträume?“ Er nickte. Er erwartete, dass sie nachfragen würde, um den Inhalt seiner Träume unbedingt herauszufinden. Doch sie schwieg. Einem Pfad folgend, gingen sie in den Wald hinein. Das Laub der blühenden Baumkronen warf tanzende Flecken auf den Boden und raschelte leise im Wind.

„Ich kann’s kaum erwarten, dir die Lichtung zu zeigen“, wechselte Sydney das Thema.

Jack lernte Sydney eher zufällig während ihres Studiums kennen. Er stand an der Essensausgabe der Mensa hinter ihr, als ihr das Geld hinunterfiel. Sofort hatte er ihr geholfen, die verstreuten Münzen einzusammeln. Er erinnerte sich gut daran, wie ihre Augen zu ihm aufgesehen hatten: Groß, unschuldig und grün schimmernd wie zwei Smaragde.

Er verliebte sich Hals über Kopf in sie.

Jetzt, wenige Monate später, war er neugierig, was sie ihm so dringend zu zeigen wünschte. Viel gesagt hatte sie nicht am Telefon. Nur, dass sie ihm etwas zeigen müsse. Die Decke und die Snacks waren sein Einfall gewesen.

„Wie weit ist es denn bis zu dieser Lichtung?“ Er unterdrückte ein Gähnen. Vielleicht konnte er die Decke dazu nutzen, Schlaf nachzuholen, wenn sie dort waren, überlegte er.

„So weit ist es nicht.“ Verschwörerisch blitzte sie ihn an und Jacks Mundwinkel hoben sich.

Sie erreichten die Lichtung eine Viertelstunde später. Eine Hütte stand mittendrin und ein Rabe krähte von einem Ast herab. Nicht sicher, was Sydney in Aufregung versetzte, runzelte Jack die Stirn. Ein Gefühl des Unwohlseins beschlich ihn. Als wollte die Sonne seine Gefühle bekräftigen, versteckte sie sich hinter sich bedrohlich auftürmenden Quellwolken. Sicherlich würde es bald anfangen zu regnen. Im Wald war Ihnen das Wetter nicht aufgefallen. Die Bäume hatten zu dicht beieinander gestanden, als dass man einen Blick auf den Himmel hätte werfen können. Der Wetterumschwung beunruhigte Jack.

Er räusperte sich. „Du hast Recht. Die Lichtung ist klasse… Total spannend!“ Er zwinkerte Sydney zu und beobachtete, wie sie ihre großen Augen gen Himmel richtete.

„Das hier doch nicht! Man sieht es nicht von hier! Komm‘ mit!“ Entschlossen zog sie an seiner Hand.

Vor Aufregung klopfte Sydneys Herz wie wild. Eine Gänsehaut beschlich ihre Arme und ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen. Am Nachmittag zuvor hatte sie dasselbe Gefühl gehabt. Sie führte Jack über die Lichtung und an der Hütte vorbei, tiefer in den Wald hinein.

Plötzlich blieb sie stehen.

Jack warf einen Blick zurück über die Schulter. Er konnte die Hütte schwach hinter den Bäumen ausmachen.

„Sieh genau hin!“ forderte Sydney ihn auf und deutete auf die Bäume vor ihm. Er hatte keine Ahnung, was er dort sehen sollte. Doch aufgrund der Eindringlichkeit ihrer Worte, kniff er seine Augen zusammen und sah hin.

Zunächst hielt er es für eine optische Täuschung aufgrund des Lichteinfalls. Doch als er erneut hinsah, schnappte er nach Luft und starrte Sydney an.

„Was ist das?“ –

„Ich weiß es nicht. Ich war gestern hier vorbeigekommen, als ich spazieren war, und da schimmerte es silbern. Deshalb hatte ich die Lichtung überhaupt erst überquert.“ Die Anspannung ließ ihre Stimme zittern. „Normalerweise laufe ich nicht so weit in den Wald hinein. Aber immer dieselbe Strecke zu sehen wird mit der Zeit auch langweilig…“ Jack warf ihr einen Blick zu und sie fuhr fort: „Ich glaube, es ist eine Art Wand. Ich habe mich gestern nicht getraut, es anzufassen, aber als ich näherkam, verblasste es immer mehr bis es kaum noch auszumachen war. So wie jetzt.“

Jack schluckte. Die Bäume vor ihnen lagen hinter einem dünnen Schleier. Ihre Umrisse waren verschwommen. Erst, wenn man wirklich hinsah, konnte man erkennen, dass die Bäume von sanften Wellen in Bewegung versetzt wurden.

„Glaubst du, es ist gefährlich?“ Sydneys Stimme war gesenkt und sie flüsterte fast. Ob aus Angst oder aus Ehrfurcht vermochte Jack nicht zu sagen. Er hob einen Zweig vom Boden auf und trat auf den Schleier zu.

„Pass auf!“ Ängstlich umklammerte Sydney seine Hand. Jack streckte die Hand mit dem Zweig aus. Die Spitze des Zweiges berührte den Schleier nicht, als sich der Zweig und die Wand gegenseitig anzuziehen schienen. Jack spürte einen leichten Druck, so als würde jemand am anderen Ende des Zweiges ziehen. Der Schleier wölbte sich dem Zweig entgegen und als es zur Berührung kam, führten Wellen vom Zweig weg. Die Zweigspitze durchdrang den Schleier wie eine Wasseroberfläche. Weiter geschah nichts. Der Zweig blieb vollkommen unbeeinflusst.

Ob ein Mensch auch so einfach hindurchgehen kann, ging es ihm durch den Kopf. Der Wald setzte sich auf der anderen Seite der Wand wie gewohnt fort. Er ließ den Zweig fallen und streckte seine Finger der Wand entgegen.

„Nicht! Was, wenn etwas passiert!“ Sydney riss seine Hand zurück und starrte ihn unsicher an.

„Ich glaube nicht, dass etwas passiert. Es scheint völlig harmlos zu sein!“

Ihr Blick gewann an Intensität und brannte sich in seinen. „Bitte riskier‘ nichts! Wir wissen doch überhaupt nichts über dieses Ding. Woher willst du dir so sicher sein, dass dir nichts zustößt?“

Jack dachte kurz nach. „Ich spüre es.“ Selbst in seinen Ohren klang es irrational und unglaubwürdig. Vielleicht sprach seine Übermüdung aus ihm, überlegte er weiter. Vielleicht glaubte er, sich sicher zu sein und wäre es im ausgeschlafenen Zustand nicht. Er rieb sich mit der Hand über die Stirn und schloss die Augen. Er bekam Kopfschmerzen. Es stand außer Frage, dass er eine Menge Schlaf benötigte.

„Vielleicht hast du Recht. Vielleicht sollten wir gehen und nicht weiter darüber nachdenken.“ Erleichterung zeichnete sich in Sydneys Gesicht ab.

Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel, nur schwach zunächst, doch schon bald prasselte der Regen laut auf sie nieder. Jack wandte den Blick zur Hütte. „Lass uns nachsehen, ob die Tür zur Hütte unverschlossen ist.“

Als sie die Hütte erreichten, war ihre Kleidung durchnässt. Zitternd schlang Sydney die Arme um sich. Jack packte den rostigen Türgriff und drückte die Klinke herunter. Leise knarrend öffnete sie sich und sie traten schnell ein.

Durch die verdreckten Fenster fiel wenig Licht in den Raum. Sie konnten einen Tisch und zwei Stühle ausmachen, sowie einen Kamin, der in die gegenüberliegende Wand eingelassen war, und an dem ein rostiger Schürhaken lehnte. Jack trat einen Schritt vor. „Anscheinend ist die Hütte vor langer Zeit verlassen worden.“

Sydney verzog das Gesicht zu einer Grimasse angesichts des Drecks.

„Ich schau nach, ob es Feuerholz gibt. Wir könnten den Regen abwarten und uns am Feuer trocknen.“ Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und sah sich um.

„Wie romantisch.“ Sydney folgte ihm und der Gedanke mit Jack an einem Kaminfeuer zu sitzen, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie kniete sich neben Jack und beobachtete, wie er ein Feuerzeug aus seiner Tasche zog, um ein paar dünnere Zweige in Brand zu setzen, ehe er ein dickeres Holzscheit obenauf legte und mit dem Schürhaken in der Glut herumstocherte.

