Himmel über Charkiw - Serhij Zhadan - E-Book

Himmel über Charkiw E-Book

Serhij Zhadan

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für ein Tagebuch fehlt ihm die Zeit. Serhij Zhadan ist Tag und Nacht im beschossenen Charkiw (Ost-Ukraine) unterwegs – er evakuiert Kinder und alte Leute aus den Vororten, verteilt Lebensmittel, koordiniert Lieferungen an das Militär und gibt Konzerte. Die Posts in den sozialen Netzwerken dokumentieren seine Wege durch die Stadt und sprechen den Charkiwern Mut zu, unermüdlich, Tag für Tag.

Die Stadt leert sich. Freunde kommen um. Der Tod ist allgegenwärtig, der Hass wächst. Als die Bilder von Butscha um die Welt gehen, versagt auch Zhadan die Stimme. »Es gibt keine Worte. Einfach keine. Haltet durch, Freunde. Jetzt gibt es nur noch Widerstand, Kampf und gegenseitige Unterstützung.«

Nachrichten vom Überleben im Krieg: Das Buch ist eine Chronik der laufenden Ereignisse aus der Ukraine, das Zeugnis eines Menschen in der Ukraine, der während des Schreibens in eine neue Realität eintritt und sich der Vernichtung von allem entgegenstemmt. Kein einsamer Beobachter, sondern ein aktiver Zivilist in einer Gesellschaft, die in den letzten acht Jahren gelernt hat, was es bedeutet, gemeinsam stark zu sein.

2022 wird Serhij Zhadan zum Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gewählt. In der Begründung heißt es: »Wir ehren den ukrainischen Schriftsteller und Musiker für sein herausragendes künstlerisches Werk sowie für seine humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet und ihnen unter Einsatz seines Lebens hilft. In seinen Romanen, Essays, Gedichten und Songtexten führt uns Serhij Zhadan in eine Welt, die große Umbrüche erfahren hat und zugleich von der Tradition lebt. Seine Texte erzählen, wie Krieg und Zerstörung in diese Welt einziehen und die Menschen erschüttern. Dabei findet der Schriftsteller eine eigene Sprache, die uns eindringlich und differenziert vor Augen führt, was viele lange nicht sehen wollten. Nachdenklich und zuhörend, in poetischem und radikalem Ton erkundet Serhij Zhadan, wie die Menschen in der Ukraine trotz aller Gewalt versuchen, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen.«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 172

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover for EPUB

Titel

Serhij Zhadan

Himmel über Charkiw

Nachrichten vom Überleben im Krieg

Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot, Sabine Stöhr und Claudia Dathe

Suhrkamp

Impressum

Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.

Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

Um Fehlermeldungen auf den Lesegeräten zu vermeiden werden inaktive Hyperlinks deaktiviert.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2022.

Erste Auflage 2022Deutsche Erstausgabe

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Brian Barth

Umschlagfoto: Serhij Zhadan

eISBN 978-3-518-77523-3

www.suhrkamp.de

Himmel über Charkiw

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

24. Februar 15:05. Serhij Zhadan am Schild »Oblast Charkiw« mit der Gruppe »Zhadan i Sobaky«

26. Februar 16:45

27. Februar 9:49

28. Februar 8:34

28. Februar 14:07

1. März 7:36

1. März 16:30

2. März 10:00

2. März 12:31

3. März 10:28

3. März 12:57

3. März 16:50

5. März 7:25

5. März 20:18

6. März 17:41

6. März 19:51

7. März 10:31

7. März 11:14

7. März 21:44

8. März 13:33

8. März 13:48

9. März 18:52

10. März 9:27

11. März 19:05

11. März 22:19

12. März 9:24

12. März 16:00

12. März 16:49

13. März 12:22

14. März 23:06

15. März 9:36

15. März 10:28

15. März 11:06

15. März 12:25

15. März 12:55

15. März 14:16

16. März 7:43

16. März 14:24

16. März 15:00

Repost von Wasyl Rjabko

:

