Redwall 1 - Brian Jacques - E-Book

Redwall 1 E-Book

Brian Jacques

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Beschreibung

Das erste Buch der geliebten Redwall-Saga – bald ein großer Netflix-Film! Willkommen im Moosblumenwald, wo sich die friedlichen Mäuse versammelt haben, um ein Jahr des Überflusses zu feiern. Alles ist gut ... bis ein düsterer Schatten auf die alte Abtei von Rotwall fällt. Es wird gemunkelt, dass Cluny, die schreckliche einäugige Ratte, mit ihrer wilden Horde kommt, um Rotwall zu erobern! Die einzige Hoffnung für die belagerten Mäuse liegt in dem verlorenen Schwert des legendären Kriegers Martin. Und so beginnt die epische Suche eines jungen Lehrlings – einer mutigen Maus, die sich erhebt, um zurückzuschlagen ... und selbst zur Legende zu werden.

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Seitenzahl: 489

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BRIAN JACQUES

REDWALL

DER STURM AUF DIE ABTEI

ÜBERSETZT VON

CLAUDIA KERN

Die deutsche Ausgabe von

REDWALL 1: DER STURM AUF DIE ABTEI

wird herausgegeben von CROCU, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg. Herausgeber: Andreas Mergenthaler, Verlagsleitung: Luciana Bawidamann; Übersetzung: Claudia Kern; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Peter Schild; Satz: Rowan Rüster; Coverillustration Christopher Dunn; Innenseiten- und Backcover-Illustrationen: Gary Chalk; Titellogo: Timo Würz; Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohořelice. Printed in the EU.

Copyright © Brian Jacques, 1986

First published as REDWALL in 1986 by Random House Children's Publishers UK, an imprint of The Random House Group Limited which is part of the Penguin Random House group of companies.

Print ISBN 978-3-98743-007-7 (November 2022)

E-Book ISBN 978-3-98743-006-0 (November 2022)

WWW.CROCU.DE

Erstes Buch

Die Mauer

Zweites Buch

Die Suche

Drittes Buch

Der Krieger

Dass es heißt, ich sei tot

Ist mir einerlei.

Heut starb Martin.

In Rotwall der Mäuse zwei.

Der Krieger schläft

Zwischen Höhlenloch und Saal.

Heut starb Martin.

Meine mächt’ge Rolle ist deine Wahl.

Such nach dem Schwert

Im vorbeifließenden Mondlicht,

Bei Nacht, wenn der Norden sich

In des Tages erster Stunde bricht.

Tritt über die Grenze

Und suche, dann kannst du’s gewahren.

Heut starb Martin.

Mein Schwert wird euch bewahren.

(Reim, der unter dem Wandteppich im Großen Saal steht)

Der Sommer der Späten Rose hatte gerade angefangen. Das Land der Moosblume schimmerte im friedlichen Dunst. Es badete in der zarten, taufrischen Morgendämmerung, erblühte in den sonnigen Mittagsstunden und verblasste in der purpurroten Dämmerung, die eine sanfte Juninacht einläutete.

Die viereckige Rotwall-Abtei stand an der alten Südgrenze. Die schattigen Tiefen des Moosblumenwalds rahmten sie an zwei Seiten ein. Die andere Hälfte der Abtei erhob sich über hügelige Wiesenflächen und ihr altes Tor befand sich in der Westmauer, direkt an einer langen, staubigen Straße.

Von oben sah sie wie ein wunderschönes, düsteres Juwel aus, das vom Himmel gefallen und in einem grünen Mantel aus heller Seide und dunklem Samt gelandet war. Die ersten Mäuse hatten die Abtei aus rotem Sandstein erbaut, der aus Steinbrüchen viele Meilen entfernt im Nordosten stammte. Das Hauptgebäude der Abtei war mit einem Efeu bewachsen, den man Selbstkletternde Jungfernrebe nannte. Wenn der Herbst kam, würden sich die Blätter in einen feuerroten Umhang verwandeln und damit dem Namen und der Legende der Rotwall-Abtei zusätzlichen Glanz verleihen.

ERSTES BUCH

Die Mauer

1

Matthias bot einen witzigen Anblick, als er durch die Kreuzgänge watschelte. Seine großen Sandalen klatschten auf den Boden und sein Schwanz ragte unter den Falten einer Mönchskutte hervor, die zu groß für ihn war. Er hielt inne, um einen Blick auf den wolkenlosen, blauen Himmel zu werfen, und stolperte über die riesigen Sandalen. Haselnüsse fielen aus dem Binsenkorb in seiner Hand und rollten über das Gras. Er konnte sich nicht halten und folgte ihnen mit wehender Kutte und zuckendem Schwanz.

Fump!

Der kleine Mäuserich quiekte bestürzt. Er rieb sich vorsichtig die feuchte Stupsnase, dann sah er sich an, wo er gelandet war: direkt vor Abt Mortimers Füßen!

Matthias kroch sofort auf allen vieren herum, sammelte hastig die Nüsse auf und beförderte sie zurück in den Korb, während er Entschuldigungen stammelte und versuchte, dem strengen Blick des älteren Mäuserichs auszuweichen.

»Äh, tut mir leid, Vater Abt, ich bin hingefallen, wisst Ihr? Bin über meine Stolper sandalt. Oh, Moment, nein, ich meine …«

Der Abt blinzelte ihn ernst über den Rand seiner Brille hinweg an. Wieder mal Matthias. Was für ein junger Schwachkopf von einer Maus. Letztens hatte er sogar dem alten Bruder Methusalem die Schnurrhaare versengt, als er die Kerzen anzünden wollte.

Dann wurde die Miene des alten Mäuserichs sanfter. Er sah zu, wie der kleine Novize im Gras herumkroch und die glatten Haselnüsse zusammenraffte, die ihm immer wieder entglitten. Abt Mortimer schüttelte den alten grauen Kopf, konnte sich aber ein Grinsen kaum verkneifen, als er sich bückte, um beim Aufsammeln der Nüsse zu helfen.

»Ach Matthias, Matthias, mein Sohn«, sagte er müde. »Wann wirst du das Leben endlich langsamer angehen, damit du würdig und bescheiden vorankommst? Wie willst du es schaffen, als eine Maus von Rotwall aufgenommen zu werden, wenn du ständig herumläufst und von den Schnurrhaaren bis zur Schwanzspitze grinst wie ein verrückter Hase?«

Matthias warf die letzten Haselnüsse in den Korb und stand mit seinen großen Sandalen ungeschickt auf. Er wusste nicht, wie er das aussprechen sollte, was er im Herzen fühlte.

Der Abt legte dem jungen Mäuserich eine Pfote auf die Schulter. Er wusste, wonach der Novize sich sehnte, denn er herrschte bereits seit vielen Jahren weise über Rotwall und hatte viel über das Mäuseleben gelernt. Er lächelte Matthias an. »Begleite mich. Es ist Zeit, dass wir uns einmal unterhalten.«

Eine neugierige Drossel, die auf einem knorrigen Birnbaum hockte, sah zu, wie die beiden Gestalten langsam in Richtung des Großen Saals gingen. Eine Maus trug die dunkle grünbraune Ordenskutte, die andere die hellgrüne eines Novizen. Sie sprachen leise und ernsthaft miteinander. Die Drossel, die sich sehr schlau vorkam, flog hinab zu dem Korb, der noch im Gras stand. Mist! In dem Korb lagen nur harte Nüsse, die noch in ihrer Schale steckten. Die Drossel tat so, als würde sie sich nicht dafür interessieren, damit die anderen Vögel ihren peinlichen Irrtum nicht bemerkten. Sie pfiff ein paar Takte ihres melodischen Sommerlieds und schlenderte dann gelassen zu den Klostermauern, um sich auf die Suche nach Schnecken zu begeben.

Im Großen Saal war es kühl. Sonnenlicht fiel in regenbogenfarbenen Strahlen durch die hohen, schmalen Buntglasfenster. Eine Million farbiger Staubkörner tanzten und wirbelten umher, als die beiden Mäuse über den uralten Steinboden trotteten. Der Abt blieb vor einer Wand stehen, die mit einem langen Wandteppich behangen war. Dies war Rotwalls ganzer Stolz. Der älteste Teil des Teppichs war von den Gründern der Abtei gewoben worden, aber alle darauffolgenden Generationen hatten ihm etwas hinzugefügt. Daher handelte es sich bei diesem Wandteppich nicht nur um einen unbezahlbaren Schatz, sondern auch um eine wunderbare Chronik der frühen Rotwall-Geschichte.

Der weise Abt betrachtete den staunenden Matthias, als er ihm eine Frage stellte, deren Antwort er bereits kannte. »Was siehst du dir da an, mein Sohn?«

Matthias zeigte auf die Figur, die in den Teppich hineingewoben worden war: ein heldenhaft aussehender Mäuserich mit einem furchtlosen Lächeln auf dem anmutigen Gesicht. Er trug eine Rüstung und stützte sich lässig auf ein beeindruckendes Schwert, während hinter ihm Füchse, Wildkatzen und Ungeziefer entsetzt flohen. Der junge Mäuserich betrachtete die Figur bewundernd. »Ach, Vater Abt«, seufzte er. »Wenn ich doch nur wie Martin der Krieger wäre. Er war die tapferste, mutigste Maus aller Zeiten!«

Der Abt setzte sich langsam auf den kühlen Steinboden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.

»Hör mir zu, Matthias. Du bist wie ein Sohn für mich, seit du als arme Waisenmaus vor unseren Toren aufgetaucht bist und um Einlass gebeten hast. Komm, setz dich zu mir. Dann werde ich dir erklären, worum es unserem Orden geht.