„Magst du ein Tunfisch-Sandwich?“

„Ja, gerne.“

Jack kramte in seiner Sporttasche und beförderte neben Sandwiches eine Kanne Tee hervor.

Der Regen prasselte gegen die Fenster und dumpfes Donnergrollen kündigte ein Gewitter an.

„Was machen wir, wenn es nicht aufhört zu regnen?“

Sydney warf Jack einen Blick zu. Dieser blinzelte und erwiderte: „Ich würde sagen, wir können nach Hause gehen und eine Lungenentzündung riskieren oder wir warten ab bis sich das Unwetter verzogen hat. Bis morgen früh hat es sich bestimmt etwas beruhigt; vielleicht ja noch heute Abend.“

„Es gibt hier aber kein Bett.“

Zeugte die Röte auf ihren Wangen von der Wärme des Feuers? Oder von etwas anderem? Jack räusperte sich.

„Naja, wir könnten vor dem Kamin schlafen.“

Sein Blick suchte ihren. Ihre Begegnungen gingen bisher nicht über das Küssen und einzelnen schüchternen Berührungen hinaus. Sie waren nun seit einem Monat ein Paar und Jack respektierte Sydneys Wunsch, es langsam angehen zu lassen. Doch es lag ein Knistern in der Luft, das keineswegs vom Feuer verursacht wurde. Sydney senkte den Blick. Ihre Zunge fuhr über ihre Lippen und als sie den Blick wieder hob, zögerte Jack nur eine Sekunde. Er beugte sich vor und seine Lippen umschlossen sanft ihre. Als Sydney seinen Kuss zaghaft erwiderte, stöhnte Jack leise. Ihr beider Atem ging schwer, als er sie erneut küsste – hungriger und leidenschaftlicher – und gemeinsam sanken sie zu Boden.

Ein leises Rascheln an der Tür lenkte Sydney ab. Sie verspannte sich.

„Was ist los?“

Jack hatte nichts gehört.

„Ein Geräusch. Bei der Tür.“

Sie warf den Blick auf die Tür, sah aber nichts. Jack unternahm den Versuch, sie zu beruhigen.

„Das war bestimmt nichts.“

Er strich ihr über die Wange und wollte den Kuss nur zu gern fortsetzen. Ihre Lippen glänzten noch feucht und Jack neigte sich vor, wurde jedoch sofort von Sydney sanft zur Seite geschoben, damit sie sich aufsetzen konnte. Jack seufzte.

„Hier ist doch nichts; nur Spinnweben und Staubflocken.“

Seine Worte bekräftigend, wandte er sich um und warf einen Blick in den Raum; seine Enttäuschung hinter einer Fassade des Verständnisses verbergend.

„Ich habe aber etwas gehört.“

Sydney zweifelte nicht eine Sekunde an ihrem Gehör. Allerdings musste sie zugeben, dass es nichts Außergewöhnliches zu sehen gab. Sie waren allein. Schließlich wandte sie sich wieder dem Feuer und Jack zu. Er blickte ins Feuer und Sydney konnte seine Enttäuschung über die Unterbrechung deutlich spüren.

„Es tut mir leid. Ich wollte nicht die Stimmung verderben.“

Jack schwieg einen Moment und als er sich ihr zuwandte, lächelte er wieder.

„Ist nicht so schlimm. Weißt du, ich bin total übermüdet. Wir sollten besser schlafen.“ Er gähnte und warf einen Blick zum Fenster. „Es sieht nicht danach aus, als würde das Gewitter bald abziehen. Und im Dunkeln finden wir den Weg in die Stadt sowieso nicht zurück.“ Sydney nickte.

Jack breitete die Decke aus und sie versuchten, es sich mit der Sporttasche als Kissen möglichst bequem zu machen. Seinen Arm um ihre Taille legend, schlief Jack ein, kaum dass sein Kopf die Tasche berührte. Sydney starrte dagegen noch eine ganze Weile in die Flammen und beobachtete wie das Feuer schwächer wurde. Sie konnte unmöglich an diesem Ort schlafen; selbst wenn sie es versucht hätte. Es war unheimlich und das Geräusch, das sie gehört hatte, hinterließ ein Gefühl der Beklemmung in ihrem Brustkorb. Eigentlich war sie nicht der Typ Frau, der schnell in Panik verfiel. Allerdings hatte sie auch nie ein derartiges Phänomen wie das dieser Wand mitten im Wald gesehen. Es hatte den Anschein, als wäre dieser Schleier auf eigenartige Weise durchlässig. Aber wozu, fragte sie sich. Was konnte diese Wand sein? Woher kam sie? Und wer wusste außer ihnen noch davon?

Es knackte im Kamin und der letzte Funke des Feuers glomm auf, bevor die Finsternis sie umhüllte. Jack begann leise zu schnarchen. Sydney schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Langsam begann sie im Geist Schafe zu zählen. Das würde ihr helfen schneller einzuschlafen.

Sie erreichte eben das sechzehnte Schaf, als das eigenartige Geräusch erneut ertönte. Sofort schlug Sydney die Augen auf. Nervös starrte sie in die Dunkelheit zu ihren Füßen. Der Drang, Jack aufzuwecken, war groß. Doch sie unterdrückte das Bedürfnis. Sie durfte ihn jetzt nicht aufwecken. Aber was konnte dieses Geräusch verursacht haben? Ob es Waschbären in dieser Gegend gab? Vielleicht war einer angelockt worden von ihren Sandwiches. Oder eine Ratte? Abscheu ließ sie das Gesicht verziehen und eine Gänsehaut kroch ihr über die Arme. Der Gedanke, wie eines dieser widerlichen Tiere anfing, an ihnen zu knabbern, während sie beide schliefen, erfüllte sie mit Entsetzen.

Wieder raschelte es. Es klang fast wie ein Schlurfen und ihr kam der Gedanke an einen Bären. Den hätte sie doch aber eindeutig gehört? Sydney setzte sich auf. Jack schlief tief und fest und bekam nicht mit, wie sie sich vorsichtig hinhockte und die Augen zusammenkniff, um besser sehen zu können. Es war bereits am Nachmittag düster gewesen, doch jetzt, als draußen tiefschwarze Nacht über dem Wald lag, herrschte absolute Schwärze im Raum. Ihr brach der Schweiß aus. Was sollte sie tun, wenn doch ein wildes Tier es geschafft hatte, hereinzukommen? Jeder Muskel in ihr war angespannt, doch bohrender Zweifel und Unsicherheit hielten sie zurück. Sie hatte schon einmal die romantische Stimmung verdorben. Womöglich wäre er sauer auf sie und würde ihr keine Hilfe sein. Nein, wecken konnte sie ihn nicht. Außerdem war er übermüdet; er brauchte den Schlaf. Und wenn es nur eine Maus war, die sich verirrt hatte? Dann war es umso lächerlicher, wenn sie ihn wecken würde.

Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, griff Sydney um sich. Sie bekam das Ende des Schürhakens zu fassen. Falls es ein größeres Tier war, so wollte sie dem nicht schutzlos gegenüberstehen. Beide Hände fest um den Griff des Schürhakens geschlungen, starrte sie in die Finsternis. Der Mond warf einen schwachen Lichtschein auf den Tisch und Sydney zweifelte bereits, ob sie sich nicht doch geirrt hatte, als plötzlich ein Schatten den sanften Mondschimmer unterbrach.

Entsetzt schnappte sie nach Luft. Was auch immer in diesem Raum war: Es war riesig. Die Nerven bis aufs äußerste gespannt, verharrte Sydney in ihrer Position und hielt den Atem an. Was zur Hölle war das? Ihr kam erneut der Gedanke eines Bären. Doch wie sollte er hineingekommen sein? Vor allem: Müsste sie ihn nicht atmen hören? Stattdessen war kein Ton zu hören. Nur ihr Blut, das mit rasender Geschwindigkeit durch ihre Adern floss, rauschte ihr in den Ohren.

„Jack!“

Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. Ihr Mund fühlte sich trocken an und ihre Zunge war belegt. Sie schluckte hart. Natürlich konnte Jack sie nicht hören. Er schlief zu fest. Sie streckte die Hand nach ihm aus und rüttelte ihn an der Schulter.