16. März 12:55

16. März 16:23

16. März 20:02

17. März 8:51

17. März 21:02

18. März 9:45

18. März 12:03

18. März 15:46

19. März 20:57

20. März 9:59

20. März 17:05

21. März 9:11

21. März 11:07

21. März 12:51

22. März 19:28

23. März 7:51

23. März 11:29

23. März 19:00

24. März 10:34

24. März 18:20

25. März 10:23

25. März 13:51

26. März 21:36

27. März 17:59

28. März 13:08

28. März 15:38

29. März 11:05

29. März 12:38

30. März 13:11

30. März 14:54

31. März 17:49

1. April 7:38

1. April 11:28

2. April 9:20

2. April 11:32

2. April 17:30

2. April 18:29

3. April 9:22

3. April 19:36

4. April 14:09

4. April 20:48

5. April 14:20

5. April 21:24

6. April 7:14

6. April 7:44

6. April 11:18

6. April 13:15

7. April 18:04

8. April 11:41

8. April 13:35

8. April 19:04

9. April 12:06

9. April 14:28

11. April 11:29

11. April 17:06

11. April 20:44

12. April 12:12

13. April 18:23

14. April 7:39

14. April 22:26

16. April 13:20

16. April 20:16

18. April 10:28

19. April 20:41

20. April 14:43

20. April 21:11

21. April 15:16

22. April 11:36

22. April 20:39

23. April 11:43

23. April 15:44

24. April 8:37

24. April 11:03

24. April 21:52

25. April 18:18

25. April 20:35

26. April 9:40

26. April 20:03

28. April 17:27

1. Mai 20:08

2. Mai 11:27

2. Mai 15:21

3. Mai 20:53

4. Mai 9:07

4. Mai 12:12

4. Mai 19:54

5. Mai 13:08

6. Mai 12:37

6. Mai 17:23

6. Mai 20:13

7. Mai 13:13

8. Mai 0:22

8. Mai 18:23

10. Mai 12:59

10. Mai 15:20

10. Mai 21:40

11. Mai 8:46

11. Mai 17:58

12. Mai 12:28

13. Mai 9:16

13. Mai 20:35

15. Mai 14:01

16. Mai 8:49

16. Mai 20:19

18. Mai 10:26

19. Mai 8:52

19. Mai 10:17

19. Mai 18:42

20. Mai 15:08

21. Mai 9:38

21. Mai 13:07

23. Mai 7:42

24. Mai 16:07

24. Mai 18:07

25. Mai 8:36

25. Mai 20:58

26. Mai 16:14

29. Mai 17:25

29. Mai 21:25

30. Mai 22:03

31. Mai 9:11

1. Juni 9:24

1. Juni 12:29

1. Juni 16:21

6. Juni 16:47

7. Juni 16:22

10. Juni 10:14

10. Juni 14:28

11. Juni 7:49

11. Juni 21:22

12. Juni 12:46

12. Juni 19:49

13. Juni 10:13

13. Juni 15:21

13. Juni 21:25

14. Juni 14:48

15. Juni 7:35

16. Juni 10:14

16. Juni 20:41

17. Juni 8:21

17. Juni 16:39

18. Juni 20:33

19. Juni 7:43

19. Juni 20:37

20. Juni 9:34

21. Juni 14:46

21. Juni 19:29

23. Juni 16:57

23. Juni 18:14

24. Juni 6:59

24. Juni 20:05

Schlussbemerkung

Nachwort

SONGS

Videos und Audiofiles

Anmerkungen

Informationen zum Buch

24. Februar 15:05

Serhij Zhadan am Schild »Oblast Charkiw« mit der Gruppe »Zhadan i Sobaky«

Hallo allerseits,

wir waren heute den ganzen Tag unterwegs, jetzt kommen wir heim, denn hier ist unser Zuhause, hier sind unsere Familien und hier gehören wir hin.

Alle unsere Konzerte werden wir später spielen, nach unserem Sieg, jetzt aber wünschen wir allen, dass sie bleiben, wo sie sind, und ihre Arbeit tun, die Streitkräfte der Ukraine unterstützen, unseren Mitbürgern helfen, die heute unsere Hilfe brauchen. Freunde, vergesst nicht: Dies ist ein Vernichtungskrieg und wir haben nicht das Recht, ihn zu verlieren. Wir müssen ihn gewinnen.

Darum halten wir zusammen

Ruhm der Ukraine!

