Raumschiff Rubikon Großband 11 - Vier Romane der Weltraumserie - Manfred Weinland - E-Book

Raumschiff Rubikon Großband 11 - Vier Romane der Weltraumserie E-Book

Manfred Weinland

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Beschreibung

Raumschiff Rubikon Großband 11 - Vier Romane der Weltraumserie von Manfred Weinland Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Romane: Manfred Weinland: Die Geister von Nomad Manfred Weinland: Die Macht der Fraktalen Manfred Weinland: Griff aus dem Urkontinuum Manfred Weinland: Ende und Anfang Am Morgen einer neuen Zeit. Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen. Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung. Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten. Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

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Raumschiff Rubikon Großband 11 - Vier Romane der Weltraumserie

von Manfred Weinland

Über diesen Band:

Dieser Band enthält folgende Romane:

Manfred Weinland: Die Geister von Nomad

Manfred Weinland: Die Macht der Fraktalen

Manfred Weinland: Griff aus dem Urkontinuum

Manfred Weinland: Ende und Anfang

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Raumschiff Rubikon Großband 11 - Vier Romane der Weltraumserie

Raumschiff Rubikon 41 Die Geister von Nomad

Raumschiff Rubikon 42 Die Macht der Fraktalen

Raumschiff Rubikon 43 Griff aus dem Urkontinuum

Raumschiff Rubikon 44 Ende und Anfang

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Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

––––––––

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

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© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Raumschiff Rubikon 41 Die Geister von Nomad

Manfred Weinland

Raumschiff Rubikon 41 Die Geister von Nomad

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Raumschiff Rubikon 41 Die Geister von Nomad

Manfred Weinland

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Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

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Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...

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© Cover: Nach Motiven von Pixabay, Adelind, Steve Mayer

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Prolog

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Das Ewige Licht spiegelte sich in den Wassern des uralten Meeres, von dessen Ufer aus Joran die Fische tanzen ließ. Das kuriose Spiel war ideal, um die Sinne zu schärfen – den einen Sinn ganz besonders.

Joran lächelte vage, ohne in seiner Konzentration nachzulassen. Das Rad aus schillernden Leibern, dessen unteres Ende das Wasser durchpflügte – langsam genug, dass die Kiemen der gefangenen Fische jedes Mal, wenn sie eintauchten, Atem für eine neue Drehung schöpfen konnten –, war einer jener Einfälle, auf denen Jorans Ruf als Tunichtgut gründete. Selbst seine Eltern hatten mehr als einmal zum Ausdruck gebracht, dass sie seine Marotten verurteilten. Es gab tausend Möglichkeiten für einen Begabten, seine Talente in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Aber bislang hatte Joran sich noch für keinen dieser Wege entscheiden können. Er war zufrieden mit sich und dem, was er hatte. Mehr zu wollen, hätte wahrscheinlich bedeutet, dass er den sicheren Hort seines Elternhauses hätte verlassen und wenigstens in die nächstgrößere Stadt ziehen müssen. Offenbar verstand niemand, dass er hier – hier und nirgends sonst – verwurzelt war. Dieser Flecken Erde, der an die wellenumspülte Küste anschloss, war sein Zuhause und schon der bloße Gedanke, von hier fortzugehen, verursachte ihm brennendes Heimweh. Wie sollte es erst sein, würde er all dies wahrhaftig hinter sich lassen?

Sein Lächeln kam abhanden. Idealerweise hätte das Rad ihm helfen sollen, seine Gedanken zu kanalisieren, ihn von den schmerzlichen Erwartungen abzulenken, die jedermann an ihn stellte. Aber öfter als ihm lieb war, holte ihn sein eigener Anspruch wie der der anderen ein. Aus weit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie sich die einzelnen Bauteile des Rads aus ihrem Verbund lösten und nacheinander zurück ins Wasser stürzten. Einen Atemzug später war auch das letzte Fischlein darin verschwunden, und Joran katapultierte sich aus seiner sitzenden Haltung empor in den Stand.

Einen Moment lang wurde ihm schwarz vor Augen, seine Beine zitterten. Für sein Alter war er schmächtig und geriet viel zu schnell außer Atem. Andere sechzehnjährige Multiple waren fast ausgewachsen und überragten in der Regel ihre Erzeuger. Joran nicht. Wenn er vor seiner Mutter stand, war sie immer noch einen Kopf größer als er und hatte sogar die breiteren Schultern. Sein Vater wiederum war noch einmal eine Handspanne größer als seine Gefährtin. Von den Schultern ganz zu schweigen.

Joran wusste, dass auch seine Eltern unter seiner körperlichen Schwäche litten. Was er nicht sicher wusste, war, ob sich ihr Mitleid auf ihn bezog oder vielleicht doch mehr ihnen selbst galt. Andere Multiple machten ihre Eltern stolz, aber Joran wurde das Gefühl nicht los, dass sein Vater und seine Mutter die anderen Eltern um ihre körperlich und geistig wohlgeratenen Kinder beneideten. Er wünschte, er hätte jemandem sein Herz ausschütten können. Aber er hatte keine Freunde, niemanden, mit dem er vertrauliche Gespräche über sein Innenleben hätte führen können.

Ich bin allein. Seit ich denken kann, bin ich allein.

Früher hätte er versucht, sich solchen Unsinn auszureden. Aber inzwischen war er so weit zu wissen, dass es kein Unsinn war, sondern die bittere Wahrheit. Sein Verhältnis zu seinen Eltern war kopfgesteuert, nicht nur von ihrer Seite ihm gegenüber aus, auch umgekehrt. Eine echte emotionale Bindung hatte er nie zu ihnen aufgebaut, woran er ihnen die Schuld gab, nicht sich. Andererseits: Schuld? Seine Enttäuschung hatte sich über die anderthalb Jahrzehnte seines Lebens ebenso abgeschliffen wie seine Suche nach einem Schuldigen an der Misere. Immerhin sorgten seine Eltern gut für ihn. Er litt keinen Hunger. Er wohnte in einem ganz normalen Haus, wie es Tausende entlang des Küstenstrichs gab, an dem sie lebten. Mit dem Alleinsein hatte er sich arrangiert. Es machte ihm nichts mehr aus. Früher vielleicht, heute nicht mehr.

Mit entschlossen nach vorn geschobenem Kinn blickte er ein letztes Mal zu der Meeresstelle, wo die schillernden Leiber verschwunden waren. Obwohl er ihnen mühelos hätte nachspüren können, tat er es nicht. Stattdessen schloss er kurz die Augen, und als er sich einen Atemzug später umschaute, stand er schon in seinem Zimmer.

Ein Klacks für einen Multiplen.

Er rümpfte die Nase. Selbstironie war nicht unbedingt seine Stärke.

Er ging zur Tür, öffnete sie und trat auf den Flur hinaus. Während er sich dem Gemeinschaftsraum näherte, schickte er seine Geistesfühler voraus. Er wollte wissen, in welcher Stimmung seine Eltern waren, um sich schon einmal darauf einzustellen.

Verwirrt stellte er fest, dass das Haus leer war, was sonst um diese Tageszeit nie der Fall war. Aber nirgends esperte er auch nur ein einziges vertrautes Hirnmuster. Stattdessen...

Stöhnend blieb er stehen und presste die Handballen gegen seine Schläfen.

... ertönte ein Knistern in seinem Schädel, als würde Metall kurz vorm Zerreißen stehen.

Vor seinen Augen tanzten Funken und erloschen. Aber für jedes verlöschende Licht zündete irgendwo ein neues.

Joran zwang sich, die Schwäche, die nach ihm griff, zu ignorieren. »Ma!«, rief er und stolperte in den Raum, in dem sie zum Einnehmen der gemeinsamen Mahlzeiten zusammensaßen. »Dad!«

Dass der Raum verlassen war, war nicht einmal das Schlimmste, was sich darüber sagen ließ. Damit wäre Joran noch zurechtgekommen. Aber dass er aussah, als hätte ein Wahnsinniger darin gewütet, ein Berserker, der Tisch und Sitzgelegenheiten umgeworfen, die Regale und Schränke durchwühlt und alles achtlos über den Boden zerstreut hatte, machte ihn fassungsloser als jedes vorherige Ereignis in seinem Leben.

Er spürte, wie ihm die Brust eng und jeder Atemzug zur Anstrengung sondergleichen wurde. Sein Blick irrte durch das Chaos, und als er schon glaubte, wenigstens ausschließen zu können, dass hier mehr zerstört worden war als bloßes Mobiliar, entdeckte er die einen Spaltbreit offenstehende Tür zum Bad – und was die Tür darin hinderte, ins Schloss zu fallen.

Es war ein nackter, blutiger Frauenfuß.

