Krimis für jede Lebenslage - Ingrid Werner - E-Book

Krimis für jede Lebenslage E-Book

Ingrid Werner

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Beschreibung

Sind Sie gerade frisch verliebt? Oder schon viel zu lange verheiratet? Planen Sie Ihren nächsten Segelurlaub oder gehen Sie lieber angeln? Managerinnen, Käferexperten, Rentnerinnen oder Zoobesucher nehmen Sie sich in Acht! Überall lauern Gefahren! Dreizehn böse Geschichten voll krimineller Energie und einer Prise Augenzwinkern. Ingrid Werner mordet - literarisch - gern kurz und abwechslungsreich. Ihre Krimishots wurden in unterschiedlichen Verlagen veröffentlicht und einige waren für Krimipreise nominiert. Nun führen ihre Spuren in diesem Buch zusammen. Bonus: Gastkrimi von Peter Goldner - Als klassisch ausgebildeter Musiker bestens vertraut mit den Abgründen der menschlichen Seele erkundet er diese erstmals auch schreibend.

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Seitenzahl: 150

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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit Ereignissen, lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

Vorwort

Für Eheleute

Karpfhamer Käferglück

Für Erstsemester

Probewohnen

Für Neffen

Versoffene Jungfer

Für Angler

Ein wasserdichtes Alibi

Für Hobbydetektive

Griesbacher Familiengeschichten

Für Keltenbegeisterte

Die Flucht

Für Frischverliebte

Hormone

Für Rentnerinnen

Und sie lebte glücklich

Für Wandergesellen

Götter, Gräber und Gelehrte

Für Comicfans

Pockinghausen

Für Zoobesucher

Katzen eben

Für Segler

Zwanzig Jahre später

Für Schüler

Nachsitzen

Nachwort

Über die Autoren

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie müssen sich nicht unbedingt kopfüber von der Decke hängen lassen, um meine Geschichten lesen zu können, ein gemütliches Sofa tut´s auch. Oder ein Sitzplatz im Zugabteil. Ein Liegestuhl am Strand. Oder…

So vielfältig die Möglichkeiten des Leseortes sind, so abwechslungsreich habe ich die Kurzkrimis gestaltet und wünsche Ihnen damit angenehme Lesestunden.

Die nachfolgenden Kurzgeschichten erschienen so oder so ähnlich schon in verschiedenen Anthologien, manche von ihnen wurden für Krimipreise nominiert. Hier finden sie eine neue, gemeinsame Heimat.

Viel Vergnügen!

Ingrid Werner

Für Eheleute

Karpfhamer Käferglück

»Das Ei ist hart, Christine.« Hugo klopft mit dem Löffel an die Eierschale. »Wie oft sagte ich dir schon, ich möchte mein Ei drei Minuten, Christine? Wie oft?«

Er seufzt. Das hat er geübt. Dreiundvierzig Jahre lang. Nun, vielleicht auch nur zweiundvierzig, im ersten Jahr sah er noch milde über ihre Unzulänglichkeiten hinweg. Was sollte man auch anderes erwarten, wenn man von Hannover nach Niederbayern geraten war und seine blutjunge Sekretärin geheiratet hatte? Man musste Geduld mit ihr haben. Mutter war damals auch seiner Meinung.

»Nein, Christine, nicht wieder diese Ausrede«, erstickt er ihre potenzielle Erwiderung im Keim. »Du besitzt eine Küchenuhr. Und zu deinem letzten Geburtstag schenkte ich dir eine neue Eieruhr. Ein Rottaler Pferd, bei dem man mit der Drehung des Halses die Zeit einstellen kann. Sehr pittoresk, wie ich finde.« Er fährt mit dem Finger zwischen seinen eigenen Hals und den Hemdkragen, um die Enge zu lockern. Warum muss sie den Kragen auch immer so stärken?

