Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts - Serhij Zhadan - E-Book

Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts E-Book

Serhij Zhadan

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Beschreibung

Nur in einer Umgebung, wo anachronistische Industrieanlagen wie Dinosaurier in der Landschaft liegen und als letzte Zeugen des grandiosen Sowjetexperiments vor sich hinrotten, konnte jene postproletarische Melancholie und Punkpoesie entstehen, die Sergiy Zhadan den Ruf des populärsten Lyrikers der Ukraine eingebracht hat.

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Seitenzahl: 38

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Serhij Zhadan

Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts

Gedichte

Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe

Mit Fotografien von Vladyslav Getman und einem Nachwort von Juri Andruchowytsch

Suhrkamp

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Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel Istorija kul ’tury pocatku stolittja im Verlag Krytyka in Kiew.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2455

Deutsche Erstausgabe

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin 2006

© Serhij Zhadan 2003

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Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77522-6

www.suhrkamp.de

Inhalt

Leben heißt sterben

Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts

Die käuflichen Dichter der Sechziger

Serbo-Chorvatska

Die Putzfrauen der Korridore

Polnischer Rock

Grundschuljahre

Leben heißt sterben

Die Poststelle

Elegie für Ursula

Rubber Soul

Chinesische Küche

Chinesische Küche

Hotelbusineß

Kindereisenbahn

Die innere Farbe der Augen

Der Gebrauchtwagenhändler

Nichtkommerzielles Kino

Wettbüros

Beerdigungskapelle

Eine Frau für dreißig Dollar

Alkohol

Kinderkreuzzug

Kinderkreuzzug

Juri Andruchowytsch

Serhij Zhadans erster Roman

Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts

Leben heißt sterben

Ich wußte nicht, wo ihre Freunde wohnten, ihre Mutter, ihre Liebhaber. Ich fuhr zurück zu mir und schrieb einige Liebesgedichte.

Charles Bukowski

Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts

Du schreibst noch heute zurück, berührst die warmen Lettern,

suchst sie im Dunkeln aus, verwechselst Vokale und Konsonanten

wie die Druckerin in einer alten Warschauer Werkstatt.

Die schweren Schriftwaben schimmern

im Gold, aus dem die Sprache gewirkt ist.

Schreib, nur komm nicht ins Stocken,

bedruck die weißen Wüsten, setz die stumme schwarze Spur.

Niemand kehrt zurück von den langen Streifzügen nachts,

und die Schnecken, von allen vergessen, werden sterben im feuchten Gras.

In frischem Schnee, wie in Servietten, liegt Mitteleuropa.

Die träge Geschmeidigkeit der Zigeuner erschien mir immer echt,

denn nicht jeder ergattert den klebrigen Groschen.

Hättest du in ihre Pässe geschaut,

die nach Senf und Safran duften,

hättest du ihre kaputten Akkordeons gehört,

die nach Leder und arabischen Gewürzen riechen –

sie sagen, wenn du gehst – wohin auch immer –,

entfernst du dich nur, kommst nie näher, als du schon bist;

wenn das Lied der alten Grammophone verstummt,

quillt Schmiere hervor

wie Tomate aus aufgerissenen Dosen

Fertigsuppe.

Nicht hinter diesen Türen, nicht in den sonnendurchfluteten Städten

zerreißt jeden Morgen das erschöpfte Herz der Epoche.

Die Zeit geht tatsächlich vorbei, aber sie geht so nah vorbei, daß du,

siehst du hin, schon ihre vollgesogenen Fasern unterscheidest

und das Geflüster wiederholst, in ihren Sätzen vernommen,

als wolltest du, daß man später, irgendwann einmal, deine Stimme erkennt und sagen kann –

so entstand eine Epoche,

so drehte sie ab – schwer wie ein Bombenflugzeug,

ließ erloschene Planeten und überlastete

Telefonzentralen zurück,

verscheuchte die Wildenten aus den Flußauen,

auffliegend überschreien sie

Lastträger,

Gott,

Frachtkähne.

Wenn du einen Kurs belegst, solltest du

neben den anderen Dingen erkennen – ja, die Kultur zu Anfang des Jahrhunderts

hat sich schon durch die Venen deiner willigen Hand aufgeprägt,

sie hat sich in den Bruchstellen deiner dichten Haare eingenistet,

die unbekümmert im Wind flattern, über den Fingern verwehen

wie ein warmer Wasserstrahl über dem Waschbecken,

wie farbiger Halsschmuck aus Ton über irdenen Töpfen und Aschenbechern,

wie der lange Herbsthimmel

über dem Maisfeld.

Die käuflichen Dichter der Sechziger

Die käuflichen Dichter der Sechziger sollen froh sein,

daß alles so glimpflich abging,

Gefahren gab es ja mehr als genug,

doch sieh an – sie sind durchgekommen, haben ihre Kredite zurückgezahlt,

nur daß die Kriegswunden

pochen in stürmischen Zeiten

wie Menstruationsschmerz.

Die käuflichen Dichter der Sechziger tragen

Koffer aus gelbem Kunstleder mit sich herum;

wenn sie in Hotels wohnen,

klemmen sie den Hörer unters Kinn wie eine Geige,

und ihre Koffer sind voll Werbeaufkleber.

Vietkong, Süße, das ist unser kollektives Unbewußtes.