Yemen Café - Evelyn Schlag - E-Book

Yemen Café E-Book

Evelyn Schlag

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Beschreibung

Jonathan ist Arzt und arbeitet in einem Krankenhaus in Sana’a, das Regierungsbeamten und Ausländern vorbehalten ist. Doch selbst hier herrschen zum Teil katastrophale Bedingungen und man weiß nie, wem man trauen kann. Auch privat gerät der weitgereiste Mediziner in der von Krieg und Terrorismus gezeichneten Hauptstadt des Jemen zunehmend in Konflikte zwischen Loyalität und Lüge. Seine ehemalige Lebensgefährtin Delphine ist weit weg von dem aufwühlenden Alltag, er trifft eine alte Bekannte wieder und verliebt sich in eine junge Frau, die für eine NGO arbeitet. Raffiniert verwebt Evelyn Schlag die politischen mit den persönlichen Ungewissheiten, die existenziellen Fragen mit den aktuellen Entwicklungen in Nahost.

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Jonathan ist Arzt und arbeitet in einem Krankenhaus in Sana’a, das Regierungsbeamten und Ausländern vorbehalten ist. Doch selbst hier herrschen zum Teil katastrophale Bedingungen, und man weiß nie, wem man trauen kann. Auch privat gerät der weitgereiste Mediziner in der von Krieg und Terrorismus gezeichneten jemenitischen Hauptstadt zunehmend in Konflikte zwischen Loyalität und Lüge. Delphine ist weit weg von Jonathan und seinem aufwühlenden Alltag. Er trifft eine alte Liebe wieder, fühlt sich zur Ehefrau eines Kollegen hingezogen und verliebt sich schließlich in eine junge Frau, die für eine NGO arbeitet. Raffiniert verwebt Evelyn Schlag die politischen mit den persönlichen Ungewissheiten, die existenziellen Fragen mit den aktuellen politischen Hintergründen. Ein großer Roman über Verrat und Leidenschaft.

Zsolnay E-Book

Evelyn Schlag

Yemen Café

Roman

Paul Zsolnay Verlag

Mit freundlicher Unterstützung von

ISBN978-3-552-05811-8

Alle Rechte vorbehalten

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2016

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Motiv: © plainpicture/Readymade-Images/Greg

Conraux

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

I must reach Sana’a, no matter

how long the journey takes.

1

Auf dem Weg in die Eingangshalle hinunter hörte Jonathan, wie der Gesundheitsminister mit Dr. Marram scherzte, dem ärztlichen Leiter des Krankenhauses. Dieser wies auf die erst vor kurzem angebrachte Tafel mit dem Schriftzug »Private Hospital Swiss House in Sana’a«. Auf Arabisch waren die drei Ministerien angeführt, die den Erhalt des Krankenhauses mitfinanzierten. Das war die dritte Tafel ihrer Art. Was bei den beiden vorangegangenen nicht gepasst hatte, war Jonathan nach wie vor ein Rätsel.

Sie begrüßten einander freundlich. Der Gesundheitsminister war ein legerer Mann, der es mit seinen Kollegen aus dem Innen- und Außenministerium oft nicht leicht hatte, wie Dr. Marram ihm ein paar Mal anvertraut hatte. Er kam immer selbst, schickte nie einen Vertreter. Sie wechselten ein paar Worte, dann bat Dr. Marram sie in den Festsaal.

Es galt, die Ankunft eines deutschen Chirurgen zu feiern, der Jonathan endlich entlasten würde. Eine mächtige Torte in Form eines Rechtecks nahm die gesamte Länge des Tisches ein, gut anderthalb Meter. An den Außenseiten wurde die Torte von einer dicken weißen Cremeschicht befestigt, die Verzierung obenauf war in den Landesfarben des Jemen gehalten, rot-weiß-schwarz. Jamal, der Staatssekretär des Innenministers, stand bereit. Jonathan stellte sich mit dem Direktor und dem Gesundheitsminister dazu.

Vor ihnen lag ein Messer mit langer Klinge und vergoldetem Griff. Eine Geste Jamals zu Jonathan, der gab die Geste zurück, er wollte dem Politiker diese Ehre nicht nehmen. Der Staatssekretär griff nach dem Messer, den anderen Arm hielt er vor seinen Magen, um sein Sakko zu schützen, während er sich hinunterbeugte. Seine Hand zitterte. Das würde kein glatter Schnitt werden, kein gerader feierlicher Schnitt scharf durch die weiße Sahne, das rote Marzipan, die schwarze Lakritze. Jonathan legte seinen Arm auf die Manschette des Staatssekretärs. Mit einem Finger berührte er dessen Handrücken und führte ihm die Hand.

Den Handrücken eines Fremden zu berühren hatte etwas Väterliches, das konnte eine Beleidigung für den Älteren sein. Aber jemenitische Männer mochten angeblich die Berührung. Die Haare auf dem Handrücken waren intim. Das Messer drang tief in den mittleren Teil des Tortenkörpers ein und kam auf den Untergrund, kein besonderes Geräusch, keine Kratzer. Langsam zogen sie das Messer zurück und endeten in der Lakritze. Jonathans Arm entfernte sich.