„Jack!“, flüsterte sie erneut. Ihr brach der Schweiß aus.

Jack gab ein leises Grunzen von sich, schlief jedoch ungestört weiter.

Was sollte sie nun tun? Allen Mut zusammennehmend, verstärkte sie den Griff um den Schürhaken. Ein letztes Mal, versuchte sie Jack zu wecken. Sie rüttelte diesmal stärker an seiner Schulter. Er rührte sich und stöhnte leise.

„Was’n los?“, murrte er.

„Jack! Hier ist etwas!“, raunte sie atemlos, ohne die Schatten vor sich außer Acht zu lassen.

„Schlaf‘ lieber! Da ist doch nichts“, murrte Jack unwillig und drehte ihr den Rücken zu.

Die Übermüdung sprach aus ihm, entschied Sydney.

„Aber ich hab es gesehen!“, flüsterte sie und schüttelte ihn erneut.

„Verdammt, Sydney, was soll denn da sein?“, fuhr Jack sie müde an und setzte sich auf. „Ich sehe hier nichts“, stellte er schließlich fest und wollte sich bereits wieder hinlegen, als alles sehr schnell ging.

Das Tier stieß gegen ihren Fuß und Sydney schrie entsetzt auf. Der Schürhaken fuhr durch die Luft und schlug hart gegen den Kamin. Der Schmerz über den Aufprall strahlte bis in ihre Schulter hinauf. Sie stöhnte leise und hielt sich automatisch den Arm.

„Was tust du?“, fragte Jack erschrocken.

Nun saß er doch und es war ihm anzumerken, dass Sydneys irrationales Verhalten ihn beunruhigte.

„Es hat mich berührt, verdammt!“, zischte Sydney. Jack begann in seiner Tasche zu kramen. „Wonach suchst du?“, wollte sie leise wissen, als Jack das Feuerzeug entzündete. Er erhob sich und Sydney tat es ihm gleich. Sie konnten kaum etwas erkennen. Und dennoch… Die Finsternis im Raum war zu schwarz, um gewöhnlich zu sein. Jack streckte den Arm aus und das Licht der Flamme traf auf den Eindringling.

Entsetzt stolperte Sydney einen Schritt zurück, als das Biest Jack zur Seite stieß und ihren Arm packte.

Und plötzlich war es ihr klar. Hier war kein Tier. Kein Bär, keine Ratte, kein Monster. Es war ein Mensch. Ein Mensch aus Fleisch und Blut und größer, als sie es sich vorstellen konnte. Sie wollte schreien. Doch noch ehe sie einen Ton von sich geben konnte, zerrte man sie gegen einen harten Körper und eine raue, schwielige Hand presste sich gegen ihren Mund. Sydney trat mit den Füßen um sich und versuchte, sich loszureißen.

„Sydney!“

Jack wollte ihr helfen, doch der Stoß, den man ihm mit solcher Wucht versetzt hatte, hatte ihm eine Platzwunde am Kopf beschert. Vor seinem Auge verschwamm alles, er taumelte. Er war sich sicher, wäre es nicht so dunkel um sie herum, würde er schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen sehen. Kopfschüttelnd versuchte er Sydney zu Hilfe zu eilen. Er stützte sich an der Wand hinter sich ab und trat einen Schritt vor, bereit dem Angreifer entgegenzutreten, als seine Beine zitternd ihren Dienst versagten. „Verdammt“, nuschelte er schwach, ehe er ohnmächtig zusammensackte.

Sydney schlug derweil mit dem Schürhaken um sich und traf ihren Angreifer am Bein. Er grunzte und zerrte Sydney nach draußen. Er entwand ihr den Haken und warf ihn achtlos ins nasse Gras, wo er mit einem leisen, dumpfen Geräusch aufschlug. Ein Tritt traf ihn am Bein und seine Hand auf ihren Mund lockerte sich. Es gelang ihr, ihre Zähne in seine Finger zu versenken. Augenblicklich riss ihr Angreifer seine Hand los und sie schrie: „JACK! Hilfe!“

Der Mann reagierte sofort und versetzte ihr einen Stoß, der sie nach vorne ins nasse Gras fallen ließ. Der Stoß trieb ihr alle Luft aus den Lungen und noch ehe sie zu einem erneuten Hilferuf ansetzen konnte, war er über ihr. Ein Griff in ihre Haare und er zog sie zu sich hoch. Sydney stöhnte vor Schmerz.

„Schweig, dummes Weib!“

Seine raue Stimme war zu einem tiefen Knurren herabgesenkt. Sie jagte ihr einen Schauer über den Rücken und Sydney erstarrte. Ein kräftiger Arm schlang sich um sie und ihr Angreifer knebelte sie mit einem Seil. Anschließend band er ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken zusammen. Derart verschnürt, zog er sie mit sich in den Wald hinein. Was sollte sie tun? Sie hatte schon oft die Artikel in der Zeitung gelesen, in denen Mädchen und junge Frauen spurlos verschwanden. Man fand sie kurze Zeit später im Wald. Vergewaltigt und mausetot. Vielleicht sollte es ihr nun auch so ergehen? Sie hoffte, nein, sie betete, dass dem nicht so war.

Sie erreichten den Waldrand und traten in die Schatten der Bäume. Der Mondschein schaffte es kaum, die Baumkronen zu durchdringen. Der Mann an ihrer Seite schien sich – im Gegensatz zu ihr – mühelos zurechtzufinden. Plötzlich blieb er stehen.

Ihr Arm kribbelte und Sydney kam sich vor wie in einem Schraubstock. Da ihr Entführer sich zu einer Pause entschlossen hatte, nutzte sie die Gelegenheit. Sie trat ihm auf den Fuß und entriss ihm den Arm. Sydney rannte los und hörte den Mann einen Fluch ausstoßen, ehe er die Verfolgung aufnahm. Hastig versuchte sie, sich zurechtzufinden. Dunkelheit verschluckte sie und mehrfach stießen ihre Schultern gegen einen Baum. Ihr Atem entwich stoßweise ihren Lungen und war das einzige Geräusch um sie herum. Ein spitzer Ast schlug ihr gegen das Gesicht und augenblicklich spürte sie das warme Blut ihre Wange hinabrinnen.

Sie würde nicht weit kommen.

Als sie einen dicken Baumstamm erreichte, zögerte sie nicht lange und versteckte sich. Vorsichtig rutschte sie entlang der Rinde zu Boden und kauerte sich hin. Ihre einzige Chance dem Fremden zu entwischen, bestand darin, keinen Ton von sich zu geben. In dieser Finsternis konnte er sie unmöglich finden, wenn sie nur still wäre! Sydney schloss ihre Augen. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle hoch. Inständig hoffte sie, der Fremde würde wieder verschwinden und nach ihrer Flucht aufgegeben haben.

Nach einer Weile normalisierten sich ihr Herzschlag und ihre Atmung wieder. Zitternd schluckte sie und wagte einen Blick hinter den Stamm. Ein oranger Lichtschein fiel auf einen Baum in ihrer Nähe und gedämpfter Hufschlag drang zu ihr vor. Entsetzen brandete in ihr hoch. Was sollte sie nur tun? Sie presste sich enger an den Baum und wagte einen zweiten Blick.

Der Mann blickte suchend umher.

Sein dichtes schwarzes Haar war zu einem losen Zopf gebunden. Dunkle Augen schimmerten im Licht der Fackel wie schwarze Opale. Seine muskulösen Beine steckten in einer erdfarbenen Wildlederhose und sein nicht minder muskulöser Oberkörper wurde von einem feinen weißen Hemd bedeckt. Die Ärmel waren aufgerollt und am Kragen stand der oberste Hemdknopf offen. Schwarze Schaftstiefel dirigierten das elegante Pferd unter ihm, welches ebenso schwarz wie die Haare seines Reiters war.

Sydney starrte ihn an.

Dieser Mann strahlte eine Arroganz und Stärke aus, die ihr jäh die Sprache verschlug. Solch einen Mann hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bei seinem Anblick und das durchaus nicht nur aus Angst, wie sie schockiert feststellte. Dieser Mann wollte sie vermutlich umbringen oder ihr sonstige unaussprechliche Gräueltaten antun! Wie konnte sie da seine Erscheinung bewundern! Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt angesichts ihrer Reaktion auf ihn.

