Zion's Fiction - Lavie Tidhar - E-Book

Zion's Fiction E-Book

Lavie Tidhar

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Beschreibung

In sechzehn Geschichten nehmen uns sechzehn israelische Autor:innen auf eine phantastische Reise mit. Dabei treffen wir etwa auf hochentwickelte Mäuse, die einen Krieg gegen die Menschheit führen, auf drei Geschwister, die den Weltrekord im Puzzeln brechen wollen, auf eine Frau, die den Tod heiratet, und auf eine Telepathin, die die Gedanken Verstorbener liest und sich Stück für Stück darin verliert. Die Texte eint hierbei nicht bloß der Entwurf einer spekulativen Welt, nicht bloß das Phantastische, das in der Tradition biblischer Geschichten steht, sondern auch der Blick auf zentrale menschliche Erfahrungen. Die abwechslungsreiche Anthologie versammelt Texte junger und alter, bekannter und unbekannter Autor:innen aus Israel und feiert die Lust am Erzählen. Die Mitwirkenden: Lavie Tidhar, Gail Hareven, Keren Landsman, Guy Hasson, Nava Semel, Nir Yaniv, Eyal Teler, Rotem Baruchin, Mordechai Sasson, Sayvon Liebrecht, Elana Gomel, Pesakh (Pavel) Amnuel, Yael Furman, Gur Shomron, Nitay Peretz und Shimon Adaf

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Phantastische Literaturaus Israel

Herausgegeben vonSheldon Teitelbaum & Emanuel Lottem

Vorwort: Robert SilverbergNachwort: Aharon Hauptman

ZION´S FICTION – Phantastische Literatur aus Israel

Sheldon Teitelbaum & Emanuel Lottem [Hg.]

Mit einem Vorwort von Robert Silverberg

Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel “Zion’s Fiction – A Treasury of Isreali Speculative Literature” bei Mandel Vilar Press, Simsbury.

© 2023 Hirnkost KG · Lahnstraße 25 · 12055 Berlin

[email protected] · http://www.hirnkost.de/

Alle Rechte vorbehalten.

1. Auflage April 2023

Vertrieb für den Buchhandel:

Runge Verlagsauslieferung · [email protected]

Privatkund:innen und Mailorder:https://shop.hirnkost.de/

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Layout: Typografie · im · Kontext

Lektorat: Sofie Lichtenstein

Druck: XYZ

Vorwort (Original “Foreword” by Robert Silverberg, © 2018 Robert Silverberg)

“Introduction” © 2018 Sheldon Teitelbaum and Emanuel Lottem

“The Smell of Orange Groves” by Lavie Tidhar, © 2011 Lavie Tidhar

“The Slows” by Gail Hareven, English translation by Yaacov Jeffrey Green, © 1999 Gail Hareven

“Burn Alexandria” by Keren Landsman, English translation by Emanuel Lottem, © 2015 Keren Landsman

“The Perfect Girl” by Guy Hasson, © 2004 Guy Hasson

“Hunter of Stars” by Nava Semel, English translation by Emanuel Lottem, © 2009 Nava Semel’s estate

“The Believers” by Nir Yaniv, © 2007 Nir Yaniv

“Possibilities” by Eyal Teler, © 2003 Eyal Teler

“In the Mirror” by Rotem Baruchin, English translation by David Chanoch, © 2007 Rotem Baruchin

“The Stern-Gerlach Mice” by Mordechai Sasson, English translation by Emanuel Lottem, © 1984 Mordechai Sasson’s estate

“A Good Place for the Night” by Savyon Liebrecht, from A Good Place for the Night, English translation by Sondra Silverston, © 2006 by Savyon Liebrecht

“Death in Jerusalem” by Elana Gomel, © 2017 Elana Gomel

“White Curtain” by Pesakh (Pavel) Amnuel, English translation by Anatoly Belilovsky, © 2007 Pesakh (Pavel) Amnuel

“A Man’s Dream” by Yael Furman, English translation by Nadav Almog, © 2006 Yael Furman

“My Crappy Autumn” by Nitay Peretz, English translation by Emanuel Lottem, © 2005 Nitay Peretz

“Two Minutes Too Early” by Gur Shomron, © 2003 Gur Shomron

“Afterword” by Aharon Hauptman, © 2018 Aharon Hauptman

For the avoidance of doubt, the copyright for “Ishmael” by Shimon Adaf is as follows:

Copyright © 2013 by Shimon Adaf, English translation by Leanne Raday

Sayvon Liebrecht: Ein guter Platz für die Nacht. Sieben Erzählungen. Daraus: „Ein guter Platz für die Nacht.“ von Savyon Liebrecht, ©2005 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München. Übersetzt von Vera Loos und Naomi Nir Bleimling

ISBN:

PRINT: 978-3-949452-96-3

PDF: 978-3-949452-98-7

EPUB: 978-3-949452-97-0

Hirnkost versteht sich als engagierter Verlag für engagierte Literatur.Mehr Infos:https://www.hirnkost.de/der-engagierte-verlag/

Für meine Frau Lilith und meine Kindern Adam, Shiran und Liam, die meinen Sinn für Wunder aufrechterhalten; meine Mutter Roz, deren Tapferkeit man nur bewundern kann; für meinen verstorbenen Vater, Harry, und meine Onkel Jack und Ben (ZT ”L), die einen Heidenspaß daran gehabt hätten, und an Großmeister Bob, der den Raum gekrümmt und Portale geöffnet hat.

— SHELI TEITELBAUM

Für Larry Niven, der mir gezeigt hat, wie Science Fiction geschrieben werden sollte; für meine Freunde von der Israeli Society for Science Fiction and Fantasy, die u.a. in dieser Anthologie vertreten sind; und für meine Frau Liana, meine Söhne Amos und Eran und ihre Kinder.

— EMANUEL LOTTEM

In Gedenken an

Keren Embar

Amos Geffen

Mordechai Sasson

Nava Semel

Aharon Sheer

תנצב¢ה

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG

DER GERUCH VON ORANGENHAINEN

DIE LANGSAMEN

ALEXANDRIA MUSS BRENNEN

DAS PERFEKTE MÄDCHEN

STERNENJÄGER

DIE GLÄUBIGEN

MÖGLICHKEITEN

IM SPIEGEL

DIE STERN-GERLACH-MÄUSE

EIN GUTER PLATZ FÜR DIE NACHT

TOD IN JERUSALEM

DER WEISSE VORHANG

MÄNNERTRAUM

ZWEI MINUTEN ZU FRÜH

MEIN BESCHISSENER HERBST

ISHMAEL

NACHWORT

DANKSAGUNG

ÜBER DIE MITWIRKENDEN

VORWORT

Robert Silverberg

Übersetzung: Claudia Rapp

Was wir hier vor uns haben, ist so etwas wie eine Botschaft aus einer anderen Welt: eine Auswahl der eindringlichen, fantasievollen Werke, die einer kleinen, umkämpften Nation an den Gestaden Asiens entspringen, einer Nation, die im 20. Jahrhundert auf einem Fundament gegründet wurde, das bis in die biblische Antike zurückreicht, einer Nation von Denkern und Fabulierern, die in ständiger Ungewissheit lebt und diese Ungewissheit als Treibstoff für tiefgründige und oft sehr bewegende spekulative Gedanken genutzt hat. Wir haben es also mit einer Anthologie israelischer Science Fiction und Fantasy zu tun.

Jüd:innen werden oft als das Volk des Buches bezeichnet, und das Buch, das damit gemeint ist, ist die hebräische Bibel – der nicht-jüdischen Welt als Altes Testament bekannt, aber den Jüd:innen in aller Welt schlicht als Bibel. Für Gläubige aller Religionen ist die Bibel eine heilige Schrift, die Aufzeichnung über Gottes Umgang mit der Menschheit beginnend mit der Schöpfung („Am Anfang“, so heißt es im ersten Satz, „schuf Gott Himmel und Erde.“), über die Mühen eines wandernden Wüstenstammes, der Hebräer, die dem heidnischen Götzendienst und der Vielgötterei zugunsten des Glaubens an eine einzige, strenge und ferne Gottheit abgeschworen hatten, über die Wanderung dieses Stammes aus Mesopotamien nach Ägypten, über die Flucht vor der tyrannischen Herrschaft des ägyptischen Pharaos in das Land Kanaan, das später allgemein als Palästina bekannt wurde, und über die Gründung des hebräischen Königreichs Israel in Palästina, wo das jüdische Volk, als das die Hebräer bekannt wurden, mit wechselndem Erfolg versuchte, nach den moralischen und ethischen Regeln seiner Religion zu leben. Die späteren Bücher der hebräischen Bibel enthalten eine Chronik der Teilung des jüdischen Landes in zwei Königreiche, Israel und Juda, der Kämpfe der beiden Königreiche gegen äußere Feinde – die Moabiter, die Philister, die Syrer, die Assyrer, die Babylonier und andere – und schließlich des Verlusts der jüdischen Unabhängigkeit als Strafe Gottes für einen Rückfall in den Götzendienst und andere Frevel.

Die hebräische Bibel besteht natürlich nicht nur aus einer historischen Chronik und einer Reihe von Gesetzbüchern. Sie enthält auch eine Gedichtsanthologie – die Psalme Davids –, eine Sammlung von Sprichwörtern und das Buch Hiob, das im Grunde ein kurzer Roman ist. Das Buch Hiob ist nicht die einzige Geschichte, die die Bibel erzählt. Sie ist in der Tat voll von Geschichten, die die Menschheit seit dreitausend Jahren in Atem halten. Es beginnt mit der Schöpfungsgeschichte, erzählt dann vom Leben unserer ersten Vorfahren im Garten Eden („Und Gott, der Herr, nahm eine Rippe von dem Menschen und machte daraus ein Weib und brachte sie zu dem Menschen.“), sodann von der Versuchung Evas und der Vertreibung aus dem Garten, von der Ermordung Abels durch Kain, vom Hereinbrechen einer großen Flut, der nur Noah und seine Familie entkommen, von den Anweisungen Gottes an den Patriarchen Abraham, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, und von allem, was daraus folgte (Isaak war nicht wirklich sein einziger Sohn, und auch daraus ergibt sich eine lange Geschichte), und so weiter und so fort. Die Bibel ist reich an Erzählungen, die dem Vergleich mit jeder anderen jemals geschaffenen Literatur standhalten. (Die Abenteuer Josephs in Ägypten; der Werdegang des Hirtenjungen David, der König von Israel wurde; der Auszug aus Ägypten; die kleine Affäre von Samson und Delila; der Besuch der Königin von Saba bei Salomo – oh ja, und immer so weiter. Man muss nicht gläubig sein, um der erzählerischen Kraft der hebräischen Bibel zu erliegen.)