»Und sie funktioniert auf die Sekunde«, doziert er weiter. »Ich habe es überprüft. Den vorherigen Küchenwecker hast du ja auf den Boden fallen lassen.« Er rückt sein Buttermesser einen Tick nach links. »Allerdings ist mir nicht entgangen, dass die Küchenwand nach deinem, ähm, Missgeschick eine Delle aufwies.« Sie trifft ein Blick aus grauen Augen. »Wir wollen nicht weiter darüber sprechen.«

Schweigend widmen sich beide wieder dem Frühstück. Da klingelt es an der Wohnungstür. Christine sieht ihren Gatten an, dieser isst jedoch ungerührt weiter. Als sie aufsteht, schwingt ihr Rock um die schlanken Beine und über ihr Gesicht huscht ein winziges Lächeln.

Nach einigen Minuten kommt Christine zurück. Es war der Postbote. Neben Werbung hat er auch ein Päckchen für Hugo gebracht. Christine reicht es ihm. Hugos Gesicht bekommt vor Freude eine zartrosa Färbung, die sich bis zu den über seine Glatze gekämmten Haarsträhnen ausbreitet. So entgeht ihm, dass seit dieser Unterbrechung auch Christines Wangen glühen. Wenn auch aus einem anderen Grund.

»Endlich!« Seine Lieferung des Coleoptera-Shops ist eingetroffen. Aber selbst dadurch wird er sich seinen Tagesablauf nicht durcheinanderbringen lassen. Er legt das Päckchen auf den Tisch, tupft mit der Stoffserviette die Brezelkrümel von den Lippen, entfaltet die Tageszeitung und vertieft sich in seine Lektüre. Als Christine seinen Teller abräumen will, dreht er sich hilfsbereit zur Seite. Sie ist auf dem Weg in die Küche, da fällt ihm noch etwas ein.

»Christine!«, ruft er ihr hinterher.

Seine Frau erstarrt in der Bewegung, ihr Rücken versteift sich. Sie dreht sich jedoch nicht um. Er lässt die Zeitung sinken. »Was gibt es denn zum Mittagessen?«, fragt er, raschelt das Papier allerdings sogleich wieder nach oben. »Ach ja, ich erinnere mich! Pilze.« Seine Aufmerksamkeit kehrt zu den Schlagzeilen zurück, schon hat er seine Gattin vergessen. Mit einem Ruck setzt sie den Weg in ihre Gefilde fort und schließt leise die Tür.

Vormittags pflegt er sich seiner Käfersammlung zu widmen. In seinem Herrenzimmer hat er ein paar erstaunliche Exemplare der Rosalia alpina, des Alpenbocks, der auch im Bayerischen Wald vorkommt. Ganz erstaunlich, denn das übliche Blauschwarz der Panzer schimmert bei diesen Stücken purpurn. Hugo ist schon länger der Ansicht, dass man deren Klassifizierung ändern müsste. Ja, in der Tat. Aber unglücklicherweise hat die Fachwelt noch keine Notiz davon genommen. Bislang war er viel zu bescheiden, hat mit seinem enormen Wissen hinter dem Berg gehalten. Das meinte auch Mutter immer. Viel zu bescheiden. Das wird er jetzt angehen. Für heute hat er sich vorgenommen, einen ausführlicheren Artikel an die Fachzeitschrift Käfer – Die Krönung der Schöpfung zu schicken.

Sein Päckchen hat er mitgenommen und für später auf seinen Schreibtisch abgelegt. Er setzt sich und greift gewohnheitsmäßig in die Schale, in der seine Pfefferminzpastillen bereit liegen. Er fasst jedoch ins Leere. Schon wieder. Nie füllt Christine rechtzeitig auf. Er seufzt. Heute scheint ein Tag der Seufzer zu sein.

»Mutter, was soll ich nur mit ihr machen?«, fragt er die Fotografie im silbernen Rahmen, die auf seinem Tisch steht.

Lange starrt er in das geliebte Gesicht. Die gleichen Augen, die gleichen Lippen wie er. Die grauen Haare zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmt blickt sie ernst zurück. Er hält stumme Zwiesprache mit ihr, wie er es schon so oft in den letzten sieben Jahren seit ihrem Tod getan hat. Warum hat sie ihn verlassen? Sie war das Beste in seinem Leben. Sie hat ihn verstanden. Sein perfektes Pendant. Mit einem erneuten, tiefen Seufzer wendet er sich seinem Artikel zu.