Sie zog sich zurück und presste ihren Rücken gegen die feuchte Rinde des Baumes.

Damian starrte in die Nacht. Seine Fackel warf flackernde Schatten auf die Bäume, die ihn umgaben. Er war sich sicher: Sie war in der Nähe. Er konnte ihre Furcht fast körperlich spüren.

Lan’tash hatte recht. Es war so vorherbestimmt, dass er sie ehelichte. Er hatte es mit einer leidenschaftlichen Wildkatze zu tun und nicht mit einem verängstigten Rehkitz. Sie würde die Richtige sein.

Er hob die Fackel höher und suchte die Umgebung ab.

Ihre Handflächen schwitzten. Warum ritt er nicht weiter? Es kam ihr vor, als stünde er bereits eine Ewigkeit auf der anderen Seite. Hatte er sie entdeckt? Schnell vergewisserte sich Sydney, dass sie vollkommen hinter dem Baumstamm verborgen war. Wusste er, dass sie hier war? Hatte er sie trotz der Dunkelheit sehen können? Angst kroch ihre Wirbelsäule hoch und hinterließ ein Prickeln in ihrem Nacken. Sie hörte, wie sich das Pferd langsam entfernte und stieß zitternd den Atem aus. Kein Ton war mehr zu hören und Sydney beschloss, nicht länger zu warten. Sie schob sich am Stamm hoch und trat hinter dem Baum vor. Stille umfing sie. Ihr kam der Gedanke, dass sie sich in der Finsternis leicht verlaufen konnte. Doch noch ehe sich dieser Gedanke in ihrem Gehirn festsetzen konnte, lief sie los. Der vom Regen aufgeweichte Boden ließ sie über Wurzeln und Äste stolpern. Nur mit Mühe ließen sich Ausrutscher vermeiden. Lief sie überhaupt in die richtige Richtung? Die Morgenstunde lag in weiter Ferne, sodass sie nicht darauf hoffte, dass sich die Lichtverhältnisse in naher Zukunft bessern würden. Keuchend stolperte sie vorwärts.

Hätte sie die Hütte nicht längst erreichen müssen? Sydney runzelte die Stirn und blieb stehen. Hatte sie sich verirrt? Ein Schluchzen stieg in ihr auf und in ihrem Hals machte sich ein Gefühl der Enge breit. Sie konnte überall in diesem vermaledeiten Wald stecken!

Nicht aufgeben, Syd’! Es ist noch nichts verloren!, versuchte sie sich zu beruhigen.

Ihre Schultern schmerzten und das raue Seil scheuerte in ihre Haut. Es schadete sicher nicht, wenn sie sich kurz ausruhte. Sydney trat an einem Baum heran. Ächzend ließ sie sich an der Rinde herabsinken und zog die Knie an, um ihr Kinn darauf abzustützen. Der Schmerz in ihren Schultern wurde schier unerträglich und jeder Versuch, die Fesseln zu lösen oder gar zu lockern, war zum Scheitern verurteilt. Sie stöhnte leise und schloss die Augen einen Augenblick.

Ein leises Geräusch drang an ihr Ohr.

Sie musste eingeschlafen sein. Die Sonne war aufgegangen und ihre warmen Strahlen drangen durch ihre geschlossenen Augenlider.

Sydney war noch benommen vom Schlaf und blinzelte müde gegen das Licht an. Zu spät registrierte sie, dass der Lichtschein auf ihrem Gesicht von einer Fackel verursacht wurde, deren Feuerschein sie blendete.

Es war der Fremde.

Er streckte seinen Arm aus und zog sie hoch. Der Schmerz in ihrer Schulter explodierte und Sydney schrie auf. Tränen der Wut, Angst und des Schmerzes traten ihr in die Augen. Sie war verloren. Wie hatte sie nur einschlafen können?

Dumme Gans!, schimpfte sie sich.

Beim Klang ihres Schreis lockerte Damian seinen Griff um ihren Arm und zog sie zu sich heran. Mit einer fließenden Bewegung warf er sie wie einen Sack Kartoffeln über seine Schulter und schlang seinen freien Arm um ihre Beine. Seine Hand legte sich verstörend warm auf ihren Oberschenkel.

Sydney wand sich. Jeder seiner Schritte presste ihr die Luft aus den Lungen. Wenn sie sich doch nur mit den Händen abstützen könnte! Die gefesselten Hände lieferten sie seiner Grobheit auf Gedeih und Verderb aus. Sie war kein Mensch, mit dem man so umspringen konnte!

Damian erreichte sein Pferd.

Das leise Schnauben ließ Sydney erstarren. Dieser Augenblick bot ihr die letzte Möglichkeit zum Entkommen. Entschlossen trat sie um sich und warf sich auf seiner Schulter herum.

Damian geriet kurz aus dem Gleichgewicht. Diese kleine Hexe war fuchsteufelswild und zerrte an seinen Nerven. Er warf die Fackel eine Armeslänge von sich auf die Erde und ließ Sydney von seiner Schulter gleiten. Die Rundungen, die dabei an seinem Oberkörper entlang glitten, blieben ihm dabei keineswegs verborgen. Sie erinnerten ihn einmal mehr daran, dass diese Wildkatze seine Braut war.

Sydney versuchte den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern, doch Damian hielt ihren Arm umfangen. Wütend blitzte sie ihn an und stille Faszination ließ sie ihr Urteil über die Farbe seiner Augen revidieren. Dunkel, wie flüssige Schokolade, funkelte er sie an; eine deutliche Warnung lag in seinem Blick. Sydney schluckte.

Damian löste seine Hand von ihrem Arm, um auf das Pferd zu steigen, und Sydney reagierte. Es war ihr einerlei, dass er ein Pferd hatte. Die Hauptsache war, dass sie überhaupt fliehen konnte.

Damian sah ihr nach. Ein verschlagenes Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er trieb Schara’k an. Schnaubend fiel das Pferd in einen sauberen Trab. Trotz der nächtlichen Dunkelheit war jeder Schritt sicher gesetzt; zu oft war er mit Schara‘k diese Wege geritten.

Sydney konnte ihr Glück kaum fassen. Sie stolperte auf die Lichtung und erblickte die Silhouette der Hütte vor sich. Sie rannte los. Ihre einzige Chance war es, die Tür zu erreichen und zu Jack zu gelangen, damit er ihr helfen konnte. Sie hatte zuvor nicht den Eindruck gehabt, dass es ihm gut ging.

Zwanzig Meter trennten sie von ihrer Rettung. Hinter sich hörte sie das Donnern der Hufe. Jeder Atemzug brannte in ihren Lungen und die Angst, es nicht zu schaffen, machte sie schier verrückt.

Zehn Meter.

Fünf.

Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper, der ihr die Luft zum Atmen nahm. Damian zügelte sein Pferd, zog sie bäuchlings vor sich auf den Sattel und ließ Schara’k wenden. Strähnen ihres langen Haares hingen ihr ins Gesicht und mit neuem Entsetzen sah Sydney, wie die Hütte aus ihrem Blickfeld entschwand.

Die Bäume rauschten an ihr vorbei. Der Fremde sprach kein Wort. Geschickt lenkte er das Pferd zwischen die Bäume hindurch. Ganz so, als wüsste er auch blind den Weg.

Sydney war verwirrt. Wer war er? Was wollte er?

Sie richtete den Blick nach vorne, vorbei an dem mächtigen Pferdehals, und der Atem stockte ihr. Was ging hier vor? Der Fremde ritt mit ihr auf den Schleier zu, den sie mit Jack untersucht hatte. Ängstlich kniff sie ihre Augen zu.

Eiseskälte durchströmte ihren Körper und das Pferd zitterte, als wollte es etwas abschütteln. Sie öffnete ihre Augen und sah, dass der Morgen dämmerte. Erste Sonnenstrahlen linsten am Horizont zwischen die Bäume hindurch. Die Luft roch frisch und still lag der Wald vor ihnen. Nebel waberte über den Boden und dämpfte den Hufschlag. Ein Rabe krächzte. Als Sydney einen Blick zurück warf, verblasste der silbrige Schimmer bereits wieder zwischen den Bäumen.

