111 Gründe, Arminia Bielefeld zu lieben - Michael König - E-Book

111 Gründe, Arminia Bielefeld zu lieben E-Book

Michael König

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Beschreibung

Willkommen beim Fußballklub für Fortgeschrittene, bei der ewigen Fahrstuhlmannschaft, der Diva aus Ostwestfalen. Wer Arminia Bielefeld liebt, der braucht starke Nerven. Kaum ein anderer Klub ist so oft aus der Bundesliga abgestiegen. Kaum ein Klub schaffte so häufig die Rückkehr. Das Chaos hat auf der Bielefelder 'Alm' eine Dauerkarte. Dilettantismus und Triumph wechseln sich mitunter im Jahresrhythmus ab. Zwei Aufstiege in einer Saison? Arminia hat es geschafft. Im Bundesliga-Skandal zum Zwangsabstieg verdonnert und trotzdem überlebt? Das war Bielefeld. Den FC Bayern mit 4:0 besiegt und danach abgestiegen? Wir erinnern uns. Von der Ober- in die Bundesliga durchmarschiert? Oh, wie war das schön. Nur Arminia hat einen 'Jahrhunderttrainer' wie Ernst Middendorp, der Journalisten mit 'Knien Sie nieder, Sie Bratwurst' begrüßte. Nur hier wirbelten ein 'weißer Brasilianer' und ein 'König' die Abwehrreihen durcheinander. Andere werden Meister, in Bielefeld gilt: Leiden schafft Leidenschaft. Dafür lieben wir diesen Klub. Und das ist nur ein Grund - von mindestens 111. EINIGE GRÜNDEWeil Arminia noch jede Krise überlebt hat. Weil niemand so gut im Konjunktiv schwelgen kann. Weil Arminia in einer Saison zweimal aufstieg. Weil wohl niemand dilettantischer geschummelt hat als die Bielefelder. Weil es siebenmal aufwärts ging. und siebenmal wieder hinunter. Weil sich 'Jahrhunderttrainer' Middendorp den Namen 'Ekel-Ernst' redlich verdiente. Weil Thomas von Heesen in jeder Position bestach. Weil Hermann Gerland durch Arminia seine wahre Heimat fand. Weil der BVB auf der Alm sein Nahtoderlebnis hatte. Weil kurz hinter Telgte das schönste Derby wartet. Weil Arminia die erste Radio-Liveübertragung in der Geschichte prägte. Weil die 11 FREUNDE Ostwestfalen sind. Weil Arminia Verschwörungstheorien zunichte macht. Weil Casper nur für Arminia rappt. Weil Arminia der erste Profiverein mit einer Präsidentin war. Weil später ein Fan Präsident wurde. Weil niemand so schön den Arm hob wie Uli Stein. Weil Torwart Wolfgang Kneib auch Mittelstürmer konnte. Weil Rainer Rauffmann bis zum Erbrechen lief. Weil dieser Klub einen 'weißen Brasilianer' hervorbrachte. Weil ein Armine selbst Ronaldo entnervte.

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Michael König & Philipp Kreutzer

111 GRÜNDE, ARMINIA BIELEFELD ZU LIEBEN

Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt

INHALT

•Weil Arminia erwiesenermaßen einzigartig ist 16

•Weil niemand so herrlich pessimistisch ist wie wir 19

•Weil Arminia der Sportclub der Ostwestfalen ist 22

•Weil Casper nur für Arminia rappt 24

•Wegen »Schwarz-Weiß-Blau, Arminia und der HSV!« 27

•Weil wir uns für Promi-Fans nicht schämen müssen 29

•Weil die »11 Freunde« Arminen sind 32

•Weil die »Boys Bielefeld« immer da sind – in guten wie in schlechten Zeiten 35

•Weil wir unsere Kinder nach unserem Verein benennen können 46

•Weil Arminia Verschwörungstheorien zunichte macht 51

•Weil es nur einen DSC gibt 54

•Weil der Cheruskerfürst das blaue Trikot trug 56

•Weil kein anderer Profiverein auf einer Alm Fußball spielt 58

•Weil nur ein Stadion im Wohnviertel Charme hat 61

•Weil in der Westtribüne der Alm Einmaliges geschieht 63

•Weil ein Stier das Maskottchen ist – und kein Lamm 65

•Weil dieser Club nie auf den Kuss der Muse angewiesen war 68

•Weil Arminia bis jetzt noch jede Krise überlebt hat 71

•Weil der erste Nationalspieler Westfalens von Arminia kam 73

•Weil Arminia Radiogeschichte schrieb 76

•Weil Fritz Grünewald seine Ehrennadel posthum zurückerhielt 78

•Weil Arminia in einer Saison zweimal aufstieg 81

•Weil Kitti Hellweg gegnerische Abwehrreihen trotz Handicaps in Aufregung versetzte 84