Ganz in die Problematik seiner Argumentation vertieft nimmt er erst mit der Zeit wahr, dass Marschmusik durch die geschlossene Zimmertür an sein Ohr dringt. Jetzt fällt ihm auch auf, dass sein Unterbewusstsein immer wieder die Stimme seiner Frau vernommen hat. Rief sie nicht ›Hurra, hurra‹? Was ist da los? Das Klappen der zuschlagenden Wohnungstür weckt nun endgültig sein Interesse. Sie ist weg. Gut. Aber wohin geht sie? Er eilt den Flur entlang zum Esszimmer. Durch die Spitzengardine sieht er seine Frau. Sie steht am Straßenrand mit einem Weidenkorb am Arm. Auf der Straße ist allerhand los. Zuschauer stehen dichtgedrängt und jubeln den vorbeiziehenden Trachtengruppen und den Goldhaubenfrauen zu. Der Umzug des Karpfhamer Festes wälzt sich durch die Straße. Nun erklärt sich ihm auch Christines Geschrei. Als Einheimische liebt sie dieses Spektakel. Für ihn ist es nichts, er bevorzugt klassische Konzerte.

Hinter einer Blaskapelle fährt ein Pferdegespann mit sechs Rössern, ein Vorgeschmack auf den berühmten Zehnerzug. Die Leute johlen und klatschen. Auch Christine jauchzt und winkt. Gerade als er denkt, dass sie sich lieber an ihre Pflicht erinnern und Pilze sammeln sollte, dreht sie sich nach links, ihr Rock flattert fröhlich um ihre Beine und sie marschiert los. Richtung Rottauen.

Erleichtert richtet sich Hugo aus seiner Beobachterposition auf. Er ist allein. Endlich. Was soll er jetzt beginnen? Natürlich könnte er sich in sein Herrenzimmer zurückziehen und den Artikel beenden. Dazu fehlt ihm jedoch nach dieser Unterbrechung die Inspiration, außerdem stört ihn nun der Lärm von der Straße. Aber er weiß schon. Er wird sein Päckchen öffnen.

Welch ungetrübte Freude! Zwischen den Styroporkügelchen sind Schachteln versteckt, in denen seine Lieblinge aus allen Herren Ländern auf ihn warten. Es sind nicht nur harmlose Vertreter ihrer Gattung dabei. Nein, er ist durchaus risikofreudig. Vor Jahrzehnten hat er beispielsweise mit der Spanischen Fliege experimentiert. Da er in der Anfangszeit seiner Ehe meinte, seinen Pflichten nachkommen zu müssen, wollte er dies auf naturkundlichen Weg unterstützen. Sozusagen. Aber die Einnahme bereitete ihm keine Freude. Eine Dauererektion ist eben kein Aphrodisiakum. Er denkt nur ungern daran zurück. Geblieben ist allerdings seine Leidenschaft, die chemischen Bestandteile seiner Schätze zu erforschen, und so hat er auch diesmal einige extraordinäre Exemplare bestellt. In freudiger Erwartung holt er Lupe, diverse Fachbücher, Pinsel, Stößel und Mörser sowie extragroße Stecknadeln hervor und macht sich an die Arbeit. Er sortiert, befestigt, katalogisiert, pulverisiert, presst und verstaut Käfer, Larven und Eier. Später wird er in seinem Laboratorium im Keller einige Pulverpresslinge genauer analysieren. Aber eins nach dem anderen. Inzwischen legt er sie in diese leere Schale.

Der Duft von Semmelknödeln mit Pilzsoße schlängelt sich zu ihm herein. Sein Lieblingsessen. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihm, dass er lange gearbeitet hat. Konzentriert und ohne Unterbrechung. Darum fühlt er sich auch gar nicht ermattet. Im Gegenteil. Er registriert, dass seine Stimmung gut, der Geist wiederbelebt ist. Außerdem verschafft es ihm tiefe Befriedigung, dass er die gesamte Bestellung schon aufgearbeitet hat. Nun hört er Geschirr klappern. Da wird er sich mal ins Esszimmer begeben.