Ein Küchenjunge mit hoher Mütze schlich seitlich heran, nahm das verschmierte Messer entgegen. Nicht mit der Zunge abschlecken, sagte Jonathan im Geist. Stille umschloss ihn, obwohl geredet wurde, wie er an den Gesichtern und Lippen sah. Jamal blitzte ihn mit seinen schwarzen Augen an, die Haare mit Sicherheit gefärbt. Dr. Marram, hocherfreut, verwundert, besorgt.

Alles in Ordnung?

Jonathan hatte es ihm von den Lippen abgelesen. Was war das, ein – das Wort fiel ihm nicht ein. Keine schwarzen Flecken, nur dieses Entferntsein. Jonathans Mund zuckte. Er wusste nicht, ob das als Lächeln auf seinem Gesicht erschien. Eine Nervenlähmung? Bitte sprechen Sie lauter.

Alles in Ordnung. Entschuldigen Sie. Ein kleiner Aussetzer. – Jonathan griff sich an die Schläfe. Jemand hielt ihm ein Glas Wasser hin, der Staatssekretär bot ihm ein Stück Torte an. Aha, so hatte er es herausgeschnitten, quadratisch.

Vielen Dank. Später vielleicht. – Er trank hastig das Wasser aus, stellte den Teller ab.

Da ist ja unser neuer Kollege. – Er war froh, das Gespräch erstmal Christian Malte hinzuschieben, dem neuen Chirurgen.

Jonathan schaute an den Männern vorbei zum Tortentisch zurück. Er sah, dass die Kanten vorne Schrunden und Kerben trugen. Ein ausrangierter Tisch, aus einem Keller geholt, einem minderen Aufenthaltsraum in diesem gerade mal ein Jahr alten Krankenhaus. An der Wand darüber der missbilligende Blick von Präsident Saleh. Auf dem Porträt war der Präsident zwanzig Jahre jünger als heute.

Jonathan ging zur Herrentoilette, filmte sich dabei, wie er die Tür öffnete, wie er sich im Spiegel sah. Er drehte den Hahn auf und wusch sich mit beiden Händen das Gesicht. Das kalte Wasser kühlte ihm die Stirn, er strich die vergangenen Minuten links und rechts weg. Er zählte seinen Puls, viel zu niedrig. Hielt das Gesicht schräg unter das kalte Wasser und trank, trank, vergaß, dass er abgefülltes Wasser trinken sollte. Ihm war übel geworden, etwas hatte ihn befallen, und wie ein Roboter war er auf die Toilette gegangen und hatte kaltes Wasser direkt aus der Leitung getrunken. Kurze Absenz, und er hatte eine hygienische Grundregel vergessen.

Was war da mit dem schrägen Trinken gewesen?

Nicht schräg trinken. Auf der Seite liegend.

»Wie ein Römer.«

Wer hatte das erzählt?

Nicht erzählt, in einem E-Mail geschrieben. Jemand hatte in Italien einen streunenden Kater aufgelesen, ein verhungertes Katzenkind, und der trank Wasser auf der Seite liegend, wie ein Römer bei einem Bankett. Seine geliebte – seine geliebte – der Name fiel ihm nicht ein. Sobald er das Wort »Name« dachte, verschloss sich sein Gehirn. Eine Arterie geplatzt? Ein Aneurysma? Lächerlich. Hypochondrisch. Delphine würde ihn laut auslachen – Delphine! Herrgott nochmal. Delphine in Äthiopien. Seit einiger Zeit war sie nicht mehr in der winzigen Klinik, sondern zu Hause in Frankreich, weil ihre Mutter Hilfe brauchte nach einem Schenkelhalsbruch. Alles wieder da.

Jonathan kämmte mit den Fingern durch die Haare. Malte hatte schon graues Haar, obwohl er etliche Jahre jünger war, achtunddreißig? Eine schwarze Figur näherte sich im Spiegel von hinten. Jonathan drehte sich um, da war niemand.

Die Empfehlungen für Malte waren überschwänglich gewesen. Er hatte seine Facharztausbildung an der Charité in Berlin absolviert und war dort geblieben. Sie hatten ihn unter großem Bedauern für zwei Jahre beurlaubt. Andrerseits machte es sich immer gut, wenn man Einsätze in unterentwickelten Ländern vorweisen konnte. Unser Dr. Malte in Sana’a, der eigentliche Held dieser Eröffnungsfeier, obwohl er noch nichts getan hat, außer sich für zwei Jahre hierher zu verpflichten. Jemand Älterer wäre Jonathan lieber gewesen, einer, der Erfahrung mit Auslandseinsätzen vorzuweisen hatte, mit dem er abends auf der Dachterrasse sitzen könnte, über Gott oder Allah und die Welt reden, sich an Lektüren erinnern, mit einem Mal erkennen, was man übersah und was dieser ältere Malte auf Anhieb begriff. Einen starken Geist wünschte er sich auf den Stuhl neben seinem auf der Dachterrasse. Langsam. Malte war keine Woche hier, und er wappnete sich bereits mit vorzeitigen Enttäuschungen gegen die wirklichen Enttäuschungen, die meistens anderer Art waren als die befürchteten.

