Heute bedeckt und kühl - Michael Maar - E-Book

Heute bedeckt und kühl E-Book

Michael Maar

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Beschreibung

Gedachtes und Erlebtes zu ordnen, Zwiegespräch mit sich selbst zu führen oder auch Zeugnis abzulegen, Flüchtiges festzuhalten im Strom der Zeit: Es gibt viele gute Gründe, Tagebuch zu führen. Ebenso viele Gründe gibt es, die Tagebücher gerade auch fremder Menschen zu lesen. Sie geben Einblick in das Seelenleben ihrer Verfasser, zeigen ihren Alltag und ihre Welt, lassen die Poesie des Beiläufigen oder die große Geschichte im Kleinen aufscheinen. Man könnte auch einfach sagen: Sie sind, in ihren besten Momenten, bedeutende Literatur. Michael Maar durchstreift ganze Bibliotheken an Tagebuchliteratur, über Jahrhunderte hinweg – und versammelt die bemerkenswertesten, eindrücklichsten, schönsten Funde: von Christoph Kolumbus' privatem Logbuch und den Bekenntnissen des britischen Chronisten Samuel Pepys über Thomas Manns lakonische Alltagsnotate und die Traumtagebücher Arthur Schnitzlers bis hin zu Rainald Goetz' Internettagebuch «Abfall für alle» und Wolfgang Herrndorfs Blog «Arbeit und Struktur».

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Michael Maar

Heute bedeckt und kühl

Große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

 

 

 

Über dieses Buch

Gedachtes und Erlebtes zu ordnen, Zwiegespräch mit sich selbst zu führen oder auch Zeugnis abzulegen, Flüchtiges festzuhalten im Strom der Zeit: Es gibt viele gute Gründe, Tagebuch zu führen. Ebenso viele Gründe gibt es, die Tagebücher gerade auch fremder Menschen zu lesen. Sie geben Einblick in das Seelenleben ihrer Verfasser, zeigen ihren Alltag und ihre Welt, lassen die Poesie des Beiläufigen oder die große Geschichte im Kleinen aufscheinen. Man könnte auch einfach sagen: Sie sind, in ihren besten Momenten, bedeutende Literatur. Michael Maar durchstreift ganze Bibliotheken an Tagebuchliteratur, über Jahrhunderte hinweg – und versammelt die bemerkenswertesten, eindrücklichsten, schönsten Funde: von Christoph Kolumbus’ privatem Logbuch und den Bekenntnissen des britischen Chronisten Samuel Pepys über Thomas Manns lakonische Alltagsnotate und die Traumtagebücher Arthur Schnitzlers bis hin zu Rainald Goetz’ Internettagebuch «Abfall für alle» und Wolfgang Herrndorfs Blog «Arbeit und Struktur»

Vita

Michael Maar, geboren 1960, ist Germanist, Schriftsteller und Literaturkritiker. Bekannt wurde er durch «Geister und Kunst. Neuigkeiten aus dem Zauberberg» (1995), für das er den Johann-Heinrich-Merck-Preis erhielt. 2002 wurde er in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen, 2008 in die Bayerische Akademie der Schönen Künste, 2010 bekam er den Heinrich-Mann-Preis verliehen. Zuletzt erschienen «Fliegenpapier. Vermischte Notizen» (2022) und «Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur», das lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste stand. Michael Maar hat zwei Kinder und lebt in Berlin.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Die Originalausgabe erschien 2013 im Verlag C.H. Beck, München

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung Virginia Woolf, Gemälde von Vanessa Bell, um 1912, Rodmell/East Sussex, Monk’s House (National Trust Photographic Library/ © Estate of Vanessa Bell. All rights reserved / Bridgeman Images; © VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

ISBN 978-3-644-01950-8

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

Inhalt

Lese täglich und ...

Elizabeth und ich ...

Manche Leute tun ...

Schmollwinkel und Blütenlese

Heute zu Tisch mit der Geheimrätin

Leben wir nur noch ein paar Kataströphchen weiter

Unbeschreibliche Leere ohne Knöbel

Die Karikatur der Ananas

Furchtbares, ja Tötliches kann geschehen

«Jessas, den Namen kenn’ ich!»

Eiche der Gelehrsamkeit: Gustav René Hocke

Rachebäder und Titanismus

The Importance of Being Earnest

Montauk und die Box of Matches

Zweig, in den Himmel hochschnellend

Succubus und Luzifer

Die Monroe, splitternackt

Mit Engeln streiten

Teuflische Lust, alles zu zerstören

Mädchen mit überschatteten Wangen

Gespenst mit verzerrtem Mund

Trauerspiel Weckdienst

Auch du hast Waffen!