•Weil Arminia Spieler entführte, um sie zu verpflichten 86

•Weil unter Trainer Hellmut Meidt ein kleines Fußballwunder gelang 89

•Weil Bernd Kirchner lieber studierte, als in der Bundesliga zu spielen 92

•Weil niemand so schrecklich-schön grätschte wie Stopper Schulz 95

•Weil ein Trainer aus der Halbwelt Arminia 1970 in die Bundesliga führte 99

•Weil wohl kein anderer Verein jemals dilettantischer geschummelt hat 101

•Weil Uli Braun mit seinem Tor gegen die Bayern zur Legende wurde 105

•Weil die Fans ihren Verein vor der Insolvenz bewahrt haben 110

•Weil Arminia in einer dramatischen Trilogie mitwirkte 112

•Weil Otto Rehhagel schönste Fußballgrüße aus Bielefeld überbrachte 114

•Weil der 100-Tore-Sturm auch ohne Otto traf und traf 116

•Weil die Aufholjagd gegen 1860 zu den mitreißendsten überhaupt gehört 118

•Weil Kees Bregman uns Genie und Wahnsinn lehrte 120

•Weil Ewald Lienen die Größe hatte, Norbert Siegmann zu vergeben 123

•Weil Torwart Wolfgang Kneib auch Mittelstürmer konnte 125

•Weil der erste Maskenmann ein Armine war 129

•Wegen »Power-Ernst« Middendorp, dem Jahrhunderttrainer … 131

•… der sich den Beinamen »Ekel-Ernst« hart erarbeitet hat 136

•Weil Ernst Middendorp »nicht einen Satz« bereut 142

•Weil Frank Geideck ein Arminenherz hat … 152

•… und weil er klaglos ins zweite Glied zurückkehrte 155

•Weil Jan Notermans den Weg für van Gaal ebnete 156

•Weil Ingo Peter auf den Spuren Mickey Rourkes wandelte 158

•Weil Hermann Gerland durch Arminia seine wahre Heimat fand 160

•Weil Benno Möhlmann das »Seuchenjahr« rechtzeitig abhakte … 164

•… und Theater und Gewitter ertrug 167

•Weil Uwe Rapolder der erste Konzepttrainer war 169

•Weil Thomas von Heesen in jeder Rolle bestach 174

•Weil Detlev Dammeier immerhin eine makellose Bundesliga-Trainerbilanz hat 178

•Weil Michael Frontzeck die Nerven bewahrte … 181

•… um sie dann zu verlieren 186

•Weil Arminia die letzte Trainerstation des großen Jörg Berger war 189

•Weil kurz hinter Telgte das schönste Derby wartet 193

•Weil der DSC die »Zaubermaus« entzauberte 196

•Weil Momo und Molata mal lieber in Bielefeld geblieben wären 198

•Weil eine Fusion mit anderen Vereinen zum Glück nie gelang 201

•Weil dies der Platz ist – oho! –, auf dem Matthäus unterging 204

•Weil der BVB auf der Alm sein Nahtod-Erlebnis hatte 205

•Weil die weiß-blaue Hilfe fehlschlug 208

•Weil es mit Arminia siebenmal aufwärts ging … 211

•… und siebenmal wieder hinunter 221

•Wegen dieser schönen Siege gegen den FC Bayern 231

•Weil Arminia den Rekord von Tasmania und Nürnberg eingestellt hat … 237

•… und es sogar schaffte, zehn Tore in 45 Minuten zu kassieren 239

•Weil der Geist von Herzlake ein Armine ist 241

•Weil der alte Fritz sein Heimweh überwand 244

•Weil Rainer Rauffmann lief bis zum Erbrechen 247

•Weil niemand so schön den Arm hob wie Uli Stein 249

•Weil Euro-Kuntz kindliche Freude auslöste 254

•Weil sich Weltpokalsieger Silooy auf der Tribüne wohlfühlte 257

•Weil Stefan »Studti« Studtrucker der ehrlichste Arbeiter war 259

•Weil Welttorjäger Ali Daei auf der Rückbank schlief 262

•Weil Billy Reina doppelt wertvoll war 265

•Weil Georg Koch die Tradition starker, teurer Torhüter fortsetzte 269

•Weil Bruno Labbadia die Pistole zückte … 272

•… und trotz einer Rebellion zu den Giganten zählt 275

•Weil Rübes Rekord für die Ewigkeit ist … 278

•… und Markus Schulers Rekord wohl leider auch 280

•Weil die Legende von König Artur in Bielefeld spielt 283

•Weil Tobias Rau ein guter Lehrer ist 287

•Weil ein Fan zwischen den Pfosten stand 290

•Weil Patrick Owomoyela bei Arminia zum Nationalspieler reifte 293

•Weil Jonas Kamper schießt wie ein Pferd … 296

•… und das Mannschaftsfoto sabotierte wie ein Profi 299

•Weil Ansgar »der weiße Brasilianer« Brinkmann auf der Alm wirbelte … 302

•… und als »Gladiator« die Bielefelder Justiz beschäftigte 306

•Weil Fatmir unser Vata war 311

•Weil Sibusiso Zuma die Liga schwindelig tanzte 314

•Weil Chancentod Marco Küntzel einen Viererpack schaffte 317

•Weil ein Ostwestfale selbst Ronaldo entnervte 321

•Weil sich Jörg Böhme von Ostwestfalen nicht trennen mochte 324

•Weil Hertha BSC für Arne Friedrich ewig dankbar sein kann 327

•Weil Heribert Bruchhagen drei Abschiedsgeschenke hinterließ 331

•Weil die Abgewanderten ihre Untreue oft bitter bereut haben 335

•Weil Arminia der erste deutsche Profiverein mit einer Präsidentin war 339

•Weil Rüdiger Lamm ins Küchenstudio bat … 341

•… und dann unvergessliche Kollateralschäden anhäufte 344

•Weil wir nun mal im Zeitalter der Faxe leben 347

•Weil Marcus Uhlig die neue Pack-an-Mentalität verkörpert 350

•Weil Arminia (fast) ohne Mäzen auskommt 360

•Weil die Osttribüne ein Mahnmal für Misswirtschaft und Größenwahn ist 365

•Weil Jahreshauptversammlungen bei uns bühnenreife Tragikomödien sind 367

•Weil Hajo Faber sich den Traum eines jeden Fans erfüllte 370

•Weil Stefan Krämer Arminia auf dem Herzen hat 372

•Weil Fabian »Miro« Klos an jedem Flughafen piept 374

•Weil Sebastian Hille im richtigen Moment sein Glück fand 377

•Weil niemand auf so brutale Weise absteigt wie Arminia 380

•Weil sich mit Ulrich Zwetz manchmal der Fußballhimmel auftut 383

Vorwort

AUFWÄRMEN

Wie fing das an und wann? Ist das schlimm? Hört das wieder auf? So reagieren Nicht-Arminen, wenn man ihnen von seiner Vorliebe erzählt. Manche sprechen es aus, bei anderen ist es der Blick, der sie verrät. Sie halten Arminia Bielefeld für eine besorgniserregende Diagnose. Wer kann es ihnen verdenken?

Die Liebe zu Arminia ist ansteckend, man infiziert sich über Sprechchöre, über wehende Fahnen. Über maßgenaue Flanken in den Strafraum, wo die Stürmer in Blau auf Kopfbälle lauern. Über ungenaue Flanken in den Strafraum, wo die Stürmer in Blau die Bälle voll versemmeln. Ja, Stümperei gehört in Bielefeld dazu. Trotzdem – oder gerade deswegen – sind die meisten Menschen nach der Ansteckung für immer verloren. Sie opfern ihre Energie, Zeit und ihr Geld für ihren Verein. Was bekommen sie im Gegenzug? Starke Schmerzen und nur hie und da Glücksgefühle, die dann aber umso heftiger ausfallen.

Als wir mit dem Verlag erstmals über dieses Buch sprachen, war Arminia nach einem Beinahe-Absturz in die Regionalliga gerade in die 2. Liga aufgestiegen. Die Stadt erlebte ein rauschendes Fest. Manch ein Spieler soll tagelang in Badelatschen von Party zu Party gezogen sein.

Als wir letzte Hand an das Manuskript legten, Monate später, schien Arminia schon als Absteiger festzustehen. Dann gelang am letzten Spieltag ein nicht mehr für möglich gehaltener Sieg in Dresden, unter dramatischen Umständen, der uns die Relegation bescherte. Dort gewann Arminia im Hinspiel 3:1 in Darmstadt. Die Rettung?

Nein, so einfach ist das nicht. Nicht für Arminia Bielefeld. Der DSC ist der Club für Fortgeschrittene, weil er keine Sicherheiten kennt. Weil er mit dem Hintern einreißt, was er selbst gerade erst aufgebaut hat. Weil sich Genie und Wahnsinn im Sekunden-, Minuten-, Tages-, Wochen- oder Jahresrhythmus abwechseln. Im Rückspiel der Relegation war es wieder so weit: Arminia zitterte sich in die Verlängerung, schoss das Tor zur vermeintlichen Rettung und kassierte in der 122. Minute doch noch den entscheidenden Gegentreffer. Ein Abstieg, wie er brutaler nicht hätte sein können.

Das Besondere: Die Relegation 2014 ist kein Einzelfall. Es gibt in der Vereinsgeschichte etliche solcher Geschichten. Manche sind zum Schreien komisch, andere treiben uns die Tränen in die Augen, vor Frust oder vor Rührung. Eine Auswahl erzählen wir in diesem Buch – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, mit subjektiven Eindrücken. Jeder Versuch, neutral zu bleiben, wäre ohnehin gescheitert, wie der Sportphilosoph Gunter Gebauer weiß: »In der Welt des Fußballs gibt es keine objektive Erinnerung. Wenn man dessen Geschichte und geglaubte Größe darstellen will, muss man die emotionale Sprache und typischen Ausdrücke der Liebhaber des Spiels aufnehmen.«1

Ostwestfalen sind besonders treue Liebhaber, sie sind stur, hartnäckig, kämpferisch. Auch deshalb kommt Arminia immer wieder. Es hört nie auf.

Michael König & Philipp Kreutzer

1. KAPITEL

OSTWESTFALEN, IDIIIOOOOTEN?

1. GRUND

Weil Arminia erwiesenermaßen einzigartig ist

Fußballfans sind Fundamentalisten. Ihr Verein ist einzigartig, nur ihre Liebe ist wirklich echt. Das behaupten sie alle, egal ob sie aus München, Dortmund, Bremen, Uerdingen oder Darmstadt kommen. Aber stimmt das auch? Nein, nur Arminia ist einzigartig. Das können wir beweisen – mit einer einfachen Herleitung.