Sie ritten noch etwas weiter, ehe ihr Entführer das Pferd zum Stehen brachte und geschmeidig hinabglitt. Dann griff er nach ihr.

Er strich ihr sanft die Haare aus dem Gesicht und Sydney blickte zu ihm auf.

Sie stand dicht bei ihm und nahm schwach den Geruch von Männerschweiß wahr. Seine Haut war gebräunt und er blickte mit einer Intensität auf sie herab, die Sydney nervös schlucken ließ. Strähnen seines Haares hatten sich aus seinem Zopf gelöst und wehten ihm ins Gesicht. Für einen Sekundenbruchteil verharrte sein Finger an ihrer Wange. Dann, ganz plötzlich, wandte er den Blick ab.

Er zerrte sie zu einem Baum.

„Setzt Euch!“

Seine Stimme, tief und volltönend, ließ sie vor Schreck zusammenfahren. Herrisch und düster, erschreckte der Klang seiner Stimme Sydney bis ins Mark. Ein anderer Teil von ihr erschauerte dagegen angenehm berührt.

Es stand außer Frage, dass ihr Entführer attraktiv war.

Damian drückte sie grob an den Schultern zu Boden und trat um sie herum. Er fesselte sie mit einem Seil an den Baumstamm und löste anschließend die Fesseln an ihren Handgelenken. Das Gefühl des nachlassenden Drucks auf ihre Gelenke war himmlisch und Sydney schloss für einen Augenblick ihre Augen.

Als sie sie wieder aufschlug, war von ihrem Entführer keine Spur zu sehen. Das Pferd zupfte in einiger Entfernung friedlich an einem Grasbüschel.

Sie war allein.

Damian schlich zwischen den Bäumen entlang. Es würde eine längere Heimreise werden, wenn sich seine Zukünftige derart kratzbürstig verhielt. Er erblickte sie von weitem und verharrte eine Sekunde lang im Schatten der Bäume.

Ihre Haare standen zu Berge und eine Spur getrockneten Blutes war an ihrer Wange und am Hals zu erkennen. Damian dachte an ihre Augen. Sie waren grün und von dichten Wimpern umrahmt. Ein faszinierendes Funkeln lag in ihrer Mitte, forderte ihn heraus und stand ganz im Widerspruch mit dem vor geheimer Furcht weit aufgerissenen Blick. Für einen Moment hatte er Mitleid verspürt, als sie vor ihm stand.

Just in dem Moment hatte sich ihr Blick jedoch gewandelt; weniger Schrecken, sondern der Hauch einer wärmeren Empfindung war in ihre Augen getreten. Sogleich hatte er sein Mitleid für sie auf das absolute Minimum reduziert. Sie war selbst schuld, dass er sie grob behandelte. Ihre Gegenwehr war der Grund, dass er sie nicht als die Person behandeln konnte, die sie war: Seine Verlobte.

Nach einer Weile wurde Sydney ungeduldig. Er konnte sie doch nicht einfach an diesem Baum festsetzen. Ärger stieg in ihr auf. Was bildete sich dieser Mensch ein? Offensichtlich hielt ihr Entführer es nicht für nötig bei ihr zu bleiben. Ein Rascheln im Unterholz lenkte Sydneys Aufmerksamkeit auf die Bäume rechts von ihr.

Damian trat zwischen den Bäumen hervor und kam träge auf sie zu. Vor ihr ging er in die Hocke und streckte die Hände nach ihr aus. Seine braunen Augen blickten ihr dabei interessiert ins Gesicht. Er hatte schöne Augen, das musste Sydney ihm lassen.

Sydney, reiß dich zusammen! Er hat dich entführt, Herrgott! ENTFÜHRT! Wage es nicht, an irgendetwas anderes zu denken! Sieh zu, dass du von hier wegkommst und zurück nach Hause findest!

Misstrauisch beäugte sie ihn.

Seine Fingerknöchel berührten sie nur flüchtig, als er den Knebel löste und ihr das Seil aus dem Mund nahm. Verblüfft starrte Sydney ihn an. Was hatte das zu bedeuten? Vorsichtig bewegte sie ihren Kiefer, um die Starre zu lösen.

„Wer zur Hölle sind Sie?“, verlangte sie krächzend zu erfahren.

Damians Mundwinkel fuhren beim Klang ihrer Stimme in die Höhe und ein schiefes Grinsen entstand auf seinem Gesicht.

„Ihr dürft mich Damian nennen, Madame. Ich werde Euch jetzt losbinden, damit Ihr Euch erleichtern könnt.“ Eine stumme Warnung legte sich in seine Züge. „Solltet Ihr versuchen zu fliehen oder um Hilfe rufen, werde ich Euch eingeholt haben, ehe Ihr zwei Schritte getan habt. Habt Ihr das verstanden?“

Sydney warf einen Blick auf das Pferd. Sie konnte sich gut daran erinnern mit welcher Geschicklichkeit Damian es zwischen die Bäume geführt hatte. Langsam nickte sie und Damian löste ihre Fesseln.

Nachdem sie ihrem dringendsten Bedürfnis zwischen zwei Büschen nachgekommen war, hielt Damian sie am Arm fest, während er den Beutel mit Wasser vom Sattel löste. Beinahe so, als fürchtete er, sie könne ihm in diesem kurzen Moment doch noch entwischen.

„Hier, trinkt das!“ Er hielt ihr den Beutel mit Wasser hin. Durstig wie sie war, widersprach Sydney ihm nicht, legte den Kopf in den Nacken und trank gierig. Der Knebel hatte ihre Kehle völlig ausgetrocknet und die Mundwinkel brannten, als das kühle Nass auf sie traf.

Damian betrachtete sie.

Ihre Kehle lag frei und angespannt verfolgte er ihre Schluckbewegungen. Sündige Gedanken bahnten sich ihren Weg in sein Gehirn und noch ehe er es verhindern konnte, nahm er ihr den Beutel wieder ab.

„He!“, fuhr Sydney auf.

„Wir müssen sparsam sein.“

Sein Blick saugte sich an ihrem fest. Eine seltsame Spannung baute sich zwischen ihnen auf. Nervös fuhr Sydney sich mit der Zungenspitze über die feuchten Lippen. Eine Gänsehaut ließ ihre Haut prickeln. Damians Blick folgte der Bewegung und verweilte geistesabwesend auf der rosigen Fülle ihrer Lippen. Plötzlich jedoch riss er sich los. Sein Atem entwich mit einem leisen Knurren und er ging, um den Wasserbeutel zu seinen Taschen zu legen.

Irritiert blickte Sydney ihm nach.

Was war verflucht noch eins in ihm gefahren, schalt er sich selbst. Starrte seine Zukünftige an, wie ein Grünschnabel, der zum ersten Mal eine Frau zu Gesicht bekam! Wütend über sich, schüttelte er den Kopf und biss die Zähne zusammen. Ein fürchterlicher Narr bist du! Er verstaute das Wasser – der Beutel war inzwischen halb leer – und blitzte sie wütend an. Dabei überraschte es ihn nicht, zu erkennen, dass sie seine Bewegungen verfolgte.

Ihre Stirn lag in Falten und ihre grünen Augen leuchteten intensiv.

Die Sonne wanderte inzwischen immer höher am Himmel; es wurde Zeit ihren Weg fortzusetzen.

Verwirrung wühlte ihre Gefühle auf.

Damian hatte sie auf eine Weise angesehen, die sie beunruhigte. Das klare, tiefe Braun seiner Augen hatte sich zu einem trüben, düsteren Ton gewandelt und sie hatte erneut an die Farbe eines Opals denken müssen. Sie beobachtete, wie er sich abwandte und zügig zum Pferd marschierte, das kurz mit den Ohren zuckte.

Seine Kehrseite war außerordentlich ansprechend, das musste Sydney zugeben. Sie betrachtete die Bewegung der kräftigen Muskeln unter dem Stoff und seufzte verträumt. Ihr Blick wanderte weiter hinauf zu seinem dunklen Haar und bemerkte, wie er den Kopf schüttelte. Sie runzelte die Stirn. Was sollte das wieder heißen? Hatte er etwa bemerkt, wie sie ihn anstarrte?