Wir sind Mäuse des Friedens. Ach, ich weiß, dass Martin ein Mausekrieger war, aber das war in der wilden, alten Zeit, als man noch Stärke brauchte. Die Stärke eines Helden, so wie Martin. Er traf im tiefsten Winter hier ein, als die Gründer von Füchsen, Ungeziefer und einer großen Wildkatze belagert wurden. Martin war ein so wilder Kämpfer, dass er sich den Feinden allein stellte und sie davonjagte, weit weg von Moosblume. Während dieses Rückzugs stellte sich Martin seinen zahlenmäßig weit überlegenen Feinden zum Kampf. Er erschlug die Wildkatze mit seinem uralten Schwert, das im ganzen Land berühmt wurde, und trug den Sieg davon. Doch bei der letzten blutigen Konfrontation wurde Martin schwer verletzt. Er lag verwundet im Schnee, bis die Mäuse ihn fanden. Sie brachten ihn in die Abtei und pflegten ihn, bis er seine Kraft zurückerlangte.

Dann schien etwas über ihn zu kommen. Er wurde durch etwas, das man nur als Mauswunder bezeichnen kann, verwandelt. Martin ließ den Weg des Kriegers hinter sich und legte sein Schwert ab.

Da fand unser Orden seine wahre Berufung. Alle Mäuse schworen, niemals einem anderen Lebewesen Schaden zuzufügen, solange es sich nicht um einen Feind handelte, der dem Orden Gewalt antun wollte. Sie schworen, die Kranken zu heilen, die Verwundeten zu pflegen und den Armen und Verzweifelten zu helfen. So wurde es niedergeschrieben und so ist es seitdem durch alle Mäusezeitalter geblieben.

Heute werden wir von allen geehrt und respektiert. Sogar außerhalb von Moosblume werden wir von allen Tieren zuvorkommend behandelt und selbst Raubtiere lassen alle Mäuse in Ruhe, die unsere Ordenskutte tragen. Sie wissen, dass diese Mäuse sie heilen und ihnen helfen werden. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Rotwall-Mäuse überall hingehen können, in jedes Territorium, ohne Übergriffe befürchten zu müssen. Diesem Ruf müssen wir immer gerecht werden. Das ist unser Weg und unsere Lebensweise.«

Während dieser Rede war die Stimme des Abts immer lauter und würdevoller geworden. Matthias erwiderte seinen strengen Blick voller Bescheidenheit. Abt Mortimer stand auf und legte ihm eine faltige alte Pfote auf den kleinen Kopf, genau zwischen die samtweichen Ohren, die nun beschämt herabhingen.

Doch der kleine Mäuserich erwärmte erneut das Herz des Abts. »Armer Matthias, deine Wünsche sind vergebens. Die Zeit des Kriegers ist vorüber. Wir leben in friedlichen Zeiten, dem Himmel sei Dank. Es reicht, wenn du mir, deinem Abt, gehorchst, und tust, was man dir sagt. Irgendwann einmal, wenn ich mich längst zur Ruhe gebettet habe, wirst du an diesen Tag zurückdenken und mich segnen, denn dann wirst du ein wahres Mitglied von Rotwall sein. Komm jetzt, junger Freund, Kopf hoch. Es ist der Sommer der Späten Rose. Viele, viele warme Sonnentage liegen vor uns. Geh und hol deinen Haselnusskorb. Heute feiern wir ein großes Fest – mein goldenes Jubiläum als Abt. Wenn du die Nüsse in der Küche abgegeben hast, musst du noch eine ganz besondere Aufgabe erfüllen. Ja, wirklich, denn ich brauche frischen Fisch für das Abendessen. Hol deine Angel und die Schnur. Sag Bruder Alf, dass er dich mit dem kleinen Boot rausfahren soll. So etwas machen junge Mäuse doch gern, oder? Wer weiß, vielleicht fängst du eine leckere Forelle oder ein paar Stichlinge. Lauf, kleiner Mäuserich.«

Matthias strahlte von den Schnurrhaaren bis zur Schwanzspitze, als er sich rasch verbeugte und davonschlurfte. Der Abt sah ihm freundlich hinterher. Kleiner Schlingel. Er würde den Verwalter fragen, ob er nicht Sandalen in Matthias’ Größe hatte. Kein Wunder, dass der arme Mäuserich ständig stolperte.

2

Die Sonne stand hoch am Himmel und tauchte Cluny die Geißel in ihr warmes Licht.

Cluny kam!

Er war groß und knallhart, eine böse Ratte mit räudigem Fell und krummen, spitzen Zähnen. Er trug eine schwarze Augenklappe. Ein Hecht hatte ihm beim Kampf das Auge herausgerissen.

Cluny hatte ein Auge verloren.

Der Hecht hatte sein Leben verloren.

Einige hielten Cluny für eine portugiesische Ratte. Andere glaubten, dass er aus den Dschungeln auf der anderen Seite der großen Meere stammte. Niemand wusste es genau.

Cluny war eine Schiffsratte, der größte, brutalste Nager, der je von Deck an Land gesprungen war. Er war schwarz, mit rosa und grauen Narben, die seinen riesigen, schlanken Körper von der feuchten Nasenspitze über sein grüngelbes Schlitzauge, die ausgefransten, bösen Ohren, den schweren, von Ungeziefer befallenen Rücken bis zu dem riesigen, peitschenartigen Schwanz bedeckten, dem er seinen Spitznamen verdankte: Cluny die Geißel.

Nun saß er auf einem Heuwagen, zusammen mit seinen fünfhundert Anhängern, einer mächtigen Rattenarmee. Sie bestand aus Kanalratten, Tavernenratten, Wasserratten und Hafenratten. Clunys Furcht einflößende Armee, die ihm treu ergeben war. Rotzahn, sein Stellvertreter, hielt eine lange Stange in der Pfote. Es war Clunys Standarte, an deren Spitze ein Frettchenkopf steckte. Cluny hatte das Frettchen getötet. Er fürchtete sich vor keinem Lebewesen.

Das Pferd galoppierte ohne Kutscher mit weit aufgerissenen Augen und dem entsetzlichen Rattengeruch in den Nüstern die Straße entlang. Cluny interessierte es nicht, wohin der Heuwagen ihn brachte. Das in Panik geratene Pferd galoppierte geradeaus, vorbei an einem Meilenstein, dessen eingemeißelten Worten es keine Beachtung schenkte: »Rotwall-Abtei, fünfzehn Meilen«.

Cluny spuckte vom Wagenrand zwei junge Kaninchen an, die auf einem Feld spielten. Leckere kleine Dinger, schade, dass der Wagen noch nicht angehalten hatte, dachte er. Die warme Sonne schien auf Cluny die Geißel herab.

Cluny war ein Gott des Krieges!

Cluny kam näher!

3

Kerzen brannten hell in ihren Wandhaltern im Höhlenloch der Mäuse.

Es würde ein fantastischer Abend werden!

Matthias und Bruder Alf hatten zusammen eine ausgewachsene Äsche gefangen. Fast zwei Stunden lang hatten sie mit dem großen Fisch gerungen und ihn ausgetrickst, bis sie ihn schließlich ans Ufer hatten ziehen können. Er wog fast ein Kilo, was bewies, wie gut Bruder Alfs Angelfähigkeiten und Matthias’ jugendliche Muskeln gepaart mit einer ordentlichen Portion Enthusiasmus sich ergänzt hatten.

Sie mussten Konstanze, die Dächsin, rufen. Sie nahm den Fisch in ihre starken Kiefer, begleitete die beiden Mäuse in die Küche der Abtei und lieferte den Fang für sie ab. Dann verabschiedete sie sich. Konstanze war ebenso wie viele andere Bewohner von Moosblume zum Jubiläumsfestessen eingeladen worden, also würden sie an diesem Abend gemeinsam feiern.

Bruder Alf und Matthias standen stolz neben ihrem Fang, während um sie herum Köche geschäftig hin und her eilten, bis Bruder Hugo sie bemerkte. Der unglaublich fette Hugo (der nur mit Bruder und keinem anderen Titel angesprochen werden wollte) hatte zwar viel zu tun, blieb aber trotzdem stehen. Er wischte sich mit einem Löwenzahn, den er mit dem Schwanz festhielt, den Schweiß von der Stirn und watschelte um den Fisch herum.

»Hm, die Schuppen glänzen, die Augen sind klar, schön frisch.« Bruder Hugo lächelte so fröhlich, dass sein Gesicht fast in den tiefen Grübchen verschwand. Er schüttelte Alf die Pfote und klopfte Matthias kräftig auf den Rücken, während er kichernd rief: »Holt den weißen Stachelbeerwein! Besorgt mir rasch etwas Rosmarin, Thymian, Bucheckern und Honig. Und dann, meine Freunde«, er wedelte wild mit dem Löwenzahn herum, »werde ich, Hugo, eine Äsche à la Rotwall zubereiten, die im Mäusemund zergehen wird. Frische Sahne! Ich brauche viel frische Sahne! Und bringt mir auch ein paar Minzblätter!«

Sie ließen den vor Freude überschäumenden, Anweisungen plappernden Bruder Hugo zurück und gingen los, um zu baden und sich fertig zu machen. Sie kämmten sich die Schnurrhaare, rollten den Schwanz ein, polierten die Nase und putzten sich auf die hundert verschiedenen Arten, mit denen sich Rotwall-Mäuse auf jedes große Fest vorbereiteten.