Joran stieß völlig außer sich die Tür auf. Seine Gedanken überschlugen sich. Er wusste nur zu gut, wem der Fuß gehörte. Aber als die Tür zurückschwang, wurde er zunächst mit einem weiteren, noch größeren Schock konfrontiert. Nicht seine Mutter lag auf dem Boden des Bads, jedenfalls nicht dort, wo sie passend zu ihrem Fuß hätte liegen müssen, sondern nur der Fuß selbst lag dort. Der Rest ihres Körper war über die Hygienezelle verstreut. Er musste regelrecht explodiert sein. Überall an Wänden, Decke und Boden war Blut. Die Leichenteile waren so übel zugerichtet, dass Joran sich schon einreden wollte, einem Irrtum erlegen zu sein. (Das ist nicht Ma! Das ist nicht...) Aber dann fand sein Blick das zerbrochene Puppengesicht, hinter dem seine Mutter zeitlebens ihre Gefühle verborgen hatte. Es war voller Wunden, die wie Sprünge in Porzellan aussahen. Der Ausdruck um ihre blassen Lippen war unnahbar wie stets. Immerhin schien sie nicht groß gelitten zu haben. Der Tod war schneller über sie gekommen, als ihre Mimik Entsetzen hatte einarbeiten können.

Joran esperte mechanisch, ohne zu überlegen. Seine Fühler stießen ins Leere. Wie hätte auch noch Leben in einem abgetrennten Kopf stecken sollen?

Er taumelte. Wieder pflanzte sich jenes abnorme Knistern durch seinen Geist. Als würde er Gedanken erhaschen, die so fremdartig waren, dass sein Parasinn außerstande war, sie in noch so abstrakte Bilder umzuwandeln. Stattdessen dieses »Geräusch«, das wie Klingen in seinen Verstand schnitt.

Obwohl er außer sich vor Entsetzen war, versuchte Joran, die Quelle des Knisterns auszumachen, die Präsenz, die es verursachte.

Wenn er sich nicht täuschte, war sie ganz nah. Nicht innerhalb des Gebäudes, in dem er sich befand, aber in unmittelbarer Umgebung...

Er teleportierte aus dem Bad zurück in sein Zimmer. Dass er seinen Vater nicht gefunden hatte, ließ für einen Moment die verstörende Idee in ihm keimen, dass er seine Gefährtin so zugerichtet haben könnte und danach geflohen war.

Oder er liegt in einem der anderen Räume – genauso hingemetzelt wie Ma.

Aber wer sollte so etwas tun? Joran sah sich in seinem Zimmer um wie ein gehetztes Tier. Er ballte seine Hände zu Fäusten und wünschte, er hätte durch Wände blicken können. Überallhin, bis er den feigen Mörder gefunden hätte, der wahrscheinlich auch ihm auflauerte. Einem ersten Impuls folgend hätte er sich fast auf die andere Seite des Planeten teleportiert. Oder in den Internraum zwischen Erde und Mond, wo ein Mensch ebenso existieren konnte wie hier unten an der Oberfläche. Einige Multiple hatten Vaku-Farmer als Elternteile. Joran hatte sich schon als kleiner Junge für das Leben im Internraum interessiert und mit einigen Farmern gesprochen. Ohne das Wissen seiner Eltern oder von überhaupt irgendjemandem hatte er schließlich begonnen, bis zu den Grenzen des Steinernen Himmels zu springen und dort, zwischen Gestrüpp verborgen, den Arbeitern zuzusehen, wie sie säten und ernteten, was die Menschen der Erde, die nicht über die genetischen Voraussetzungen eines Farmers oder die Fähigkeiten eines Fraktalen oder Multiplen verfügten, zum Überleben benötigten.

Nahrung.

Nahrung, die die ausgelaugten Böden der Erde und des Mondes nicht mehr hergaben.

Es waren unruhige Zeiten. Das Zwielicht hatte der Welt ebenso viel geraubt wie geschenkt. Allein an dem Küstenstreifen, wo Joran aufgewachsen war, kamen auf jede Lebendgeburt drei Totgeburten. Und von den Säuglingen, die es schafften, waren zwanzig Prozent missgestaltet und/oder geistig behindert.

Krüppel. Idioten. Im Extremfall beides auf einmal.

Er schüttelte sich und widerstand dem Fluchtimpuls. Brandgeruch stieg ihm in die Nase. Von irgendwoher drangen Stimmen und Lärm.

Rasch trat er ans Fenster und spähte vorsichtig nach draußen. Auf der Straße lagen Leiber, ähnlich, aber nicht ganz so verstümmelt wie der Leichnam seiner Mutter. Und aus zwei, drei Häusern in der Nähe leckten Flammen und stieg fetter Rauch empor. Zwischendurch blitzte es auf, als kämen Waffen zum Einsatz, wie die neue Zeit sie mit sich gebracht hatte. Waffen von so schrecklicher Vernichtungskraft, dass Joran der Atem stockte.

Plötzlich rannte unmittelbar am Haus seiner Eltern eine Frau vorbei, die er kannte. Ihre Kleidung war zerrissen, ihr Blick irre. Joran wollte ihr zurufen, stehen zu bleiben. Aber noch bevor er einen Ton hervorbrachte, wurde die Nachbarin von etwas getroffen und eingehüllt, das sie mitten im Lauf erstarren ließ. Etwas Schattenhaftes waberte über ihren Körper, vom Kopf bis zu den Füßen. Dann erstarrte die Schwärze, als würde sie zu einem festen Kokon um die Frau. Und wieder einen Moment später sah es aus, als würde die Gestalt implodieren. Auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen – um in der nächsten Sekunde nach allen Seiten zu expandieren und dabei in Fetzen gerissen zu werden.

Am Rande seines Bewusstseins erkannte Joran, dass er Zeuge des Einsatzes jener Waffe geworden war, die seiner Mutter – und wahrscheinlich auch seinem Vater – zum Verhängnis geworden war. Und etlichen anderen Männern, Frauen, selbst Kindern der Umgebung.

Was geht hier vor sich? Haben wir uns versündigt, dass wir nun unsere Strafe erhalten?

Aber versündigt gegen wen?

Warum kam niemand zu Hilfe? Wo waren die Fraktalen, wenn man sie brauchte?

Ihm wurde bewusst, dass er lange keinen mehr zu Gesicht bekommen hatte. Es gab Gerüchte, wonach sämtliche Fraktalen hinter den Steinernen Himmel beordert worden waren, um dort...

Jorans Gedanken gerieten ins Stocken. Er neigte seit jeher zu Abschweifungen. Aber selten war es so unpassend gewesen wie in dieser Situation.

Überall starben Leute!

Er verstand nicht, warum er sich nicht längst in Sicherheit gebracht hatte. Die Gedanken der Menschen ringsum, die er empfing, waren voller Panik. Ohnmacht und Hysterie beherrschte ihr Denken. Die meisten hatten sich in ihren Häusern verschanzt. Aber immer wieder esperte Joran die letzten Empfindungen von Sterbenden, die sich dort in falscher Sicherheit gewiegt hatten. Irgendjemand, irgendetwas marschierte offenbar von Haus zu Haus, massakrierte die Bewohner und legte nicht selten auch alles in Schutt und Asche.

Jemand muss es stoppen. Ich...

Er erschrak über die eigene Kühnheit. Aber je stärker der Gestank verbrannten Fleisches in seine Nase stieg, je mehr telepathische Bilder er von den Gräueln empfing, denen die Menschen der Umgebung zum Opfer fielen, desto mehr nahm sein Entschluss Formen an.

Schließlich glaubte er, die Quelle der Gewalt ausreichend exakt lokalisiert zu haben, um einen Sprung dorthin riskieren zu können.

Dann ging alles ganz schnell.

Er teleportierte, bevor er es sich anders überlegen, bevor die Furcht ihn doch noch zur Vernunft rufen konnte.

Blinzelnd verschwand er aus seinem Zimmer...

... um sich mit dem nächsten Lidschlag in einem Keller wiederzufinden, wo Mutter und Kind Unterschlupf gesucht hatten – in der Hoffnung, hier nicht gefunden zu werden von dem Monstrum, das alles niederstreckte, was ihm ins Visier kam. Ein Monstrum, das Joran unmittelbar vor sich sah, als er materialisierte und das ihn nicht bemerkt hatte – noch nicht zumindest. Es hob gerade eine seiner Gliedmaßen, in denen es metallische Gegenstände hielt, und zielte damit auf die Frau, die sich wegdrehte, um wenigstens das Kind vor ihrer Brust vor dem zu bewahren, was ihr selbst unweigerlich blühte.

Joran hatte genug gesehen, um zu wissen, dass ein Treffer auch das Baby nicht verschonen würde. Er handelte instinktiv.

Das Ding darf nicht zum Schuss kommen!

Kein anderer Gedanke beherrschte ihn mehr. Und schon raste sein psychokinetischer Schlag auf das mannsgroße Insekt zu, das wie ein vieltausendfach vergrößerter Käfer aussah.

Der Wucht der auftreffenden Energie hatte der Außerirdische nichts entgegenzusetzen. Er krachte so heftig gegen die gegenüberliegende Kellerwand, dass Putz von der Decke rieselte. Mit einem dumpfen Laut rutschte der Insektoide zu Boden und blieb reglos liegen.

Aus den Schatten, wo Mutter und Kind sich verkrochen hatten, drang ein spitzer Schrei – dann ein ungläubiger, aber auch erleichterter Ruf: »Joran!?!«

Joran erkannte die Stimme.

Marla. Marla ist Mas Bekannte. Sie hat uns manchmal besucht. Und sie hat erst kürzlich ein Kind zur Welt gebracht, ein Mädchen. Sari.