Kranke Eulen

Es ist verboten, Herzen in den Fels zu ritzen!

Großer Nödl

Die Kunst des Bogenschießens

Notizen der Philosophen. Sloterdijks Friseur

Experiment mit der Zeit

Umklammerte Russen und Babamüll

Halsketten und große Kämme

Die schwarze Flagge

Köpfen, Hängen, Spießen

Das Volk klatschte Beifall

Sarajevo

Jeanne d’Arc des Grenzwalds

Die Fackel im Fenster des Reichstags

Sonntagsausflug verboten

Pepys’ grüne Brille

Gefällt mir – gefällt mir nicht

Tolle Sauerei, der Frühling

Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund

Das Kopfkissenbuch

Anmerkungen und Nachweise

Quellen

Personenregister

Inhalt

Schmollwinkel und Blütenlese 19

Heute zu Tisch mit der Geheimrätin 23

Leben wir nur noch ein paar Kataströphchen weiter 27

Unbeschreibliche Leere ohne Knöbel 33

Die Karikatur der Ananas 39

Furchtbares, ja Tötliches kann geschehen 43

«Jessas, den Namen kenn’ ich!» 49

Eiche der Gelehrsamkeit: Gustav René Hocke 53

Rachebäder und Titanismus 57

The Importance of Being Earnest 61

Montauk und die Box of Matches 67

Zweig, in den Himmel hochschnellend 77

Succubus und Luzifer 81

Die Monroe, splitternackt 87

Mit Engeln streiten 89

Teuflische Lust, alles zu zerstören 93

Mädchen mit überschatteten Wangen 99

Gespenst mit verzerrtem Mund 103

Trauerspiel Weckdienst 111

Auch du hast Waffen! 117

Kranke Eulen 121

Es ist verboten, Herzen in den Fels zu ritzen! 127

Großer Nödl 131

Die Kunst des Bogenschießens 137

Notizen der Philosophen. Sloterdijks Friseur 143

Experiment mit der Zeit 153

Umklammerte Russen und Babamüll 161

Halsketten und große Kämme 167

Die schwarze Flagge 171

Köpfen, Hängen, Spießen 175

Das Volk klatschte Beifall 179

Sarajevo 183

Jeanne d’Arc des Grenzwalds 189

Die Fackel im Fenster des Reichstags 193

Sonntagsausflug verboten 201

Pepys’ grüne Brille 205

Gefällt mir – gefällt mir nicht 207

Tolle Sauerei, der Frühling 211

Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund 215

Das Kopfkissenbuch 223

 

Anmerkungen und Nachweise 229

Quellen 243

Personenregister 249

Lese täglich und mit großem Nutzen für meine Seele die Gedanken weiser Männer. Die letzten zwei, drei Tage arbeite ich unaufhörlich und ohne von jemandem gestört zu werden an mir selbst: erlaube mir keine verwerflichen Gedanken und keine leichtsinnigen Handlungen wie etwa Turnen oder Kartenlegen! Und das ist schön. Könnte ich es doch bis zum Tode durchhalten!

 

Leo Tolstoi, Jasnaja Poljana, 1906

Elizabeth und ich haben gestern unsere Gymnastik vor dem Schlafengehen gemeinsam gemacht. Es ist schwer, ein ernstes Gesicht beizubehalten, wenn sie ihre Übungen macht, weil sie mit einer derart ernsthaften, wilden Entschlossenheit zu Werke geht, die einfach zum Kringeln ist. Es ist besonders komisch, wenn wir beide auf der Stelle laufen, weil sie dabei ihre Brüste festhalten muß – eine in jeder Hand –, denn trotz ihrer Festigkeit, eher wie bei einer Dreißigjährigen als bei einer Frau von beinahe 40, sind sie ziemlich groß, und das Gewackel wäre lästig und außerdem nicht gut für Elizabeth. Es ist ein äußerst verlockender Anblick, und wenn es eine öffentliche Vorstellung wäre, würde sie eine Menge von Zuschauern anlocken. Etwa 10 Millionen.