Einer fehlte bei der Feier heute Abend, der Mann, dem Jonathan seinen Job wie auch den neuen Kollegen verdankte. Sein Studienfreund Robert Gerstbauer. Robert war einer der medizinischen Berater im Vorstand der Schweizer Holding, die mit ihren Tochtergesellschaften Gesundheitsmanagement in arabischen Ländern anbot. Robert litt an einer Virusinfektion und hatte seinen Flug stornieren müssen.

Jonathan gab sich einen Ruck.

Draußen kam ihm Dr. Marram entgegen. – Wir sind sehr besorgt. Geht es Ihnen gut?

Ich hatte den Tag über zu wenig Wasser getrunken. Kein Grund zur Aufregung.

Ohne Sie geht hier gar nichts. Der Staatssekretär hat sich in den höchsten Tönen begeistert gezeigt. Er ist sehr stolz darauf, was wir auf der Chirurgie binnen eines halben Jahres erreicht haben. Er wird Ihnen das gewiss selbst sagen.

Kaum betrat Jonathan den Saal, schritt Jamal auf ihn zu. Zum Glück erwähnte er den Zwischenfall mit keinem Wort, sondern fasste Jonathan an beiden Oberarmen, sein zwinkerndes Lächeln in den Augen, das man für Jovialität halten konnte.

Ich gratuliere Ihnen, Herr Abteilungsvorstand. Sie erfüllen Ihre Aufgabe zur höchsten Zufriedenheit des Ministers. Wie uns die Ereignisse der vorigen Woche gezeigt haben, gibt es Feinde des jemenitischen Volkes, die unseren Staat untergraben und die Regierung stürzen wollen. Unser Land soll getroffen werden, wo immer es den Feinden des Friedens und der Einheit unseres Staates möglich ist. Sie verwenden dazu die perfidesten Mittel. Sie schrecken vor nichts zurück. Sie missbrauchen die Lehren des Propheten, um ihre abwegigen Taten zu rechtfertigen. Passen Sie gut auf sich auf, Dr. Schmidt.

Der Staatssekretär wurde von seinen zwei Leibwächtern abgeführt. Im Saal löste sich der Halbkreis, den die Gäste bildeten, gerade in kleinere Gruppen auf. Jamal hatte wohl eine Ansprache gehalten. Sie redeten durcheinander und bemerkten Jonathan nicht.

Eine Zehn-Milliliter-Spritze, wie wir sie tausendmal verwenden, sagte der Finanzdirektor, Dr. Ibrahim. – Mit einer Säure drin. Die Spritze und ein Plastikcontainer mit Pulver sind geschmolzen.

Welches Pulver? Weiß man das?

PETN.

Power Explosive …, rätselte Malte laut.

Also noch einmal. Er hat die Materialien, dieses Paket mit dem Sprengstoff und die Spritze mit der Säure, im Jemen erhalten, rekapitulierte der Finanzdirektor.

So hat er es ausgesagt. Und dass er von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel instruiert wurde.

Von allen Seiten hörte Jonathan Sätze, die er sich selbst nicht zutraute. Obwohl er eine Ahnung davon hatte, dass er die Berichte in den Tagen zuvor gelesen hatte.

Der Terrorist bestieg in Amsterdam eine Maschine der Northwest Airlines mit dem Ziel Detroit. – Aha, Malte wusste noch mehr. – Kurz vor dem Anflug auf Detroit ging er auf die Toilette und kam nach zwanzig Minuten zurück, wickelte sich auf seinem Platz in eine Decke ein, die Passagiere neben ihm hörten ein ploppendes Geräusch, und es stank faulig.

Das hatte er sich in die Unterhose gepackt?

So war er in das Flugzeug gestiegen. Er vertraute darauf, dass man ihn an seinen intimen Stellen nicht untersuchen würde.

In einer Zeitung habe ich das Foto der Unterhose gesehen, sagte Maltes Frau. – Sah aus wie ein historisches Unterzeugs, aus dem Mittelalter, ein Ausstellungsstück in einer Vitrine, ein seltenes Exemplar, nicht weil es so schön gefertigt worden wäre, sondern weil man nicht so viele Exemplare davon kennt.

Ich möchte wissen, ob ihm das eine Frau eingenäht hat oder ob die das in ihren Trainingscamps lernen! Würden Sie die Naht einordnen können, Herr Kollege Malte? scherzte Dr. Marram.

Als diese Vorrichtung explodierte, begann das Hosenbein zu brennen. Und die Wand des Flugzeugs!

Stimmt das, dass sein Vater in Abuja, in Nigeria, zur amerikanischen Botschaft ging und sie vor seinem Sohn warnte?