Die Dachbalken des Höhlenlochs vibrierten unter dem aufgeregten Murmeln und Lachen der versammelten Tiere: Igel, Maulwürfe, Eichhörnchen, alle möglichen Tiere des Waldes und Mäusearten – Feldmäuse, Heckenmäuse, Haselmäuse, sogar eine Familie armer Kirchenmäuse. Freundliche Helfer eilten umher und sorgten dafür, dass sich jeder wohlfühlte.

»Hallo, Frau Kirchenmaus! Setzt die Kinder hierher! Ich besorge Euch etwas Himbeerlikör.«

»Herr Rötelmaus, schön, Euch zu sehen! Geht’s Eurem Rücken besser? Gut. Hier, probiert mal den Pfirsich-Holunder-Brandy.«

Matthias summte der Kopf. Er war in seinem ganzen Leben noch nie so glücklich gewesen.

Winifred, die Otterin, stupste ihn an. »Wo ist denn die riesige Äsche, die du und der alte Alf an Land gezogen habt? Ich wünschte, ich könnte so ein Exemplar fangen. Fast ein Kilo, richtig?«

Matthias platzte fast vor Stolz. So viel Lob, und das auch noch von einem Otter, einem der besten Fischer!

Die Kirchenmauszwillinge Tim und Tess drückten auf Matthias’ kräftige Armmuskeln und kicherten laut und bewundernd. Er servierte ihnen zwei Portionen Apfel-Minz-Eis. So nette kleine Zwillinge. Hatte er Schwester Stephanie wirklich erst vor drei Monaten geholfen, als sich beide Schwanz-Rachitis eingefangen hatten? Meine Güte, waren sie gewachsen!

Abt Mortimer saß in seinem geschnitzten Weidenlehnstuhl und strahlte jeden an, der ihm ein einfaches, selbst gemachtes Geschenk zu Füßen legte: eine Eicheltasse von einem Eichhörnchen, einen Grätenkamm von den Ottern, Rindensandalen von den Maulwürfen und viele andere schöne Geschenke, die sich nicht alle aufzählen lassen. Der Abt schüttelte verwundert den Kopf. Da kamen sogar noch mehr Gäste!

Er winkte Bruder Hugo heran. Sie unterhielten sich flüsternd. Matthias konnte nur Bruchstücke davon verstehen.

»Keine Sorge, Vater Abt, es ist genug für alle da.«

»Wie viel Wein ist im Keller, Hugo?«

»Genug, um den Abteiteich zu füllen, Vater.«

»Und Nüsse? Uns dürfen die Nüsse nicht ausgehen.«

»Wir haben alle erdenklichen, sogar karamellisierte Kastanien und gehackte Eicheln. Wir könnten den kompletten Distrikt ein Jahr lang durchfüttern.«

»Käse?«

»Auch den. Ich habe einen Cheddar, den vier Dachse nicht wegrollen könnten, und noch zehn andere Varianten.«

»Gut, gut, danke Hugo. Ach, wir müssen uns auch bei Alf und dem jungen Matthias für den wunderbaren Fisch bedanken. Was sind das für gute Angler! Davon kann sich die Abtei eine Woche lang ernähren! Herausragende Mäuse, gute Arbeit.«

Matthias errötete bis zur Schwanzspitze.

»Die Otter! Die Otter!«

Lauter, fröhlicher Jubel erklang, als drei Otter in Clownskostümen in den Saal liefen. Was für eine Akrobatik! Sie wirbelten und kreisten und balancierten mit so großem Geschick über die vollgestellten Tische, dass nicht einmal eine Rosine verrutschte. Schließlich schaukelten sie an Efeuranken von den Dachbalken, was mit wildem Applaus belohnt wurde.

Der Igel Ambros Dorn führte seine Zaubertricks vor, mit denen er alle begeisterte. Er holte Eier aus dem Ohr eines Eichhörnchens, ließ den Schwanz einer jungen Maus wie eine Schlange tanzen und eine Kastanie verschwinden, worauf eine Gruppe kleiner Zwergmäuse quiekte: »Er versteckt sie zwischen seinen Stacheln.«

Aber hatte er das? Ambros machte einige mysteriöse Gesten und holte die Kastanie dann aus dem Mund einer verblüfften kleinen Maus heraus. War das Magie?

Natürlich war es das.

Alle Aktivitäten wurden eingestellt, als die große Joseph-Glocke im Glockenturm der Abtei die achte Stunde verkündete. Stumm begaben sich alle Tiere an den ihnen zugewiesenen Platz. Sie standen ehrfürchtig und mit gesenktem Kopf hinter ihrem Stuhl. Abt Mortimer erhob sich und streckte die Pfoten so weit aus, dass sie das ganze Festmahl einrahmten. Dann sprach er den Segen.

»Fell und Schnurrhaar, Klaue und Zahn,

Alle, die unseren Toren nah’n.

Nüsse und Kräuter, Obst und Ähren,

Wurzeln und Pflanzen, Knollen und Beeren,

Silberner Fisch, du ließest dein Leben,

Um ein Mahl uns zu geben.«

Darauf folgte ein lautes und dankbares: »Amen.«

Überall wurden Stühle gerückt und Fell raschelte, als alle Platz nahmen. Linker Pfote von Matthias saßen Tim und Tess, rechter Pfote Kornblume Feldmaus. Kornblume war eine stille junge Maus, aber sehr hübsch. Sie hatte die längsten Wimpern, die Matthias je gesehen hatte, das weichste Fell, die weißesten Zähne …

Matthias machte sich an einem Stück Sellerie zu schaffen, dann drehte er den Kopf, um zu sehen, ob die Zwillinge zurechtkamen. Bei diesen Jungkirchenmäusen wusste man das nie so genau.

Bruder Alf erklärte bei jedem Gang, der an den Tisch gebracht wurde, dass Bruder Hugo sich selbst übertroffen hätte. Zarte Süßwasserkrabben, die mit Sahne und Rosenblättern verziert waren, gefüllte Gerstenperlen in Eichelpüree, Apfel- und Möhren-Brot, marinierte Kohlstengel, die in pürierten weißen Rüben mit Muskatnuss eingeweicht worden waren.

Ein Chor aus »Oooh!« und »Aaaah!« begrüßte die sechs Mäuse, die einen großen Rollwagen in den Saal schoben. Das war die Äsche. Aromatische Düfte zogen durch das Höhlenloch. Sie war perfekt zubereitet worden. Bruder Hugo war so stolz, dass sein sonst so unattraktives Watscheln fast schon lässig wirkte. Er riss sich die Kochmütze mit dem Schwanz vom Kopf und verkündete mit einem leicht hochtrabenden Quieken: »Abt, ehrenwerte Gäste aus dem Moosblumengebiet und Mitglieder der Abtei. Ähem, ich möchte Euch mein piece de résistance …«

»Ach, Hugo, komm zur Sache!«

Der kleine, dicke Mönch suchte einen Moment lang mit eisigem Blick nach dem Schuldigen, während viele Gäste versuchten, ein Kichern zu unterdrücken. Dann warf er sich wieder in die Brust und verkündete: »Äsche à la Rotwall!«

Es wurde höflich, aber eifrig geklatscht, als Hugo den Fisch zerteilte und die erste dampfende Portion auf einen Teller legte. Er stellte sie würdevoll vor den Abt, der sie dankend annahm.

Alle Augen richteten sich auf den Abt. Er stach die Gabel in den dampfenden Fisch und führte sie vorsichtig zum Mund. Während er kaute, verdrehte er die Augen nach oben und schloss sie dann. Seine Schnurrhaare zuckten und seine Kiefer arbeiteten unablässig, bis er sich mit der Serviette, die er im Schwanz hielt, den Mund abwischte. Der Abt öffnete die Augen wieder. Er strahlte wie die Sonne an einem Sommermorgen.

»Wundervoll, ganz exquisit! Bruder Hugo, du bist wirklich ein Held unter den Köchen. Bitte serviere unseren Gästen dein Meisterwerk.«

Alle weiteren Worte gingen im Jubel unter.

4

Cluny war schlecht gelaunt. Er knurrte aggressiv.

Das Pferd war vor Erschöpfung stehen geblieben. Das hatte er nicht gewollt. Eine teuflische innere Stimme versicherte ihm, dass er sein Ziel noch nicht erreicht hatte. Clunys eines Auge verengte sich boshaft.

Die Soldaten der Nagerarmee beobachteten ihren Herrn aus den Tiefen des Heuwagens. Sie wussten, dass es besser war, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn er in einer solchen Stimmung war. Er war brutal und unberechenbar.

»Knochenkopf«, bellte Cluny.

Es raschelte im Heu, dann tauchte ein verschlagenes Gesicht auf. »Jawohl, Chef, was soll ich machen?«

Clunys kräftiger Schwanz schoss nach vorn und zog den armen Kerl aus dem Heu. Knochenkopf wimmerte, als sich scharfe, schmutzige Klauen in sein Fell bohrten. Cluny deutete auf das Pferd.

»Spring auf das Vieh und beiß ordentlich zu. Dann wird der faule Gaul schon loslaufen.«

Knochenkopf schluckte nervös und leckte sich die trockenen Lippen.

»Aber Chef, was, wenn er mich zurückbeißt?«

Wusch! Krach! Cluny schwang seinen mächtigen Schwanz wie eine Peitsche. Sein Opfer schrie schmerzerfüllt auf, als die Geißel auf seinen dünnen, knochigen Rücken knallte.

»Meuterei, Befehlsverweigerung!«, brüllte Cluny. »Bei den Zähnen der Hölle, ich werd dich in räudige Stücke reißen.«

Knochenkopf lief rasch und vor Schmerzen schreiend zum Fahrersitz. »Aufhören! Peitsch mich nicht aus, Chef. Guck doch, ich mach’s ja.«

»Haltet euch da hinten gut fest«, rief Cluny seiner Horde zu.