 

Richard Burton, Budapest, 1973

Manche Leute tun es, andere nicht. Nein, nicht von Turnen oder Abendgymnastik, mit oder ohne Zuschauer, ist die Rede. Manche Menschen machen sich die Mühe und führen ein Tagebuch. Manche gehen sogar, wenn sie mit diesem Tagebuch einmal im Rückstand sind, streng mit sich ins Gericht. Der 1740 in Edinburgh geborene berühmte Biograph Samuel Johnsons, James Boswell, schilt sich im Tagebuch: «Ich dürfte eigentlich nicht mehr erleben, als ich hier festhalten kann, genau wie man nicht mehr Korn säen sollte, als man in seiner Scheune unterbringen kann.» Und der 1633 geborene Samuel Pepys legte sogar ein schriftliches Gelübde ab, daß er jeweils sein Tagebuch geführt haben mußte, bevor er eine Frau küssen oder Wein trinken durfte; ein Gelübde, das seinem diaristischen Fleiß sehr auf die Sprünge half.

Warum aber unterzieht man sich dieser zeitraubenden, selbst auferlegten Pflicht, was ist der tiefere Sinn davon? Anders als beim Säen und Ernten dient sie ja nicht dem Überleben oder dem leiblichen Wohl. Und doch steckt offenbar etwas Elementares darin. Was genau es sei, das ist die erste Frage, der wir in dieser kleinen Promenade nachgehen wollen. Sie wird gefolgt von einer zweiten: Warum lesen wir Tagebücher so gern?

Eine Schar von Schriftstellern soll uns dabei begleiten, schon deshalb, weil viele eines geführt haben. Aber daß auch Seefahrer, Polarreisende, Herzöge, Hofdamen und Berliner Gören, daß auch Schauspieler und Biographen und Marinebeamte Tagebuch führen, wie die angeführten Burton und Boswell oder der grandiose Samuel Pepys, soll uns dabei nicht entgehen.

Letzterer mag uns, bevor wir uns ernsthaft an die Beantwortung der Fragen machen, rasch noch ein heute vergessenes Kosmetik-Mittel in Erinnerung rufen. Im Jahr 1664 notiert Samuel Pepys in seinem in Kurzschrift geführten Tagebuch, das erst hundert Jahre nach seinem Tod entdeckt wurde und heute als das bedeutendste Journal des 17. Jahrhunderts gilt: «Ärgerlich über meine Frau, die sich den Urin von jungen Hunden ins Gesicht geschmiert hat – wie Tante Wight, die damit etwas gegen ihr häßliches Gesicht tun will.»

Ob die Kur der Tante viel geholfen hat, bleibt ungeklärt. So ungeklärt wie die Frage, warum Mr. Pepys sieben Jahre nach einer geglückten Blasenstein-Operation, deren Jahrestag er sein Leben lang feierlich begehen wird – warum genau also Samuel Pepys sich im März 1665 der allerbesten Gesundheit erfreut. Ob es an der neuen Hasenpfote liegt, die er als Talisman gegen Darmwinde trägt, oder daran, daß er seither den Rücken kühl hält – oder liegt es an der Terpentin-Tablette, die er jeden Morgen nimmt?

Hasenpfote oder Terpentin? Man sieht hier förmlich, wie sich die Strahlen der Aufklärung durch die Wolkendecke des Aberglaubens bohren oder es zumindest versuchen. Die Tagebücher Samuel Pepys’ sind auch wegen dieser geistesgeschichtlichen Großwetterlage ein einzigartiges und dabei außerordentlich offenherziges Dokument.

Pepys glaubt durchaus an die heilsame Wirkung von Talismanen, so wie seine Frau an die kosmetische von Welpenurin, aber er interessiert sich auch stark für die neuesten wissenschaftlichen Versuche, er macht optische Experimente, und er versäumt es nicht,

die seltsame Kreatur zu besichtigen, die Kapitän Holmes aus Guinea mitgebracht hat: ein großer Schimpanse, in vielem menschenähnlich, ich glaube aber, es ist eine Kreuzung aus einem Menschen und einem weiblichen Gorilla.

Als Leiter der Proviant-Abteilung im Flottenamt stand Samuel Pepys in ständigem Kontakt mit dem Hof. Was dachte der fast aufgeklärte Londoner von seinem Oberhaupt? Einerseits ist er stolz darauf, wenn er im Garten Mr. Petts Kirschen von demselben Baum ißt, «von dem der König heute welche gepflückt hat». Andererseits muß er sich, wenn er den König einmal bei schlechtem Wetter sieht, eingestehen: «Es verringerte meine Achtung vor ihm, daß er nicht in der Lage zu sein scheint, dem Regen Einhalt zu gebieten.»