Ein starkes phantastisches Element zieht sich durch viele der biblischen Erzählungen, wie wir sie heute kennen. (Sie alle sind Fantasy, wenn man als Nichtgläubige:r die ganze Sammlung unter der Prämisse betrachtet, dass Gott ein imaginäres Wesen ist.) Die Sintflut von Noah, die ihre Vorläufer in sumerischen und babylonischen Legenden hat, ist eine herrliche apokalyptische Phantasterei. Moses teilt auf wundersame Weise das Rote Meer, sodass die Kinder Israels trockenen Fußes aus Ägypten ausziehen können. Gott erscheint als Feuersäule, um sie bei Nacht auf ihrer Reise durch die Wüste zu leiten. Samson ist eine frühe Verkörperung des Übermenschen, ein Superman, und wie bei der Comic-Version des zwanzigsten Jahrhunderts gibt es auch bei ihm eine besondere Sachwachstelle. In den Visionen des Propheten Ezechiel erscheinen humanoide Wesen mit vier Gesichtern und vier Flügeln, die ihn auf eine Art Reise durch den Weltraum tragen und ihn zum Herrn bringen, der auf Seinem Thron sitzt. (Das nachkanonische Buch Henoch, das wahrscheinlich aus dem dritten oder vierten Jahrhundert vor Christus stammt und nur in einer äthiopischen Übersetzung überliefert ist, bietet eine Fülle von astronomischen Kenntnissen und beschreibt die Weltraumreise eines weiteren Propheten.) Und es gibt noch so viel mehr, eine riesige Vielfalt an wundersamen, fantasievollen Ereignissen, die auch nach fast dreitausend Jahren lebendig in unseren Köpfen sind.

Schließlich gingen die Königreiche Israel und Juda unter. Ihre Völker wurden von den Babyloniern ins Exil geschickt und von den nächsten Eroberern, den Persern, nach Palästina zurückgeführt. Nach der Niederlage der Perser gegen Alexander, den König von Makedonien, wurden sie zunächst von seinem neuen Reich geschluckt und sodann von demjenigen, das die Römer gegründet hatten. Unter den Römern wanderten die Jüd:innen in alle Teile der Mittelmeerwelt aus, es blieben aber stets einige in Palästina, das nunmehr das Heilige Land genannt wurde und das sich die Jüd:innen mit nicht-jüdischen Stämmen teilten, die schließlich zu einer muslimischen arabischen Bevölkerung zusammenwuchsen.

Während dieser Jahre des Exils, der Diaspora und der gemeinsamen Besiedlung Palästinas tauchte die Hoffnung auf eine Rückkehr zu den alten Tagen des Königreichs Israel immer wieder im jüdischen Denken und Schreiben auf und fand ihren deutlichsten Ausdruck in Theodor Herzls utopischem Roman Altneuland, der 1902 veröffentlicht wurde. Herzl hatte erstmals 1896 in seinem Buch Der Judenstaat eine selbstverwaltete jüdische Republik außerhalb Europas vorgeschlagen. Er hielt Palästina aus historischen Gründen für den bevorzugten Standort, hätte aber zu diesem Zeitpunkt auch Argentinien für ebenso akzeptabel gehalten. Altneuland verortet den jüdischen Staat jedoch ausdrücklich in Palästina. Jerusalem sollte die Hauptstadt sein, Haifa das Zentrum der industriellen Aktivitäten. (Tel Aviv gab es zu dieser Zeit noch nicht. Der erste hebräische Übersetzer von Herzls Roman gab dem Buch den Namen Hügel des Frühlings, der auch verwendet wurde für die 1909 gegründete neue jüdische Siedlung an der Küste Palästinas.) Herzls Republik war eine egalitäre, die an Sozialismus grenzte, mit landwirtschaftlichen Genossenschaften und öffentlichem Eigentum an Land und natürlichen Ressourcen, aber auch privatem Eigentum an der Industrie, und ihre Bürger:innen unterhielten sich hauptsächlich auf Deutsch oder Jiddisch, auch wenn der Versuch unternommen wurde, die alte hebräische Sprache wiederzubeleben.

So zieht sich ein roter Faden spekulativen Denkens, oft vermischt mit einem gewissen Maß an Mystik, durch die gesamte Geschichte des jüdischen Volkes, von den Visionen und Wundern der Bibel bis hin zu Herzls prophetischem Werk utopischer Fantasy. Es sollte nicht überraschen, dass in der jüdischen Literatur über die vielen Jahrhunderte hinweg, die das Buch Genesis von Altneuland trennen, Elemente der spekulativen Fantasy und sogar der Science Fiction auftauchen. In einer Episode des Talmuds reist Moses durch die Zeit und macht einen Abstecher in die Zukunft. Im neunten Jahrhundert stellte sich der jüdische Kaufmann Eldad HaDani einen unabhängigen jüdischen Staat in Ostafrika vor, vielleicht in Äthiopien. Die mittelalterliche jüdische Legende vom Golem war ein Vorbote der Frankenstein-Geschichte und lieferte eines der ersten Beispiele für einen Roboter in der Literatur. Mittelalterliche Überlieferungen bringen uns auch Dibbuks, wandernde Geister, die von lebenden Körpern Besitz ergreifen, ein Motiv, das in der modernen Science Fiction häufig verwendet wird. Aus guten und schicklichen Gründen zögere ich, einen so weit gefassten, verallgemeinernden Begriff wie „der jüdische Geist“ zu verwenden, aber es scheint eine gewisse Affinität zwischen Jüd:innen und spekulativem Denken zu geben, eine Affinität, die nicht nur einige große Werke der Philosophie, sondern auch viele Werke der Fantasy und Science Fiction hervorgebracht hat.

Obwohl die Science Fiction in ihrer spezialisierten modernen Form ihren Ursprung in den Werken von Jules Verne und H. G. Wells aus dem neunzehnten Jahrhundert hat, ist sie weitgehend ein Produkt amerikanischer Kreativität – und eine bedeutende Anzahl von Juden war an ihrer Entwicklung beteiligt: Jacob Clark Henneberger, der Verleger, der 1923 Weird Tales, das erste reine Fantasy-Magazin, gründete, war Jude. Ebenso wie Hugo Gernsback, der drei Jahre später Amazing Stories, das bahnbrechende Science Fiction-Magazin, ins Leben rief. Namenhafte Zeitschriftenredakteure, Lektoren und Herausgeber wie H. L. Gold, Donald A. Wollheim, David Lasser, Samuel Mines und Mort Weisinger waren Juden. Die Liste der jüdisch-amerikanischen Science Fiction-Autor:innen umfasst so illustre Namen wie Isaac Asimov, Alfred Bester, Avram Davidson (der im israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 als Sanitäter diente), Harlan Ellison, Norman Spinrad, Joanna Russ, Stanley G. Weinbaum, Cyril Kornbluth, Philip Klass, Robert Sheckley und Barry N. Malzberg. Selbst der in Prag geborene deutschsprachige Romancier Franz Werfel wandte sich in seinem letzten Werk, dem großartigen, fantasievollen Roman Stern der Ungeborenen, der Science Fiction zu, als er 1946 in den Vereinigten Staaten im Exil lebte. (Der Roman spielt hunderttausend Jahre in der Zukunft, aber Werfel siedelt eine kleine jüdische Gemeinde in dieser ansonsten völlig veränderten, fernen Epoche an, die von einem Anführer namens Saul geleitet wird, dessen Titel „der Jude der Ära“ lautet.)

Aber auch das moderne Israel, ein Land, von dem man sagen könnte (ohne zu übertreiben), dass es seine Entstehung zum Teil einem Werk der spekulativen Fiktion verdankt und das durch externe Kräfte gezwungen ist, in einer ständigen Existenzkrise zu leben, war und ist ein Zentrum jener intellektuellen Fragestellungen, die zum Schreiben von Fantasy und Science Fiction führen. The Jewish War II von Reuven Rupin schickt seinen Protagonisten zurück in die Römerzeit, um die rebellischen Jüd:innen Palästinas mit hochentwickelten Waffen auszustatten, mit deren Hilfe sie einen unabhängigen jüdischen Staat gründen können. In Secrets of the Second World von Yosef Soyka werden die Zehn Verlorenen Stämme Israels, die in unterirdischen Tunneln leben, in Kontakt mit außerirdischen Spezies gebracht, die über die Menschheit wachen. In Yaakov Avisars People from a Different Planet treffen israelische Raumfahrer auf hebräisch sprechende Außerirdische, mit denen sie eine dritte, kriegerische Spezies besiegen, die den galaktischen Frieden bedroht. Andere Romane beschreiben ein Israel, das durch neonazistische Verschwörungen oder durch die Übernahme der Kontrolle durch orthodoxe Jüd:innen gefährdet ist, Auseinandersetzungen zwischen Israel und seiner arabischen Bevölkerung, ein postapokalyptisches Israel, das nur noch aus Tel Aviv besteht, und viele andere mögliche Zukünfte.

Zeitgenössische israelische Autor:innen spekulativer Literatur sind und waren auch in der Kunstform der Kurzgeschichte aktiv, die seit der Zeit von H. G. Wells eine zentrale Stellung in der Science Fiction einnimmt. Zeitschriften wie Fantasia 2000, die zwischen 1978 und 1984 erschienen, boten eine Plattform für genuin israelische Science Fiction sowie für Geschichten, die aus dem Englischen und anderen Sprachen übersetzt wurden, und es gab auch eine ganze Reihe Sammlungen von Science Fiction-Kurzgeschichten einzelner Autor:innen.

Aber fast alle diese Werke wurden auf Hebräisch geschrieben, und Hebräisch ist keine Sprache, die außerhalb der Grenzen Israels weithin gesprochen wird. Daher hätte diese Fülle an reichhaltiger und anregender israelischer Science Fiction genauso gut auf einem anderen Planeten veröffentlicht werden können, wenn man sich den (inexistenten) Einfluss ansieht, den sie auf Science Fiction-Leser:innen in der restlichen Welt hatte. Deswegen diese Anthologie, die erste englischsprachige Sammlung neuerer spekulativer Literatur aus Israel. Einige der Geschichten, wie die von Lavie Tidhar, Nir Yaniv und Eyal Teler, wurden auf Englisch geschrieben und ursprünglich sogar in amerikanischen Science Fiction-Magazinen veröffentlicht. Der Großteil allerdings der hier enthaltenen Geschichten, von Gail Hareven, Gur Shomron, Nitay Peretz, Nava Semel und anderen, wurde aus dem Hebräischen übersetzt und so den westlichen Leser:innen jenseits der Sprachbarriere nahegebracht. Dazu gibt es eine Geschichte von Pesakh (Pavel) Amnuel, die aus dem Russischen übersetzt wurde.