Bevor er auf Marlas Ruf reagierte, eilte Joran zu dem gegen die Wand geschmetterten Monstrum. Während er die Waffen aus seinen Gliedmaßen wand, esperte er so konzentriert wie selten. Das Knistern war schwächer geworden, aber noch nicht ganz verstummt.

»Joran – bist du das?«

Er sah nicht hinter sich, rief aber mit rauer Stimme: »Geh! Nimm dein Kind und geh nach oben! Ich komme gleich nach!«

Er hörte ihre zögernden Schritte und das Weinen des Kindes in ihrem Arm.

»W-was hast du vor?«

»Geh!«

Er wartete, bis sie die Treppe hinaufgestiegen war und Geräusche von oben erklangen. Dann nahm er eine der Waffen des Käfers so in die Hand, wie er es bei ihm gesehen hatte, suchte nach dem Auslöser, fand ihn – und feuerte die grausame Waffe auf ihren Besitzer ab.

Sicher ist sicher , dachte er in der Mikrosekunde, bevor die mörderischen Kräfte den Insektoiden auseinanderrissen.

Danach ließ er die Waffe fallen und teleportierte nach oben.

Die Leere in ihm war unbeschreiblich.

Erst jetzt, nachdem er restlos alles an Familie verloren hatte, was er einmal besaß, wurde ihm bewusst, dass sein Vater und seine Mutter ihm Halt gegeben hatten, obwohl er gemeint hatte, davon zu ihren Lebzeiten nichts zu spüren. Nun spürte er ihren Verlust – und das, glaubte er, war nur möglich, wenn vorher etwas da gewesen sein musste.

»Wohin, meinst du, bringen sie uns?«

Marla.

Sie kauerte in dem Sitz Joran gegenüber. Sari lag an ihrer Brust, wurde von ihr gestillt, um sie ruhig zu stellen. Als der Schweber auf der leichenübersäten Straße gelandet war, hatte der Säugling unablässig geweint und geschrien. Erst nachdem Fraktale gekommen waren und sie ins Innere des Fahrzeugs geführt hatten, war es besser geworden. Und nun begegnete Joran immer öfter dem Blick der großen Kinderaugen, die ihn unverwandt anstarrten. Die Angst darin war Neugierde gewichen, und auch Joran ertappte sich dabei, dass er den Blick des Kindes suchte .

Marla hatte die ganze Zeit kein Wort mehr gesprochen, seit ihrer Begegnung im Keller nicht mehr. Er war davon ausgegangen, dass sie ebenso unter Schock stand wie er. Wahrscheinlich noch mehr, da sie außer um sich selbst auch noch um das Leben ihres Neugeborenen gefürchtet hatte. Ihr Mann war vor einem knappen Jahr einer schweren Krankheit erlegen, von der bis heute unklar war, worum genau es sich gehandelt hatte. Die ärztliche Versorgung war schon vor der Ankunft der Auruunen schlecht gewesen, aber zuletzt hatte sie fast nicht mehr existiert. Überall waren die Quacksalber wie Pilze aus dem Boden geschossen. Und einer von ihnen, der Marlas Familie um ihr letztes Hab und Gut gebracht hatte als Gegenleistung für seine ärztliche »Hilfe«, hatte ihren Mann auf dem Gewissen – davon war sie überzeugt, wie sie Jorans Eltern gegenüber bei Besuchen immer und immer wieder zum Ausdruck gebracht hatte.

Als Joran nicht sofort antwortete, sah er, wie ihr Blick glasig wurde, als würde sie von Erinnerungen übermannt. »Wenigstens...«, röchelte sie, »... wenigstens hat’s ihn auch erwischt. Dieser habgierige Bastard! Ich sah, wie er über die Straße rannte und sich in ein Haus flüchten wollte. Aber vorher traf das Ding ihn mit seiner Waffe. Wenigstens das muss man ihm zugutehalten, wenigstens das. Ist es nicht so? Ist es nicht so, Joran, Kleiner?«

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Langsam verschwand die Leere, aber sie wich etwas, das noch schlimmer war: einer Wunde. Einer offenen, schmerzenden Wunde, als wäre Joran etwas aus seinem Innersten herausgeschnitten worden.

»Wo-woher bist du vorhin gekommen, Kleiner? Woher wusstest du, wo ich bin? Was ist mit deinen Eltern? Sind sie in Sicherheit, oder hat dieses Biest sie auch...?« Immer größer wurden ihre Augen, weil Jorans anhaltendes Schweigen ihr offenbar mehr als viele Worte sagte. Sie hob eine ihrer Hände, ballte sie zur Faust und presste sie gegen ihren Mund. »Beim Ewigen Licht! Hast du es etwa mit ansehen müssen?«

Er entschied sich zu einer Reaktion, nickte hölzern. Als sich eine Tür öffnete und ein Fraktaler eintrat – der gleiche, der Joran an der Hand genommen und an Bord geführt hatte, danach aber verschwunden war –, war Joran froh, nicht länger mit Marla und dem Kind allein gelassen zu werden.

Der Fraktale stellte sich zwischen die Sitze, sodass er ungefähr gleich nah zu beiden stand, dann sagte er: »Wir sind in wenigen Minuten an einem Ort, wo man sich um euch kümmern wird. Ihr hattet das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Dass ihr überlebt habt, kann nicht nur Glück zu verdanken sein. Wer von euch beiden...«, sein Blick wechselte von Marla zu Joran und wieder zu Marla, »... sagt mir, was genau passiert ist? Wie habt ihr es geschafft, dem Treymor zu entkommen? Ihr wisst, von wem ich rede? Dem Killer, der alles tötete, was ihm vor den Lauf kam. Ein Außerirdischer auf Rachefeldzug.«

»Rachefeldzug«, echote Marla und sah Joran an, als bettele sie darum, dass er das Wort ergriff und die Fragen des Fraktalen beantwortete. Sie, die Erwachsene, wollte ihm, dem Halbwüchsigen, den Vortritt geben.

Weil ich es hingebogen hab. Weil ich das Biest erledigt hab!

Auch dem Fraktalen fielen die stummen Signale auf, die Marla sendete. Er wandte sich an Joran. »Hast du etwas beobachtet, Junge?«

Joran überwand seine Zurückhaltung und esperte den Soldaten.

... starrt er mich so komisch an? Ist ja zum Fürchten... Hey, was denke ich da? Ich habe mich noch nie vor etwas oder jemandem gefürchtet! Verdammt, rück schon mit der Sprache raus, Junge. Hat er deine Leute gekillt? Dieses Scheusal...

»Ich...«, setzte Joran an.

»Ja?«, ermunterte ihn der Fraktale. »Red schon, Junge. Ich reiß dir schon nicht den Kopf ab. Erzähl, was passiert ist. Gehört ihr beiden zusammen? Ist das deine Schwester? Für deine Mutter wäre sie etwas jung, aber...«

»Was... was war das für ein Biest?«, keuchte Marla. »Wie hast du es genannt, Soldat?«

Der Fraktale blickte sie an. »Treymor. Es war ein Treymor. Ein intelligenter Riesenkäfer. Sie waren die Fußtruppen der Auruunen... Auruunen sagt dir doch etwas, oder?« Er seufzte. »Bei den Sternen! Ich bin erst ein paar Monate raus aus diesem steinernen Käfig, aber ich habe schon vergessen, wie beschränkt die Sicht hier unten auf das ist, was draußen abgeht! Ich kann dir keinen Vorwurf machen. Ich war selbst mal so wie du... wie die meisten, die hier leben. Aber seit ich oben angekommen bin, verschwindet mein altes Leben mehr und mehr aus mir. Ihr seid echt zu bedauern, dass euch noch keiner hoch und hier raus geholt hat. Aber vielleicht kommt das ja noch. Cronenberg ist kein schlechter Kerl. Wären die Auruunen nicht gekommen – ich glaube, er hätte den Himmel für uns geöffnet. Für uns alle. Aber das geht jetzt nicht mehr. Da oben... da draußen ... ist das Paradies. Wenn ihr wüsstet, wie wohltuend Dunkelheit sein kann!« Er presste die Lippen zusammen. Als er den Mund wieder öffnete, war er hörbar um Distanz bemüht. »Noch einmal: Ihr seid die einzigen Überlebenden des Massakers. Wir haben die Rettungskapsel des Treymor in unmittelbarer Nähe eurer Siedlung gefunden. Er scheint allein gewesen zu sein. Ein Einziger, der die Zerstörung des Raumschiffs überlebte, das vor zwei Tagen in den Internraum eindrang und drohte, den Erde-Mond-Komplex zu zerstören. Ihr habt davon wahrscheinlich nicht einmal etwas mitbekommen...«

Fragend musterte er das Trio, das im Grunde ein Duo war. Marlas Baby zählte nicht; was genau es von den dramatischen Ereignissen realisiert hatte, vermochte Joran nicht zu sagen. Aber viel konnte es nicht sein. Dazu war sein Gehirn, war sein Verstand noch zu unausgebildet.

Marla schüttelte hektisch den Kopf. Das Baby wimmerte.

Joran gab sich einen Ruck. »Ich... ich habe das Monstrum umgebracht!«

Der Fraktale reagierte skeptisch. »Okay. Und wie willst du das geschafft haben?«

»Ich bin ein Multipler.«

»Welche Begabungen hast du?«

Joran zögerte.