Knochenkopf wagte einen verzweifelten Sprung. Er landete auf dem Rücken des Pferdes. Das verängstigte Tier wartete nicht auf den Rattenbiss, sondern wieherte entsetzt, als es das widerliche Kratzen auf seiner Haut spürte. Angst verlieh ihm neue Energie und es donnerte los wie ein außer Kontrolle geratenes Ungeheuer.

Knochenkopf konnte gerade noch aufschreien, dann rutschte er auch schon vom Rücken des Pferdes. Die eisenbeschlagenen Räder des Heuwagens rollten über ihn. Er blieb in einem roten Todesnebel liegen, während das Leben aus seinem zerschmetterten Körper wich. Das Letzte, was er sah, bevor ihn die Dunkelheit verschlang, war Clunys boshafte Visage. »Sag dem Teufel, dass Cluny dich schickt, Knochenkopf!«, rief der Rattenkriegsherr, während er auf dem rumpelnden Karren stand.

Sie fuhren weiter. Cluny kam näher.

5

Unten im Höhlenloch leerten sich die Teller.

Doch die Bäuche waren voll.

Die Rotwall-Mäuse und ihre Gäste lehnten sich satt zurück. Es war viel Essen übrig geblieben.

Abt Mortimer flüsterte Bruder Hugo ins Ohr: »Ich möchte, dass du einen großen Sack mit Haselnüssen, Käse, Brot, Kuchen und allen Lebensmitteln, die du für angemessen hältst, füllst. Gib ihn Frau Kirchenmaus, aber so unauffällig wie möglich. Armut ist ein Schreckgespenst für eine Mausefrau, die so viele Münder zu stopfen hat. Oh, und achte darauf, dass ihr Mann nichts mitbekommt. John Kirchenmaus ist zwar arm, aber auch stolz. Ich befürchte, dass er keine mildtätigen Gaben annehmen würde.«

Hugo nickte wissend und watschelte davon, um den Wunsch seines Abts zu erfüllen.

Kornblume und Matthias hatten sich angefreundet. Sie waren junge Mäuse im selben Alter. Sie waren zwar unterschiedlich veranlagt, hatten aber eines gemeinsam, nämlich das Interesse an Tim und Tess, den Kirchenmauszwillingen. Sie verbrachten den Abend damit, mit den Kleinen zu spielen und zu scherzen. Tess lag nun schlafend auf Matthias’ Schoß und Tim hatte sich Kornblumes samtweiches Fell als Bett ausgesucht. Sie lächelte Matthias an, während sie Tim über den kleinen Kopf strich. »Sie sind so friedlich. Und sieh dir mal die winzigen Pfötchen an!«

Matthias nickte.

Colin Rötelmaus schnalzte laut mit der Zunge und sagte etwas recht Dummes: »Ooh, Matthias und Kornblume kümmern sich um die Kleinen, als wären sie ’n altes Ehepaar. Brat mir einer ’nen Storch!«

Bruder Alf wies ihn scharf zurecht: »Mach deinen albernen Mund zu, Colin Rötelmaus! Weißt du denn nicht, dass Matthias eines Tages eine Rotwall-Maus sein wird? Und sag bloß nichts gegen unsere junge Kornblume. Sie ist eine anständige Maus und kommt aus einer guten Familie. Benimm dich, sonst werde ich deinen Eltern erzählen, was du so anstellst. Gestern Abend erst habe ich gesehen, wie du mit dieser jungen Zwergmaus – wie heißt sie noch gleich? – ›Fang den Rohrkolben‹ gespielt hast.«

Colin Rötelmaus errötete, bis seine Nase trocken wurde. Er verzog sich mit eingezogenem Schwanz und murmelte, er müsse frische Luft schnappen.

Matthias bemerkte, wie der Abt ihm zunickte und ihn ansah. Er entschuldigte sich bei Kornblume, legte die schlafende Tess sanft auf seinen Stuhl und ging zu ihm.

»Matthias, mein Sohn, da bist du ja. Hat dir mein Jubiläumsfest gefallen?«

»Ja, danke, Vater«, erwiderte Matthias.

»Gut, gut«, erwiderte der Abt schmunzelnd. »Ich wollte eigentlich Bruder Alf oder Edmund mit dieser Sonderaufgabe betrauen, aber sie sind keine jungen Mäuse mehr und zu dieser späten Stunde schon ziemlich müde. Also habe ich beschlossen, meinen größten Äschenfänger zu bitten, das für mich zu tun.«

Matthias streckte unwillkürlich das Kinn vor. »Ich bin Eure Maus, Abt.«

Der Abt beugte sich vor und raunte: »Siehst du die Familie Kirchenmaus da hinten? Zu Fuß ist es so weit bis zu ihnen nach Hause. Und Himmel hilf, sieh nur, wie viele es sind! Es wäre doch sehr nett von uns, wenn du sie im Abteikarren nach Hause fahren würdest, zusammen mit allen anderen, die in diese Richtung müssen. Konstanze Dachs würde den Karren natürlich ziehen und du wärst der Führer und Leibwächter. Nimm einen guten, stabilen Stab mit, Matthias.«

Der junge Mäuserich ließ sich nicht zweimal bitten. Er drückte die Schultern durch und salutierte wie ein Soldat. »Überlasst das mir, Vater Abt. Die alte Konstanze ist im Kopf nicht die schnellste. Ich übernehme die volle Verantwortung.«

Der Abt lachte lautlos, als Matthias losmarschierte. Klitschklatsch, klitsch-klatsch. Er stolperte und fiel auf seinen Schwanz.

»Meine Güte, ich muss der jungen Maus endlich Sandalen in der richtigen Größe besorgen«, ermahnte sich der Abt zum zweiten Mal an diesem Tag.

Kornblumes Familie wohnte ganz in der Nähe der Kirchenmäuse, was für ein glücklicher Zufall! Matthias nahm sie sehr gern mit.

Wollte Kornblume vielleicht neben ihm sitzen?

Natürlich wollte sie das!

Kornblumes Eltern setzten sich in den Karren. Ihre Mutter half Frau Kirchenmaus mit den Kleinen, während ihr Vater mit John Kirchenmaus plauderte und sich mit ihm eine Farnkrautpfeife teilte.

Bruder Hugo kam heraus und stellte einen vollen Sack neben Frau Kirchenmaus. »Der Abt bedankt sich ganz herzlich für die geliehenen Schüsseln und Tischdecken.« Der dicke Mönch zwinkerte ihr vielsagend zu.

»Haben es sich alle bequem gemacht?«, rief Matthias. »Dann mal los, Konstanze.«

Die große Dächsin zog den Karren hinter sich her, während sich die anderen verabschiedeten. Sie nickte Methusalem, dem alten Pförtnermäuserich zu. Als der Karren auf die Straße rollte, erhellte ein Strahl silbernes Mondlicht den sternenklaren Nachthimmel. Matthias sah nach oben und hatte das Gefühl, als würde er sich langsam mit der stillen Erde drehen. Konstanze trabte langsam voran, als wäre sie auf einem Abendspaziergang und würde das Gewicht des Karrens nicht spüren. Der stabile Eschenstab lag vergessen vor Matthias’ Füßen.

Kornblume döste an seiner Schulter. Sie hörte die leise Stimme ihres Vaters und die von John Kirchenmaus. Sie vermischten sich mit dem Summen der nachtaktiven Insekten, die in dieser lauen Sommernacht auf den Wiesen und in den Hecken saßen.

Der Sommer der Späten Rose … Kornblume ließ sich die Worte durch den Kopf gehen und dachte verträumt an die alte Kletterrose, die im Garten der Abtei wuchs. Normalerweise war sie zu dieser Jahreszeit voller roter Blüten, aber aus irgendeinem Grund blühte sie dieses Jahr erst später. Die vielen jungen Knospen öffneten sich nicht, obwohl es schon Mitte Juni war. So etwas geschah nur selten und kündigte im Allgemeinen einen außergewöhnlich heißen Sommer an. Der alte Methusalem konnte sich in seinem langen Leben nur an drei solcher Sommer erinnern. Daher hatte er vorgeschlagen, dieses Ereignis im Kalender und in den Chroniken der Abtei als »Sommer der Späten Rose« zu vermerken. Kornblumes Kopf sackte herab, als sie einschlief.

Der alte Karren rollte sanft über die lange, staubige Straße. Sie hatten den Weg zur Ruine der Sankt-Ninian-Kirche, in der John Kirchenmaus, wie schon sein Vater, Großvater und Urgroßvater vor ihm, lebte, zur Hälfte hinter sich gebracht. Matthias schlief ebenfalls tief und fest. Sogar Konstanze fielen immer wieder die Augen zu. Sie wurde langsamer und langsamer. Der kleine Karren und seine Fahrgäste schienen dem Zauber dieser magischen Sommernacht zu erliegen.

Plötzlich und ohne jede Vorwarnung riss sie der Lärm donnernder Hufe aus dem Schlaf.

Niemand konnte erkennen, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Es schien die Luft um sie herum zu erfüllen und wurde immer lauter. Sogar der Boden erbebte unter dem Lärm.

Ein sechster Sinn brachte Konstanze dazu, die Straße zu verlassen und sich zu verstecken. Die kräftige Dächsin spannte sich an. Ihre stumpfen Krallen rissen den Boden am Straßenrand auf, als sie sich und den Karren durch eine Lücke in der Weißdornhecke quetschte und in den Graben dahinter rutschte. Sie stemmte sich mit den Pfoten in den Dreck, um den Karren zum Stehen zu bringen. John Kirchenmaus und Kornblumes Vater sprangen heraus und klemmten die Räder zwischen Steinen ein.