Botschaften aus einer anderen Welt, in der Tat. Mitteilungen über eine Version der Zukunft, die sich von der unterscheidet, die die meisten von uns kennen, und die uns von einem weit entfernten Ort übermittelt werden, der zufällig diesen kleinen Planeten mit uns teilt.

EINLEITUNG

Sheldon Teitelbaum & Emanuel Lottem

Übersetzung: Claudia Rapp

Der Staat Israel kann als die Science Fiction-Nation schlechthin angesehen werden – das einzige Land auf der Welt, das nicht nur von einem, sondern von zwei bahnbrechenden Werken inspiriert wurde: der hebräischen Bibel und dem utopischen Roman Altneuland des zionistischen Ideologen Theodor Herzl aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert.

Der erst siebzig Jahre alte jüdische Staat bringt mit grenzenlosem Aplomb futuristische Erfindungen hervor: wundersame Science Fiction-Produkte wie biologisch einbettbare PillCams, tragbare elektronische Tauchkiemen, Kolibri-Spionagedrohnen, im Labor gezüchtete Kunstfleisch-Hühnerbrüste, Mikrokopter-Strahlungsdetektoren, SMS schreibende Obstbäume, milliardenschwere Computer- und Smartphone-Apps wie Waze und Viber und nicht zuletzt die Supermarktwunder Kirschtomate und kernlose Wassermelone.

Was Israel noch nicht hervorgebracht hat – und damit steht es praktisch allein unter den entwickelten Nationen der Welt –, ist ein maßgeblicher Band, der israelische spekulative Geschichten in jeder Sprache versammelt.1Zion’s Fiction: Phantastische Literatur aus Israel (im Original Zion’s Fiction: A Treasury of Israeli Speculative Literature) soll diesem Versäumnis abhelfen. Das Buch wird den Blick auf einen winzigen, vernachlässigten und selten betrachteten Urquell israelischer Literatur freigeben, und wir hoffen, dass man uns verzeiht, wenn wir diese Texte als „Zi-fi“ bezeichnen.

Zi-fi: Wir definieren diesen Begriff als spekulative Literatur, die von Bürger:innen und ständigen Einwohner:innen Israels – Jüd:innen, Araber:innen oder anderen – geschrieben wird, unabhängig davon, ob sie in Israel selbst oder im Ausland leben und in Hebräisch, Arabisch, Englisch, Russisch oder einer anderen im Heiligen Land gesprochenen Sprache schreiben.

In der Hauptsache beleuchtet dieser Band jedoch eine kleine, aber wachsende Gruppe israelischer Autor:innen, die sich ganz bewusst als Lieferanten einheimischer Science Fiction und Fantasy (SF/F) sowie anderer Arten spekulativer Literatur in hebräischer, englischer und russischer Sprache für den lokalen und internationalen Markt betätigt haben.

Wir präsentieren hier eine große Auswahl an Geschichten, deren Verfasser:innen die gesamte Bandbreite der modernen israelischen SF/F-Szene abdeckt: Männer und Frauen, junge und nicht mehr ganz so junge, in Israel geborene und eingewanderte, professionelle Autor:innen und Amateure; einige leben weiterhin in Israel, andere sind im Ausland ansässig. Nicht wenige haben bereits Geschichten im Ausland veröffentlicht, für andere ist dies der erste Ausflug auf die internationale Bühne. Viele sind ein fester Bestandteil des israelischen SF/F-Fandoms (mehr dazu weiter unten); andere sind Mainstream-Autor:innen, die irgendwann in ihrer Karriere beschlossen haben, SF/F-Tropen als Vehikel für ihre Botschaft und ihre Launen zu nutzen. Sie alle haben jedoch eines gemeinsam: Durch die Übernahme der Tropen der spekulativen Fiktion haben sie sich alle gegen eine tief verwurzelte, weit verbreitete und seit langem bestehende kulturelle Abneigung gewehrt, die von einem Großteil der israelischen Leser:innen, Schriftsteller:innen, Kritiker:innen und Wissenschaftler:innen gegenüber den meisten Erscheinungsformen der einheimischen und importierten spekulativen Fiktion – Science Fiction, Fantasy und Horror – geteilt wird; manche haben dieser Abneigung gar einen heftigen Tritt verpasst.2 Es ist der zugrundeliegende Widerspruch zwischen den erwähnten Science Fiction-Wurzeln und dieser beinahe urtümlichen Abneigung, der, wie wir glauben, die Veröffentlichung dieses Buches zu einem wundersamen Ereignis macht.

Die Autorin Hagar Yanai beklagte 2002 in einem Essay in der Tageszeitung Haaretz, dass „Feen nicht unter unseren sich wiegenden Palmen tanzen, es keine feuerspeienden Drachen in der Höhle von Machpela [der Höhle der Patriarchen] gibt und Harry Potter nicht in Kfar Sava lebt“. Die einheimische Fantasy sei so schwach, dass eine originelle Reihe wie die Harry Potter-Bücher „im Staat der Juden nicht veröffentlicht werden könnte“.3

Daraus ergibt sich ein Paradoxon: In einer Nation, deren Existenz von einer SF/F-Vision inspiriert wurde, war SF/F bis vor Kurzem völlig tabu, und selbst heute wird sie von den meisten kulturellen Größen gemieden. Und das, obwohl die Wissenschaftlerin Danielle Gurevitch darauf hinweist, dass „in der frühen jüdischen Tradition die Fantasyliteratur […], die sich mit wunderbaren Taten, Magie und Wundern befasste, die die Erlösung beschleunigen sollten, sowie mit einer reichen Vielfalt an unglaublichen Geschichten von Reisen ins Heilige Land […], eine treibende Kraft in der Geschichte und im Denken des Volkes war“.4

Der Gelehrte Adam Rovner erinnert uns daran, dass alle Nationen und Länder, unabhängig davon, welchen Wert sie der Fantasie beimessen und wie sehr sie bestimmte Formen der Phantastik auch stigmatisiert haben mögen, zu Inkarnationen von fabelhaften Geschichten werden, die von ihren Bewohner:innen oder ihren Invasor:innen erzählt werden. Das gilt zum Beispiel für England, das sich an den Artuslegenden orientierte, und es gilt auch für die frühen Inkarnationen des biblischen jüdischen Heimatlandes, das sich vom Buch Josua inspirieren ließ. „Die zionistische Geschichtsschreibung und die Literaturgeschichte“, so Rovner, „haben seit langem die enge Verbindung zwischen dem, was heute als Nation und Narrativ alliteriert wird, aufgezeigt“.5

Andererseits ist die „Bereitschaft, seltsamen Fremden und ungewöhnlichen Ereignissen, die nur dem Geist der Spielerei oder Laune dienen, die Tür zu öffnen, minimal“, und zwar im heutigen Israel ebenso wie schon in den Jahren vor der Gründung des Landes, sagt die Autorin Gail Hareven.6

Wie kommt das? Woher stammt diese allergische Reaktion auf Phantastik in der Literatur?

Es gibt mehrere mögliche Erklärungen. Eine davon ist, dass die Abneigung gegen SF/F einfach aus dem Ausland importiert wurde. Schließlich müssen wir zugeben, dass die westliche Kultur der SF/F viele Jahre lang mit leichter Herablassung begegnet ist, um es vorsichtig auszudrücken. Bis vor Kurzem war sie kulturell nicht als Hochliteratur akzeptiert: geeignet für Jungen im Teenageralter (nicht für Mädchen!), ohne echte literarische Qualitäten, die Anforderungen des normalen Lebens ignorierend oder, was am schlimmsten ist, eskapistisch – suchen Sie sich Ihre Lieblingsverurteilung aus oder fügen Sie sie einfach hinzu –, angebliche Mängel, deretwegen sie historisch gesehen keinen allgemeinen Zugang zum Kanon erhalten hat. Sie wurde (und wird oft noch immer) ghettoisiert und in die Spezialregale der Buchhandlungen und Bibliotheken verbannt. Diese Haltung wurde ins vorstaatliche Israel mitgebracht und setzte sich dort durch und zwar in völlig unveränderter Form. Da sich kulturelle Einflüsse nur langsam im und durch den jüdischen Staat verbreiteten, hielt sie sich auch noch lange, nachdem die Einstellung zur SF/F etwa in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich offener und positiver wurde.

Eine andere Erklärung hängt mit der ungewöhnlichen Verachtung zusammen, die das normative Judentum sogar für seine eigenen nicht-didaktischen und heiteren Formen der Literatur hegte. Das hebräische Wort für Fantasie oder Vorstellungskraft, dimion, tauchte in diesem Sinne in der hebräischen Sprache erst im zwölften Jahrhundert in Maimonides’ Führer der Unschlüssigen (im Original: Guide to the Perplexed) auf, obwohl grundlegende biblische und postbiblische jüdische Texte oft recht frei mit erzählerischen Ausschmückungen umgingen. Häufig gingen sie ins Phantastische über, entweder um Lücken in der ursprünglichen Tora-Erzählung zu füllen oder um textliche Widersprüche aufzulösen.

Zu diesen fantasievollen Werken gehören Midraschim (exegetische Erzählungen), Meschalim (Gleichnisse und Fabeln), Aggadot (rabbinische Legenden); und mittelalterliche apokalyptische Literatur, einschließlich Hagiographie, Ma’asei Merkavah (mystische Schöpfungstheorien) oder apokryphe und pseudepigraphische Heikhalot-Texte, die himmlische Reisen beschreiben, wie die Makame Hai ben Mekitz von Abraham Ibn Esra (zwölftes Jahrhundert), die eine Expedition zu den sechs Planeten des mittelalterlichen Sonnensystems und ihren imaginären Bewohnern schildert. Die Weisen taten dieses umfangreiche Werk jedoch als „bloße Geschichten und profanes Zeug“ ab.