Fragen wir einen Bayern-Fan, was seinen Verein einzigartig macht, dann wird er stolz auf den prall gefüllten Trophäenschrank seines Clubs verweisen. Oder auf den Briefkopf, der vor Titeln nur so strotzt. Ein Anhänger von Borussia Mönchengladbach wird von der ruhmreichen Fohlen-Elf der Siebzigerjahre erzählen, ein Schalker vielleicht vom UEFA-Cup-Sieg 1997.

Erfolg wird gerade von den Fans größerer Clubs gern als Alleinstellungsmerkmal genannt. Dabei ist das ziemlicher Blödsinn. 41 Vereine sind seit 1903 in Ost- und Westdeutschland Meister geworden. 24 Clubs haben den DFB-Pokal gewonnen, acht Vereine waren im Europapokal erfolgreich. Ein wahrer Rummelplatz der Sieger. Mit dem nüchternen Blick des Historikers betrachtet, war jeder Club irgendwann einmal dran. Einzigartig geht anders.

Das zweite, häufig genannte Alleinstellungsmerkmal ist die Tradition. Die Schalker tragen ihr Gründungsjahr 1904 wie eine Monstranz vor sich her. In Dortmund sind sie stolz auf die »09« im Vereinsnamen. Und in Hamburg wird schon die Tatsache, der Bundesliga seit deren Gründung 1963 anzugehören, als Meisterwerk gefeiert. Wie albern.

Sorry, liebe Schalker und Dortmunder, aber fast alle relevanten Fußballclubs sind Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet worden. Mit 1904 und 1909 seid ihr sogar eher Spätzünder. Das Datum ist außerdem nur bedingt aussagekräftig: Die TSG Hoffenheim, heute Bundesligist, trägt stolz die Jahreszahl 1899 im Namen, tauchte aber erstmals im Jahr 2000 in der Oberliga auf. Und auch beim vermeintlichen Methusalem 1860 München dauerte es nach der Vereinsgründung noch 39 Jahre, bis eine Fußballabteilung aus der Taufe gehoben wurde.

Den Hamburgern sei gesagt: Seit 1963 haben 52 Vereine an der Bundesliga teilgenommen, darunter Clubs wie Blau-Weiß Berlin, Fortuna Köln oder SV Darmstadt. Das ist keine VIP-Lounge, der Hamburg schon so lange angehört, sondern eher eine Großraumdisco. Kein Grund, stolz zu sein.

Bleibt noch die Leidensfähigkeit als Indikator von Einzigartigkeit. Manche Clubs sind wahre Künstler darin, ewige Niederlagenserien aufzustellen. Ihre Fans rühmen sich dafür, besonders hartnäckig und ausdauernd zu sein. Auch das ist Blödsinn. Jeder weiß, dass Körper und Geist bei dauerhaften Schmerzen irgendwann taub werden und absterben.

Wirklich leidensfähig ist, wer ständig in der Erwartung eines plötzlich auftretenden Schmerzes leben kann. Manch eine Foltermethode macht sich dieses Prinzip zu eigen, etwa die chinesische Wasserfolter: Das gefesselte Opfer hofft ständig, dass jener Tropfen, der ihm gerade aus einem Eimer auf den Kopf gefallen ist, der letzte war. Das Folteropfer kann nicht ahnen, wie viel Wasser noch im Eimer ist. Das treibt es in den Wahnsinn.

Mit Arminia Bielefeld verhält es sich ähnlich: Gerade wenn man denkt, der Eimer sei leer, die Krise also überstanden, dann spielt der DSC besonders grausamen Fußball und steigt als Tabellenletzter ab. Findet sich der Fan mit der Qual ab, hört sie plötzlich auf. Vermeintliche Fehleinkäufe entpuppen sich als Kracher, Arminia spielt begeisternd, schlägt favorisierte Teams und steigt auf oder sichert den Klassenerhalt.

Es ist nicht vorherzusagen, wann welcher Fall eintrifft. Das Wort »Fahrstuhlmannschaft« trifft das Phänomen nur bedingt, denn so ein Fahrstuhl ist meist eine bequeme Sache. Arminias Auf und Ab gleicht eher einem Erdbeben. Kaum ein anderer Club in Deutschland ist so starken Schwankungen unterworfen.

In der Statistik lässt sich das in den Rubriken »Rekordaufsteiger« und »Rekordabsteiger« ablesen. In der ersten steht Arminia ganz oben, zusammen mit dem 1. FC Nürnberg. In der zweiten liegt Nürnberg durch den Abstieg 2014 knapp vorn. Aber die Franken haben zwischendurch den DFB-Pokal gewonnen, 2007, während Arminia mal wieder am Abgrund tanzte – um später peu à peu in die 3. Liga abzurutschen.

Womit bewiesen wäre: Nur Arminia Bielefeld ist einzigartig, nur der DSC ist der einzig wahre Verein.

2. GRUND

Weil niemand so herrlich pessimistisch ist wie wir

Der langjährige Chefredakteur einer großen Bielefelder Tageszeitung, ein aus Bayern Zugezogener, beschrieb das Phänomen einmal so: Als sich kurz nach seinem Amtsantritt der Frühling in der Bielefelder Innenstadt bemerkbar machte, da habe er sich ein Schmuckbild für die erste Seite gewünscht. Menschen in der Sonne, die Schlange vor der Eisdiele, so etwas in der Art. Die zuständigen Redakteure hätten ihm geantwortet, dass es den Frühling doch jedes Jahr gebe – außerdem werde das Wetter bestimmt bald wieder schlechter. Erst als er gedroht habe, das Foto selbst zu schießen, sei man seiner Anweisung gefolgt.

Für den Rest der Republik ist das schwer zu verstehen, aber der Bielefelder ist nun mal ein »geborener Pessimist« und »stets davon überzeugt, dass es noch irgendwie schiefgehen werde«, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung einmal schrieb.2 Für den Fußball gilt das in besonderem Maße, wie Zeitzeugen bestätigen: »Sobald Arminia in Führung geht, dreht sich die Mehrheit der Fans zum Nachbar und sagt: ›Wetten, das Ding verlieren wir noch‹«, hat der DSC-Fan und Rapper Casper in einem Interview gesagt.3 Singen gegnerische Fans »Ostwestfalen, Idiiiiooooten«, stimmen die Arminen lauthals mit ein. Der einstige DSC-Trainer Uwe Rapolder klagte: »Die Meinung hier ist: Ach, die schaffen’s eh nicht.« Er machte dafür die Berichterstattung in den lokalen Medien verantwortlich: »Wenn ich Überschriften wie ›Das Grauen im Blauen‹ lese, wundere ich mich nicht, dass die Leute mit einer relativ negativen Meinung ins Stadion kommen.«4

Nun, Herr Rapolder, bei den ostwestfälischen Medien arbeiten größtenteils Ostwestfalen, da beißt sich gewissermaßen die Katze in den Schwanz. Der Ursprung der negativen Grundhaltung muss woanders liegen – vielleicht beim Wetter? Bielefeld sei ein Regenloch, sagen viele Bielefelder, da könne man nur Trübsal blasen. Stimmt nicht: Als der Deutsche Wetterdienst 2008 die regenreichste Großstadt Deutschlands bestimmte, landete Bielefeld nur auf Platz sechs, hinter Wuppertal, Solingen, Hagen, München und Freiburg.5

Fragt man Arminen-Fans, dann verweisen sie auf die vielen Krisen ihres Clubs, die vor allem dann auftraten, wenn es dem DSC vermeintlich gut ging. Die Funktionäre des Vereins machten sich diese Argumentation zu eigen. »Wenn’s gut läuft, bleibt’s eng«, sagte der ehemalige Präsident Jörg Zillies.6 Arminia werde sich stets »zwischen Baum und Borke bewegen«, sagte der ehemalige Manager Heribert Bruchhagen.7

Das Widersprüchliche daran: Amtsinhaber wie Zillies und Bruchhagen sollten dem Verein eigentlich Optimismus einimpfen und dafür sorgen, dass es ihm besser geht. Mit ihren Prognosen aber trugen sie womöglich zum Gegenteil bei. Psychologen warnen vor einer gefährlichen Spirale: Pessimisten würden von negativen Ereignissen nicht überrascht, weil sie ohnehin vom Schlimmsten ausgingen. Sie fühlten sich dann bestätigt und würden an ihrem Pessimismus festhalten. Positive Ereignisse würden sie dem Glück oder Zufall zurechnen. Das führe jedoch langfristig zu Depressionen, Ängsten, Minderwertigkeitskomplexen.