26. Februar 16:45

Heute sind wir fast durch die ganze Stadt gefahren – wir waren in Bawaria, Osnowa, am Flughafen, in der Innenstadt, in Süd-Saltiwka, im eigentlichen Saltiwka), im Viertel um das Traktorenwerk, im Osten sind wir bis zur Metrostation Proletarska gekommen, wo man uns nicht weiterließ), wir waren in Moskaliwka, auf dem Kalten Berg. Die Menschen sind ein bisschen beunruhigt, aber Panik gibt es nicht. Auf den Straßen viel Polizei – sie sucht nach »falschen Fuffzigern«. Auch wir haben ein paar entdeckt, sie gebeten, uns ihre Smartphones zu zeigen und keine Videos von unseren Soldaten aufzunehmen. Sie haben verstanden und sich gefügt) Gestern, als wir am Flughafen stoppten, haben unsere Leute innerhalb von nur eineinhalb Minuten (!) reagiert und uns in den Schnee gelegt, nachher wollten sie Autogramme). Das ukrainische Militär arbeitet beeindruckend und professionell. Alle motiviert, wollen den Feind mit den Zähnen zerreißen. An der Mobilisierungsstelle standen Männer Schlange – alle wollen zur Waffe greifen. 10 (!) Minuten stand ich beim Zelt auf dem Platz – es kamen mehrere Autos mit Sachen für die Armee, drei Männer (in 10 Minuten) fragten, wo man sich in die Territorialverteidigung einschreiben kann. Dann fuhren wir zur Ausfahrt nach Lypzi, unsere Leute dort sind guten Mutes und arbeiten) Als wir gerade anfingen uns zu unterhalten, kam über Funk die Nachricht von einer neuen Kolonne aus Richtung der Umgehungsstraße und man bat uns wegzufahren. Gleich darauf fing der Feind an, auf die Stadt zu feuern. Die Fotos vom Spielplatz in Nord-Saltiwka, die jetzt im Netz sind, zeigen diesen Angriff. An der Zufahrt nach Rohan wird alles von unserem Militär kontrolliert, vom Weiterfahren raten sie ab. Auf dem Kalten Berg war alles ruhig. Vor einer Stunde hat es aus Richtung Osten stark geballert, woher genau weiß ich nicht. Die Kulynytschi-Bäckerei fing an, Brot zu verkaufen. Es bildeten sich Schlangen. Überhaupt sind überall Schlangen. Aber ruhige Schlangen, weder panisch noch hysterisch. In einem kleinen Laden in Babaji holten wir uns Kaffee. Beim Herausgeben sagte der Verkäufer (ohne zu wissen, wer wir waren) zum Abschied: Ruhm den Helden)

27. Februar 9:49

Allen einen guten Morgen. In Kontakt mit unseren Freiwilligen. Sie sind dabei, die Feinde aus der Stadt zu jagen. Ich will hier denen danken, die die Freiwilligen schon diese ganzen acht Jahre unterstützen – es sind wirklich Kampfeinheiten. Und ihr, die sie nicht unterstützt habt – schaut: die Russen töten euch, ob ihr wollt oder nicht. Wahrscheinlich wollt ihr das nicht, denke ich.

Charkiw kämpft, um die Stadt donnert und grollt es. Tod den russischen Invasoren.

28. Februar 8:34

In Charkiw kracht es. Aber es sind viele Menschen auf der Straße – sie stehen vor Apotheken und Geschäften Schlange. Viel Militär – sie verifizieren, kontrollieren. Freunde, geht nicht ohne Ausweis auf die Straße. Geht besser überhaupt nicht ohne Not raus. Wir haben mit unseren Jungs gesprochen – sie sind ein bisschen müde nach dem gestrigen Tag. Die Stadt verteidigt sich, über der Stadt sind ukrainische Flaggen gehisst)

28. Februar 14:07

Heute sind wir in der Stadt herumgefahren, kurz vor dem Beschuss. Die Menschen organisieren sich, helfen einander. Schlangen nach Lebensmitteln. Viel Militär und Polizei, alle bereit und zornig, in Erwartung der »Gäste«. Wir waren auch in den Vororten, es werden Straßensperren errichtet, die älteren Männer stehen dort mit ihren Jagdgewehren. Die Russen machen sich gar keine Vorstellung davon, was sie hier erwartet. Wir haben unseren Jungs zwei Ladungen Munition gebracht. Die Geschäftsleute geben den Freiwilligen alles, was sie auf Lager haben. In Bezug auf die Invasoren nehmen sie kein Blatt vor den Mund. Charkiw wird aus Grad-Raketenwerfern beschossen, Zivilisten kommen ums Leben. Die Russen sind keine Armee, sie sind eine Horde.

1. März 7:36

Charkiw. Raketenbeschuss auf das Stadtzentrum. Sie zielen einfach auf Zivilisten. Die Russen sind keine Armee, sie sind Verbrecher.