Es ist natürlich möglich, dass der uneingeschränkte Glaube selbst an die ausgefallensten Ereignisse die Verspieltheit übertrumpfte und jede Anerkennung des Phantastischen ausschloss. Magie und Zauberei waren trotz der Wundertaten von Moses, Elia und anderen biblischen Gestalten für die meisten gläubigen Jüd:innen nach wie vor tabu. „Du sollst nicht dulden, dass eine Hexe lebt“, befiehlt die Bibel (Exodus 22:18).

Obwohl wir zugeben, dass in beiden Erklärungen ein Körnchen Wahrheit steckt, ziehen wir es vor, die inhärente Spannung zwischen einem Traum und seiner tatsächlichen Verwirklichung zu betonen. Die Schaffung eines Anscheins von Herzls Altneuland-Vision in einer seit Langem immer wieder verwüsteten, angestammten Heimat zwang die entstehende jüdische Republik beinahe dazu, ihre Vorstellungsreserven allein durch die menschlichen Kosten zu erschöpfen. „Wenn ihr es wollt“, erklärte der moderne Prophet (der auf dem Cover seines Buches in seiner Rolle als weltraumverbundener SF/F-Autor und Ideologe abgebildet ist) bekanntlich über seinen geplanten jüdischen Staat, „ist es kein Märchen“.7

Die publizistische Absicht, die Herzl mit der Wahl einer klassischen Science Fiction-Fantasieerzählung aus dem späten 19. Jahrhundert verfolgte, um den Massen das zionistische Unternehmen vorzustellen, hat dem Aufbau der Nation jedoch wahrscheinlich einen unbequemen literarischen Nasenstüber verpasst. Denn obwohl jener intrinsisch fantastisch (im Sinne von unrealistisch) ist, betrachtet man eine ungehemmte Vorstellungskraft dabei als Gräuel. Allein der Gedanke, dass Israel von einem Science Fiction-Roman inspiriert worden sein könnte, hätte für Unmut gesorgt. Infolgedessen wurde Altneuland von zionistischen Ideologen absichtlich als einziger Text seiner Art missverstanden.

Die Schaffung einer Nation mit allem Drum und Dran, unabhängig davon, ob sie von einer literarischen Fantasie inspiriert war oder nicht, erforderte Glaubensressourcen sehr viel praktischerer Natur. Diese Aufgabe erwies sich als äußerst anstrengend, zermürbend, blut- und ressourcenaufwendig und unheilvoll. Die Umsetzung des zionistischen Projekts bot wenig Raum für und Lust auf fantasievolle, unbeschränkte Unternehmungen, ganz gleich welcher Herkunft. Als erklärtermaßen pragmatischer Haufen hüteten sich die Zionist:innen allzu strikt vor unausgegorenen Plänen und Geschichten, bei denen man die Sterne in den Augen der Verfasser:innen wie auch des Publikums sieht.

Das zionistische Vorhaben war zudem von Anfang an eine Gesamtanstrengung: Von jedem Einzelnen wurde erwartet, dass er seinen Beitrag zur Verwirklichung des gemeinsamen Traums im Rahmen seiner Möglichkeiten leistete, unabhängig von persönlichen Kosten, Wünschen, Idealen oder Neigungen. Es war ein Traum von einer neuen Nation, einem rechtmäßigen Mitglied der Weltgemeinschaft, das in Frieden und Harmonie mit seinen Nachbarn lebt; von einer neuen, gerechten, lebendigen Gesellschaft, in der jede:r die gleichen Rechte und Pflichten hat und für das Gemeinwohl arbeitet; von einer neu belebten Sprache, dem Hebräischen, das für alle Zwecke, ob erhaben oder weltlich, verwendet wird und die verschiedenen Sprachen ersetzt, die von den Jüd:innen in der Diaspora gesprochen werden; und von einem neuen Menschen, dem Sabra: ein unabhängiges, willensstarkes, kratzbürstiges, hart arbeitendes, idealistisches Individuum, das diametrale Gegenteil des unterdrückten Diaspora-Juden. Versinnbildlicht in der Figur des Uri, dem Helden in Moshe Shamirs 1947 erschienenem Roman Er ging in die Felder (He Walked through the Fields, später ein Theaterstück, dann ein Film), und dargestellt in zahlreichen anderen Geschichten, Gedichten, Romanen, Theaterstücken und Filmen wurde diese idealisierte neue Art Jude zur vielleicht größten Hoffnung und letzten Errungenschaft des Zionismus.8

In diesem Schema war kein Platz für Schmarotzer, auch nicht für Menschen, die über imaginäre Welten oder Zwangslagen schreiben wollten. Sie hatten kein moralisches Recht, ihren eigenwilligen Neigungen nachzugehen; das, worüber sie schreiben sollten, musste sich direkt auf den Aufbau der neuen Nation beziehen. Es war erlaubt, ja sogar erwünscht, in Geschichten die Fehler der Nation zu kritisieren; sie zu preisen war noch willkommener. Wenn man von diesen Optionen abwich, würde niemand das Werk veröffentlichen oder gar lesen.

Darüber hinaus hatte sich die Führung des hochgradig politisierten Jischuw, der jüdischen Gemeinde im vorstaatlichen Mandatsgebiet Palästina, seit der Jahrhundertwende zunehmend sozialistisch orientiert. In den späten 1920er Jahren war die politische Vorherrschaft der Arbeiterbewegung dann nahezu vollständig. Für den vorliegenden Kontext ist dies insofern von Bedeutung, als sowohl der Sozialismus als auch der Zionismus der Rolle der Intellektuellen bei der Gestaltung einer neuen Gesellschaft – mit einer neuen Kultur und einem neuen Menschenschlag – große Bedeutung beimaßen, und die Kombination dieser beiden Ideologien verstärkte diese Bedeutung tendenziell noch.

Schon lange vor der Gründung des jüdischen Staates wurde von israelischen Schriftsteller:innen erwartet, dass sie die hanebüchene Fantasie eines jüdischen Heimatlandes in einer streng mimetischen oder naturalistischen Literatur wiedergeben. Diese Tätigkeit wird von Fantasy- und Science Fiction-Autor:innen (wenn sie sie nicht als lästiges Klischee meiden) gemeinhin als Worldbuilding bezeichnet.9 Doch diese Notwendigkeit erforderte paradoxerweise, eine damals fünfzig Jahre alte hebräische Literatur von ihrem künstlichen Biblizismus, ihren romantischen Bestrebungen, ihren übermäßig nostalgischen, unrealistischen, idealisierten Anliegen und Tropen zu befreien. Diese Charakteristika, so argumentierten einige, hätten die hebräische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts gefährlich eskapistisch werden lassen. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, verlangte die Ideologie von Schriftsteller:innen, Dichter:innen und anderen Künstler:innen, die zionistische Mission – ein so unwahrscheinliches und schwieriges Unterfangen wie der Auszug aus Ägypten – mit aller Härte und allem Realismus darzustellen, den sie aufbringen konnten.

Die ideologische Kontrolle war ziemlich streng, auch wenn das nur wenige laut ausgesprochen hätten. Der Jischuw war immer ein demokratisches Gemeinwesen gewesen, und theoretisch genoss jede:r Künstler:in, Dichter:in, Autor:in oder Denker:in völlige Meinungsfreiheit. Doch der gesellschaftliche Druck war überwältigend: Es war die heilige Pflicht der Intellektuellen, das Gemeinwesen zu inspirieren und sich von ihm inspirieren zu lassen, es zu bereichern und gegebenenfalls zu kritisieren und vor allem der jüngeren Generation die Werte, Haltungen und Bestrebungen der Älteren zu vermitteln. Eine Abweichung von dieser Rolle war verpönt, manchmal sogar heftig, und auf praktischer Ebene konnten diejenigen, die sich nicht an diese strengen Vorgaben halten wollten, kaum die Mittel (z. B. einen Verlag) finden, um die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Institutionelle Verlage mit vielsagenden Namen wie Am Oved („Ein arbeitendes Volk“) oder Sifriyat Po’alim („Bibliothek der Arbeiter“) hatten sehr klare Ziele. Aber auch privat geführte, bürgerliche Verlage sahen sich als Teil des zionistischen Unternehmens.

So entwickelte sich eine Gruppe von „Gatekeepern“, die das kulturelle Schaffen des Jischuw faktisch kontrollierten: Verleger:innen, Redakteur:innen von Literaturmagazinen und -zeitschriften, Literaturkritiker:innen, Literaturprofessor:innen und so weiter. Diese kleine, aber sehr einflussreiche Gruppe hatte das letzte Wort darüber, was die Öffentlichkeit lesen konnte, und da sie von einer zionistisch-sozialistischen oder einfach nur zionistischen Ideologie durchdrungen waren, war ihr Urteil praktisch endgültig.

Natürlich war die Abneigung gegen spekulative Literatur nur eine der liebenswerten Eigenschaften der Torwächter:innen; tatsächlich war sie nur eine marginale Facette ihrer allgemeinen Kontrolle, da sie in diesem Bereich nur mit sehr wenigen Fällen zu kämpfen hatten. Vielmehr waren sie die Hüter der ideologischen und moralischen Reinheit.10 Nehmen wir den Fall von Dr. Yaacov Winshel (1891-1980), einem bekannten Arzt, der sich nebenbei auch als Schriftsteller betätigte. Im Jahr 1946 verfasste er eine Novelle mit dem Titel Der letzte Jude, die eines der ersten alternativen Geschichtsszenarien der Nachkriegszeit darstellte. In der Geschichte wird ein Sieg der Nazis im Zweiten Weltkrieg postuliert – ein Vorläufer dessen, was zu einem bedeutenden SF-Subgenre werden sollte. Winshel konnte nur einen unbedeutenden Verlag für dieses Werk finden, das von den Literaten des Jischuw schlichtweg ignoriert wurde. Ironischerweise hatte der Grund für diese kalte Schulter wenig mit der literarischen Qualität der Novelle zu tun, nicht einmal mit ihrer Genrezugehörigkeit. Winshel war nämlich ein prominentes Mitglied der revisionistischen Bewegung, ein Schüler ihres Führers Ze’ev Jabotinsky. Die Revisionisten waren die Todfeinde der sozialistischen Zionisten (manchmal sogar wortwörtlich); daher blieben Winshels Schriften eindeutig unangemessen.