Er ist eben doch nur ein ganz normaler Mensch und keine Kreuzung von einem Menschen mit einem Halbgott. Der König – wenn wir uns hier gleich schon von Mr. Pepys fesseln und in seine Zeit hineinziehen lassen dürfen –, der König setzt den Respekt seiner Untertanen leider nur allzuoft aufs Spiel. Was Pepys da nicht alles zu hören bekommt … «Mr. Povy erzählt mir, daß der König die meiste Zeit damit verbringt, seine verschiedenen Damen nackt am ganzen Körper im Bett zu küssen; er tut nur das, wozu er gerade Lust hat, und wird seine Geilheit wohl nie loswerden.»

Die durch die Ablenkung entstandene Mißregentschaft führt dazu, daß England fast den Seekrieg gegen Holland verliert. Dabei spart der Damenfreund seinerseits nicht mit Kritik an Kollegen, wie Pepys aus seinem eigenen erlauchten Munde erfährt:

Der König sprach sich u.a. sehr verächtlich über die merkwürdigen Bräuche am spanischen Hof aus; der König von Spanien pißt nur, wenn ein anderer ihm den Nachttopf hält.

Fremde Zeiten, fremde Sitten! Betrüblich, wie diese schon damals im Niedergang begriffen waren. Pepys selbst muß dabei gar nicht päpstlicher tun als der Papst, wenn das Wort bei einem Puritaner erlaubt ist. «Amüsierte mich in der Kirche mit meinem Fernglas, durch das ich das große Vergnügen hatte, eine große Zahl attraktiver Frauen zu beobachten», berichtet Pepys 1667. «Mit dieser Beschäftigung und einem kurzen Nickerchen überstand ich den Gottesdienst leidlich.»

So hielt man es also damals mit der Religion – und Pepys wuchs unter Oliver Cromwell auf! Jene genannte Beschäftigung war offensichtlich eine seiner bevorzugten, wie man seinem Tagebuch entnehmen kann. Ob Kirchenschiff oder Fregatte: «Der Leutnant und ich schauten mit dem Fernglas nach den Frauen, die sich an Bord vorüberfahrender Schiffe befanden und recht ansehnlich waren.» Selbst am Arbeitsplatz ging Peeping Pepys seiner Neigung nach: «Bohrte im Büro ein Loch hinter meinem Stuhl in die Wand, damit ich in die große Amtsstube sehen kann.» Die erotischen Passagen im Tagebuch des großen Pepys, verschlüsselt in einem durchsichtigen Sprachenmix aus Latein, Italienisch, Französisch und Holländisch – «aber elle ne voulait pas, was mich ärgerte» –, präsentieren einen Mann nicht ganz ohne nationale Vorurteile. Die Leserinnen mögen im folgenden bitte das Wort «trotzdem» ignorieren:

Mittagessen im ‹Delphin› mit Kapitän Cooke und seiner Frau, einer Deutschen, die trotzdem sehr schön ist.

Ja, es ist derselbe Captain Cooke, der ihm öfter «betrunken wie eine Haubitze» begegnet, eine ziemliche Last in diesem Zustand, «aber immer angenehm». Was die nationalen Vorurteile betrifft, da hatten es sogar die Frauen des Erzfeindes leichter: «Abends vergnügte ich mich, Gott verzeih’s, durch die Kraft der Phantasie mit der jungen Señora, die heute mit uns zu Mittag gegessen hat.»

Dabei war Pepys glücklich verheiratet, auch wenn er seine Frau betrog und die Rahmendaten nicht mehr genau im Kopf hatte. «Heute ist mein Hochzeitstag, der wievielte, kann ich nicht sagen, meine Frau behauptet, der zehnte.» Spannungen gab es vor allem, was ihre Modeinteressen betraf. «Sah neumodische Unterröcke aus Seide, sehr hübsch, meine Frau möchte so einen haben, aber wir kauften keinen.» Ein Jahr später klingt es schon verdächtig anders:

Sie wünscht sich einen neuen Unterrock, mit seidenen Streifen. Sofort zur Paternoster Row gegangen und den besten gekauft, den ich finden konnte, und einen viel schöneren, als sie wünscht und erwartet.

Ob da jemand ein schlechtes Gewissen hat? Lesen wir weiter in Pepys’ intimem Tagebuch, das er 1669 – anderthalb Jahre nachdem seine Frau ihn mit dem Dienstmädchen erwischt hatte – abbrach, weil er glaubte, er würde erblinden.