Ja, das stimmt, wollte Jonathan sagen, Malte kam ihm zuvor.

Die Amerikaner hatten diesen Abdul-mulla falsch eingeschätzt.

Abdulmutallab, korrigierte Dr. Ibrahim.

Ich habe ein schlechtes Gedächtnis für arabische Namen. Hoffentlich gewöhne ich mich bald daran, sagte Malte.

Jonathan nahm das als Stichwort. Sich an arabische Namen gewöhnen, das betraf ihn selbst. – Lieber Kollege Malte, das werden Sie gewiss.

Plötzlich stand Susanna Malte neben ihm. Die sommersprossige Frau mit dem viel zu hellen Teint, würde sie hier glücklich werden? Nicht mit dieser Haut.

Was war denn da los vorhin? fragte sie.

Ein Anflug von Migräne, nichts weiter.

Und das vergeht so schnell? Bei mir dauerte es zwei, drei Stunden. Zum Glück habe ich das nicht mehr.

Er war froh, sich mit Maltes Frau wegdrehen zu können, sie entschuldigte ihn damit und bewahrte ihn vor weiteren Fragen. Man ließ die beiden in Ruhe, selbst ihr Ehemann. Jonathan fühlte sich geschützt in diesem Raum, den ihr Anspruch auf ihn schuf.

Wie kommen Sie mit Ihrer Wohnung zurecht?

Susanna Malte verdrehte die Augen. – Der Vermieter hat uns die ersten Tage zur Hölle gemacht. Am liebsten wäre ich wieder zurückgeflogen. Das hat dieser Unterwäschebomber verhindert. Die Flüge wurden umgeleitet, es wäre alles sehr kompliziert geworden. Nein, ich wäre nicht zurückgeflogen!

Sie wehrte den Gedanken an eine so frühe Kapitulation mit einer Handbewegung ab. Es schien ihr viel daran zu liegen, sich nicht als unverlässliche Begleiterin ihres Mannes zu verraten, die ihm zusätzliche Probleme bereiten würde.

Ich hätte Sie vorwarnen sollen. In dem täglichen Chaos hier habe ich das vergessen, sagte Jonathan. – Bei mir fehlten Duschvorhänge und ein Schlauch für das Abwasser der Waschmaschine.

Uns hat der Schmutz am meisten gestört, alles war verdreckt, seit mindestens einem Monat nicht mehr gereinigt. Erst am zweiten Tag kam eine Reinigungskraft, da hatte ich schon fast alles geputzt.

Susanna Malte schaute ihm in die Augen. Wie würde sie verschleiert aussehen, mit einem Niqab, aber nicht in Schwarz? Hinter einem schwarzen Schleier würde diese Frau nämlich zu Staub zerfallen, die grünen Augen, die sich beruhigt hatten und ihn nun ruhig ansahen, Halbedelsteine, die in den Kopf sanken, als wären sie die einzigen Überreste einer Mumie.

Waren Sie schon einmal in einem arabischen Land? fragte er schnell.

Nein. Es ist für uns beide neu. Mein Mann wollte sich beruflich verändern. Etwas ganz anderes tun.

Und dann gleich der Jemen?

Dann gleich der Jemen.

Jonathan hätte sie zu gern gefragt, wie sie zu diesem einschneidenden Entschluss stand. Ob sie es beide wollten. Oder spielte sie ihrem Ehemann zuliebe mit? Sie wirkte ungeduldig, beinahe verdrossen.

Mein Vater war Röntgenfacharzt, sagte sie. »War«, registrierte Jonathan. – Er hat einen saudi-arabischen Konsul in Berlin behandelt. Die beiden verstanden sich sehr gut. Es hieß immer, wir müssen einmal nach Jeddah fahren, wir würden Orte sehen, die sonst kein Tourist zu sehen bekäme. Für mich und meine Schwester war er Onkel Jussuf. Er liebte uns. Er trank Alkohol, rauchte, wir wussten ja nicht, dass das verwunderlich war. – Sie ratterte die Geschichte herunter. – Tante Arwa spielte mit meiner Mutter und einer Freundin Rommé. Ich war ein paar Mal zu Besuch. Die langen niedrigen Sofas an den Wänden gefielen mir, und besonders Tante Arwas Schalen und Schüsseln. Das Geschirr, die bunten Tassen. Ich war von klein auf in Keramik verliebt.

Und eines Tages war Onkel Jussuf –?

Nicht mehr da. Es hieß, sie seien versetzt worden, aber weder Tante Arwa noch Onkel Jussuf hatten vorher davon gesprochen. Erst viel später verriet uns mein Vater, dass er vorsichtig Nachforschungen angestellt hatte. Es war unheimlich, wie ein Verbrechen. Man hatte ihn einfach verschwinden lassen.

Wen? fragte Malte.

Onkel Jussuf.

Haben Sie ihn einmal gegoogelt? fragte Jonathan.