Obwohl sie für einen säkularen Messianismus empfänglich waren, der Erlösung durch nationale Erneuerung versprach, wandten sich die sozialistischen Zionisten jener Tage von den mystischen, übernatürlichen Aspekten der hebräischen Bibel ab. Sie hatten keine Verwendung für die wundertätigen chassidischen Überlieferungen. Aber sie verachteten auch das vermeintlich rationalere Judentum der Mitnagdim, der glühend religiösen, aber übermäßig dogmatischen Gegner des Chassidismus, zutiefst. Sie waren der Meinung, dass die Religiosität in all ihren Formen dazu beigetragen hatte, jüdische Wurzellosigkeit, Passivität, Schwäche, Hyperintellektualität, Abhängigkeit und Hilflosigkeit zu erzeugen und aufrechtzuerhalten, was im Holocaust seinen grausamen Höhepunkt fand. Stattdessen konzentrierten sich die Gründer auf geografische, historische und archäologische Berichte über eine kontinuierliche jüdische Präsenz im Heiligen Land, die, so glaubten sie, letztlich durch empirische Mittel bestätigt werden könnten.

Es überrascht nicht, dass spekulative Literatur – das, was der Rest der Welt gemeinhin als Fantasy, Science Fiction und Horror bezeichnet – in der Welt der hebräischen Belletristik keinen Platz hatte, nicht einmal in der sogenannten Populärliteratur. Sicherlich lasen einige Israelis kommerzielle Belletristik in Übersetzung oder in der Originalsprache der Veröffentlichung, und dazu gehörte vielleicht auch etwas SF/F. Aber einheimische Genreliteratur, vor allem in Form des besonders billigen, ursprünglich jiddischen Ablegers der Pulp Fiction, „shundt“ (also schlicht: Schund) genannt, hatte keine Bedeutung für den Aufbau der Nation und die Konsolidierung ihrer Errungenschaften – oder für den Versuch, einen lebendigen hebräischen Literaturkorpus zu schaffen. Folglich fand sie weder seriöse Verleger noch eine breite Leser:innenschaft.

Laut dem Soziologen Nachman Ben-Yehuda von der Hebrew University, einem Experten für soziale Abweichung, bezeichneten die israelischen Kulturkommissare Science Fiction als ein besonders ungeheuerliches Beispiel für kulturelle Inauthentizität.11 Offenbar in Unkenntnis der Tatsache, dass Herzl seinen utopischen Roman Altneuland an Theodor Hertzkas utopisches Werk Freiland angelehnt hatte, während er gleichzeitig versuchte, den Erfolg des Bestsellers Looking Backward: 2000-1887 des amerikanischen Protosozialisten Edward Bellamy nachzuahmen – ein Genre-Klassiker von unbestreitbarem Rang –, betrachteten sie SF/F als kindische Ablenkung. Ironischerweise hatten sich einige dieser Leute für den umfassenden Import russischer, insbesondere sowjetischer, literarischer Formen und Tropen eingesetzt, die ihre Entwicklung als Revolutionäre geprägt hatten. Die eher linksgerichteten Ideolog:innen unter den literarischen Torwächter:innen des Jischuw sahen eine Parallele zwischen dem Vorhaben des sozialistischen Zionismus, eine Nation aufzubauen, und dem vermeintlichen Erfolg der Bemühungen um die Schaffung eines Arbeiterparadieses in der UdSSR.

Diese Neigungen erstreckten sich auch auf die Art der Bücher, die für die Übersetzung ins Hebräische ausgewählt wurden. Natürlich wurde von den Verleger:innen erwartet, dass sie Werke aus dem anerkannten westlichen Literaturkanon importierten, übersetzten und veröffentlichten. Im Übrigen veröffentlichten sie Bücher, die ostentativ den vermeintlich aufstrebenden, revolutionären Zeitgeist in der Sowjetunion (rückblickend eine weitere Form wildgewordener Fantasie) oder die vermeintliche Dekadenz ihrer Gegner widerspiegelten. In einer Verlegernotiz, die der hebräischen Übersetzung von Allen Drurys Advise and Consent als Postskriptum beigefügt wurde, fühlten sich die Herausgeber (die bereits erwähnte Sifriyat Po’alim) beispielsweise verpflichtet, ihren Leser:innen zu erklären – und das noch 1960 –, dass „der Autor vorgab, uns auf beruhigende Weise den Triumph der geistig-moralischen Stärke der Wortführer dieser großen Nation [der Vereinigten Staaten] zu zeigen, aber in Wahrheit gab er uns Anlass zu großer Sorge. Es stellt sich heraus, dass sogar die ehrlichen und anständigen unter ihnen vom Hass [auf die Sowjetunion] verzehrt werden“, und so weiter.

Gleichzeitig überließ man die leichte Unterhaltung und den Zeitvertreib weitgehend dem bereits erwähnten „shundt“, dem Kino, dem gemeinschaftlichen Lagerfeuer, dem gemeinsamen Singen und viel später dem Fernsehen. Das Fernsehen ist vielleicht das beste Beispiel für die Nachhutgefechte der israelischen Kulturwächter. Noch 1966 war es in Israel schlichtweg verboten, weil Premierminister David Ben-Gurion befürchtete, dass es „den Geist der Kinder ablenken würde, sodass sie, anstatt zu lernen und ihr Wissen zu erweitern, von vulgärer Unterhaltung gefesselt würden“.12 Und selbst nach der Einführung des Fernsehens (lange nachdem der alte Mann aus dem Amt geschieden war) hatte das Land noch zwanzig Jahre lang nur zwei Kanäle, die beide unter staatlicher Kontrolle standen. Der Übergang zur heutigen Situation mit zahlreichen öffentlichen und kommerziellen Kanälen, Kabel- und Satellitensendern und schließlich Streaming-Angeboten wurde durch dieselben Kräfte motiviert, die auch die israelische Literatur viel diverser gemacht haben. Dazu später mehr.

Nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 hätten die Schriftsteller:innen der jüngeren Generation – die so genannte Dor haMedina oder Generation der Eigenstaatlichkeit – jedoch in der Lage sein können, den Trend umzukehren, sollte man meinen. Schließlich hatte sich der zionistische Traum erfüllt: Es gab einen jüdischen Staat, und vielleicht war es an der Zeit, dass die Intellektuellen, insbesondere die Schriftsteller:innen und Dichter:innen, ihrer Fantasie freien Lauf ließen. Man hätte daraus schließen können, dass der Boden bereit war für eine poststaatliche Literaturszene, die der Fantasie mehr zugetan war. Leider erwies sich die Art des Fabulierens, mit der sich diese Männer und Frauen beschäftigten, als völlig anders als jedes andere Genre der spekulativen Literatur, das die Welt gesehen hat.

Denn mit jedem Jahr, das verging, wurde die Normalität, nach der sich Israel so verzweifelt sehnte, immer unerreichbarer. Das Land ging aus dem Unabhängigkeitskrieg ohne anerkannte Grenzen hervor. Die palästinensischen und anderen arabischen Gegner schworen, das, was sie als Nakba, als katastrophale Niederlage, bezeichneten, durch weitere Kriegsrunden wiedergutzumachen – so viele, wie nötig sein würden, um die Region von ihren nicht einheimischen Jüd:innen zu befreien. In ähnlicher Weise erwarteten die Israelis die zweite Runde (und dann die dritte und vierte und …), von der sie sich erhofften, dass sie mit haltbareren Grenzen enden würde, die die unhaltbaren Waffenstillstandslinien von 1949 ersetzen konnten.

Je unsicherer die Aussichten des Landes waren, desto mehr bemühten sich seine Erzähler, die langweiligen, banalen und alltäglichen Realitäten festzuhalten, die sich ihnen entzogen – also die umfassende Aneignung eines besonderen literarischen Genres, das von osteuropäischen Konventionen des sozialen, politischen und psychologischen Realismus bestimmt wurde. Die Tatsache, dass solche Realitäten in Israel nur selten außerhalb einzelner Gebiete anzutreffen waren, hielt nur wenige davon ab.

Die frühe israelische Literatur beschränkte sich daher, wie die Autorin und Wissenschaftlerin Elana Gomel und andere beobachtet haben, auf flüchtige Betrachtungen begrenzter Aspekte des Kibbuz-Lebens, auf bürgerliche Melodramen, die in Tel Aviv spielten, auf Darstellungen der schlimmen Lage der fast mittellosen sephardischen und mizrachischen Einwanderer:innen, die in Randgebiete geschickt wurden; auf oft eigennützige Reminiszenzen an den vorstaatlichen Untergrund; auf den damals noch schambesetzten Holocaust, der mit dem biblischen Ausdruck „wie Lämmer zur Schlachtbank“ umschrieben wurde (diese Haltung sollte sich erst während des Eichmann-Prozesses 1961 drastisch ändern); auf die Anforderungen des Armeelebens; und, selten, auf verschiedene romantisierte Aspekte des Alltagslebens.13

„Die israelische Literatur unserer Generation“, so der Autor und Kritiker Ioram Melcer, „hält sich an den Rahmen der israelischen Realität und geht kaum darüber hinaus. Die israelische Zeit, der israelische Mensch, die israelische Soziologie, die israelische Problematik, die ideologische Teilung Israels – oder mit anderen Worten, die israelische Existenz und das israelische Wesen – bilden den wichtigsten Bezugsrahmen für den größten Teil der in Israel geschriebenen hebräischen Literatur.“ Das vorgegebene Schema, der Realismus selbst, sollte, wie Gomel anmerkt, zu einer besonders israelischen Form der Fantasterei werden, die mit jedem Jahrzehnt erfindungsreicher nach innen gerichtet und selbstreflexiv (oft bis hin zu schändlichem Narzissmus) wurde.14

All dies sollte, wie wir betonen müssen, nicht als eine Kritik an der Qualität des literarischen Schaffens dieser Schriftsteller:innen, Dichter:innen und Dramatiker:innen oder ihrer Vorgänger:innen missverstanden werden. Schriftsteller wie Moshe Shamir, Yizhar Smilansky, Hanoch Bartov, Nathan Shaham und Aharon Meged, Dichter wie Avraham Shlonsky und Nathan Alterman sowie viele andere haben im Rahmen der oben genannten Zwänge literarische Meisterwerke geschaffen. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass sie in einer Weise eingeschränkt waren, wie es ihre Nachfolger:innen nicht sind.