Allerdings hat die Arminia mit ihrer kritischen Grundhaltung noch jede Krise überwunden. Sieben Bundesliga-Abstiegen stehen sieben Aufstiege gegenüber. Und was übertriebener Optimismus ausrichten kann, haben wir auch schon erlebt: etwa, als der Club die Verträge von vermeintlichen Heilsbringern wie Sportchef Reinhard Saftig oder Trainer Ernst Middendorp (in seiner dritten Amtszeit) frühzeitig verlängerte – um sie bald darauf rauszuwerfen und hohe Abfindungen zahlen zu müssen.

Nein, wir lassen uns die negative Grundeinstellung nicht nehmen. Wer weiß, was sonst passiert. Um auf das Beispiel mit dem Chefredakteur zurückzukommen, der ein Frühlingsfoto für die Seite eins forderte: Kurz darauf wurde es in Bielefeld tatsächlich noch mal bitterkalt.

3. GRUND

Weil Arminia der Sportclub der Ostwestfalen ist

Was ist Ostwestfalen? Fragen wir Wikipedia, dann kommt zuerst eine Warnung: »Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen ausgestattet.«8 Na super. Fragen wir Google, dann sehen wir eine Werbe-Website, die uns zwar erklärt, dass Ostwestfalen »ganz oben in Nordrhein-Westfalen« ist. Die sich dann aber verliert in Allgemeinplätzen wie »Forschung auf Spitzenniveau« und »einer der Top-Wirtschaftsstandorte«. Spätestens das grenzdebile Motto »it’s OWL« (zu Deutsch: Es ist Eule) vergrault uns von der Seite.9 Herzlichen Dank.

Was ist Ostwestfalen? Die Frage ist so wichtig, weil zwei Millionen Menschen hier leben – und sogar die fragen sich das. In der Schule haben wir zwar gelernt, dass die Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) deckungsgleich ist mit dem Regierungsbezirk Detmold und aus der Stadt Bielefeld und den Kreisen Gütersloh, Herford, Höxter, Lippe, Minden-Lübbecke und Paderborn besteht. Aber was ist ein Regierungsbezirk? Und welcher Warburger (ganz im Süden) war schon mal in, sagen wir, Petershagen (ganz im Norden)?

Diese Region ist ein Kunstprodukt, das gewachsenen Strukturen übergestülpt wurde. Das evangelische Minden-Ravensberg mit dem Oberzentrum Bielefeld hatte zu Zeiten Preußens mit dem erzkatholischen Hochstift Paderborn und dem Lipperland wenig zu tun. Das ist im Grunde noch heute so, weshalb das »L« im Kürzel OWL von Bielefeldern gern ignoriert wird.

Bleibt Ostwestfalen, das dem Rest der Republik schon wegen des Namens Rätsel aufgibt: Ost-West-Falen? Heben sich da nicht Ost und West auf? Bleibt am Ende also Falen?

Es fällt uns schwer, dagegenzuhalten. Wir haben es mit der überragend starken Wirtschaft in der Region versucht, oder auch mit dem Verweis auf Hermannsdenkmal und Porta Westfalica. Aber nichts funktioniert so gut wie: »Das ist da, wo Arminia Bielefeld herkommt.«

Was ist Ostwestfalen? Fragen wir die Google-Bildersuche, dann bekommen wir allerlei kryptische Karten zu sehen. Und dann, klar, eindeutig und schwarz-weiß-blau: Das Logo der Arminia, der einzigen Stifterin ostwestfälischer Identität.

4. GRUND

Weil Casper nur für Arminia rappt

Sie wissen, wer Casper ist? Gut, dann können Sie gleich zum nächsten Abschnitt springen. Sie können mit dem Namen nichts anfangen? Dann legen Sie das Buch bitte für einen Moment zur Seite, werfen den Computer an, begeben sich auf die Video-Plattform YouTube und tippen in die Suchmaske ein: »Casper Eines Tages Arminia Bielefeld«. Halten Sie ein Taschentuch bereit, es könnte sein, dass Sie gleich sehr gerührt sind. Weil dieses Lied ein Gefühl der tiefen Verbundenheit weckt, das Gefühl, endlich verstanden zu werden. Drücken Sie auf »Play« und hören Sie, wie der junge Mann mit der rauchigen Stimme reimt: »Eines Tages an der Spitze stehen / Nach all den bitteren Jahren über den Witzen stehen / Also baut auf den DSC / Schaut auf den DSC / Faust hoch, schreit alle laut für den DSC …«10

Selten klang eine Liebeserklärung an Arminia Bielefeld so gut. So eingängig, so klug, so kämpferisch, so pathetisch: »Andere tragen das Blau, doch wir hier bluten es«, rappt Casper, der eigentlich Benjamin Griffey heißt und einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands ist. Seine Alben XOXO (2008) und Hinterland (2013) erreichten auf Anhieb Platz eins in den Charts, verschiedene Fachmagazine feiern ihn als Retter des deutschen HipHop. Griffey ist geboren in Bösingfeld bei Extertal, er wuchs auf bei seinem Vater in den USA, inzwischen wohnt er in Berlin. Doch als seine Heimat bezeichnet er Bielefeld, wo er studiert und mit dem Rappen begonnen hat. Die Arminia liebt er seit 1995, als ihn sein Stiefvater mit zur Aufstiegsparty auf die Alm nahm.

»Es erfordert Mut und Leidensfähigkeit, Arminia-Fan zu sein und Woche für Woche auf den Deckel zu kriegen«, hat er in einem Interview mit dem Magazin 11 Freunde gesagt.11 »Jeder kann Fan vom FC Bayern sein. Das ist einfach, das ist wie für Musik ins Geschäft gehen und sich Lady Gaga oder Unheilig kaufen – Platten, die es überall gibt, im Zweifelsfall auch bei Marktkauf.«

Besser kann man das kaum ausdrücken, außer vielleicht Casper selbst in seinem Lied Eines Tages, das 2007 auf dem Arminia-Fan-Sampler Block Party erschienen ist: »24.000 Herzen schlagen zusammen, atmen zusammen / Gehen, stehen für Taten zusammen / Wenn einer mal nicht weiter kann, wir tragen den Mann«, heißt es da und: »Ich glaub an die Meisterschaft / Dass eines Tages einer der Söhne von uns Arminia zum Meister macht.« Tja, das wäre schön.

Bis zur Meisterschaft freuen wir uns darüber, dass niemand, wirklich niemand in Fußballdeutschland ein so schönes und aktuelles Lied vorzuweisen hat wie Arminia. Bochum von Herbert Grönemeyer oder auch Viva Colonia von den Höhnern aus Köln wirken dagegen wie aus Dieter Thomas Hecks Mottenkiste.