Nach Westminster Hall, wo mich Mrs. Lane am Mantel zupft. Ich ging mit ihr in ihren Laden, und sie machte alles, was ich wollte, bat mich aber, ihrem Mann zu helfen. Sie ist schon ziemlich schwanger und sagt, ich soll Pate des Kindes werden, ich will aber nicht.

Wenn Pepys’ Tagebuch den Ruhm so vieler anderer überstrahlt, liegt es vor allem daran, daß es so unverstellt ehrlich ist und so reich an komischen Details. Wo sonst erführe man von dem merkwürdig gehemmten Tag eines seiner Kollegen?

Mr. Townsend erzählte mir von seinem Mißgeschick, daß er nämlich kürzlich mit beiden Beinen durch ein Hosenbein gestiegen und so den ganzen Tag herumgelaufen ist.

Tja, dumm gelaufen, in der Tat, auch wenn man den weiten Hosenschnitt der Zeit kennt – aber es gibt Schlimmeres, etwa einen mißglückten Theaterbesuch:

Heute enden meine Gelübde betreffs Wein und Theater. So beschloß ich, mir eine Freiheit zu gönnen, bevor ich wieder damit beginne. Ging deshalb ins King’s Theatre, wo «Ein Sommernachtstraum» gespielt wurde, ein Stück, das ich noch nicht gesehen habe und auch nie wieder sehen werde, denn es ist das geschmackloseste, lächerlichste Zeug, das ich mein Lebtag gesehen habe.

Kein blinder Shakespeare-Freund also, offenbar. Mit seinen immer wieder gebrochenen Gelübden, Wein und Theaterbesuch betreffend (gebrochen oder umgangen, indem er statt Wein einfach Branntwein trinkt) – mit diesen Gelübden nimmt Pepys übrigens schon die Ankündigungen des Zeno Cosini aus dem Roman Italo Svevos vorweg, in dem Zeno sich in jedem Kapitel schwört, nun wirklich und endgültig mit dem Rauchen aufzuhören.

Neben falsch bestiegenen Hosenbeinen und mißglückten Shakespeare-Aufführungen finden sich bei Pepys auch genügend Reflexe der History mit großem H. In keiner englischen Anthologie fehlt seine Schilderung des großen Londoner Brandes, des great fire of London, das am 2. September 1666 nachts in einer Bäckerei begann, sich verheerend ausbreitete und am Ende vier Fünftel der Stadt in Asche legte. Pepys schafft es, seine Habseligkeiten aufs Land zu bringen oder zu vergraben. Vom Fluß aus beobachtet er den Brand:

Je dunkler es wurde, desto größer erschien das Feuer, in allen Winkeln, auf Hügeln, zwischen Häusern und Kirchen, soweit man sehen konnte, bis hinaus zur City leuchtete die schreckliche, böse, blutrote Flamme, nicht wie die Flamme eines gewöhnlichen Feuers. Wir blieben, bis man das Feuer als einen einzigen riesigen Bogen von dieser bis zur anderen Seite der Brücke sah, ein Bogen, der etwa eine Meile lang war. Der Anblick machte mich weinen.

Berühmt ist auch seine Chronik der großen Pest, unter der London im Jahr zuvor gelitten hatte. Wieder sind es die Details, die uns die Zeit vor Augen führen:

Zog meinen neuen farbigen Seidenanzug an und meine neue Perücke. Was wohl für eine Mode in Perücken kommt, wenn die Pest vorüber ist? Jetzt wagt niemand, Haar zu kaufen, aus Angst, es könnte von einer Pestleiche stammen.

Nur in Tagebüchern ist das Allerprivateste so unlösbar verschlungen mit dem, was später als Datum in den Geschichtsbüchern stehen wird. Ein Tagebuch, nicht zuletzt darin liegt sein Reiz, gibt immer auch ein absichtsloses und um so getreueres Bild seiner Zeit. Wer sich über das Verhältnis von gutsituiertem Ehemann und Gattin im späten 17. Jahrhundert orientieren will, muß keine langen Studien lesen, sondern bei Pepys nachschlagen:

Abends in meinem Arbeitszimmer ihre Haushaltsbücher kontrolliert und festgestellt, daß sie ohne meine Erlaubnis ein Spitzentaschentuch und eine Nadel gekauft hat. Obwohl das nicht besonders schlimm ist, möchte ich doch nicht, daß es einreißt. Wir gerieten mächtig aneinander und gingen verfeindet ins Bett.