Wichtigtuer! Vielleicht hält sich noch irgendwo derjenige versteckt, der das Biest wirklich zur Strecke gebracht hat. Aber hätten wir ihn übersehen können? Die Bioscanner arbeiten normalerweise hochverlässlich...

Joran versuchte, die Gedanken des Fraktalen nicht persönlich zu nehmen.

»Wenn du ein Multipler bist, musst du über mehrere PSI-Talente verfügen«, sagte der Fraktale. » Welche ?« Sein Ton wurde ungeduldiger.

Als Joran sah, dass Marla ihm beispringen wollte, beeilte er sich, hervorzustoßen: »Alle!«

Damit beseitigte er die Zweifel des Fraktalen nicht, im Gegenteil.

»Alle? Ich kenne keinen Fall, bei dem ein Mensch sämtliche primären Parakräfte in sich vereint hätte. Wenn du dennoch darauf beharrst, muss ich...«

Joran teleportierte hinter den Fraktalen. Der Soldat wirbelte gedankenschnell herum und griff nach seiner Waffe.

Scheiße. Ein Talent besitzt er schon mal sicher...

Joran machte eine begütigende Geste. »Nicht nur eins«, sagte er. »Ich kann auch...«

»Du liest in meinen Gedanken?« Unwillig stapfte der Fraktale auf. »Fehler, Junge, großer Fehler – damit hast du dich selbst widerlegt. Meinesgleichen können nicht geespert werden. Fraktale sind immun gegen Telepathie. Es gibt Fraktale, die normale Menschen espern können – umgekehrt geht das nicht. Du hättest dich besser infor–«

Während der Soldat sprach, grub Joran tiefer in der Gedankenwelt des Mannes. Schließlich unterbrach er ihn. »Ich kann dir detailliert schildern, wie dein heutiger Tag verlief – bis zu unserer Begegnung in unserem Dorf.« Ohne die Erwiderung des Fraktalen abzuwarten, spulte er die Erlebnisse des Mannes stichpunktartig ab.

Schon nach kurzer Zeit brachte der Fraktale ihn mit einer entschiedenen Geste zum Schweigen. »Das reicht! Und das dritte der Primärtalente? Eins fehlt noch.«

»Telekinese«, sagte Joran nickend und brachte den Soldaten mit der gleichen Leichtigkeit zum Schweben wie die Fische in den nahen Küstengewässern. » Damit ist es mir gelungen, den Außerirdischen zu überraschen. Anschließend tötete ich ihn mit seiner eigenen Waffe.« Er blickte zu dem Fraktalen auf. »Benötigst du eine weitere Demonstration, um mir zu glauben?«

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Tovah’Zara

Taurt wurde nicht müde, die Protowiesen abzugehen und in Erinnerungen an die Hohe Zeit zu schwelgen, als dieser Ort noch von einer kaum überschaubaren Zahl von Luuren bevölkert gewesen war.

Das alles schien eine Ewigkeit her zu sein. Genau wie die Tage der Hirten oder die Auseinandersetzungen mit den Virgh (Auseinandersetzungen? – Taurt musste über seine eigene Begriffswahl staunen, immerhin hatte es sich um nicht weniger als die gnadenlose Verfolgung der Foronen durch die Schrecklichen gehandelt) sowie die ersten Kontakte mit der Spezies Mensch, die seither immer wieder das Schicksal Tovah’Zaras mit bestimmt hatte.

Aber die großen Einschnitte, die Verwüstungen und Verheerungen, hatten nicht die Menschen auf dem Gewissen, dafür mussten sich andere verantworten. Die Treymor hatten damit begonnen, die Bewohner des Wasserwürfels systematisch auszurotten und genetisch zu verändern. Aber sie hatten es ganz offenkundig nicht aus eigener Motivation getan, sondern unter der lenkenden Hand der Auruunen, zu deren treuesten Vasallen sie gezählt hatten.

Taurt konnte gar nicht in Worten ausdrücken, wie froh er war, dass beide Unterdrücker – sowohl die Auruunen wie auch die Treymor – im Zuge der jüngsten Ereignisse jegliche Macht verloren hatten und ihre Schreckensherrschaft nicht mehr fortsetzen konnte. In unmittelbarer Gefolgschaft mit dem Menschen Cronenberg hatte er den Niedergang der Tyrannen erlebt und anschließend das großzügige Angebot ausgeschlagen, fortan an Cronenbergs Seite über die Geschicke dieses kosmischen Sektors zu bestimmen. Er hatte nicht an Cronenbergs Lauterkeit in dieser Angelegenheit gezweifelt, obwohl die Weste speziell dieses Menschen nicht unbefleckt war. Cronenberg konnte selbst als Despot bezeichnet werden, der die Geschicke seines Volkes über gewaltige Zeiträume hinweg in der Manier eines Alleinherrschers gelenkt hatte.

Aber waren nicht alle guten Herrscher so gestrickt? Taurt musste sich nur an diejenigen erinnern, auf die seine eigene Existenz zurückging: die Sieben Hirten der Foronen, in deren Auftrag er einst den Bau Tovah’Zaras geleitet und überwacht hatte. Kein anderes Geschöpf hatte mehr Anteil an der schlussendlichen Fertigstellung dieses Gebildes als er.

Die Auruunen und ihre Schergen hatten davor keinerlei Respekt gezeigt. Wie auch? Sie hatten vor nichts und niemandem Respekt, wie auch ihr sonstiges Handeln unmissverständlich zum Ausdruck brachte. Nur einem glücklichen Zufall war es letztlich zu verdanken, dass ihre Tyrannei ein Ende gefunden hatte.

Taurt hatte Cronenbergs Angebot ernsthaft in Erwägung gezogen. Aber letztlich hatte seine Sehnsucht nach Tovah’Zara den Ausschlag gegeben, sich dagegen zu entscheiden. Seine Sehnsucht und die Hoffnung, die riesige Wasserwelt wieder zu alter Blüte führen zu können.

Mittlerweile, da er sich einen Überblick über die Schäden und Örtlichkeiten verschafft hatte, musste er sich allerdings eingestehen, dass er sehr blauäugig an das Unternehmen herangegangen war. Schon vor den Treymor hatten er und seine engsten Getreuen sich in geheime Zufluchten innerhalb des Kubus zurückziehen und fast tatenlos dem negierenden Treiben der Invasoren zusehen müssen. Die Treymor hatten überdies solch gravierende Veränderungen an der uralten Technik, die den Würfel »zusammenhielt«, vorgenommen, das Taurt bei seiner Wiederkehr hatte feststellen müssen, wie hilflos er dem allem gegenüberstand. Sein Intellekt war nicht in der Lage, die neue Hochtechnik zu verstehen, geschweige denn zu bedienen. Mittlerweile war ihm klar, dass er, um das zu ändern, diejenigen um Hilfe würde bitten müssen, von denen er sich eigentlich hatte unabhängig machen wollen: von den Menschen, die immer noch seine direktesten »Nachbarn« waren, weil der Kubus immer noch an dem letzten Standort ankerte, zu dem ihn die Auruunen bewegt hatten: am äußersten Rand des Solaren Systems.

Cronenberg wird mir meine Bitte nicht abschlagen, so viel ist sicher. Er weiß, was er mir schuldig ist, auch wenn ich die Tyrannen nicht zu Fall bringen konnte. Immerhin waren wir in der schwersten Zeit, die er durchlebte, Verbündete. Keiner von uns beiden kann sagen, dass er für den anderen mehr geleistet hat. Aber die kurze Allianz hat uns zusammengeschweißt. Er würde mich nie hintergehen – so wie ich ihn nicht.

Wenn er seinen eigenen Gedanken nachlauschte, kam er nicht umhin, sich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, bei einem Partner zu bleiben, von dem er eine solch hohe Meinung hatte.

Vielleicht irgendwann einmal in der Zukunft. Cronenberg ist langlebiger, als es der Norm seiner Spezies entspricht; sehr viel langlebiger. Uns bleibt also noch Zeit. Ich kann meine Angelegenheiten richten, er die seinen. Und wenn dies geschehen ist, wenn unser beider Einflusssphären in ruhigeres Fahrwasser gebracht wurden, wird sich zeigen, wie stark das Band tatsächlich ist, das uns verbindet.

Technische Hilfe würde er aber schon vorher einfordern müssen, denn es gab deutliche Hinweise darauf, dass der vor Urzeiten geschaffene Lebensraum innerhalb Tovah’Zaras durch den rücksichtslosen Raubbau, den die Auruunen befohlen und betrieben hatten, bereits stark gelitten hatte. Am nachhaltigsten negativ wirkte sich dabei offenbar der Verlust von Wassermassen aus, die zur Flutung der Oort-Erdozeane verwendet worden waren. In der Gesamtheit machte diese Menge keinen so gewaltigen Unterschied, wie Taurt es in einer ersten Überschlagrechnung noch von der Erde aus befürchtet hatte. Aber offenbar hatten die Einbußen dazu geführt, dass das ohnehin angeschlagene ökologische Gleichgewicht in einem nicht vorhersehbaren Maß empfindlich darauf reagiert hatte. Die Wasserqualität hatte sich kubusweit inzwischen wegen einer zunehmenden Veralgung verschlechtert, der offenbar auch die modifizierten Technikkuben an den Würfeleckpunkten nicht Herr wurden. Der eigentliche Grund aber war, glaubte Taurt zu wissen, dass niemand mehr da war, der die Hege der relevanten Lebenszonen durchführte. Die zahlenmäßig stark reduzierten Populationen der Luuren und Heukonen waren vor den Treymor geflüchtet, die Vaaren als einstiges »Premiumvolk« existierten nicht einmal mehr in Ansätzen.