Charkiwer, gebt acht. Wenn ihr könnt, helft denjenigen, die Hilfe brauchen. Nahrung, Medikamente, Transportmöglichkeiten. Wir halten stand. Sie können unsere Häuser zerstören, aber nicht unsere Verachtung für sie. Unseren Hass.

1. März 16:30

Meine Freunde Mykola Blahowestow und Natalja Pachnina, Gemeinderatsmitglieder in Wysokyj, die versuchen, ihrer Gemeinde zu helfen, haben darum gebeten, diesen Text zu reposten. Bitte macht das – vielleicht kann ja jemand helfen:

Die Gemeinde Wysotschansk im Oblast Charkiw benötigt dringend Lebensmittel und Medikamente, Babywindeln und -nahrung. Unsere Volontäre,1 Abgeordneten, Aktivisten haben eine Lieferung organisiert, Grütze, Mehl, Fleisch- und Wurstwaren, aber leider reicht das nicht für die ganze Bevölkerung.

Wir wenden uns an alle, die die Möglichkeit haben, mit Lebensmitteln, Geld, Babynahrung und Windeln zu helfen. Kontakttelefon: […] Mykola Blahowestow.

Kontonummer für Spenden: […]

Ruhm der Ukraine

2. März 10:00

Ich habe mir die Uni angeschaut. Die Büsten von drei Charkiwer Nobelpreisträgern.2 Der Stolz Charkiws. Genauso wie die Karasin-Universität selbst – die älteste Universität der linksufrigen Ukraine. Jetzt stehen die Gebäude mit zerschossenen Fenstern da. Die Armee der Russen beschießt die Charkiwer Schulen. Die ausländischen Studierenden schaffen es nicht, aus der Studentenhauptstadt Charkiw zu fliehen. Die Russen sind Barbaren, sie sind gekommen, um unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Bildung zu vernichten. All das erscheint ihnen fremd und feindlich. Aber wir müssen das alles schützen, erneuern und weiterentwickeln. Das sage ich euch als Ehrendoktor der Charkiwer Karasin-Universität.

2. März 12:31

Es erinnert an den Zweiten Weltkrieg. Vor allem die Ideologie und der moralische Imperativ der Besatzer. Sie sind gekommen, um uns von uns zu befreien. Sie verfügen noch nicht einmal über ein überzeugendes Narrativ für die Kleinmütigen. Sie wollen uns einfach vernichten, für alle Fälle, einfach so.

Im Palast der Arbeit habe ich einige Hörbücher aufgenommen, dort befindet sich unser »Hundestudio«.3 Die Russen sind Barbaren, auf Russland wartet ein Tribunal, anders kann es einfach nicht sein.

3. März 10:28

Charkiw erhält Hilfe aus dem ganzen Land. Das ist wirklich sehr wichtig – nicht einfach die Stadt verteidigen, sondern jeden einzelnen Charkiwer. Wir müssen hier weiter leben und arbeiten. Freunde, eure Unterstützung ist unglaublich. Man spürt sie ganz konkret, vor allem, wenn einem die russischen Raketen über den Kopf fliegen. Die Russen sind Barbaren. Charkiw hält durch.

3. März 12:57

Das kam heute aus Lemberg in einer Schachtel mit Medikamenten) Marko und Lisa, danke!

3. März 16:50

Maximal teilen!!!!!

Freunde! Die chirurgische Abteilung des Charkiwer Gebietskrankenhauses braucht:

Chirurgische Instrumente für den Operationssaal.

Ausstattung für die chirurgische Erstversorgung, für schädelchirurgische Trepanation, elektrische Skalpelle für bipolare Koagulation, Nahtmaterial.

Kontaktperson – Vitalij. […]

Herzlichen Dank an alle, die nicht gleichgültig bleiben!

5. März 7:25

Allen einen guten Morgen. Gruß von der Charkiwer Landstraße)

[Russisches Kriegsschiff, fuck off!!!]