Zwei Tage später, vielleicht aus Rache, besucht Pepys abends eine Mrs. Mercer, wo sie sehr ausgelassen sind und sich mit Kerzenwachs und Ruß beschmieren, «bis wir wie die Teufel aussahen». Anschließend tanzen sie bei Pepysens bis morgens um vier.

Werfen wir einen vorerst letzten Blick in diese Aufzeichnungen, in denen im Jahr 1660 eine historische Zäsur aufblitzt. Am 25. September läßt Samuel Pepys sich im Flottenamt zum ersten Mal ein exotisches Getränk servieren. Es stammt aus China und nennt sich Tee.

Schmollwinkel und Blütenlese

Doch warum führt man es zuallererst, das Tagebuch? Befragen wir dazu einen jungen Mann, der zu einem der größten Prosaautoren deutscher Sprache heranwachsen sollte.

Ein Mann ohne Tagebuch (er habe es nun in den Kopf oder auf Papier geschrieben) ist, was ein Weib ohne Spiegel. Dieses hört auf Weib zu sein, wenn es nicht mehr zu gefallen strebt und seine Anmut vernachlässigt; es wird seiner Bestimmung gegenüber dem Manne untreu. Jener hört auf, ein Mann zu sein, wenn er sich selbst nicht mehr beobachtet und Erholung und Nahrung immer außer sich sucht.

Er verliert seine Haltung, seine Festigkeit, seinen Charakter, und wenn er seine geistige Selbständigkeit dahin gibt, so wird er ein Tropf. Diese Selbständigkeit kann aber nur bewahrt werden durch stetes Nachdenken über sich selbst, und geschieht am besten durch ein Tagebuch. Auch gewährt die Unterhaltung desselben die genußvollsten Stunden.

Das schrieb 1838 der spätere Verfasser des Grünen Heinrich und der Seldwyla-Geschichten, Gottfried Keller. Der etwas altkluge und beflissene Duktus verrät, daß es die Notiz eines jungen Menschen ist. Keller war kaum zwanzig, als er dieses Lob des Diarismus verfaßte. In diesem Alter nimmt man sich noch viel vor, das der inneren Disziplin dienen soll. Was beim späten Tolstoi der Vorsatz ist, nicht zu turnen oder gar Karten zu legen, ist beim jungen Zürcher der Vorsatz der täglichen Schreibdisziplin. Man weiß dabei nicht recht, ob der angeführte Genuß der Selbstbetrachtung der eigentliche und wahre Grund ist, warum Keller fürs Tagebuch plädiert. Glaubt er wirklich, man werde ein Tropf, wenn man sich der Übung der täglichen Niederschrift entzieht? Und was die zitierten Weiber angeht, würden sie ohne ihre Spiegel wirklich ihrer Bestimmung gegenüber dem Manne untreu? Ein Feld, auf dem der junge Gottfried übrigens nur sehr theoretisch Bescheid wußte.

An anderer Stelle führt Keller noch weitere Gründe fürs Tagebuchschreiben auf. Und hier klingt schon ein privaterer, ja ein leiser Leidenston mit. Es gebe Zeiten, seufzt er, wo man, geschweige einen warmen Menschen, nicht einmal ein warmes, lebendiges Buch zur Hand habe, an dem man sich bereichern und erquicken könnte. In diesen Zeiten solle das Tagebuch sein Trost sein! Wenn er einen lieben langen Tag nichts Bleibendes getan habe, so wolle er wenigstens dies hineinschreiben, und dann werde das Buch ihm entweder einige Gedanken geben oder einige entlocken, so daß doch ein paar Worte zurückblieben von der luftigen Blase, der Zeit.

Aber nicht bloß in Tagen der Mutlosigkeit – nein! auch in Tagen der festlichen, rauschenden Freude will er stille Momente verweilen und ausruhen im

traulichen Schmollwinkel meines Tagebuches. Ich will die schönsten Blüten erlebter Freude hineinlegen, wie die Kinder Rosen- und Tulpenblätter in ihre Gebetbücher legen; und wie sie sich dann in späteren Jahren wehmütig erfreuen, wann ihnen so ein verblichnes Blumenblatt in einem alten Buche zufällig wieder in die Hände fällt: so will ich mich in meinen letzten Erdentagen erfreuen an den Bildern entschwundener Freuden. Wann dann zwischen dreihundertfünfundsechzig Regentagen des Leidens nur ein Sonnentag der heiteren Freude und des Mutes hervorlacht, so will ich alle jene Regentage vergessen und mein dankbares Auge nur auf diesen sonnigen Freudentag heften und den Herren preisen, daß er mir wenigstens diesen gegeben hat.