Eine versteckte Hommage von Casper – dessen Künstlername übrigens auf seine helle Haut zurückgeht, die seinen Vater an ein Gespenst aus einem Disney-Film erinnerte – an seine Lieblingsstadt findet sich übrigens im Lied Auf und davon auf dem Album XOXO: »Ich bin raus, kann schon nach dem Ende ’nen Anfang sehen / Ganz egal wie lang der Fall, solange die Landung steht / Vielleicht St. Tropez, vielleicht weit hinter den Bergen / Vielleicht nur Bielefeld, aber dort, wo noch Grinsen was wert ist.«

5. GRUND

Wegen »Schwarz-Weiß-Blau, Arminia und der HSV!«

Jeder noch so kleine Aspekt des Fußballs ist heutzutage bestens erforscht: Die Laufwege der Spieler, die Einnahmen der Clubs, die Routinen der Fans beim Toilettengang (in der Halbzeit und nach dem Schlusspfiff, o Wunder). Umso erstaunlicher, dass sich ein Thema hartnäckig einer genaueren Betrachtung entzieht: Fanfreundschaften.

Das Fußballkulturmagazin 11 Freunde versuchte sich 2008 in Gestalt des Chefredakteurs und Arminia-Fans Philipp Köster (zu ihm an anderer Stelle mehr) an einer Analyse. Er klang recht verzweifelt: »Ende der 90er (…) waren die freundschaftlichen Verflechtungen der deutschen Clubs noch schwerer zu durchschauen als der Stammbaum eines sizilianischen Mafiaclans.«12 Zu jener Zeit, so Köster, habe zum Beispiel der Anhang von Borussia Dortmund mit Saarbrücken, VfB Leipzig, Union Berlin, Hertha BSC, FSV Zwickau, Karlsruher SC, Juventus Turin und Lazio Rom sympathisiert. »Der Tiefpunkt: Nach dem Doppelsieg in den europäischen Pokalen 1997 tauchten am (Dortmunder) Borsigplatz und Schalker Markt gar ›Ruhrpott‹-Gebinde in der Trendfarbe schwarz-gelb-königsblau auf.«13

Im Vergleich zur Dortmunder Vielehe waren die Arminen-Fans eher monogam unterwegs. Zwar soll es Ende der Siebzigerjahre freundschaftliche Verbindungen zu den Anhängern des FC Bayern und des Karlsruher SC gegeben haben. Die waren jedoch nicht von langer Dauer und auf einen eher kleinen Personenkreis begrenzt. Im Gegensatz zu einer Fanfreundschaft, die seit Langem besteht, von der überwältigenden Mehrheit der Arminen mitgetragen und regelmäßig durch Sprechchöre bekräftigt wird: »Schwarz-Weiß-Blau, Arminia und der HSV!«

Die Ursprünge sind auch in diesem Fall schwer auszumachen. Der traditionsbewusste Fanclub »Boys Bielefeld« schreibt auf seiner Website, in den Achtzigerjahren hätten sich Bielefelder und Hamburger Hooligans »so manche Schlacht geliefert«, ehe friedliche Kontakte zustande kamen.14 In Hamburger Fan-Foren ist zu lesen, die Freundschaft habe sich Mitte der Neunzigerjahre intensiviert: »Höhepunkt war der Wechsel einiger HSV-Spieler zur Arminia. Thomas von Heesen, Armin Eck, Jörg Bode und Thomas Stratos wechselten 1994, Uli Stein 1995. Seitdem wird Bielefeld auch der ›kleine Bruder‹ vom HSV genannt.«15

Das mit dem »kleinen Bruder« wird von Bielefeldern zum Teil heftig bestritten, nicht aber die enge Verbindung zu den Hamburgern, die inzwischen über die Anhängerschaft hinausgeht: Am 14. Januar 2012 absolvierte der HSV ein Testspiel in Bielefeld. Der Bundesligist verzichtete auf die sonst übliche Teilung der Einnahmen und half so der finanziell angeschlagenen Arminia. DSC-Geschäftsführer Marcus Uhlig bedankte sich öffentlich für das Entgegenkommen der Hamburger.16 Vor dem Spiel stellten etwa 700 HSV- und DSC-Fans bei einer gemeinsamen Feier ihre Freundschaft unter Beweis. »Ich bin überwältigt von der Resonanz«, sagte Arminias Fanbeauftragter Christian Venghaus angesichts der Zusammenkunft. »Das gibt es in der heutigen Zeit eher selten. Man trifft sich und spricht über Fußball, alte und neue Erlebnisse – und das alles ohne bösen Hintergedanken.«17 Nicole Fister, eine der drei Fanbeauftragten des HSV, gab zurück: »Wir haben viele Sympathien für Arminia. Die HSV-Anhänger wünschen sich, dass Arminia in der Bundesliga spielt und nicht Hoffenheim oder Wolfsburg.«18

6. GRUND

Weil wir uns für Promi-Fans nicht schämen müssen

Zum Beispiel Peer Steinbrück. Der SPD-Kanzlerkandidat bekam im Bundestagswahlkampf 2013 ein paar Probleme mit seiner Glaubwürdigkeit. Zum einen hatte er als Vortragsreisender viel Geld verdient und dafür die Politik, sagen wir, ein bisschen vernachlässigt. Außerdem hatte er seine Vorliebe für teuren Rotwein bekundet. Dabei wollte seine Partei doch mit dem Thema soziale Gerechtigkeit bei den Wählern punkten. Dumm gelaufen.

Zum anderen war da die Sache mit dem Fußball. CDU-Wahlkämpfer reichten im Internet genüsslich eine Fotocollage herum, auf der Steinbrück mit Fan-Utensilien zu sehen ist – dummerweise von unterschiedlichen Vereinen.19 Mal zeigte er sich mit Mönchengladbach-Trikot und sprach von »meiner Borussia«. Dann posierte er mit Hut und Schal der anderen Borussia, der aus Dortmund. Und zu allem Überfluss existiert auch ein Foto, auf dem Steinbrück einen königsblauen Schalke-Schal um den Hals trägt.

Steinbrücks Wahlkampfposse macht deutlich, dass es peinlich werden kann, wenn sich ein Prominenter als Fan eines Vereins outet. Vor allem für die anderen Fans, also für die richtigen Fans, ist so eine Angelegenheit ungefähr so angenehm wie Zahnweh.

Ob die Anhänger von 96 es wohl gut finden, dass der Möchtegern-Comedian Oliver Pocher ihre Farben trägt? Und was die Schalker wohl dazu sagen, dass sich Schauspielerin Veronica Ferres mit königsblauem Schal zeigt? Auf die Spitze getrieben hat es einst Harald Schmidt: Der Entertainer war abwechselnd Fan von Bayer Leverkusen, VfB Stuttgart und Bayern München. Oje.

Als Bielefelder hat man es in dieser Hinsicht gut. Zwar tummeln sich auch auf der Ehrentribüne der Alm einige bekannte Gesichter. Aber die sind zu einem großen Teil ehemalige Arminen-Profis – und deshalb gerne gesehen. Oder es sind lokale Wirtschaftsgrößen, die Arminia als Sponsoren dienen – wofür man ihnen dankbar sein sollte. Oder es sind Promis, die nicht allzu prominent sind – und außerdem gut zum DSC passen.

Das beste Beispiel ist Philipp Petzschner. Ein Tennisprofi, Wimbledon-Sieger im Doppel, ein grundsolider Kerl. Er kommt ursprünglich aus Oberfranken, ist aber so verschossen in den DSC, dass er seine Tochter Arminia nennen wollte. Seine Frau war dagegen, jetzt heißt das Mädchen Aminah.20 Ein guter Kompromiss.

Oder Marco Huck: Der Boxer ist in Bielefeld aufgewachsen. Er kommt aus bescheidenen Verhältnissen, hat in seiner Karriere einige Rückschläge verkraften müssen – und ist jetzt Weltmeister im Cruisergewicht. So einer darf gerne das blaue Trikot tragen.

Sicher, es gibt da auch Ingolf Lück, dessen erfolgreiche Tage als TV-Comedian schon etwas zurückliegen. Oder Ingo Oschmann, für den Selbiges gilt. Oder der ehemalige Radrennfahrer und Tour-de-France-Teilnehmer Jörg Ludewig. Aber hier hält sich die Prominenz schon arg in Grenzen, und außerdem sind wir sicher: Bei keinem der Genannten besteht die Gefahr, dass sie sich morgen mit einem Münster- und übermorgen mit einem Bochum-Schal irgendwo ablichten lassen. Arminen tun so etwas nicht.