Das größte Problem würde für Taurt sein, das Vertrauen derer zurückzugewinnen, die die vergangenen Eingriffe zwar überlebt hatten, sich aber auch und vor allem von ihm im Stich gelassen fühlten.

Vielleicht war es ein Fehler, mich ihnen überhaupt zu offenbaren. Meine größten Erfolge schlugen während der Ära zu Buche, in der ich mich komplett im Hintergrund hielt und von dort meine Fäden zog.

Aber gerade in der Treymor- und Auruunen-Krise hatte er geglaubt, seinen Schützlingen gegenüber Farbe bekennen zu müssen. Und so hatte er immer wieder persönlich versucht, sie mit Durchhalteparolen dazu zu bewegen, mit ihm in den Untergrund zu gehen, anstatt sich entweder abschlachten oder in einer Weise unterjochen zu lassen, an deren Ende es sie als Gattung nicht mehr geben würde. Die Genetiker des Feindes waren berüchtigt für ihre Experimentalfreude gewesen. Taurt schauderte, wenn er daran dachte, wie viele Homunkuli aus den Laboren der Eroberer er bei seiner Wiederkehr in teilweise abgeschotteten Lagern gefunden hatte, wo sie wie Biomüll behandelt und sich selbst überlassen worden waren.

War seine Verachtung für die Tyrannen schon zuvor immens gewesen, so erreichte sie nach Entdeckung dieser Gräuel eine kaum noch beschreibbare Dimension.

Dennoch dominierte nicht der Hass auf die Eroberer sein Denken, es hätte ihn nur beeinträchtigt. Taurt war wild entschlossen, den Blick nach vorn zu richten. Eilends mobilisierte Helfer – Überlebende des Partisanenkampfes, den er schon zu Treymor-Zeiten gegen die Invasoren geführt hatte – waren dabei, sich um den völlig entkräfteten, oft nicht nur körperlich, sondern auch geistig behinderten Ausschuss zu kümmern, den die Genetiker bei ihren Züchtungsversuchen aussortiert hatten.

Gegen den Zorn, den die brutale Vorgehensweise des Feindes während der Besatzungszeit in ihm entfachte, konnte und wollte sich Taurt nicht völlig verschließen. Hass empfand er als kontraproduktiv, aber kontrollierte Wut motivierte ihn, stachelte ihn an, alles in seiner Kraft Stehende zu tun, damit es nie wieder zu Verhältnissen wie den gerade überwundenen kommen würde.

Noch immer gab es unentdeckte Stätten innerhalb der Weite Tovah’Zaras, wo die Genetiker ihren pervertierten Machenschaften nachgegangen waren. Taurt graute es davor, diese Stätten zu entdecken und dabei auf Züchtungen zu stoßen, deren wahrscheinlich kaum mehr erkennbaren Ursprünge in einem der traditionellen Völker Tovah’Zaras zu finden waren.

Die Hirten waren beileibe nicht immer rücksichtsvoll mit den biologischen Ressourcen umgegangen, die sie innerhalb des Kubus angesiedelt hatten. Aber den Verbrechen der Besatzer kam dies nicht einmal nahe.

Wobei... Taurt korrigierte sich minimal, weil er an die Geschöpfe denken musste, deren biologische Lebensuhr so gesteuert worden war, dass sie zu einer exakt festgelegten Stunde – nach genau siebenunddreißig Standardjahren – anhielt und der Betreffende starb.

Solche und ähnliche Kniffe waren den lebensverachtenden Prämissen der Eroberer nicht ganz unähnlich.

Wollte ich nicht das Vergangene hinter mir lassen? Dazu zählen nicht nur die Verbrechen der Auruunen und ihrer Schergen, sondern auch die meiner einstigen Herren.

Als er aus der Ferne Geräusche hörte, die lauter wurden, weil die Fahrzeuge, von denen sie verursacht wurden, rasch näher kamen, warf er noch einmal einen langen, intensiven Blick auf die jungfräulich wirkenden Wiesen aus Protomaterie, die die längste Zeit brachgelegen haben sollten. Auf sein Geheiß hin trafen gerade die ersten Kandidaten aus dem Volk der Luuren ein, die hier in die Rolle der Proto-Verwerter schlüpfen sollten. Einst waren sie das wichtigste Volk innerhalb Tovah’Zaras gewesen, wenn auch nicht das mächtigste. Als Ordnungskraft hatten die Foronen – und damit Taurt – die Vaaren »installiert« gehabt, die mit ihren Jadeschiffen in die entferntesten Winkel des Kubus vordringen und dort für die Einhaltung der Gesetze sorgen konnten.

Als Taurt sich der Jadeschiffe erinnerte, wurde er ganz wehmütig. Ob es sie noch irgendwo funktionsfähig gab?

Er bezweifelte es. Es sei denn, Heukonen hätten sie an sich gebracht und in ihren Verstecken ihrer angenommen. Die Heukonen hatten nie den Stellenwert der Luuren besessen, aber auch sie waren angesehen gewesen, als Forscher- und Wissenschaftlerkaste.

Taurt kämpfte erfolgreich gegen die Sentimentalitäten an, die sich fast gegen seinen Willen in ihm zu Wort meldeten. In unmittelbarer Nähe gingen die ersten Transportbarken vor Anker, und es bereitete ihm ein Wohlgefühl zu sehen, wie viele Luuren jeden Alters, selbst Kinder, ihnen entstiegen. Die Bewegungen der reptiloiden Geschöpfe wirkten noch unsicher, aber das würde sich, hoffte Taurt, bald geben.

Ihre vorrangige Aufgabe wird es sein, eine erste Ernte einzubringen und sich eigene Behausungen aus Protomaterie zu formen.

Taurt war überzeugt, dass sich die Wasserqualität mittelfristig bessern würde, sobald die Luuren sich wieder in ausreichender Menge um die Bestellung der Felder kümmerten. Die Heukonen würden das ihre dazu beitragen. Ob die Vaaren je wieder eine Rolle in Tovah’Zara spielen würden, wollte Taurt offen lassen, bis er sich einen vollständigen Überblick über die Wasserwelt verschafft hatte. Möglicherweise würde er selbst die Funktion der verschwundenen Ordnungsmacht einnehmen. Die Zeit würde weisen, ob er dieser Aufgabe gerecht werden konnte.

Statt der Königinnen von einst werden die heutigen und kommenden Generationen mit einem König vorlieb nehmen müssen.

Der Gedanke amüsierte ihn. Aber vielleicht überspielte er damit auch nur seine nach wie vor vorhandenen Selbstzweifel.

Die Luuren näherten sich ihm voller Scheu. Sie kannten ihn bislang nur vom Hörensagen.

Taurt berücksichtigte dies in der kurzen Ansprache, die er hielt. Danach hatte er den Eindruck, dass die Dankbarkeit der Neuankömmlinge darüber, endlich wieder eine sinnvolle Aufgabe übertragen bekommen zu haben, überwog. Keiner stellte seine Autorität infrage, was er insgeheim schon befürchtet hatte.

Die Dankbarkeit, dass sich überhaupt jemand ihrer annimmt und Gedanken um die Zukunft dieser Welt macht, überwiegt eindeutig.

Ein gutes Omen. Darauf ließ sich aufbauen.

Taurt erteilte sowohl den Luuren als auch den Heukonen, die den Transport begleitet hatten, letzte Instruktionen, dann verabschiedete er sich bis auf Weiteres. Sein nächstes Ziel lag tief im Herzen Tovah’Zaras, wo die Ewige Stätte von den Eroberern entweiht worden war. Die Ewige Stätte, in der über Äonen hinweg das Versteck der Arche gelegen hatte, in der die Letzten der Foronen den übermächtigen Virgh entkommen waren. Die Arche, die zur Keimzelle eines erstarkenden Foronenvolkes hatte werden sollen.

Alles war anders gekommen.

Die wechselvolle Geschichte des Kubus hätte ganze Chroniken füllen können.

Taurt schwamm zu einem ehemaligen Mond, der wie zahlreiche andere Himmelskörper im Laufe der Zeit vom Kubus assimiliert worden war. In einem tiefen Krater befand sich der Zugang zu einem der Verstecke, die er während der Treymor-Besatzung angelegt hatte. Es enthielt funktionstüchtige, von Luuren geschaffene Maschinen und Fahrzeuge. Eines dieser Fahrzeuge hatte er gleich nach seiner Rückkehr nach Tovah’Zara von Grund auf überholt und instand gesetzt. Und damit nahm er wenig später Kurs auf das Zentrum des gigantischen Würfels.