Müsste man das nicht auf Arabisch machen? Wir haben darüber gesprochen, als das Jemen-Projekt auftauchte, Chris, dann habe ich es wieder vergessen. Jussuf Al-Salar.

Malte hatte eine mitleidige Miene aufgesetzt. Jonathan sollte sehen, dass er diese fixe Idee seiner Frau nicht ernst zu nehmen brauchte.

Warum versuchen wir es nicht? wollte Jonathan fragen, so als zeige er Susanna Malte gleich den Weg ins Büro, zu seinem Schreibtisch, seinem Computer, der nichts lieber herausfinden wollte als den Namen eines Konsuls, in den sich die Frau des neuen Chirurgen einmal verliebt hatte.

Wie alt waren Sie damals?

Dreizehn, vierzehn.

Und noch sehr naiv, warf Malte ein. – Als Mädchen konnte man das natürlich nicht unbedingt wissen, um 1980 herum.

Nein, sagte Jonathan nach einer längeren Pause, während der sie alle geschwiegen hatten. – Sicher nicht. Als Mädchen musste man das damals nicht wissen.

Hast du erwähnt, dass du Designerin für Geschirr bist?

Habe ich nicht.

Das ist ja hochinteressant, ein künstlerischer Beruf! Sie werden ins Nationalmuseum gehen und sich die Keramikstücke ansehen und Inspirationen bekommen.

Das kann gut sein, sagte Susanna.

2

Auf der Dachterrasse des nächsten Hauses war neben der alten, verrosteten Satellitenschüssel eine neue montiert worden. Die große Box, in der sie gekommen war, lag auf dem Boden. Außerdem befanden sich dort ein blauer Klappstuhl, der nie verrückt wurde, und zwei ausgeronnene Ölkanister. Eine Wäscheleine spannte sich vor einem Fenster, Wäsche hatte Jonathan bisher nicht darauf gesehen. Die Tür war einmal weiß gewesen, hatte den aufsteigenden Rostbrand. Auf der daneben liegenden Terrasse fand manchmal ein Treffen mehrerer Männer statt. Sie kamen aus der Wohnung, kauten Qat, die linke oder rechte Backe so dick, als befände sich ein Tennisball drin. Trotz des Rausches, in dem sie sich befinden mussten, debattierten sie. Er wusste nicht, ob es in den Häusern hier in diesem Neubauviertel auch die Dachräume mit der durchlöcherten Decke gab, durch die man sich beim Qatkauen in den Himmel hinaufziehen lassen konnte.

Ein angenehmer Januartag, 23 Grad. Der riesige sandbraune Baukasten, der Sana’a war, lag ihm zu Füßen, in der Ferne die Gebirgszüge, die in der Atmosphäre beinahe verschwanden. Nur die Nächte waren unerträglich kalt in der ungeheizten Wohnung. Er schlief seit Anfang November wieder mit einem Stirnband und im Pullover.

Delphines E-Mail war eine Überraschung gewesen. Wie hatte er ihren Namen vergessen können? Der Zugang zu ihr blockiert, wie eine Fremde war sie ihm erschienen, ungreifbar weit weg, als müsste er die ganze Person ein zweites Mal kennenlernen innerhalb weniger Sekunden. An die Erwähnung ihrer Mutter, die er nicht kannte, hatte er sich erinnert, aber nicht an ihren Namen, bei dem er sie so oft genannt hatte, nur um die in den zwei Silben steckende Verführung auszusprechen.

Afrika. In der Hitze ein Gebäude, langgestreckt und aus Holz, mit etlichen Türen. Vor dem Haupteingang ein paar Äthiopierinnen, die lachten, glückliche Patientinnen oder Personal. Sie redeten etwas in ihrer Sprache und winkten ihm zu, lachten und verbeugten sich. War er zu groß, zu bleich? Eine rief in das Haus hinein.

Erst in der Erinnerung konnte er den Augenblick, ehe Delphine Teichert ins Licht trat, so lange hinausziehen, wie er wollte. Wann immer er danach an seine Ankunft dachte, an diesen ersten Eindruck, hatte er Angst, ihr Bild nicht mehr zu sehen, und ließ sie, verschwommen und flimmernd, wie beim Rücklauf eines Films, wieder im Dunkel der Eingangstür verschwinden. Sie trippelte gehorsam zurück, ließ sich nur mit dieser Lächerlichkeit rückgängig machen. Sobald er sie im Inneren des Gebäudes wusste, auch wusste, dass sie auf ihn wartete, fand er ein paar Augenblicke Ruhe in der Anspannung. In anderen Situationen, die ihm nachgeeilt waren, sich ungebeten einstellten, wurde ihr Bild meistens rasch lebendig.

Langsam, in Zeitlupe jetzt, kam eine helle Figur den Gang heraus, trat ins blendende Licht, hielt sich den Arm vor die Augen wie ein Kind, das sich beim Aufwecken gegen das Wegziehen der Vorhänge wehrt. Sie war fast weiß, so blond, spielte ihm einen Streich und klappte die Sonnenbrille herunter, die sie ins Haar geschoben hatte.