7. GRUND

Weil die »11 Freunde« Arminen sind

Kramen Sie bitte kurz in Ihrer Erinnerung: Ist Ihnen 1996 vor der Osttribüne der Alm ein junger Fan mit Brille begegnet? Studentische Kleidung, Umhängetasche, ein Stapel Papier in der Hand? Er hat vor und nach den Spielen ein Magazin verkauft. Eine Mark pro Ausgabe, Auflage etwa 1.000 Stück. Zwischendurch stand er in der Kurve, mit Freunden, die schon mal übermütig wurden: Zu Regionalliga-Zeiten rissen sie gemeinsam einen Zaun nieder, als Arminia beim FSV Salmrohr durch ein spätes Tor 2:1 gewann. Daraufhin flatterte dem Magazinverkäufer eine Strafanzeige ins Haus, die jedoch ohne Folgen blieb.

Als Kenner wissen Sie vielleicht, wer gemeint ist: Philipp Köster heißt der Mann, er ist heute einer der wichtigsten Fußballjournalisten des Landes. Sein Heft hieß Um halb vier war die Welt noch in Ordnung und gilt als Vorläufer eines ungleich größeren Werkes, von dem heute etwa 81.000 Stück pro Ausgabe verkauft werden.2111 Freunde, das »Magazin für Fußballkultur«, dem Wissenschaftler eine Stellung als »Meinungsführermedium«22 zuschreiben und von dem die Süddeutsche Zeitung schwärmte: »Kein Glamour, kein Rausch, kein Unsinn. Fußball-Feuilleton ohne Arroganz.«23

Im Jahr 2000 hat sich Köster mit Reinaldo Coddou zusammengetan, einem Fotografen, geboren in Chile, aufgewachsen »auf der Bielefelder Alm«.24 Dem Duo wurde Bielefeld zu klein, sie wollten ein Fanzine für die ganze Republik machen. Das ging zunächst schief: Mit 200 Heften ihrer neuesten Ausgabe fuhren sie zum Pokalfinale nach Berlin, nur acht Exemplare wurden sie los. Später hätten hohe Schulden das Projekt 11 Freunde beinahe beerdigt.

Doch Arminen sind Unheil gewohnt. Bald fanden sich potente Partner, die den Vertrieb übernahmen: Der Kölner Intro-Verlag und das Verlagshaus Gruner + Jahr verschafften den 11 Freunden eine solide wirtschaftliche Basis. Der Inhalt war ohnehin immer stark: Mal interviewten Köster und Konsorten eine Eckfahne, dann gaben sie rund 15.000 Euro für eine Langzeitbeobachtung von Rot-Weiß Oberhausen aus. Zur Redaktion gehört Christoph Biermann, Experte unter anderem für Taktik, dessen Bücher in unseren Regalen stehen. Und Jens Kirschneck, der einst für diverse große Tageszeitungen über Arminia geschrieben hat, 2005 an der DSC-Vereinschronik mitarbeitete und dessen Texte wir in diesem Buch häufig zitieren.

Andere Verlage versuchten im WM-Jahr 2006, mit Heften ähnlichen Inhalts dagegenzuhalten. Doch Rund oder Player scheiterten. Während der Kicker, immer noch das Flaggschiff der gedruckten 1:0-Berichterstattung in Deutschland, sinkende Verkaufszahlen verkraften muss, haben die 11 Freunde ihre verkaufte Auflage seit 2005 mehr als verdoppelt.25

Das »Magazin für den reflektierten Fan«26 (Zeit Online) hat keine ernst zu nehmende Konkurrenz, wenn man von den Sport-Feuilletons der großen Tageszeitungen absieht. Das tut ihm nicht immer gut. Die Hingabe etwa, mit der die 11 Freunde die Frisuren von Fußballern kommentieren, ist so unerklärlich wie nervtötend. Auch kehren bestimmte Anekdoten immer und immer wieder. Nicht selten spielen sie auf der Bielefelder Alm.

Chefredakteur Köster macht aus seiner Vorliebe für die Arminia keinen Hehl, etwa wenn er zum x-ten Mal berichtet, wie einst ein DSC-Fan neben ihm auf der Tribüne einen Rostocker Spieler beschimpfte: »Typisch Ossi!«27 Dabei galt die Schmähung Victor Agali, dem gebürtigen Nigerianer. Auch in Reportagen taucht der DSC unvermittelt auf – gerne als Vorbild, etwa wenn es um Retortenclubs wie Rasenballsport Leipzig geht.

Was die Arminia betrifft, da sei er immer voll im Bilde, hat Köster mal gesagt: »Da kann ich zeigen, wo die Glocken hängen.«28 Rund um die Alm wird ihm eine gewisse Verehrung zuteil: Das Stadionmagazin Halbvier ist nach Kösters Ur-Fanzine benannt. Die Bielefelder Tageszeitung Neue Westfälische hat ihn jahrelang eine Kolumne schreiben lassen, »Meine Arminia«. Im Mai 2010 schrieb Köster sie zum letzten Mal. Er verabschiedete sich mit den Worten: »Arminia-Fan bleibe ich dennoch. Man kommt ja nicht los davon. Sein Leben lang. Mein Leben lang.«29

8. GRUND

Weil die »Boys Bielefeld« immer da sind – in guten wie in schlechten Zeiten

Sie nennen sich »die ewige Konstante«.30 Einer ihrer Leitsprüche lautet: »Tradition schlägt jeden Trend.«31 Ihre Fahne hängt bei jedem Spiel der Arminia, egal ob in Unterhaching oder in China. Der 1995 gegründete »Freundeskreis«, so die Selbstbeschreibung, gilt als einer der wichtigsten Fanclubs des DSC. Ihm und der befreundeten Gruppe »Fantastic Blue« sei »eine neue Szene von jungen Arminen-Fans« zu verdanken, »denen es darum geht, die eigene Mannschaft akustisch und optisch auf möglichst fanatische, jedoch gewaltfreie Weise zu unterstützen«, schreibt der Verein in seiner Chronik.32 Gründer der »Boys« ist Thomas, genannt »Segelohr«. Er hat mehr als 1.400 Spiele des DSC gesehen, darunter mehr als 380 Auswärtsspiele der Profimannschaft. Im Interview erklärt er, was die »Boys« von anderen Fans unterscheidet, wie sie die Entwicklung der Ultra-Fanszene in Deutschland mitgestalteten und warum ein Abstieg manchmal mehr Ruhe bringt als der Klassenerhalt.

Es gibt mindestens 111 gute Gründe, Arminia Bielefeld zu lieben. Welcher war deiner?

»Liebe« ist der falsche Begriff. Man wächst da langsam rein, dann wird es zum festen Bestandteil des Lebens, zum Fixpunkt. Der Spielplan bestimmt, wann man sich wo aufhält.

Kannst du dich an dein erstes Spiel erinnern?

Zu Hause gegen Stuttgart, in der Saison 84/85. An das Spiel selbst habe ich keine Erinnerung, aber ich weiß noch, dass ich an der Eckfahne zwischen Block 4 und 5 stand. Und dass ich fasziniert und irritiert war von dem, was auf der Tribüne abging.

Was ging da ab?

Diese Menschen bildeten eine Masse, einen Block im wahrsten Sinne des Wortes.

Am Ende der Partie stand es 2:7, das war gleich eine Klatsche. Viele andere sollten folgen, Arminia-Fan zu sein bedeutet Schmerz. Der eine oder andere nimmt sich deshalb mal eine Auszeit. Die »Boys Bielefeld« hingegen sind immer dabei. Unterscheidet euch das von anderen Fans, diese Leidensfähigkeit?