Matthias keuchte überrascht, als ein riesiges Pferd vorbeigaloppierte. Seine Mähne flatterte im Wind, die Augen waren vor Angst aufgerissen. Es zog einen Heuwagen hinter sich her, der wild von einer Seite zur anderen schlingerte. Matthias sah Ratten im Heu, aber keine gewöhnlichen, sondern die größten und räudigsten Nager, die er je gesehen hatte. In ihren von Tätowierungen bedeckten Händen hielten sie die unterschiedlichsten Waffen: Piken, Messer, Speere und lange, rostige Säbel. Auf der Ladeklappe des Heuwagens stand stolz ein Rätterich, der so groß, wild und bösartig aussah, dass er nur aus einem Albtraum entsprungen sein konnte. In einer Klaue hielt er einen langen Stab, an dessen Spitze ein Frettchenkopf steckte, während er mit der anderen seinen dicken, unglaublich langen Schwanz wie eine Peitsche knallen ließ. Er lachte wie ein Wahnsinniger und brüllte seltsame Flüche, während er auf dem holpernden Karren elegant das Gleichgewicht hielt. Dann verschwanden sie alle auch schon in der Nacht.

Matthias trat mit dem Stab in der Hand auf die Straße. Heuhalme schwebten hinter ihm zu Boden. Seine Beine zitterten unkontrolliert. Konstanze zog den Karren zurück auf die Straße. Kornblume half ihrer Mutter und Frau Kirchenmaus, die verängstigt weinenden Kinder zu trösten. Gemeinsam standen sie in den tiefen Spuren, die der Wagen hinterlassen hatte, während die Staubwolke sich langsam legte.

»Hast du das gesehen?«

»Habe ich, aber ich kann es nicht glauben!«

»Was zum Himmel war das?«

»Was zur Hölle passt besser.«

»Diese ganzen Ratten! Und so große!«

»Ja, und der auf der Klappe sah aus wie der Teufel höchstpersönlich!«

Da Matthias immer noch fassungslos und erstarrt dastand, übernahm Konstanze das Kommando. Sie wendete den Karren. »Wir sollten zur Abtei umkehren«, sagte sie entschieden. »Der Abt muss das sofort erfahren.«

Matthias wusste, dass die Dächsin erfahrener als er war, deshalb ordnete er sich ihr unter. »Also gut. Kornblume, setz dich in den Karren und kümmere dich um die Mütter und die Kleinen«, sagte er. »Herr Feldmaus, Herr Kirchenmaus, kommt bitte nach vorn zu Konstanze.«

Die Mäuse befolgten seine Befehle schweigend. Als der Karren losfuhr, setzte sich Matthias ganz nach hinten, um dort Wache zu halten. Der junge Mäuserich nahm seinen Stab fest in die Hand und richtete den Blick in die Richtung, in die der Heuwagen verschwunden war.

6

Das Pferd entkam unverletzt.

Dasselbe konnte man jedoch nicht über den Heuwagen sagen. Das Scheuklappen tragende Tier hatte die beiden steinernen Torpfosten an seiner rechten Seite nicht gesehen und der wild umherschlingernde Wagen war dagegengeprallt. Holz barst, Splitter flogen, dann galoppierte das Pferd auch schon davon und zog Zaumzeug, Deichsel und zerschmetterte Balken hinter sich her.

Clunys blitzschnelle Reflexe erwiesen ihm gute Dienste, denn er konnte sich gerade noch rechtzeitig mit einem beherzten Sprung retten. Er landete katzenartig auf allen vieren, während sich der Heuwagen überschlug und in den Straßengraben rutschte. Seine verbogenen Räder drehten sich unrund in der Luft.

Cluny fühlte sich nach der wilden Fahrt und der Rettung in letzter Sekunde gestärkt und trat an den Rand des Grabens. Die verzweifelten Schreie der Ratten, die unter dem Wagen eingeklemmt waren, drangen an seine Ohren. Er spuckte angewidert aus und kniff sein eines Auge zusammen.

»Kommt schon da raus, ihr nichtsnutziger Haufen Katzenfutter!«, brüllte er. »Rotzahn! Dunkelklaue! Meldet euch sofort bei mir, sonst spiel ich mit euren Schädeln Fußball.«

Clunys Pfotenlanger kletterten aus dem Graben und schüttelten benommen den Kopf.

Knall! Wusch! Der Peitschenschwanz brachte sie schnell zu ihm.

»Dreibein und Kratzer sind tot, Chef.«

»Mausetot. Sie wurden vom Wagen zerquetscht, Chef.«

»Dumme Narren«, zischte Cluny. »Geschieht ihnen recht! Was ist mit dem Rest?«

»Der alte Wurmschwanz hat ’ne Pfote verloren. Einige der anderen sind ziemlich schwer verletzt.«

»Ach, sie werden’s schon überleben«, sagte Cluny höhnisch. »Wenn ich mit ihnen fertig bin, geht’s ihnen noch schlechter. Beim Klabautermann, sie werden eh zu fett und nachlässig! Die würden einen Sturm auf See keine fünf Minuten überstehen. Hoch mit euch, ihr halbtoten Flohsäcke! Kommt zu mir!«

Ratten kämpften sich hektisch aus dem Wagen und den Graben hinauf, um den harten Befehl so schnell wie möglich zu befolgen. Sie versammelten sich um den unbeschädigten Torpfosten, den sich ihr Anführer als Bühne ausgesucht hatte. Niemand wagte es, sich über Wunden oder Schmerzen zu beklagen. Wer wusste schon, in welcher Stimmung ihr Kriegsherr gerade war?

»Sperrt die Ohren auf und hört mir zu«, knurrte Cluny. »Zuerst müssen wir rausfinden, wo wir angelegt haben. Bestimmen wir unsere Position.«

Rotzahn hob eine Klaue. »Wir sind an der Sankt-Ninian-Kirche, Chef. Das steht auf dem Schild da hinten.«

»Meinetwegen«, bellte Cluny. »Die benutzen wir als Hafen, bis wir was Besseres finden. Fangbrand! Käsedieb!«

»Hier, Chef.«

»Erkundet die Gegend. Seht zu, dass ihr ’ne bessere Unterkunft als diesen Trümmerhaufen findet. Versucht es zuerst im Westen, wo wir hergekommen sind. Ich glaub, da hab ich ein großes Gebäude gesehen.«

»Jawohl, Chef.«

»Froschblut! Drecknase!«

»Chef?«

»Nehmt fünfzig Soldaten und bringt mir ein paar Ratten, die sich hier auskennen. Große, starke Ratten, aber auch ein paar Wiesel, Hermeline und Frettchen. Die tun’s zur Not auch. Lasst euch nicht auf Diskussionen ein. Schlagt ihre Höhlen in Stücke, damit sie kein Zuhause mehr haben. Tötet jeden, der sich uns nicht anschließen will. Verstanden?«

»Jawohl, Chef.«

»Fransenohr! Stumpffell! Ihr nehmt euch zwanzig Ratten und sucht nach Vorräten. Der Rest geht in die Kirche. Rotzahn, Dunkelklaue, überprüft die Rüstungen. Sucht nach Dingen, die sich als Waffen verwenden lassen: spitze Eisengitter – davon sollte es auf dem Friedhof jede Menge geben. Los.«

Cluny war angekommen.

7

Matthias war noch nie die ganze Nacht aufgeblieben. Er war zwar ein bisschen müde, aber auch merkwürdig aufgeregt. Seine Neuigkeiten schienen große Ereignisse in Bewegung gesetzt zu haben.

Als der Abt von dem Zwischenfall mit dem Heuwagen erfahren hatte, hatte er sofort eine Sonderratsversammlung aller Rotwall-Tiere angeordnet. Erneut drängten sich die Anwesenden im Höhlenloch, doch dieses Mal aus einem ganz anderen Anlass. Konstanze und Matthias standen vor dem Ältestenrat. Überall im Saal wurde getuschelt und geflüstert.

Abt Mortimer verschaffte sich mit einer kleinen Glocke Ruhe.

»Alle aufpassen, bitte. Konstanze und Matthias, würdet ihr dem Rat schildern, was ihr heute auf dem Weg zur Sankt-Ninian-Kirche erlebt habt?«

Die Dächsin und der junge Mäuserich beschrieben so gut es ging den Zwischenfall mit dem von Ratten wimmelnden Heuwagen.

Der Rat befragte sie daraufhin.

»Ratten, sagst du, Matthias? Was für Ratten?«, hakte Schwester Klementine nach.

»Große«, erwiderte Matthias. »Aber ich weiß leider nicht, was für welche oder woher sie kamen.«

»Was ist mit dir, Konstanze?«

»Also ich weiß, dass mein Opa früher eine Schiffsratte kannte«, antwortete sie. »Seine Beschreibung passt ziemlich gut zu denen, die wir heute gesehen haben.«

»Und wie viele Ratten waren es?«, fragte der Abt.