Willkommen. Wir haben drei Jahre auf Sie gewartet.

Das hat mir noch niemand gesagt, erwiderte Jonathan.

Er wusste sofort, dass sie aufs Spielen aus war. Dass sie Humor hatte. Ihre langen Beine hielt er für eine Draufgabe. Er hatte mit einer sonnengegerbten No-nonsense-Nurse gerechnet, so gehörte sich das. Wie lange hatte er keine hübsche Frau gesehen, oder besser, keine Frau, die ihn in den Bann zog, oder wie man das nennen sollte, diese sekundenartige Neugier und Treffsicherheit. Er musste sich zurückhalten, sonst würde es nur Enttäuschungen geben. Was erwartete er von ihr? Diese Krankenstation kam ihm wie ein unsichtbarer Punkt im Satellitenbild vor, auf keiner Karte zu finden, als ginge es von hier aus nicht mehr weiter. Die einzige Verbindung zur Außenwelt war der Chauffeur, der fleißig Kisten mit Material auslud, und der würde bald verschwinden.

Die Station war mehr als zehn Jahre zuvor von einer Stiftung in Brüssel finanziert und mit Geräten eingerichtet worden, Ambulanz, eine kleine Chirurgie, Geburtsstation, nur die Ärzte fehlten. Delphine hatte mit zwei belgischen Nonnen und einigen einheimischen Frauen die Ambulanz und die Geburtsstation erst aufgebaut.

Ich habe mich ohne zu zögern für dich entschieden, sagte er manchmal.

Was waren die Alternativen? – Sie mochte seine durchschaubaren Lügen. Er erkannte bald, dass ihr das gefiel, wenn er seine Phantasie für sie anstrengte.

Die interessierten mich gar nicht. Als ich die Ausschreibung las, wusste ich, Delphine Teichert in La Concha braucht mich.

Ach ja.

Und gestern ist mir dein Name nicht eingefallen.

Dabei hattest du mir versprochen, ihn nie zu vergessen.

Und du hast mir versprochen, meine Stimme zu erkennen, wenn ich dich – irgendwann einmal, viel später – anrufen sollte.

Also jetzt. Du meinst jetzt.

Soll ich dich wirklich anrufen?

Jetzt würde ich ja wissen, dass du es bist.

Die imaginierten Gespräche funktionierten noch. Vielleicht hatte sie eine Ahnung, warum ihr E-Mail vor zwei Tagen nichts ausgelöst hatte in ihm.

Vorgestern bekam ich dein E-Mail, in dem du mir von deiner Mutter berichtest. Und dass du zu ihr zurückmusst für eine Weile.

Daran erinnerst du dich?

Sicher.

Ich dachte, du hattest meinen Namen gleich wieder vergessen?

Du bringst mich durcheinander. Das kannst du gut. Damit hast du mich ja gern an den Rand der Verzweiflung gebracht.

An den Rand der Verzweiflung. Wie das klingt. Wir hatten doch genügend Platz.

Aus dem drängenden Straßenlärm der Großstadt stießen von allen Seiten die Lautsprecher mit dem Gebetsaufruf. Bei der Moschee in seiner Nähe meinte Jonathan immer, einen frischen Rufer zu hören, keine Konserve. Er war mitunter heiser, fing sich aber rasch. Er stellte sich vor, dass dieser Mann auf seinem Minarett eingeschlossen war und in Wirklichkeit um Hilfe rief, die Nachricht in der Aufforderung zum Gebet versteckte.

Das Licht über Sana’a war rosa geworden. Wenn die Abendsonne auf die halbovalen Mosaikglasfenster schien, mit den weiß voneinander abgesetzten farbigen Amöben, dieses erstarrte und in einen Rahmen gefasste, gestockte Lichtmeer, rot, blau, grün, gelb, das nur funkeln konnte, nicht verschwimmen, nicht seine Begrenzungen sprengen, wenn sich die Fenster gegenseitig Botschaften zublitzten, tauchte das Wort »Orient« auf.

Er kletterte die Leiter in den Vorraum seiner Wohnung hinunter. Zog sich einen Pullover über, stellte Teewasser auf und schaltete den Apple ein.

»Lieber Jon.« Sie hatte ihn als Amerikaner angesprochen, obwohl er Österreicher war, obwohl sie Deutsche und Französin war. »Ich verwende deine alte Google-Mail-Adresse, die wird schon noch gültig sein. So wie meine.«

Das Einzige, was uns noch verbindet, wie ein Stammesname, obwohl die vielen Mitglieder so weit verzweigt sind, dass man nur ein paar Dutzend kennen kann. Nein, das stand hier nicht. Das hatte er vervollständigt, nachdem sie es gelöscht hatte. Das wäre spannend: den kleinen Rückwärtspfeil so lange zu drücken, bis ein Originalbrief wiederhergestellt ist. Bloß wozu? Man hatte das Recht, sich zu korrigieren. Auch wenn etwas Intimes dadurch verlorenging? Außerdem schrieb sie nie einen Text erst einmal zu Ende. Sie besserte alles gleich aus.