Das ist schwer zu beantworten, da würde vermutlich jeder von uns eine völlig andere Antwort geben. Ich persönlich würde mich aber nicht als Fan bezeichnen, zumindest nicht als Fan der Mannschaft.

Das musst du erklären.

Spieler, Trainer, Offizielle sind eine temporäre Erscheinung, sie kommen und gehen. Wobei ich ihnen nicht vorwerfe, Söldner zu sein. Das wäre populistisch und zu kurz gedacht, das meine ich nicht. Aber rein faktisch erfüllen sie ihre Aufgabe für einen gewissen Zeitraum, dann ist Schluss. Die Konstante, das sind wir. Wenn Spieler, Trainer, Manager schon lange weg sind, sind wir immer noch da.

Trotz des ewigen Auf und Ab, trotz der vielen Abstiege.

Für mich war ein Abstieg auch immer etwas Positives, so blöd das auch klingt. Zumindest, wenn er keine existenzielle Bedrohung für den Verein darstellte. Ein Abstieg bedeutet, man hat ein bisschen mehr Ruhe als in Zeiten des Aufstiegs.

Ruhe wovor?

Nehmen wir die Zeit von 1993 bis 96, als wir von der Oberliga bis in die 1. Liga aufgestiegen sind. Das war schrecklich: Plötzlich waren da Tausende Leute, die angeblich schon immer Fans waren.

Was ist daran schlimm?

Bitte nicht falsch verstehen: Es ist völlig in Ordnung, wenn sich plötzlich sehr viele Menschen für Arminia begeistern. Es darf nur nicht sein, dass dadurch eine Subkultur untergeht, die sich über Jahrzehnte gebildet und entwickelt hat – zum Teil gegen heftige Widerstände. Ein Beispiel: Wir fahren mit 30 Leuten zu einem Auswärtsspiel, sagen wir im November, bei Nieselregen, irgendwo in die Provinz. Und im Mai stehen dann 20.000 Menschen bei Sonnenschein auf dem Rathausplatz und feiern sich ab, weil sie die größten Arminia-Fans sind.

Die dürfen da nicht stehen?

Natürlich dürfen sie das, es wäre ja vermessen, ihnen das verbieten zu wollen. Ich verlange auch gar nicht, dass die zu jedem Auswärtsspiel mitfahren. Aber ein bisschen Selbstreflexion wäre schön.

Blickst du auf solche Schönwetter-Fans herab?

Ich empfinde es als ungerecht. Wir betreiben als kleine Gruppe, ich spreche von der organisierten Fanszene, einen unfassbaren Aufwand. Freiwillig, schon klar, dazu hat uns ja keiner gezwungen. Die Leute riskieren viel, holen sich einen gelben Schein oder setzen ihre schulischen Leistungen aufs Spiel, fahren nachts weite Strecken, gefährden ihre Beziehung. Die anderen Leute, die das nicht tun und trotzdem jubeln, die machen es sich leichter. Da klafft eine Lücke zwischen Einsatz und Auftreten.

Wenn du dich nicht als Fan siehst, sind die »Boys« dann auch kein Fanclub?

Von der Selbstwahrnehmung her waren wir ganz am Anfang ein Fanclub, dann Ultras, und haben uns dann bewusst entschieden, das rauszuwerfen, und bezeichnen uns seitdem als Freundeskreis.

Ihr geltet als stilbildend für die Ultra-Bewegung in Deutschland. Wie kam es dazu?

Stilbildend waren wir bestimmt nicht, nur früh dran. In der Saison 1994/95 entstand ein Kontakt nach Leverkusen zu den »Soccer Boyz«, deren Gründer Verwandtschaft in Bielefeld hatte, und damit auch einen Bezug zu Arminia. Die Leverkusener Fanszene war schon damals gut aufgestellt, auch wenn sie immer anders wahrgenommen wurde und vielleicht auch noch wird. Vor allem war sie im Aufbruch. Der Leverkusener hatte über Jahre Kontakte ins Ausland geknüpft, vor allem nach Italien, und sich mit der Materie beschäftigt …

… mit der Ultra-Materie.

Genau. Wir hatten damals schon Interesse in diese Richtung. Durch den Kontakt zu ihm ist das noch gesteigert worden. Wir wollten uns einordnen, wir suchten eine Heimat, eine Nische. Damals gab es Hooligans, das war nicht unsere Sache. Es gab Kuttenträger, aber nur noch wenige, keine Subkultur im Sinne der Achtzigerjahre, und das war erst recht nicht unsere Sache. Und diese ganze normale Trikotträger-Schiene, das war eben auch nicht unser Ding. Das war uns zu oberflächlich.

Also seid ihr Ultras geworden. Was bedeutet das, ein Ultra zu sein?

Wir sind nicht bewusst Ultras geworden, das stand nicht als Ziel am Horizont. Zunächst mal haben wir uns orientiert an den »Allesfahrern« von früher, also an jenen Fans, die zu allen Auswärtsspielen gereist sind, egal ob Pflicht- oder Testspiel. Das war unsere Grundlage. Wir haben stets den Kontakt gesucht zu den Älteren, das war uns wichtig. Wir wollten nicht einfach irgendwo reinpreschen, nach dem Motto: »Hurra, wir sind jetzt da.« Dann wollten wir uns natürlich zeigen, und dazu bestens geeignet waren optische Stilmittel. Selbst mit »Fantastic Blue«, einer anderen Gruppe mit einer eher englischen Ausrichtung, waren wir ja eine extrem überschaubare Anzahl von Leuten. Die Aufmerksamkeit kam also über das Optische.

Das heißt?

Doppelhalter, die Fahne an ihrem Platz, damit ging es los. 1996 kamen erste Choreografien hinzu, zumindest im Kleinen. Und dann standen wir hinterm Tor, anders als die anderen auf der Osttribüne. Nicht, um uns zu separieren, sondern weil dort eben früher der Fanblock war. Wir haben Handzettel verteilt und nach und nach immer mehr dazu bewegen können, auf die Südtribüne hinter dem Tor zu wechseln. Es war ein zäher Kampf.

An welche Choreografie erinnerst du dich besonders gerne?

Im Spiel gegen Osnabrück 2003 haben wir die Wappen der unserer Meinung nach wichtigsten Fanclubs über die Jahre präsentiert, das war für mich die wichtigste Choreo. Das war auch unser Abschluss, ein Zeichen des Abschieds aus dem gestaltenden Kreis.

Ihr wolltet keine Ultras mehr sein. Warum nicht?

Es gab 2001 kurzzeitig einen Zusammenschluss namens »Ultras Bielefeld«, an dem wir beteiligt waren, der sich aber nicht durchgesetzt hat. Wir konnten Außenstehende dafür nicht begeistern, das war ein Punkt. Der andere war, dass viele selbst ernannte Ultra-Gruppen in Deutschland anfingen, ziemlich viel Scheiß zu machen, aus unserer Sicht.

Was meinst du konkret?

Wir haben immer gesagt, dass wir nicht gewaltbereit sind. Damit waren wir zunächst nicht alleine. Der Austausch stand im Vordergrund. Das änderte sich, als die Gruppen größer wurden und auch ihr Einfluss in den Kurven. Da war diese Notwendigkeit des Austausches, mit anderen Szenen, nicht mehr so gegeben. Es mussten dann immer neue Grenzen ausgetestet werden, und gerade den nachkommenden Jungen war das nicht mehr spannend genug. So entwickelte sich irgendwann eine zunehmende Gewaltbereitschaft unter ultraorientierten Personen in den Kurven.

Das wolltet ihr nicht.