»Das kann ich nicht genau sagen, Vater Abt. Auf jeden Fall Hunderte.«

»Matthias?«

»Oh ja, Vater. Ich stimme Konstanze zu. Mindestens vierhundert.«

»Ist dir sonst noch etwas aufgefallen, Konstanze?«

»Ja, Vater. Meine Dachssinne haben mir gleich verraten, dass das sehr böse und schlimme Ratten waren.«

Die Aussage der Dächsin sorgte für Aufruhr. Einige riefen: »Blödsinn! Reine Spekulation!« oder »Hier werden nur wieder Ratten schlechtgemacht!«

Matthias brachte die aufgebrachte Menge mit einer erhobenen Pfote zum Schweigen. »Konstanze hat recht«, rief er dann. »Ich habe es auch gespürt. Da war ein riesiger Rätterich, der einen Frettchenkopf auf einer Stange aufgespießt hatte. Ich konnte ihn gut erkennen – er sah wie ein schreckliches Ungeheuer aus.«

Als es daraufhin still wurde, erhob sich der Abt und wandte sich Matthias zu. Er beugte sich leicht vor, um dem jungen Mäuserich in die leuchtenden Augen sehen zu können. »Denk genau nach, mein Sohn. Ist dir noch etwas anderes an diesem Rätterich aufgefallen?«

Matthias dachte einen Moment nach. »Er war viel größer als die anderen, Vater.«

»Was noch? Denk nach, Matthias?«

»Jetzt fällt es mir ein! Er hatte nur ein Auge.«

»Rechts oder links?«

»Links, glaube ich. Ja, das linke, Vater.«

»War sein Schwanz irgendwie ungewöhnlich?«

»Und wie«, quiekte Matthias. »Das war der längste Rattenschwanz, den ich je gesehen habe. Er hielt ihn wie eine Peitsche in seiner Klaue.«

Der Abt ging auf und ab, bevor er sich der Versammlung zuwandte. »Zweimal in meinem Leben haben mir Reisende von diesem Rätterich erzählt. Selbst ein Fuchs würde es nicht wagen, seinen Namen in dunkelster Nacht zu flüstern. Cluny die Geißel.«

Das konnte doch nicht sein. Er war nur eine Legende, eine Drohung, die Mütter benutzten, um ihre ungehorsamen oder aufsässigen Kinder zu erschrecken.

»Geh ins Bett, sonst holt dich Cluny!«

»Iss deinen Teller leer, sonst kommt Cluny!«

»Komm sofort her, sonst sage ich es Cluny!«

Die meisten Tiere wussten nicht einmal, was Cluny war. Er war nur etwas Böses, das in Albträumen und den dunklen Ecken der Fantasie lebte.

Die Stille wurde von höhnischem Schnaufen und verächtlichem Gelächter unterbrochen. Pelzige Ellbogen stupsten flaumige Rippen an. Mäuse lächelten erleichtert. Cluny die Geißel, na klar!

Das beschämte Matthias und Konstanze, die nun dem Abt einen hilfesuchenden Blick zuwarfen. Abt Mortimers altes Gesicht wirkte streng, als er mit der Glocke vehement um Ruhe bat.

»Mäuse von Rotwall, wie ich sehe, zweifeln einige von euch an den Worten eures Abts.«

Die ruhige, aber gebieterische Stimme sorgte dafür, dass die Ratsältesten betreten von einer Pfote auf die andere traten. Bruder Joseph stand auf und räusperte sich. »Ähem, äh, mein lieber Vater Abt, wir alle respektieren Eure Meinung und suchen Rat bei Euch, aber im Ernst … also …«

Schwester Klementine stand lächelnd auf und breitete die Arme aus. »Vielleicht will uns Cluny holen, weil wir so spät noch auf sind.«

Ihre ironischen Worte wurden mit lautem Gelächter belohnt.

Konstanze stellte die Rückenhaare auf. Sie knurrte tief und bellte wild. Die Mäuse klammerten sich ängstlich aneinander. Noch nie hatte jemand eine knurrende, wütende Dächsin bei einer Ratsversammlung erlebt.

Bevor sie sich von dem Anblick erholen konnten, richtete sich Konstanze auf die Hinterläufe auf und sagte: »Ich habe noch nie so viele Hohlköpfe auf einmal gesehen. Ihr solltet euch schämen. Ihr kichert herum wie alberne kleine Otterjunge, die einen Käfer gefangen haben. Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Ältesten von Rotwall einmal so benehmen würden.« Konstanze spannte ihre breiten Schultern an und sah sich so grimmig um, dass alle anderen zitterten. »Hört mir jetzt zu. Nehmt ernst, was euer Abt euch sagt. Das nächste Tier, das auch nur ein Quieken ausstößt, legt sich mit mir an. Verstanden?«

Die Dächsin verneigte sich würdevoll und streckte einladend ihre riesige, breite Tatze aus. »Jetzt bist du an der Reihe, Vater Abt.«

»Danke, Konstanze, meine gute und treue Freundin«, murmelte der Abt. Er sah sich um und schüttelte betrübt den Kopf.

»Ich habe wenig mehr zu dem Thema zu sagen, aber ich sehe, dass ich euch noch nicht überzeugt habe. Ich schlage also Folgendes vor: Wir werden zwei Mäuse losschicken, um das Torhaus zu übernehmen. Mal sehen, ja … Bruder Rufus und Bruder Georg, würdet ihr bitte Bruder Methusalem ablösen? Er soll hierherkommen und die Bände mit Reiseberichten mitbringen. Nicht die aktuellen, sondern die alten, aus vergangenen Jahren.«

Rufus und Georg, zwei vernünftig und kräftig aussehende Mäuse, verbeugten sich vor ihrem Abt und machten sich auf den Weg.

Durch das hohe Fenster konnte Matthias sehen, wie die ersten rosig goldenen Finger des Morgenlichts sich dem Höhlenloch näherten. Die Kerzen flackerten und erloschen mit einem letzten Rauchfaden. In nur einer Nacht war aus dem Fest eine Krise geworden, und er, Matthias, hatte bei beidem eine wichtige Rolle gespielt. Zuerst die prächtige Äsche, dann der Zwischenfall mit dem Karren – große Ereignisse für eine kleine Maus.

Der alte Bruder Methusalem führte die Aufzeichnungen der Abtei seit Mäusegedenken. Das war sein Lebenswerk und seine große Leidenschaft. Er kümmerte sich nicht nur um die offizielle Rotwall-Chronik, sondern auch um seine privaten Aufzeichnungen, in denen viele wichtige Informationen standen. Reisende Tiere, Zugvögel, umherwandernde Füchse, plappernde Eichhörnchen und geschwätzige Hasen suchten den alten Mäuserich auf, unterhielten sich mit ihm und nahmen seine Gastfreundschaft an, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, ihm etwas zuleide zu tun. Methusalem hatte die Gabe der Zungen. Er konnte jedes Tier verstehen, sogar Vögel. Er war ein bemerkenswerter alter Mäuserich, der mit seinen Büchern in der Einsamkeit des Torhauses lebte.

Methusalem, der im Sessel des Abts Platz genommen hatte, nahm seine Brille aus einem Rindenetui und setzte sie langsam auf seine Nase. Alle versammelten sich, um ihm zuzuhören, als er ein Buch mit Aufzeichnungen aufschlug und sich mit leisem, fast schon flüsterndem Quieken an den Abt wandte: »Hm, hm, Abt Cedric. Cedric stimmt doch, oder? Ach du liebes Gütchen, du bist ja der neue Abt, Mortimer – der nach Cedric kam. Entschuldige, ich habe schon so viele kommen und gehen gesehen, weißt du. Hm, hm, Abt Mortimer und Mitglieder von Rotwall, ich beziehe mich auf die Wintereinträge von vor sechs Jahren.« Die uralte Maus schlug langsam die Seiten um. »Hm, ah ja, da ist es. ›Ende November im Jahr der Kleinen Süßen Kastanie tauchte ein halb erfrorener Sperber aus dem Norden auf‹ – das war ein seltsamer Kerl, der einen eigenartigen Akzent hatte. Ich kümmerte mich um seinen verletzten rechten Flügel – ›und brachte die Nachricht von einem Bergwerksunglück mit, das ein großer, brutaler Schiffsrätterich namens Cluny verursacht hatte. Anscheinend hatte er seine Armee in dem Bergwerk unterbringen wollen. Die Dachse und die anderen Tiere, denen es gehörte, vertrieben die Armee. Cluny kehrte nachts zurück und nagte zusammen mit seiner Rattenbande die Stützbalken durch. Das Bergwerk stürzte am nächsten Tag ein. Dabei wurden die Besitzer getötet.‹«

Bruder Methusalem schlug das Buch zu und musterte die Versammlung über seine Brille hinweg. »Ich muss nicht weiterlesen, die anderen Schandtaten kann ich aus dem Gedächtnis aufzählen. Die Horde von Cluny der Geißel ist in den letzten sechs Jahren immer weiter gen Süden gezogen. Ich habe von weiteren Zwischenfällen erfahren: ein Bauernhaus, das noch im selben Jahr in Brand gesetzt wurde … ein ganzer Wurf Ferkel, der bei lebendigem Leib von Ratten gefressen wurde … Krankheiten, die von Clunys Armee auf Nutztierherden übertragen wurden. Ein Hund aus der Stadt erzählte mir vor zwei Jahren sogar, dass eine Rattenarmee eine Kuhherde durch ein Dorf getrieben und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hätte.«

Methusalem hielt inne und blinzelte. »Und ihr wagt, an den Worten unseres Abts, dass Cluny die Geißel existiert, zu zweifeln? Was für idiotische Mäuse ihr seid.«

Methusalem sorgte mit seinen Worten für Bestürzung. Viele knabberten nervös an ihren Krallen. Niemand zweifelte daran, dass er die Wahrheit sagte. Er war schon alt und weise gewesen, als die Ältesten unter ihnen noch als blinde, haarlose Jungtiere nach ihrer Mutter geschrien hatten.

»Bei meinen Schnurrhaaren, was für ein Schlamassel.«

»Sollten wir nicht unsere Sachen packen und verschwinden?«

»Vielleicht verschont Cluny uns ja.«

»Oh nein, oh nein, was sollen wir nur tun?«

Matthias sprang auf und hob seinen Stab. »Tun?«, rief er. »Ich sage euch, was wir tun werden. Wir werden bereit sein.«

Der Abt schüttelte unwillkürlich und bewundernd den Kopf. Anscheinend schlummerten in dem jungen Matthias verborgene Stärken.