Das sind poetische Vorsätze, die der junge Künstler sich da macht. Nun weiß man, welchen Weg die meisten menschlichen Vorsätze gehen. Mit dem selbstironischen Witz, der ihm inzwischen zugewachsen ist, schreibt Gottfried Keller über seine Eloge des Tagebuchs beim späteren Wiederlesen:

Diese Worte habe ich vor fünf Jahren, im Heumonat 1838, in meinem neunzehnten Jahre, niedergeschrieben, ohne daß ich bis jetzt irgend einmal ein Tagebuch angefangen hätte. Ich denke aber, es geht mir nicht allein so, und ich habe schon oft geahnt und an mir selbst erfahren (ich müßte denn eine tüchtige Abnormität sein), ich habe schon oft bemerkt, sage ich, daß in der Welt sehr viel Schönes, Wahres, sehr gründlich und solid Scheinendes, dem, der es sagt, zur Ehre Gereichendes gesprochen, geschrieben und behauptet wird, ohne daß es dem Autor im mindesten in den Sinn käme, das mit so viel Energie Geäußerte auf sich selbst anzuwenden oder auszuüben.

So wäre uns das erste Beispiel für einen überzeugten Diaristen gleich gründlich mißraten. Keller lehrte das eine und tat das andere. Er predigte das Wasser des täglichen Pensums und trank den Wein der Schreibabstinenz. Dafür hat er uns mit dem Ausdruck «Schmollwinkel» beschenkt, der eine Seite des Tagebuchschreibens genau trifft. So wie der große Außenseiter der deutschen Romantik Jean Paul den hauptsächlichen Zweck der Ehe darin sah, daß man sich vor der Ehefrau ungeniert loben dürfe, so kann man sich im Tagebuch so recht über die böse Welt ausschütten. Das Tagebuch ist gewissermaßen die Beschwerdestelle, deren Schalter nie geschlossen hat, die Hotline ohne Warteschleife – und noch dazu gebührenfrei. Schon Arthur Schnitzler vermerkte 1880 im Tagebuch über das «Scribieren», das er sich nun einmal angewöhnt habe, es sei ein wohltuendes Gefühl, «mit wem zu plaudern, der einem nicht widersprechen kann».

Heute zu Tisch mit der Geheimrätin

Nicht jeder Mensch, der ein Tagebuch führt, muß indessen ein Pankrazscher Schmoller, eine Mimose oder ein Griesgram sein – wobei Mimosentum sicher hilft. Positiv gewendet: eine erhöhte Aufmerksamkeit für die inneren Regungen und Malaisen.

Ein Idol und literarischer Lehrmeister Kellers stand in seiner Jugend einem Zirkel nahe, der diese erhöhte Aufmerksamkeit für die inneren Regungen zum Kult erhob. Das Idol war Goethe, und der Zirkel war der pietistische Kreis um Susanna Katharina von Klettenberg, eine Freundin von Goethes Mutter. Ab 1772 geriet der junge Johann Wolfgang für eine Weile unter ihren Einfluß, wovon das sechste Buch von Wilhelm Meisters Lehrjahren Zeugnis gibt. Es trägt den Titel Die Bekenntnisse einer schönen Seele, und der Name war Programm. Schöne, gründlich ausgekehrte Seelen, darum ging es im Pietismus Herrnhuterscher Prägung, den die Klettenberg vertrat. Was diesen Pietismus auszeichnete, war die fast hypochondrische Innenschau, das sorgenvolle Abtasten jeder einzelnen Herzfaser, das Hin- und Herwenden aller Seelenkrümel, unter denen sich womöglich ein sündiger befand. Diese Geisteshaltung, dieses religiöse Temperament sind dem Tagebuchschreiben äußerst günstig – wir werden es auch bei den modernen Autoren feststellen. Goethe freilich löste sich bald von den Schönen Seelen und der Unsichtbaren Kirche, die sie errichtet haben wollten. In seinen Memoiren Dichtung und Wahrheit bedenkt er die «Stillen im Lande», wie sie sich nannten, nur noch mit sanftem Spott. Er war weitergewandert und hatte sich von den Seelenzerkrümlern entfernt. Die Nachfolger der Pietisten sind heute übrigens die Psychoanalytiker.