In Structural Fabulation definierte der Wissenschaftler Robert Scholes seinen Gegenstand als „fiktionale Erkundung menschlicher Situationen, die durch die Implikationen der neueren Wissenschaft wahrnehmbar gemacht werden“.15 Die israelische Belletristik hingegen stellte sich ein jüdisches Gemeinwesen vor, das durch Grade der Normalität wahrnehmbar gemacht wird, die unter den im Nahen Osten herrschenden Bedingungen nicht wirklich existieren oder Bestand haben können. Die israelische Literatur feierte das Banale und ignorierte oder verharmloste oft jene lokalen und regionalen Umstände, die die meisten Bemühungen um eine von Routinen geprägte, alltägliche Existenz mit Implosion oder Schlimmerem bedrohten. In Anlehnung an Scholes könnten wir dieses vielleicht einzigartige Subgenre „Fabulistischen Realismus“ nennen.

Die bisherige Geschichte lässt sich mit einem besonderen und problematischen Konzept umschreiben, das für die spekulative Literatur seit ihren Anfängen von zentraler Bedeutung ist: der Utopie. „Israel“, so der Soziologe Baruch Kimmerling, „wurde [wenn auch nur kurz – d. Hg.] als die einzige erfolgreiche Materialisierung der Utopie in der Welt angesehen.“ Als solche, bemerkt Gomel, „repräsentiert Israel einen Erwartungshorizont, eine Vision der Vollkommenheit, gegen die das Durcheinander der tatsächlichen Geschichte unweigerlich als bloßes Übergangsstadium und flüchtig erscheint … Israel steht im selben Gattungskontinuum wie andere postapokalyptische und postutopische Texte.“ Die Bewohner:innen des jüdischen Heimatlandes suchen immer wieder nach physischer, psychischer oder digitaler Erholung von der unerbittlichen Feindseligkeit, die sie in den letzten hundert Jahren erdulden mussten (das von Israelis in diesem Zusammenhang oft gebrauchte Schlagwort ist „eine Villa im Dschungel“). Die Israelis, so schreibt die Kulturbeobachterin Diana Pinto, sehen sich heute als „Bewohner eines eigenen Cyberspace im Herzen einer globalisierten Welt, deren postmoderne Zukunft auf wissenschaftlicher Innovation beruht“.16

Die Sozialwissenschaftler Dan Horowitz und Moshe Lissak sind der Meinung, dass diese Trends und Neigungen große Probleme für die Utopie des kleinen Staates Israel verheißen.17 Das Land, so argumentieren sie, ist überbelastet und überwältigt von konkurrierenden Stimmen, Machtzentren und Glaubenssystemen. Es ist überdies in einem Windkanal gefangen, in dem das Echo immerwährender Argumente mehr inneren Sturm und Drang impliziert, als die stabilisierende Wirkung bestehender institutioneller, kultureller und politischer Kontrollen und Gleichgewichte dämpfen kann.

Ein Kontinuum, das, wie alle Utopien, seine erklärten Ziele nie erreichen kann, wirft besondere existenzielle Schwierigkeiten auf. Der gesamte Sinn der Wiederbesiedlung der alten jüdischen Heimat bestand darin, den territorialistischen Ansatz zu vermeiden, der Ostafrika, Argentinien oder den Bundesstaat New York zu Zufluchtsorten für staatenlose Jüd:innen gemacht hätte.18 Das Land Israel, ob ganz oder teilweise, war bei diesem Prozess der Rückführung nicht nebensächlich. Es war unerlässlich.

Die israelische Leser:innenschaft hat sich als eine der unersättlichsten überhaupt erwiesen. Aber für sie blieben Experimentierfreude, Egoismus und Eigenartigkeit, die sie vor der Staatsgründung 1948 verachtet hatten, auch danach ein Tabu. Die selbst ernannten literarischen Torwächter wirkten und herrschten weiter wie zuvor. Es gab nach wie vor keine Toleranz für kulturelle (geschweige denn persönliche) Abweichungen. Für apokalyptische Träumereien war erst recht kein Platz, zumal diese nicht der Fantasie entsprangen, sondern der harten Realität entsprachen und daher unerträglich unangenehm waren. Wie der SF/F-Autor Larry Niven einmal sagte: „Ich weiß nicht, wie man Israelis erschrecken kann.“ Unter diesen Umständen, so Hareven, hätte selbst Franz Kafka nie die literarische Karriere gemacht, die er gewählt hat, wenn er sich seinen Traum erfüllt und sich im Land Israel niedergelassen hätte.19

Was den Import betrifft, so gab es einige bemerkenswerte Ausnahmen; einige wissenschaftlich angehauchte Romane von H. G. Wells, Jules Verne, Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle, H. Rider Haggard und Edgar Rice Burroughs gelangten an den Wachtürmen vorbei (die meisten davon direkt in die Regale für junge Leser:innen), ebenso wie einige Werke von Mainstream-Autor:innen wie Orwells 1984 oder Huxleys Brave New World sowie Kurzgeschichten von André Maurois – aufgrund des guten Rufs dieser Autoren. Die kommerzielle Literatur, die populäre Belletristik und die Subgenres der Groschenromane blieben jedoch in den Augen glühender Zionist:innen ungeeignet für ernsthafte Menschen, die eine Nation aufbauen wollten.

Wie kommen wir nun von all dem zu einem soliden Kompendium der israelischen spekulativen Fiktion? Wie so viele große, glänzende und, in den Augen skeptischer Israelis, absurde Dinge kam auch die SF/F ursprünglich aus Amerika. Sie tauchte zunächst in Form von B-Movies aus den 1950er Jahren auf und dann in einer ungleichmäßig hereintröpfelnden Reihe hebräischer Übersetzungen, die ihre allzu optimistischen Verlagsverfechter:innen oft in den Ruin trieben. Ein Trio kurzlebiger Zeitschriften, die in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren herausgegeben wurden, fand das gleiche Ende.

Zu dieser Zeit waren selbst übersetzte moderne SF-Romane rar gesät und erschienen fast ausschließlich in der hebräischen Version von shundt, die „roman za’ir“ (winziger Roman) genannt wurde – mit anderen Worten: Es handelte sich um Schundliteratur. Originalwerke waren unbekannt, und Fantasy gab es nur in Kinderbuchregalen. Asimov? Clarke? Heinlein? Keine Chance. Science Fiction war so selten, dass man nicht einmal wusste, wie man sie nennen sollte. Israelische Fans stritten eine Generation lang über die jeweiligen Vorzüge von „mada bidioni“ (fiktive Wissenschaft) und „mada dimioni“ (imaginäre Wissenschaft). Ersteres setzte sich schließlich durch (obwohl einige weiterhin dagegen argumentieren).

Anfang der sechziger Jahre stieß einer der Herausgeber (E. L.) auf eine hebräische Übersetzung (im Pulp-Format) von Robert Heinleins The Puppet Masters durch den verstorbenen Amos Geffen. Fasziniert machte er sich auf die Suche nach weiteren Werken dieser Art, jedoch ohne Erfolg. Erst als er 1970 für sein Studium nach London ging, entdeckte er den Reichtum der modernen SF/F. Die Erkenntnis, dass man nur um die Ecke zum nächsten W. H. Smith’s gehen musste, um die Art von Büchern zu bekommen, die man mochte, war eine lebensverändernde Offenbarung.

Die einzige vermeintlich israelische SF, die in dieser Zeit erschien, stammt aus der Feder von Mordecai Roshwald. Dieser in Polen geborene Schriftsteller und Akademiker, der von 1933 bis 1955 im Mandatsgebiet Palästina/Israel lebte, veröffentlichte seine apokalyptischen Werke, das haarsträubende Atomkriegsthema Level 7 (1959) und das satirische A Small Armageddon (1962), in den Vereinigten Staaten bzw. in England. Diese im Allgemeinen gut aufgenommenen Romane, die im Ausland geschrieben wurden und nicht direkt seine israelischen Erfahrungen widerspiegeln, sind bis heute nicht ins Hebräische übersetzt worden.

Zwei Israelis, die sich diesen Einschränkungen widersetzten, indem sie mit Science Fiction experimentierten – der Dichter und Filmemacher David Avidan und der Prosaschriftsteller Yizhak Oren – wurden in der Folge an den Rand gedrängt und erst posthum von der Kritik wieder berücksichtigt.

Der Umbruch sollte jedoch Mitte der 1970er Jahre erfolgen. Zwischen Mitte 1967 und Ende 1973 führte Israel drei große Kriege, ganz zu schweigen von zahlreichen Grenzkonflikten mit Terroristen und grenzüberschreitenden israelischen Vergeltungsangriffen. Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 erfüllte die meisten Israelis mit arrogantem Stolz, um nicht zu sagen mit Hybris, und nährte messianische Illusionen beträchtlichen Umfangs. Für viele war der zionistische Traum in diesen sechs kurzen Tagen vollständig verwirklicht – nicht zufällig, wie manche meinen, die gleiche Zeit hatte Gott für die Erschaffung des Universums benötigt. Die Zeit war gekommen, um vorwärtszuschreiten. Nachdem Israel „eine regionale Supermacht“ geworden war, konnte es sich nun leisten, seine Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur zu normalisieren.

Auch dies erwies sich als reine und gefährliche Illusion, wie der grausame Zermürbungskrieg von 1968-70 und der anschließende, fast katastrophale Jom Kippur-Krieg vom Oktober 1973 zeigten. Israels Supermacht-Illusionen lagen am Boden. Vor allem aber hatte die traditionelle Hegemonie ihre treuen Anhänger:innen eindeutig enttäuscht, ganz zu schweigen vom Land als Ganzem. Selbst das Militär, das einvernehmliche Symbol des sozialen Zusammenhalts, der nationalen Einheit, des Stolzes und des Sendungsbewusstseins, hatte nicht alle seine Versprechen erfüllt. Die Autorität stand nun zur Disposition.

Die unmittelbaren Folgen waren politischer Natur. 1977 verlor die Arbeiterpartei, die lange Zeit das Ruder im Jischuw und später im Staat Israel in der Hand gehalten hatte, die Parlamentswahlen. Doch die Bruchlinien reichten weit über die politische Arena hinaus. Die Wirtschaft des Landes veränderte sich und wies zeitweise schwindelerregende Wachstumsraten und eine Zunahme auffälligen Konsumverhaltens auf. Der Niedergang der Arbeiterpartei bei den Wahlen führte zu einem Wechsel von der sozialistischen zur liberalen Wirtschaft und, obwohl sich die wirtschaftlichen Aussichten vieler verbesserten, zu einer zunehmenden Ungleichheit bei der Einkommensverteilung. Die einst geschlossene israelische Gesellschaft zerfiel in konkurrierende Stämme (z. B. linke Idealist:innen, rechte Nationalist:innen, orthodoxe Siedler:innen, ultraorthodoxe Jüd:innen, Freibeuter-Liberale und israelische Araber:innen verschiedener religiöser und politischer Überzeugungen. Man muss wohl kaum erwähnen, dass die meisten von ihnen auch untereinander gespalten sind). Auch das Bildungswesen wurde stärker fragmentiert und kommerzialisiert. Die Kultur, die schon immer sowohl Spiegelbild als auch Vorbote des sozialen Wandels war, folgte diesem Beispiel.