»Danke, Matthias«, sagte er. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Genau das werden wir tun. Wir werden bereit sein!«

8

Cluny die Geißel hatte Albträume.

Er hatte sich ins Bett der Kirchenmäuse gelegt, um sich auszuruhen, während seine Armee die ihnen zugewiesenen Aufgaben erledigte. Er hätte nicht versuchen sollen, auf leeren Magen zu schlafen, aber seine Erschöpfung war größer als der Hunger gewesen.

In Clunys Traum verbarg sich alles in einem roten Nebel. Er hörte die Schreie seiner Opfer, während Scheunen brannten und Schiffe in einem stürmischen roten Meer untergingen. Vieh brüllte vor Schmerzen, während er mit dem Hecht kämpfte, der ihm das Auge genommen hatte. Der Kriegsherr schlug um sich, tötete, eroberte und vernichtete alles in seinem Traum.

Bis das Phantom auftauchte.

Zuerst sah es nach einem kleinen Ding aus, nach einer Maus, die eine lange Robe mit Kapuze trug. Cluny wollte der Maus nicht begegnen – er konnte nicht sagen, warum –, aber sie kam ihm immer näher. Zum ersten Mal in seinem Leben drehte er sich um und ergriff die Flucht.

Cluny rannte davon wie ein Gejagter. Als er sich umdrehte, sah er all den Tod und das Leid, das er im Verlauf seiner Karriere verursacht hatte. Der große Rätterich lachte wie ein Wahnsinniger und lief schneller, weiter und weiter, vorbei an Szenen der Zerstörung und Trostlosigkeit, für die er verantwortlich war, er, Cluny die Geißel. Er schwebte durch den roten Nebel, doch die seltsame Maus war ihm dicht auf den Fersen. Cluny spürte, wie Hass auf seinen Verfolger in ihm aufstieg. Die Maus schien größer zu werden, ihre Augen waren kalt und grimmig. In seinem tiefsten Inneren wusste Cluny, dass selbst er dieser seltsam gekleideten Maus keine Angst einjagen würde. Nun schwang sie ein großes, leuchtendes Schwert, eine uralte Waffe von schrecklicher Schönheit. Auf der von Kämpfen gezeichneten Klinge stand ein Wort, das er nicht lesen konnte.

Schweiß tropfte von Clunys Klauen wie ätzende Säure. Er stolperte. Die seltsame Gestalt kam näher, sie war nun so groß wie ein Riese.

Clunys Lunge fühlte sich an, als wollte sie platzen. Er erkannte, dass er langsamer geworden und die Maus ihm noch näher gekommen war. Er versuchte, schneller zu werden, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Sie liefen immer langsamer, wurden immer schwerer. Cluny verfluchte seine bleiernen Glieder. Er sah, dass er in einem tiefen, vereisten Schlamm festsaß. Zum ersten Mal begriff er, wie es sich anfühlte, in Furcht und Panik zu verfallen.

Er drehte sich langsam um. Zu spät. Der Feind war über ihm, er war ihm hilflos ausgeliefert. Die wütende Maus riss das Schwert hoch. Eine Million Lichter blitzten auf seiner tödlichen Klinge auf, als sie zuschlug.

Bong!

Der laute Klang der weit entfernten Joseph-Glocke riss Cluny aus den Fängen des Albtraums zurück in die kalte Realität. Er wischte sich mit einer zitternden Klaue den Schweiß aus dem Fell. Rettung in letzter Sekunde.

Er war verwirrt. Was hatte dieser erschreckende Traum zu bedeuten? Cluny hatte noch nie an Omen geglaubt, aber dieser Traum … er war so lebendig und klar gewesen, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief.

Ein zögerliches Klopfen an der Tür riss Cluny aus seinen Gedanken. Es waren Fransenohr und Stumpffell, seine Sammler. Sie schlichen sich in den Raum, wobei jeder versuchte, sich hinter dem anderen zu verstecken. Sie wussten, dass das armselige Ergebnis ihrer Suche wahrscheinlich den Zorn ihres Chefs erregen würde. Und mit dieser Annahme lagen sie richtig.

Cluny beobachtete sie mit unheilvollem Blick, während sein langer, biegsamer Schwanz die mageren Gaben durchsuchte, die sie vor ihn gelegt hatten. Ein paar tote Käfer, zwei große Regenwürmer, ein paar nicht identifizierbare Pflanzen und der mitleiderregende Kadaver eines längst verendeten Spatzen.

Cluny lächelte Fransenohr und Stumpffell an.

Erleichtert erwiderten sie sein Grinsen. Ihr Chef hatte gute Laune.

Blitzschnell schossen die Klauen der großen Ratte vor und ergriffen sie beide brutal an den Ohren. Die dummen Pfotenlanger wimmerten mitleiderregend, als sie vom Boden hochgehoben und hin- und hergeschwungen wurden. Vor lauter Wut schlug Cluny ihre Köpfe zusammen. Halb benommen flogen sie in Richtung Tür, während seine verärgerten Worte in ihren Schädeln nachhallten: »Käfer, Würmer, verweste Spatzen! Besorgt mir Fleisch. Zartes, junges, rotes Fleisch! Wenn ihr mir noch mal so einen Abfall bringt, spieß ich euch auf und brat euch im eigenen Saft. Ist das klar?«

Stumpffell zeigte anklagend auf seinen Kameraden. »Bitte, Chef, das ist Fransenohrs Schuld. Wenn wir über die Felder gegangen wären und nicht an der Straße entlang …«

»Glaub dem dicken, fetten Lügner nicht, Chef. Er wollte die Straße nehmen, nicht ich …«

»Raus!«

Die Sammler eilten davon und prallten in ihrer Panik gegeneinander, als sie gleichzeitig versuchten, durch die Tür zu fliehen. Cluny ließ sich zurück aufs Bett fallen und schnaubte ungeduldig.

Froschblut und Drecknase traten als Nächste an.

Ihre Neuigkeiten heiterten Cluny ein wenig auf. Sie hatten über hundert neue Rekruten gefunden, hauptsächlich Ratten, aber auch recht viele Frettchen und Wiesel und sogar ein paar Hermeline. Einige hatte man zuerst überzeugen müssen. Dazu hatte Froschblut sie zuerst brutal zusammengeschlagen und ihnen dann mit einem schrecklichen Tod gedroht. Das hatte ihnen klargemacht, dass es klüger war, sich Clunys Horde anzuschließen. Bei anderen handelte es sich um hungrige Nomaden, die sich nur zu gern in den Dienst des berüchtigten Cluny stellen ließen. Sie gierten nach Beute und Plündereien und freuten sich darüber, endlich auf der Seite der Sieger zu stehen. Die Rekruten wurden auf dem Friedhof aufgereiht und von Rotzahn und Dunkelklaue mit Waffen versorgt. Teilnahmslos standen sie in Reihen nebeneinander und warteten auf die Inspektion ihres Kriegsherrn.

Cluny nickte anerkennend. Gemeine Ratten, hungrige Frettchen, listige Wiesel, böse Hermeline: genau das, was er brauchte.

»Lies ihnen die Regeln vor, Rotzahn«, bellte er.

Rotzahn ging vor der Kirche auf und ab, während er die Regeln aus dem Gedächtnis aufsagte. »Augen geradeaus! Ihr steht jetzt im Dienst von Cluny der Geißel, meine kleinen Glückspilze! Wenn ihr desertiert, werdet ihr getötet. Wenn ihr vor dem Feind flieht, werdet ihr getötet. Wenn ihr nicht gehorcht, werdet ihr getötet. Ich bin Rotzahn, Clunys Nummer eins. Ihr werdet die Befehle eurer Hauptratten befolgen. Sie bekommen ihre Befehle von mir. Ich bekomme meine von Cluny, vergesst das nicht. So, wenn jetzt einer von euch – oder zwei oder mehrere oder sogar alle gleichzeitig – mit Cluny um die Führung der Horde kämpfen will, nur zu, das ist eure Chance.«

Ohne Vorwarnung schoss Cluny auf seine neuen Rekruten zu und schlug wild mit seinem Peitschenschwanz um sich. Er schleuderte die Rekruten mit seiner gewaltigen Kraft nach allen Seiten davon und peitschte sie aus, während er die Zähne bleckte und sein Auge zusammenkniff. Schließlich stoben sie auseinander und versteckten sich hinter Grabsteinen.

Cluny warf den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen. »Keinen Mumm, was? Ha, ist auch besser so. Ich will keine Toten bis zu eurer ersten vernünftigen Schlacht. Aber ihr könnt euch drauf verlassen, dass ihr dann für mich kämpfen und für mich sterben werdet. Und jetzt hebt eure Waffen und zeigt mir, dass ihr wisst, wer euer Herr ist.«

Eine bunt zusammengewürfelte Mischung bösartig aussehender Werkzeuge wurde in den wolkenlosen Himmel gereckt, während die neuen Rekruten laute Rufe ausstießen.

»Cluny, Cluny, Cluny die Geißel!«

9

Abt Mortimer und Konstanze, die Dächsin, spazierten gemeinsam über das Gelände. Die beiden hingen ihren Gedanken nach. Hätten sie diese Gedanken ausgesprochen, wäre klar geworden, dass sie sich mit demselben Thema beschäftigten, der Sicherheit von Rotwall.