Delphines Brief war geschrieben, als lese ein Mann hinter ihrem Rücken mit.

»Wir haben lange nichts voneinander gehört, so kann es kommen. Ich denke manchmal an unsere Zeit in Äthiopien, als wir den ganzen Tag schufteten und keine Religion nötig hatten.«

Was sollte das heißen?

Bist du religiös? – Ich bin pragmatisch. – Kannst du dich erinnern? fragte er den Bildschirm. – Wie wir uns über Schwester Claras Gefühlsleben Gedanken machten?

»Ich habe mich vor ein paar Monaten überreden lassen, die Leitung von La Concha an Schwester Clara zu übertragen, und habe im Krankenhaus in Yirga Alem gearbeitet, als Beraterin und Ausbilderin auf der Geburtsstation. Ich bin zurückgekehrt nach Nantes, wo ich meiner Mutter helfen muss. Sie hatte schon den zweiten Schenkelhalsbruch, die Operation verlief nicht optimal, ach, was erzähle ich dir, du warst eben nicht da.«

Jetzt stand kein Mann mehr hinter ihr und kontrollierte, was sie schrieb.

»Ich werde mich um sie kümmern, bis ich eine geeignete Pflege gefunden habe.«

Das Teewasser begann zu pfeifen. Mit ein paar großen Schritten war er in der Küche, goss den Tee auf und kehrte gleich zurück an seinen Schreibtisch, als könnte Delphine ihm davonlaufen.

»Schreib mir, wo du bist. Wenn du magst. Delphine.«

Was wusste er nun über sie? Nichts außer ein paar geografischen Angaben. Sie verschwieg ihm ihren psychischen Status. Unsere Zeit in Äthiopien. Manchmal. Das war entweder eine Frechheit oder plumpe Ironie, also Ersteres. Warum gibst du mir keine Schuld? Ist es nicht mehr von Bedeutung, dass ich es war, der weggegangen ist?

Er klickte Delphine weg. Delphine war ein Geist.

Das hier war die Wirklichkeit: Das abgelaufene Jahr war das schlimmste in der jüngsten Geschichte des Jemen, las er im Jahresrückblick der Yemen Times. Seit August war wieder Krieg mit den Huthi-Rebellen im Norden, bereits der sechste Sa’dah-Krieg. Im Dezember hatten amerikanische Bomber Luftschläge auf das Gebiet der schiitischen Rebellen verübt, das von iranischen Klerikern unterwandert war. Lokalnachrichten, die Weltnachrichten waren.

An manchen Nachmittagen und Abenden verschlang er die Berichte über das Land suchtartig. Er las die Bulletins amerikanischer Informationsfirmen, NGOs, Thinktanks, diverse Watch Sites für Terrororganisationen im Land. AQAP, der Al-Qaida-Ableger auf der Arabischen Halbinsel, kroch langsam vom Süden hinauf zur Hauptstadt. Er las die Blogs von Exzentrikern, die übersetzten Auswertungen von arabischen Medien, die Jihad News, Updates von Global Threat Monitors, die Profile von Terroristenführern.

Der Terror verlangte ihm eine Wissbegier ab wie die neuesten Entwicklungen in der Allgemein- und Unfallchirurgie. Zwei Mächte kämpften um ihn, die weiße der Medizin, die schwarze der politischen Realität. Sie waren längst drin in einem System von Beobachtungen verschiedenster Art, ein Sechseck mit zwei kleinen Flügeln an West und Ost, das war das Schweizer Haus, verortet bei den Geheimdiensten, aufgespießt auf einem Stadtplan von Sana’a in einem Trainingscamp der Terroristen, auf dem Computer eines Anführers.

Er schaute sich Fotos all der Landesteile an, in die er nicht fahren durfte, also die meisten, weil er die Bewilligungen und Passagierscheine nicht bekommen würde. Die atemberaubenden Bergdörfer mit den grünen Terrassen im Norden, könnte man nur die N1 von Sana’a einfach weiterfahren.

Er wünschte, Delphine hätte ihre Adresse in Nantes angegeben. Google Maps. Nantes.

Auf dem Satellitenbild zunächst wie jede andere Stadt, allmählich wurde sie französisch, hektisches Vergrößern, hier, eine Rue de la Commune, den Häusern nach zu schließen eine heruntergekommene Gegend, die weißen Fensterläden im Erdgeschoß bei dem einen offenen Fenster schmutzig, Blick in eine Küche, die Haustür nicht mehr zu öffnen, mit schwarzem Stift krakelig ENTRÉE und ein Pfeil nach rechts, Delphine bog nicht um die Ecke.

Er musste warten. Er wollte sie nicht recherchieren, diese Frau suchen. Er wollte es nur wissen.

Er stand auf und ging mit seinem Tee ins Wohnzimmer.