Wo immer es ging, wollte er alte Traditionen wieder aufleben lassen.

Was das anging, stand die Ewige Stätte ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Sie war der ideale Ort, um über Tovah’Zara zu wachen und zu regieren. Und mit ein wenig Aufwand ließ sie sich zu einer fast uneinnehmbaren Festung ausbauen, was, wie die Erfahrung zeigte, ein Luxus war, den sich eine Gemeinschaft, die künftig autark leben und sich schützen wollte, unbedingt leisten sollte...

Die Protofähre brachte Taurt zunächst bis an die Grenze des kugelförmigen Zentrums Tovah’Zaras, aus dem die Wasser des Kubus vollständig ausgesperrt waren. Das Herz des Gebildes war ein Vakuum, in dem es weder eine Atmosphäre noch Flüssigkeit gab. Die perfekte Kugelschale wurde von Projektoren stabil gehalten, die selbst nach so vielen Jahrtausenden noch fehlerfrei ihren Zweck erfüllten, genau wie die Eckstationen des Würfels den Zeiten getrotzt hatten und nicht aus wirklicher Notwendigkeit heraus von den Besatzern aufgerüstet worden waren, sondern aus einem Kalkül, über das Taurt nur Vermutungen anstellen konnte. Nach der Ewigen Stätte würde er sein Interesse unbedingt auf die Kontroll- und Steuerstationen an den Eckpunkten des Kubus lenken müssen. Der Frage, was genau die Eroberer dort verändert hatten, nicht nachzugehen, würde sich rächen. Um das vorherzusagen, musste man kein Prophet sein.

Aber der Reihe nach.

Die Fähre passierte ein paar im Wasser treibende, verwitterte Kunststeintafeln, auf denen noch die uralten Warnzeichen zu sehen waren, die Unbefugte seit Anbeginn davon hatten abhalten sollen, die Ewige Stätte zu betreten. Wobei schon das engmaschige Netz aus Energiefäden kaum jemanden ohne Legitimation durchgelassen hatte.

Taurt schickte den Passagecode über die Frequenz der Protoschwingung hinaus, und augenblicklich bildete sich eine ausreichend große Öffnung, um sein Vehikel ins Innere der Vakuumzone dringen zu lassen. Taurt modifizierte den Fährenantrieb und glitt hinein in die Ehrfurcht gebietende Stille des heiligsten Ortes innerhalb Tovah’Zaras. Hier hatte die Arche darauf gewartet, die Zeiten zu überdauern, bis ein neues Zeitalter anbrach, in dem die Virgh keine Rolle mehr spielten. Die an Bord befindlichen Foronen hatten Tod und Alterung durch Stasis ein Schnippchen geschlagen. Aber am Ende hatten sie ihr Schicksal doch nicht betrügen können, der Tod hatte sie alle eingeholt. Zumindest war das Taurts Kenntnisstand. Und selbst wenn noch der eine oder andere Hirte , der eine oder andere Forone gelebt hätte, hätte das an den heutigen Machtverhältnissen nicht das Geringste geändert. Ein Comeback des Septemvirats würde es nie mehr geben, dafür war längst alles zu sehr in Wandel geraten.

Die Zeit frisst ihre Kinder.

Taurt lächelte innerlich über den Spruch, der ihm dazu in den Sinn kam. Auf Altes konnte man neu aufbauen. Aber ohne Veränderung und Anpassung hatte Altes keine Chance auf Bestand.

Jedes Mal, wenn er an das Wunschgebilde dachte, das er mit Tovah’Zara verband, den Traum, den er hier verwirklichen wollte, erbebte er förmlich, solch ein Ehrgeiz durchflutete ihn. Der brennende Ehrgeiz, es besser machen zu wollen, als all die, die vorhin Pläne mit dem Kubus geschmiedet und auch die Macht besessen hatten, diese Pläne durchzusetzen.

Ich war immer ein Lakai. Ich stand immer im zweiten Glied, den wahrhaft Mächtigen unterstellt. Nun bin ich aufgerückt. Nun stehe ich an der Spitze der Kubus-Hierarchie. Erstmals seit langer, langer Zeit ist Tovah’Zara wieder in rechtmäßiger Hand. Diese vielleicht einmalige Gelegenheit darf ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ich könnte es mir nie verzeihen.

Er inspizierte die Weite des Kugelraums, in der zahllose Trümmer unterschiedlicher Größe trieben; Überreste der Silberstadt, die die Treymor hier gebaut hatten; Überreste ihrer Raumschiffe und andere Wracks, zwischen denen es hier nach dem Fall der Tyrannen zu Gefechten gekommen war. Die größte Säuberungsaktion hatten Cronenbergs Leute hier durchgeführt, und Taurt schuldete ihnen Dank dafür. Ohne diese Vorarbeit hätte er es nicht so bedenkenlos wagen können, in die Vakuumzone vorzudringen und die Anlagen zu inspizieren, die die Ewige Stätte zu einem der bemerkenswertesten Orte des Universums machten, obwohl – oder gerade weil – ihr dies in keiner Weise anzusehen war.

Für Uneingeweihte war sie einfach Leere und Stille.

Absolute Leere und absolute Stille.

Aber hinter dem Nichtsichtbaren, hinter dem Unhörbaren verborgen lagen versteckte Einrichtungen, die Taurt nach einer halben Ewigkeit vorhatte, erstmals wieder zu betreten.

Die geheime Basis, das geheime Fundament Tovah’Zaras – mit dem alles angefangen hatte.

Der Grundstein des Kubus. Das Element, mit dem alles begann.

Der Rest... wurde darum herum gebaut.

Er wünschte, er hätte die Zeit zurückdrehen können. Er wünschte, er hätte all die dramatischen Fortschritte, mit denen er den Bau des kosmischen Wunders vorangetrieben hatte, noch einmal von vorn durchleben und durchleiden können. Da dies nicht möglich war, begnügte er sich mit der Aussicht auf einen Neuanfang. Die Kunst würde darin bestehen, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Aber es wird immer Fehler, immer Irrtümer und Rückschläge geben. Also formuliere ich besser anders: Die Kunst wird darin bestehen, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Tovah’Zara ist größer als die Summe seiner Bewohner. Mit etwas Glück wird es uns alle überdauern.

Er merkte, wie unbehaglich er sich bei dem letzten Gedanken fühlte. Ein Gedanke, den er nicht gerufen hatte, sondern der ihm einfach in den Sinn gekommen war.

Um sich abzulenken, widmete er sich den Verborgenen Kammern, in denen unter anderem auch die Baupläne der Arche abgespeichert waren.

SESHA.

Taurt spürte den Atem der Ewigkeit, als er das Hauptmodul durch die sich untertänig vor ihm öffnende Schleuse betrat. Und wenig später watete er durch den Staub der Zeitalter, um die Konsole zu erreichen, von der aus er dereinst wie die Spinne in ihrem Netz alles überblickt, alles überwacht und in die Wege geleitet hatte, was dazu beitrug, dass Tovah’Zara hatte entstehen, wachsen und gedeihen können.

Er konnte es nicht verhindern, dass ihn die Erinnerungen überwältigten.

Er war so stolz...

2

Nomad

––––––––

Die Begegnung fand unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Raumschifffriedhof auf dem Achten-Deck statt, in einem speziell abgegrenzten Segment, in das die Felorer einiges an Liebe zum Detail investiert hatten. John Cloud, Commander ohne Schiff, war angenehm überrascht von der Umgebung, in der er sich wiederfand, nachdem das basiseigene Transmittersystem ihn erfasst hatte. Die Räumlichkeit hatte nautische Züge. Die Wände erinnerten an die Schalen von Meerestieren, die so oder ähnlich vor Jahrmillionen die Urmeere der Erde bevölkert hatten. Die Verbindung zu den Gehäusen der Ganf drängte sich auf. Cloud war jedoch nicht in der Stimmung, über solcherlei Zusammenhänge zu spekulieren. Er empfand die Formgebung des Segments als angenehm und wollte es dabei belassen.