Die traditionelle Hegemonie in der Kultur verlor ebenso wie in der Politik rasch an Boden. Diktate von oben über das, was in der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und in der bildenden Kunst angemessen war, verloren ihre Autorität. In den Ritzen wucherte das Unkraut. Die politische Satire zum Beispiel, die bis dahin gemäßigt und brav war, wurde nun bösartig. Damit war der Weg frei für eine größere Verbreitung von SF/F in Israel, zunächst in Form von Übersetzungen (ein Korps einheimischer Autor:innen musste erst noch entstehen). Doch ab Mitte der 1970er Jahre versorgten israelische Verlage die Buchläden mit einigen hundert recht teuren Übersetzungen gängiger Genre-Standards.

Zur gleichen Zeit veränderte sich die israelische Mainstream-Literatur rasant. Bis dahin unter ständigem ideologischem und geopolitischem Druck wie dem Israels blieben jene israelischen Schriftsteller:innen unterdrückt, die sich durch traditionelle Vorstellungen vom Hebräertum eingeengt fühlten und in der Globalisierung und im Multikulturalismus Zuflucht suchten. Doch wie die Literaturwissenschaftlerin Rachel S. Harris feststellt, versuchte die Gruppe von Schriftsteller:innen, die ab den 1970er Jahren in Erscheinung trat und zu Beginn des folgenden Jahrzehnts zu veröffentlichen begann, trotz ihrer vielfältigen kulturellen Herkunft und unterschiedlichen geografischen Ausrichtung, „den Zionismus neu zu definieren und ein neues, umfassenderes Israelitum“ unter der Ägide des so genannten Post-Zionismus zu schaffen.20

Später, als sie Zugang zum Internet hatten, waren einige dieser Newcomer erpicht darauf, mit dem Rest der Welt zu ihren eigenen Bedingungen zu verkehren.21 Auf dem Weg dorthin scheinen sie auch erfolgreich die hebräische Literatur geöffnet zu haben, die einst die alleinige Domäne der europäischen Jüd:innen und fast ausschließlich der Männer war. Jetzt haben auch Frauen mit feministischen und nicht-feministischen, säkularen oder religiösen Weltanschauungen sowie nicht-aschkenasische Schriftsteller:innen, die auf Hebräisch, Englisch und in anderen Sprachen schreiben, Zugang.

In diesem Prozess haben sie auch Foren und Märkte eröffnet und religiösen Jüd:innen, die säkularer Literatur oft abgeneigt sind, hebräisch sprechenden und schreibenden Araber:innen, russisch sprechenden Jüd:innen und Nicht-Jüd:innen sowie Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen Legitimität verschafft. Bald werden sie den einströmenden Massen französischer Einwanderer:innen und anderen verunsicherten europäisch-jüdischen Gemeinschaften, die eine Flucht aus einem zunehmend antisemitischen Europa in Erwägung ziehen, eine Stimme geben – sofern man noch eine Stimme geben kann und sie nicht abgetrotzt wird. In jüngster Zeit gibt es erste Anzeichen für Texte von Autor:innen äthiopischer Herkunft.

Am wichtigsten ist aus Sicht dieses Buches, dass nicht wenige dieser Autor:innen kommerzielle Genres und Subgenres wie Kriminalromane, Erotik, Ermittlungskrimis und Techno-Thriller, Science Fiction, Fantasy und sogar Horror mit einer Souveränität aufgegriffen haben, die vor einer Generation noch undenkbar gewesen wäre. Einige von ihnen sind sogar außerordentlich geschickt im Wechsel zwischen Genres, indem sie vom Krimi über Science Fiction bis hin zum magischen Realismus mit einer Leichtigkeit übergehen, die in Israel einst unvorstellbar war.

Das hat viele der älteren Generation der israelischen Literat:innen verunsichert. Schriftsteller:innen, Leser:innen, Verleger:innen, Kritiker:innen, Wissenschaftler:innen – sie alle schienen zunehmend anfällig für Seekrankheit. Letzten Endes blieb der israelischen Literatur jedoch das Schicksal der Nabelschau und Selbsttäuschung durch den anhaltenden Einfluss früherer Generationen von Literaturkritiker:innen erspart. Dieser Impuls hält jedoch bis heute an und erklärt die Existenz und zähneknirschende Akzeptanz einiger begrenzter Formen einheimischer spekulativer Fiktion – jener Art, die wie Orwells 1984 oder Burgess’ A Clockwork Orange erkennbare soziale und politische Probleme frontal anspricht. Wie Israels verstorbener Präsident Shimon Peres 2008 auf einer internationalen Schriftstellerkonferenz in Jerusalem sagte, sind israelische Schriftsteller:innen die Propheten der Neuzeit, deren Aufgabe es ist, die Nation zu ermahnen. „Wir mögen es, zurechtgewiesen zu werden“, bemerkt Hareven, „und wir stellen uns besonders gern als Menschen mit Gewissen vor, die getadelt werden wollen“.22

Getadelt, aber nicht düpiert.

Als die Schleusen erst einmal geöffnet waren und die Wachtürme in ihren Grundfesten wackelten, verloren die Torwächter:innen rasch ihre Macht (von der in der israelischen Kulturlandschaft immer noch schwache Spuren zu sehen sind, weil man versucht, ein Mindestmaß an Relevanz zu bewahren). Der Weg zur SF/F war frei.

Zunächst erschienen ab 1975-76 zwei Reihen übersetzter SF, die von Mainstream-Verlagen herausgegeben wurden: Die von Massada wurde von dem Journalisten, Übersetzer und späteren Verleger Amos Geffen herausgegeben; die von Am Oved von der Journalistin und Übersetzerin Dorit Landes und – für kurze Zeit – dem Dichter, Geschäftsmann, Anwalt und Wissenschaftler Ori Bernstein. Die Weiße Reihe (so benannt nach ihren früheren Titelbildern), die jetzt von Landes allein herausgegeben wird, wurde und bleibt eine Hauptstütze der israelischen SF/F.

Andere große Verlage schlossen sich bald an, vor allem Keter, dessen Reihe ursprünglich vom Philosophieprofessor Adi Zemach herausgegeben wurde, und Zmora-Bitan, der als erster Verlag auch moderne Fantasy (vor allem Tolkien) aufnahm. Einige weitere Verlage brachten zwar keine speziellen SF/F-Reihen heraus, hielten es aber dennoch für angebracht, einige Genretitel in ihre Listen übersetzter Belletristik aufzunehmen.

Eine Handvoll Zeitschriften begleitete diesen Boom, von denen die bemerkenswerteste und dauerhafteste, Fantasia 2000, von 1978 bis Ende 1984 vierundvierzig Ausgaben herausbrachte. Das organisierte Fandom, das gewöhnlich als wesentlicher Bestandteil der Entwicklung einer lebensfähigen SF/F-Szene angesehen wird, sollte erst Mitte der 1990er Jahre entstehen. Die individuelle Leser:innenschaft war jedoch eine andere Sache.

Unter der Leitung der Redakteure Aharon und Zippi Hauptman und Eli Tene (und mit bescheidener Unterstützung der beiden Herausgeber von Zion’s Fiction) übernahm Fantasia 2000 viele der didaktischen Treibhausfunktionen seiner amerikanischen Pendants wie Astounding und The Magazine of Fantasy and Science Fiction. Dabei übertraf es diese Pulp-Digests in Bezug auf die Produktionswerte und näherte sich denen der auflagenstarken Zeitschrift Omni an.

Als Hochglanz-Monatszeitschrift mit zweitausend Abonnent:innen und einem Spitzenumsatz von etwa dreitausend Kioskverkäufen brachte Fantasia 2000 eine lebhafte Leserbriefspalte, Buch- und Filmrezensionen, ein populärwissenschaftliches Ressort, Autor:inneninterviews und -profile sowie, was am wichtigsten ist, die ersten Schimmer einer einheimischen SF/F hervor. In einem Land mit damals nur 3,6 Millionen Einwohner:innen näherte sich Fantasia 2000 der typischen Pro-Kopf-Abonnent:innenzahl seiner amerikanischen und erst recht seiner britischen Pendants an – keine schlechte Leistung für eine Nischenpublikation, die zu jener Zeit die zweitteuerste an israelischen Zeitungsständen war.

Fantasia 2000 hat sich bewusst und gewissenhaft die Aufgabe gestellt, einheimische Talente zu fördern. Die Ergebnisse waren gemischt. Nicht wenige angehende Autor:innen versuchten, amerikanischen und britischen SF/F-Magazinen nachzueifern und produzierten langweilige Geschichten mit plumpen Plots und unscheinbaren Charakteren. An diesen Beiträgen ließ sich nur wenig finden, was besonders israelisch oder gar jüdisch wäre, es sei denn, es handelte sich um die Autor:innenschaft. Aber es gab einige herausragende Werke. 1980 veröffentlichte der Kurzgeschichtenautor David Melamed Tsavo’a beCorundy (Eine Hyäne in Corundy), eine gelungene Sammlung mit mehreren Geschichten, die zuerst in Fantasia 2000 veröffentlicht wurden. Das Buch wurde von der Kritik jedoch nur wenig gewürdigt, was Melamed schließlich dazu veranlasste, dem Genre den Rücken zu kehren. Hillel Damron, ein Filmemacher für die Histadrut, die nationale Gewerkschaft, veröffentlichte 1982 die Romanfassung seiner denkwürdigen Kurzgeschichte Milhemet haMinim (Der Krieg der Geschlechter). Kurz darauf wanderte Damron in die Vereinigten Staaten aus, wo er im Selbstverlag mehrere Mainstream-Romane in englischer Sprache veröffentlichte.