Er würde ihr nicht antworten. Schreib mir, wo du bist. Wenn du magst.

Er würde ihr später einmal schreiben, wenn sie lange gewartet hatte. Wie sollte er ihr das hier erklären? Er hörte sie lachen, wenn sie las: Ich bin im Jemen. Nein, das mochte er nicht. Er würde ihr schreiben, ebenso belanglos wie sie. Den Jemen nicht erwähnen. Sie anlügen mit Belanglosigkeiten, mit einem Krankenhaus in Berlin, kein Name, so unbedeutend wäre es. Oder gleich eine Kleinstadt, in den neuen Bundesländern, ein ziemlich heruntergekommener Ort in Thüringen, da haben sie mich genommen, hier bin ich hängen geblieben.

Jonathan vermisste einen Trost. Einen unparteiischen Trost. Gab es das? Einen abstrakten Trost, unabhängig von einer Person? Er suchte auf seinem MP3-Player, ohne zu wissen, was. Frühling, eine Hügellandschaft mit blühenden Obstbäumen, das junge Grün der Wiesen. Schumann, Frühlingssymphonie, warum nicht. Grün, grün, grün. Das junge Grün der Wiesen, und das Spalierobst steht still in seinen weißen Rüschen, wie ein angehaltenes Ballett von, wie hieß das, Elevinnen? Die jederzeit die Beine heben und davonwalzern könnten, ebendas ging nicht, sie waren angebunden, mit Draht, gefangen gehalten, und der alte Romantiker konnte ihm gestohlen bleiben, wenn er log.

Besser Jan Garbarek, sein friedlicher Muezzin.

Langsam wurde er ruhig.

Der Neurologe hatte ihn heute nach seinem Befinden gefragt, und Jonathan hatte gleich abgewinkt. Er wollte ihn in seine Ordination bitten, um ihn klinisch zu untersuchen, eine Anamnese zu machen, aber es gab nichts zu erzählen. Er hatte ihm ein MR angeboten. Jederzeit. Jonathan hielt es aus abzuwarten, ob etwas nachkäme, ein weiteres zerebrales Event. Den Ausdruck mochte er. Vor langer Zeit hatte jemand gesagt: Mit diesem Vogelgesicht muss der kleine Habsburg ein chromosomales Event gehabt haben.

Als Jonathan erwachte, war es dunkel geworden.

Er zog seine Jacke über und kletterte zurück aufs Dach. Die Stadt zitterte mit den Lichtsternen ihrer bunten Glasfenster. Wäre er gläubig, müsste er diesem Anblick eine andere Dimension geben, jemandem dankbar sein. Die Stromausfälle konnten jeden Tag mehr werden. Derzeit war relative Ruhe.

Wieder unten, drückte er auf »Antworten«.

»Liebe Delphine«, hämmerte er auf das Keyboard. »Schön, von dir zu hören. Es tut mir leid wegen deiner Mutter. Ich hoffe, du kannst bald an deinen Arbeitsplatz zurückkehren. So könnte ich jetzt weiterschreiben, und es wäre eine passende Antwort. Unsere Zeit – es waren dreieinhalb Jahre, länger, als du davor auf mich gewartet hattest. Nicht du allein, die Station. Du denkst ›manchmal an unsere Zeit‹. Ich gestehe, ich habe nicht so oft wie ›manchmal‹ an dich gedacht. Am Beginn sehr oft, das ist ein anderes Kapitel. Als dein E-Mail kam, wollte ich dir gleich schreiben, natürlich kam etwas dazwischen. Wir hatten gestern eine offizielle Feier mit einem Staatssekretär und Minister, die zweite Chirurgie wurde eröffnet. Ich bin in Sana’a, arbeite in einem Schweizer Krankenhaus für Ausländer und Ministerialbeamte.

Als ich mich an dein E-Mail erinnerte, fiel mir dein Name nicht ein. Dein einzigartiger Name, Delphine. Bin ich schon so blöd geworden? Heißt du noch so? Ja, es steht in deiner E-Mail-Adresse, und du unterschreibst so, aber ist das noch alles wahr, was dieser Name ausdrückte? Bist du noch wahr?

Jon.«

Senden.

3

Sie hatten eine andere Route nehmen müssen, weil es auf der Ring Road eine Baustelle gab. Diesen Kreisverkehr kannte Jonathan nicht, ein Brunnen in der Mitte. An dem Brunnen lehnte eine Frau, in langen, schmutzig-bunten Gewändern, keinen Niqab, nur ein schwarzes Tuch um den Kopf. Der Verkehr war wieder einmal zum Stillstand gekommen. Als Ali auf der Innenspur um den Brunnen herumfuhr, hatte Jonathan Gelegenheit, sie zu beobachten. Ihr Kopf war verkrampft zur Seite nach oben gedreht, mit den Armen hielt sie sich am Stein fest, löste sich, warf sich einen Meter weiter mit ruckartigen Bewegungen, Chorea Huntington wahrscheinlich, selten diagnostiziert, das Gesicht war verzerrt.

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