Wie peinlich!

Augenblicklich erschrak sie über ihr Verhalten. Wie konnte sie ihn derart provozieren? Er hatte sie schließlich nicht gerade auf die angenehmste Art und Weise verschleppt.

Ihre Blicke kreuzten einander.

Dieser Mann war eindeutig der attraktivste Entführer von dem sie je gehört hatte.

2.

Jack regte sich. Es dauerte einen Augenblick, ehe er die Traumwelt hinter sich gelassen hatte. Er hatte einen Schrei gehört. Oder hatte er das nur geträumt? Seine Träume schienen ihm in letzter Zeit immer so verdammt real zu sein. Er hatte Kopfschmerzen. Jack griff sich an den Hinterkopf und zuckte zusammen.

Sydney.

Der fremde Mann in der Hütte.

Die Erinnerung ließ seine Träume verblassen und er sprang auf – nur um sogleich wieder zurückzusinken. Der Schmerz in seinem Kopf explodierte. Er kniff die Augen zusammen und versuchte ruhig zu atmen, als er erneut in selige Bewusstlosigkeit fiel.

Eine ganze Weile später erreichte ein Poltern sein Gehör und drang zu ihm durch. Es klang wie die Hufe eines Pferdes. Jack regte sich. Er blinzelte und sein Blick glitt zum Fenster. Der Regen hatte mittlerweile wohl aufgehört, doch die Sonne war noch nicht wieder aufgegangen. Wie lange hatte er hier gelegen? Er runzelte die Stirn und setze sich auf. Vorsichtig berührte er die Wunde an seinem Kopf. Dieser sandte ein dumpfes Pochen in seine Schläfen. Langsam erhob sich Jack und ging zur Tür. Sie stand noch immer offen und eine kleine Pfütze hatte sich an der Türschwelle gebildet. „Sydney?“, rief er mit rauer Stimme. Stille antwortete ihm.

In der Ferne konnte er den Nachhall der Hufe hören. Wo hatte man sie hingebracht? Ohne weiteres Zögern trat er hinaus und blickte sich um.

Unsicher betrachtete Jack das Schimmern des Schleiers zwischen den Bäumen vor sich. Der Schürhaken lag unbeachtet im nassen Gras und schien der einzige Beweis, dass es zu einem Kampf gekommen war. War es Zufall, dass man Sydney entführt hatte? Oder steckte da doch mehr hinter? Zerknirscht fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht. Er brauchte Hilfe. Besser, er informierte Sydneys Dad. Gemeinsam konnten sie überlegen, welche Schritte als nächstes angebracht waren.

Er warf einen letzten Blick auf den Schleier. Dann wandte er sich um und marschierte zurück. Er sollte verdammt sein, wenn er Sydney nicht wiederfand.

Als er Sydneys Haus schließlich erreichte, fühlte Jack sich außerordentlich mies. Das schlechte Gewissen und Schuldgefühle plagten ihn. Warum hatte er auch nur so übermüdet sein müssen? Er dachte an seine Alpträume und ein Schauer erfasste ihn. Was hatte das alles zu bedeuten? Fast kam es ihm vor, als würden seine Träume der vergangenen Nächte wahr werden. Er schüttelte sich, um das ungläubige Entsetzen und die Sorge wieder abzuschütteln und begegnete Pauls Blick. Sydneys Vater stand vor ihm und wartete auf eine Erklärung.

„Ich weiß nicht, wo sie ist. Als ich wieder zu mir kam, war sie bereits fort.“

Pauls gedämpfte Schritte auf dem dicken Teppich im Wohnzimmer waren – neben dem unermüdlichen Ticken der Wanduhr – das einzige Geräusch im Zimmer. Er durchquerte das Zimmer wieder und wieder.

„Ich muss die Polizei anrufen. Sie müssen nach ihr suchen.“

Seine Stimme war heiser und Jack fühlte sich noch furchtbarer bei dem Gedanken daran, wie Paul sich fühlen musste, nachdem seine Tochter nun entführt worden war.

Vor drei Jahren war Timothy, Sydneys Bruder, im Alter von sechs Jahren tödlich verunglückt. Er war einem Ball hinterher gelaufen, als dieser auf die Straße rollte. Der Fahrer des Mustangs hatte keine Chance zum Ausweichen gehabt.

Damals hatte er, Jack, keinen Kontakt zu Sydney gehabt, doch er erinnerte sich, dass sie eine lange Zeit nicht zum Unterricht kam. Stattdessen – so lauteten die Gerüchte – musste sie einen Therapeuten aufsuchen, um das Erlebte verarbeiten zu können.

Jack räusperte sich. „Ich kann die Polizei anrufen.“

Paul hob den Kopf. Seine stahlblauen Augen fixierten Jack scharf. Dann nickte er und fuhr sich erschüttert mit der Hand durch die kurzen Stoppeln seines Haars. Der ehemalige Marinegeneral war kaum wiederzuerkennen. Zu erschüttert, um die Führung zu übernehmen, ließ Paul Jack zum Telefon gehen und die notwendigen Schritte einleiten.

Es war eine Tragödie für Paul gewesen, Timothy zu verlieren. Wenn nun auch noch Sydney für immer fort war, wusste er nicht, was er tun würde. Er fühlte sich, als hätte ihn ein Güterzug überrollt und sein Innerstes zerfetzt.

Kassandra, seine Ex-Frau und Sydneys Mutter, hatte es sich nach Timothys Tod leicht gemacht. Sie hatte sich einfach nach Brasilien abgesetzt.

Verbittert presste er die Lippen zusammen, als er daran zurückdachte. Zumindest hatte sie mit ihrer Flucht gewartet, bis er mit Sydney eine Therapie begonnen hatte. Kassandra war mit ihrem esoterischen Kram so mit sich beschäftigt; sie vertrat die Ansicht, sie bräuchte eine Therapie nicht. Sie glaubte, ihr Schutzpatron würde ihr genug Trost spenden. Er wusste noch zu gut, wie sie ihr Amulett befingert hatte, als sie ihm ihre Entscheidung, nicht mit zum Therapeuten zu gehen, mitgeteilt hatte. Sie hatte es schon immer übertrieben mit der Esoterik. Beim Gedanken daran schnaubte er.

In dem Moment kam Jack zurück. „Sie schicken jemanden her und nehmen die Vermisstenanzeige auf.“

„Sie sind vollkommen sicher, dass Sie nicht wissen, wo Ms Abernathy hingebracht worden sein könnte?“

Die Frage war an Jack gerichtet, der auf dem breiten Sofa saß und versuchte, Geduld zu beweisen. Mr. Jameston, der Polizist, stellte ihm dieselbe Frage nun schon zum dritten Mal.

Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem Hang zur Fettleibigkeit. Ganz offensichtlich verbrachte er zu viel Zeit auf seinem Bürostuhl. Der Stift in seiner Hand klopfte ungeduldig gegen seinen Notizblock, den er gezückt hatte, kaum dass er das Haus betreten hatte. Seine blau-grünen Augen fixierten Jack, während die schmalen Lippen zusammengepresst waren. Jack konnte ihn nicht leiden und war sich beinahe sicher, dass diese Gefühlsregung durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte.

Er setzte erneut zur Erklärung an.

„Ja, ich bin sicher. Wie ich eben erklärte, habe ich geschlafen, als sie mich auf den Mann aufmerksam machte. Er stieß mich gegen die Wand, ich erlitt eine Platzwunde und Sydney war verschwunden. Ich habe nur den Schürhaken gefunden, der im Gras vor der Hütte lag.“

Er warf einen Blick auf Paul, der an einem der Fenster stand und vorgab nicht zu hören, was Jack und Mr. Jameston besprachen. Die verschränkten Arme unterstrichen dabei die innere Anspannung, die seinen Körper beherrschte.

Mit einem entschieden gesetzten Punkt auf seinem Notizblock, klappte Mr. Jameston ihn zu und schenkte Paul seine Aufmerksamkeit.

