Vom Wert des Lebens und der Freiheit - Julian Nida-Rümelin - E-Book

Vom Wert des Lebens und der Freiheit E-Book

Julian Nida-Rümelin

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Beschreibung

Unser Gefühl frei zu sein wird als eine Illusion bezeichnet. Julian Nida-Rümelin entwickelt in seinem Buch Gedanken zur menschlichen Freiheit und Verantwortung, die unserer lebensweltlichen Praxis entsprechen und mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen vereinbar sind.

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Seitenzahl: 64

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Julian Nida-Rümelin

VOM WERTDES LEBENS UNDDER FREIHEIT

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um freie, ohne Manuskript gehaltene Vorträge, die der Verlag Komplett-Media im Rahmen einer Hörbuchproduktion aufgezeichnet und transkribiert hat.

Originalausgabe

1. Auflage 2018

Verlag Komplett-Media GmbH

2018, München/Grünwald

www.komplett-media.de

ISBN (E-Book): 978-3-8312-6956-3

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg

Umschlaggestaltung: X-Design, München

Satz: Daniel Förster, Belgern

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Julian Nida-Rümelin

VOM WERTDES LEBENS UNDDER FREIHEIT

INHALT

WAS MACHT DEN WERT MENSCHLICHEN LEBENS AUS?

Die Ablebenswahrscheinlichkeit

Das monetäre Maß des Lebens

Der Umgang mit dem eigenen Leben

Inkommensurable Güter

Leben, körperliche Unversehrtheit und Liebe sind nicht marktgängig

Abwägung in Grenzsituationen

Konflikt zwischen stoizistischem und christlichem Ethos

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Eine deontologische Ethik

Individuelle Würde und Recht auf Leben

Ethik der Autonomie

Humanistischer Individualismus

Ethik der Werte vs. Ethik der Rechte

Das kategorische Lebensrecht

ÜBER MENSCHLICHE FREIHEIT

Selbstbild und Weltbild

Freiheit und Verantwortung

Moralische Gefühle und reaktive Einstellungen

Subjektive und objektive Einstellung

Tribunal der guten Gründe

Universale Determination und menschliche Freiheit

Menschliche Freiheit in der Stoa

Die Theodizee-Problematik

Der Determinismus der Newton’schen Mechanik

Der cartesianische Dualismus

Gründe und Ursachen

Verbindungen von Kausalität und Energie

Einflussnahme auf den Gang der Welt

Die Debatte um die Erklärungslücke

Freiheit und Wissenschaft

Die unvollständige Vollständigkeit der Physik

Nicht alles lässt sich auf die Physik reduzieren

Naturalismus und Humanismus

Das Libet-Experiment

Deliberation und kohärente Lebenspraxis

Die gereifte Persönlichkeit

ÜBER DEN AUTOR

WAS MACHT DEN WERT MENSCHLICHEN LEBENS AUS?1

Was ist der Wert des Lebens? Das ist eine der vielleicht schwierigsten Fragen der Philosophie, aber auch der öffentlichen Debatten. Denken Sie zum Beispiel an die Frage: Soll der ADAC weitere Rettungshubschrauber anschaffen? Das ist sicher auch für den ADAC eine ökonomische Frage, aber möglicherweise auch eine ethische, nämlich: Was ist eigentlich die Rettung eines menschlichen Lebens wert? Oder, um es provokativ zu formulieren: Lohnt es sich eigentlich, so viel Geld auszugeben, um ein zusätzliches Menschenleben zu retten?

In der Medizin hat es sich eingebürgert, einen bestimmten Maßstab zu verwenden, die sogenannten Qualys. Das sind Lebensjahre, die nach der Qualität dieser Lebensjahre bewertet werden, im Englischen quality adjusted life years. Danach werden die Kosten, die in der Medizin eingesetzt werden, gewichtet und beurteilt. Wie viele Euro kostet ein zusätzlicher Qualy? Das ist von Maßnahme zu Maßnahme sehr unterschiedlich und entsprechend inkohärent – könnte man sagen – ist das Gesundheitssystem insgesamt. Die Kosten manch lebensverlängernder Maßnahmen sind es uns wert, andere lebensverlängernde Maßnahmen sind es uns nicht wert. Das gilt insbesondere für die kostengünstigen Vorsorgemaßnahmen, die im Gesundheitswesen insgesamt relativ gering beachtet werden.

Aber wir wollen jetzt nicht primär über Medizinethik sprechen, sondern eine philosophische Frage klären: Was macht eigentlich den Wert des menschlichen Lebens aus? Wir tasten uns vorsichtig heran.

Die Ablebenswahrscheinlichkeit

Beginnen wir mit einer einfachen Fragestellung: Was ist dir eigentlich dein Leben wert? Die meisten werden eine solche Frage, an sich gerichtet, möglicherweise empört zurückweisen und sagen: Was ist denn das für eine merkwürdige Frage? Ich bin natürlich nicht bereit, mein Leben aufzugeben, welchen Betrag auch immer du mir anbietest.

Jetzt kommen der Entscheidungstheoretiker oder der Ökonom und sagen: Ja, das scheint dir so, aber möglicherweise verhältst du dich ganz anders. Dein Verhalten zeigt doch schon, welchen Wert du deinem eigenen Leben beimisst.