5. März 20:18

Maria macht auch bei den Volontären mit) Heute hat sie drei neue Paar Schuhe, Gebäck und 100 Hrywnja gesammelt)

6. März 17:41

Der Himmel über Charkiw war heute hoch und klar, und die Wolken irgendwie leichtsinnig sommerlich. Die schweren Schneekappen fallen von den Dächern. In der Stadt selbst ist es still, daher sehen sich die Menschen um, wenn Schnee herabrutscht. In der Stadt ist Frühling. Und in der Stadt ist Krieg. Das Zentrum leer, etwas außerhalb sieht man dann mehr Menschen. Und in den Vororten ist es überhaupt belebt. Wohl, weil es tagsüber verhältnismäßig ruhig war. Viele unserer Soldaten, viele Männer aus der Territorialverteidigung. Kurz gesagt – eine Festungsstadt. Eine sehr schöne, frühlingshafte, sonnige. Man wünscht sich, sie so rasch wie möglich wiederaufzubauen, nachdem wir diesen Unrat, der aus dem Osten über uns hergefallen ist, zurück über die Grenze und ins Nichts geworfen haben. Es wird weiter eine Stadt der Dichter und Universitäten sein, ihr werdet sehen) Über der Stadt weht weiter die Staatsflagge)

6. März 19:51

Also, im Kontext des russischen Chauvinismus mit seinen Markierungen, Stereotypen und überkommenen Positionen. Inwieweit kann die Kultur begrenzter sein als die Sprache? Als die Sprache eines gewöhnlichen Charkiwer (natürlich russischsprachigen) Polizisten (den jetzt in der Ukraine niemand mehr Bulle nennen wird, sondern eben Polizist), der aus den Trümmern russischsprachige Omas rettet, die für prorussische Parteien gestimmt haben und die jetzt der Präsident des Landes, das der Erbe der »großen russischen Kultur« ist, mit Luftschlägen tötet. Im historischen Kontext ist dieser Polizist weit mächtiger und überzeugender als die gesamte imperiale Tradition mit ihren goldenen und silbernen Zeitaltern. Er rettet Menschen. Die imperiale Kultur tötet sie. Ja, die Kultur und der ganze falsche, entseelte Kontext, der hinter ihr steht und den zu ertragen wir gewohnt waren – handelte es sich doch um das »Große Narrativ«. Tatsächlich handelt es sich um ein Narrativ, das immer schon Gewalt und Missachtung gegenüber anderen rechtfertigte, genau das und nichts anderes.

In diesem Krieg hat die Kultur erneut eine vernichtende Niederlage erlebt. Diesmal – die »Kultur Dostojewskis und Tolstois«. Und ich kann nicht einmal Schadenfreude empfinden. Denn die Niederlage der Kultur bedeutet in der Realität – von Grad-Raketen verbrannte Zivilisten. Und Soldaten übrigens auch. Klar, dass in Woche zwei des Dritten Weltkriegs Prognosen schwerfallen, dennoch ist schon deutlich geworden – solange diese unsere wunderbare und unverantwortliche Welt noch existieren mag, welche künftigen Formen die europäische Zivilisation auch annehmen mag (ja, genau diese humanistisch orientierte Erbin Athens und Alexandrias, die seit acht Jahren versucht, die Annexion der Krim und die russischen Panzer im Donbas zu verdauen) – Tolstoi und Dostojewski haben eine vernichtende Niederlage erlitten. Ebenso wie das russische Ballett, die russische Avantgarde (die sowieso zum Großteil gar nicht russisch, sondern unsere ukrainische ist) und damit auch das russische Eishockey, der russische Fußball (damit war’s ja auch vor dem Krieg nicht weit her). Ein Volk, das nicht in der Lage ist, vor der Bombardierung von Städten in einem fremden Land Halt zu machen, hat nicht das Recht, die Schuld einem angeblichen adolf aloisowytsch zuzuschieben. Das ist jetzt eure gemeinsame Last. Ihr seid jetzt gezeichnet. Fritze. Das war vor dem Zweiten Weltkrieg ein ganz normaler Name, nicht wahr? Aber bis heute gezeichnet. So wird es nun auch mit euren Namen sein. Hinter Dostojewski könnt ihr euch nicht mehr verstecken. Die »russische große humanistische« Kultur sinkt auf den Grund wie die schwerfällige »Titanic«. Also, sorry, wie das russische Kriegsschiff.

P.S. Allenfalls wird in 60 Jahren ein künftiger Tarantino einen Spielfilm über euch drehen. Aber auch in diesem Film werdet ihr Arschlöcher sein. Und zwar ruhmlose.

7. März 10:31

Eine Granate hat ins legendäre Haus »Slowo« (»Wort«) eingeschlagen. Das ist aus Sicht der Russen ganz konsequent: Sie haben schon immer unsere Kultur vernichtet. Aber diesmal werden sie es nicht schaffen. Die Russen sind Barbaren. Und das »Wort« bauen wir wieder auf.