Mit gewaschenen Händen setzt er sich zu Tisch. Christine bringt die Schüssel mit Pilzsoße und Knödeln herein. Beinahe ist er in der Laune, seine Frau anzulächeln. Aber nur beinahe. Stattdessen schlägt er die Serviette auf und stopft sie sich in den zu engen Hemdkragen. Vor ihm stehen wie üblich seine Gesundheitstropfen bereit. Leberstärkende Mariendistel, darauf schwört er. Eilig stürzt er sie hinunter.

»Mahlzeit.« Hugo will zum Soßenlöffel greifen und sich sein wohlverdientes Mittagessen einverleiben, da faltet sie die Hände. Sie betet!

Mit zusammengekniffenem Mund starrt er sie an. Das macht sie absichtlich. Sonst muss sie auch nie beten. Aber heute. Wenn er solchen Hunger hat, lässt sie ihn vor seiner Leibspeise warten.

Endlich bekreuzigt sie sich. »Amen.«

Er tut sich ordentlich auf. Kochen kann sie ja. Bis auf Eier. Aber naja, ansonsten bringt sie Anständiges auf den Tisch. Mit gesegnetem Appetit schaufelt er sich die von der Soße aufgeweichten Knödel in den Mund.

»Da war dir heute das Finderglück aber hold«, meint er. Das deftige Mahl stimmt ihn milde. Vielleicht hat er heute Morgen doch überreagiert.

Mit diesen versöhnlichen Gedanken häuft er sich ein zweites Mal auf.

Sie isst zaghaft. Schiebt ihre bis ins Kleinste zerstückelten Brocken auf dem Teller hin und her. Ihre Augen wandern durch das Zimmer, bleiben manchmal auf ihrem Ehemann liegen. Flackern wieder weg. Christine streicht ihre immer noch blonden Haare nach hinten, befestigt eine gelöste Strähne im Dutt. Sie nippt an ihrem Wasserglas. Ihre Hand zittert. Als sie es bemerkt, stellt sie das Glas sofort wieder ab. Ein schneller Blick zu ihrem Mann. Aber er hat nichts gesehen. Er ist zu sehr mit Knödeln, Pilzen und Soße beschäftigt.

Endlich ist der letzte Rest verputzt. Hugo lehnt sich zurück, zieht die Serviette aus seinem Kragen und wischt sich das Gesicht ab. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Am liebsten hätte er laut gerülpst.

»Ein Digestif wäre jetzt angebracht.«

Seine Frau kommt dieser indirekten Aufforderung sogleich nach, stößt dabei im Aufstehen fast den Stuhl um.

Der Bärwurz ist von der Brennerei aus dem Nachbarort. Die Karaffe aus Bleikristall steht auf der Anrichte. Niemals würde Hugo eine profane Schnapsflasche dulden. Sie schenkt ihm ein, auch sich, was ungewöhnlich ist. Schließlich hat sie nichts gegessen. Aber er lässt es ihr durchgehen. Gönnerhaft prostet er ihr zu. »Gut hast Du gekocht, Christine.«

Sie nickt, kippt den Schnaps auf Ex und senkt den Blick auf die Tischplatte.

Hugo sehnt sich nach einem Mittagsschläfchen. Er wechselt auf die Couch in seinem Herrenzimmer und lässt sich vorsichtig nach hinten auf die Sitzfläche plumpsen. Der gefüllte Magen erlaubt kein Abknicken des Rumpfes oder sonstige heftige Bewegungen. Er schüttelt die Hausschuhe von den Füßen und legt sich langsam auf den Rücken. Heute hat er es wohl doch etwas zu gut gemeint mit sich. So gesättigt fühlte er sich schon lange nicht mehr. Um nicht zu sagen, übersatt. Mutter würde ihn ob solch einer Völlerei tadeln. Ganz Recht hätte sie.