Nein, und auch die Wahrnehmung der Bielefelder Ultras in der eigenen Fanszene veränderte sich zum Negativen. Wir hatten darüber hinaus den Eindruck, durch den »Ultras Bielefeld« genannten Zusammenschluss sei unsere eigene Sache, die Boys-Sache, in den Hintergrund gerutscht. Auch deshalb haben wir uns nicht der »Lokal Crew« angeschlossen, der 2006 gegründeten neuen Übergruppierung.

Ihr lehnt Gewalt ab. Wie haltet ihr es mit Pyrotechnik im Stadion?

Am Anfang gab es unsererseits des Öfteren Rauchpulver – auch, um uns zu zeigen, aber die Gefahr, erwischt zu werden, war bei einer so kleinen Gruppe natürlich groß. Wir haben uns deshalb irgendwann davon verabschiedet.

Aber im Grunde bist du dafür?

Ich finde, man muss abwägen: Macht man es, um optisch präsent zu sein? Oder macht man es nur, um zu beweisen, dass man es kann? In letzterem Fall weiß ich nicht, ob es Sinn macht. Ich finde es jedenfalls mutig, dass die Jungen heute mit Sturmhaube auf den Zaun steigen und bengalische Fackeln hochhalten. Was ich jedoch ablehne, sind alle Arten von Knallkörpern, da die Gefahr, Personen damit zu verletzen, extrem hoch ist. Man muss aber auch wissen, dass hinter solchen Aktionen in den seltensten Fällen Ultras stecken, sondern maximal Außenstehende, die ernsthaft denken, dass das, was sie da machen, bei irgendjemandem einen positiven Eindruck hinterlassen würde.

Ein Verbot von bengalischen Fackeln lehnst du ab?

Ich glaube, dass auf beiden Seiten falsch argumentiert wird. Die Ordnungskräfte behaupten stets, das sei alles brandgefährlich, es gebe zahlreiche Verletzte. Bei den Aktionen, die ich befürwortet habe und bei denen ich anwesend war, gab es keine Verletzten. Wenngleich man als Hausrechtsinhaber, Veranstalter oder Polizei natürlich nicht darauf vertrauen kann, dass die Fanszenen das Zeug immer den richtigen Leuten in die Hand drücken. Auf einen verantwortlichen Umgang in Selbstregulation kann man sich faktisch nicht verlassen. Deshalb fand ich den Vorstoß gut und richtig, abgesteckte Zonen zum kontrollierten Abbrennen einzufordern. Eine solche Initiative gab es ja mal, aber leider ist der DFB dann wieder zurückgerudert, als die Kommunikation darüber öffentlich wurde.

Ein beliebter Sport unter konkurrierenden Fan-Gruppierungen scheint das Stehlen und Verbrennen gegnerischer Zaunfahnen zu sein. Auch die Boys sind schon einmal Opfer gewesen, in Münster. Hältst du das für legitim?

Das in Münster war ein spezieller Fall, bei dem beide Seiten nicht gut aussahen, aber auch gewissen subkulturellen Zwängen unterlagen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Generell ist das für mich Raub und nicht legitim. Ich meine, wenn zwei Gruppen aufeinandertreffen, in gleicher Stärke, mit gleichen Absichten und Werten, und Fahnen wechseln den Besitzer, dann ist das deren Sache. Wenn das aber einer Gruppe wie uns passiert, die offensiv kommuniziert, dass sie solche Sachen ablehnt, dann geht das nicht. Punkt.

Eines eurer Mitglieder ist Dennis Eilhoff, zwischen 2008 und 2011 Stammtorwart der Arminia. Wie war das für euch, ihn auf dem Platz zu sehen?

Dennis ist zu uns gekommen, als er schon Spieler war. Er war einfach ein sympathischer Typ, der sich damit identifiziert, was wir machen. So haben wir ihn stets gesehen, als Menschen, nicht so sehr als Fußballprofi.

Gab es vergleichbare Kontakte mit anderen Profis?

Nein. Wie gesagt: Die Mannschaft als Konstrukt war für uns nie so wichtig, weil sie nur temporär eine Bedeutung hat. Aber es gab natürlich Spieler, die von sich aus mal das Gespräch gesucht haben …

… zum Beispiel?

Mathias Hain, Rüdiger Kauf, Patrick Schönfeld. Die Anzahl von Spielern war und ist sehr überschaubar.

Dein schlimmster Moment, in all den Jahren als DSC-Anhänger?

Wahrscheinlich schon der Moment, als die Boys-Fahne in Münster brannte. Auch wenn ich die Aktion damit aufwerte.

Und der schönste Moment?

Das Spiel in Essen, 1994. Das zweite Auswärtsspiel in der Regionalliga, der erste Sonderzug seit bestimmt zehn Jahren. Ein richtiges Stadion, dreieinhalbtausend Bielefelder. Wir waren wieder da und das, aufgrund der Ligareform, ohne vorher aufgestiegen zu sein.

Mal angenommen, du lernst jemanden kennen und findest ihn sympathisch. Dann stellt sich heraus: Er ist Anhänger von Preußen Münster. Was tust du?

Ich habe einen Kontakt nach Münster und kein Problem damit. Auch wenn ich da vielleicht einer Minderheit angehöre. Der Preuße fährt auch zum Fußball, er hat dieselben Probleme wie wir.

9. GRUND

Weil wir unsere Kinder nach unserem Verein benennen können

Die Liebe zum Fußballverein kennt viele Ausdrucksformen. Manche Fans sind bei wirklich jedem Spiel ihrer Mannschaft live dabei, andere streichen ihr Haus in den Farben ihres Clubs, wieder andere lassen sich das Wappen ihres Vereins als Tattoo stechen. Für Andreas Kramer sind das keine Optionen. Er hat stattdessen seine Kinder nach seinem Club benannt: Carlotta Arminia kam im April 2007 zur Welt, Arminius Pepe im Oktober 2013. Hier erklärt Kramer, wie es dazu kam:

»Ich gebe es ja zu: Es fällt mir nicht leicht zu begründen, weshalb ich meine Kinder nach einem Fußballverein benannt habe. Die Schwierigkeit, die richtigen Worte zu finden, hat sicher damit zu tun, dass es dabei um ein Gefühl, um meine Gefühle geht. Dass das Ganze etwas Irrationales ist.

Ich will es trotzdem mal versuchen. Arminia ist für mich nicht irgendein Fußballverein. Sondern eben Arminia. Als ich neun war und in die vierte Klasse ging, bin ich mit meinem Stiefvater zum ersten Mal auf die Alm gegangen. Das war in der Saison 1979/80. 2. Liga, Hundert-Tore-Sturm. Arminia gewinnt 2:0 gegen Osnabrück, Roland Peitsch und Christian Sackewitz machen die Tore. Das werde ich nie vergessen, denn da hat für mich irgendetwas begonnen. Ich war danach mit meinem Stiefvater auch bei Auswärtsspielen, zum Beispiel in Herford, auch in Münster.

Am Ende der Saison waren wir in die Bundesliga aufgestiegen. Ich habe mich bald losgelöst und bin von Block 6, auf Höhe der Mittellinie, wo mein Stiefvater immer stand, auf Block 3 gewechselt. Also hinters Tor und direkt unten an den Zaun. Ich bin vor den Spielen mit Öffnung der Tore rein und habe aus Stadionzeitungen erst mal bergeweise Schnipsel gemacht, die man beim Einlaufen der Mannschaften werfen konnte. Auf dem Block standen echte Kuttenfans und einige Leute, die sich mit ihren Schals an Wellenbrechern festgebunden hatten, um darauf stehen zu können. Fast ein frühes Ultra-Gehabe. Auch Menschen vom Typ Puch-Maxi-N-Fahrer und Jugendliche mit Jeansjacken und Kamm. Und der »Almfürst«, wie er genannt wurde. Der dickste Mensch, den ich mir damals vorstellen konnte. Er stand immer an derselben Stelle, genau an der Trennwand der Blöcke 3 und 4.