„Mr. Abernathy, ich wäre dann soweit fertig. Ich kann Ihnen keine Versprechungen machen, aber ich versichere Ihnen, dass wir tun werden, was nötig ist, damit Sie Ihre Tochter bald wiedersehen.“

Paul nickte, wandte den Blick jedoch nicht von der Szenerie vor seinem Fenster ab.

„Ich bringe Sie noch zur Tür.“

Jack erhob sich, entschlossen, den Polizisten hinauszubefördern.

„Danke, ich finde von selbst hinaus.“

Sein Blick war eisig und in dem Moment fiel es Jack wie Schuppen von den Augen: Man verdächtigte ihn, etwas mit Sydneys Verschwinden zu tun zu haben. Bevor der Polizist durch die Tür verschwand, drehte er sich noch einmal um.

„Mr. Carson, ich möchte Sie darum bitten, die Stadt nicht zu verlassen.“ Sein Blick traf auf Jacks. „Falls wir noch weitere Fragen an Sie haben.“

„Sicher. Ich habe nicht vor zu gehen.“

Jack war wütend. Er war es gewesen, der die Polizei informiert hatte. Welchen Grund sollte er haben, Sydney etwas anzutun? Geschweige denn, dass er selbst verletzt war. Seine Gedanken führten ihn zurück zu der letzten Nacht. Sydney hatte ein Geräusch gehört. Waren sie zu dem Zeitpunkt womöglich schon nicht allein gewesen? Hätte er ihrer Besorgnis gründlicher nachgehen sollen? Hätte er sich deutlicher davon überzeugen sollen, dass kein Grund zur Sorge bestand?

Er schloss die Tür hinter Mr. Jameston. Der bittere Beigeschmack von Schuld lag ihm auf der Zunge.

3.

„Was? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“

Sydney fühlte sich verlegen. Damian rollte genervt die Augen, ehe er zu einer Erwiderung ansetzte, deren Tonfall keine Widerrede duldete.

„Wir sind schneller, wenn Ihr mit mir auf Schara’k reitet.“ Das Weib raubte ihm den letzten Nerv. „Es gibt keine andere Möglichkeit, nein. Besser, Ihr gewöhnt Euch an den Gedanken. Wir haben zwei Tage, ehe wir ankommen. Und ich dulde nicht, dass Ihr neben dem Pferd lauft und unsere Reise sich weiter verzögert.“

Damian betrachtete seine Reisegefährtin. Er erwischte sich – nicht zum ersten Mal – bei dem Gedanken, wie närrisch, töricht und durch und durch weibisch sich seine Verlobte verhielt.

Er war sich nicht sicher, ob er sie lieber zurücklassen wollte, damit er sie endlich wieder los war und die ewige Diskussion ein Ende hatte, oder ob er ihr berichten wollte, was ihr die nahe Zukunft bereithielt, um sie zum Schweigen zu bringen.

Sicher, von ihrem Standpunkt aus betrachtet war es wohl keine angenehme Art zu reisen, doch Damian war nicht gewillt, ihr auch nur ein weiteres Zugeständnis zu machen. Sie sollte ihm dankbar sein, dass er ihr die Fesseln abgenommen hatte.

Beim Gedanken daran, wie er ihr seine Version ihrer Zukunft demonstrieren könnte, schlich sich ein wölfisches Grinsen auf sein Gesicht.

Beunruhigt trat Sydney einen Schritt zurück. Was ging ihm nun wieder im Kopf herum? Dass es nichts Gutes für sie sein konnte, dessen war sie sich sicher. Sie räusperte sich und ließ ihren Blick zwischen Damian und dem schwarzen Wallach schweifen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Auch wenn ihr Entführer attraktiv war, so wollte sie ihm in keinster Weise näher an sich heranlassen als notwendig. Wenn es nötig war, dass sie vor ihm im Sattel Platz nahm, würde sie sich fügen - wenn auch nur widerwillig. Sie wollte schließlich nicht schon wieder gefesselt und wie ein Sack Kartoffeln herumgeworfen werden.

„Na schön. Wenn es denn unbedingt sein muss.“

Das Grinsen war aus Damians Gesicht wie weggewischt. Nach einem Blick in Sydneys Augen, wandte er sich Schara’k zu und saß geschmeidig auf. Er lenkte Schara’k neben sie und blickte auf sie hinab.

Das Pferd war riesig! Wie sollte sie da heraufkommen? Sydney schluckte nervös. In ihrem ganzen Leben hatte sie nicht einmal auf einem Pferd gesessen. Dass sie nun auf ein solches Monstrum aufsteigen sollte, ließ sich ihren Magen verkrampft zusammenziehen. Ihr Blick fiel auf die mächtigen Hufe. Was war, wenn das Pferd ausschlug? Oder ihr gar auf die Füße trat? Ihre Füße wirkten neben den Pferdehufen geradezu lächerlich winzig.

Eine Hand erschien vor ihrem Gesichtsfeld.

Damian blickte auf ihren Scheitel herab und fragte sich, was diese kleine Närrin nun wieder für ein Problem hatte. Es war wahrlich nervenaufreibend. Insbesondere, da er, Damian, nie geduldig gewesen war. Niemals hatte man es gewagt und seine Befehle missachtet oder gar in Frage gestellt. Seine Männer wussten, wer die Befehlsgewalt hatte. Dass ausgerechnet seine Zukünftige seine Geduld derart auf die Probe stellte, ließ ihn genervt mit den Zähnen knirschen. „Wollen wir?“ presste er hervor.

Sydneys Kopf fuhr hoch.

Eine schleichende Röte breitete sich von ihrem Hals über ihre Wangen und ihr Gesicht aus.

Er fragte sich, ob diese nicht ganz unansehnliche Röte auch andere Partien ihres Körpers einnahm? Bevor er diesen Gedanken jedoch näher verfolgen konnte, griff sie nach seiner Hand und richtete ihren Blick auf das Pferd.

Vorsichtig tätschelte sie den kräftigen Hals des Wallachs. Als sie „Ganz ruhig, Schwarzer!“ flüsterte, hätte er fast laut gelacht. Offensichtlich hatte seine zukünftige Braut mehr Angst vor einem Pferd, als vor ihm. Er grinste.

„Setzt euren Fuß auf meinem, dann zieh ich Euch herauf.“

Einen Moment später fand sich Sydney hoch zu Ross wieder. Ihre Hände umklammerten den Sattelknauf. Wenn sie nun herunterfiel? Es war so tief! Als sie bäuchlings mit ihm durch den Schleier geritten war, hatte sie gar keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Doch jetzt…?

Ihre Gedanken wirbelten in einem Strom nahe der Panik umher und Damian bemerkte besorgt, wie sich ihre Atmung beschleunigte. Er legte seine Arme um sie.

„Lehnt Euch an meine Brust. Euch kann nichts geschehen. Schara’k ist ein angenehmer Genosse. Trittfest und gelassen. Seid unbesorgt.“

Obwohl er ihr einen Teil der Furcht nahm, missfiel es Sydney, dass ihre Gefühlslage derart offensichtlich war.

„Ich habe keine Angst!“ erwiderte sie betont gelassen und Damian schnaubte.

„Euer Rücken ist derart angespannt, dass man glauben könnte, ich transportiere eine Statue! Auch, wenn ihr keine Angst haben mögt, so wäre es für die Reise hinderlich, derart verkrampft zu sitzen. Deshalb befehle ich Euch: Lehnt Euch zurück!“

„Ihr erteilt mir Befehle?“ brauste sie sofort auf.

Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Sie drehte den Kopf und funkelte Damian an. Ihre Augen waren zu wütenden Schlitzen zusammengekniffen.

Damian grinste und erwiderte nichts. Stattdessen trieb er Schara’k an.

Nach einer Weile gewöhnte Sydney sich an das Gefühl. Zwar achtete sie noch immer penibel genau darauf, Damian körperlich nicht näher zu kommen, als es unbedingt notwendig war, aber zumindest brachte sie es fertig, den Rücken nicht ganz so stark durchzudrücken.

„Warum haben Sie mich entführt?“, fragte sie ihn schließlich, als sie an einer mannshohen Felsformation vorbeikamen, die mit Brombeerbüschen bewachsen war. Die Sonne versteckte sich hinter trüben Wolken und es drang nur gedämpftes Licht durch die Baumwipfel zu ihnen durch.