»Danke, dass du meiner Bitte um ein Gespräch so spontan gefolgt bist«, sagte der Anführer der Felorer. »Und das, obwohl die Umstände eine Verzögerung verzeihlich gemacht hätten.«

»Du beziehst dich auf die Vorkommnisse beim Trümmerfeld?«

»Soweit ich darüber informiert bin.«

»Ich bringe dich gern auf den aktuellen Stand des Wunders, das dort vonstattenging. Niemand hat vor, etwas zu verheimlichen. Wir sind für alles dankbar, was ihr für uns getan habt. Niemand zweifelt daran, dass ihr auch die Angks gerettet hättet, wenn es technisch für euch umsetzbar gewesen wäre.« Er nickte Rylbert zu. »Und genau darum geht es. Die Erscheinungen – wir nennen sie Geister -, um die es geht, sind dir bekannt. Eure Wissenschaftler haben die Trümmer wieder und wieder gescannt, ohne dass sich an dem niederschmetternden Ergebnis etwas änderte: Euren Messungen zufolge ist kein organischer Anteil in den Metallstrukturen des Wracks feststellbar – du weißt, warum wir darauf gehofft hatten. Die Angks sind Menschen, die speziell dafür konditioniert wurden, mit unserem Raumschiff in Krisensituationen zu verschmelzen. Sie wurden uns von den Bractonen – hinter denen stets die Ganf standen, wie wir heute wissen – bei einem Aufenthalt in diesem System an Bord gegeben, um unsere Crew zu stärken. Das zumindest wurde uns gesagt. Damals wussten wir noch nicht, dass diese Stärkung den Ganf deshalb so wichtig war, weil sie uns in der Folge durch das Tor auf Portas schicken wollten, um am anderen Ende des Universums, wenn ich es so flapsig ausdrücken darf, nach dem Rechten zu sehen. Dort, wo sie ursprünglich beheimatet waren, wie sie behaupteten. Mittlerweile ist auch das relativiert worden, aber darauf will ich nicht weiter eingehen.«

Er nickte Rylbert zu, dann fuhr er fort: »Bleiben wir bei den Angks. Sie waren, wie du weißt, beim Absturz der RUBIKON mit dem Schiff in der Weise vereinigt, wie es nur ihnen möglich war. Und genau das wurde ihnen offenbar zum Verhängnis. In dem ›Aggregatzustand‹, in dem sie sich befanden, um die beschädigte Schiffs-KI zu ersetzen, waren sie für eure Bergungstransmitter offenbar nicht ›greifbar‹. Wie tragisch der entstandene Verlust für uns ist, muss ich nicht mehr betonen, auch darüber haben wir lang und breit gesprochen.«

Er fuhr sich durch den Nacken. »Dann kamen die Geister, und unser einziger Telepath, Algorian, glaubte an ihnen Spuren von... wie soll ich es nennen? – Spuren von schwacher geistiger Aktivität festzustellen. So schwach, dass von ›Denken‹ nicht die Rede sein konnte. Trotzdem ließ es uns aufhorchen, allen voran Yael, über dessen Fähigkeiten und Qualitäten wir kein Wort mehr verlieren müssen. Und Yael war es, der an der Stelle, wohin die Wrackteile auf unser Bitten hin gebracht wurden, quasi im Alleingang tätig wurde – zunächst ohne wirkliche Absprache mit uns. Er erschloss für seinen Avatarzauber ein ganz neues Betätigungsfeld...«

Cloud schilderte ausführlich, wie es dazu gekommen war, dass Yael schließlich eine Avatar falle aufgestellt, die er eigens für eine einzige Person – einen ganz bestimmten Geist – präpariert hatte: Winoa. Seine große Liebe. Und offenbar gab genau diese extreme emotionale Vernetzung mit Winoa den Ausschlag, dass er unzählige, identisch aussehende Geistgestalten aus den Trümmern locken und in den Avatar strömen lassen konnte. Es brauchte lange Stunden, um offenbar wirklich jede noch so kleine vorhandene Spur von Winoa in den Sammler – so nannte er die Falle später – zu leiten. Aber er musste sich auch noch selbst hineinbegeben, um den letzten Funken beizusteuern, der nötig war, um die Summe der Winoa-Geister innerhalb des Avatars in die leibhaftige Winoa zurückzuverwandeln und ihr am Ende auch noch Atem und Leben einzuhauchen!

Rylbert zeigte sich beeindruckt von Clouds Worten. »Ich teile eure Freude über den Erfolg. Ihr werdet es sicher nicht darauf bewenden lassen?«

Cloud schüttelte den Kopf. »Wenn irgend möglich: nein! Aber momentan sind sowohl Yael als auch Winoa noch sehr mitgenommen. Wir dürfen nichts überstürzen.«

Auch was das anging, schien der Felorer einer Meinung mit ihm zu sein. Er schaltete ein Hologramm, in dem das Gelände erschien, über das sie gerade sprachen. Eine friedliche, vegetationsreiche Landschaft, aus der die RUBIKON-Trümmer wie riesige Mahnmale herausragten. Auch die Geister waren zu sehen, sie schwebten in mannigfacher Erscheinungsform ebenso zwischen den Metallteilen wie zwischen den exotischen Bäumen und blühendem Gesträuch.

Als Rylbert eine Vergrößerung schaltete, glaubte Cloud sogar einzelne Angk-Geister zu erkennen. Assur war allerdings nicht darunter, und es fiel ihm schwer, seine Enttäuschung darüber zu verbergen.

»Wir stehen immer noch vor einem Rätsel«, gestand der Felorer ein. »Die sichtbare Aktivität dieser Phantome wächst von Stunde zu Stunde – und sie werden nicht nur beweglicher, ihre Zahl steigt auch permanent. Und doch...«

»... könnt ihr sie mit euren Instrumenten immer noch nicht analysieren? Sie bleiben ein rein optisches Phänomen, ohne dass es messbare energetische Ausschläge gibt?«, fragte Cloud.

Der Achten-Wurm wirkte ehrlich konsterniert. »So ist es. Wir sind in dieser Angelegenheit ratlos.«

Cloud schwieg eine Weile, dann fragte er: »Ihr wart nicht involviert, als die Ganf den Auftrag gaben, ein paar Tausend der hier einmal lebenden Menschen so zu verändern, dass sie ihrer späteren Aufgabe an Bord gerecht werden konnten?«

Er spielte auf Rylberts Aussage an, dass die Felorer beim großen EXPERIMENT die EWIGE KETTE Seite an Seite mit den Ganf gezündet hatten. In gemeinschaftlicher Anstrengung.

»Leider nein. Sonst wäre uns der Zugriff während der Rettungsphase vielleicht doch möglich gewesen. So waren wir auf das angewiesen, was unsere Technik uns anbot.«

Cloud seufzte. »Ja, mehr als bedauerlich. Aber versteh es nicht als Vorwurf.«

»Warum sollte ich?« Der Felorer wirkte verwundert. Offenbar kam es in seinem Denkmodell nicht vor, sich für etwas verantwortlich zu fühlen, worauf er nach Lage der Dinge keinen Einfluss hätte nehmen können.

Menschen sind da anders gestrickt , dachte Cloud. Aber ist das besser?

Er wollte es nicht vertiefen. »Schon gut«, sagte er. »War es das dann – oder gibt es noch mehr zu besprechen?«

»Du willst nicht auf den aktuellen Stand gebracht werden, was die allgemeine Systemsicherheit angeht?«

»Wenn du damit die Verhältnisse im Angk system meinst – die mögliche gegnerische Präsenz und etwaige Manöver von deren Seite –, dann doch, ja, was das betrifft, bin ich mehr als nur interessiert. Gibt es denn etwas Neues? Ist die A-Werft etwa wieder gesichtet worden?« Er merkte, wie sich sein Puls beschleunigte. »Sag nicht, dass es so ist.«

»Hätte unser Gespräch dann in dieser Form stattgefunden?«

Cloud schüttelte den Kopf. »Sicherlich nicht.«

Rylbert gestikulierte in der Weise, die ihm sein absonderlicher, aus organischen Achten geknüpfter Körper gestattete. »Nach jetzigem Stand ist das Amorph-Gebilde nicht länger unser Problem. Allerdings könnte es theoretisch jederzeit wieder auftauchen, um die heimtückischen Attacken auf den planetaren Schild fortzusetzen.«

»Es gab Vermutungen, dass es sich in Richtung unseres Heimatsystems abgesetzt hat. Hat sich dahin gehend etwas ergeben?«

»Der Kursvektor zeigte unter anderem zu den Koordinaten, die ihr uns zum Solaren System, so nennt ihr es doch, zur Verfügung gestellt habt. Aber die Reichweite unserer Ortung ist begrenzt. Es gibt keine Bestätigung. Um sie zu erhalten, müsste jemand ins Solare System aufbrechen.«

»Wenn ihr uns ein Raumschiff zur Verfügung stellt, könnte ich darüber nachdenken.«

»Wir haben kein Raumschiff. Sonst hätten wir die A-Werft wesentlich offensiver bekämpft.«

Cloud musste die Aussage akzeptieren, auch wenn es ihm in Anbetracht dessen, was er über das Angksystem wusste, schwerfiel.

»Du weißt, was mit Schiffen geschieht, die sich auf einen offenen Kampf mit dem Amorph-Gebilde einlassen: Es adaptiert und kopiert sie. Und drischt ihnen anschließend ihre eigenen Waffen um die Ohren! Raumschiffe gegen es einzusetzen, wird vermutlich immer nach hinten losgehen.«

»Unsere größten Denker sinnen über Maßnahmen nach, die sich als fruchtbarer im Kampf gegen diesen Feind erweisen könnten.«

»Das kann nie verkehrt sein«, sagte Cloud, ohne sich wirkliche Hoffnungen zu machen, dass der A-Werft überhaupt mit Mitteln, die in diesem Universum ersonnen wurden, beizukommen war. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest – ich brenne darauf, mich mit der Geretteten zu unterhalten. Sie ist die Tochter meiner Lebensgefährtin und als diese könnte sie wertvolle Hinweise geben, wie ihre Mutter und andere vielleicht ebenfalls noch in unsere Mitte zurückkehren können...«

»Natürlich, warte – es dauert nur einen Moment.«

Rylbert aktivierte ein Transportfeld. Cloud verschwand vom Achten-Deck und rief, bei den Quartieren angekommen, eine Dringlichkeitssitzung mit den in diesem Fall relevanten Personen ein.