Seit vielen Zeitaltern versprach die schöne alte Abtei Glück, Frieden und eine Zuflucht für alle. Pflichtbewusste Mäuse kümmerten sich um die kleinen Gemüsegärten, die zur Ernte jede Menge Nahrung produzierten: Kohl, Bohnen, Kürbisse, Steckrüben, Erbsen, Möhren, Tomaten, Salat und Zwiebeln, je nach Jahreszeit. Blumenbeete, die vom Duft unzähliger Sommerblüten umgeben waren, von Rosen bis hin zu einfachen Gänseblümchen, wurden von den Mäusen angelegt und von den hart arbeitenden Bienenvölkern bestäubt, die wiederum Rotwall mit Honig und Wachs versorgten.

Die beiden Freunde gingen am Teich vorbei. Das frühmorgendliche Sonnenlicht glitzerte auf dem Wasser, das sich dort, wo Fische am Haken der Angelschnüre hingen, die Bruder Alf jeden Abend auslegte, kräuselte. Vor ihnen standen die Beerenhecken – Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren – und das Erdbeerfeld, auf dem jeden August verschlafene Jungtiere lagen, die sich den Bauch mit den Früchten vollgeschlagen hatten. Die beiden gingen langsam um die großen Kastanienbäume herum und näherten sich dem Obstgarten. Dies war der Lieblingsplatz des Abts. Er hatte schon oft an sonnigen Nachmittagen hier gedöst, während ihm der Duft der reifenden Früchte in die Schnurrhaare gestiegen war: Äpfel, Birnen, Quitten, Pflaumen, Zwetschgen, sogar wilder Wein, der am roten Stein der Südmauer entlangwuchs. Mutter Natur segnete diese Oase warmherziger Freundlichkeit.

Die Bedrohung, die Cluny für Rotwall darstellte, brachte die beiden alten Freunde dazu, sich die vielen schönen Gaben ihrer Heimat anzusehen. Der liebliche Vogelgesang, der durch die windstille Luft getragen wurde, erfüllte Konstanzes Herz mit Trauer und Bedauern, denn sie wusste, dass dieses friedliche Leben bald enden würde. Sie schnaubte grimmig und blinzelte drohende Tränen weg.

Der Abt spürte die Betroffenheit seiner Begleiterin. Er strich ihr zärtlich mit einer Pfote über den rauen Pelz. »Schon gut, altes Mädchen. Mach dir keine Sorgen. In unserer langen Geschichte sind Tragödien schon oft durch wundersame Zufälle abgewendet worden.«

Konstanze knurrte zustimmend, weil sie ihrem alten Freund nicht die Hoffnung nehmen wollte. Im tiefsten Inneren wusste sie jedoch, dass ein dunkler Schatten sich über die Abtei legte. Und es trug sich in der Gegenwart zu, nicht in einer längst vergangenen Zeit der Legenden.

Matthias frühstückte bereits im Höhlenloch. Es gab Nussbrot, Äpfel und eine Schale mit frischer Ziegenmilch. Kornblume und die anderen Waldbewohner, die in Rotwall eine Zuflucht gefunden hatten, schliefen in hastig von den Mäusen bereitgestellten Quartieren. Matthias kam es so vor, als wäre er über Nacht erwachsen geworden. Er hatte sich freiwillig bereit erklärt, die Last der Verantwortung auf sich zu nehmen. Die Mäuse von Rotwall waren friedliebende Wesen, aber das durfte man nicht mit Schwäche verwechseln. Er kaute langsam vor sich hin, während er über das Problem nachdachte.

»Greif zu, Matthias. Man sollte sich Ärger nie mit leerem Magen stellen. Füttere den Körper, labe den Geist.«

Der junge Mäuserich bemerkte überrascht, dass der alte Bruder Methusalem ihn beobachtete. Seine Augen funkelten hinter der seltsamen Brille, die er immer trug. Die uralte Maus setzte sich leise stöhnend an den Frühstückstisch.

»Sieh mich nicht so überrascht an, mein Junge. Jemand, der so alt ist wie ich, kann in deinem Gesicht so gut lesen wie in einem offenen Buch.«

Matthias trank die Milchschale aus und wischte sich mit der Pfote weiße Tropfen aus den Schnurrhaaren. »Gib mir einen Rat, Bruder Methusalem«, sagte er. »Was würdest du tun?«

Der alte Mäuserich zog die Nase kraus. »Natürlich dasselbe wie du, wenn ich jünger wäre und nicht so alt und steif.«

Matthias glaubte, einen Verbündeten gefunden zu haben. »Also würdest du kämpfen?«

Methusalem klopfte mit einer knochigen Pfote auf den Tisch. »Aber ja. Das ist die einzig vernünftige Entscheidung.«

Er hielt inne und musterte Matthias auf seltsame Weise. »Hm, du hast etwas an dir, mein Junge. Weißt du eigentlich, wie Martin der Krieger nach Rotwall kam? Kennst du die Geschichte?«

Matthias beugte sich neugierig vor. »Martin! Erzähl sie mir, Bruder. Ich möchte mehr über den Kriegermönch erfahren.«

Methusalem verfiel in einen geheimnisvollen Flüsterton. »In der großen Chronik von Rotwall heißt es, Martin wäre sehr jung für einen Krieger gewesen. Er war vielleicht so alt wie du, Matthias. Und wie du war er impulsiv und voll von kindlicher Unschuld, als er in die Abtei kam. Doch es steht auch geschrieben, dass er in Krisenzeiten Führungsqualitäten zeigte, die weit über sein Alter und seinen Erfahrungsschatz hinausgingen. In der Chronik steht, die anderen hätten zu Martin aufgesehen wie zu einem starken Vater.«

Matthias hörte staunend zu, aber er war auch verwirrt. »Warum erzählst du mir das alles, Bruder Methusalem?«

Der alte Mäuserich stand auf. Er sah Matthias einen Moment lang fest an, dann drehte er sich um und schlurfte langsam davon. Dabei sagte er über seine Schulter hinweg: »Weil er … dir sehr ähnlich war, Matthias.«

Bevor der junge Mäuserich dem alten weitere Fragen stellen konnte, wurden er und die anderen von der Joseph-Glocke gewarnt. Mit klatschenden Sandalensohlen stürmte Matthias aus dem Höhlenloch und wäre dabei beinahe mit Konstanze und dem Abt zusammengeprallt, die mit dem Rest bereits auf dem Weg zum Torhaus waren.

Bruder Rufus und Bruder Georg hatten einen Zwischenfall zu melden. Ein großer tätowierter und böse aussehender Rätterich, der einen rostigen Säbel dabeihatte, war am Tor aufgetaucht. Er hatte versucht, sich mit einer vorgetäuschten Verletzung Einlass zu verschaffen. Während er herumgehumpelt war, hatte er erklärt, dass er in einem Heuwagen gesessen hätte, der sich überschlagen hätte und im Graben gelandet wäre. Er hatte die Mönche gebeten, ihn zu begleiten und seinen vielen Freunden zu helfen, die unter dem Wagen eingeklemmt wären und sich nicht befreien könnten.

Bruder Rufus war jedoch kein Narr. »Wie viele Ratten saßen denn auf dem Wagen?«, hatte er gefragt.

»Oh, ein paar Hundert«, hatte die unbedachte Antwort gelautet.

Warum, hatte Bruder Rufus daraufhin nachgehakt, halfen sich die Ratten dann nicht gegenseitig? Sicherlich waren doch nicht alle zweihundert eingeklemmt. Der Rätterich war der Frage ausgewichen und hatte sich theatralisch das verwundete Bein gerieben. Dann hatte er die Mönche gebeten, ihn einzulassen, seine Wunde zu verbinden und ihm vielleicht etwas zu essen zu geben.

Bruder Georg hatte sich unter der Bedingung einverstanden erklärt, dass der Rätterich ihm seine Waffe aushändigte.

Der hatte so getan, als wolle er das tun, hatte sich jedoch plötzlich auf Bruder Georg gestürzt. Ein beherzter Schlag von Bruder Rufus’ Stab hatte ihn zu Boden geworfen. Als er erkannt hatte, dass er vor zwei großen Mäusen stand, die wussten, was sie taten, und sich nicht überrumpeln lassen würden, war er in Drohungen und Beleidigungen verfallen.

»Ha! Wartet nur ab, Mäuse«, hatte er wütend gezischt. »Unten bei der Kirche lagert seine ganze Rattenarmee. Wenn ich Cluny erzähle, wie ihr mich behandelt habt, ha ha, wartet nur ab, mehr sage ich nicht. Wir kommen zurück, im Namen des Fangs, das tun wir.« Mit diesen Worten hatte er sich davongeschlichen und alle Mäuse verflucht.

Die versammelten Tiere verarbeiteten diese üblen Neuigkeiten schweigend. Frau Kirchenmaus schluchzte leise. »Ach du meine Güte. Hast du das gehört, Schatz? Sie leben in unserem Zuhause in der Sankt-Ninian-Kirche. Was sollen wir denn nur tun? Unser schönes kleines Zuhause ist voll von schrecklichen Ratten.«

John Kirchenmaus versuchte, seine Frau so gut wie möglich zu trösten. »Ganz ruhig, das wird schon. Wir haben nur unser Haus verloren, nicht unser Leben. Gut, dass wir hier in Rotwall aufgenommen worden sind.«

»Aber was ist mit den anderen Tieren in der Gegend?«, rief Matthias.

»Kluge Maus«, sagte Konstanze. »Ist Ambros Dorn in der Nähe? Er sollte rasch losziehen und alle warnen, dass sie hier in der Abtei Zuflucht suchen sollen. Ambros wird nichts passieren. Wenn er sich zusammenrollt, kann ihm niemand etwas anhaben.«