Wenn man bedachte, dass sie – gegen ihren Willen! – auf diesem Gaul saß und keinen Krawall schlug, verhielt sie sich verhältnismäßig zivilisiert, um nicht zu sagen, höflich – ihrer Meinung nach.

Damian dagegen wünschte sich, seine Braut würde endlich ihren entzückenden Mund halten. Sie war redselig geworden, kaum, dass sie sich an ihre neue Position gewöhnt hatte. Damian kam es vor, als hätte sie darauf gewartet, dass sie sich mit Schara’k in Bewegung setzten. Ständig belästigte sie ihn mit Fragen zu seiner Herkunft, wohin er sie bringen wollte und insbesondere, warum er ausgerechnet sie entführen musste. Zu keiner ihrer Fragen hatte er eine Antwort gegeben. Als Konsequenz auf seine nichtssagenden Erwiderungen war Sydneys Neugier allerdings nur weiter angestachelt und so bohrte sie munter weiter Löcher in seinen Bauch.

Damian war es leid.

Schara’k zügelnd, schwang er sich energisch aus dem Sattel. Er führte den Wallach zu einem der Brombeerbüsche und wickelte die Zügel um einen der Zweige.

„Was ist los?“ Stirnrunzelnd blickte Sydney auf Damian hinab.

„Schara’k benötigt eine Pause.“

Das war eine glatte Lüge. Es war offensichtlich, dass sein Pferd für wesentlich längere Strecken trainiert war.

Ihm war es jedoch einerlei. Sollte seine Braut denken, was sie wollte. Er brauchte eine Pause von ihrem Geplapper und den damit einhergehenden Fragen. Er trat auf das Pferd zu und Sydney hob abwehrend die Hände.

„Ich kann das alleine!“

Damian war versucht, es darauf ankommen zu lassen. Aber besser, er strapazierte nicht noch zusätzlich seine Geduld, indem er ihr dabei zusah, wie sie ihren hübschen Hintern von seinem Pferd schwang. Der Gedanke an ihre Kehrseite beschleunigte augenblicklich seinen Herzschlag und sein Blick verdüsterte sich. Schärfer als beabsichtigt, raunzte er: „Seid nicht töricht!“, packte sie um die Taille und zog sie von Schara’ks Rücken. Ob er sie erneut knebeln sollte? Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Sein Blick fiel auf ihre Augen. Groß und von einem grün, wie er es nie zuvor gesehen hatte, schimmerten sie ihm entgegen. Er konnte sie noch immer knebeln, sollte sie ihr loses Mundwerk nicht zügeln. Allerdings würde er sie fesseln müssen, wenn er sie nicht ununterbrochen im Blick behalten wollte.

Sydney stand vor ihm und fragte sich nicht zum ersten Mal, was hinter der düsteren Fassade vor sich ging. Er erschien ihr längst nicht so bösartig, wie sie es von einem skrupellosen Entführer erwartet hätte. Er war brummig, doch keineswegs bösartig. Natürlich hatte er keine ihrer Fragen beantwortet. Wenn man bedachte, dass Damian vermutlich nicht riskieren wollte, bei einem Fluchtversuch von ihr verraten zu werden, war das nicht weiter schlimm. Er beging immerhin ein Verbrechen. Abgesehen davon hatte sein Aussehen immensen Wiedererkennungswert, was sämtliche zusätzlichen Informationen für die Polizei schier überflüssig machten.

Damian ergriff ihren Arm und zog ein Seil aus den Satteltaschen. Sofort wusste Sydney, was er plante. Ihr freier Arm versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der Damian jedoch nur ein überraschtes Grunzen entlockte. Ihr Fuß traf auf sein Schienbein und diesmal entfuhr ihm ein wütender Fluch. Geschickt wich er ihrem nächsten Angriff aus – der Versuch eines Kinnhakens –, packte ihre Arme und verdrehte sie ihr auf den Rücken. Dabei behielt er wohlweislich ihre Füße im Auge.

„Zwingt mich nicht, Euch Gewalt anzutun“, zischte er ihr ins Ohr, während er sie an sich zog, sodass sie mit dem Gesicht ihm zugewandt stand.

Schnell band er ihr die Hände auf den Rücken und führte sie zu einem nahegelegenen Waldabschnitt voller Birken. Selten war ihm ein Weibsbild begegnet, das ihm derart die Nerven raubte und seine Geduld strapazierte. Sicher, er hatte sie überraschend und unfreiwillig entführt, doch wenn sie die Gründe dafür wüsste – davon war er überzeugt! – würde sie dies verstehen und vielleicht sogar Freude empfinden mit der Zeit. Ihm war nämlich keineswegs entgangen, welcher Natur ihre Blicke waren.

Damian war mit seinen zweiunddreißig Jahren kein unerfahrener Schuljunge mehr. Er hatte genug Erfahrungen in fremden Betten gesammelt, um zu wissen, wie er die Blicke einer Frau zu deuten hatte. Seine Erfahrung war es, die ihm in diesem Augenblick Selbstsicherheit mit einer Spur Arroganz verlieh. Nachdem er seine Verlobte an den Stamm einer Birke gebunden hatte, warf er Sydney einen letzten abschätzenden Blick zu, ehe er kehrmachte und lautlos zwischen den Bäumen verschwand.

Als Damian außer Sichtweite war, seufzte Sydney erleichtert und lehnte den Kopf an den tröstlich festen Stamm der Birke. Und was nun? Die Tatsache, dass Damian sie inmitten der Wildnis zurückließ, machte sie nicht sonderlich nervös. Zum einen wünschte sie nichts mehr, als dass er einfach nicht wiederkommen würde, damit sie nach Hause zurückkehren konnte. Zum anderen war sie sich sicher, dass sie nicht lange allein bleiben würde. Sie bezweifelte, dass er sein Pferd zurücklassen würde.

Die letzten Stunden hatten nichts in Erfahrung gebracht, was ihr hätte von Nutzen sein können. Die knappen Antworten, die Damian ihr gegeben hatte, waren nicht besonders aufschlussreich gewesen. Wollte er ihr die Frage nach dem Grund ihrer Entführung doch ebenso wenig beantworten, wie die Frage, mit wem sie es zu tun hatte! Selbst die Frage, ob jemand ein Lösegeld von ihrem Vater erpressen wollte, quittierte Damian nur mit einem nichtssagenden Kommentar darüber, dass ihr Vater sicher froh wäre, wenn eine geschwätzige Person wie sie jemand anderen gefunden hätte, der sie ihm abnahm.

Als Damian wiederkam, hatte sich seine Laune eindeutig gebessert. Auf seinem Arm trug er mehrere Zweige, die er in einiger Entfernung zu ihr auf den Boden fallen ließ und ein Lagerfeuer vorbereitete. Er plante doch nicht, die Nacht an diesem Ort zu verbringen?

„Das wird aber eine lange Erholungsphase für das Pferd, wenn Sie jetzt auch noch ein Feuer machen. Finden Sie nicht?“

Damian löste seinen Blick von der Feuerstätte und sah zu ihr herüber. Ein amüsiertes Glitzern lag in seinen Augen und Sydney konnte nicht umhin, seine raue Attraktivität zu bemerken.

„Wir werden hier übernachten müssen. Wir sind nicht sehr weit gekommen und es dämmert bereits. Da ist es besser, wir schaffen eine sichere Umgebung für die Nacht, als dass wir blind weiterreiten oder von Tieren überrascht werden.“

Er funkelte sie herausfordernd an und Sydney erkannte, dass er sie nur auf den Arm nehmen wollte. Sicherlich gab es gar keine Bedrohung durch wilde Tiere in diesem Teil des Waldes und er wollte ihr nur Angst einjagen.

Zweifelnd musterte sie ihren Entführer, ehe sie ihren Blick unsicher über die Bäume schweifen ließ.

„Werde ich die gesamte Nacht an diesem Baum gefesselt sein?“, fragte sie schließlich und blickte zurück zu Damian.

Nachdenklich stocherte er in der Glut. Er hob den Blick und sah sie an. Direkt und sehr intensiv ruhte er auf ihr. Ein Prickeln entstand auf ihrer Haut, gefolgt von einer Gänsehaut.