Er hatte dem Felorer gegenüber nicht übertrieben: Nichts beschäftigte ihn in diesen Stunden mehr als das Wunder, das Yael gewirkt hatte – und das nach einer Fortsetzung schrie.

––––––––

»Du erinnerst dich an den Moment, als die RUBIKON zerschellte?«

»Nein.«

»Nein...? Nun, wir mussten annehmen, du seist mit den anderen gestorben. Aber dass du nun wieder unter uns weilst, so lebendig, wie ein Mensch es nur sein kann, ist nicht nur ein Rätsel, es gibt auch Anlass zu großer Hoffnung.« John Cloud warf einen Blick zu Yael, der darauf bestanden hatte, dem Gespräch beizuwohnen.

Er hatte jedes Recht der Welt, Bedingungen zu stellen. Ohne Jiims Sprössling wäre diese Begegnung gar nicht möglich geworden. Ohne seine besonderen Kräfte, mit denen er es auf rätselhafte Weise geschafft hatte, Winoa aus dem Reich der Toten zurückzuholen.

Reich der Toten . Cloud merkte, wie sein Mund trocken wurde. Er hatte sich vorgenommen, nicht pathetisch zu werden. Aber alle guten Vorsätze wurden in dem Moment hinfällig, da er die Tochter seiner immer noch vermissten Gefährtin musterte und keinerlei Anzeichen fand, das es erlaubt hätte, berechtigte Zweifel an ihrer wahrhaftigen Lebendigkeit zu hegen. Dass sie lebte, war völlig unstrittig. Sie war kein bloßes Trugbild, sondern eine junge Frau aus Fleisch und Blut. Er hatte mehrfach seit ihrer Rückkehr Gelegenheit gehabt, sich davon zu überzeugen. Und das hatte er, ebenso wie Yael, Aylea und andere, die Winoa nahestanden, auch weidlich getan. Immerhin hatten sie sie schon abgeschrieben gehabt – genauso wie den Rest der Angks, die dem Crash der RUBIKON zum Opfer gefallen waren.

Winoa schwieg auf seine Auslassungen, sodass Cloud sich genötigt sah, selbst wieder das Wort zu ergreifen.

»Hilf uns, den Zustand, in dem du und die anderen Angks sich im Moment der Katastrophe befunden haben, besser zu verstehen. Du bist die Einzige, die wir dazu befragen können. Wir wollen dich nicht quälen, ich hoffe, du hast Vertrauen. Aber auch wenn die Erinnerungen schmerzlich sein müssen, bitte ich dich –«

»Ich kann euch nicht helfen, Commander! Ich versichere euch, dass ich nicht zögern würde, es zu tun, wenn ich es könnte. Aber ich habe keine Erinnerungen an die Katastrophe. Ich...«

»Dann sprich über die Situation davor. So weit deine Erinnerungen reichen.«

»Du meinst unsere Verschmelzung mit dem Schiff, Commander? Unseren Versuch, die irreparabel gestörte Sesha-KI zu ersetzen, damit die RUBIKON voll manövrierfähig blieb?«

Cloud presste kurz die Lippen aufeinander. Dann nickte er. »Ihr – damit meine ich alle Angks – habt große persönliche Opfer erbracht, habt euch quasi selbst aufgegeben, was eure Individualität anging, um unser Raumschiff und die verschwindend kleine Rest-Crew wehrhaft zu halten. Das rechne ich euch hoch an, wir alle tun das.« Sein Blick traf sich erneut mit dem von Yael und der weiteren Person, die dem Treffen beiwohnte.

Algorians Miene war stoisch. Der spindeldürre, hoch aufgeschossene Aorii hatte noch kein einziges Wort gesprochen. Aber nicht in der Weise, wie Yael bislang keinen Beitrag zu ihrer Unterhaltung geleistet hatte, sondern fast wie jemand, der gar nicht anwesend war.

Ein stiller Beobachter . Cloud nickte zu sich selbst. Ja, das trifft es, und genauso habe ich ihm seine Aufgabe ja auch erklärt.

»Es war in unserem eigenen Interesse«, sagte Winoa mit gesenktem Blick. »Wir Angks gehören ebenso zur Mannschaft wie die ›kleine Rest-Crew‹, wie du es nennst, Commander. Wir taten, was wir tun konnten, um unser Überleben und die Fortexistenz des Schiffes zu sichern. Leider...«

»Ja?«, versuchte er, sie zum Weiterreden zu bewegen, als sie stockte.

»Leider ist es uns nicht gelungen. Nicht in der Weise, mit der wir alle zufrieden sein könnten.« Sie schluckte, und obwohl sie nicht aufschaute, sah Cloud, dass Tränen über ihre Wangen rollten.

Er gab Yael ein Zeichen, und der Narge verstand intuitiv. Er schob sich neben Winoa, legte tröstend und beschützend zugleich den Arm um sie. Winoa blickte scheu zu ihm auf. Sie waren inzwischen fast gleich groß; früher hatten die Spitzen seiner Flügel sie weit überragt, aber diese Flügel gab es seit Raiconns grausamer Folter nicht mehr.

Und trotzdem schafft er es unverändert, sie im Wortsinn ›unter seine Fittiche zu nehmen‹, dachte Cloud beeindruckt. Die beiden Angehörigen verschiedener Spezies in Liebe vereint vor sich zu sehen, mochte kein Triumph sein, der in kosmische Belange hineinstrahlte. Trotzdem spürte Cloud, wie er auch davon partizipierte. Alles können wir nicht falsch gemacht haben, sonst hätten die beiden nie in dieser Weise zueinandergefunden.

Er musste sich zwingen, nicht an Assur zu denken.

Nicht pausenlos an sie zu denken.

»Ihr habt den Beitrag geleistet, den ihr leisten konntet. Zu unser aller Unglück haben wir es aber mit einem Gegner zu tun bekommen, den wir nicht auf der Rechnung hatten. Vielleicht haben wir uns nach dem Fall der Auruunen zu sehr in Sicherheit gewiegt, auch wenn die kosmischen Veränderungen dazu keinen Anlass gaben. Trotzdem hat jeder von uns insgeheim noch an die Chance geglaubt, die Entartung der Sterne rückgängig machen zu können, mit oder ohne Hilfe der Ganf. In dieser Phase waren wir vielleicht anfälliger als in den Phasen davor, als wir alle permanent unter Strom standen. Wir wissen bis heute nicht, was mit den Auruunen geschehen ist, dass sie sich samt und sonders in lallende Idioten verwandelt haben. Aber diese Extrem-Degeneration machte uns wohl leichtsinnig. Wir glaubten, nur noch Nomads Geheimnis ergründen zu müssen – das Geheimnis, wer sich unter dem planetaren Schild verschanzt hat –, um über kurz oder lang Verbündete gewinnen zu können, mit denen die EWIGE KETTE wieder auf Kurs gebracht und die physikalischen Verhältnisse unseres Universums zur Normalität zurückgeführt werden können... Leider hat sich das als illusorisch erwiesen. Die Ganf, die wir auf Nomad vermuteten, befinden sich offenbar ironischerweise ausgerechnet in dem Objekt, das für die Zerstörung der RUBIKON verantwortlich ist. Stattdessen sind wir auf Geschöpfe gestoßen, die wir von anderen Begegnungen her bereits kannten, nun aber gezwungen sind, in einem ganz neuen Licht zu betrachten: Felorer. Ich denke, keiner von uns hätte es je für möglich gehalten, dass sie dem gleichen Urkontinuum entstammen wir die Ganf, die hier im Angksystem das Erste Reich gründeten. Niemand von uns hätte sich auch nur im Traum vorstellen können, dass Ganf und Felorer dereinst, vor 13,82 Milliarden Jahren, gemeinsam das EXPERIMENT betreuten, in dessen Verlauf der Kosmos, wie wir ihn kennen, initiiert wurde.« Er seufzte. »Aber all das sind Tatsachen, vor denen wir nicht länger die Augen verschließen können. All das läuft darauf hinaus, dass wir eben doch keine Möglichkeit mehr finden werden, den drohenden Untergang des Weltalls mit allem, was sich darin befindet, zu verhindern. Dieses Weltall wird sterben. Der nächste Schub kann bereits alles beenden. Alles, was wir kennen, und alles, was jedes Individuum im Moment seines Todes ohnehin verlassen muss. Ich fürchte nur, dass der Gedanke, wie endlich wir alle auch ohne den Untergang des großen Ganzen sind, weder mich noch euch trösten kann. Und vielleicht ist es tröstlich, dass ich mir wünschte, all jene um mich zu haben, die vorzeitig gehen mussten, wenn das große Finale eingeläutet wird. Eigentlich müsste ich denken, sie haben es bereits überstanden, während es uns Wenigen noch bevorsteht. Aber... nun, ich bin offenbar dieser Egoist, der gerne deine Mutter um sich hätte, wenn es so weit kommt. Und der sie auch all die Stunden, Tage, Wochen... oder was auch bleiben mag, bis es so weit ist... gern um sich gehabt hätte. Um sie trauern zu müssen, während so vieles Schreckliche gerade wieder in Gang geraten ist, übersteigt, fürchte ich, meine Kraft.«