7. März 11:14

Meine Heimatstadt Starobilsk) Ich bin so stolz. Das Gebiet Luhansk ist Ukraine! Russen, wohin habt ihr euch verirrt?

7. März 21:44

Ein paar Worte über die Wahl, die man hat. Im Krieg stellt sich die Frage plötzlich, unvorhergesehen und oft unausweichlich. Weiter triffst du dann Entscheidungen, unternimmst irgendwelche Schritte, entschließt dich zu manchem, anderes lehnst du ab.

In diesen Tagen sind es zufällige Menschen, die am meisten erstaunen und inspirieren.

Streifenpolizisten und Volontärinnen, Priester und Chauffeure, Spezialeinheiten und Bauern mit Jagdwaffe in der Hand. Dahinter entsteht ein tiefgründiges und klares Bild des Volkes, das endlich seine eigene Kraft, die Kraft seiner Wut, aber auch die Kraft seiner Einigkeit verspürt. Kein zwischen Politikern aufgeteiltes Stimmvieh, sondern eine Gesellschaft, mit der die Politiker endlich begonnen haben offen und ehrlich zu reden. Sehr wichtig, jetzt diesen Moment des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Achtung festzuhalten, um nach dem Sieg zu versuchen, ihn nicht zu verlieren.

Auf den Fotos – meine Freunde, Musiker aus Charkiw: Oleh Kadanow, Stas Bronischewskyj, Anton Bihmenko, die seit 12 Tagen unter Beschuss durch die Stadt düsen und Hilfe verteilen. Auch da geht es um die Wahl, die man trifft. Mir scheint, hier handelt es sich weniger um Mut als um Gewissen. Und was wäre ein ordentlicher Musiker ohne Gewissen)) Ich habe mich gefreut, sie gestern mitten in Charkiw zu treffen. Wir sehen uns beim Konzert)

8. März 13:33

Der Himmel über Charkiw hängt heute voller großer aufgewühlter Wolken. Manchmal bricht die Sonne durch und erinnert daran, dass schon Frühling ist. Ohne Sonne ist es düster. Aber still. Die Soldaten sagen, dass uns das misstrauisch machen sollte. Aber wo nicht geschossen wird, ergießt sich die Bevölkerung auf die Straße, stellt sich nach humanitärer Hilfe an, nach Lebensmitteln. In den Stadtteilen (wir sind heute die halbe Stadt abgefahren) sitzen die Bier-und-Sonnenblumen-Rabauken vor den Kiosken) Wie in den Erinnerungen Scheweljows an Charkiw im Zweiten Weltkrieg. Überhaupt ist Scheweljow4 heute mehr als aktuell. In einer der Vorstädte ein besonders rührendes Bild – zwei Hunde, von ihren ausgereisten Besitzern offensichtlich zurückgelassen, haben sich mitten auf der Straße ausgestreckt, weil es dort am wärmsten ist. Die Autos fahren behutsam um sie herum. Überhaupt sind alle irgendwie behutsamer miteinander geworden, sensibler. Über der Stadt weht die Staatsflagge. Charkiw verteidigt sich.

Wir haben ein Auto mit Arznei, Kindersachen, Lebensmitteln hergefahren, ein paar Medikamentenbestellungen ausgeliefert. Eine Rentnerfamilie aus der Stadt gebracht. Wir arbeiten weiter. Vielen Dank an alle für die Unterstützung. Wenn jemand helfen will – hier das Konto von Oleh Abramytschew: […]

8. März 13:48

Vor allem, Freunde, vergesst nicht:

Die Geschichte wird heute nicht einfach nur neu geschrieben – sie wird auf Ukrainisch neu geschrieben.

9. März 18:52

Kaum, dass bei uns Ukrainern irgendetwas Bahnbrechendes passiert, tauchen Schewtschenko-Zitate auf. So war es während allen Revolutionen, so ist es auch heute. Dass die Russen in den Kampf ziehen und Puschkin deklamieren, das kann ich mir nicht vorstellen – oder dass sie mit Zitaten von Saltykow-Schtschedrin auf die Barrikaden gehen. Eigentlich kann ich sie mir sowieso nur schwer auf den Barrikaden vorstellen)

Gut, dass wir Taras Hryhorowytsch haben. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Nationaldichter!

10. März 9:27