Das Tagebuch, das Goethe führte, ist denn auch der sprechende Beleg für seinen Anti-Pietismus. Es ist kein übliches Tagebuch. Keine Spur von Innenschau, von Beschwerdefreude, von Schmollwinkelei oder Sündengram. Nur dem jungen Goethe, erst seit kurzem Berater des Herzogs in Weimar und mit Pflichten überhäuft, entfährt noch ab und zu ein Seufzer. Als am 5. Juli 1779 in Apolda über Nacht ein großes Feuer ausbricht, muß er am nächsten Morgen den Brand inspizieren und wird «den ganzen Tag gebraten und gesotten».

Die Augen brennen mich von der Glut und dem Rauch und die Fußsohlen schmerzen mich.

Das Elend wird mir nach und nach so prosaisch wie ein Kaminfeuer. Aber ich lasse doch nicht ab von meinen Gedancken und ringe mit dem unerkannten Engel sollt ich mir die Hüfte ausrenken. Es weiß kein Mensch was ich thue und mit wieviel Feinden ich kämpfe um das wenige hervorzubringen. Bey meinem Streben und Streiten und Bemühen bitt ich euch nicht zu lachen, zuschauende Götter. Allenfalls lächeln mögt ihr, und mir beystehen.

Beigestanden sind sie ihm dann, und sein späteres Tagebuch verzichtet auf weitere Klagen und Fürbitten. Es sind eher Notiz- als Tagebücher, von größter Nüchternheit, dürre Terminkalender, in denen die Verrichtungen des Alltags festgehalten werden und das gemeinsame Mittagessen mit der Frau als «heute zu Tisch mit der Geheimrätin» firmiert.

Das klingt nun allerdings zeremoniöser, als es gemeint war. Der Grund für diese überformelle Benennung des Bettschatzes, wie er seine Frau Christiane Vulpius sonst gerne nannte, war ein einfacher: Goethe hat sein Tagebuch später meistens diktiert. Der Schreiber sollte nicht Zeuge von Intimitäten werden, darum hieß der Sohn August irgendwann einfach «Kammerrat Goethe».

Das Lektürevergnügen der Nachwelt ist entsprechend begrenzt. Vergnüglicher blättert es sich da in den Tagebüchern der Goethe-Feinde. Bei dem frühverstorbenen schwäbischen Schriftsteller Wilhelm Waiblinger, einem Freund Eduard Mörikes und Hölderlins, findet sich etwa der knappe Vorsatz: «Man sollte Goethen aus der Welt schaffen.» Und Waiblinger erklärt, warum er sich nicht selbst an die Aufgabe macht: «Wenn ich nicht zu eigenliebig wäre, und die Überzeugung mich nicht festhielte, ich könnte einmal etwas leisten, so würd ichs thun. Es wäre dann die That einer großartigen Verzweiflung.»

Der Auslöser dieser Verzweiflung war ein untypischer Vertreter des Tagebuchs. Als Dokumente der Selbsterkundung viel typischer sind die Tagebücher der späteren Generation, vor allem die Platens und Hebbels. Aber ein besonderes Tagebuch führte auch eine jüngere Zeitgenossin Goethes, die dem Alten viel liberaler gegenüberstand.

Leben wir nur noch ein paar Kataströphchen weiter

Dabei hätte gerade sie Grund gehabt für Ressentiment, wenn sie den Anfang von Dichtung und Wahrheit mit ihrem eigenen Leben verglich. Goethe weist zu Beginn seiner Lebenserzählung nicht ohne Feierlichkeit auf die glückliche Konstellation bei seiner Geburtsstunde hin:

die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.

Diese guten Aspekten, welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen sein: denn durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für tot auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen brachte man es dahin, daß ich das Licht erblickte.

Wie anders die Umstände der Rahel Levin, die 1771 in Berlin als ältestes Kind eines wohlhabenden Juwelenhändlers geboren wird. Bei ihr war es mit der Fast-Totgeburt gerade andersherum. «Wenn meine Mutter gutmütig und hart genug gewesen wäre und sie hätte nur ahnen können, wie ich werden würde», schreibt Rahel nicht ohne Bitterkeit, «so hätte sie mich bei meinem ersten Schrei im hiesigen Staub ersticken sollen.»