Ach, Mutter.

Es geht ihm wirklich nicht gut. Leidend das Gesicht verzogen senkt er die Lider. Vielleicht hilft der Schlaf.

Plötzlich reißt er seine Augen weit auf. Ihm ist so übel! Er weiß nicht, ob er tatsächlich geschlafen hat, noch hat er im Gefühl, wie spät es ist. Abendliches Rotgold leuchtet durch den Spalt in den Vorhängen. Der Umzug ist schon lange vorbei. Aber für solche Beobachtungen und Rückschlüsse fehlt ihm im Moment jeder Sinn. Sein Körper ist in Not. Hugo liegt immer noch auf dem Rücken. Seine Bauchdecke drückt enorm gegen den Hosengürtel, darunter und darüber wölbt sich in besorgniserregender Weise der Stoff. Flatulenz und peristaltische Krämpfe toben in seinem Inneren. Er möchte die Hand ausstrecken und den Gürtel lockern, aber er kann sich nicht rühren. Er versucht, die Finger zu bewegen, mit den Zehen zu wackeln. Nichts. Ihm ist, als ob er in einem eisernen Sarg läge. Das Atmen fällt ihm schwer. Mühsam schnappt er nach Luft.

Herr im Himmel, hilf!

Da öffnet sich die Zimmertür. Vom Gang fällt Licht herein und blendet ihn. Er zwickt die Augen zusammen und fühlt, wie ihm der Angstschweiß in die Ohren läuft. Jemand kommt ins Zimmer. Christine. Er möchte sie anflehen, sie solle den Doktor rufen oder gleich den Krankenwagen. Es stehe ernst um ihn, sehr ernst. Aber nur ein Krächzen entweicht seiner trockenen Kehle. Christine kommt näher. Er hört ihre katzenleisen Schritte. Sie beugt sich über ihn.

Hilfe! Hilf mir doch! Hugo legt all sein beschwörendes Bitten in den Blick.

Sie sieht ihm jedoch nicht in die Augen, sondern erfasst nur flüchtig seinen Zustand. Das kalkweiße Gesicht, die verkrampften Hände, der explodierende Bauch. Sie scheint zufrieden. Nickt kurz. Dreht sich schwungvoll um und eilt zurück. Da hält sie inne.

»Oh, Pfefferminzbonbons!«, ruft sie aus, greift in die Schale und steckt sich geschwind fünf Stück in den Mund.

***

Der Polizeiwagen wartet vor der Tür. Hugo neigt den Kopf zum angedeuteten Gruß für die beiden Nachbarinnen, die mit dem Besen in der Hand am Zaun stehen. Stumm starren sie ihn an. Die Schatten um seine Augen sind tief, und seine Haut scheint genauso grau geworden zu sein wie seine Iris. Als er auf den Rücksitz des Wagens geschoben wird, beugt er sich vor, um einen letzten Blick auf sein Haus zu werfen.

Die Frauen schweigen, bis das Auto um die Straßenecke verschwunden ist. Dann stecken sie die Köpfe zusammen.

»Seine arme Frau! Den ganzen Tag hat sie sich den Buckel krumm gearbeitet für ihn. Er hat sich immer nur bedienen lassen. Und zum Dank …«, sie senkt die Stimme, »hat er sie jetzt umgebracht.«

»Red koan Scheiss!« Die andere schaut sie ermunternd an. »Wie soll er des jetzt gmacht ham?«

»Vergiftet! Er hat sie mit seinen grauslichen Viechern umgebracht! Die Käfer, die er da immer gesammelt hat. Da waren giftige drunter. In seinem Keller hat er ein Labor gehabt. Das hat sie mir amal verzählt. Da hat er die Dinger ausgeforscht, wie viel Gift sie haben und so. Und damit hat er sie umbracht, die Christa!«