Andere namhafte Fantasia 2000-Absolvent:innen waren der Genetiker Ram Mo’av, Ruth Blumert, Yivsam Azgad, Ortsion Bartana und Mordechai Sasson. Sassons Geschichte Die Stern-Gerlach-Mäuse (1984), die in dieser Anthologie enthalten ist, ist ein typisches Beispiel für die in Fantasia 2000 veröffentlichten Originalgeschichten. Herausgeber Aharon Hauptman machte eine Karriere als Futurist und ist derzeit leitender Forscher in der Abteilung für Technology and Society Foresight an der Universität Tel Aviv. Gabi Peleg, die letzte Redakteurin von Fantasia 2000, hat sich der Computerprogrammierung zugewandt. Der Illustrator Avi Katz, der schon früh zu Fantasia 2000 gestoßen war, hat später Cover für HaMemad haAsiri der Israeli Society for Science Fiction and Fantasy (ISSF&F, auch dazu später mehr) und für den Jerusalem Report beigesteuert.

Trotz der Entstehung einer aufkeimenden Fanszene und der Veranstaltung der ersten SF/F-Convention des Landes im Jahr 1981 ging der Aufschwung 1982 zu Ende. Damals trug der Juni-Krieg mit dem Libanon dazu bei, dass eine internationale Convention in Jerusalem, die bereits auf wackligen finanziellen Beinen stand, abgeblasen werden musste. In der Folge stürzte die israelische Wirtschaft in eine Hyperinflation ab. (Zum Beispiel betrug der Kioskpreis der Ausgabe Nr. 33 von Fantasia 2000 (Juli 1982) 37 Schekel; die Ausgabe Nr. 44 (August 1984) kostete 750 Schekel. In Bezug auf die Kaufkraft waren diese Beträge ungefähr gleichwertig). 1984 stellte Fantasia 2000 ihr Erscheinen ein, nachdem sie einen großen Teil ihrer Leser:innenschaft verloren hatte.

Der nächste Versuch eines kommerziellen SF/F-Magazins, Halomot be Aspamia (übersetzt: Luftschlösser in Spanien – dem Ort, an dem Schlösser gebaut werden, sowohl im hebräischen als auch im englischen Idiom), begann 2002 mit der Veröffentlichung von hebräischer Originalliteratur unter der Ägide von Nir Yaniv und Vered Tochterman. Auch dieses Projekt wurde 2008 eingestellt und Anfang 2016 als webbasierte Publikation wiederbelebt. Ein englischsprachiges Fanzine, CyberCozen, das seit 1988 von einem in der Stadt Rehovoth ansässigen Fanclub in englischer Sprache herausgegeben wird, ist online zu finden.23 Die erste SF-orientierte Website in Israel wurde 1996 von Yaniv für die Israeli Society for Science Fiction and Fantasy erstellt.

Der Auf- und Abschwung der israelischen SF/F spiegelte die Wechselfälle der israelischen Wirtschaft wider (die ihrerseits oft den Launen zeitweiliger militärischer Krisen unterworfen war). Diese Ansicht vertrat der Soziologe Nachman Ben-Yehuda, der den Abschwung auf die anhaltende ideologische Ablehnung des Pluralismus durch die breitere Kultur und ihr Misstrauen gegenüber individualisierten sozialen Subkulturen zurückführte. Die kulturellen Gatekeeper hatten viel von ihrer Macht eingebüßt, aber sie hielten immer noch einige der Schlüssel zur Veröffentlichung in der Hand, da sie die Redaktionen der großen Verlagshäuser und verschiedene einflussreiche, wenn auch wenig gelesene Literaturzeitschriften kontrollierten.

Dies ging bis Mitte der 1990er Jahre so, als das Internet die endgültige Fragmentierung der israelischen kulturellen Matrix beschleunigte. Wie der Wissenschaftler Oren Soffer feststellt, führte sein Aufkommen und insbesondere die Verbreitung des Kabel- und Satellitenfernsehens zu einer Ausbreitung globaler oder, genauer gesagt, amerikanischer Einflüsse. Diese Faktoren werden von Beobachter:innen für eine Abnahme des sozialen Zusammenhalts und für die Verstärkung von (Unter-) Gruppenidentität und Individualismus verantwortlich gemacht. Diese Faktoren, so Soffer, „scheinen zu den sozialen und kulturellen Prozessen zu gehören, die mit dem Niedergang der nationalen Solidarität und abwechselnd mit der Verstärkung individueller Trends und der Konsumkultur verbunden sind“.24 Die Dezentralisierung setzt sich fort, unterstützt durch die verminderte Fähigkeit des Nationalstaates, Medienbotschaften zu überwachen und zu kontrollieren.

Es überrascht nicht, dass Israels verbliebene Kulturwächter nun mit dem Rücken zur Wand standen. Obwohl sie immer noch darauf bedacht waren, die Grenze zwischen der kanonischen und der Popliteratur festzulegen und zu bewachen, hatten sie schlicht keinen einzelnen Zugangspunkt mehr, über den sie wachen konnten. Die Mauern selbst waren durchlässig geworden, was zu einer allmählichen, aber unvermeidlichen Fragmentierung der nationalen Identität führte. „Der Realismus“, so Elana Gomel, ist jetzt „die israelische Fantasy“.25

Wie der Kulturwissenschaftler Stuart Hall argumentiert, waren die sozialen Randgebiete paradoxerweise zu hochgradig aufgeladenen und immer mächtigeren Orten geworden, vor allem, was die Künste und das soziale Leben betraf.26 Es überrascht daher nicht, dass das Science Fiction-Fandom, das beides miteinander verbindet, in Israel plötzlich zu florieren begann.

Mitte der 1990er Jahre begann sich eine stärkere Fanszene zu entwickeln. 1996 gründeten Hauptman, der Herausgeber und Übersetzer Amos Geffen und andere zusammen mit dem produktiven Übersetzer (und Mitherausgeber von Zion’s Fiction) Emanuel Lottem die ISSF&F. Im Laufe der nächsten Jahre traten auch einige engere Interessengruppen in den Vordergrund, darunter Starbase 972 (für die israelischen Star Trek-Fans) und die Sunnydale Embassy (Buffy the Vampire Slayer-Fangemeinde). Beide sind inzwischen ausgestorben. Die israelische Tolkien-Gemeinschaft, die israelische Gesellschaft für Rollenspiele und die AMAI, die israelische Manga- und Anime-Gesellschaft, die alle derzeit noch aktiv sind (letztere trotz des auf seltsame Weise geäußerten Unmuts der israelischen Verteidigungskräfte, die sich eine Zeit lang weigerten, ihre Mitglieder zu rekrutieren), haben mehr Durchhaltevermögen bewiesen.

Die ISSF&F hat neben anderen Errungenschaften regelmäßig mehrere jährliche Kongresse veranstaltet, insbesondere ICon, Olamot (= Welten), Me’orot (= Lichter) und Bidion (= Fiktion), teilweise in Zusammenarbeit mit einer oder mehreren der obengenannten Gruppen. Ihr wichtigster Vorstoß zur internationalen Anerkennung innerhalb des weltweiten Fandoms sollte die Armageddon-Con sein, die das neue Jahrtausend in Har Megiddo, weltweit als Armageddon bekannt, einläuten sollte (am korrekten Datum, nämlich mitten in der Nacht des 31. Dezember 2000); leider musste sie wegen des Ausbruchs des zweiten bewaffneten palästinensischen Aufstands, der Intifada, abgesagt werden.

Wie andere Organisationen dieser Art hat auch die ISSF&F ein halbprofessionelles Magazin oder Semiprozine, HaMemad ha Asiri (= Die zehnte Dimension), ins Leben gerufen, das an die Stelle von Fantasia 2000 getreten ist und Originaltexte israelischer Autor:innen veröffentlicht. Außerdem werden auf der Website Kurzgeschichten veröffentlicht. 1999 rief die ISSF&F den jährlichen Geffen-Preis ins Leben – benannt nach ihrem Mitbegründer, dem verehrten Übersetzer und Herausgeber Amos Geffen (1937-98) – für den besten Originaltext und die beste Übersetzung von SF/F-Material, das im Vorjahr auf Hebräisch veröffentlicht wurde. Eine weitere Auszeichnung, der Einat-Preis für bisher unveröffentlichte Kurzgeschichten in hebräischer Sprache, wurde 2005 von der ISSF&F mit Unterstützung einer privaten Familienstiftung ins Leben gerufen. Der Genre-Liebhaber Ron Yaniv veröffentlicht die Geffen-Nominierten und -Preisträger:innen jährlich auf eigene Rechnung als E-Books. Die Geffen-Preis-Bände erscheinen seit 2002. Im Jahr 2009 ersetzte die ISSF&F HaMemad haAsiri durch den jährlichen Softcover-Band Hayo Yihyeh (= Es war einmal eine Zukunft), in dem neue und unveröffentlichte Kurzgeschichten vorgestellt werden, die größtenteils auf Hebräisch geschrieben sind. Da es in Israel nur wenige Publikationen gibt, in denen Kurzgeschichten veröffentlicht werden, kommt diesen Sammlungen eine besondere Bedeutung zu.

Wenn es etwas gab, das vollkommen scheitern sollte, waren es die Versuche der ISSF&F (an denen der Mitherausgeber E. L. beteiligt war), Pädagog:innen und Beamt:innen des Bildungsministeriums davon zu überzeugen, SF/F in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen. Einige Geschichten, so argumentierten sie, besäßen genügend literarischen Wert, um in die Leselisten des Literaturunterrichts aufgenommen zu werden. Andere könnten sinnvollerweise in den naturwissenschaftlichen Unterricht integriert werden, um etwas Leben in die Herrschaft der todlangweiligen Lehrbücher zu bringen. All diese Bemühungen waren vergeblich: Die Reste der alten Garde waren noch nicht untergegangen, und sie gaben auch nicht auf. Die Torwächter kontrollierten immer noch, was die Schüler:innen im Unterricht lesen konnten.

Positiv zu vermerken ist, dass sich die Organisation des israelischen Fandoms als entscheidend für angehende Schriftsteller:innen erwies, die bis dahin das Gefühl hatten, dass es weder eine Leser:innenschaft für ihre Arbeit noch Kolleg:innen gab, mit denen sie sich austauschen konnten. Sie trafen auf Kongressen Gleichgesinnte und lasen Geschichten – und später auch Romane – von aufstrebenden Schriftsteller:innen, die genau wie sie selbst waren, und dann gab es kein Halten mehr. Einige ihrer Geschichten sind in diesem Band enthalten, und weitere werden hoffentlich in den folgenden Bänden vorgestellt.