Illustrieren wir das an einem Beispiel: Sie haben sich entschieden, Drachen zu fliegen. Drachenfliegen gehört neben einigen anderen Risikosportarten wie Reiten und Tauchen zu denjenigen, bei denen eine beträchtliche Erhöhung der Ablebenswahrscheinlichkeit pro Jahr registriert ist. Das ist statistisch erhärtet. Mit jeder Stunde Drachenfliegen oder mit jeder Stunde Tauchen oder jeder Stunde Reiten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, bei dieser Aktivität zu Tode zu kommen. Wenn Sie jung und gesund sind, dann verändert das die Wahrscheinlichkeit zu sterben doch in beträchtlicher Weise, sie kann sich zum Beispiel verdoppeln. Das ist immerhin eine deutliche Veränderung.

Ich will das kurz quantitativ erläutern: Menschen werden im Schnitt, sagen wir ganz grob – um es einfach zu rechnen – 100 Jahre alt. Das heißt, wenn die Wahrscheinlichkeit, pro Jahr zu Tode zu kommen, jedes Jahr gleich hoch wäre, was natürlich nicht der Fall ist, dann hätten wir eine Wahrscheinlichkeit, pro Jahr zu Tode zu kommen, von einem Hundertstel. Oder – Erinnerung an den Mathematikunterricht – von 10-2.

Wenn Sie alt und gebrechlich sind, an Krankheiten leiden, die möglicherweise zum Tode führen, dann erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit. In hohem Alter bewegt sich das in einer Größenordnung der Wahrscheinlichkeit von einem Zehntel. Sie haben also pro Jahr eine Wahrscheinlichkeit, zu Tode zu kommen, von 10-1.

Betrachten wir jetzt nur einmal diejenigen, die gesund sind und keine Suizidneigungen haben. Die häufigste Todesursache in bestimmten Altersgruppen ist der Suizid. Verkehrsunfälle, auch Unfälle im Haus oder bei sportlichen Aktivitäten spielen in dieser Altersgruppe eine erstaunlich große Rolle im Vergleich zu Todesfällen aufgrund von Krankheiten. Das heißt, es sind zum großen Teil auch Todesfälle, die durch eigenes Verhalten sehr stark beeinflusst werden. In dieser Altersgruppe bewegt sich die Wahrscheinlichkeit normalerweise auf einem sehr, sehr niedrigen Niveau.

Es gibt übrigens einen interessanten Unterschied zwischen Mann und Frau. Junge Männer neigen dazu, sich riskanter zu verhalten, insbesondere ab der Pubertät bis Mitte 20. Unterschiedlich von Kultur zu Kultur ist – auch dort, wo es nicht gerade Bürgerkriege oder Kriege gibt – die Wahrscheinlichkeit, zu Tode zu kommen. Sie ist bei Männern sehr viel höher als bei Frauen. Das gilt übrigens schon unmittelbar nach der Geburt. Auch dort ist die Wahrscheinlichkeit, dass männliche Neugeborene sterben, höher als bei weiblichen Neugeborenen. Das gilt jedenfalls in den westlichen Industrieländern.

Sagen wir einmal vereinfacht, Sie haben eine Wahrscheinlichkeit, zu Tode zu kommen, von einem Zehntausendstel pro Jahr. Wenn Sie jung und gesund sind, ist das durchaus realistisch. Jetzt beginnen Sie eine Sportart, die Sie intensiv betreiben, und für die gilt, dass jeder Zehntausendste pro Jahr zu Tode kommt. Dann verdoppeln Sie die Wahrscheinlichkeit, im nächsten Jahr zu Tode zu kommen – allein aufgrund der Wahl dieser Sportart.

Das monetäre Maß des Lebens

So weit, so gut. Jetzt kommt der Entscheidungstheoretiker und sagt: Wie viel ist dir denn diese Sportart wert? Angenommen, ich biete dir Geld an, ab welcher Höhe würdest du zugunsten dieses Betrages ein Jahr auf die Sportart verzichten? Vermutlich kommt bei jedem ein bestimmter Betrag heraus. Es mag den einen oder die andere geben, die sagen: Mir ist das völlig egal, ich betreibe diese Sportart in jedem Fall. Du kannst mir anbieten, was du willst, das interessiert mich nicht, das ist Teil meines Lebens. Aber vermutlich werden die meisten doch ab einem bestimmten Betrag sagen: Na ja, das ist es mir wert, um in diesem oder im nächsten Jahr auf die Ausübung dieser Sportart zu verzichten.

Sagen wir einmal, 5.000 Euro. Ab 5.000 Euro, sagen Sie, verzichte ich auf diese Sportart. Damit haben wir jetzt etwas, was in der Ökonomie als monetäres Maß, als monetäre Bewertung einer Aktivität definiert ist. Das heißt, die Aktivität, in unserem Falle das Drachenfliegen, ist Ihnen also über das Jahr gerechnet diese 5.000 Euro wert.

Jetzt betrachten wir den Vergleich mit dem Risiko, zu Tode zu kommen. Sie haben dieses höhere Risiko, durch Drachenfliegen zu sterben. Angenommen, Sie wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass Sie zu Tode kommen, Sie gehen dieses Risiko also bewusst ein. Dann wissen wir, dass Ihnen diese Erhöhung Ihrer Todesfallwahrscheinlichkeit im nächsten Jahr um ein Zehntausendstel oder – wenn Sie jung und gesund sind – um ein Doppeltes