»Ah, geh!«

»Ah, ja! Er hat die Sachen im Internet bestellt. Da kriegt man alles. Von überall. Ich hab ihm auch amal so ein Packerl angenommen, wie sie nicht da waren. Wenn ich gewusst hätt, was da drin ist und was er damit machen will, hätt’ ich zum Postboten gesagt, nein, hätt’ ich gesagt, nicht mit mir. Ich helf ihm da ned dabei«

Die andere nickt. Die Erste wischt sich mit einem gebrauchten Taschentuch über den Mund. »Und dann ist er so ausgschamt, dass er sagt, nicht ER hätt’ SIE, sondern SIE hätt’ IHN vergiften wollen.«

»Naaa!« Die Zweite schüttelt den Kopf.

Die Erste nickt heftig. »Giftige Schwammerl hätt sie ihm gekocht, hat er gesagt. Und mit Fleiß. So ein Schmarrn. Da wär er ja tot. Ist er aber koa bisserl.«

»Genau.«

»Er meint, das hätt’ er nur seiner guten Gesundheit zu verdanken, dass er noch lebt.«

»Ah, geh!« Die Frau beugt sich noch näher zu ihrer Nachbarin. Ein Glänzen in den Augen.

»Ah, ja, was sag ich? Der meint, er könnt uns verar… Sie wissens scho. Beweise hat er nämlich keine. Die Frau hat schon alles abgespült gehabt. Und Reste waren keine mehr da, weil er alles aufgegessen hat. Überfressen wird er sich eben haben, sonst nichts.«

»Des wird’s sein.«

Beide wackeln einvernehmlich mit den Köpfen. Ein Radfahrer fährt vorbei, sie schauen ihm hinterher.

»Und haben S’ des vom Postboten schon gehört? Was dem passiert ist?«

»Naaa, wos?«

»Der ist ins Wasser gegangen. In die Rott. Gestern. Gleich auf der Stelle war er tot.«

»Ah, geh!«

»Ah, ja! Und die Leut sagen, er hätt’ das mit Fleiß gemacht. Aus Liebeskummer. Er hätt’ was gehabt mit einer Verheirateten. Hier aus der Gegend.«

»Ah, geh! Mit wem?«

Käferglück erschien in der Anthologie Schwabens Schwarze Seele des Wellhöfer Verlages, Herausgeberin Bettina Hellwig. Die schwäbische Version davon.

Für Erstsemester

Probewohnen

»Bitte helfen Sie mir!«

Eine junge Frau glitt neben Hartmut auf die Parkbank. Sie legte ihre Hand auf den Ärmel seines Mantels und ein Blick aus veilchenblauen Augen flog über sein Gesicht. Rasch wandte sie sich wieder um. »Ich werde verfolgt.«

»Du meine Güte. Von wem?“ Hartmut ließ die Passauer Neue Presse sinken. Gerade hatte er den Artikel über die Studentin gelesen, die vor zwei Monaten verschwunden war. Gestern war sie von Anglern aus der Donau gefischt worden. Das war schon die vierte Tote dieses Jahr. Die Polizei bat die Bevölkerung um Mithilfe.

Es dämmerte über der Innwiese. Neben ihnen in den Büschen raschelte es. Die Frau rückte näher an Hartmut heran und ergriff nun auch mit der anderen Hand seinen Arm. Er spürte, dass sie zitterte.

»Die Typen dahinten.« Sie verstummte.

Langsam drehte sich Hartmut um und blickte den Kiesweg in Richtung Universitätsgebäude hinunter. Er sah zwei junge Burschen, vielleicht Anfang Zwanzig und nicht viel älter als das Mädchen neben ihm, die sich in den Schatten einer Buche drückten. Einer trug eine grüne Kappe verkehrt herum auf dem Kopf, das Kinn des anderen zierte ein Ziegenbärtchen. Das konnte Hartmut zweifelsfrei erkennen. Sein Sehvermögen war noch tadellos.

»Haben die beiden Ihnen Angst eingejagt?« Hartmut musterte ihr hübsches Gesicht und ließ seinen Blick über ihre zarte Figur gleiten. Dann fasste er einen Entschluss. Er